08.12.2012 Aufrufe

Diese Flitzer klingen nach lahmem Polo - Kartei dieser Autos

Diese Flitzer klingen nach lahmem Polo - Kartei dieser Autos

Diese Flitzer klingen nach lahmem Polo - Kartei dieser Autos

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

fotos: t. ruddies, hersteller<br />

REPORT vw scirocco i<br />

WustenWind<br />

Ford Capri, Opel Manta? Schön, aber das wahre Coupé der 70er-Jahre<br />

42 www.autobild-klassik.de | Nr. 4 ∧ 20. November 2009<br />

Wolfsburgs heißer<br />

baute Karmann in Osnabrück. 504 153 VW Scirocco I liefen von 1974 bis<br />

81 vom Band. Hier erzählen fünf Autofans von der Liebe ihres Lebens<br />

Ach herrje! War das schön!<br />

Deutschland 1974. WIR sind<br />

Fußball-Weltmeister, WIR tanzen<br />

zum ABBA-Hit „Waterloo“,<br />

WIR flirten vor unserem ersten<br />

Farbfernseher mit Ilja Richter<br />

(„Licht aus, Spot an!“). Den heißesten<br />

Hit der Zeit lieferte aber<br />

nicht die ZDF-„Disco“, sondern<br />

Autobauer Karmann in Osnabrück.<br />

Hier lief im Februar 1974<br />

der erste Scirocco vom Band.<br />

Ach herrje! War der schön!<br />

Scirocco. Welch ein Name!<br />

Plötzlich wehte ein heißer Wüs-<br />

tenwind durch die<br />

niedersächsische<br />

VW-Provinz. Einer<br />

mit Motor vorn statt<br />

hinten, mit Wasser-<br />

statt Luftkühlung,<br />

mit Front-<br />

statt Heckantrieb.<br />

Der Neue war rein<br />

technisch ein Golf,<br />

kam aber drei Monate früher<br />

auf den Markt. VW wollte testen,<br />

wie sich diverse Bauteile in<br />

Großserie schlagen, um mit dem<br />

Golf ja keine Bruchlandung zu<br />

erleiden. Einer<br />

der Scirocco-Väter<br />

war Giorgio<br />

Giugiaro, dessen<br />

Firma Ital Design<br />

1971 den Styling-<br />

Auftrag für Wolfsburgs<br />

heißen Wüstenwind<br />

erhielt. Und so rollte<br />

der allererste Scirocco mit der<br />

internen Bezeichnung Typ 53 im<br />

April 1974 zu den Händlern:<br />

drei Motoren (50, 70 und 85 PS),<br />

drei Ausstattungsvarianten und<br />

zehn Außenfarben. Nach den<br />

Sommerferien 1977 gab’s das<br />

große Facelift: Kunststoff- statt<br />

Chromstoßstangen, Blinker, die<br />

in den Kotflügel reichen. Sportliche<br />

Fahrer hatten sich da<br />

längst in den 110-PS-GTI verliebt,<br />

den VW 1976 für 16 125<br />

Mark offerierte. Im Februar 1981<br />

war Schluss mit dem Scirocco I,<br />

es folgte Typ 53B. Aber das ist<br />

eine andere Geschichte.<br />

Gregor liebt die lahmen sportcoupés seite 42 Peter und die Liebe fürs Leben seite 44 Fritzi fährt einen, den es nicht geben darf seite 46 Matthias und die Jugendliebe seite 48 Andreas und die geklaute Liebe seite 49<br />

