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Monatsheft April 2016

Rilke täglich, Gedichte, Kunst, Personen um Rainer Maria Rilke. etc. Artikel aus meinem Blog: Mit Rilke durch das Jahr. Link:http://mitrilkedurchdasjahr.blogspot.de/

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Mit Rilke durch das Jahr<br />

<strong>Monatsheft</strong><br />

<strong>April</strong> <strong>2016</strong><br />

Rainer Maria Rilke<br />

1875 - 1926


Posts<br />

aus meinem Blog:<br />

Mit Rilke durch das Jahr.<br />

Rainer Maria Rilke<br />

1875-1926<br />

Blogadresse:<br />

http://mitrilkedurchdasjahr.blogspot.de/<br />

Monat <strong>April</strong> <strong>2016</strong><br />

1. Ausgabe <strong>April</strong> <strong>2016</strong><br />

©<br />

GdC. BlogOwner des oben genannten privaten Blog,<br />

siehe Impressum des Blogs.<br />

Blogs seit 2006 – 10 Jahre.


mitrilkedurchdasjahr.blogspot.de<br />

http://mitrilkedurchdasjahr.blogspot.de/<strong>2016</strong>/04/der-lesende.html<br />

Der Lesende<br />

Rainer Maria Rilke<br />

Der Lesende<br />

Ich las schon lang. Seit dieser Nachmittag,<br />

mit Regen rauschend, an den Fenstern lag.<br />

Vom Winde draußen hörte ich nichts mehr:<br />

Mein Buch war schwer.<br />

Ich sah ihm in die Blätter wie in Mienen,<br />

die dunkel werden von Nachdenklichkeit,<br />

und um mein Lesen staute sich die Zeit. -<br />

Auf einmal sind die Seiten überschienen,<br />

und statt der bangen Wortverworrenheit<br />

steht: Abend, Abend... Überall auf ihnen.<br />

Ich schau noch nicht hinaus, und doch zerreißen<br />

die langen Zeilen, und die Worte rollen<br />

von ihren Fäden fort, wohin sie wollen...<br />

Da weiß ich es: Über den übervollen<br />

glänzenden Gärten sind die Himmel weit;<br />

die Sonne hat noch einmal kommen sollen. -<br />

Und jetzt wird Sommernacht, soweit man sieht:<br />

Zu wenig Gruppen stellt sich das Verstreute,<br />

dunkel, auf langen Wegen, gehn die Leute,<br />

und seltsam weit, als ob es mehr bedeute,<br />

hört man das Wenige, das noch geschieht.<br />

Und wenn ich jetzt vom Buch die Augen hebe,<br />

wird nichts befremdlich sein und alles groß.<br />

Dort draußen ist, was ich hier drinnen lebe,<br />

und hier und dort ist alles grenzenlos;<br />

nur daß ich mich noch mehr damit verwebe,<br />

wenn meine Blicke an die Dinge passen<br />

und an die ernste Einfachheit der Massen, -<br />

da wächst die Erde über sich hinaus.<br />

Den ganzen Himmel scheint sie zu umfassen:<br />

Der erste Stern ist wie das letzte Haus.<br />

RAINER MARIA RILKE<br />

Aus: Buch der Bilder zweites Buch Zweiter Teil<br />

"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!"<br />

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Editorische Notiz : Betrifft Rechtschreibung:<br />

Die Texte von Rainer Maria Rilke<br />

werden nicht im Format der neuen deutschen Rechtschreibung wiedergegeben,<br />

sondern im Originalformat von Rainer Maria Rilke.<br />

Dieser Blog folgt dem Originaltext.<br />

RAINER MARIA RILKE . 1875 - 1926<br />

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mitrilkedurchdasjahr.blogspot.de<br />

http://mitrilkedurchdasjahr.blogspot.de/<strong>2016</strong>/04/requiem-clara-westhoff-gewidmet.html<br />

