5_VSWG-Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte
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J ohann H ellwege<br />
Aber diese nicht auf der geradezu dramatischen Steigerung der Hektarerträge,<br />
wie sie andere Länder in jener Zeit erlebten beruhende Prosperität<br />
auf dem Lande war nur von kurzer Dauer. Erst wahrend des ersten Wek-<br />
/ krieges kam es wieder zu einem ähnlichen Getreideboorn «. Die Addition<br />
neuer Anbauflädicn - meistens handelte cs sich um Boden, die zuvor<br />
wegen ihrer unzureidicnden Qualität nicht bebaut worden waren die<br />
aber gerade durdi die lange Brache kurzfristig hinreichende Ertrage ohne<br />
allzu große Kapitalinvestierung abwerfen konnten — bedeutete weder<br />
eine Steigerung der Boden- nodi der Arbeitsproduktivität. Allerdings<br />
konnten Arbeitskräfte absorbiert werden, wodurch vorübergehend eine<br />
Festigung der traditionellen Agrarstruktur möglidi wurde. Die Steigerungsmöglidikcitcn<br />
waren erschöpft, als man an die innere Grenze stieß<br />
<strong>und</strong> die Erträge nach dem Ricardosdicn Gesetz rapide abnahmen.<br />
Die Beendigung der Stagnation des ländlichen Lebens <strong>und</strong> die vorübergehende<br />
Prosperität sind um einen hohen Preis erkauft worden. Mit<br />
der Einführung der liberal-kapitalistischen Rechts- <strong>und</strong> <strong>Sozial</strong>ordnung,<br />
die auf dem Lande in einer Revolution der Bodenbesitzverhältnisse der<br />
notwendigen Begleiterscheinung der eben skizzierten Entwicklung, ihren<br />
Niederschlag fand, vergrößerten sich die sozialen <strong>und</strong> wirtschaftlichen<br />
Unterschiede. „Die ökonomische Verfassung auf der (Iberischen) Halb-<br />
) insei erfuhr damals eine tiefere <strong>und</strong> radikalere Veränderung als es diejenige<br />
war, die sich im Politischen vollzog“ 37.<br />
Die Gr<strong>und</strong>herrschaft, die im Verlaufe dieser Entwicklung aufgehoben<br />
wurde, machte insbesondere in Andalusien einem sogenannten „feudalen<br />
Kaziquismus“ 38 Platz, der nun nichts mehr gemein hatte mit der patriarchalischen,<br />
keineswegs nur auf Gewalt beruhenden Herrschaft des adligen<br />
Gr<strong>und</strong>herrn, der genossenschaftlichen Einrichtungen seiner Vasallen<br />
oft sogar präsidierte, ja sie erst durch seine Hilfe <strong>und</strong> seinen Schutz ermöglicht<br />
hatte3». Gerade in Andalusien sagte man dem Adel nach, daß<br />
Vgl. auch Manuel de TerAn, Santander, puerto de embarque para las harinas de<br />
Castilla, in: Estudios Geogrdficos Jg. VIII, Nr. 29 (November 1947), S. 752.<br />
33 Vgl. Carr, a. a. O., S. 498. _ . v<br />
st Carmelo Vinas y Mey, La Reforma Agraria en Espana en el siglo AiA.<br />
Santiago 1933, S. 3.<br />
38 Vgl. Carr, a. a. O., S. 366 ff.<br />
39 Gr<strong>und</strong>herren als Stifter von (karitativen Einrichtungen oder Vorsteher von<br />
Bruderschaften ihrer Vasallen begegnen häufig. In der Nachfolge von Fustel de<br />
Coulanges hat sich auch in Spanien eine Theorie entwickelt, die dahin geht, den<br />
Ursprung aller Bienes Comunales (vgl. dazu S. 319) in einem gr<strong>und</strong>herrlichen<br />
Stiftungsakt zu sehen. Vgl. Juan Beneyto P£rez, Notas sobre el origen de los<br />
usos comunales, in: Anuario de Histona del Derecho Espanol Bd. IX (1932),<br />
Gcnosscnsdiaftl. Trad. u. d. Anfänge des Anardüsmus i. Spanien 317<br />
er allzu volkstümliche Neigungen zeigte 40. Mit der Aufhebung der<br />
