Sunao Tokunaga – Die Straße ohne Sonne (1931) - linke-buecher.net
Sunao Tokunaga – Die Straße ohne Sonne (1931) - linke-buecher.net
Sunao Tokunaga – Die Straße ohne Sonne (1931) - linke-buecher.net
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
" Kayo-tjan, sei lieb und mach was zu essen, ich kann mich vor Huriger<br />
nicht mehr bewegen."<br />
Okayo wollte die Gelegenheit wahrnehmen, um aufzustehen und hinauszugehen.<br />
" Bleib!" bellte der Vater. Okayo zögerte.<br />
" Was ist denn mit euch, was habt ihr?"<br />
Wenn man ihn so fragte, konnte er nicht in dem Ton weiterbrüllen. "Was hast du denn, Kayotjan,<br />
du siehst so mutlos aus?" Takae war nur drei Jahre älter, aber sie hatte an Okayo<br />
Mutterstelle<br />
vertreten.<br />
" Vater hat sicher wieder angefangen zu jammern. Laß ihn nur. Man muß<br />
nicht böse werden, wenn er ein bißchen irre denkt."<br />
Okayos Mund verzog sich unwillkürlich zu einem Lächeln.<br />
" Was - du verrücktes Weib, du bist selbst irre und du verachtest deinen<br />
Vater."<br />
Der Kranke schrie, nahm die Teetasse, die neben seinem Kissen stand und warf sie nach<br />
Takae. <strong>Die</strong> Tasse traf das Ohr des Mädchens und fiel auf den Boden.<br />
" O weh!"<br />
Sie griff mit der Hand an ihr Ohr, aber sie regte sich nicht weiter auf. "Vater, ich verachte<br />
dich gar nicht, ich habe es gewiß nicht so gemeint. Aber du solltest mich auch nicht<br />
verachten."<br />
Okayo ging in die Küche, um das Abendessen zu machen. Takae sagte, während sie ihre<br />
Waren, Seife und Federhalter ord<strong>net</strong>e: "Hör mal, Vater, du denkst falsch. Jedes zweite Wort<br />
das du schreist, ist wahnsinniges Weib. <strong>Die</strong> Zeiten haben sich heute geändert gegen damals,<br />
wo dich der vorige Besitzer so 'geliebt' hat und du deine Hand in der Schneidemaschine<br />
verloren hast."<br />
Takae streichelte ihr schmerzendes Ohr und fuhr leise fort: "Für dich sehen wir vielleicht<br />
wahnsinnig aus. Von unserer Seite aus aber, muß ich leider sagen, bist du ein bißchen garstig<br />
und komisch." Der Kranke warf sich herum und drehte sein Gesicht der Wand zu. Dann<br />
wurde Licht angezündet und Okayo stellte einen kleinen Eßtisch neben den Kranken. In<br />
gewöhnlichen Zeiten erklangen, wenn die Lampen angezündet wurden, die Glocken der<br />
Fabrik, die Gegend wurde lebhaft und lärmend - die Arbeiter kamen aus der Fabrik in die<br />
Baracken, als würde eine Herde in den Stall getrieben; dann schrien die Säuglinge und die<br />
Frauen schalten. Aber jetzt wurde der Tag dunkel und hell und lautlos, wie eine Kuckucksuhr<br />
mit zerbrochener Feder. Leer, müde und unzufrieden. "Hast du viel verkauft?" Okayo setzte<br />
sich neben ihre Schwester und nahm ihre Stäbchen. Vorher<br />
hat'? sie dem Vater Essen gegeben.<br />
" Nicht besonders. Man verkauft jetzt so immer dieselbe Menge. <strong>Die</strong> Leute sind schon an uns<br />
gewöhnt. "<br />
" Dann bleibt doch lieber bei dem Geschäft, als daß ihr wieder Buchbinderinnen spielt.<br />
Ausgesperrt seid ihr so oder so -vielleicht tut ihr euch fünf oder sechs zusammen. "<br />
" Wenn wir dabei singen und trommeln, dann sehen wir gerade so aus -" "Wieso?"<br />
" Wie die Kinder aus dem Waisenhaus. "<br />
Sie fingen an zu lachen, aber das Lachen hatte einen bitteren Beigeschmack. Besonders<br />
Okayo konnte ihr Lachen nicht verbeißen. Solch ein Mädchen von achtzehn Jahren lacht<br />
schon, wenn sich nur die Blätter am Baum bewegen; solch ein Mädchen, das noch jeden Tag<br />
schöner wird. Okayo hatte ein weißes, wohlgeformtes Gesicht. Wie Takae die Schwester<br />
ansah, schien ihr, das Mädchen müsse immer glücklich bleiben, und dabei fiel ihr etwas ein.<br />
"Heut' hab' ich Miatji getroffen." "Wo?"<br />
Okayo hob den Kopf.<br />
" In Dosaka im Hongo-Bezirk, mit vier oder fünf anderen zusammen, Hagimura war auch<br />
dabei. <strong>Die</strong> anderen kannte ich nicht, aber ich glaube, sie gehören alle zu einer S-Abteilung."<br />
8