Sunao Tokunaga – Die Straße ohne Sonne (1931) - linke-buecher.net
Sunao Tokunaga – Die Straße ohne Sonne (1931) - linke-buecher.net
Sunao Tokunaga – Die Straße ohne Sonne (1931) - linke-buecher.net
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>Die</strong> verschmähte Kellnerin ging schlechtgelaunt das Gewünschte zu holen Der Gast plauderte<br />
oberflächlich und trank den Wein, der ihm gar nicht schmeckte. Dazwischen beobachtete er<br />
scharf und genau durch einen Spalt zwischen den Vorhängen die Vorgänge unten auf dem<br />
Platz. Als die Kellnerin einen Augenblick auf die Toilette ging, nahm der Gast Handschuhe<br />
aus der Tasche und zog sie sich über die Hände. An seinem Daumen und am Handgelenk<br />
klebte Blut. Der Gast war Nakai.<br />
" Sag mal, habt ihr Telephon?" fragte er wie nebenher, als sie zurückkam. <strong>Die</strong> Frau zeigte auf<br />
das Telephon in der Ecke des Zimmers. Er ging an den Apparat und telephonierte mit<br />
Watamasa, der in der ersten Etage des Restaurants Kanarienvogel auf seinen Anruf wartete.<br />
Nachdem er fünf Minuten gesprochen hatte, hängte er den Hörer an und sagte wie ganz<br />
betrunken zu der Kellnerin: "Alles erledigt; gehen wir schlafen."<br />
<strong>Die</strong> Frau staunte über die Unverblümtheit des Gastes und entgeg<strong>net</strong>e: "Hier ist doch kein<br />
Gasthof!"<br />
Nakai vertrug nicht viel Wein, er stieg ihm gleich in den Kopf, aber er wurde doch nicht<br />
betrunken. Watamasa hatte ihn am Telephon, nachdem sie einige Worte gewechselt hatten,<br />
gewarnt, er solle vorsichtig sein.<br />
Jetzt hatte er Frauen und Cafe nicht mehr nötig, außerdem hatte er gegessen.<br />
" Also, dann nicht. " Er warf seinen Geldbeutel der Frau hin und stieg die Treppe hinunter.<br />
Ruhig wie nach einem Sturm ging Nakai, einen Zahnstocher zwischen den Zähnen und leicht<br />
schwankend zur <strong>Straße</strong>nbahn.<br />
WUNDEN<br />
I. Spaltung<br />
Am nächsten Morgen. Durch den schmutzigen Schnee glichen <strong>Straße</strong>n, ... Uferdamm, Platz,<br />
Bergabhang, der Eingang des Polizeiamtes, den Gesichtern der Dirnen, wenn sie am<br />
Nachmittag erwachen. Als die letzten wimmelnden Ameisen aus der Vorstadt Oji vertrieben<br />
waren, war es bereits ein Uhr; bald darauf begann es zu schneien. Während der ganzen Zeit,<br />
bis endlich die schwache Wintersonne den zertretenen Schnee gelb färbte, war in dem<br />
Eingang des Oji-Polizeiamtes ein ruhiges Kommen und Gehen von Uniformen und<br />
Zivilbeamten. Zerbrochene Gewerkschaftsfahnen - mit schwarzer, klebriger Kruste behaftete<br />
Fahnenspitzen; viele Hüte und Mützen, zerbrochene Regenschirme, Stangen, blutgefärbte<br />
Taschentücher, Schals, Arbeitskittel... Das alles lag als Beweismaterial auf dem Tisch der<br />
politischen Polizei in der ersten Etage, weit genug von dem Lärm auf den unteren Korridoren.<br />
Der Chef der politischen Polizei, der Dezernent für Arbeiterfragen und der Chef der<br />
Kriminalabteilung unterhielten sich mit dem Vorsteher des Reviers, der einen Verband um<br />
den Kopf trug. "Hum, das ist ja allerhand", brummte der Chef, "haben Sie schon die<br />
Rädelsführer verhaftet?"<br />
Der politische Chef erinnerte an den Brand der Polizei-Schilderhäuser (Anm.: 1917 gab es<br />
anläßlich einer willkürlichen Erhöhung der <strong>Straße</strong>nbahntarife in Tokio <strong>Straße</strong>nrevolten, bei<br />
denen sämtliche Schilderhäuser der Polizei verbrannt wurden.). "Ja. wir sind gerade bei der<br />
Vernehmung .... aber es sind schon mehrere hundert Verhaftete."<br />
Der Reviervorsteher zwinkerte mit seinen rotgeränderten Augen unter dem Verband hervor.<br />
69