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Sunao Tokunaga – Die Straße ohne Sonne (1931) - linke-buecher.net

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kamen die Streikenden jeden Morgen um sieben Uhr zum Appell. Das Lokal der dritten<br />

Streikgruppe, zu der Okayo gehörte, war vom Emme-intempel in Kotshikawa nach einem<br />

Kabarett-lokal in Janagimathi und dann zum Gume-ijitempel gewandert, zuletzt war die<br />

Gruppe wieder in den Shime-Saalbau im Honko-Bezirk eingezogen. Jede Streikgruppe wurde<br />

von einem oder zwei Gruppenleitern geführt, und alle Angelegenheiten wurden im<br />

Gruppenkomitee beschlossen. In den Gruppen gab es eine eigene, autonome<br />

Rechtssprechung. Außerdem gab es noch Streikgruppenzellen, die zur S-Abteilung gehörten<br />

und von der höchsten Streikleitung zusammengesetzt wurden. Sie hatten alle Abweichungen<br />

in den Streikgruppen aufzuklären und außerdem die verschiedenen Aktionen durchzuführen.<br />

Jede Gruppe umfaßte ungefähr 300 bis 400 Mitglieder und stellte einen sozialen Organismus<br />

dar, dessen Mitglieder sich gegenseitig in ihrer Not halfen; selbst die Konflikte der Eheleute<br />

wurden von einem Gruppengericht geschlichtet. Dort war man entweder ganz radikal oder<br />

ganz konservativ, aber immer wieder offenbarte sich doch die Fähigkeit zu klarster Kritik.<br />

Rund um die Gruppenkomitees waren die Meinungen in ständiger Bewegung. <strong>Die</strong> Meinungen<br />

beherrschten die ganze Atmosphäre der Gruppen trotz aller Gefahren. <strong>Die</strong> Befehle der<br />

höchsten Streikleitung mußten sich oft erst der öffentlichen Gruppenmeinung anpassen. Aber<br />

diese öffentliche Meinung wurde zeitweilig durch Gerüchte beeinflußt, die von der<br />

Gesellschaft und der Gegenpropaganda der Spione ausgestreut wurden. <strong>Die</strong> Genossen<br />

verloren die Siegeszuversicht und die ganze Gruppe wurde verwirrt; doch diese Fälle waren<br />

selten. In der Hitze des Kampfes erregte sich diese öffentliche Meinung derart, daß jeden<br />

Augenblick die Explosion erfolgen konnte - wie bei Lokomotiven, die bis an den Hals Kohlen<br />

geschluckt haben.<br />

<strong>Die</strong> Spitzel der Gesellschaft bewiesen manchmal eine solche Geschicklichkeit und Frechheit,<br />

daß sie den scharfen, durchdringenden Augen der Gruppenzellenleitung entgehen konnten.<br />

Sie schmuggelten sich in wichtige Funktionen der Streikgruppen, fälschten Befehle der<br />

höchsten Streikleitung und versuchten verschiedentlich, gefährliche Pläne durchzuführen, um<br />

damit eine ganze Gruppe auf einmal zu vernichten. <strong>Die</strong> Gruppe war auch die Familie der<br />

Streikenden. Sie säuberten des Morgens ihr Lokal, ord<strong>net</strong>en die Garderobe und gaben alle<br />

wertvollen Gegenstände einem dazu bestimmten Genossen in Obhut. <strong>Die</strong> Arbeiter, die im<br />

Augenblick <strong>ohne</strong> besondere Funktionen waren, sorgten für Unterhaltung und spielten "ihr<br />

Theater". Sie waren alle gute Schauspieler und gute Kritiker. Mittags kam die<br />

Verpflegungsabteilung mit Reisklößen und verteilte den Tee. Das armselige Posium war<br />

Diskussionstribüne und feierlicher Richtertisch, gleichzeitig aber auch die Bühne für ihre<br />

Schauspiele.<br />

Da geschah es wohl manchmal, daß über die Liebesgeschichte zweier Streikenden hergezogen<br />

wurde - aber von Tag zu Tag häuften sich die Berichte über die elende Lage der Streikenden<br />

und ließen alle Anwesenden ernst werden. <strong>Die</strong> Spitzel schmuggelten sich immer häufiger in<br />

die wichtigsten Stellen, immer unverhüllter bedrohte die uniformierte Polizei die Frauen und<br />

Kinder und versuchte sie von den Lokalen fortzujagen. Gerüchte flogen immer öfter herum<br />

und schnürten die Kehlen der Gruppen zusammen. Um die Gruppen noch fester<br />

zusammenzuschweißen spannten die Gruppenzellen alle Kräfte an. Ein Bote, der vor dem<br />

Eingang des Lokals sein Rad abstellte, sprang zum Gruppenkomitee.<br />

" Hallo, habt ihr heute morgen um 10 Uhr Auftrag gegeben, daß ihr zehn Abwehrmänner<br />

haben wollt?"<br />

Das Gesicht des Jungen in Mütze und Kittel war von der rasenden Fahrt gerötet. <strong>Die</strong><br />

Komiteeleute antworteten augenblicklich, <strong>ohne</strong> erst ihre Akten einzusehen:<br />

" Nein, wir nicht, wir hatten überhaupt keinen Bedarf daran. " Der Bote fragte schnell noch<br />

einmal:<br />

" Aber, Genosse Wakabajashi, dein Name stand darunter und der Stempel."<br />

Der Bemützte fragte dringend und rieb sich seine erstarrten Hände. <strong>Die</strong> Genossen sagten wie<br />

aus einem Munde:<br />

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