Gregor Leonhardt und seine blauen Zwillinge:<br />

Beide Scirocco sind von 1976 und haben 50 PS. Beide sehen aus,<br />

als hätten sie schon immer in der Garage gestanden<br />

Gregor Leonhardt (40) genügen 50 Ps<br />

Ein Sportcoupé mit dem Herz eines Kleinwagens? Ja,<br />

das hat VW wirklich mal verkauft. <strong>Diese</strong>r Schlossermeister<br />

aus Frankfurt braucht nicht mehr, um glücklich zu sein<br />

‡ Also nee! So was hätte sich Gregor Leonhardt<br />

nie denken können. Nee, nicht so was.<br />

Da sitzt er zwischen zwei Scirocco, beide mit<br />

mickrigen 50 PS unter der Haube, und der<br />

Schlossermeister aus Frankfurt/Main platzt<br />

vor Stolz: „Meine, die verkaufe ich nie.“<br />

Scirocco L, <strong>Polo</strong>-Motor, dünnes Plastik-Lenkrädchen<br />

und eckige Lampen. Leute, ehrlich:<br />

Damit konnte man in den 80ern keine Braut<br />

abschleppen! Sah Gregor genauso. 1991 hatte<br />

er ein 50-PS-Modell, aber bei den Ausfahrten<br />

seines Scirocco-Klubs war er immer Letzter.<br />

Also sattelte er um, kaufte einen weißen<br />

Scirocco GTI mit 180 000 km, bei dem ihm<br />

schon während der Probefahrt das Leerlaufventil<br />

um die Ohren flog. Egal, er musste die<br />

Karre für 4800 Mark unbedingt haben, das<br />

Scirocco-Virus hatte ihn erwischt. Aber ständig<br />

war was, ständig musste er den GTI reparieren.<br />

Da erinnerte er sich an den 50-PS-<br />

Scirocco: nicht so verbastelt, nicht so runtergeritten.<br />

1993 stieß er in Wuppertal auf<br />

einen blauen Scirocco L aus einer Sammlungsauflösung:<br />

24 000 km, zweite Hand,<br />

scheckheftgepflegt, 7500 Mark. Gekauft!<br />

Sieben Jahre später, das Internet lieferte<br />

die ersten Angebote, entdeckte der .<br />

Da war die (Männer-)Welt noch in Ordnung: Scirocco-<br />

Werbung der 70er-Jahre. Man achte auf die Koteletten!<br />

<strong>Diese</strong> <strong>Flitzer</strong> <strong>klingen</strong><br />

<strong>nach</strong> <strong>lahmem</strong> <strong>Polo</strong><br />

Alles original: Gregor Leonhardts Scirocco L wurde im<br />

Mai 1976 mit genau diesen Stahlrädern ausgeliefert<br />

Stiller Genießer: Gregor in seinem 50-PS-Scirocco.<br />

Das große Lenkrad sieht gar nicht <strong>nach</strong> Coupé aus<br />

20. November 2009 ∧ Nr. 4 | www.autobild-klassik.de 43


REPORT vw scirocco i<br />

che Farbe, gleiche Ausstattung. Und so kaufte er den<br />

zweiten <strong>Polo</strong> im Scirocco-Kostüm: 19 000 km, aus erster<br />

Oma-Hand, 6500 Mark. Der Wagen stand in Österreich,<br />

die Heimreise auf eigener Achse war kein Problem,<br />

sondern Genuss: „Du fährst wie in einem Panzer“,<br />

sagt Gregor und strahlt, „alles ist so vertraut, du fühlst<br />

dich zurückversetzt in deine<br />

Jugendzeit.“<br />

Und was wurde aus dem<br />

weißen GTI? Das, was in<br />

den 90ern aus vielen<br />

anderen wurde. Motor<br />

Peter stammerjoha n (60) ist erstbesitzer<br />

Der Grüne ist (s)ein treuer Begleiter<br />

Mit 28 Jahren zahlte der Wolfsburger 15 681 Mark für seinen nagelneuen Scirocco GT. Seitdem<br />

sind 32 Jahre und 197 000 Kilometer vergangen. Für ihn ist klar: „Wir werden gemeinsam alt“<br />

