08.12.2012 Aufrufe

Sunao Tokunaga – Die Straße ohne Sonne (1931) - linke-buecher.net

Sunao Tokunaga – Die Straße ohne Sonne (1931) - linke-buecher.net

Sunao Tokunaga – Die Straße ohne Sonne (1931) - linke-buecher.net

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

KAMPFPOSTEN<br />

I. Kuriere<br />

Urplötzlich erhob sich der lärmende Klang der Glocken, mit denen die Extrablätter an den<br />

<strong>Straße</strong>necken ausgeläutet wurden. "Der Rücktritt des Kensekai-Kabi<strong>net</strong>ts!"<br />

Vor den roten Säulen der Haltestellen, vor den Eingängen der Banken, vor den Toren der<br />

Fabriken, auf den Bahnsteigen, in den Schaufenstern, an den Anzeigentafeln der<br />

Zeitungshäuser flogen, tanzten und überstürzten sich die noch nicht trockenen Blätter und<br />

verbreiteten sich in einem Augenblick über die ganze Stadt. <strong>Die</strong> eiligen Schritte der<br />

Menschen, das Hin und Her der aufgeregten Blicke schufen in den Nachmittagsstunden, die<br />

im wirbelnden Staub lagen, von der matten Frühwintersonne überstrahlt, eine ängstliche<br />

Stimmung.<br />

" Fiasko der Chinapolitik und Unfähigkeit zur Rettung der bankrotten Banken."<br />

" Deshalb also ist das Kabi<strong>net</strong>t zurückgetreten," murmelte der Mann mit Hut und<br />

europäischem Anzug. Nicht anders dachte der Mann in Mütze und Havelock, und der Mann<br />

in der Arbeiterbluse, der ein Rad schleppte. Der Student in der Uniform, der Schaffner der<br />

<strong>Straße</strong>nbahn, die Polizisten und ihre Offiziere wiederholten es - die Gesichter der Mitglieder<br />

des zurückgetretenen Kabi<strong>net</strong>ts kannte jeder genau nach den Photographien oder von<br />

Karrikaturen. Ihre Gesichtszüge wurden durch die Zeitschriften und Ansichtskarten öfter und<br />

eindringlicher in die Köpfe der Bürger gehämmert, als die Bilder der Eltern und Brüder in der<br />

Heimat.<br />

Es war allen geläufig, wie die Daten des Kalenders, daß der Finanzminister, der reiche Osaka,<br />

Generaldirektor des großen Mitsubichi-Konzerns, mit dem dicken, breiten Gesicht, dem<br />

schwarzen glänzenden Schnurrbart, stinkend nach der Schminke seiner <strong>Die</strong>nstmädchen und<br />

Freundinnen, mit den rücksichtslosen verschlagenen Zügen, sein Geld in den Ankauf des<br />

Terrains für den Hafenbau gesteckt hatte. <strong>Die</strong>ser Generaldirektor und Finanzminister hatte vor<br />

einigen Wochen plötzlich in allen großen Zeitungen Japans ein neues Wirtschaftsprogramm<br />

proklamiert. (So dachten wenigstens die Massen derer, die nicht aufzupassen verstanden.)<br />

" <strong>Die</strong> Vernachlässigung und Undurchsichtigkeit der Finanzen in den verschiedenen Handels-<br />

und Industriegesellschaften unserer Klein - und Mittelunternehmer nach dem Weltkrieg<br />

machten strengste Rationalisierung und Liquidation unumgänglich. Trotzdem schien das<br />

große Erdbeben in Tokio und Umgebung vom September 1923 den Mittel- und<br />

Kleinunternehmern noch einmal die Möglichkeit eines neuen Aufschwungs zu geben. <strong>Die</strong>sen<br />

Zusammenbruch der Finanzen durch eine nachlässige und künstlich gehaltene<br />

Wirtschaftspolitik hat jetzt das Sejukai-Kabi<strong>net</strong>t auszubaden. Das ließ die drohenden<br />

Gefahren immer schneller wachsen. Trotz der häufigen Warnungen unserer Kensekai-Partei<br />

brachte diese gedankenlose Art des Wirtschaftens unserer Klein- und Mittelindustrie nur ein<br />

trauriges Moratorium. Unsere Regierung wird nicht nur durch die<br />

Finanzeinschränkungspolitik eine unserer drei großen Grundlinien anstreben, um unsere<br />

traurige Finanzlage zur Gesundung zu führen, sondern auch für die bankrotten Banken und<br />

ihre Depositoren Richtlinien aufstellen. . ." <strong>Die</strong> Kensekai stützte sich auf die Industrie und<br />

den Handel in den Städten ganz Japans. <strong>Die</strong> Proklamation der Regierung mußte innerhalb<br />

dieser Partei große Erschütterungen hervorrufen. Aber diese Proklamation wurde schon nach<br />

einer Woche ein leeres Schreckgespenst, weil das Kabi<strong>net</strong>t zurücktreten mußte. Nach dieser<br />

Proklamation schien der Grund des Moratoriums letzten Endes die gedankenlose<br />

Vernachlässigung der Finanzgeschäfte der Mittel- und Kleinunternehmer zu sein.<br />

" Macht keinen Quatsch!" sagte Yatsuo, der lustig seinen Mantel über die Schulter gelegt<br />

hatte.<br />

27

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!