5_VSWG-Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte

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330 J ohann H ellwege Genossenschaft!. Trad. u. d. Anfänge des Anarchismus i. Spanien 331 dien mutualistisdicn Organisationen zusammcngcsdilossen “ Am Ende des Anden Regime zählte man in Spanien bei einer Bevölkerung von etwa 10 Millionen Einwohnern nidn weniger als etwa 28 000 Brudersdiaften M. Sind diese Gcscllungseinheitcn sdion gar nid« aus dem kirchlichen Leben und den öffentlichen Festlidikeitcn wegzudenken, so wird man auch schwerlich die Rolle der Bruderschaften im Leben des Einzelnen überschätzen können. In der Funktion einer Krankenkasse, einer Kreditanstalt, einer Versidierung gegen Viehsterben etc. bzw. als Träger des örtlichen Hospitals und der lokalen Krankenpflege bewahrte die Bruder- 65 Dabei waren Mitgliedschaften in mehreren Bruderschaften zur gleichen Zeit durchaus üblich. Vgl. z. B. das Testament des berühmten Kaufmannes und Bankiers Sim6n Ruiz vom 10. März 1597, § 4: „ ... que para enterrarme Hamen al cabildo mayor de la dicha villa, y a las cofradias de la Santa Charidad de csta villa, y del Santlssimo Sacramento de la Iglcsia de Sahagun, y de Cruz, de las qualcs Cofradias yo soy cofrade, para que con los mas cofradcs que se hallarcn, acompancn mi cucrpo“. Ein gedrucktes Exemplar in Archivo Histörico Provincial (Valladolid), Fondos de la Diputaciön Leg. 60. Vgl. auch Testament der Maria Pörez, vecina aus Fuenlabrada, vom 7. August 1615: „A las quatro cofradias de estc lugar de que soi cofrada que son las del Santissimo Sacramento, Veracruz y nuestra Seiiora de el rosario y Concepcion mando de limosma a doce reales a cada una con que den a dos achas que ardan a la misa de mi enterramiento y a la de mi cabo de ano“. Archivo de la Chancillerla (Valladolid), Sala de Hijosdalgo Leg. 257. Exp. 4. Gerade die Frau, insbesondere die verwitwete Frau, scheint im Rahmen der Bruderschaften ein ganz erstaunliches Maß an Freiheiten genossen zu haben. 83 Der »Plan que manifiesta los Gastos de las Cofradias, Hermandades y Cuerpos Colegiados de estos Reinos . . . , vom 30, Oktober 1775, Madrid (Archivo Histörico Nacional, Consejos Suprimidos Leg. 7090, Exp.: Expediente general sobre estineiön y arrcglo de las cofradias erigidas en las Provincias y diocesis del Reyno, Folio 201), verzeichnet: Zahl der Bruderschaften, Zünfte, Corporationen In den Provinzen der Krone von Kastilien: In den Provinzen der Krone von Aragön: 19 024 (+) 6 557 25 581 (h) Es sind nicht einbegriffen die Bruderschaften der Intendanturen Salamanca, Ciudad Rodrigo, Cuenca, Granada und Jaön, sowie der Kanarischen Inseln, der Stadt Soria und 150 Ortschaften der Provinz Soria sowie der Ortschaften Galiciens mit Ausnahme der sieben Partidohauptstädte. Ebenso fehlen die Bruderschaften aus Madrid. Die Zahl von 28 000 Bruderschaften in Spanien ist wahrscheinlich sogar noch zu niedrig angesetzt. Auf regionale und lokale Massierungen, die sich durchaus beobachten lassen, kann hier nicht eingegangen werden. schafc das Individuum vor Schaden und Unglück während des Lebens8«. Als Witwen- und Waisenkasse bzw. als Vereinigung zum Gebet und zur Durchführung von Gedächtnismessen sorgte die Bruderschaft nach dem Tode ihrer Mitglieder für die Hinterbliebenen und das Seelenheil des