Requiem - Clara Westhoff gewidmet<br />

Rainer Maria Rilke<br />

CLARA WESTHOFF 1902<br />

Portrait von Oskar Zwintscher<br />

Clara Henriette Sophie Rilke geborene Westhoff . 1878 - 1954<br />

Requiem<br />

Clara Westhoff gewidmet<br />

Seit einer Stunde ist um ein Ding mehr<br />

auf Erden. Mehr um einen Kranz.<br />

Vor einer Weile war das leichtes Laub... Ich wands:<br />

Und jetzt ist dieser Efeu seltsam schwer<br />

und so von Dunkel voll, als tränke er<br />

aus meinen Dingen zukünftige Nächte.<br />

Jetzt graut mir fast vor dieser nächsten Nacht,<br />

allein mit diesem Kranz, den ich gemacht,<br />

nicht ahnend, dass da etwas wird,<br />

wenn sich die Ranken ründen um den Reifen;<br />

ganz nur bedürftig, dieses zu begreifen:<br />

dass etwas nichtmehr sein kann. Wie verirrt<br />

in nie betretene Gedanken, darinnen wunderliche Dinge stehn,<br />

1/6


die ich schon einmal gesehen haben muss...<br />

.... Flussabwärts treiben die Blumen, welche die<br />

Kinder gerissen haben im Spiel; aus den offenen<br />

Fingern fiel eine und eine, bis dass der Strauß nicht<br />

mehr zu erkennen war. Bis der Rest, den sie nachhaus<br />

gebracht, gerade gut zum Verbrennen war. Dann<br />

konnte man ja die ganze Nacht, wenn einen alle<br />

schlafen meinen, um die gebrochenen Blumen weinen.<br />

Gretel, von allem Anbeginn<br />

war dir bestimmt, sehr zeitig zu sterben,<br />

blond zu sterben.<br />

Lange schon, eh dir zu leben bestimmt war.<br />

Darum stellte der Herr eine Schwester vor dich<br />

und dann einen Bruder,<br />

damit vor dir wären zwei Nahe, zwei Reine,<br />

welche das Sterben dir zeigten,<br />

das deine:<br />

dein Sterben.<br />

Deine Geschwister wurden erfunden.<br />

nur, damit du dich dran gewöhntest,<br />

und dich an zweien Sterbestunden<br />

mit der dritten versöhntest,<br />

die dir seit Jahrtausenden droht.<br />

Für deinen Tod<br />

sind Leben erstanden;<br />

Hände, welche Blüten banden,<br />

Blicke, welche die Rosen rot<br />

und die Menschen mächtig empfanden,<br />

hat man gebildet und wieder vernichtet<br />

und hat zweimal das Sterben gedichtet,<br />

eh es, gegen dich selbst gerichtet,<br />

aus der verloschenen Bühne trat.<br />

... Nahte es dir schrecklich, geliebte Gespielin?<br />

war es dein Feind?<br />

Hast du dich ihm ans Herz geweint?<br />

Hat es dich aus den heißen Kissen<br />

in die flackernde Nacht gerissen,<br />

in der niemand schlief im ganzen Haus...?<br />

Wie sah es aus?<br />

Du musst es wissen.<br />

Du bist dazu in die Heimat gereist.<br />

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -<br />

Du weißt<br />

wie die Mandeln blühn<br />

und dass Seeen blau sind.<br />

Viele Dinge, die nur im Gefühle der Frau sind<br />

welche die erste Liebe erfuhr, -<br />

2/6


weißt du. Dir flüsterte die Natur<br />

in des Südens spätdämmernden Tagen<br />

so unendliche Schönheit ein,<br />

wie sonst nur selige Lippen sie sagen<br />

seliger Menschen, die zu zwein<br />

eine Welt haben und eine Stimme -<br />

leiser hast du das alles gespürt, -<br />

(o wie hat das unendlich Grimme<br />

deine unendliche Demut berührt).<br />

Deine Briefe kamen von Süden,<br />

warm noch von Sonne, aber verwaist, -<br />

endlich bist du selbst deinen müden<br />

bittenden Briefen nachgereist;<br />

denn du warst nicht gerne im Glanze,<br />

jede Farbe lag auf dir wie Schuld,<br />

und du lebtest in Ungeduld,<br />

denn du wusstest: das ist nicht das Ganze.<br />

Leben ist nur ein Teil......... Wovon?<br />

Leben ist nur ein Ton......... Worin?<br />

Leben hat Sinn nur, verbunden mit vielen<br />

Kreisen des weithin wachsenden Raumes, -<br />

Leben ist so nur der Traum eines Traumes,<br />

aber Wachsein ist anderswo.<br />

So ließest du's los.<br />

Groß ließest du's los.<br />

Und wir kannten dich klein.<br />

Dein war so wenig: ein Lächeln, ein kleines,<br />

ein bisschen melancholisch schon immer,<br />

sehr sanftes Haar und ein kleines Zimmer,<br />

das dir seit dem Tode der Schwester weit war.<br />

Als ob alles andere nur dein Kleid war<br />

so scheint es mir jetzt, du stilles Gespiel.<br />

Aber sehr viel<br />

warst du. Und wir wusstens manchmal,<br />

wenn du am Abend kamst in den Saal;<br />

wussten manchmal: jetzt müsste man beten;<br />

eine Menge ist eingetreten,<br />

eine Menge, welche dir nachgeht,<br />

weil du den Weg weißt.<br />

Und du hast ihn wissen gemusst<br />

und hast ihn gewusst gestern...<br />

jüngste der Schwestern.<br />

Sieh her,<br />

dieser Kranz ist so schwer.<br />

Und sie werden ihn auf dich legen,<br />

diesen schweren Kranz.<br />

Kanns dein Sarg aushalten?<br />

Wenn er bricht<br />

unter dem schwarzen Gewicht,<br />

3/6


kriecht in die Falten<br />

von deinem Kleid<br />

Efeu.<br />

Weit rankt er hinauf,<br />

rings rankt er dich um,<br />

und der Saft, der sich in seinen Ranken bewegt,<br />

regt dich auf mit seinem Geräusch;<br />

so keusch bist du.<br />

Aber du bist nichtmehr zu.<br />

Langgedehnt bist du und laß.<br />

Deines Leibes Türen sind angelehnt,<br />

und nass<br />

tritt der Efeu ein...<br />

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -<br />

wie Reihn<br />

von Nonnen,<br />

die sich führen<br />

an schwarzem Seil,<br />

weil es dunkel ist in dir, du Bronnen.<br />

In den leeren Gängen<br />

deines Blutes drängen sie zu deinem Herzen;<br />

wo sonst deine sanften Schmerzen<br />

sich begegneten mit bleichen<br />

Freuden und Erinnerungen, -<br />

wandeln sie, wie im Gebet,<br />

in das Herz, das, ganz verklungen,<br />

dunkel, allen offen steht.<br />

Aber dieser Kranz ist schwer<br />

mir im Licht,<br />

nur unter Lebenden, hier bei mir;<br />

und sein Gewicht<br />

ist nicht mehr<br />

wenn ich ihn, zu dir legen werde.<br />

Die Erde ist voller Gleichgewicht,<br />

Deine Erde.<br />

Er ist schwer von meinen Augen, die daran hängen,<br />

schwer von den Gängen,<br />

die ich um ihn getan;<br />

Ängste aller, welche ihn sahn,<br />

haften daran.<br />

Nimm ihn zu dir, denn er ist dein<br />

seit er ganz fertig ist.<br />

Nimm ihn von mir.<br />

Lass mich allein! Er ist wie ein Gast...<br />

fast schäm ich mich seiner.<br />

Hast du auch Furcht, Gretel?<br />

Du kannst nicht mehr gehn?<br />

Kannst nicht mehr bei mir in der Stube stehn?<br />

4/6


Tun dir die Füße weh?<br />

So bleib wo jetzt alle beisammen sind,<br />

man wird ihn dir morgen bringen, mein Kind,<br />

durch die entlaubte Allee.<br />

Man wird ihn dir bringen, warte getrost, -<br />

man bringt dir morgen noch mehr.<br />

Wenn es auch morgen tobt und tost,<br />

das schadet den Blumen nicht sehr.<br />

Man wird sie dir bringen. Du hast das Recht,<br />

sie sicher zu haben, mein Kind,<br />

und wenn sie auch morgen schwarz und schlecht<br />

und lange vergangen sind.<br />

Sei deshalb nicht bange. Du wirst nicht mehr<br />

unterscheiden, was steigt oder sinkt;<br />

die Farben sind zu und die Töne sind leer,<br />

und du wirst auch gar nicht mehr wissen, wer<br />

dir alle die Blumen bringt.<br />

Jetzt weißt du das Andre, das uns verstößt,<br />

so oft wir's im Dunkel erfasst;<br />

von dem, was du sehntest, bist du erlöst<br />

zu etwas, was du hast.<br />

Unter uns warst du von kleiner Gestalt,<br />

vielleicht bist du jetzt ein erwachsener Wald<br />

mit Winden und Stimmen im Laub. -<br />

Glaub mir, Gespiel, dir geschah nicht Gewalt:<br />

Dein Tod war schon alt,<br />

alt dein Leben begann;<br />

drum griff er es an,<br />

damit es ihn nicht überlebte.<br />

........................<br />

Schwebte etwas um mich?<br />

Trat Nachtwind herein?<br />

Ich bebte nicht.<br />

Ich bin stark und allein. -<br />

Was hab ich heute geschafft?<br />

....Efeulaub holt ich am Abend und wands<br />

und bog es zusammen, bis es ganz gehorchte.<br />

Noch glänzt es mit schwarzem Glanz.<br />

Und meine Kraft<br />

kreist in dem Kranz.<br />

Rainer Maria Rilke<br />

20.11.1900, Berlin-Schmargendorf<br />

Aus: BuchderBilder, Des zweiten Buches zweiter Teil<br />

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Paula Moderson Becker, Portrait Clara Westhoff 1905<br />

Clara Rilke Westhoff : PDF-Download<br />

Wikiwand Clara Westhoff<br />

"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!"<br />

Editorische Notiz : Betrifft Rechtschreibung:<br />

Die Texte von Rainer Maria Rilke<br />

werden nicht im Format der neuen deutschen Rechtschreibung wiedergegeben,<br />

sondern im Originalformat von Rainer Maria Rilke.<br />

Dieser Blog folgt dem Originaltext.<br />

RAINER MARIA RILKE . 1875 - 1926<br />

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mitrilkedurchdasjahr.blogspot.de<br />

http://mitrilkedurchdasjahr.blogspot.de/<strong>2016</strong>/04/fruhling.html<br />

Frühling .....<br />

Rainer Maria Rilke<br />

Das Thema Frühling bei Rainer Maria Rilke.<br />

Alfred Sisley, Obstgraten im Frühling.<br />

Soll ich noch einmal Frühling haben<br />

Soll ich noch einmal Frühling haben, noch einmal<br />

dieses Erdreichs nahe gesicherte Zukunft<br />

nehmen wie eigenes Los? O reineres Schicksal<br />

Rainer Maria Rilke<br />

Februar 1912, Duino<br />

Gedichte 1906 bis 1926.<br />

Aus: Sammlung der verstreuten und nachgelassenen Gedichte<br />

aus den mittleren und späten Jahren.<br />

Der Maler Alfred Sisley Pdf-Download.<br />

Wikiwand Alfred Sisley<br />

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"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!"<br />

Editorische Notiz : Betrifft Rechtschreibung:<br />

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RAINER MARIA RILKE . 1875 - 1926<br />

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Gedichte 1910-1922<br />

Rainer Maria Rilke<br />

Aus einem Frühling<br />

(Paris)<br />

O alle diese Toten des <strong>April</strong>,<br />

der Fuhren Schwärze, die sie weiterbringen<br />

durch das erregte übertriebene Licht:<br />

als lehnte sich noch einmal das Gewicht<br />

gegen zuviel Leichtwerden in den Dingen<br />

mürrischer auf.... Da aber gehen schon,<br />

die gestern noch die Kinderschürzen hatten,<br />

erstaunt erwachsen zur Konfirmation;<br />

ihr Weiß ist eifrig wie vor Gottes Thron<br />

und mildert sich im ersten Ulmenschatten.<br />

Rainer Maria Rilke, <strong>April</strong> 1913, Paris<br />

Gesammelte Werke, Band III<br />

Aus: Gedichte 1910-1922<br />

Konfirmation<br />

"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!"<br />

Editorische Notiz : Betrifft Rechtschreibung:<br />

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RAINER MARIA RILKE . 1875 - 1926<br />

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Frühling<br />

Rainer Maria Rilke<br />

Paula Moderson Becker, Elsbeth im Garten 1902<br />

Ihr Mädchen seid wie die Gärten<br />

Ihr Mädchen seid wie die Gärten<br />

am Abend im <strong>April</strong>:<br />

Frühling auf vielen Fährten,<br />

aber noch nirgends ein Ziel.<br />

Rainer Maria Rilke<br />

23.3.1898, Arco (Südtirol)<br />

Aus: Lieder der Mädchen<br />

"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!"<br />

Editorische Notiz : Betrifft Rechtschreibung:<br />

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RAINER MARIA RILKE . 1875 - 1926<br />

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Kalenderblatt - <strong>April</strong><br />

Rainer Maria Rilke<br />

Heinrich Vogeler, An den Frühling.<br />

[Radierungen ]<br />

<strong>April</strong><br />

Weiß die Natur noch den Ruck,<br />

da sich ein Teil der Geschöpfe<br />

abriß vom stätigen Stand?<br />

Blumen, geduldig genug,<br />

hoben nur horchend die Köpfe,<br />

blieben im Boden gebannt.<br />

Weil sie verzichteten auf<br />

Gang und gewillte Bewegung,<br />

stehn sie so reich und so rein.<br />

Ihren tiefinneren Lauf,<br />

voll von entzückter Erregung,<br />

holt kein Jagender ein.<br />

Innere Wege zu tun<br />

an der gebotenen Stelle,<br />

ist es nicht menschliches Los?<br />

Anderes drängt den Taifun,<br />

anderes wächst mit der Welle --,<br />

uns sei Blume-sein groß.<br />

Rainer Maria Rilke<br />

Heinrich Vogeler<br />

An den Frühling 10 Radierungen<br />

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1895 hatte Heinrich Vogeler das Haus Barkenhoff in Worpswede erworben, in der<br />

Künstlerkolonie, in der sich Maler und Dichter der Zeit, Otto Modersohn,<br />

Paula Modersohn- Becker, Fritz Overbeck, Carl Hauptmann, Rainer Maria Rilke<br />

und andere, begegneten.<br />

Im Gründungsjahr der Insel 1899 (Insel-Verlag) erschienen zehn Radierungen<br />

Vogelers unter dem Titel: "An den Frühling", mit denen der Künstler, der später für<br />

den Insel Verlag zahlreiche Bücher illustrieren sollte, zuerst berühmt wurde.<br />

In zarten Grüntönen gehalten, fangen die Bilder die beglückende Stimmung des<br />

Frühlings ein, mit Genreszenen und Landschaftsporträts.<br />

Rainer Maria Rilke hat Heinrich Vogeler und seine Kunst in einem poetischen<br />

Essay charakterisiert. (Rilke : Worpswede)<br />

Buch Bp. Amazon.<br />

"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!"<br />

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RAINER MARIA RILKE . 1875 - 1926<br />

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Frühling<br />

Rainer Maria Rilke<br />

Maekawa Bunrei<br />

1837-1917, Japan,<br />

Kirschblüten und ein kleiner Vogel.<br />

O<br />

das Proben<br />

in allen Vögeln geschiehts.<br />

Horch, die kleine Treppe des Lieds,<br />

und oben:<br />

noch nichts<br />

doch<br />

der Wille<br />

so groß schon und größer das Herz;<br />

sein Wachsen im Raume unendlich gewährts<br />

die Stille:<br />

des Lichts.<br />

Rainer Maria Rilke<br />

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(Auf ein Ei geschrieben)<br />

"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!"<br />

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RAINER MARIA RILKE . 1875 - 1926<br />

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Frühling ....<br />

Rainer Maria Rilke<br />

& Personen um und mit Rainer Maria Rilke.<br />

Château de Muzot ~ Maison Rilke in Veyras Schweiz,<br />

dort wurden von Rainer Maria Rilke die<br />

Sonette an Orpheus und<br />

Duineser Elegien 1922 fertig gestellt.<br />

Das XXI. Sonett<br />

Frühling ist wiedergekommen. Die Erde<br />

ist wie ein Kind, das Gedichte weiß;<br />

viele, o viele.... Für die Beschwerde<br />

langen Lernens bekommt sie den Preis.<br />

Streng war ihr Lehrer. Wir mochten das Weiße<br />

an dem Barte des alten Manns.<br />

Nun, wie das Grüne, das Blaue heiße,<br />

dürfen wir fragen: sie kanns, sie kanns!<br />

Erde, die frei hat, du glückliche, spiele<br />

nun mit den Kindern. Wir wollen dich fangen,<br />

fröhliche Erde. Dem Frohsten gelingts.<br />

O, was der Lehrer sie lehrte, das Viele,<br />

und was gedruckt steht in Wurzeln und langen<br />

schwierigen Stammen: sie singts, sie singts!<br />

1/4


Rainer Maria Rilke<br />

9.2.1922, Chateau de Muzot<br />

Aus die Sonette an Orpheus, 1. Teil 21. Sonette.<br />

Die Sonette an Orpheus sind ein Gedichtzyklus von Rainer Maria Rilke.<br />

Er schrieb die 55 Sonette im Februar 1922 wie im „Diktat“ nieder,<br />

nachdem er die viele Jahre stockende Arbeit an den Duineser Elegien<br />

beendet hatte.<br />

Beide Gedichtbände stehen bereits für den Autor in engem Zusammenhang. Die Sonette sind in zwei Teile<br />

aufgeteilt, die Reihenfolge der Gedichte folgt jedoch nicht immer chronologisch der Reihenfolge der Textproduktion.<br />

Rainer Maria Rilke bezeichnet sein Werk im Untertitel als<br />

„ein Grabmal für Wera Ouckama Knoop“.<br />

Bis auf zwei Sonette (I, 25. und II, 28.), die offensichtlich an die junge Tänzerin gerichtet sind, lassen sich jedoch nur<br />

schwer Bezüge zur früh Verstorbenen finden, mit deren Mutter Rainer Maria Rilke in gutem Verhältnis stand.<br />

