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Sunao Tokunaga – Die Straße ohne Sonne (1931) - linke-buecher.net

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Okayo bewegte den Mund, ruhig und kaum hörbar: "Der Streik ist auch vorbei - - alles vorbei<br />

- -."<br />

Aus ihrem Gesicht verschwanden die Schatten der Schmerzen und Qualen. Takaes<br />

rotgeweinte Augen spiegelten Verzweiflung und Verwirrung wider. <strong>Die</strong> letzten Worte der<br />

Schwester preßten ihre Kehle zusammen, sie legte den Kopf auf die Kissen, <strong>ohne</strong> einen Laut -<br />

<strong>ohne</strong> zu weinen ------.<br />

<strong>Die</strong> Kranke ließ ihre Hand vom Arm Hagimuras herabfallen.<br />

Okayo war tot - ein Herzkrampf hatte ihr Leben beendet, wie eine Blüte, die der Wind<br />

fortweht.<br />

" Machen Sie keinen Unsinn", sagte Takae zu den zwei Ärzten, die mit ihren Messern sich der<br />

Toten näherten.<br />

Sie weinte nicht mehr.<br />

Auf das erkaltende Gesicht der toten Schwester starrend, saß sie an den Kissen, regungslos<br />

wie ein Stein. Schluchzen kam vom Fußboden der Küche. Der kranke, alte Vater stierte irre<br />

auf einen Punkt. <strong>Die</strong> Leute aus den Baracken sammelten sich, sie holten aus der Pumpe<br />

Wasser und füllten die leeren Reiskästen mit Reis und kochten Essen für die Familie. Sie<br />

legten den Leichnam dorthin, wo die Bettmatte des alten Vaters gelegen hatte; der alte Hiko,<br />

der gegenüber in der Baracke wohnte, saß vor dem kleinen Hausaltar und schlug die Glocke.<br />

In der kleinen Kammer und in der Küche saßen die vielen Leute gedrängt, beteten die heiligen<br />

Texte und hielten die Totenwache.<br />

Am nächsten Morgen kamen alle Streikenden, sie stellten die rote Fahne an das Kopfkissen<br />

der Toten.<br />

Hagimura beriet mit dem Alten die Trauerfeier und sammelte Geld von den Streikenden, die<br />

<strong>ohne</strong> Zögern von dem wenigen gaben, das sie selber hatten.<br />

Am nächsten Abend wurde der Leichnam über die Brücke des Senkawa-Kanals, den<br />

Haksuan-Abhang hinauf, zum Armenfriedhof in Soshikawa gebracht. Über die einsamen<br />

Gräber wehte wild der Winterwind, am Saume des Waldes verwob sich die Dunkelheit in den<br />

Baumkronen.<br />

Takae stand tränenlos an dem kleinen Grabhügel. Ringsum standen die Trauernden,<br />

schweigende Sterne. Als Vertreter der Streikenden verlas Takagi vor dem Grabhügel die<br />

Abschiedsworte. <strong>Die</strong> rote Fahne der Streikenden, von Mori, einem Freund Miatjis getragen,<br />

bewegte sich schwer und dunkel über dem kleinen Grabhügel.<br />

" ... wir stehen jetzt, mit diesem neuen Opfer, auf der Grenze zwischen Leben und Tod. Wie<br />

können wir diesen Toten danken------?"<br />

Aus einer einfachen Schale stieg der Weihrauch inmitten einer dichten Menschenmauer<br />

hinauf in den Abendhimmel. Ojah, Fusa-tjan, Okimitjan, Gin-tjan nahmen ein wenig<br />

Räucherpulver, sie hatten alle verweinte Augen - streuten das Pulver in die Schale und<br />

schluchzten. "Tote Genossin, du hast im Leben wenig Glück gesehen. Wir werden die<br />

Erinnerung an dich in unseren Herzen tragen und in unser Gedächtnis eingraben."<br />

Okimi begann plötzlich laut zu weinen. Nun kam das Weinen von allen Seiten.<br />

Takaes Lippen zitterten, aber ihre Tränen waren eingefroren------.<br />

" Wir schwören an deinem Grabe, unter unseren Fahnen, daß wir unsern Kampf bis zur<br />

Entscheidung fortführen werden. "<br />

Mit gesenkten Köpfen standen regungslos die Frauen. Einige Männer begannen zu singen, in<br />

einem Augenblick schwoll das Lied hoch an, alle sangen.<br />

Nur sie konnten es wagen ihre Trauer, ihre Freude, ihren Zorn, all ihre Gefühle in diesem<br />

Gesang, diesem Rhythmus zu bergen.<br />

" Fahne des Volkes - rote Fahne------"<br />

<strong>Die</strong> Fahne flatterte von den singenden Stimmen bewegt. Vom fernen Horizont drohte die<br />

Finsternis, die singenden Stimmen wurden vom Wind verweht und vom Wald verschluckt.<br />

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