5_VSWG-Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte

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318 J ohann H ellwege Industrie sondern durch Landbesitz, z. T. auch Landspekulation re.di- / MittelklasscT^^uptsadie aus Reditsanwalte^ Beamten, ' Offizieren, Geldleihern etc. bestehend, die p o n d ers zahl« dt J ■ lusien emporgestiegen war, wurde seit etwa 1843, der Diktatur des selbst au Andalusien stammenden und hier zu Re.ditum gekommenen Genemis Narviez, zum cigendidicn Träger der politischen Macht. Es war diese Schicht, die persönlich die größten Gewinne aus dem von ihr vertretenen, den spanischen Verhältnissen nicht angepaßten doktrinären 3 3 mus zu ziehen verstanden hatte. Wie die Spanier früherer Jahr- / hunderte war sie auf den Boden als Besitzobjekt fixiert, da er immer noch soziales Ansehen gab und ein Leben aus Renteneinkommen gestattete« . Hinzu kam, daß die Grundrenten seit etwa 1750 ständig gestieg waren, oft allerdings nur durch ein brutales Heraufschrauben des Paditzinses durch die Grundbesitzer. Gerade diese Fixierung auf den Boden hat der Industrialisierung in Spanien die aus Handelsgeschäften zw. Renten oder dem Verkauf von Agrarüberschüssen angehauften Gelder entzogen, denn sie dienten zum Erwerb neuen Landes oder zum Kau meist ausländischer Luxusartikel«. Mit der Begründung, ein bodenständiges, über Grundeigentum verfügendes zahlreiches Bauerntum sd iafen zu wollen, wurde im Verlaufe der Desamortisation ein bisher durch das überkommene Bodenrecht bzw. die aus dem Ancien Regime überlieferte Bodenverteilung nicht in erwähnenswertem Umfang existierender Grundstüdesmarkt geschaffen. Am Ende des Ancien Regime waren, so schätzt man heute, zwei Drittel des spanischen Bodens dem freien Immobilienverkehr entzogen gewesen45*47. Die Majorate des Adels und au • bürgerlicher Familien wurden nun ebenso wie die Grundherrschaften aufgehoben, wodurch der aufsteigenden neureichen Bourgeoisie der Zugang 45 Besonders verwiesen sei hier neben den Arbeiten von Brenan und Carr auf Jos£ Luis Comellas, Los Moderados en el Poder 1844—1854. Madrid 1970 und Antoni Jutglar, Ideologtas y clases en la Espana contemporanea. Aproximaciön S a la historia social de las ideas Bd. I. Madrid 1968. Vgl. auch Alfonso Lazo DfAZ, La Desamortizaciön de las tierras de la Iglesia en la provmcia de Sevilla (1835—1845). Sevilla 1970, S. 193 ff. Einen vielversprechenden Ausblick auf eine größere Arbeit gibt Antonio-Miguel Bernal, Bourgeoisie rurale et pro- / lötariat agricole en Andalousie pendant la crise de 1868, in: Melanges de la Casa de Velözquez Bd. VII (Paris 1971), S. 327-346. cs Vgl. Gonzalo Anes Alvarez, Las crisis agrarias en la Espana moderna / (Bibliotcca Polftica Taurus 16). Madrid 1970, S. 452 f. 47 Vgl. Carr, a. a. O., S. 39. Zu einem noch erheblich weitergehenden Ergebnis kommt Vinas y Mey, a. a. O., S. 5. Gcnosscnsdiaftl. Trad. u. d. Anfänge des Anarchismus i. Spanien 319 zu den alten Adclssitzcn eröffnet wurde «. Der Haus- und Landbesitz der Kirche und ebenso die Liegenschaften weltlicher und geistlicher Korporationen wurden enteignet und oft zu Schleuderpreisen verkauft. Stiftungsvermögen, das in Immobilien angelegt worden war, wurde in Schuldpapiere umgewandelt. Schließlich wurden auch die genossenschaftlichen Ländereien und der Grundbesitz der Gemeinden angetastet, wenn auch in regional unterschiedlichem Ausmaße4». Nachdem 1813 die Ein- « Vgl. Rafael Gieert y SAnchez de la Vega, La disolueiön de los mayorazgos (Publicaciones de la Escuela Social de Granada). Granada 1958. Vgl. auch Mox6, a. a. O., S. 154. 