Wera Ouckama Knoop<br />

geboren 1900 in Moskau, gestorben 1919 in München,<br />

war die jüngere der beiden Töchter des 1913 verstorbenen Ingenieurs und<br />

Schriftstellers Gerhard Ouckama Knoop und seiner Frau Gertrud.<br />

Beide und auch die Töchter waren mit Rainer Maria Rilke bekannt.<br />

Als er zum Jahreswechsel 1921/22 den ergreifenden Bericht der Mutter über<br />

Leiden und Tod Weras erhielt, die Tänzerin werden wollte, war das einer der<br />

Anstöße zu den<br />

"Sonetten an Orpheus", die er dem Andenken an Wera widmete.<br />

Gerhard Oukama Knoop bei : Deutsche Biographie<br />

Die 25. Sonette aus dem 1. Teil und die 28. Sonette aus dem 2. Teil:<br />

Das XXV. Sonett<br />

Dich aber will ich nun, Dich, die ich kannte<br />

wie eine Blume, von der ich den Namen nicht weiß,<br />

noch ein Mal erinnern und ihnen zeigen, Entwandte,<br />

schöne Gespielin des unüberwindlichen Schrei's.<br />

Tänzerin erst, die plötzlich, den Körper voll Zögern,<br />

anhielt, als göss man ihr Jungsein in Erz;<br />

trauernd und lauschend -. Da, von den hohen Vermögern<br />

fiel ihr Musik in das veränderte Herz.<br />

Nah war die Krankheit. Schon von den Schatten bemächtigt,<br />

2/4


drängte verdunkelt das Blut, doch, wie flüchtig verdächtigt,<br />

trieb es in seinen natürlichen Frühling hervor.<br />

Wieder und wieder, von Dunkel und Sturz unterbrochen,<br />

glänzte es irdisch. Bis es nach schrecklichem Pochen<br />

trat in das trostlos offene Tor.<br />

Rainer Maria Rilke<br />

zwischen dem 2. und 5.2.1922, Chateau de Muzot<br />

Das XXVIII. Sonett<br />

O komm und geh. Du, fast noch Kind, ergänze<br />

für einen Augenblick die Tanzfigur<br />

zum reinen Sternbild einer jener Tänze,<br />

darin wir die dumpf ordnende Natur<br />

vergänglich übertreffen. Denn sie regte<br />

sich völlig hörend nur, da Orpheus sang.<br />

Du warst noch die von damals her Bewegte<br />

und leicht befremdet, wenn ein Baum sich lang<br />

besann, mit dir nach dem Gehör zu gehn.<br />

Du wusstest noch die Stelle, wo die Leier<br />

sich tönend hob -; die unerhörte Mitte.<br />

Für sie versuchtest du die schönen Schritte<br />

und hofftest, einmal zu der heilen Feier<br />

des Freundes Gang und Antlitz hinzudrehn.<br />

Rainer Maria Rilke<br />

zwischen dem 19. und 23.2.1922, Chateau de Muzot<br />

Aus Sonette an Orpheus<br />

Geschrieben als ein Grab-Mal für Wera Ouckama Knoop<br />

Chateau de Muzot im Februar 1922<br />

"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!"<br />

Editorische Notiz : Betrifft Rechtschreibung:<br />

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Die Texte von Rainer Maria Rilke<br />

werden nicht im Format der neuen deutschen Rechtschreibung wiedergegeben,<br />

sondern im Originalformat von Rainer Maria Rilke.<br />

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RAINER MARIA RILKE . 1875 - 1926<br />

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Gedichte<br />

Rainer Maria Rilke<br />

Sonett<br />

O das Neue, Freunde, ist nicht dies,<br />

daß Maschinen uns die Hand verdrängen.<br />

Laßt euch nicht beirrn von Übergängen,<br />

bald wird schweigen, wer das pries.<br />

Denn das Ganze ist unendlich neuer,<br />

als ein Kabel und ein hohes Haus.<br />

Seht, die Sterne sind ein altes Feuer,<br />

und die neuern Feuer löschen aus.<br />

Glaubt nicht, daß die längsten Transmissionen<br />

schon des Künftigen Räder drehn.<br />

Denn Aeonen reden mit Aeonen.<br />

Mehr, als wir erfuhren, ist geschehn.<br />

Und die Zukunft faßt das Allerfernste<br />

rein in eins mit unserm innern Ernste.<br />

Rainer Maria Rilke<br />

Da rauscht der Bach und dich, (der du ihn hörst)<br />

dich weiß er nicht. Und drängst du deine Klage<br />

den Lüften auf: er ringt durch reine Tage,<br />

die du nicht hast, die du nicht störst.<br />

Rainer Maria Rilke<br />

"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!"<br />

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Die Texte von Rainer Maria Rilke<br />

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Lied<br />

Rainer Maria Rilke<br />

Chapelle Rose by Henri Martin<br />

Lied<br />

Der Garten vor den Fenstern<br />

ist nur ein Bild in Grün<br />

für einen unbegrenztern,<br />

darin wir beide blühn.<br />

Was seine Sinne segnet,<br />

auf denen Winter war:<br />

das sonnt und sinnt und regnet<br />

auch über unserm Jahr.<br />

Der Garten hat Gebräuche,<br />

ähnlich wie ich und du:<br />

zwei steigende Gesträuche<br />

blühen einander zu.<br />

Rainer Maria Rilke<br />

"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!"<br />

Editorische Notiz : Betrifft Rechtschreibung:<br />

Die Texte von Rainer Maria Rilke<br />

werden nicht im Format der neuen deutschen Rechtschreibung wiedergegeben,<br />

sondern im Originalformat von Rainer Maria Rilke.<br />

Dieser Blog folgt dem Originaltext.<br />

RAINER MARIA RILKE . 1875 - 1926<br />

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Narziss<br />

Rainer Maria Rilke<br />

Narziss<br />

Benczúr Gyula, 1881,<br />

Ungarische Nationalgalerie, Budapest.<br />

Narziss<br />

Narziss, verging. Von seiner Schönheit hob<br />

sich unaufhörlich seines Wesens Nähe,<br />

verdichtet wie der Duft vom Heliotrop.<br />

Ihm aber war gesetzt, dass er sich sähe.<br />

Er liebt, was ihm ausging, wieder ein<br />

und war nicht mehr im offnen Wind enthalten<br />

und schloss entzückt den Umkreis der Gestalten<br />

und hob sich auf und konnte nicht mehr sein.<br />

Rainer Maria Rilke<br />

<strong>April</strong> 1913, Paris<br />

Insel-Almanach 1919<br />

Echo and Narcissus - John William Waterhouse 1903.<br />

"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!"<br />

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Alles noch nie Gesagte<br />

Rainer Maria Rilke<br />

Alles noch nie Gesagte<br />

Ich glaube an Alles noch nie Gesagte.<br />

Ich will meine frömmsten Gefühle befrein.<br />

Was noch keiner zu wollen wagte,<br />

wird mir einmal unwillkürlich sein.<br />

Ist das vermessen, mein Gott, vergieb.<br />

Aber ich will dir damit nur sagen:<br />

Meine beste Kraft soll sein wie ein Trieb,<br />

so ohne Zürnen und ohne Zagen;<br />

so haben dich ja die Kinder lieb.<br />

Mit diesem Hinfluten, mit diesem Münden<br />

in breiten Armen ins offene Meer,<br />

mit dieser wachsenden Wiederkehr<br />

will ich dich bekennen, will ich dich verkünden<br />

wie keiner vorher.<br />

Und ist das Hoffahrt, so lass mich hoffährtig sein<br />

für mein Gebet,<br />

das so ernst und allein<br />

vor deiner wolkigen Stirne steht.<br />

Rainer Maria Rilke<br />

22.9.1899<br />

Berlin-Schmargendorf<br />

"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!"<br />

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Übung am Klavier<br />

Rainer Maria Rilke<br />

William Chase 1915<br />

Übung am Klavier<br />

Der Sommer summt. Der Nachmittag macht müde;<br />

sie atmete verwirrt ihr frisches Kleid<br />

und legte in die triftige Etüde<br />

die Ungeduld nach einer Wirklichkeit,<br />

die kommen konnte: morgen, heute abend -,<br />

die vielleicht da war, die man nur verbarg;<br />

und vor den Fenstern, hoch und alles habend,<br />

empfand sie plötzlich den verwöhnten Park.<br />

Da brach sie ab; schaute hinaus, verschränkte<br />

die Hände; wünschte sich ein langes Buch -<br />

und schob auf einmal den Jasmingeruch<br />

erzürnt zurück. Sie fand, dass er sie kränkte.<br />

Rainer Maria Rilke<br />

Herbst 1907, Paris, oder Frühjahr 1908, Capri<br />

"Und wieder die silberne Stunde,<br />

dem süßen Abend vermischt;<br />

in die dämmende Schönheit<br />

kehrt die Musik der Stille zurück.<br />

"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!"<br />

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Unverrückbare Pappel ....<br />

Rainer Maria Rilke<br />

Gustav Klimt,<br />

Die große Pappel II, Aufziehendes Gewitter. 1903<br />

Unverrückbare Pappel,<br />

starre Vertikale<br />

auf der wiegenden Fläche<br />

sattgrüner Hänge.<br />

Rainer Maria Rilke<br />

Der Maler<br />

GUSTAV KLIMT<br />

1862 - 1918<br />

"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!"<br />

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Landschaft<br />

Rainer Maria Rilke<br />

Stanisław Masłowski<br />

Polen 1853 - 1926) - Mondaufgang, 1884<br />

Landschaft<br />

Wie zuletzt, in einem Augenblick<br />

aufgehäuft aus Hängen, Häusern, Stücken<br />

alter Himmel und zerbrochnen Brücken,<br />

und von drüben her, wie vom Geschick,<br />

von dem Sonnenuntergang getroffen,<br />

angeschuldigt, aufgerissen, offen -<br />

ginge dort die Ortschaft tragisch aus:<br />

fiele nicht auf einmal in das Wunde,<br />

drin zerfließend, aus der nächsten Stunde<br />

jener Tropfen kühlen Blaus,<br />

der die Nacht schon in den Abend mischt,<br />

so dass das von ferne Angefachte<br />

sachte, wie erlöst, erlischt.<br />

Ruhig sind die Tore und die Bogen,<br />

durchsichtige Wolken wogen<br />

über blassen Häuserreihn<br />

die schon Dunkel in sich eingesogen;<br />

aber plötzlich ist vom Mond ein Schein<br />

durchgeglitten, licht, als hätte ein<br />

Erzengel irgendwo sein Schwert gezogen.<br />

Rainer Maria Rilke<br />

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März und August 1907, Capri und Paris<br />

Aus: Der neuen Gedichte anderer TeilA mon grand Ami Auguste Rodin.<br />

Auguste Rodin PDF Download<br />

RAINER MARIA RILKE : Auguste Rodin bei Amazon<br />

Und wieder die silberne Stunde,<br />

das reine Metall, dem süßen Abend vermischt;<br />

in die dämmende Schönheit<br />

kehrt die Musik der Stille zurück.<br />

Rainer Maria Rilke<br />

"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!"<br />

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Personen um und mit Rainer Maria Rilke<br />

