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5_VSWG-Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte

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316<br />

J ohann H ellwege<br />

Aber diese nicht auf der geradezu dramatischen Steigerung der Hektarerträge,<br />

wie sie andere Länder in jener Zeit erlebten beruhende Prosperität<br />

auf dem Lande war nur von kurzer Dauer. Erst wahrend des ersten Wek-<br />

/ krieges kam es wieder zu einem ähnlichen Getreideboorn «. Die Addition<br />

neuer Anbauflädicn - meistens handelte cs sich um Boden, die zuvor<br />

wegen ihrer unzureidicnden Qualität nicht bebaut worden waren die<br />

aber gerade durdi die lange Brache kurzfristig hinreichende Ertrage ohne<br />

allzu große Kapitalinvestierung abwerfen konnten — bedeutete weder<br />

eine Steigerung der Boden- nodi der Arbeitsproduktivität. Allerdings<br />

konnten Arbeitskräfte absorbiert werden, wodurch vorübergehend eine<br />

Festigung der traditionellen Agrarstruktur möglidi wurde. Die Steigerungsmöglidikcitcn<br />

waren erschöpft, als man an die innere Grenze stieß<br />

<strong>und</strong> die Erträge nach dem Ricardosdicn Gesetz rapide abnahmen.<br />

Die Beendigung der Stagnation des ländlichen Lebens <strong>und</strong> die vorübergehende<br />

Prosperität sind um einen hohen Preis erkauft worden. Mit<br />

der Einführung der liberal-kapitalistischen Rechts- <strong>und</strong> <strong>Sozial</strong>ordnung,<br />

die auf dem Lande in einer Revolution der Bodenbesitzverhältnisse der<br />

notwendigen Begleiterscheinung der eben skizzierten Entwicklung, ihren<br />

Niederschlag fand, vergrößerten sich die sozialen <strong>und</strong> wirtschaftlichen<br />

Unterschiede. „Die ökonomische Verfassung auf der (Iberischen) Halb-<br />

) insei erfuhr damals eine tiefere <strong>und</strong> radikalere Veränderung als es diejenige<br />

war, die sich im Politischen vollzog“ 37.<br />

Die Gr<strong>und</strong>herrschaft, die im Verlaufe dieser Entwicklung aufgehoben<br />

wurde, machte insbesondere in Andalusien einem sogenannten „feudalen<br />

Kaziquismus“ 38 Platz, der nun nichts mehr gemein hatte mit der patriarchalischen,<br />

keineswegs nur auf Gewalt beruhenden Herrschaft des adligen<br />

Gr<strong>und</strong>herrn, der genossenschaftlichen Einrichtungen seiner Vasallen<br />

oft sogar präsidierte, ja sie erst durch seine Hilfe <strong>und</strong> seinen Schutz ermöglicht<br />

hatte3». Gerade in Andalusien sagte man dem Adel nach, daß<br />

Vgl. auch Manuel de TerAn, Santander, puerto de embarque para las harinas de<br />

Castilla, in: Estudios Geogrdficos Jg. VIII, Nr. 29 (November 1947), S. 752.<br />

33 Vgl. Carr, a. a. O., S. 498. _ . v<br />

st Carmelo Vinas y Mey, La Reforma Agraria en Espana en el siglo AiA.<br />

Santiago 1933, S. 3.<br />

38 Vgl. Carr, a. a. O., S. 366 ff.<br />

39 Gr<strong>und</strong>herren als Stifter von (karitativen Einrichtungen oder Vorsteher von<br />

Bruderschaften ihrer Vasallen begegnen häufig. In der Nachfolge von Fustel de<br />

Coulanges hat sich auch in Spanien eine Theorie entwickelt, die dahin geht, den<br />

Ursprung aller Bienes Comunales (vgl. dazu S. 319) in einem gr<strong>und</strong>herrlichen<br />

Stiftungsakt zu sehen. Vgl. Juan Beneyto P£rez, Notas sobre el origen de los<br />

usos comunales, in: Anuario de Histona del Derecho Espanol Bd. IX (1932),<br />

Gcnosscnsdiaftl. Trad. u. d. Anfänge des Anardüsmus i. Spanien 317<br />

er allzu volkstümliche Neigungen zeigte 40. Mit der Aufhebung der<br />

Gr<strong>und</strong>herrschaft durch die liberale Gesetzgebung wurde die im Sinne<br />

