Sunao Tokunaga – Die Straße ohne Sonne (1931) - linke-buecher.net
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" Du lügst, dein Gesicht verrät genau, was du vorhast!"<br />
Takae wurde in ihren Worten immer gleich scharf und ausfallend,<br />
weshalb die "Damen" sie "Führerin der Fürsorgemädchen" nannten.<br />
" Versteh gefälligst, ich habe als Frauenleiterin die Verantwortung<br />
und muß auch die Moral der Mitglieder überwachen. Wie kannst du als<br />
Funktionärin der Frauen so wild sein wie ein Mann, das ist schamlos."<br />
" Sie hat recht!"<br />
" Fürsorgegöre!"<br />
" Mannstolles Weibstück!" riefen die "Damen" durcheinander.<br />
Takae kam wieder an den Tisch und überschrie den Lärm: "Genossinnen,<br />
ich bin gegen dieses Gerede von Keuschheit, mit dem sie nur unsere<br />
Genossin herausbringen will."<br />
" Jawohl, sehr richtig!" schrien Fusa-tjan und ihre Anhängerinnen, und<br />
eine von ihnen rief höhnisch:<br />
" Alte Jungfer!"<br />
" <strong>Die</strong> Vorsitzende will mit ihrem bourgeoisen Keuschheitsgeschwätz unsere Genossin Kimitjan<br />
rausdrängeln!"<br />
Der Lärm wuchs wieder an, die Vorsitzende trommelte auf den Tisch und schrie mit ihrer<br />
meckernden Stimme:<br />
" Das ist eine scheußliche Lüge, was die Genossin Takae Haruki sagt, hat gar keinen Sinn und<br />
Verstand. Sag' gefälligst, warum ich bürgerlich sein soll, warum?" <strong>Die</strong> ewige Jungfrau bog ihr<br />
rot angelaufenes Gesicht über den Tisch<br />
vor, ihre Lippen zitterten hysterisch.<br />
" Natürlich bist du eine Spießbürgerin. Soll ich erst den Grund sagen? Dein ganzes<br />
Keuschheitsgerede hat weiter keinen Zweck, als den sexuellen Akt möglichst teuer an den<br />
Mann zu verkaufen. Ihr sagt, ich bin eine Jungfrau oder eine Dame, weil ihr euch lieber<br />
leichter und teurer an einen Angestellten anstatt an einen Arbeiter verkaufen wollt. Das ist<br />
deine Keuschheitstheorie, und das ist praktisch nichts anderes als die bürgerliche Ansicht über<br />
diese Dinge." Takaes Antwort traf den Nagel auf den Kopf.<br />
" Seht euch mal unsere Damen an!" kreischte Ogin-tjan begeistert. Das löste allgemeine<br />
Heiterkeit aus. <strong>Die</strong> Vorsitzende stand wie mit Wasser begossen und zitterte unter diesem<br />
Lachen. "Also meinst du, es sei ganz in Ordnung, sich zu prostituieren?" versuchte die<br />
Jungfrau die ganze Diskussion zu verdrehen. "Ob das gut ist oder nicht gut ist, weiß ich nicht,<br />
darauf kommt es hier auch gar nicht an. Aber eins ist klar, wenn sich eine prostituiert, damit<br />
sie als Genossin hier bei uns mitarbeiten und dabei noch eine fünfköpfige Familie ernähren<br />
kann, so ist das weit ehrlicher und richtiger als die ganze geheiligte eheliche Liebe von euch."<br />
"Scheußlich!" "Das soll man anhören!"<br />
" Sie verdient wahrhaftig, daß sie Anführerin der Fürsorgemädel genannt wird!" riefen die<br />
Damen dazwischen.<br />
" Aha, also behauptest du doch, daß die Prostitution berechtigt ist. " <strong>Die</strong> Vorsitzende wollte<br />
Takae verächtlich machen und den Sinn ihrer Worte verdrehen, um sich ihren Sieg zu sichern,<br />
aber Takae ließ nicht locker.<br />
" Natürlich habe ich recht. Es ist viel sauberer und macht viel weniger Gestank, wenn man die<br />
ganze sogenannte Ehre einfach wie ein altes Taschentuch wegwirft, als daß man als ewige<br />
Jungfrau im Glassahrank stehen bleibt wie eine faule, alte Konserve!"<br />
Das Gesicht von Fräulein Oja, verzerrte sich, ihre Lippen zitterten hysterisch, die wandte sich<br />
um, schlug die Hände vors Gesicht und begann zu schluchzen. Der Lärm im Zimmer war<br />
nicht mehr zu beruhigen, die "Damen" brüllten vergebens aus vollem Halse, es war umsonst:<br />
die Opposition hatte gewonnen.<br />
" Sei tapfer, brauchst nicht mehr zu weinen, Kopf hoch, wir haben gewonnen, wir stehen zu<br />
dir." Takae umarmte Kimi-tjan und ließ sie aufstehn: "Kimi-tjan, jetzt rede du zu diesen<br />
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