Rainer Maria Rilke<br />

Robert Musil<br />

Robert Rudolf Matthias Edler von Musil<br />

wurde am 6. November 1880 in Klagenfurt, Österreich geboren<br />

und starb am 15. <strong>April</strong> 1942 in Genf.<br />

Er war ein österreichischer Schriftsteller und Theaterkritiker.<br />

Robert Musil<br />

Robert Musil 1880-1942<br />

Essay - Kapitel 8 aus Gutenberg spiegel.de<br />

Download PDF Rede zur Rilke Feier Berlin 1927<br />

Reden<br />

Rede zur Rilke-Feier<br />

in Berlin am 16. Januar 1927<br />

Als die Nachricht vom Tode des großen Dichters Rainer Maria Rilke nach Deutschland kam und in den folgenden<br />

Tagen, wenn man einen Blick in die Zeitungen richtete, um zu sehen, wie diese Botschaft von der deutschen<br />

Literaturgeschichte aufgenommen werde – denn täuschen wir uns nichts vor! der Prozeß des Ruhmes wird heute in<br />

dieser ersten Instanz entschieden, da es so gut wie keine geistig übergeordnete weiterhin für die Literatur gibt! –, so<br />

konnte man etwas feststellen, was ich kurz ein ehrenvolles öffentliches Begräbnis zweiter Klasse nennen möchte.<br />

Man schien sagen zu wollen – Sie wissen ja, wie sich durch Stellung der Nachricht im Blatt und Art des Drucks der<br />

Grad des Ohrenspitzens ausdrückt –: Hier ist etwas immerhin Erwähnenswertes geschehn, aber weiter haben wir<br />

nicht viel dazu zu sagen! Dieses Weitere überließ man dem Feuilleton, das es auch ehrenvoll erledigte. Aber stellen<br />

Sie sich vor, wie das in manchem anderen Fall gewesen wäre! Wie man eine Trauer der Nation daraus gemacht und<br />

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das Ausland aufgefordert hätte, zu sehen, wie wir trauern! Die Spitzen des Staats hätten sich in Ehrfurcht gebogen,<br />

Leitartikel wären gehißt worden, der biographische Salut hätte gedröhnt, und wir wären mit einem Wort untröstlich<br />

gewesen, wenn es auch nicht allen Beteiligten ganz klar gewesen wäre, warum. Mit einem Wort, es wäre ein Anlaß<br />

gewesen.<br />

Rilkes Tod war kein Anlaß. Er bereitete der Nation kein festliches Vergnügen, als er starb. Lassen Sie uns einige<br />

Augenblicke der Besinnung daran knüpfen.<br />

Als ich gewahr wurde, wie gering der Verlust Rilkes im öffentlichen Rechenexempel veranschlagt wurde – er wog<br />

kaum so schwer wie eine Film-Premiere –, so war, ich gestehe es offen, mein erster Einfall, auf die Frage, warum<br />

wir heute zusammenkommen, zu antworten:<br />

weil wir den größten Lyriker ehren wollen, den die Deutschen seit dem Mittelalter besessen haben!<br />

Es wäre erlaubt und ist doch unerlaubt, so etwas zu sagen.<br />

Gestatten Sie mir, mit dieser Unterscheidung zu beginnen. Sie soll in keiner Weise die Größe Rilkes einschränken,<br />

verklauseln oder einem Kompromiß unterwerfen. Sie soll nur den Begriff der dichterischen Größe überhaupt<br />

richtigstellen, soweit er heute unsicher geworden ist, damit wir nicht eine falsche Ehrfurcht beweisen und das Bild<br />

Rilkes über einem Fundament aufbauen, das keinen Halt hat.<br />

Die neuzeitliche Gepflogenheit, daß wir Deutsche immer einen größten Dichter haben müssen – gewissermaßen<br />

einen Langen Kerl der Literatur – ist eine üble Gedankenlosigkeit, die nicht wenig Schuld daran trägt, daß die<br />

Bedeutung Rilkes nicht erkannt worden ist. Weiß Gott, woher sie stammt! Sie kann ebensogut vom Goethekult<br />

kommen, wie vom Exerzieren, von der konkurrenzlos unübertroffenen Qualität der X-Zigarette wie von der<br />

Tennisrangliste. Es liegt ja auf der flachen Hand, daß der Begriff der künstlerischen und geistigen Größe niemals<br />

nach Metermaß und Nummer bestimmbar ist. (Auch nicht nach dem »Umfang« des Werks oder des Bereichs<br />

behandelter Gegenstände – sozusagen nach der Handschuhnummer des Schriftstellers!: dennoch gilt zweifellos<br />

das Viel-Schreiben bei uns für schwerer als das Wenig-Schreiben!) Niemand hat in so edler Weise kundgegeben,<br />

daß der Begriff der künstlerischen Größe nicht ausschließend ist, wie Rilke, welcher stets der selbstlose Förderer<br />

seiner jungen Mitbewerber gewesen ist.<br />

Denken Sie einen Augenblick daran, daß das schmächtige Werk Hardenbergs und Hölderlins zur gleichen Zeit<br />

entstanden ist, wo sich das mächtige Werk Goethes vollendete; daß gleichzeitig mit den Riesenwürfen von Hebbels<br />

dramatischem Würfelspiel die knappen Entwürfe Büchners entstanden sind: Ich glaube nicht, daß Sie empfinden<br />

werden, eines von diesem wäre durch das andere zu ersetzen, wäre wegen eines anderen zu entbehren; sie sind<br />

beinahe völlig den Begriffen des Mehr, Weniger, Größer, Tiefer, Schöner, kurz jeder Art von Graduierung entzogen.<br />

Dies ist der Sinn dessen, was eine überschwengliche Zeit den Parnaß, eine Zeit, welche die Würde und Freiheit<br />

liebte, die Republik der Geister genannt hat. Die Höhe der Dichtung ist keine Spitze, auf der es immer höher geht,<br />

sondern ein Kreis, innerhalb dessen es nur ungleich Gleiches, Einmaliges, Unersetzliches, eine edle Anarchie und<br />

Ordens-Brüderlichkeit gibt. Je strenger eine Zeit in dem ist, was sie überhaupt Dichtung nennt, desto weniger<br />

Unterschiede wird sie darüber hinaus zulassen. Unsere Zeit aber ist sehr tolerant in dem, was sie Dichtung nennt;<br />

es genügt ihr unter Umständen schon, – wenn der Papa ein Dichter ist. Dem entspricht es, daß sie auf der anderen<br />

Seite den Begriff des Stars, des Cracks im Verlagsstall, des Literaturchampions auf die Spitze getrieben hat, – wenn<br />

er als Federgewicht auch natürlich nicht ganz den gleichen Anspruch auf Beachtung erheben darf wie die<br />

Schwergewichte des Boxsports!<br />

Rainer Maria Rilke war schlecht für diese Zeit geeignet. Dieser große Lyriker hat nichts getan, als daß er das<br />

deutsche Gedicht zum erstenmal vollkommen gemacht hat; er war kein Gipfel dieser Zeit, er war eine der<br />

Erhöhungen, auf welchen das Schicksal des Geistes über Zeiten wegschreitet ... Er gehört zu den<br />

Jahrhundertzusammenhängen der deutschen Dichtung, nicht zu denen des Tages.<br />

Wenn ich sage, das deutsche Gedicht vollkommen gemacht, meine ich keinen Superlativ mehr, sondern etwas<br />

Bestimmtes. Ich meine auch nicht jene Vollkommenheit, von der ich gesprochen habe, welche jeder wahren<br />

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Dichtung eignet, auch wenn diese Dichtung, an sich selbst gemessen, unvollkommen ist. Sondern ich meine eine<br />

ganz bestimmte Eigenschaft des Rilkeschen Gedichts, eine Vollkommenheit im engeren Sinn, die seine<br />

geschichtliche Stellung zunächst bestimmt.<br />

Das neue deutsche Gedicht hat eine eigentümliche Entwicklung. Es erreicht gleich im Beginn, bei Goethe,<br />

zweifellos einen Höhepunkt; aber es wird zum Schicksal eines Jahrhunderts deutscher Dichtung, daß Goethe<br />

überaus duldsam gegen das Gelegentliche, die Improvisation, den spielenden Geselligkeitsreim war. Bezaubernd<br />

natürlich im Ausdruck für das, was ihn packt, bewundernswert durch die Fülle dessen, was seine vielseitige Natur zu<br />

bewegen vermag, hat er sich niemals gescheut, den Rest des Gedichts entweder lose auszuschütten oder einfach<br />

als gereimte Notiz von sich zu geben. Das lag in seinem Wesen. Das lag weit mehr noch im Charakter der Zeit.<br />

Diese Zeit, die wir als unsere Klassik anzusehen gewöhnt sind, was sie in gewissem Sinn auch ist, war in anderem<br />

Sinn eine Zeit der Versuche, der Unruhe, der Hoffnungen, der großen Beteuerungen, der Betriebsamkeit. Im<br />

weitesten Gegensatz zu unserer eigenen Zeit hatten damals Männer und Frauen einen Busen. Man weinte an ihm;<br />

man warf sich an ihn. Ein eigenartiger Schwang und Überschwang vertrug sich mit harmlosen Gesellschaftsspielen;<br />

Großzügigkeit mit genialer Schlamperei. In dieser Zeit wurden mit Eifer antike, persische, arabische,<br />

provenzalische, spätlateinische, englische, italienische, spanische Formvorbilder importiert, um mit ihnen eine<br />

heimische Form für die heimische Bewegtheit zu finden. Wir vermögen uns heute nur noch schwer eine Vorstellung<br />

davon zu machen, was ein deutscher Hexameter, oder ein Madrigal, eine Ballade, eine Romanze an Finder- und<br />

Erfinderglück ihrerzeit bedeutet haben, und wofür sie Dichter und Leser zu entschädigen vermochten, bloß<br />

dadurch, daß sie glücklich da waren. Heute, wo sich die lyrischen Formen wesentlich eingeschränkt, aber auch<br />

gefestigt haben, fällt das ganz weg. Aber wir dürfen daraus wohl auch schließen, daß die<br />

Vollkommenheitsüberzeugung, die heute noch immer viele zu empfinden glauben, eine kleine halluzinatorische<br />

Ergänzung in sich trägt.<br />

Die Auswirkung wird unwidersprechlich im Übergang von der Klassik zur Gegenwart. Was unsere<br />

Literaturgeschichte uns da mit der Unparteilichkeit eines Markensammlers als deutsches Gedicht aufbewahrt, diese<br />

Rückert, Anastasius Grün, Lenau, Feuchtersleben, Freiligrath, Geibel, Gilm, Lingg, Pichler, Zedlitz, Scheffel,<br />

Baumbach, Wilbrandt, Wildenbruch – nehmen Sie das eine oder andere Gedicht aus, nehmen Sie von dem einen<br />

oder anderen Gedicht an, daß man sich in die Zeitlage versetzen und es in dieser gewissermaßen verrenkten<br />