Schlesingers zu beobachtende Durchdringung von Herrschaft <strong>und</strong> Genossenschaft<br />

401 in den spanischen Scnorfos zerstört. Wenn eine Gr<strong>und</strong>herrschaft<br />

als „senorfo solariego“41 anerkannt wurde, — Salvador de<br />

Mox6 <strong>und</strong> Claudio Sdnchez-Albornoz haben dargelegt, daß diese Klippe<br />

solchen Gr<strong>und</strong>herren, die eigentlich nur einen „senorfo jurisdiccional“ 45<br />

inne hatten, keine großen Mühen bereitete43 —, dann wurde durch die<br />

liberale Gesetzgebung das oftmals höchst diffuse Bündel von Rechten<br />

über das Land der Gr<strong>und</strong>herrschaft jetzt umgewandelt in ein unumstößliches<br />

absolutes Eigentums- <strong>und</strong> Besitzrecht des ehemaligen Gr<strong>und</strong>herren<br />

am Boden der aufgelösten Gr<strong>und</strong>herrschaft. Bauernfamilien, die seit Generationen<br />

Land in Erbpacht bebaut hatten oder unter der Gr<strong>und</strong>herrschaft<br />

unangefochten die tatsächliche Herrschaft über den von ihnen bebauten<br />

Boden ausgeübt hatten, konnten vom Großgr<strong>und</strong>besitzer, zu dem<br />

der Gr<strong>und</strong>herr geworden war, davongejagt werden, was im Ancien Regime<br />

unmöglich gewesen war44. Eine nicht durch Handel oder in der<br />

S. 33—102. Uber die verschiedenen Auffassungen über Herkunft <strong>und</strong> Ursprung<br />

der kommunalen Ländereien berichtet präzis <strong>und</strong> kurz Noel Salomon, La Cam-<br />

I Pagne de Nouvelle Castille a la fin du XVIe si&cle d’aprks les Relaciones topograficas<br />

(ficole Pratique des Hautes Etudes VI« Section-Centre de Recherches<br />

Historiques-Les Hommes et la Terre IX). Paris 1964, S. 137 f., Anm. 4.<br />

40 Vgl. zum Beispiel die Denkschrift des Grafen Aranda vom 6. Oktober<br />

1769, Madrid, über die Einrichtung von Maestranzas in Andalusien. Aranda<br />

beklagt, daß der junge Adlige in Andalusien sich mit dem übelsten Gesindel<br />

herumtreibe <strong>und</strong> während des Tages nichts anderes tue, als Zigarren zu raudien.<br />

Archivo General de Simancas, Guerra Moderna Leg. 6023. Wie es scheint, hat<br />

sich der Zorn der rebellierenden Bauern nicht in Brandschatzungen adliger Herrensitze<br />

geäußert.<br />

I 40a Walter Schlesinger, Herrschaft <strong>und</strong> Gefolgschaft in der germanisdideutschen<br />

Verfassungsgeschichte, in: Historische Zs. 176 (1953), S. 226.<br />

41 Es ist darunter eine Gr<strong>und</strong>herrschaft zu verstehen, die dem Gr<strong>und</strong>herrn<br />

weder zivilrechtliche, noch strafrechtliche richterliche Befugnisse einräumte, dagegen<br />

aber weitgehende Bodenbesitz <strong>und</strong> -eigentumsrechte umfaßte. Vgl. Salvodor<br />

de Mox6, La disolueiön del regimen senorial en Espana. Madrid 1965,<br />

S. 22 ff.<br />

42 In diesem Fall übt der Gr<strong>und</strong>herr, nach Erwerb oder königlicher Schenkung,<br />

richterliche Befugnisse aus, wobei sich der König bestimmte Ausnahmen vorbehält.<br />

Bodeneigentum oder -besitz des Gr<strong>und</strong>herren ist nicht notwendig Voraussetzung.<br />

Vgl. ebda.<br />

43 In der Praxis hatten sich beide Typen der Gr<strong>und</strong>herrschaft zu einem kaum<br />

noch zu entwirrenden Knäuel verfilzt. Vgl. Claudio SAnchez-Aldornoz, La<br />

reforma agraria ante la Historia. Madrid 1932, S. 75 <strong>und</strong> 77 f. <strong>und</strong> Mox6,<br />

a. a. O., S. 185 ff. 44 Vgl. Mox6, a. a. O., S. 86.

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