Verstorbenen85. Als Disziplinarorgan, aber auch als Einrichtung der Aussöhnung zwischen den Parteien wird man den Bruderschaften eine erhebliche Rolle in der Friedenswahrung zumessen müssen88. Zahlreich 83 Vgl. Rumeu de Armas, a. a. O., und aus der Fülle der Literatur, die hier zitiert werden könnte, sei verwiesen auf Marfa J i m &n e z Salas, Historia de la asistencia social en Espana en la Edad Moderna (Monograffas Histörico-Sociales IV). Madrid (1958), bes. S. 147 ff. und Anhang S. 259 ff. In der Unordnung und Unübersichtlichkeit des Buches spiegelt sich das behandelte Thema. 88 Die Bruderschaften erlebten ihre erste große Blütezeit in der Krise des Spätmittelalters, etwa vom 14. bis 16. Jh., und ihr Aufkommen ist sicherlich im Zusammenhang mit der ökonomischen Krisensituation, den Epidemien und massenpsychotischen Erscheinungen dieser Epoche zu sehen. 80 In vielen, auch durchaus schon neuzeitlichen Bruderschaftssatzungen erscheint die Verpflichtung zur Aussöhnung untereinander, ehe man zu dem nahezu rituellen Mahl anläßlich der Feiertage der Bruderschaft zu Tisch geht. Diese Aussöhnung hatte öffentlich, im Kreis der Mitbrüder zu geschehen. Es sei hier ein aufschlußreiches Beispiel genannt, das zugleich den Komplex Grundherrschaft: Genossenschaft berührt. Im Jahre 1524 gab sich die Geißlerbrüderschaft vom Wahren Kreuz (cofradfa de la vera cruz de los hermanos disciplinantes) aus Villalpando eine Satzung. Hier heißt es: » ... Por quanto entre todos christianos paresse mal qualquier division que aya quanto mas y quanto peor parescera averla entre los hermanos que nos avemos vitado en la cofradia de la sancta cruz y por esto acordamos y mandamos que el domingo de ramos primero que viene y todos los otros domingos de ramos que de aqui adelantefueren hasta la fin del mundo nos ayamos de juntar en el monasterio de San Francisco desta villa de villalpando a las dos despues del medio dia en la casa donde solemos comer y alii juntos nos perdonemos los unos a los otros todas nuestras injurias y ofensas y malquerencias y el hermano que no quisiere perdonar al hermano confrade que pague dos libras de cera para la cofradia y no sea mas tenido por cofrade ni pueda estar en nuestro ayuntamiento asta que nos sea manifiesto que el tal cofrade a perdonado a todos con quienes tuyiere diferencia.“ „Otrosi por quanto entre los hermanos dexado las ofensas y injurias personales puede aver diferencias de hazienda mandamos... nombremos quatro personas entre nosotros que se Hamen los concertadores y que estos quatros miren solamente de trabajar todo lo a eUos posible y por todas las vias y maneras que pudieren de concertar los hermanos que denen o pueden tener algunas diferencias agora scan por erencia o de otra manera... e que los dichos quatro concertadores ayan de tener en cada domingo de ramos por escripto y memorial de todas las diferencias que an atajado yde todas las que no an podido atajar porque nuestra voluntad es que todos vibamos en una buena hermandad porque mas limpiamente y con mejores consecuencias podamos servir a nuestro senor.“ (Nach dem Zusatz, daß jede Änderung der Satzung mit dem Condestable zu erörtern sei, folgen die Unterschriften des Duque de Frias als Grundherrn (24. 4. 1524) und des Bischofs von Leön. Archivo Histörico Nacional, Cödices 1187 B).