Stellung genießen könne –: im ganzen bleibt das eine Sammlung lyrischer Marterwerkzeuge zum Schulgebrauch.<br />

Hier tummeln sich die Ghaselen und Kanzonen, die Sonette und Rondele. Sie finden ein ganz intellektuelles,<br />

vorsätzliches Verhältnis zur Form; dafür ein sehr wenig intellektuelles zum Gedankeninhalt. Einfälle, deren<br />

Bedeutungslosigkeit man sofort bemerken könnte, wenn man sie in Prosa ausdrücken würde, werden durch<br />

Rhythmus und Reim angewärmt, durch Strophen rundherum gebraten, womöglich noch durch einen Refrain, der<br />

wie der Irrsinn wiederkehrt, völlig ausgedörrt. Diese Zeit ist die Geburtstätte des deutschen Glaubens, daß die Form<br />

den Inhalt adeln könne, daß die gehobene Rede höher stehe als die ungehobene; daß es etwas Besonderes sei,<br />

wenn man das Stuckornament des Verses auf die flache Idee klebt. Ich glaube sagen zu dürfen, daß die<br />

Formlosigkeit unserer Zeit noch die natürliche Reaktion darauf ist; – freilich hat sie mit der schönen Form auch zum<br />

Teil den schönen Inhalt preisgegeben. Ich darf und kann mich hier nicht auf Einzelheiten einlassen. Aber ich glaube,<br />

daß fast jeder von Ihnen selbst das Gefühl des Grauens kennt, das diese Lyrik weniges ausgenommen – in dem<br />

jungen Leser hinterläßt, den man zwingt, in ihr die Geistesgeschichte seines Volkes zu bewundern.<br />

Die ungeheure und verdiente Autorität Goethes hat die Entwicklung des deutschen Romans reichlich 50 Jahre hinter<br />

dem Ausland zurückgehalten; ohne dafür zu können; nur dadurch, daß die unmittelbar Nachkommenden bloß die –<br />

Hinterfront der Vorbilder sehn! Auf die gleiche Weise ist aus der mißverstandenen Autorität der Klassik eine<br />

verhängnisvolle Nachsicht gegen die Fehlleistungen ihrer Nachfolger entstanden. Diese zu unserer höheren Kultur<br />

gehörende Nachsicht erlaubt jedem lyrischen Übeltäter sich auf historisch nobilitierte Ahnen zu berufen, wenn der<br />

Augenblick günstig ist. Ich spreche da von einer der unseligsten Belastungen der deutschen Dichtung! Aus der<br />

nachklassischen Epoche ist ja die gegenwärtige unmittelbar, wenn auch anfangs durch Gegensatz,<br />

hervorgegangen.<br />

3/10


Die Deutschen lernten, was ein Gedicht sei, erst wieder durch das Ausland, durch Verlaine und Baudelaire, durch<br />

Poe und Whitman kennen; der Einfluß war gewaltig; es kam eine mächtige Selbstbesinnung und Selbstentdeckung;<br />

aber was sind noch so eindringliche Selbstbesinnungen auf die Dauer gegen eine fest eingefleischte Erziehung zum<br />

Falschsehen? Sehen Sie, das ist in einer innerlich nicht sehr gefestigten Literatur immer so: Die Selbstbesinnung<br />

führt zum Kampf gegen die Lieblinge der Trägheit und Oberflächlichkeit. Die Selbstbesinnung siegt; die Lieblinge<br />

bedecken tot das Schlachtfeld. Dann läßt die Gewissensspannung einen Augenblick nach, und die Toten stehen<br />

nicht nur auf, sondern sie haben – gerade weil sie eine Weile tot waren – etwas gut Erhaltenes, etwas betriebsam<br />

Unsterbliches und ehrwürdig Rührendes. Ja bei uns weiß noch dazu niemand, ob sie nicht am Ende sogar etwas<br />

Klassisches haben.<br />

Ich glaube, mancherlei Zeichen der Gegenwart deuten unmißverständlich darauf hin, daß heute eine sehr gute<br />

Auferstehungszeit ist. Die Straffung der deutschen Literatur ist in einem dauernden Nachlassen. Ich gerate an<br />

dieser Stelle in die Gefahr der Aktualität. Aber wovon spreche ich denn? Ich spreche von den unangreifbaren,<br />

lähmenden Schwierigkeiten, die sich einem Erneuerer des deutschen Gedichts entgegenstellen!<br />

Ich habe mir vorgenommen, von einer solchen Schwierigkeit, weil sie gerade besondere Wichtigkeit und Aktualität<br />

besitzt, ein paar Worte mehr zu sagen.<br />

Da wurde vor einiger Zeit eine Akademie der Dichtung gegründet. Mit – Ludwig Fulda an der Spitze!<br />

Von ihrer Zusammensetzung kann man nur sagen, daß die Bedeutung der Dichter, welche ausgeschlossen wurden<br />

oder sich ausgeschlossen haben, die der darin befindlichen zumindest aufwiegt. Ich kenne den inneren und<br />

äußeren Wert meiner apollinischen Kollegen naturgemäß ziemlich gut; ich kenne auch ziemlich gut die Richtungen,<br />

Kreise, Strömungen des Geschmacks, in welche sich die gegenwärtige deutsche Literatur aufteilt: Aber es ist mir<br />

unmöglich gewesen, einen sachlichen Grundsatz aufzufinden, nach dem diese Sammlung von Akademikern<br />

angelegt worden sein könnte. Das einzige, was ich mit allen Mitteln zeitgenössischer Literaturforschung<br />

festzustellen vermochte, ist, daß anscheinend sehr – verschiedene Einflüsse die Auswahl beeinflußt haben.<br />

Und nun lassen Sie uns überlegen. Vermutlich ist diese Akademie in einem edlen Sinn konservativ gemeint. Sie soll<br />

der Kommerzialisierung der Literatur, der Marktschreierei, dem Erfolg des Minderwertigen einen Damm<br />

entgegensetzen. Sie könnte der Literatur in dieser oder jener Unsicherheit auch dem Staat gegenüber Schutz<br />

gewähren. All das könnte man natürlich auch mit weniger pompösen, einfachen, eindringlicheren und<br />

zeitgemäßeren Mitteln machen. Es ist z. B. nicht ganz einzusehen, warum der Staat die Hilfe der Dichtung braucht,<br />

um die Dichtung vor den Verfolgungen des Staats zu schützen. Aber fügen wir uns darein! Worein man sich aber<br />

unter keinen Umständen fügen darf, ist: daß man der Dichtung zu helfen gedenkt, indem man das Prinzip der<br />

Kritiklosigkeit verewigt!<br />

Ich möchte nichts Bitteres wider Ludwig Fulda sagen. Er hat zeit seines Lebens die deutsche Sprache und den<br />

menschlichen Vorzug der Gedankenfreiheit mißbraucht; aber er wußte es nicht. Er war durch 25 Jahre so verläßlich<br />

wie ein Thermometer, daß man von einer Dichtung statt vieler Worte sagen konnte: sie ist wie Fulda. Vielleicht<br />

versteht man das heute noch. Dann kann ich heute noch statt vieler Worte an die Akademie der Dichtung diesen<br />

kritischen Maßstab anlegen und einfach sagen: Es ist viel Fulda in diesem – starken Stück!<br />

Das Denkwürdige kommt aber erst jetzt. Von Rilke, von Hofmannsthal, Hauptmann, Borchardt, George, Däubler und<br />

allen anderen, die da nicht mitwirken, hat sich ein Teil unserer literarischen Vornehmen losgesagt, um dem<br />

lockenden Rufe zu folgen. Natürlich nicht wegen der Verlockung; sondern wegen der Pflicht; das versteht sich bei<br />

uns von selbst. Zwar nicht ohne weiteres, aber mit schönen würdigen Begründungen. In diesen Begründungen kam<br />

alles vor, was man zugunsten einer Akademie sagen kann; nur eines sah ich darin nicht: den Sinn dafür, daß die<br />

innere Reinheit, die innere Klarheit und Würde, der unbestechliche Ernst – außer dem Genie – das höchste Gut<br />

einer Literatur bilden!<br />

4/10


Unter den Mitgliedern der Akademie befinden sich Männer, welche diese Eigenschaften für ihre Person in hohem<br />

Grade besitzen. Daß sie es trotzdem nicht für notwendig finden, sie auf die gesamte geistige Atmosphäre um sich<br />

anzuwenden, ist ungeheuer kennzeichnend für die Entwicklung unserer Dichtung, für die innere Unsicherheit und<br />

Strukturlosigkeit, die wir niemals losgeworden sind! Da haben Sie in einem Querschnitt die ganze Moral der<br />

deutschen Literaturgeschichte! Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß Literaturgeschichte ein Teil der<br />

Geistesgeschichte ist!<br />

Und wenn ich mir auch vorwerfen lassen muß, weit abgekommen zu sein, so geschah es doch nicht ohne inneren<br />

Zusammenhang, und auch nicht ganz ohne Gewinn, denn wir haben zugleich einigermaßen die Umwelt<br />

kennengelernt, für die Rilke sein schweres, von Mißdeutungen bedrohtes Werk geschrieben hat.<br />

Ich möchte die mir noch zur Verfügung stehende Zeit benützen, um über die wichtigste dieser Mißdeutungen ein<br />

paar aufklärende Worte zu sagen.<br />

Wenn ich von der Vollkommenheit gesprochen habe, zu der Rilke das deutsche Gedicht emporgehoben hat, so ist<br />

damit zunächst nur ein äußeres Kennzeichen gemeint. Ich kann es Ihnen beschreiben, wenn ich Sie an den<br />

überaus bezeichnenden Eindruck erinnere, dem man beim ersten Lesen seiner Werke ausgesetzt ist. Nicht nur<br />

sinkt kaum ein Gedicht, kaum eine Zeile oder ein Wort sinken aus der Reihe der übrigen herab, und man hat das<br />

gleiche Erlebnis durch die ganze Reihe seiner Bücher. Es entsteht so eine beinahe schmerzliche Spannung, wie<br />

eine gewagte Zumutung, die noch dazu ganz ohne allen Aufwand an Orchester, ganz wie natürlich, nur von dem<br />

einfachen Flötenklang des Verses begleitet, geleistet werden soll.<br />

Weder vor ihm, noch nach ihm ist diese hohe und ebene Spannung des Eindrucks, diese edelsteinklare Stille in der<br />

niemals anhaltenden Bewegung erreicht worden. Weder das ältere deutsche Gedicht, noch George oder Borchardt<br />

haben dieses freie Brennen des Feuers ohne Flackern und Dunkelheit. Das deutsche lyrische Genie wirft wie der<br />

Blitz eine Furche auf, aber das Erdreich darum häufelt es sorgsam oder nachlässig auf; es zündet wie der Blitz,<br />

aber es ritzt nur wie der Blitz; es führt auf den Berg, aber um auf den Berg führen zu können, muß man zuvor immer<br />

wieder unten sein. Damit verglichen, hat Rilkes Gedicht etwas breit Geöffnetes, sein Zustand dauert wie ein<br />

gehobenes Anhalten.<br />

In diesem Sinn habe ich von seiner Vollkommenheit und Vollendung gesprochen. Es bezeichnet das eine bestimmte<br />

