Sunao Tokunaga – Die Straße ohne Sonne (1931) - linke-buecher.net
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war auch der Berg unter schwarzen Massen begraben. Jetzt kam das Geknatter eines<br />
Motorrades aus einer der <strong>Straße</strong>n, die Bew<strong>ohne</strong>r sammelten sich aufgeregt flüsternd vor den<br />
Ladentüren: <strong>Die</strong> Kundgebung ist zu Ende - jetzt kommt der Polizeileutnant! Das scharfe<br />
Knattern kam näher. Der Polizeileutnant in blitzender Uniform, den Säbel zwischen den<br />
Beinen, saß mit vorgereckter Brust in dem Beiwagen der Maschine.<br />
" Jetzt kommen die Leute aus der Kundgebung. "<br />
Vier oder fünf Gewerkschaftsfahnen mit blanken glänzenden Fahnenspitzen kamen in der<br />
drängenden Menschenmenge näher. <strong>Die</strong> Massen schrien zornig - nein, sie sangen, aber man<br />
verstand die Worte nicht, weil es zuviele waren und mit ihren schrillen Stimmen, wie das<br />
Pfeifen der tausend sausenden Treibriemen in der Fabrik, auseinandergerissen wurden. - In<br />
diesem Augenblick erlosch auf einen Schlag alles elektrische Licht in diesem Stadtteil. "Eine<br />
Störung!"<br />
Nur die Sterne brannten an dem kalten, dunklen Himmel. In den finsteren <strong>Straße</strong>n schrien<br />
verwirrt und aufgeregt die Anw<strong>ohne</strong>r - was hatte das zu bedeuten? Aber die Fahnen<br />
marschierten unbeirrt weiter. In der Nähe des Fabriktors beschleunigten die Massen ihre<br />
Schritte und bald begannen sie zu laufen. <strong>Die</strong> Massen wurden dichter und größer, von den<br />
Ecken der <strong>Straße</strong>n, unter den Dächern der Häuser hervor drangen die schwarzen Schatten in<br />
die Dunkelheit des Platzes und ballten sich vor der Fabrik zusammen, dunkle, rote Fahnen<br />
schwammen über den ersten Reihen. Sie überschwemmten den ganzen Platz und verjagten<br />
alles mit ihrem Lärm.<br />
Auf dem Berg hinter der Fabrik funktelten aus den schwarzen Schatten lauernde Augen in die<br />
Tiefe. Unter ihnen lag die wie ein Panzerschiff bestückte Fabrik und streckte ihren<br />
Eisenbetonbauch auf dem Grunde der Finsternis. Dort, wo man die Fabrik fast mit Händen<br />
greifen konnte, standen die großen Schornsteine wie Dämonen und wirkten noch düsterer,<br />
weil sie keinen Rauch ausspien. <strong>Die</strong> Mauer, hoch und dick, wie von einem Gefängnis, begann<br />
unten am Berg, zog sich über die <strong>Straße</strong> bis an das Ufer, wo die Wellen des Ojikawa in der<br />
Finsternis leuchteten.<br />
<strong>Die</strong> Mauer hob und senkte sich gleich der "chinesischen Mauer" bis an den Fluß. "Wo ist das<br />
Hintertor?"<br />
Unterhalb des Berges lagen die sägeförmigen Dächer der Fabrikgebäude mit<br />
festverschlossenen Eisentoren. Ihren Mittelpunkt bildete das spitze, kegelförmige Dach der<br />
großen Filteranlage. Von dort aus liefen sternförmig die einzelnen Fabrikgebäude.<br />
<strong>Die</strong> schwarzen Schatten starrten schweigend auf die riesige Bestie und hielten den Atem an.<br />
Fünf Minuten - zehn Minuten - plötzlich sprang ein Schatten auf die Mauer neben dem<br />
Haupttor und schwenkte eine Fahne. Das dunkle Fahnentuch flatterte in der Finsternis wie<br />
eine riesige Fledermaus. Da - ein Schrei stieg auf - ein großes Geräusch, wie ein Bergsturz<br />
rollend, flog brausend um die Fabrik, brandete gegen den Berg, schwoll wieder zurück, hin<br />
über den Fluß Ojikawa und erfüllte die ganze Vorstadt, donnernd brauste es unter dem<br />
Nachthimmel. Bäume umreißend das Gras zerstampfend, rollten die Menschenmassen wie<br />
eine Lawine herab - hunderte - tausende - zehntausende drückten gegen die Mauer, kletterten<br />
auf die Gitter, die Tore, krochen wie Ameisen auf die Mauer <strong>Die</strong> Mauer war in ihren ganzen<br />
Länge von den schwarzen Schatten umspült. <strong>Die</strong> Augen funkelten. Wie vom Teufel besessen<br />
stürmten die untenstehenden über die sich den Berg hinabziehende Mauer. Das Getös wurde<br />
zum Sturm, der die Stille der Nachtdurchbrach, der die Fabrik mit der Schnelligkeit des<br />
elektrischen Funkens umraste und stoßweise, wie ein Taifun, heulte. <strong>Die</strong> Finsternis war<br />
erschüttert und zerrissen; auf der Höhe der Betonmauer wirbelten und tobten die Fahnen. Es<br />
war ein Vulkan, der plötzlich kochende Wassermassen emporwirft.<br />
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