332 J ohann H ellwege Genossenschaft!. Trad. u. d. Anfänge des Anarchismus i. Spanien 333 sind aber auch die Klagen, daß man sich im Dienste der Bruderschaft — z. B. als ihr Vorsteher — oftmals ruinierte, weil, aus der Rolle heraus, die die Bruderschaften im lokalen Leben spielten, man sich diesen, mit hohen finanziellen Aufwendungen verbundenen Ehrenämtern nicht entziehen konnte, wollte man nicht das Gesicht verlieren87. Daneben finden sich aber auch viele Beispiele dafür, daß die Angehörigen einer Bruderschaft gemeinsam ein der Bruderschaft gehörendes Stüde Land bearbeiteten oder eine der Bruderschaft gehörende Schafherde verpachteten, um aus dem Verkauf der Produkte bzw. den Pachteinnahmen nicht nur die zumeist recht üppigen Festmähler zu bestreiten, sondern auch Hilfsfonds zu begründen und Rücklagen zu schaffen 88. In Navarra lassen sich zahlreiche Bruderschaften nachweisen, die gemeinsam mit dem Halten von Milchvieh — bis zu solchen Größenordnungen, daß Hirten und Melker angestellt werden mußten — wirtschaftlich tätig wurden80. Schließlich diente die Form der Bruderschaften auch dazu, kapitalintensive Gewerbe, wie etwa die Hochseefischerei, zu ermöglichen und Risiken abzudekken. Selbst Absatzgenossenschaften in Gestalt von Bruderschaften lassen Hier wird offenbar nach dem Aufstand der Comunidades eine Bruderschaft durch einen Grundherren als Schieds- und Schlichtungsinstrument benutzt. 87 Vgl. Espediente general sobre estincion y arreglo de las cofradlas erigidas en las provincias y diocesis del Reyno. Ardiivo Histörico Nacional, Consejos Suprimidos Leg. 7090. 89 Vgl. J. C osta, Colectivismo Agrario, S. 409 ff. Vgl. z. B. den Pachtvertrag zwischen der Bruderschaft der Heiligen Maria aus Tudela und Gabriel Maestro aus Renedo über 119 von der Bruderschaft gepachtete Schafe, der nach öffentlicher Versteigerung am 5. 6. 1796 in Tudela abgeschlossen wurde. Archivo Histörico Provincial (Valladolid), Fpndos de la Diputaciön Leg. 40. Maestro zahlte pro Schaf jährlich fünf Reales und mußte dazu zwei Lämmer an die Bruderschaft abgeben. Die Laufzeit betrug fünf Jahre: In der Ortschaft Cintruenigo (Navarra) war 1770 gerade eine auf kollektiver Wirtschaft beruhende Bruderschaft im Entstehen begriffen. Von der Bruderschaft des Heiligen San Isidro der Bauern heißt es: „Por no tener rentas algunas, se contribuie por cada Labrador, algun dia a labrar con sus cavallerias las tierras que se arrendaren, y con su producto, se compran tierras para el Sancto: y con este arvitrio se han comprado algunas tierras que se administran y siembran.“ Vgl. das in Anm. 89 genannte Dokument, Fol. 106 v. i dem ,^stai^0 General. . . de todas las Cofradlas que hay en los puebos de las 5 Merindades del Reyno de Navarra (1770), Archivo Histörico Nacionai, Consejos Suprimidos Leg. 7096 gab es z. B.: In Cortes eine Bruderschaft es eiligen Michael, die 60 Kühe ihr Eigen nannte und den Hirten mit 600 reales im Jahr entlohnte. (Fol. 121r.) In Sesma eine Cofradla de Animas mit „HO reses de lana que se mantienen en las iervas de la villa“ (Fol. 253r.) Hier Wlr j I* • ef? ndunß von Bruderschaft und Bienes Comunales deutlich, die gerade bei solchen Hirtenbruderschaften wohl immer gegeben ist. sich beobachten00. Jede Zunft verfügte über eine Bruderschaft, und selbst Bettler, Diebe, Schauspieler und andere nicht gerade hochgeachtete Gruppen schlossen sich in dieser