Sunao Tokunaga – Die Straße ohne Sonne (1931) - linke-buecher.net
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Selbst bei solchen Gelegenheiten blieb Nakai immer ernst. Sein "langer Frühlingstag" war<br />
leicht bewölkt. Am ähnlichsten war ihm Minayama, der Direktor der Technik-Druckerei.<br />
" Wir sind im selben Stall", hatte gestern Yamamoto gescherzt und mit seiner hohen Stimme<br />
dazu gelacht, als die Arbeiter in einer Sitzung mit den Leuten vom Schlichtungsausschuß<br />
zusammen waren und Minayama mit seinem langen Gesicht die verspätete Antwort der<br />
Gesellschaft entschuldigte.<br />
" Aber was machen wir jetzt?" fragte Takagi wieder ernst. <strong>Die</strong> Leute vom<br />
Schlichtungsausschuß hatten sie hierher eingeladen, aber die Antwort von der Gesellschaft<br />
war noch nicht gekommen. In der Dämmerung wurden sie abermals benachrichtigt und auf 10<br />
Uhr vormittags vertröstet.<br />
" Jetzt ist es schon 9 Uhr, wollen wir den dritten Vorschlag der Schiedsmänner bewilligen und<br />
bis 10 Uhr warten, oder wollen wir fortgehen? Wir wollen jetzt darüber abstimmen."<br />
Kamei stand auf und beobachtete die Umgebung. <strong>Die</strong> Frage lag an und für sich sehr einfach,<br />
aber dahinter versteckte sich ein Schachzug der bürgerlichen Vermittler. <strong>Die</strong> Arbeiter wurden<br />
unruhig, weil sie sich dieser bürgerlichen Diplomatie nicht gewachsen fühlten. Sie mußten<br />
sich in jedem Falle erst zurückziehen und von ihren Grundsätzen aus eine Taktik aufbauen.<br />
" Halt, einen Moment!" schrie Kamei, der bemerkt hatte, daß in den nächsten Büschen sich<br />
etwas bewegte. Alle sahen sich um: es war ein Junge in der Uniform eines Schülers - "ein<br />
Telegramm" - er schob Takagi ein Stückchen Papier hin. Es war ein Bote vom<br />
Gewerkschaftsbüro. Takagi öff<strong>net</strong>e das Kuvert und las: "ein Uhr nachmittags eintreffe<br />
bahnhof tokio oda."<br />
Das Papier ging von Hand zu Hand und auf die vertrock<strong>net</strong>en Gesichter kam ein Lächeln.<br />
"Wir wollen nah Hause gehen. " Das Telegramm war von der Generalleitung der<br />
Gewerkschaft in Osaka:<br />
Oda, der Vorsitzende des Z.K. der Gewerkschaft, würde heute in Tokio eintreffen.<br />
" Also dann wollen wir in der Frage unseres Verhaltens gegen den Schlichtungsausschuß<br />
erstmal mit dem Genossen Oda diskutieren. Und jetzt wollen wir heimgehen. "<br />
Nakai nickte schweigend; er sprach nur sehr selten, seine Meinung über den<br />
Schlichtungsausschuß war das Resultat klarer Überlegungen, aber er machte seinen Mund<br />
nicht eher auf, als er seiner Ansicht ganz sicher war.<br />
<strong>Die</strong>ser Mann mit dem langen Gesicht war der Verbindungsmann von der ersten Etage des<br />
Restaurants "Kanarienvogel" mit der offiziellen Organisation der Streikenden.<br />
" <strong>Die</strong> Arbeiter, von diesem heiligen Ort erlöst, rannten wie die übermütigen Kinder den<br />
Abhang hinab und verschwanden im Schatten der Sträucher. Bald erschienen sie wieder am<br />
Haupteingang des Gartens, von den liebenswürdigen Blicken Ynoshitas und Minayamas, die<br />
auf der Veranda des Hauses standen, begleitet.<br />
"Sind die Arbeiter schon fortgegangen?" fragte Herr Kunio, als Ynoshita und Minayama in<br />
den Saal zurückkamen. <strong>Die</strong>ser ganz japanisch eingerichtete Saal war ungefähr sechzig<br />
Quadratmeter groß. Kostbare Intarsien in der oberen Wand und die Maserung der Holzdecke<br />
gaben dem Raum eine große Ruhe und Würde. Am Griff der zwei Meter hohen Papiertür<br />
hingen große rote Quasten, sie erinnerten an die Entstehung dieses Hauses, das vor etwa<br />
sechzig Jahren einem reichen Fürsten gehört hatte. Herr Kunio saß dick und würdevoll auf<br />
weichen lila Kissen aus Chinaseide. Im Saal waren außer ihm, Ynoshita und Minayama noch<br />
sechs oder sieben Leute. Ynoshita sagte, als er an seinen Platz ging:<br />
" Na, die Arbeiter sind sehr ungeduldig. Aber darf ich Sie fragen, meine Herrschaften, ob sie<br />
gut geruht haben?"<br />
<strong>Die</strong> Leute im Saale dachten alle, daß einem nicht ausgeruhten Gaumen ni:hts gut schmecken<br />
kann.<br />
" Ach, schrecklich, ich habe nur wenig geschlafen, und mein Schnupfen geht nicht weg",<br />
entgeg<strong>net</strong>e Herr Kunio mit seinem Konterbaß. Er mußte husten, und sein zwanzig Zoll breiter<br />
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