‡ Da sitzt er im Esszimmer und hält die Akte seiner<br />

einzigen großen Autoliebe in den Händen. Alle Rechnungen<br />

der vergangenen 32 Jahre hat Peter Stammerjohann<br />

aus Wolfsburg fein säuberlich abgeheftet.<br />

„15 681 Mark habe ich für den Scirocco bezahlt. Die<br />

gleiche Summe noch mal für Wartung und Reparatur<br />

reingesteckt. Aber in Euro“, erklärt er und lächelt.<br />

Der 8. September 1977 war ein verregneter Donnerstag.<br />

Der 60-Jährige weiß es noch genau. Es ist der Tag,<br />

an dem er seinen Scirocco GT in Empfang nimmt.<br />

Viperngrün-Metallic, 1,5 Liter, 70 PS. Statt Rabatt gibt’s<br />

einen leeren Tank. Zumindest das Kassettenradio<br />

(Blaupunkt Essen) und die Kugel-Lautsprecher bauen<br />

die VW-Leute von Auto Damke in Braunschweig kostenlos<br />

ein. Ja, so ist das zu <strong>dieser</strong> Zeit. Peter Stammerjohann<br />

ist gerade junger Verwaltungsleiter bei Karstadt<br />

in Dortmund und hat genau <strong>nach</strong>gerechnet. BMW<br />

1502, Porsche 924 oder VW Scirocco? „Ich bin <strong>nach</strong><br />

wirtschaftlichen Gesichtspunkten vorgegangen und<br />

habe die Folgekosten verglichen“, erklärt er. Der Scirocco<br />

hat gewonnen. Ein Glück. Denn Peter Stammerjohann<br />

ist ein penibler, gewissenhafter Mensch, einer,<br />

dem man ruhigen Gewissens sein Sparbuch und seine<br />

Münzensammlung anvertrauen kann. All die ganzen<br />

Jahre hegt und pflegt er den Scirocco. Er zieht mit ihm<br />

um von Braunschweig <strong>nach</strong> Dortmund, Hannover, Kamen,<br />

Wolfsburg. Er bringt ihn regelmäßig zum Service,<br />

lässt ihn 2004 sogar von der VW-Werkstatt komplett<br />

entrosten und neu lackieren.<br />

Das gesamte<br />

Scheckheft ist voller<br />

Stempel von VW-Ver-<br />

tragshändlern. So viel Treue wird belohnt. Als die VW-<br />

Leute einen Ur-Scirocco für die Vorstellung der dritten<br />

Generation suchen, finden sie den viperngrünen<br />

von Peter Stammerjohann. In Lissabon muss der Scirocco<br />

als Fotowagen herhalten, einmal räkelt sich sogar<br />

ein Model auf der Motorhaube und zerkratzt mit<br />

seinen spitzen Pumps den Lack. Der 60-Jährige lächelt:<br />

„VW hat alles wieder picobello in Ordnung gebracht.“<br />

Vor fünf Jahren, als der Scirocco wieder wie neu war,<br />

kaufte sich Peter Stammerjohann einen Skoda, fährt<br />

seinen grünen Freund nur noch bei gutem Wetter. Denn<br />

er hat beschlossen: „Der Wagen und ich, wir werden<br />

gemeinsam alt.“ Bis dahin genießt er jede Fahrt.<br />

Und muss noch mal lächeln, als er sagt: „Wenn<br />

ich nicht gerade in den Rückspiegel schaue,<br />

fühle ich mich hinterm Lenkrad wie mit 30.“<br />

Seht her, mein Serviceheft: Seit Kauf<br />

am 8. 9. 1977 hat Peter Stammerjohann alle<br />

Wartungen bei VW machen lassen<br />

Spucknapf-Lenkrad, Drehzahlmesser, Voltmeter in der Mittelkonsole: So bestückte VW den Scirocco GT 1977. Er schnurrt noch immer wie ein Kätzchen<br />

fotos: t. ruddies 40-Jährige das Zwillingsmodell: gleiches Baujahr, glei-<br />

von 1,6 auf 1,9 Liter aufgebohrt, schwarze BMW-Rückleuchten,<br />

Breitreifen, härter, tiefer. Eben der ganz normale<br />

Tuning-Wahn <strong>dieser</strong> Zeit, als PS-Verrückte noch<br />

süchtig waren <strong>nach</strong> D&W-Hochglanzkatalogen. „Der<br />

röhrt wie ein Turbo“, sagt Gregor, „und wenn du um<br />

die Kurve fährst, fühlst du dich wie im Kart.“<br />

Aber Hand aufs Herz, warum ausgerechnet Scirocco?<br />

Gregor muss nicht lange überlegen: „Die Keilform ist<br />

einfach der Hit.“ Er ist sogar so vernarrt, dass er die Internetseite<br />

„sciroccokartei.de“ ins Leben gerufen hat,<br />

auf der schon 900 Typ-53-Modelle verzeichnet sind.<br />

Auch die blauen Zwillinge, die <strong>klingen</strong> wie lahme <strong>Polo</strong>.<br />

