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Sunao Tokunaga – Die Straße ohne Sonne (1931) - linke-buecher.net

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machte ihn diese Szene, vor der ein Mann immer Angst hat, an sich schon verlegen.<br />

Man hörte die heisere Stimme des alten Vaters: "Sie stirbt - bitte, bitte, helfen Sie ihr doch."<br />

<strong>Die</strong> Frucht, noch nicht sechs Monate alt, war infolge der Beri-Beri-Krankheit im Mutterleib<br />

abgestorben, und das Mädchen war zu schwach, das tote Kind herauszutreiben. Sinnlos quälte<br />

sie sich in den Wehen. "Hallo, holen Sie noch einen Arzt ------ wenn sie einen Herzkrampf<br />

bekommt, ist alles vorbei ------ ganz gleich wer, aber schnell bitte. "<br />

Der Arzt sagte das grob, ihn kümmerten die Gefühle der Kranken nicht weiter. Hagimura eilte<br />

hinaus.<br />

<strong>Die</strong> schmerzenden Wehen kamen in immer kürzeren Zwischenräumen.<br />

<strong>Die</strong> Nachbarin, die in der Küche vor Hilflosigkeit fortwährend Wasser kochte, drehte<br />

jedesmal, wenn das Stöhnen lauter wurde, den Kopf<br />

zur Kranken und sagte:<br />

" Noch mal tief Atem holen - so - noch mal - preß dich zusammen . . . Oh - ah - ja, ja sie ist so<br />

herunter." -<br />

Das tote Kind war schon mit dem Kopf heraus, die Krankenschwester saß gebückt bei der<br />

Kranken, wandte sich zum Arzt und berichtete:<br />

" Herr Doktor, schon eine Stunde und sieben Minuten seit dem ersten Wasser."<br />

Wenn die Welle des Schmerzes zurückebbte, wurde das Bewußtsein der Kranken ganz matt,<br />

sie fiel in sich zusammen wie ein Blasebalg.<br />

<strong>Die</strong>ser Zustand war noch gefährlicher als die Zeit, in der sie von den Schmerzen gequält<br />

wurde. Dann zog Takae sie stark an den Haaren, um sie wieder zum Bewußtsein zu bringen.<br />

" Du mußt es herauspressen, selbst das tote Kind muß heraus - sonst muß Okayo sterben. "<br />

" Schwester. . . " flüsterte Okayo und suchte Takaes Hand, wenn mit dem Schmerz das<br />

Bewußtsein wiederkam.<br />

<strong>Die</strong> Kinder aus den Baracken, die vor der Tür standen, begannen zu weinen.<br />

" Bitte, bringen Sie das Kind heraus, und wenn Sie es zerschneiden müssen, meine Schwester<br />

muß leben, auf jeden Fall!" Takae sah böse auf den Arzt, der mit seiner kalten Geschäftigkeit<br />

die Kranke loswerden wollte, und schrie wie besessen: "Verdammt, wenn meine Schwester<br />

stirbt, werde ich diesen Hunden, dieser Polizei, die Kehlen durchbeißen."<br />

<strong>Die</strong> dicke Krankenschwester, die die beiden Schenkel der Kranken<br />

hielt, sah erschrocken in das wilde Gesicht. Hagimura kam keuchend zurück:<br />

" Er kommt gleich - es ist ein Arzt für innere Leiden, ist es gut so?" Der Arzt nickte böse.<br />

" Ich habe seinen Koffer mitgebracht, damit er kommen muß. " Dann trat er leise an die<br />

Kissen. Okayo lag schon wie tot. Nur ein leises Stöhnen, wenn sich beim Einsetzen der<br />

Wehen der zuckende Körper aufbäumte, verriet noch, daß Leben in ihr war. "Kayo-tjan, siehst<br />

du mich noch - Hagimura -."<br />

Der große starke Mann flüsterte an ihrem Ohr. Aber ihre leeren Augen bewegten sich nicht,<br />

sie erkannte ihn nicht mehr. In ihrer völlig veränderten gelben vertrock<strong>net</strong>en Stirn lagen die<br />

großen, versunkenen Augen, in denen nur eine wehe Erinnerung an die ehemalige Okayo<br />

blieb -wie vom Wind verwehte Blüten.<br />

" Bleib bei dir, Okayo", schrie Takae krampfhaft, wie irre, jedesmal, wenn der Druck der<br />

kranken Hand nachließ.<br />

Der andere, schweigsame Arzt kam herein, die beiden Ärzte begrüßten sich mit einer<br />

Höflichkeit, die wenig zu der Stimmung in diesem Zimmer paßte. Dann berieten sie sich über<br />

die Behandlung, nahmen verschiedene Nickelinstrumente und bereiteten die Operation vor.<br />

Da bewegte Okayo den Mund. Takae hielt ihr Ohr schnell an den zitternden Mund der<br />

Schwester und fragte: "Was willst du?" Okayo war jetzt vollkommen von Sinnen und hatte<br />

Haluzinationen; sie faßte den rechten Arm Hagimuras und sagte mit schlaftrunkener Stimme<br />

wie ein gesunder Mensch:<br />

" Saburo (das war der Vorname Miatjis), es geht mit mir zu Ende. Alles vorbei - vorbei -<br />

unser Kind auch. .. "<br />

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