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Sunao Tokunaga – Die Straße ohne Sonne (1931) - linke-buecher.net

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Im Zimmer waren fünf Männer, der junge Tomitjan, der für die Streikleitung Kurierdienste<br />

tat, hatte eben eine Extraausgabe von draußen hereingeholt.<br />

" Was soll das bedeuten?" fragte der <strong>net</strong>te, intelligent aussehende Junge eifrig. Er war<br />

Schriftsetzer.<br />

" <strong>Die</strong> prinzipielle Schuld trägt natürlich das Großkapital. Selbstverständlich gibt es<br />

Ausnahmen. Den ersten Stoß gab die Krise in Handel und Industrie, das heißt die<br />

Überproduktion, und die unmittelbare Ursache des katastrophalen Bankrotts war, daß die<br />

Großen ihren Beutel zusperrten", erklärte Yatsuo, das Extrablatt auf den<br />

übereinandergeschlagenen Beinen. <strong>Die</strong>ser Mann mit dem vollen, fast weiblichen Gesicht und<br />

der hohen Stimme war einer der tapfersten Kämpfer in der Leitung des Gewerkschaftsrates<br />

der Provinz Kanto. Es war so still im Zimmer, daß man hätte glauben können, es sei schon<br />

spät am Abend. Das Zimmer lag in der ersten Etage, ein Reklameschild des Restaurants<br />

verdeckte das Fenster gegen die <strong>Straße</strong> hin, auf der die elektrischen Bahnen vorbeiratterten.<br />

Gegenüber dem Fenster war in der Wand ein schmaler Durchlaß. Durch einen kleinen<br />

Eingang kam man vom Zimmer über eine schmale Treppe und durch die Hintertür des<br />

Restaurants ganz unerwartet auf einen alten Friedhof mit einem Buddha-Tempel, durch eine<br />

andere kleine Papiertür konnte man in ein kleines Zimmer des im Erdgeschoß liegenden<br />

Restaurants gelangen.<br />

Sagen wir also ruhig, daß dieser etwa vier Quadratmeter große Raum, dessen einziger<br />

Schmuck ein paar schlechte Ölbilder waren, eben jener Raum war, in dem der Besitzer des<br />

Restaurants seine Mädchen ihre besonderen Einnahmen machen ließ.<br />

<strong>Die</strong> Gesichter aber, die man jetzt in diesem Raum sehen konnte, paßten nicht zu diesen<br />

Dingen und gaben dem ganzen Zimmer ein groteskes Aussehen.<br />

Wollte man hierher, war es geboten, sich an der Mauer des Friedhofes oder beim Eingang des<br />

Restaurants des öfteren umzusehen, ob einem niemand auf der Spur sei; deshalb wurde auch<br />

in dieser Kammer nur leise gesprochen. Von der Existenz dieses Zimmers wußten überhaupt<br />

nur ganz zuverlässige Leute.<br />

Nakai und Watamasa saßen sich an einem kleinen Tisch gegenüber und zeich<strong>net</strong>en<br />

ungeschickt an einer Landkarte. "Sag mal, wer wird deiner Meinung nach das nächste<br />

Kabi<strong>net</strong>t bilden?" fragte Yatsuo plötzlich Watamasa. "Ja, das wäre zu überlegen. "<br />

Watamasa hob den Kopf und sah den andern an. Er mochte an die dreißig sein, hatte ein<br />

spitzes, vorgeschobenes Kinn, einen gestutzten Schnurrbart und war sehr mager. Tiefe Falten<br />

in der Stirn machten ihn älter als er war, aber alle seine Bewegungen verrieten rücksichtslose<br />

Energie. Er trug japanische Kleider mit schmalen Ärmeln. "Ich denke Sibirien.. ." "Du also<br />

auch -?"<br />

<strong>Die</strong> Person, die in ihrem Kreise den Spitznamen "Sibirien" trug, war natürlich General<br />

Tanaka, der Vorsitzende der Sejukaipartei (Anm.: Militärpartei, vgl. Nachwort) der, wie<br />

jedermann wußte, die Verantwortung für die Militärexpedition nach Sibirien trug und<br />

Mittelpunkt der Korruptionsaffäre in der Armee war. "Ich denke auch", hob Nakai -<br />

scherzhaft "der lange Frühlingstag" genannt - seinen langen Pferdekopf vom Tisch auf. Seit<br />

Beginn des Streiks der Daido-Drucker hatte noch niemand von den Streikenden dieses<br />

Dreigestirn in der Leitung des Gewerkschaftsrats auch nur auf einen Augenblick zu Gesicht<br />

bekommen. Über einen Monat lebten sie schon in dieser kleinen Kammer im<br />

Verwaltungsbezirk Kotshikawa. Nur sehr wenige wußten davon, und man warf ihnen bereits<br />

vor, ihrer Sache untreu geworden zu sein. "Wenn es 'Sibirien' wird, dann gibts was", brummte<br />

Watamasa und beugte sich wieder über seine Karte.<br />

" Ha, ha," Yatsuo lachte grimmig, wie immer, wenn er auf einen besonders gefährlichen<br />

Gegner traf.<br />

In diesem Augenblick klopfte es an die Tür - dreimal, das verabredete Geheimzeichen.<br />

" Herein", sagte Yatsuo. Ein weiterer Kurier, der geschlafen hatte, richtete sich auf und<br />

schlang die Arme um die Knie. Hagimura trat herein.<br />

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