5_VSWG-Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte

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J ohann H ellwege
Gcnosscnsdiaftl. Trad. u. d. Anfänge des Anarchismus i. Spanien 337
tisation sich vollziehende, von ganz ähnlichen sozialen und rechtlichen
Konsequenzen begleitete Aufliebung der Zünfte und Zunftordnungen r
machen einsichtig, warum es oft gerade Handwerker waren die als
Agitatoren und Führerpersönlichkeiten bei anarchistischen Revolten her-
V°Mh dem Niedergang der genossenschaftlich organisierten Bruderschaff
ten ging bereits ein erheblicher Teil der auf Gemeindeebene organisierten
‘ Sozial- und Heilfürsorge verloren. Aber auch die nicht von Bruderschaften,
sondern aus den Einkünften in Pacht ausgegebener Gemeindeländereien
oder aus eigenem Grundbesitz unterhaltenen Hospitäler, die es
in nahezu jeder spanischen Ortschaft gegeben hatte, verschwanden weitgehend
in solchen Gebieten, wo die Desamortisation rigoros durchgesetzt
wurde. Wie gegen die Bruderschaften so war auch der erste Angriff gegen
die Hospitäler und die sogenannten Casas de Misericordia — einer Mischung
aus Kranken-, Armen- und Arbeitshaus — bereits gegen Ende
des 18. Jahrhunderts von den liberalen Reformern geführt wurden, die
die Brücke vom sogenannten Liberalismus des Ancien Regime zu den
Liberalen des 19. Jahrhunderts bilden"®. Wenn die Zusammenlegung der
Tagelöhnern Mitglieder derselben Bruderschaften, wenn man einmal von den
wenigen noch erhaltenen, streng nur einer Berufsgruppe vorbehaltenen Bruderschaften
absieht. Gerade die städtische Wohnwcise der Tagelöhner und Bauern
Andalusiens förderte den Kontakt. Es bedurfte gar nicht einmal eines wandernden
Handwerkerelcments, wie es in den massenpsychotischen Unruhen des
Spätmittelalters, aber auch noch der Neuzeit so häufig begegnet, um die soziale
Unruhe auf das Land zu tragen, das es in diesem Sinne in Andalusien während
der langen Monate der Arbeitslosigkeit, die auch die Monate der anarchistischen
Ausbrüche waren, gar nicht gibt. Es sei noch auf ein Wort von Ernest L abrousse
hingewiesen. Er nennt den französischen Weinbauern des 18. Jhs. „einen Handwerker
des Bodens, der im Bewußtsein seiner beruflichen Überlegenheit gegenüber
dem Mann des Pfluges eigentlich ein Abgesandter der Stadt ist“. (La crise
de l'economie franfaise 1 la fin de 1’Ancien Regime et au ddbut de la Revolution.
Paris 1943. Zitiert nach Gonzalo Anes Alvarez, En Espaiia durante el siglo
XVIII: äuge econömico y permanencia de estructuras tradicionales, in: Anuario
del Instituto de Investigaciones Histöricas Nr. 7 (Rosario (Argentinien) 1964),
S. 119. Gerade in Arcos oder Jerez de la Frontera, wo der Anarchismus mit dem
größten Fanatismus und mit der schärfsten Gewaltanwendung verfolgt worden
ist, waren Weinbauern die Anführer.
07 Vgl. Comellas, a. a. O., S. 80 ff.
*8 Abgesehen davon dürfte der Analphabetismus unter den Landarbeitern
wesentlich höher gewesen sein als unter Handwerkern. Vgl. auch Pitt-Rivers,
a. a. O., S. 220.
M Vgl. Antonio Elorza, La Ideologfa liberal en la Ilustraciön espanola.
Madrid 1970 und Miguel Artola, Los orfgenes de la Espaiia contemporanea.
2 Bde. Madrid 1959. Vgl. auch die genannten Monographien von Mox6 und
oft winzigen Hospitäler und die Auflösung einer großen Zahl von Bruderschaften
bei gleichzeitiger Verwendung ihres Vermögens zur Ausstattung
der neugeschaffenen Casas de Misericordia auch vom Standpunkt
staatlicher Fürsorgepolitik angemessen gewesen sein mag I0°, so
war damit die soziale und ärztliche Hilfe in den kleinen Ortschaften
aber entscheidend geschwächt worden. Mit der Umwandlung des Vermögens
der Casas de Misericordia in staatliche Schuldverschreibungen ist
aber dann ein Weg beschritten worden, der in den Ruin dieser tharitativen
Einrichtungen führte, ohne daß von staatlicher Seite inzwischen ein
System der ärztlichen und sozialen Fürsorge errichtet worden wäre m .
Ähnlich sind auch die zum Teil jahrhundertealten, zum Teil erst unter
energischer Förderung der Regierung während der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts begründeten Getreidemagazine, deren es 1793 nicht
weniger als 8 090 in Spanien gab, angetastet und schließlich weitgehend
zerstört worden. Begründet, um dem bedürftigen Bauern zu geringem
Zins Saatgut und um den Gemeinden in Notzeiten preiswertes Getreide
zum Brotbacken zur Verfügung zu stellen, hatten sich die Positos — die
Getreidemagazine — gelegentlich allerdings auch an der Spekulation
mit dem Getreide beteiligt102. Mit der zwangsweisen Übernahme von
Vinas y Mey. Der sehr komplizierte Vorgang, wie er etwa in der Entwicklung
des Agrarreformgesetzes von Campomanes über den Jovellanos des Ancien Regime
hin zum Jovellanos der Cortes von Cadiz sichtbar ist, kann hier nicht
dargestellt werden. Vgl. bcs. G. Anes Alvarez, El informe sobre la ley agraria
y la Real Sociedad Econömica Matritense de Amigos del Pais, in: Homenaje a
don Ramön Carande Bd. I (Madrid 1963), S. 23—63, und Ramön Prieto
Bances, Campomanes y Jovellanos ante el rdgimen agrario de Asturias, in:
Anuario de Historia del Derecho Espanol Bd. XXXI (1961), S. 269—280. Zur
Sozialpolitik des ausgehenden Ancien Regime sei hier nur genannt William J.
Callahan, The Problem of Confinement: An Aspect of Poor Relief in Eightf
eenth-Century Spain, in: The Hispanic American Historical Review Bd. 51,
Nr. 1 (Februar 1971), S. 1—24.
too Als Beispiel einer solchen Zusammenlegung ist in der nebenstehenden
Tabelle das aus Medina del Campo und Umgebung der Casa de Misericordia in
Valladolid zufließende, aus Bruderschaften und frommen Stiftungen stammende
Einkommen zusammengefaßt (s. Anlage).
101 Vgl. Porres MartIn-Cleto, a. a. O., S. 356 ff. und Francisco Collantes
de TerAn, Memorias histöricas de los establecimientos de caridad de Sevilla y
descripciön artlstica de los mismos. 2 Teile Sevilla 1884/89.
102 Vgl. Gonzalo Anes Alvarez, Los Pösitos en la Espaiia del siglo XVIII,
in: Moncda y Crödito Nr. 105 (Juni 1968), S. 39—69, und zur Rolle der Getreidespeicher,
die auch durch Privatpersonen oder aufgrund frommer Stiftungen
bzw. durch Bruderschaften begründet sein konnten, bei der Preisgestaltung
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