40 Der Vorgang der Desamortisation und der „dcsvinculaciön* kann hier nicht ausführlich wiedergegeben werden. Jede Geschichte des 19. Jhs. in Spanien erwähnt ihn, aber nur in der bereits genannten Arbeit von Lazo Diaz und in der Untersuchung von Julio Porres MartIn-Cleto (La desamortizaciön del siglo / -KIK en Toledo. Toledo 1965) wird von einer politischen oder ideologischen Stellungnahme abgesehen und endlich einmal nach den Landkäufern, den Landarten, entstehender Struktur etc. gefragt. Die Untersuchungen von Francisco Simdn Segura (Contribuciön al estudio de la desamortizaciön en Espana. La desamortizaciön de Mendizöbal en la provincia de Madrid. Madrid 1969, und eine entsprechende Arbeit mit gleichlautendem Titel über die Provinz Gerona, ebenfalls Madrid 1969) waren mir nicht zugänglich. Unter Grundbesitz der Gemeinden sollen sowohl die sogenannten Bienes Comunales als auch die Bienes de Propios verstanden werden. Die Rechtshistoriker machen einen, auch für die Praxis oft wichtigen Unterschied. Unter den Bienes Comunales sind diejenigen Ländereien zu verstehen, die allen gemeinsam und in gleicher Weise zugänglich sind. Eigentum und Nießbrauch liegen bei allen Einwohnern der Ortschaft. Die Bienes de Propios sind dann Ländereien, Häuser etc. die dem Munizipium als Rechtsperson gehören. Aus der Verpachtung bzw. dem Erheben von Gebühren erwirtschaftet die Gemeinde die Gemeindefinanzen ganz oder auch teilweise. Es sei noch angemerkt, daß in der Praxis die Trennung nicht immer säuberlich durchgeführt worden ist. Wenn in einer Gemeinde z. B. das Recht, Schweine im Eichenwald zu mästen, zu den Bienes Comunales gehört, so kann in einer anderen Gemeinde dieses Recht unter die Bienes de Propios fallen und von der Ortschaft — zumeist in öffentlicher Versteigerung — in Pacht ausgegeben werden. Aus der Fülle der Literatur sei hier hingewiesen auf Rafael Altamira y Crevea, Historia de la Propiedad Comunal. Madrid 1890, S. 13 f. Für die gemeinsame Nutzung der Bienes Comunales durch die Bürger sind die verschiedensten Bezeichnungen gebraucht worden, angefangen von Joaqufn Costas „colectivismo agrario“ bis hin zu „co-propiedad“ und „propiedad consorcial“. (Vgl. Salomon, a. a. O., S. 134 f.). Hier umschreiben wir die terminologischen Schwierigkeiten mit der vagen Formel „genossenschaftlich bzw. gemeindlich genützte Ländereien* und anderen auf die Genossenschaft der Einwohner einer Ortschaft hinweisenden Wendungen. Eine klare terminologische Scheidung ist nur dann sinnvoll, wenn die feinen regionalen Unterschiede herausgearbeitet und berücksichtigt werden sollen. Dies ist hier nicht beabsichtigt.
320 J ohann H ellwege „ . __ T^nrlrrcien erlaubt worden war und damit alte, zäunung aller pnva Nutzungsrechte weitgehend eingeschränkt gemeinschaftliche bcsitzindividualistischc Liberai ? 2 « * - w . * • f rung audi in die Feld- und Flurordnungen der Gemeinden ein . M ir d l Aufstieg einer neuen Grundbesitzerschicht in der obengenann- Mit dem A ß Landbevölkerung das parlamentarische tcn Zusammensetzung, die fu d,e L^ndbevo ^ ^ Rcgierungssystcm Abstieg und die Verelendung verbunden“ . Sie tcrfB^cn'nicht über die Kapitalien, von deren Vorhandensein die Bodenreform aber ausging, um bei den Versteigerungen von Land mitbieten zu können K. Andererseits hatte aber auch die kostenlose oder nur unter ganz geringfügiger finanzieller Belastung vorgenommene Verleihung freien Eigentums aus den Gemeindeländereien viele Bauern dazu verführt, bedenkenlos Schulden zu machen, so daß sie ihr Land binnen kur zem dem Geldleihcr, dem sprichwörtlich gewordenen Prestamista, uber- , schreiben mußten, der oft der den Ort beherrschende Großgrundbesitzer I und Kaiique in einer Person war, ohne daß er deswegen etwa auch am O rteldbst lebte«. Ähnlich erging es Bauern mit kleiner Wirtschaft, die so Vgl. Vinas Y Mby, a. a. O., S. 27 und LazoDfAZ, a. a_. O., S. 28 ff. Vgl. auch Luis Redonet Löpez-D ör.ga, Policia Rural de Espana a trav^s de las Ordcnanzas Municipales, in: Archives Lconeses Bd IX, Nr.l8(Leonl95) S. 81-108. Hier, in der Provinz Leön, hatten jedoch d.e Ortshaften sich Recht häufiger Vorbehalten können, über die Erlaubnis zur Errichtung nen durch Privatleute befinden zu dürfen. Zu Unruhen des Ausmaßes w e England (vgl. Eric J. H odsbawm, Les soulivements de la Campagne anglais , 1780—1850, in: Annales. Jg. 23. Nr. 1 (Jan.