Gregors Jugendsünde: Seinen 1979er GTI hat er zum<br />

Vor-Faceliftmodell umgebaut, den Kühlergrill verbreitert<br />

Man achte auf die Feinheiten: Türgriffe vom Audi<br />

80, riesiger Rieger-GTO-Heckflügel und schwarze<br />

Rückleuchten vom BMW 3er (E30). Damit war Gregor<br />

Leonhardt in den 90ern bei den Scirocco-Treffen<br />

im osthessischen Hohenroda ganz weit vorn ...<br />

„Ich bin mit meinem Auto länger zusammen als viele<br />

Männer mit ihrer Frau“, sagt Peter Stammerjohann.<br />

Vor 32 Jahren kaufte er den Scirocco GT für 15 681 Mark<br />

Sammelbesteller<br />

im Tuning-Katalog:<br />

32er-Momo-Lenk-<br />

räder und eine<br />

Pedalerie aus gelochtem<br />

Alu brauchte<br />

man in den<br />

90er-Jahren, um in<br />

Scirocco-Kreisen<br />

Anerkennung<br />

zu erfahren. Bei<br />

diesem Modell<br />

fehlt die Mittelkonsole.<br />

Der Schaltknauf<br />

war mal<br />

eine Billlardkugel<br />

Um die Schottenkarositze zu schonen, hat sich Stammerjohann Bezüge anfertigen lassen. Der Motorraum mit dem 1,5-Liter-Vierzylinder ist wie geleckt<br />

44 www.autobild-klassik.de | Nr. 4 ∧ 20. November 2009 20. November 2009 ∧ Nr. 4 | www.autobild-klassik.de 45


fotos: t. ruddies<br />

REPORT vw scirocco i<br />

Der kleine Rote steht ihm gut: Jörg Fritz und sein<br />

1979er Scirocco. Gemeinsam mit Tochter Kristin (11) fährt er<br />

Oldtimer-Rallyes. Wie man sieht (rechts), sehr erfolgreich<br />

Der Motor sieht aus wie ein stinknormaler 1.6er mit 85 PS. Das war aber nicht immer so. Früher war hier mal ein<br />

Turbolader eingebaut, das Hitzeschild (siehe Markierung) beweist es. Damit leistete der Scirocco etwa 145 PS<br />