Eigenschaft und zunächst noch nicht Rang und Wert. Im Schönen haben, wie Sie wissen, auch Unvollendung und<br />

Unvollkommenheit ihre Würde. Ja, so paradox es klingt (wenn es in Wirklichkeit auch nichts anderes bedeutet als<br />

unser Unvermögen zu genauer Bezeichnung), diese innere Planheit und Faltenlosigkeit, diesen aus einem Guß<br />

geformten Charakter des Gedichts findet man oft auch in der Poesie jener Versschwätzer, die ein Gedicht so glatt<br />

hinschreiben, wie ein Barbier eine Wange rasiert. Ja, noch viel paradoxer!: man hat den Unterschied nicht immer<br />

bemerkt.<br />

Es gab eine Zeit, wo jeder bessere junge Mann mit schwülen Augen Gedichte in der Weise Rilkes machte. Es war<br />

gar nicht schwer; eine bestimmte Art des Schreitens; ich glaube, daß Charleston schwieriger ist. Darum hat es auch<br />

immer scharfsinnige Kritiker gegeben, welche das bemerkten und Rilke einen Platz – fast bei den Kunstgewerben<br />

des Verses anwiesen. Die Zeit, wo man ihn nachahmte, war aber kurz, und die Zeit, wo man ihn unterschätzte,<br />

dauerte sein Leben! Als er jung war, galt Dehmel für einen Mann, und er – für einen Österreicher! Wenn man ihm<br />

wohlwollte, fügte man etwas von slawischer Melancholie hinzu. Als er reif war, hatte sich der Geschmack gewendet;<br />

nun galt Rilke als ein feiner, ausgegorener Likör für erwachsene Damen, während die Jugend andere Sorgen zu<br />

haben glaubte.<br />

Gewiß ist nicht zu leugnen, daß die Jugend auch für ihn mancherlei Liebe hatte. Aber es ist nicht zu übersehn, daß<br />

ihr da vielleicht wirklich eine Schwäche unterlief. Ich sehe nirgends heute Rilkes Geist im Wirken. Was es heute an<br />

Gewissens- und Gefühlsspannung gibt, ist nicht die Art der Spannung Rilkes. So ist es möglich, daß er noch einmal<br />

geliebt wird, weil er ent-spannt! Dazu ist er zu anspruchsvoll! Er stellt mehr als infantile Ansprüche an die Liebe! Das<br />

möchte ich, wenn nicht zeigen, so doch andeuten.<br />

5/10


Ich könnte es tun, indem ich Sie auffordere, den Weg Rilkes von den Frühen und Ersten Gedichten bis zu<br />

den Duineser Elegien zu verfolgen.<br />

Wir würden dabei in einer ungemein fesselnden Weise sehn, wie früh er fertig ist – genau so wie der junge Werfel;<br />

– aber wie seine Entwicklung von da an erst beginnt! Die innere wie die äußere Form erscheint von allem Anfang an<br />

(wenn natürlich auch Versuche dazwischenkommen und wieder aufgegeben werden) wie ein feines Rippenwerk<br />

vorgezeichnet; blaß; rührend verschlungen mit typischen Jugenderscheinungen; verblüffend durch die Umkehrung,<br />

daß sich weit mehr »Manier« in den ersten Anfängen findet, als in den späteren Wiederholungen! Man könnte<br />

zuweilen sagen: der junge Rilke mache Rilke nach. Aber dann erlebt man das für den Künstler ungeheure<br />

Schauspiel, wie sich dieses Schema füllt. Wie aus Porzellan Marmor wird. Wie alles, was von Anfang an da war und<br />

sich kaum verändert, von einem immer tieferen Sinn gestaltet wird: Mit einem Wort, man erlebt das ungeheuer<br />

seltene Schauspiel der Gestaltung durch innere Vollendung!<br />

Statt dieser Entwicklung in ihren Schritten zu folgen – wobei ein jeder wohl am besten den Dichter selbst zum<br />

Führer nimmt –, möchte ich jedoch lieber versuchen, die tiefen Beziehungen, von denen ich spreche, an der<br />

Erscheinung der fertigen Rilkeschen Poesie zu verdeutlichen, indem ich noch einmal, aber diesmal nach innen hin,<br />

an den ungewöhnlichen Eindruck anknüpfe, den sie hervorruft.<br />

Ich habe ihn, mit den ersten tastenden Worten, eine klare Stille in einer niemals anhaltenden Bewegung, eine<br />

gewagte Zumutung, ein gehobenes Dauern, ein breites Geöffnetsein, eine beinahe schmerzliche Spannung<br />

genannt, und man darf wohl hinzufügen, daß Spannungen am leichtesten dann den Charakter des Schmerzes<br />

annehmen, wenn sie sich nicht ganz begreifen und lösen lassen, wenn sie in den Ablauf unserer Gefühle einen<br />

Knoten bringen, der nicht wie die gewöhnlichen geknüpft ist. Der Affekt des Rilkeschen Gedichts hat eine große<br />

Besonderheit. Wir werden sie verstehn, wenn wir uns darüber Rechenschaft geben, daß dieses Gedicht eigentlich<br />

niemals ein lyrisches Motiv hat. Es hat auch niemals einen besonderen Gegenstand der Welt zum Ziel. Es spricht<br />

von einer Violine, einem Stein, einem blonden Mädchen, von Flamingos, Brunnen, Städten, Blinden, Irren, Bettlern,<br />

Engeln, Verstümmelten, Rittern, Reichen, Königen ...; es wird ein Gedicht der Liebe, der Entbehrung, der<br />

Frömmigkeit, des Kampftumults, der einfachen, ja sogar der mit Kulturreminiszenzen belasteten Beschreibung ...;<br />

es wird ein Lied, eine Legende, eine Ballade ...: Nie ist es das selbst, was den Inhalt des Gedichts ausmacht;<br />

sondern immer ist es ein Etwas wie das unbegreifliche Dasein dieser Vorstellungen und Dinge, ihr unbegreifliches<br />

Nebeneinander und unsichtbar Verflochtensein, was den lyrischen Affekt auslöst und lenkt.<br />

In diesem milden lyrischen Affekt wird eines zum Gleichnis des anderen. Bei Rilke werden nicht die Steine oder<br />

Bäume zu Menschen – wie sie es immer und überall getan haben, wo Gedichte gemacht wurden –, sondern auch<br />

die Menschen werden zu Dingen oder zu namenlosen Wesen und gewinnen damit erst ihre letzte, von einem<br />

ebenso namenlosen Hauch bewegte Menschlichkeit. Man kann sagen: im Gefühl dieses großen Dichters ist alles<br />

Gleichnis, und – nichts mehr nur Gleichnis. Die vom gewöhnlichen Denken getrennten Sphären der<br />

Wesensgattungen scheinen sich zu einer einigen Sphäre zu vereinen. Niemals wird etwas mit einem anderen<br />

verglichen – als zwei andere und Getrennte, die sie dabei bleiben –; denn selbst wenn das irgendwo geschieht und<br />

gesagt wird, irgendeines sei wie das andere, so scheint es schon im gleichen Augenblick seit Urzeiten das andere<br />

gewesen zu sein. Die Eigen-schaften werden zu Aller-schaften! Sie haben sich von den Dingen und Zuständen<br />

losgelöst, sie schweben im Feuer und im Wind des Feuers.<br />

Man hat dies Mystik genannt, Pantheismus, Panpsychismus ...; mit solchen Begriffen tut man aber etwas hinzu, das<br />

überflüssig ist und ins Ungewisse führt. Lassen Sie uns lieber bei dem bleiben, was uns vertraut ist; wie verhält es<br />

sich denn nun wirklich mit diesen Gleichnissen? Bei nüchternster Betrachtung? Es verhält sich bemerkenswert<br />

genug; das Metaphorische wird hier in hohem Grade Ernst.<br />

Lassen Sie mich dazu mit etwas Beliebigem beginnen: ein Schriftsteller vergleiche einen bestimmten<br />

Novemberabend, von dem er erzählt, mit einem wollenen weichen Tuch; ein anderer Schriftsteller könnte ebensogut<br />

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ein eigenartig weiches Wolltuch mit einem Novemberabend vergleichen. In allen solchen Fällen liegt der Reiz darin,<br />

daß ein schon etwas erschöpfter Gefühls- und Vorstellungsbereich dadurch aufgefrischt wird, daß ihm Teile eines<br />

neuen zugeführt werden. Das Tuch ist natürlich kein Novemberabend, diese Beruhigung hat man, aber es ist in der<br />

Wirkung mit ihm verwandt, und das ist eine angenehme kleine Mogelei. Nun, es liegt – eine gewisse Tragikomik in<br />

dieser menschlichen Neigung für Gleichnisse. Wenn die Spitzen der Brüste mit Taubenschnäbeln oder mit Korallen<br />

verglichen werden, kann man, streng genommen, nur sagen: Gott behüte uns davor, daß es wahr sei! Die<br />

Konsequenzen wären nicht auszudenken. Man gewinnt aus den menschlichen Gleichnissen eigentlich den<br />

Eindruck, daß der Mensch niemals dort recht aushalten kann, wo er sich gerade befindet. Er gibt das niemals zu;<br />

er umarmt das ernste Leben; aber er denkt dabei zuweilen an eine andere!<br />

Es ist ein schönes, wenn auch ein wenig altmodisches Gleichnis, zu sagen: ihre Zähne waren wie Elfenbein. Setzen<br />

Sie statt dessen einen sachlich-nüchternen, aber richtig anderen Ausdruck, so heißt das – höchst unerwünscht –:<br />

sie besaß Elefantenzähne! Vorsichtiger, aber immerhin noch verfänglich: ihre Zähne besaßen die optischen<br />

Qualitäten von Elefantenzähnen, mit Ausnahme der Form. Ganz vorsichtig: ein ich weiß nicht was war gemeinsam.<br />

Ersichtlich ist das die übliche Tätigkeit des Gleichnisses: wir lösen das Erwünschte los und lassen das<br />

Unerwünschte zurück, ohne daß wir daran erinnert werden wollen, und wir lösen das Feste in das Gerüchtweise<br />

auf.<br />

Was man der Kunst an Unernst, verglichen mit der Wirklichkeit, vorwirft, was in ihr auch wirklich an Divertissement<br />

liegt, Oberflächlichkeit, »letzter Neuigkeit«, an Modischem, Dienerischem ...: es freut mich, schon an einem so<br />

einfachen Beispiel, das der Aufnahme in jede Schulgrammatik und -poetik gewürdigt wird, zeigen zu können, wie<br />

sich alles das in dem Gebrauch spiegelt, den man von den Gleichnissen macht.<br />

Er hängt tatsächlich mit einer bestimmten Welt-Anschauung (dazugehörig: Kunst als Erholung, Zerstreuung,<br />

spontane Erhebung) zusammen. Und nun frage ich Sie: Statt zu sagen, der Novemberabend sei wie ein<br />

