5_VSWG-Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte
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J ohann H ellwege<br />
Industrie sondern durch Landbesitz, z. T. auch Landspekulation re.di-<br />
/ MittelklasscT^^uptsadie aus Reditsanwalte^ Beamten,<br />
' Offizieren, Geldleihern etc. bestehend, die p o n d ers zahl« dt J ■<br />
lusien emporgestiegen war, wurde seit etwa 1843, der Diktatur des selbst<br />
au Andalusien stammenden <strong>und</strong> hier zu Re.ditum gekommenen Genemis<br />
Narviez, zum cigendidicn Träger der politischen Macht. Es war<br />
diese Schicht, die persönlich die größten Gewinne aus dem von ihr vertretenen,<br />
den spanischen Verhältnissen nicht angepaßten doktrinären<br />
3 3 mus zu ziehen verstanden hatte. Wie die Spanier früherer Jahr-<br />
/ h<strong>und</strong>erte war sie auf den Boden als Besitzobjekt fixiert, da er immer<br />
noch soziales Ansehen gab <strong>und</strong> ein Leben aus Renteneinkommen gestattete«<br />
. Hinzu kam, daß die Gr<strong>und</strong>renten seit etwa 1750 ständig gestieg<br />
waren, oft allerdings nur durch ein brutales Heraufschrauben des Paditzinses<br />
durch die Gr<strong>und</strong>besitzer. Gerade diese Fixierung auf den Boden<br />
hat der Industrialisierung in Spanien die aus Handelsgeschäften zw.<br />
Renten oder dem Verkauf von Agrarüberschüssen angehauften Gelder<br />
entzogen, denn sie dienten zum Erwerb neuen Landes oder zum Kau<br />
meist ausländischer Luxusartikel«. Mit der Begründung, ein bodenständiges,<br />
über Gr<strong>und</strong>eigentum verfügendes zahlreiches Bauerntum sd iafen<br />
zu wollen, wurde im Verlaufe der Desamortisation ein bisher durch<br />
das überkommene Bodenrecht bzw. die aus dem Ancien Regime überlieferte<br />
Bodenverteilung nicht in erwähnenswertem Umfang existierender<br />
Gr<strong>und</strong>stüdesmarkt geschaffen. Am Ende des Ancien Regime waren,<br />
so schätzt man heute, zwei Drittel des spanischen Bodens dem freien Immobilienverkehr<br />
entzogen gewesen45*47. Die Majorate des Adels <strong>und</strong> au<br />
• bürgerlicher Familien wurden nun ebenso wie die Gr<strong>und</strong>herrschaften aufgehoben,<br />
wodurch der aufsteigenden neureichen Bourgeoisie der Zugang<br />
45 Besonders verwiesen sei hier neben den Arbeiten von Brenan <strong>und</strong> Carr auf<br />
Jos£ Luis Comellas, Los Moderados en el Poder 1844—1854. Madrid 1970 <strong>und</strong><br />
Antoni Jutglar, Ideologtas y clases en la Espana contemporanea. Aproximaciön<br />
S a la historia social de las ideas Bd. I. Madrid 1968. Vgl. auch Alfonso Lazo<br />
DfAZ, La Desamortizaciön de las tierras de la Iglesia en la provmcia de Sevilla<br />
(1835—1845). Sevilla 1970, S. 193 ff. Einen vielversprechenden Ausblick auf<br />
eine größere Arbeit gibt Antonio-Miguel Bernal, Bourgeoisie rurale et pro-<br />
/ lötariat agricole en Andalousie pendant la crise de 1868, in: Melanges de la<br />
Casa de Velözquez Bd. VII (Paris 1971), S. 327-346.<br />
cs Vgl. Gonzalo Anes Alvarez, Las crisis agrarias en la Espana moderna<br />
/ (Bibliotcca Polftica Taurus 16). Madrid 1970, S. 452 f.<br />
47 Vgl. Carr, a. a. O., S. 39. Zu einem noch erheblich weitergehenden Ergebnis<br />
kommt Vinas y Mey, a. a. O., S. 5.<br />
Gcnosscnsdiaftl. Trad. u. d. Anfänge des Anarchismus i. Spanien 319<br />
zu den alten Adclssitzcn eröffnet wurde «. Der Haus- <strong>und</strong> Landbesitz<br />
der Kirche <strong>und</strong> ebenso die Liegenschaften weltlicher <strong>und</strong> geistlicher Korporationen<br />