Gr<strong>und</strong>herrschaft durch die liberale Gesetzgebung wurde die im Sinne<br />
Schlesingers zu beobachtende Durchdringung von Herrschaft <strong>und</strong> Genossenschaft<br />
401 in den spanischen Scnorfos zerstört. Wenn eine Gr<strong>und</strong>herrschaft<br />
als „senorfo solariego“41 anerkannt wurde, — Salvador de<br />
Mox6 <strong>und</strong> Claudio Sdnchez-Albornoz haben dargelegt, daß diese Klippe<br />
solchen Gr<strong>und</strong>herren, die eigentlich nur einen „senorfo jurisdiccional“ 45<br />
inne hatten, keine großen Mühen bereitete43 —, dann wurde durch die<br />
liberale Gesetzgebung das oftmals höchst diffuse Bündel von Rechten<br />
über das Land der Gr<strong>und</strong>herrschaft jetzt umgewandelt in ein unumstößliches<br />
absolutes Eigentums- <strong>und</strong> Besitzrecht des ehemaligen Gr<strong>und</strong>herren<br />
am Boden der aufgelösten Gr<strong>und</strong>herrschaft. Bauernfamilien, die seit Generationen<br />
Land in Erbpacht bebaut hatten oder unter der Gr<strong>und</strong>herrschaft<br />
unangefochten die tatsächliche Herrschaft über den von ihnen bebauten<br />
Boden ausgeübt hatten, konnten vom Großgr<strong>und</strong>besitzer, zu dem<br />
der Gr<strong>und</strong>herr geworden war, davongejagt werden, was im Ancien Regime<br />
unmöglich gewesen war44. Eine nicht durch Handel oder in der<br />
S. 33—102. Uber die verschiedenen Auffassungen über Herkunft <strong>und</strong> Ursprung<br />
der kommunalen Ländereien berichtet präzis <strong>und</strong> kurz Noel Salomon, La Cam-<br />
I Pagne de Nouvelle Castille a la fin du XVIe si&cle d’aprks les Relaciones topograficas<br />
(ficole Pratique des Hautes Etudes VI« Section-Centre de Recherches<br />
Historiques-Les Hommes et la Terre IX). Paris 1964, S. 137 f., Anm. 4.<br />
40 Vgl. zum Beispiel die Denkschrift des Grafen Aranda vom 6. Oktober<br />
1769, Madrid, über die Einrichtung von Maestranzas in Andalusien. Aranda<br />
beklagt, daß der junge Adlige in Andalusien sich mit dem übelsten Gesindel<br />
herumtreibe <strong>und</strong> während des Tages nichts anderes tue, als Zigarren zu raudien.<br />
Archivo General de Simancas, Guerra Moderna Leg. 6023. Wie es scheint, hat<br />
sich der Zorn der rebellierenden Bauern nicht in Brandschatzungen adliger Herrensitze<br />
geäußert.<br />
I 40a Walter Schlesinger, Herrschaft <strong>und</strong> Gefolgschaft in der germanisdideutschen<br />
Verfassungsgeschichte, in: Historische Zs. 176 (1953), S. 226.<br />
41 Es ist darunter eine Gr<strong>und</strong>herrschaft zu verstehen, die dem Gr<strong>und</strong>herrn<br />
weder zivilrechtliche, noch strafrechtliche richterliche Befugnisse einräumte, dagegen<br />
aber weitgehende Bodenbesitz <strong>und</strong> -eigentumsrechte umfaßte. Vgl. Salvodor<br />
de Mox6, La disolueiön del regimen senorial en Espana. Madrid 1965,<br />
S. 22 ff.<br />
42 In diesem Fall übt der Gr<strong>und</strong>herr, nach Erwerb oder königlicher Schenkung,<br />
richterliche Befugnisse aus, wobei sich der König bestimmte Ausnahmen vorbehält.<br />
Bodeneigentum oder -besitz des Gr<strong>und</strong>herren ist nicht notwendig Voraussetzung.<br />
Vgl. ebda.<br />
43 In der Praxis hatten sich beide Typen der Gr<strong>und</strong>herrschaft zu einem kaum<br />
noch zu entwirrenden Knäuel verfilzt. Vgl. Claudio SAnchez-Aldornoz, La<br />
reforma agraria ante la Historia. Madrid 1932, S. 75 <strong>und</strong> 77 f. <strong>und</strong> Mox6,<br />
a. a. O., S. 185 ff. 44 Vgl. Mox6, a. a. O., S. 86.