-Febr. 1968), S 9-30) hat die r Einhegung in Spanien nicht geführt, obgleich gerade auch in Andalusien Vi ! Züchter und Ackerbauern um die Vorherrschaft im Gemeinderegiment geru g haben. Vgl. Lazo D iaz, a. a. O., S. 28 ff. Zur Verbreitung des „openfield - Systems in Spanien vgl. Jesus GarcIa FernAndez, Champs ouverts et champs r clotures en Vieille-Castille, in: Annales. Jg. 20, Nr. 4 (Juli—August 1965), S. 692—718. n 51 Vgl. Jos6 Luis C omellas, a. a. O., S. 80 ff. und Lazo DIaz, a. a. u-, S. 21 ff. Wichtig erscheint, daß dieselben Personen, die dem Landproletariat un ^ Kleinbauern gegenüber den Staat repräsentieren, in Madrid wiederum as e präsentanten des „pueblo“ gelten. ss Vgl. Lazo D(az, a. a. O., S. 8 f. und C arr, a. a. O., S. 274. ss Vgl. Vinas y Mey, a. a. O., S. 43 ff. und Joaqufn C osta, La cuestion de as tierras d propdsito del caso de La Solana, in: La tierra y la cuestion socia • Madrid 1912, S. 50—93, insbesondere S. 76 f. P itt-R ivers, a. a. O., S. 42, berichtet von solchen, etwa einen halben Hektar großen Parzellen schlechten o dens, der zum Weinbau genutzt wurde: „There has been a tendency for t ese Genossenschaft!. Trad. u. d. Anfänge des Anarchismus i. Spanien 321 Mißernten kaum trotzen konnten e4. Gerade die Verwalter des Kaziqucn / t waren cs, die dessen Forderungen gnadenlos durchsetzten und sich dabei ähnlich wie in SizilienS5 — gedungener Banditen und Schläger bedienen konnten. Die ehemals in der einfachen Bevölkerung verehrten, weil aus Protest gegen den Staat und die ihn verkörpernden Gewalten in die Berge gegangenen Banditen entwickelten sich zu Handlangern der Kaziquen, die als Gegenleistung wiederum dafür sorgten, daß die Aktionen der Guardia Civil gegen das Banditenunwesen nicht allzu energischen Charakter annahmenB0. Insbesondere für Andalusien treffen die gelegentlich arg vereinfachenden Ausführungen in vollem Umfang zu. Seit Jahrhunderten lastete hier auf einer überwiegend landlosen, unterbeschäftigten Arbeiterschaft und einer im Vergleich mit anderen Landschaften schlechtgestellten Kleinpächterschaft ein Latifundismus. dessen durch Monokulturen (Getreide, Oliven, Wein) gesteigerter Auswüchse — es ist hier insbesondere an die erzwungenen langen Perioden der Arbeitslosigkeit während eines Jahres zu denken — nur durch die kirchlichen charitativen und die gemeindlich genossenschaftlichen Einrichtungen und Besitzungen sowie durch die Auswanderung gemildert wurden”. Aber erst die Agrarpolitik der sogesmall holdings to fall in recent years into the hands of wealthier people. The two vintners have been buying them up. Nevertheless, most poor families still own a plot somewhere or other.“ Hier können nur lokale Untersuchungen zu gesicherten Ergebnissen führen. Vermutlich hat der kleine, selbständige Bauer seine Landzuteilung zu behaupten gesucht, während der Tagelöhner — schon mangels jeglichen Kapitals — sein Stückchen Land nur selten wird behauptet haben können. Vgl. auch Porres MARTfN-CLETO, a. a. O., S. 411 ff. 64 Zum Aufbau eines bäuerlichen Kreditwesens, das die Landaufteilungen hätte ergänzen müssen, ist es nicht gekommen. 6j Vgl. E. J. Hobsdawm, Sozialrebellen. Archaische Sozialbewegungen im 19. und 20. Jh. (s. Anm. 8) und Brenan, a. a. O., S. 156. 60 Brenan, a. a. O., S. 156 f. 67 Nun müßte gerade für Andalusien eigentlich differenziert werden zwischen der „campina“ der durch Großgrundbesitz gekennzeichneten, fruchtbareren Ebene, und der „serranfa“, den Bergen, wo die Viehhaltung eine große Rolle spielt und die Bodenbesitzformen andere sind. Gemeindeländereien gibt es in beiden Landschaften. Vgl. D(az del Moral, a. a. O., S. 26 ff. und J. Caro Baroja, En la campina de Cordoba, in: Revista de Dialectologfa y Tradiciones Populäres Bd. XII (1956), Heft 3, S. 270—299. Mag es auch angehen, die Landbevölkerung der Sierra von Cördoba als konservativ und dem Anarchismus nicht zugeneigt zu beschreiben, so sind andererseits gerade die Bergnester in der Sierra von Ronda oder Grazalema als Hochburgen der Anarchisten bekannt geworden. VSWG 59/3 22 ' f t y
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