Jörg Fritz ( 4) besitzt ein einzelstück<br />

Das Auto, das es nie<br />

geben durfte<br />

„Scirocco Fuelinjection“ – allein das<br />

Schild vom US-Export wurde bei Ebay<br />

schon für 250 Euro gehandelt. Mann,<br />

was würde da erst das Cockpit bringen?<br />

Es ist im Holzdesign gehalten, die<br />

Amis standen drauf, wirklich wahr. Mit<br />

den drei Hebeln unterm Original-Radio<br />

lässt sich die Klimaanlage (!) bedienen<br />

Der VW-Werker<br />

aus Gifhorn fährt<br />

ein Auto, das<br />

eigentlich längst verschrottet sein sollte.<br />

Aber irgendwie schaffte es der Scirocco<br />

Turbo <strong>nach</strong> draußen – leider ohne Turbo<br />

‡ Pssst. Streng geheim. Im März<br />

1980 will VW einen Scirocco Turbo in<br />

den USA verkaufen. 2000 Exemplare<br />

sollen mit einem 130 PS starken<br />

Motor ausgestattet werden. Dazu<br />

Sportsitze, Lederlenkrad, Frontspoiler,<br />

rot abgesetzte Zierteile,<br />

185er-Breitreifen, blaugrüner Metalliclack.<br />

Testversuche laufen seit<br />

Ende der 70er. Aber es läuft nicht<br />

gut. Man sagt, dass von 26 Test-<br />

wagen 17 Feuer fingen, weil es Probleme<br />

mit der Dichtheit des Vergasers<br />

gab. Irgendwann wird es VW zu<br />

heiß. Versuch gestoppt, alle <strong>Autos</strong><br />

vernichtet. Alle? Nee, einer lebt ...<br />

...und der hat es richtig gut, steht bei<br />

Jörg Fritz in Gifhorn in der Garage,<br />

schön weich auf Teppich. Dass die<br />

beiden zusammenkamen – reiner<br />

Zufall. 1993 gibt der 44-Jährige<br />

(„Nenn mich einfach Fritzi“) eine<br />

Kleinanzeige im „Heißen Draht“ auf:<br />

„Suche Innenausstattung für Scirocco<br />

I“. Ein Anrufer sagt, er habe da<br />

was, einen kompletten Wagen, zwar<br />

arg vergammelt, aber mit ordent-<br />

lichen Sitzen, noch dazu mit Klimaanlage.<br />

Fritzi zahlt 200 Mark, nimmt<br />

ihn mit: Er ist mausgrau und löchrig<br />

wie ein Schweizer Käse. Wenig später<br />

steht er ohne Sitze, Ablagen und<br />

Teppiche in der Scheune. Und steht.<br />

Und steht. Bis Fritzis Vater droht:<br />

„Jetzt mache ich ihn klein.“ Da sieht<br />

der Junge noch mal genau hin, erspäht<br />

einen Aufkleber an der Unterseite<br />

der Motorhaube. Es geht um die<br />

Einstellung des Turboladers. Turbo?<br />

Scirocco? Fritzi forscht <strong>nach</strong>t. Findet<br />

ein Wärmeschutzblech an der Spritz-<br />

wand im Motorraum. Hier war er,<br />

der Turbolader. Aber wo ist er?<br />

Fritzi beschließt: Den macht keiner<br />

klein, den baue ich auf. 500 Stunden<br />

Arbeit steckt der VW-Werker in den<br />

Youngtimer, 1995 lackiert er ihn,<br />

aber nicht in der Originalfarbe: „Alle<br />

meine acht Sciroccos zuvor waren<br />

rot, also musste auch <strong>dieser</strong> rot werden.“<br />

Die Geburt des roten Scirocco.<br />

Und die Vorgeschichte? Irgendwann<br />

lernt Fritzi Horst Rosenblatt kennen,<br />

zeigt ihm ein Foto des mausgrauen<br />

Scirocco. Rosenblatt erinnert sich:<br />