Tuch oder das Tuch sei wie ein Novemberabend, könnte man nicht beides in einem sagen? Was ich frage, Rilke hat<br />

es immerwährend getan.<br />

Bei ihm sind die Dinge wie in einem Teppich verwoben; wenn man sie betrachtet, sind sie getrennt, aber wenn man<br />

auf den Untergrund achtet, sind sie durch ihn verbunden. Dann verändert sich ihr Aussehen, und es entstehen<br />

sonderbare Beziehungen zwischen ihnen.<br />

Das hat weder mit Philosophie, noch mit Skepsis, noch mit irgend etwas anderem zu tun als dem Erleben.<br />

Ich möchte Ihnen zum Abschluß ein Lebensgefühl beschreiben. Aber ich schicke voraus, daß ich es nur andeuten<br />

kann. Sowenig es nach Rilke aussehen wird, Sie werden mehr davon in seinen Gedichten finden als in meinen<br />

Worten. Und ich habe bisher eigentlich nur von einer einzigen Schönheit unter den vielen seines Werks in ihren<br />

Beziehungen gesprochen; aber es muß mir genügen, darauf hinzuweisen, wie schon diese in einen großen<br />

Entwicklungszusammenhang gehört. Und eben das, dieses Einbezogensein des Kleinsten ins Größte, ist Rilke.<br />

Eine feste Welt, und darin die Gefühle als das Bewegliche und Veränderliche: das ist die normale Vorstellung.<br />

Eigentlich aber sind beide, die Gefühle und die Welt unfest, wenn auch innerhalb sehr verschiedener Grenzen. Daß<br />

die eine zur Wand für die anderen wird, hat zwar seine guten Gründe, ist aber ein wenig willkürlich. Und eigentlich<br />

wissen wir das ja recht gut. Daß kein einzelner heute weiß, wessen er morgen fähig sein wird, ist kein ganz<br />

ungewöhnlicher Gedanke mehr. Daß die Übergänge von der moralischen Regel zum Verbrechen, von der<br />

Gesundheit zum Kranksein, von unserer Bewunderung zur Verachtung der gleichen Sache gleitende, ohne feste<br />

Grenzen sind, das ist durch die Literatur der letzten Jahrzehnte und andere Einflüsse vielen Menschen zu einer<br />

Selbstverständlichkeit geworden. Ich möchte nicht übertreiben. Betrachten wir den einzelnen, so ist die »Fähigkeit<br />

zu allem« recht starken Hemmungen unterworfen. Wenn wir aber die Geschichte der Menschheit, also die<br />

Geschichte der Normalität par excellence, betrachten, so kann es keinen Zweifel geben!<br />

Die Moden, Stile, Zeitgefühle, Zeitalter, Moralen lösen einander derart ab oder bestehen gleichzeitig in solcher<br />

Verschiedenheit, daß die Vorstellung kaum abzuweisen ist, sich die Menschheit wie eine gallertartige Masse zu<br />

7/10


denken, welche jede Form annimmt, die aus den Umständen entsteht. Natürlich haben wir ein eminentes Interesse<br />

daran, das zu leugnen, nämlich das praktische und moralische des jeweiligen Zustands. Es ist die ewige Tätigkeit<br />

des Lebens und zugleich sein Selbsterhaltungstrieb, die Wirklichkeit fest und eindeutig zu gestalten. Es ist nicht zu<br />

übersehen, daß die Schwierigkeiten dafür überall dort sich verstärken, wo das Gefühl beteiligt ist. Darum schalten<br />

wir es nach Möglichkeit aus, wenn wir Wahrheit, Ordnung und Fortschritt wollen. Zuweilen schalten wir es aber<br />

vorsichtig auch wieder ein, z. B. im Gedicht oder in der Liebe. Das sind bekanntlich recht unlogische Vorgänge,<br />

aber man darf vermuten, daß die Eindeutigkeit des Erkennens überhaupt nur dort vorhält, wo die Gefühlslage im<br />

großen stabil ist. Ich kann das hier nicht weiter ausführen; aber Sie werden bemerkt haben, daß unser Umgang mit<br />

dem Gefühl nicht mehr ganz geheuer geworden ist. Und da dies dem geschärften Verständnis der Gegenwart nicht<br />

verborgen geblieben ist, läßt sich aus vielerlei Zeichen schon erwarten, daß wir einer großen Problemstellung nicht<br />

nur des Verstandes, sondern auch der Seele entgegengehn.<br />

Und nun gibt es ein Gedicht, das in der Welt des Festen eine Ergänzung, Erholung, einen Schmuck, Aufschwung,<br />

Ausbruch, kurz Unterbrechung und Ausschaltung bedeutet; man kann auch sagen, es handelt sich da um<br />

bestimmte und einzelne Gefühle. Und es gibt ein Gedicht, das die im ganzen Dasein versteckte Unruhe, Unstetheit<br />

und Stückhaftigkeit nicht vergessen kann; man könnte sagen, hier handelt es sich, wenn auch nur in einem Teil, um<br />

das Gefühl als Ganzes, auf dem die Welt wie eine Insel ruht.<br />

Das ist das Gedicht Rilkes. Wenn er Gott sagt, meint er dies, und wenn er von einem Flamingo spricht, meint er<br />

auch dies; deshalb sind alle Dinge und Vorgänge in seinen Gedichten untereinander verwandt und tauschen den<br />

Platz wie die Sterne, die sich bewegen, ohne daß man es sieht. Er war in gewissem Sinn der religiöseste Dichter<br />

seit Novalis, aber ich bin nicht sicher, ob er überhaupt Religion hatte. Er sah anders. In einer neuen, inneren Weise.<br />

Und wird einst, auf dem Weg, der von dem religiösen Weltgefühl des Mittelalters über das humanistische Kulturideal<br />

weg zu einem kommenden Weltbild führt, nicht nur ein großer Dichter, sondern auch ein großer Führer gewesen<br />

sein.<br />

Nachwort zum Druck<br />

Eine Rede ist nicht ein gesprochenes Druckwerk. Sie hängt mit den Elementen des unmittelbaren Effekts, dem Hier<br />

und Jetzt, den Personen der Zuhörer und der sich selbst einsetzenden Person des Redners, in einer solchen Weise<br />

zusammen, daß ohne diese Elemente nicht eine Partitur, sondern bloß ein Fragment übrigbleibt. Wenigstens gibt es<br />

Reden von dieser Art, und die, welche ich hier vorlege, war so gemeint.<br />

Die Folge müßte sein, sie aus dem Dasein zu räumen, nachdem sie ihre Aufgabe erfüllt hat; so verlangt es nicht<br />

bloß die Bedachtsamkeit auf den Vorteil, sondern durchaus auch der Kunstsinn selbst. Daß ich mich trotzdem zum<br />

Gegenteil entschließe, ja sogar jeden Versuch einer Änderung unterlasse, ehe ich das erloschene Wort dem Druck<br />

übergebe, geschieht aus dem Ermessen, daß diese Rede auch dann Bruchwerk bliebe, wenn ich sie um alles das<br />

ergänzte, was ihr auf den ersten Blick fehlt.<br />

Die wichtigste und auch von mir am meisten entbehrte Ergänzung liegt allerdings erst in der Fortsetzung der<br />

begonnenen Gedanken. Was ich am Gebrauch des Gleichnisses anzudeuten vermochte, müßte sich im großen,<br />

und dadurch viel bedeutsamer, wiederholen lassen, wenn man die Bewegtheit des Sinnes im Rilkeschen Vers<br />

überhaupt untersucht. Dieser Sinn entfaltet sich nicht gedeckten Rückens, an die Mauern irgendeiner Ideologie,<br />

Humanität, Weltmeinung gelehnt; sondern entsteht, von keiner Seite festgehalten oder gestützt, als ein der<br />

geistigen Bewegung frei und schwebend Überlassenes.<br />

Die Inseitigkeit von Rilkes Gedicht hat eine ebenso eigentümliche und auffällige Konfiguration wie die äußere Form,<br />

wenngleich sie sich in weit höherem Maß der Analyse und Beschreibung entzieht. Würde man eine Reihe<br />

aufstellen, an deren einem Ende das Lehrgedicht, die Allegorie, das politische Gedicht zu stehen kämen, also<br />

Formen eines schon vorher fertigen Wissens und Willens, so stünde am entgegengesetzten Ende Rilkes Gedicht<br />

als reiner Vorgang und Gestaltung geistiger Mächte, die in ihm zum erstenmal Namen und Stimme bekommen.<br />

8/10


Dazwischen aber lägen sowohl das Gedicht der Erregung »großer Gefühle« wie das der Erhebung zu »großen<br />

Ideen«»; beide das, was unserer Zeit schon als Ausbund der Seelenkraft erscheint, heben sie den Blick – über die<br />

Schulter zurück empor, denn sie enthalten die Kräfte der Steigerung, aber nicht die der Schöpfung.<br />

In solcher Bedeutung habe ich Rilke einen Dichter genannt, der uns in die Zukunft führt. Denn es scheint, daß die<br />

Entwicklung des Geistes, die heute vielen als Zerfall erscheint, aber ihr Gleichgewicht doch in sich tragen muß,<br />

dieses Gleichgewicht als ein bewegliches erweisen wird; wir sind nicht wieder zu einem so oder anders bestimmten<br />

ideologischen Erstarren berufen, sondern zur Entfaltung der Schöpfung und der Möglichkeiten des Geistes!<br />

Angesichts solcher inneren Bilder, die aus Rilkes Gedichten, nicht wie eine Vorhersage, wohl aber wie ein<br />

vorherwehender Duft aufsteigen, erscheint es mir allerdings nebensächlich, Formzusammenhängen oder selbst -<br />

abhängigkeiten nachzuspüren oder um die Bewertung einzelner Elemente zu streiten. Selbst die Senkung und<br />

Ausnahme, die sein Werk in denSonetten an Orpheus erleidet und so weitgehend erfährt, daß der Dichter dabei<br />

zuweilen wie ein wählerischer Nachfahre erscheint, bedeutet wenig; denn diese Unsicherheit, die gerade im<br />

Augenblick, wo er sich der Gegenwart nähern möchte, seine Form bedroht, ist auch ungemein bezeichnend für das<br />

Entrückte seines Wesens.<br />

Diese Auslegung – insgesamt, wie sie hier versucht worden ist – stammt, was in den Augen mir nicht geneigter<br />

Leser zu ihren Gunsten sprechen möge –, nicht nur von mir, sondern ich folge in der Richtung auf das Wesentliche<br />

dem Weg einiger höchst erlauchter Vorbilder; auch steht nicht Rilke allein auf seinem Weg; noch ist dies der einzig<br />

mögliche und sohin einzig rechte Weg, der in die Zukunft führt; noch ist mir unbekannt, daß sehr einsichtsreiche<br />

Kritiker im einzelnen die Bewertung ganz anders austeilen würden als ich. Zu dem allen kann ich nur wiederholen,<br />

was im Vortrag scheinbar doch überhört worden ist, daß die Größe eines Dichters über allen Graden liegt und<br />

immer eine absolute ist, weshalb sie aber auch niemals Wert und Bedeutung anderer ausschließt. Man darf sagen,<br />

daß das Wesen wahrer Dichtung immer ein maßloses ist; große Dichtungen sind Weisungen, und es wäre törichte<br />

