Sunao Tokunaga – Die Straße ohne Sonne (1931) - linke-buecher.net
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" Was heißt liebes Kind. - Was heißt Gleichheit der Menschheit! Wenn du wissen willst, was<br />
Ungleichheit ist, dann vergleiche deine Kleider und unsere, wenn wir beide gleich sind, dann<br />
laß uns unsere Lumpen tauschen."<br />
" Wie die Wilden!" drehte sich die Dame mit der japanischen Frisur um, die von den andern<br />
getrennt, sich kaum am Grabenrand halten konnte.<br />
" Wer ist wilder, ihr oder wir? <strong>Die</strong>se frechen Weiber - Ihr seid hierher gekommen, um uns<br />
uneinig zu machen, ihr Füchse, ihr steckt euch hinter die Maske von Buddha, das soll euch<br />
nicht glücken, ihr Spitzel der Gesellschaft!"<br />
Auch die anderen Frauen, die von dem Kitzel wieder zu sich gekommen waren, fanden ihren<br />
Mut wieder.<br />
" Was, Spitzel der Gesellschaft?" schrie Frau Gentjan laut. "Hallo, kommt mal alle her, hier<br />
wollen uns Fabrikspitzel in die Enge treiben!"<br />
Jetzt hatten die drei Damen ihren ganzen Mut verloren. Das Geschrei der Frauen lockte aus<br />
allen Kasernen Frauen, Kinder und alte Männer herbei.<br />
" Was für Fabrikspitzel?" "Werft sie in den Graben!"<br />
<strong>Die</strong> Damen waren in großer Angst über die Holzbrücke geflohen und hatten sich ihre Kleider<br />
zerrissen. Frau Kiko hob einen noch brennenden Bambusreifen hoch und schrie ihnen nach:<br />
"Kommt vorgestern wieder - ihr Giftgas!"<br />
Aber diese frommen buddhistischen Damen erschienen hartnäckig am nächsten Morgen<br />
wieder in dieser <strong>Straße</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Sonne</strong>. <strong>Die</strong>smal standen sie vor der Tür der Frauenabteilung der<br />
Gewerkschaft. "Ich möchte gern die Frauenleiterin sprechen, ist sie anwesend?" fragte die<br />
europäisch gekleidete sehr höflich.<br />
Ogin-tjan, die zufällig in der Auskunft saß, las die Visitenkarte, hielt ihren Kopf schief und<br />
antwortete:<br />
" Nein, sie ist nicht zu Hause, aber wenn sie auch zu Hause wäre, sie würde nicht mit Ihnen<br />
sprechen."<br />
<strong>Die</strong>se wenig liebenswürdige Antwort war deutlich genug, die Damen sahen sich an, und die<br />
eine fragte noch einmal:<br />
" Ich weiß natürlich, daß sie sehr beschäftigt ist, aber nur fünf Minuten Hartnäckig wollten sie<br />
sich nicht aus der Tür drängen lassen. Da schrie Ogin-tjan und lies den Staub, der auf dem<br />
Tisch lag, auf die Damen:<br />
" <strong>Die</strong> Frauenleiterin und die Schwestern sind nicht hier. Wenn Sie sie so dringend sehen<br />
wollen, dann gehen Sie zum Polizeiamt, sie sind alle schon zwei Tage in Haft und werden<br />
dort gequält!"<br />
IV. Vorposten<br />
Der kranke, alte Vater konnte nicht schlafen. Als die Dämmerung kam, hörte er die<br />
Hagelkörner gegen die Holztür trommeln, auf das Blechdach und auf die treibenden<br />
Eisschollen des Senkawa-Kanals. <strong>Die</strong> Baracke wurde jetzt einsam und still, nicht einmal die<br />
Schreie der Kinder waren mehr zu hören. Das Reißen in seinen Gelenken wurde durch die<br />
Kälte noch ärger, er umklammerte krampfhaft die Kissen, um die Schmerzen zu lindern.<br />
Große Tränen standen ihm auf den Backen. "<strong>Die</strong> verfluchte Hexe!"<br />
Der Alte meinte immer noch, Takae trage an allem schuld, auch an der Verhaftung dieser<br />
<strong>net</strong>ten schüchternen Okayo. Seit sich die Gewerkschaft in der Fabrik eingerichtet hat,<br />
opponierte die Älteste immer heftiger gegen die Meinung ihres Vaters - sie, die bis dahin so<br />
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