Das war mein Dienstwagen! Im Oktober<br />

1979 (damals war er Ingenieur<br />

in der Motorenentwicklung) übernahm<br />

der heute 69-Jährige den Scirocco.<br />

Er sagt: „Er war einer von zwei<br />

Prototypen, die überlebt haben. Er<br />

hatte etwa 145 PS.“ Und: „Er lief 210<br />

km/h!“ Einmal fuhr Rosenblatt mit<br />

dem Turbo von Wolfsburg <strong>nach</strong> Kiel.<br />

Im Kofferraum standen vier 20-Liter-Kanister<br />

mit bleifreiem Benzin,<br />

denn: „Damals gab es ja nur verbleites,<br />

und der Wagen hatte einen Katalysator.“<br />

Ende 1980 findet das<br />

Nullserienfahrzeug irgendwie den<br />

Weg aus dem Werk, leider ohne Turbo,<br />

und – mysteriös: Laut Brief ist<br />

Fritzi Zweitbesitzer, vom VW-Werk<br />

steht da nichts.<br />

Vielleicht kommen die Geheimnisträger<br />

von einst ja mal auf eine Tasse<br />

Kaffee vorbei. Denn einmal im<br />

Jahr veranstaltet der Mann, der auch<br />

<strong>nach</strong> Feierabend mit VW verheiratet<br />

ist, sein „Kaffee schlabbern bei Fritzi“<br />

nur für Scirocco-Fahrer. Und das<br />

ist alles andere als streng geheim.<br />

Scirocco-Kauf<br />

das müssen<br />

sie wissen<br />

‡ Die Wahrscheinlichkeit, günstig<br />

an einen guten Scirocco I zu kommen,<br />

ist so hoch wie die Deutsche<br />

Meisterschaft für Arminia Bielefeld.<br />

Unverbastelte GTI gibt es gar<br />

nicht mehr, für 2500 bis 3000 Euro<br />

ist höchstens ein GT mit 70 PS<br />

drin. Wer so was kauft, sollte aber<br />

schweißen können. Denn der Rost<br />

ist das Hauptproblem des Einsers.<br />

Stehbleche für Kotflügel, Windfang<br />

vor der Frontscheibe, Schweller,<br />

Radläufe, Endspitzen, Radkästen –<br />

es gammelt einfach alles. Die Ersatzteilversorgung<br />

ist ebenso erschütternd:<br />

VW-Classic-Parts hat<br />

für das Facelift-Modell nur noch die<br />

rechte Tür (583,10 Euro), nicht aber<br />

die linke. Karosserie- und Zierteile<br />

sind rar, viele Stoffbezüge gibt es<br />

schon gar nicht mehr. Zumindest<br />

bei Motor- und Fahrwerkteilen<br />

sieht es gut aus: Golf-I-Technik.<br />

Stehbleche der Kotflügel rosten,<br />

oft wurde hier schon geschweißt<br />

¤ www.sciroccokartei.de Verzeichnis<br />

für Roccos. Bitte registrieren!<br />

¤ www.roterscirocco.de.tl Alles<br />

über Fritzis roten Renner. Kultig!<br />

¤ www.typ53.com Tipps und Kniffe<br />

der Scirocco Original-IG. Klasse!<br />

¤ www.roccofan.de Private Seite<br />

mit Link zum Forum. Informativ!<br />

¤ www.vw-classic.net Teile für wassergekühlte<br />

VW-Oldies. Pflicht!<br />

CODE*: 9RCQ<br />

* schicken sie den Artikel-Code per sMs an die nummer<br />

5 35 35. ihr per sön liches AutO BiLd KLAssiK-<br />

Archiv finden sie auf www.xnip.com. sMs zum normal<br />

tarif. eine ausführliche erklä rung finden sie un-<br />

ter autobild.de/go/xnip<br />

46 www.autobild-klassik.de | Nr. 4 ∧ 20. November 2009 20. November 2009 ∧ Nr. 4 | www.autobild-klassik.de 47


