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Sunao Tokunaga – Die Straße ohne Sonne (1931) - linke-buecher.net

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Hagimura erhob sich vom Bett und rief erstaunt, seine vom Schlaf geschwollenen Augen<br />

krampfhaft aufgerissen: "Aha, du bist wieder da!" Er hatte von ihrer Verhaftung gehört. "Was<br />

macht Kayo-tjan?"<br />

Takae kniete an seinem Bett nieder und berichtete kurz das Vorgefallene.<br />

" Alles wäre nicht so schlimm, wenn meine Schwester nicht in diesem Zustand wäre - aber du<br />

weißt doch. Und deshalb komme ich um Rat zu dir. "<br />

Hagimura drehte sich unter den Decken herum. Erst vor noch nicht zwei Stunden hatte er sich<br />

schlafen gelegt; er war in der Frühe von einer Sitzung der höchsten Streikleitung nach Hause<br />

gekommen. Er kannte einen jungen Rechtsanwalt, der als Sekretär aktiv in der Arbeiter-und<br />

Bauernpartei arbeitete und schlug vor, jetzt gleich zu ihm hinzugehen. "Aber Moment mal",<br />

brummte er und blinzelte Takae an, aber sie verstand nicht, was er meinte.<br />

" Nach der anderen Seite sehen - ich muß doch aufstehen." Takae wurde verlegener als<br />

Hagimura - was war sie für eine dumme Frau. Sie trat rasch an die Tür, senkte den Kopf und<br />

spürte den Geruch des hinter ihr aufstehenden Mannes. Als er schnell Anzug und Mantel<br />

angezogen hatte, sah sie wieder zu ihm hin und sagte: "Siehst du, ich bin so eine dumme Frau.<br />

"<br />

Sie stiegen den Haksuanabhang hinauf und kamen in die Nishikatastraße. Mit dem Rücken<br />

zur <strong>Straße</strong>nbahn standen oben am Abhang die großen Villen.<br />

" Taka-tjan, diese <strong>Straße</strong> herunter, das große Eckhaus dahinten gehört auch dem Okawa",<br />

erklärte Haigumura und wies mit dem Kinn in die Richtung. Da stand drohend das schwarze<br />

Tor, wie bei einem Schloß aus der Feudalzeit. Um den Spitzeln, die sicher vor dem Haustor<br />

des Direktors herumstanden, nicht aufzufallen, bogen sie vor dem Hause zur<br />

<strong>Straße</strong>nbahnstraße ab.<br />

Während sie die hohe Mauer aus künstlichem Stein entlanggingen, mußte Takae die Enden<br />

ihres Schals festhalten, um mit schnellen Schritten dem vorauseilenden Manne folgen zu<br />

können.<br />

" Hoppla!" Plötzlich blieb sie sehen, von irgendwoher kam ein roter Ball geflogen, prallte<br />

gegen ihr Bein und rollte in den Graben unter- halb der Mauer.<br />

" Bitte, geben Sie mir meinen Ball" bat von der Tür her ein hübsches Mädchen, das den Ball<br />

geworfen hatte. <strong>Die</strong> Kleine war etwa sechs Jahre alt und trug eine Pony-Frisur auf ihrem<br />

wohlgenährten Köpfchen. Sie wiederholte:<br />

" Fräulein, geben Sie mir den Ball. "<br />

Der hübsche kleine Mund befahl. - Zweifellos gehörte diese Hintertür zum Hause Okawas -<br />

dann war also dieses Mädchen sicher ein Kind oder Enkelkind von Okawa. Takae trat näher<br />

heran und sah eindringlich auf das hochmütige Kind, das mit erhobenem Arm befehlend auf<br />

den Ball wies. Aber als es dem eiskalten Blick Takaes begeg<strong>net</strong>e, zog es rasch seine Hand<br />

zurück, als hätte es einen elektrischen Schlag bekommen und sein Gesicht verfärbte sich.<br />

Da kam ein Kindermädchen; Takae zwang sich mit Gewalt höflich und lächelte das Kind an.<br />

Das Kinderfräulein stand hinter dem Mädchen, das endlich wieder guter Laune war, und<br />

nickte.<br />

" Wie heißt du? - Fräulein Eisuko? - Du kannst aber schon gut deinen Namen sagen. "<br />

Takae sagte das so fließend, daß sie selbst darüber erstaunte. Sie streichelte das Kind und eilte<br />

Hagimura nach, der vorausgegangen war und auf sie wartete. "Was war denn da los?" Sie war<br />

vom schnellen Laufen außer Atem.<br />

" Das Mädchen war Okawas Enkelkind", erklärte sie und wies nach rückwärts auf die<br />

Hintertür, an der das kleine Mädchen immer noch stand und den beiden nachsah. "Ach so, das<br />

ist also Okawas einzigster Schatz!"<br />

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