Sunao Tokunaga – Die Straße ohne Sonne (1931) - linke-buecher.net
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Quijote auf seiner fernen Insel (Anm.: So im Original. Der berühmte Roman des Cervantes ist<br />
das meistgelesene europäische Buch in Japan.).<br />
<strong>Die</strong> riesige Fabrik steht mitten in der Stadt wie eine Burg, wie ein Schloß auf dem Berge.<br />
Man baut ein Polizeiamt und auf den früheren Reisfeldern unterhalb des Dammes am<br />
Wasserfeld, werden aus alten abgetakelten Güterwagen Baracken erbaut, um für das<br />
zerbrechliste Rohmaterial der Fabrik, den Menschen, Schlafstellen zu liefern. Das lärmende<br />
Geheul der Sirenen weckt die Menschen und treibt alle aus den Wohnlöchern, mit Ausnahme<br />
der Nachtmädchen, die gespenstisch geschminkt in ihren Betten bleiben. Der schwarze Rauch<br />
aus dem größten Schornstein verdunkelt selbst die <strong>Sonne</strong> und die Ketten der Kräne lassen die<br />
öligen Wasserflächen erzittern. <strong>Die</strong> rotglühenden Kessel winden sich wie Fieberkranke im<br />
Schüttern der Fabrik.<br />
<strong>Die</strong> größte Autorität in einer solchen Fabrikstadt haben der absolutistisch schaltende<br />
Polizeipräsident und die Sozialpolitiker: Stadtverord<strong>net</strong>e und Missionare, lammfromm wie<br />
Bräute; der buddhistische Priester dumm wie ein Stein; der Arzt mit seiner albernen<br />
Liebenswürdigkeit. Um das gemeinsame Ziel aller hier zusammenwirkenden Kräfte zu<br />
fördern, gibt es billigen Reis, Wein und Scharen billiger Frauen. Das sind die Fabrikviertel,<br />
die Lungen der Großstadt. Sieben Stockwerke hohe Gebäude werfen riesige Schatten auf das<br />
Pflaster. In den Villen der Reichen, den großen Kaufhäusern, die die Mode ausspeien, unter<br />
der Kuppel des Reichstages, in den Tanzsälen der großen Hotels, den Theatern und Music-<br />
Halls, in den Palästen der großen Banken im europäischen Renaissancestil pulst das Blut, das<br />
die Vorstädte speisen.<br />
In gelbbraunen Lederkoffern wird dieses Blut als vornehmste Habe in der Zentrale in<br />
Sicherheit gebracht - zur Bank, in die Wechselstuben, Börsen, Kaufhäuser, Theater, Bars,<br />
vornehmen Restaurants, Tanzhallen und so weiter.<br />
Ein kluger bürgerlicher Politiker hat im Reichstag vorgeschlagen, alle Fabriken aus der Stadt<br />
zu verlegen.<br />
" Eine bequeme Wohnung muß immer in Ordnung sein. Küchen, <strong>Die</strong>nerkammern und Aborte<br />
werden immer so angelegt, daß sie die Stimmung der Hausbew<strong>ohne</strong>r nicht stören. Das ist<br />
nicht nur nützlich und nicht nur um äußerer Schönheit willen, sondern weil man dadurch auch<br />
von Lärm und Gestank befreit wird; vom hygienischen Standpunkt aus ist es ein unbedingtes<br />
Erfordernis. "<br />
Der Reichstag nahm diesen "Vorschlag zur Güte" einstimmig an. <strong>Die</strong> "<strong>Straße</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Sonne</strong>" im<br />
Kotshikawabezirk würde danach das Schicksal haben, zwei Meilen weit fortgejagt zu werden.<br />
Jetzt, wo Tokio von fortschrittlichen Kapitalisten Europas und Amerikas besucht wird, darf<br />
eine solch schmutzige Gasse nicht mehr mitten in der Stadt bleiben. Zudem war das<br />
"malerische Waldtal", das der Kronprinz beim Besuch des Seminars entdeckt hatte, eine<br />
besondere Sehenswürdigkeit der Stadt. Solch ein Schmutzfleck ist im schönen Tokio eine<br />
Ausnahme. Deshalb sollte diese "<strong>Straße</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Sonne</strong>" schon in nächster Zukunft mit ihren<br />
Barackenreihen nach außerhalb wandern, um' das Ansehen der Großstadt nicht zu stören.<br />
Es trägt doch wirklich auch nicht zur "allgemeinen Harmonie" bei, wenn auf dem schönen<br />
Pflaster die Lastwagen fahren, in den Wartesälen der großen Banken die blauen<br />
Arbeiterblusen sitzen, auf dem Parkett der Tanzahallen die Arbeiterinnen tanzen, in den<br />
großen Schaufenstern der Kaufhäuser Essenkästen aus Aluminium, blaue Arbeitshosen und<br />
gestrickte wollene Unterröcke ausgestellt werden!<br />
Erst wenn die neuen Typen von Citroen, Buick und Nash auf dem staubfreien Asphalt fahren,<br />
wenn gut manikürte Hände aus Pelzärmeln heraus im Scheckbuch blättern, wenn die Damen<br />
in schönen, glänzenden Kostümen ihre schlanken Rundungen tanzen lassen, wenn die<br />
kostbaren, zarten Gewege mit noch kostbareren Edelsteinen geschmückt werden -dann erst<br />
wird die Stadt in ihrem richtigen Lichte glänzen. Ja, nur dafür existiert die ganze<br />
kapitalistische Kultur, ihr System, dazu haben ihre Abgeord<strong>net</strong>en ihre Gesetze geschaffen.<br />
Funken fliegen!<br />
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