REPORT vw scirocco i<br />

Matthias schwalm (41) bastelt immer noch<br />

<strong>Diese</strong> (Jugend-)Liebe hält ewig<br />

1988 kauft der Mechaniker seinen GTI, holt 150 PS aus dem Motor.<br />

Als Sohn Kevin kommt, stellt er den Scirocco weg – 17 lange Jahre<br />

‡ Das Ding hüpft wie ein Bock, geht ab wie die Sau und<br />

röhrt wie ein Hirsch. Bis 1992, dann ist Schluss damit.<br />

Als Matthias Schwalm (41) seine schwangere Frau ins<br />

Krankenhaus fährt, zwängt sie sich zum letzten Mal in<br />

den engen Schalensitz. Dann rebelliert sie, mit Erfolg.<br />

Nach der Geburt holt er sie und Kevin im Audi 80 ab.<br />

Und die blaue Knallkiste? Die stellt Matthias weg.<br />

Vier Jahre zuvor kauft er den GTI im hessischen Schwalmstadt.<br />

Der VW ist in erbärmlichem Zustand. Gerade mal<br />

neun Jahre alt und total mürbe. Wie gut, dass Matthias<br />

Kfz-Mechaniker ist, in einer VW-Werkstatt gelernt hat.<br />

Er baut die Kamei-Verbreiterung ab, schweißt kiloweise<br />

Bleche ein, lackiert seinen Traumwagen in Effektrot-<br />

Hier ist der Schrauber König: Matthias Schwalm in<br />

seiner Hobby-Werkstatt. Der Motor wartet <strong>nach</strong> Defekt<br />

auf Überarbeitung, soll nächstes Jahr 180 PS leisten<br />

Metallic. 1990 glitzert er wie ein <strong>Autos</strong>cooter und ist<br />

der Star vor der elterlichen Gastwirtschaft. Dabei ist er<br />

nicht allein. Matthias muss schmunzeln: „Plötzlich standen<br />

da vier Scirocco, meine drei Brüder hatten nämlich<br />

auch einen.“ Aber nicht so einen. Die 110 PS waren ihm<br />

nicht schnell genug. Er bohrte den 1.6er-Block auf 1,9<br />

Liter auf, investierte in geschmiedete Kolben und größere<br />

Ventile, eine scharfe Nockenwelle und einen 45er-<br />

Vergaser. Ergebnis: 150 eingetragene PS und Zoff zu<br />

Hause: „Für den Motor ging ein Bausparvertrag drauf.<br />

Mein Vater hat einen Monat nicht mit mir geredet.“ Matthias<br />

ist das schnuppe. Er gründet 1990 mit 14 Kumpeln<br />

den „Scirocco Club Schwalmstadt“, bastelt munter wei-<br />

Dickes Lenkrad, Extra-Rundinstrumente, Schalensitze, Hosenträgergurte: Der Scirocco von Matthias Schwalm<br />

versprüht den Tuning-Charme der 90er. Der Kaufvertrag sieht aus wie eine Einladung zum Kindergeburtstag<br />