Organisationsform zusammen. Kleinere O rtschaften, aber auch die Bewohner einzelner Stadtviertel organisierten sich in Bruderschaften, um neben der Erhaltung der Kirche andere Gemeinschaftsaufgaben besser bewältigen zu können01. Es sei schließlich die 00 Vgl. Lorenzo Sanfeliu, La cofradla de San Martin de hijosdalgo navegantes y mareantes de Laredo (Apuntes para su historia). Madrid 1944, und Joaquin C osta, Colectivismo agrario, S. 423 ff. Kap.: Colectivismo Pesquero. Vgl. auch die Ordonnanzen der Bruderschaft des Heiligen Peter aus Bermeo (1530?), Archivo de la Chancillcrla (Valladolid), Pleitos de Vizcaya Leg. 1330, Exp. 6. Als Beispiel einer Absatzbruderschaft sei auf die „Cofradla de San Gregorio Nazianzeno de cosedieros propietarios de viiias, de la villa de Bilbao, su dezmatorio y campanil en que es comprehcndida la Anteiglesia de Beyona* hingewiesen. Diese Bruderschaft, zu der auch einige Geistliche gehörten, hat mit allen rechtlichen und gerichtlichen Mitteln versucht, die Weine aus der Rioja vom Markt fernzuhalten, „ynterin se venden y consumen los chocolles (dünner Wein) de la propia cosecha“. Es war eine vollständige Absatzorganisation aufgebaut worden, wobei die Schankwirte durch Kontrolleure der Bruderschaft überprüft wurden, ob sie nicht Weine aus der Rioja ausschenkten. Wirtschaftshistoriker seien nachdrücklich auf den 1362 (!) Folios umfassenden Pleito aufmerksam gemacht in Chancillerla (Valladolid), Pleitos de Vizcaya, Leg. 502, Exp. 2 (Die Auseinandersetzungen ziehen sich durch die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts). 01 Dieser Brauch läßt sich besonders häufig in den baskischen Provinzen und in Navarra beobachten, ist aber keineswegs auf diese Regionen beschränkt. Solche Bruderschaften (meistens „de Animas“ oder „del Rosario“) waren in der Regel der Pfarrei angeschlossen und nicht einem Kloster, einer Einsiedelei etc. Es sei ein Beispiel aus Pamplona wiedergegeben, das die Bedeutung dieser Bruderschaften für das Gemeinschaftsleben sichtbar macht: „Zapaterias. En este Barrio se nombra un Prior y dos mayorales el terzer dia de Pasqua de Resurrecciön y en el y en la Parroquia de San Nicolas se zelebra una misa por los difuntos del Barrio, por cuia limosna se dan 16 o 18 reales de plata, que se paga y distribuie entre los Vezinos, con proporcion a su posibiüdad y a sus Resultas da el Prior en la calle publica dos Tortas de a dos libras y un cantaro de vino para todos los vecinos. El primer dia de Pasqua asisten todos los Vezinos con el Prior a la Misa Popular de la Parroquia y al regreso de ella da el Prior otra igual refaccion o agasajo, y por la tarde despues de asistir todos los vezinos a las Visperas de dicha Parroquia salen de comunidad a un lugar publico exterior en que se reconzilian los que no estan corrientes en su amistad y buelben a la Casa del Prior donde les da un rcfresco de Pan, Vino y queso, en todo lo quäl y en un farol que se enziende todas las noches al oscurecer y alumbra de una Ymagen de Nuestra Senora de Beldn, y a la Calle gasta el Prior como 200 reales de Plata. Los unicos fondos de este Barrio es un Censo de 100 ducados de plata de capital, que produze 3 de renta, que se emplean en reparo y limpieza del pozo comun del Barrio composiciön del farol quatro reales al escribano y si algo sobra, se da alos Pobres del Barrio.“
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