wurden enteignet <strong>und</strong> oft zu Schleuderpreisen verkauft. Stiftungsvermögen,<br />
das in Immobilien angelegt worden war, wurde in<br />
Schuldpapiere umgewandelt. Schließlich wurden auch die genossenschaftlichen<br />
Ländereien <strong>und</strong> der Gr<strong>und</strong>besitz der Gemeinden angetastet, wenn<br />
auch in regional unterschiedlichem Ausmaße4». Nachdem 1813 die Ein-<br />
« Vgl. Rafael Gieert y SAnchez de la Vega, La disolueiön de los mayorazgos<br />
(Publicaciones de la Escuela Social de Granada). Granada 1958. Vgl.<br />
auch Mox6, a. a. O., S. 154.<br />
40 Der Vorgang der Desamortisation <strong>und</strong> der „dcsvinculaciön* kann hier nicht<br />
ausführlich wiedergegeben werden. Jede Geschichte des 19. Jhs. in Spanien erwähnt<br />
ihn, aber nur in der bereits genannten Arbeit von Lazo Diaz <strong>und</strong> in der<br />
Untersuchung von Julio Porres MartIn-Cleto (La desamortizaciön del siglo<br />
/ -KIK en Toledo. Toledo 1965) wird von einer politischen oder ideologischen<br />
Stellungnahme abgesehen <strong>und</strong> endlich einmal nach den Landkäufern, den Landarten,<br />
entstehender Struktur etc. gefragt. Die Untersuchungen von Francisco<br />
Simdn Segura (Contribuciön al estudio de la desamortizaciön en Espana. La<br />
desamortizaciön de Mendizöbal en la provincia de Madrid. Madrid 1969, <strong>und</strong><br />
eine entsprechende Arbeit mit gleichlautendem Titel über die Provinz Gerona,<br />
ebenfalls Madrid 1969) waren mir nicht zugänglich.<br />
Unter Gr<strong>und</strong>besitz der Gemeinden sollen sowohl die sogenannten Bienes Comunales<br />
als auch die Bienes de Propios verstanden werden. Die Rechtshistoriker<br />
machen einen, auch <strong>für</strong> die Praxis oft wichtigen Unterschied. Unter den Bienes<br />
Comunales sind diejenigen Ländereien zu verstehen, die allen gemeinsam <strong>und</strong><br />
in gleicher Weise zugänglich sind. Eigentum <strong>und</strong> Nießbrauch liegen bei allen<br />
Einwohnern der Ortschaft. Die Bienes de Propios sind dann Ländereien, Häuser<br />
etc. die dem Munizipium als Rechtsperson gehören. Aus der Verpachtung<br />
bzw. dem Erheben von Gebühren erwirtschaftet die Gemeinde die Gemeindefinanzen<br />
ganz oder auch teilweise. Es sei noch angemerkt, daß in der Praxis die<br />
Trennung nicht immer säuberlich durchgeführt worden ist. Wenn in einer Gemeinde<br />
z. B. das Recht, Schweine im Eichenwald zu mästen, zu den Bienes<br />
Comunales gehört, so kann in einer anderen Gemeinde dieses Recht unter die<br />
Bienes de Propios fallen <strong>und</strong> von der Ortschaft — zumeist in öffentlicher Versteigerung<br />
— in Pacht ausgegeben werden. Aus der Fülle der Literatur sei hier<br />
hingewiesen auf Rafael Altamira y Crevea, Historia de la Propiedad Comunal.<br />
Madrid 1890, S. 13 f. Für die gemeinsame Nutzung der Bienes Comunales durch<br />
die Bürger sind die verschiedensten Bezeichnungen gebraucht worden, angefangen<br />
von Joaqufn Costas „colectivismo agrario“ bis hin zu „co-propiedad“ <strong>und</strong><br />
„propiedad consorcial“. (Vgl. Salomon, a. a. O., S. 134 f.). Hier umschreiben<br />
wir die terminologischen Schwierigkeiten mit der vagen Formel „genossenschaftlich<br />
bzw. gemeindlich genützte Ländereien* <strong>und</strong> anderen auf die Genossenschaft<br />
der Einwohner einer Ortschaft hinweisenden Wendungen. Eine klare terminologische<br />
Scheidung ist nur dann sinnvoll, wenn die feinen regionalen Unterschiede<br />
herausgearbeitet <strong>und</strong> berücksichtigt werden sollen. Dies ist hier nicht beabsichtigt.