ter. Supersprint-<br />

Auspuff, Fichtel-&-<br />

Sachs-Fahrwerk,<br />

neuer Lack in Audi-<br />

RS-4-Blau. Aber dann kommt Kevin. Und der Scirocco<br />

steht. Bis 2009. Nach 17 Jahren holt der 41-Jährige seine<br />

Jugendliebe aus der Scheune, gibt wieder Gas, so wie<br />

früher. Bis gar nichts mehr geht. Landstraße, leichte<br />

Steigung, zweiter Gang. Plötzlich macht es Peng, eine<br />

weiße Wolke – Motorschaden! Den Mechaniker erschüttert<br />

das nicht. Jetzt will er seinen Scirocco zum 180-PS-<br />

Boliden umbauen, neu lackieren, komplett überarbeiten.<br />

Alte (Jugend-)Liebe rostet eben nicht wirklich.<br />

AutO BiLd-Redakteur Andreas May (38)<br />

So klauten sie meinen Scirocco<br />

Drei Jahre schraubte er an seinem GTI. Dann, im Sommer 1993,<br />

verschwand der VW. Die traurige Geschichte einer Autoliebe<br />

‡ Das Pils perlt. Noch eins und noch eins<br />

und ... Nach dem vierten beschließe ich,<br />

mein Auto stehen zu lassen. Das war am<br />

25. Juni 1993. Der Tag, an dem sie meinen<br />

Scirocco klauten.<br />

Baujahr 1980. Ein GTI. Als ich ihn kaufte,<br />

war ich 18. Das ganze Geld, das ich als Reporter<br />

der „Hessisch/Niedersächsischen<br />

Allgemeinen“ in Schwalmstadt (Hessen)<br />

verdiente, steckte ich in den VW. Kaufte<br />

Aluräder und Breitreifen, versuchte mich<br />

mit Flex und Ratsche. Ergebnis: hart wie<br />

ein Brett dank Bilstein-Fahrwerks, kerniger<br />

Klang dank Gillet-Auspuffs, rote Rückleuchten<br />

dank Fenstermalfarbe. Mein Scirocco,<br />

ein Traum in Dark-Violett-Perleffekt.<br />

Als ich ihn am 26. Juni 1993 abholen will,<br />

ist er weg. Geklaut. Ein Drama beginnt.<br />

Anzeige, Fassungslosigkeit, Bangen. Würde<br />

ich ihn jemals wiedersehen?<br />

Drei Wochen später: Am Bahnhof steht ein<br />

runtergerockter Scirocco. Mausgrau, ein<br />

Kotflügel rot, einer silbern. Die Alus, der<br />

ovale Endtopf, die roten Rückleuchten lassen<br />

mich stutzen. Und der Typ neben dem<br />

Wagen: braun gebrannt, lange dunkle Locken,<br />

das Hemd bis zum Bauchnabel aufgeknöpft,<br />

Goldkettchen. Ich spreche ihn<br />

an. „Geile Rücklichter. Wo hast du die her?“<br />

– „Hat Kumpel besorgt“, stammelt er.<br />

Dann startet er den Motor, und ich weiß:<br />

Das ist meiner. Notiere das Kennzeichen,<br />

gehe zur Polizei. Der Beamte brummelt<br />

lustlos: „Jetzt ist Wochenende.“ Da rastet<br />

mein Lehrmeister aus. Manni Schaake,<br />

„HNA“-Chef in Schwalmstadt, faltet die<br />

Wache zusammen wie ein Akkordeon. Vier<br />

Tage später meldet sich ein Polizist: „Wir<br />

haben den Wagen, kommen Sie morgen<br />

um 13 Uhr zur Esso-Tankstelle in Stadt-<br />

allendorf.“ Ich: „Aber nur, wenn <strong>dieser</strong> Typ<br />

nicht da ist.“ Er: „Keine Sorge!“<br />

13 Uhr, Esso-Tankstelle. Gemeinsam mit<br />

Schrauber-Kumpel Michael identifiziere<br />

ich die Teile: Den 1.8er-Motor mit 112 PS,<br />

Auspuff, Räder – alles meins. Plötzlich<br />

kommt er – lange dunkle Locken –, Hand<br />

in Hand mit seiner blonden Freundin. Als<br />

die Beamten weg sind, reden beide auf uns<br />

ein. Sie: „Nehmt die Anzeige zurück, oder<br />

wollt ihr, dass mein Freund wieder in den<br />

Knast geht?“ Ihr Freund heißt Ataman E.,<br />

er droht uns in gebrochenem Deutsch.<br />

Michael und mir schlottern die Knie, als<br />

wir später bei der Kripo Anzeige erstatten.<br />

Der nächste Schock fährt mir in die<br />

Glieder, als ich einige Wochen später mit<br />

meinem Vater beim Anwalt bin und meine<br />

Mutter anruft: „Kommt schnell <strong>nach</strong><br />

Hause, der Typ steht vor der Tür.“<br />

Juni 1994. Ein Jahr ist vergangen. Ataman<br />

E. muss wegen der Bedrohung 800 Mark<br />

zahlen. Den Diebstahl kann man ihm nicht<br />

<strong>nach</strong>weisen („Teile hat mir Bekannter gege<br />

ben“), Motor, Räder, Auspuff, Rückleuchten<br />

muss er rausrücken. Von der Versicherung<br />

bekomme ich 6055 Mark und 50<br />

Pfennig. Einige Wochen später ruft die Polizei<br />

noch mal an: „Gehört Ihnen das Fahrzeug<br />

mit dem Kennzeichen HR-ZK 77?“ –<br />

„Das war der Scirocco meines Sohnes“,<br />

sagt mein Vater. Der Polizist: „Holen Sie<br />

die Karosserieteile ab, sie liegen im Wald<br />

bei Alsfeld.“ Die Diebe haben meinen Scirocco<br />

in neun Teile zersägt. Mit Tränen in<br />

den Augen lese ich sie ein letztes Mal zusammen,<br />

bringe sie zum Schrotthändler.<br />

Und zahle 100 Mark für die Beerdigung<br />

meines Jugendtraums.<br />

Sommer 1992, stolz wie Bolle: Andreas May (damals 20)<br />

posiert mit Nichte Anna-Lena (1) vor seinem Scirocco GTI<br />

Sommer 1994, der Scirocco ist zersägt. Diebe haben den VW<br />

gestohlen, Motor ausgebaut, Räder abgeschraubt, das<br />

Interieur samt Schalensitzen und Hosenträgergurten völlig<br />

zerfleddert – und den Rest mit der Flex in neun Stücke geteilt,<br />

im Wald bei Alsfeld (Hessen) abgelegt. Andreas May ist<br />

heute 38 und AUTO BILD-Redakteur, Anna-Lena ist 18, macht<br />

Abitur – und fährt mittlerweile selbst Auto: einen VW Lupo<br />

48 www.autobild-klassik.de | Nr. 4 ∧ 20. November 2009 20. November 2009 ∧ Nr. 4 | www.autobild-klassik.de 49<br />

1 ≥<br />

1<br />

2<br />

3<br />

≤ 2<br />

≤ 3<br />

fotos: t. ruddies, r. timm, privat

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!