Kritik, welche zuerst auf die Abgrenzung des Auftrags gegen andere achten wollte, statt dem Auftrag selbst über alle<br />

Grenzen zu folgen. Der eigentliche Sinn von Rilkes Werk wird heute selbst von Freunden oft noch mißverstanden;<br />

darauf war hinzuweisen. Er liegt aber schon nahe an der Oberfläche des allgemeinen Bewußtseins. Und wenn ich<br />

mit einer persönlichen Bemerkung schließen darf, es haben mir gerade diese beiden Eindrücke das Vertrauen<br />

gegeben, daß in einer solchen Lage auch dem kleinen Anstoß und in sich ungenügenden Hinweis schon ein<br />

bescheidenes Verdienst zukommen könnte.<br />

Daß ich dabei dem Bilde eines großen nicht immer verstandenen Dichters den Hintergrund der zeitgenössischen<br />

Literatur gegeben habe, ist mir als eine Notwendigkeit des Verständnisses erschienen; möge es einzelnen anderen<br />

auch weiterhin als ein Mangel an Takt erscheinen! Es sind bekanntlich die Kiebitze, denen kein Spiel zu hoch und<br />

folglich auch keine Trauer tief genug geht: vielleicht kann man verschiedener Meinung darüber sein, ob man bei<br />

einem großen Verlust weinen oder das Entschwindende zu begreifen suchen soll; mir schien, daß es nicht gerade<br />

die nächsten geistigen Anverwandten des großen Toten waren, welche in meinen Ausführungen die Pietät<br />

vermißten.<br />

Gutenberg Spiegel.de - Essay -Reden Kapitel 8<br />

Gutenberg Spiegel-de Robert Musil<br />

DHM Biografie<br />

"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!"<br />

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Editorische Notiz : Betrifft Rechtschreibung:<br />

Die Texte von Rainer Maria Rilke<br />

werden nicht im Format der neuen deutschen Rechtschreibung wiedergegeben,<br />

sondern im Originalformat von Rainer Maria Rilke.<br />

Dieser Blog folgt dem Originaltext.<br />

RAINER MARIA RILKE . 1875 - 1926<br />

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Vorgefühl<br />

Rainer Maria Rilke<br />

Vorgefühl<br />

Ich bin wie eine Fahne von Fernen umgeben.<br />

Ich ahne die Winde, die kommen, und muss sie leben,<br />

während die Dinge unten sich noch nicht rühren:<br />

die Türen schließen noch sanft, und in den Kaminen ist Stille;<br />

die Fenster zittern noch nicht, und der Staub ist noch schwer.<br />

Da weiß ich die Stürme schon und bin erregt wie das Meer.<br />

Und breite mich aus und falle in mich hinein<br />

und werfe mich ab und bin ganz allein<br />

in dem großen Sturm.<br />

Rainer Maria Rilke<br />

Herbst 1904?, Schweden?<br />

Aus: Buch der Bilder, des ersten Buches zweiter Teil.<br />

"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!"<br />

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Kretische Artemis<br />

Rainer Maria Rilke<br />

Artemis Dreaming, Gate to paradise, 1906<br />

Wilhelm Bernatzik<br />

Kretische Artemis<br />

Wind der Vorgebirge: war nicht ihre<br />

Stirne wie ein lichter Gegenstand?<br />

Glatter Gegenwind der leichten Tiere,<br />

formtest du sie: ihr Gewand<br />

bildend an die unbewussten Brüste<br />

wie ein wechselvolles Vorgefühl?<br />

Während sie, als ob sie alles wüsste,<br />

auf das Fernste zu, geschürzt und kühl,<br />

stürmte mit den Nymphen und den Hunden,<br />

ihren Bogen probend, eingebunden<br />

in den harten hohen Gurt;<br />

manchmal nur aus fremden Siedelungen<br />

angerufen und erzürnt bezwungen<br />

von dem Schreien um Geburt.<br />

Rainer Maria Rilke<br />

Frühsommer 1908, Paris<br />

Artemis in verschiedenen Darstellungen.<br />

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Artemis-Guillaume-Seignac-Diana-the-Huntress, ArtWork<br />

Artemis - Diana - Art<br />

Artemis Darstellungen<br />

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Aus: Der neuen Gedichte anderer Teil - A mon grand Ami Auguste Rodin<br />

"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!"<br />

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Gedichte<br />

Rainer Maria Rilke<br />

Die Greisin<br />

Weiße Freundinnen mitten im Heute<br />

lachen und horchen und planen für morgen;<br />

abseits erwägen gelassene Leute<br />

langsam ihre besonderen Sorgen,<br />

das Warum und das Wann und das Wie,<br />

und man hört sie sagen: Ich glaube -;<br />

aber in ihrer Spitzenhaube<br />

ist sie sicher, als wüsste sie,<br />

dass sie sich irren, diese und alle.<br />

Und das Kinn, im Niederfalle,<br />

lehnt sich an die weiße Koralle,<br />

die den Schal zur Stirne stimmt.<br />

Einmal aber, bei einem Gelache,<br />

holt sie aus springenden Lidern zwei wache<br />

Blicke und zeigt diese harte Sache,<br />

wie man aus einem geheimen Fache<br />

schöne ererbte Steine nimmt.<br />

Rainer Maria Rilke<br />

1908 (vor dem 15.7.), Paris<br />

Aus: Der neuen Gedichte anderer Teil<br />

A mon grand Ami Auguste Rodin<br />

"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!"<br />

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Papageien-Park<br />

Rainer Maria Rilke<br />

Max Liebermann Papageienallee 1902<br />

Jardin des Plantes, Paris.<br />

Papageien-Park<br />

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Jardin des Plantes, Paris<br />

Unter türkischen Linden, die blühen, an Rasenrändern,<br />

in leise von ihrem Heimweh geschaukelten Ständern<br />

atmen die Ara und wissen von ihren Ländern,<br />

die sich, auch wenn sie nicht hinsehn, nicht verändern.<br />

Fremd im beschäftigten Grünen wie eine Parade,<br />

zieren sie sich und fühlen sich selber zu schade,<br />

und mit den kostbaren Schnäbeln aus Jaspis und Jade<br />

kauen sie Graues, verschleudern es, finden es fade.<br />

Unten klauben die duffen Tauben, was sie nicht mögen,<br />

während sich oben die höhnischen Vögel verbeugen<br />

zwischen den beiden fast leeren vergeudeten Trögen.<br />

Aber dann wiegen sie wieder und schläfern und äugen,<br />

spielen mit dunkelen Zungen, die gerne lögen,<br />

zerstreut an den Fußfesselringen. Warten auf Zeugen.<br />

Rainer Maria Rilke<br />

Herbst 1907, Paris, oder Frühjahr 1908, Capri<br />

Aus: Der neuen Gedichte anderer Teil<br />

A mon grand Ami Auguste Rodin.<br />

Le Zoo Jardin des Plants Paris<br />

RAINER MARIA RILKE in PARIS - Rilke Karte Paris<br />

Link: Größere Kartenansicht ....<br />

Diese Karte markiert wichtige Rilke-Orte in Paris:<br />

Die blauen „R“s stehen für Orte, die in Rilkes Werk erwähnt wurden.<br />

Die roten „R“s stehen für Orte aus dem Leben Rilkes und seines Umfelds.<br />

Klicken Sie auf ein R umd mehr zu erfahren!<br />

z.Bsp, die Örtlichkeit des Jardin des Plantes<br />

Karte: "Rilke WG". Danke für die Arbeit.<br />

"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!"<br />

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Das Gold<br />

Rainer Maria Rilke<br />

Das Gold<br />

Denk es wäre nicht: es hätte müssen<br />

endlich in den Bergen sich gebären<br />

und sich niederschlagen in den Flüssen<br />

aus dem Wollen, aus dem Gären<br />

ihres Willens; aus der Zwang-Idee,<br />

dass ein Erz ist über allen Erzen.<br />

Weithin warfen sie aus ihren Herzen<br />

immer wieder Meroë<br />

an den Rand der Lande, in den Äther,<br />

über das Erfahrene hinaus;<br />

und die Söhne brachten manchmal später<br />

das Verheißene der Väter,<br />

abgehärtet und verhehrt, nachhaus;<br />

wo es anwuchs eine Zeit, um dann<br />

fortzugehn von den an ihm Geschwächten,<br />

die es niemals liebgewann.<br />

Nur (so sagt man) in den letzten Nächten<br />

steht es auf und sieht sie an.<br />

Rainer Maria Rilke<br />

zwischen dem 22.8. und 5.9.1907, Paris<br />

Aus: Der neuen Gedichte anderer Teil<br />

A mon grand Ami Auguste Rodin.<br />

"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!"<br />

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Der Alchimist<br />

Rainer Maria Rilke<br />

Der Alchimist<br />

Seltsam verlächelnd schob der Laborant<br />

den Kolben fort, der halbberuhigt rauchte.<br />

Er wusste jetzt, was er noch brauchte,<br />

damit der sehr erlauchte Gegenstand<br />

da drin entstände. Zeiten brauchte er,<br />

Jahrtausende für sich und diese Birne<br />

in der es brodelte; im Hirn Gestirne<br />

und im Bewusstsein mindestens das Meer.<br />

Das Ungeheuere, das er gewollt,<br />

er ließ es los in dieser Nacht. Es kehrte<br />

zurück zu Gott und in sein altes Maß;<br />

er aber, lallend wie ein Trunkenbold,<br />

lag über dem Geheimfach und begehrte<br />

den Brocken Gold, den er besaß.<br />

Rainer Maria Rilke<br />

22.8.1907, Paris<br />

Aus: Der neuen Gedichte anderer Teil<br />

A mon grand Ami Auguste Rodin.<br />

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Der Reliquienschrein<br />

Rainer Maria Rilke<br />

Der Reliquienschrein<br />

Draußen wartete auf alle Ringe<br />

und auf jedes Kettenglied<br />

Schicksal, das nicht ohne sie geschieht.<br />

Drinnen waren sie nur Dinge, Dinge<br />

die er schmiedete; denn vor dem Schmied<br />

war sogar die Krone, die er bog,<br />

nur ein Ding, ein zitterndes und eines<br />

das er finster wie im Zorn erzog<br />

zu dem Tragen eines reinen Steines.<br />

Seine Augen wurden immer kälter<br />

von dem kalten täglichen Getränk;<br />

aber als der herrliche Behälter<br />

(goldgetrieben, köstlich, vielkarätig)<br />

fertig vor ihm stand, das Weihgeschenk,<br />

dass darin ein kleines Handgelenk<br />

fürder wohne, weiß und wundertätig:<br />

blieb er ohne Ende auf den Knien,<br />

hingeworfen, weinend, nichtmehr wagend,<br />

seine Seele niederschlagend<br />

vor dem ruhigen Rubin,<br />

der ihn zu gewahren schien<br />

und ihn, plötzlich um sein Dasein fragend,<br />

ansah wie aus Dynastien.<br />

Rainer Maria Rilke<br />

5.8.1907 und August 1908, Paris<br />

Aus: Der neuen Gedichte anderer Teil<br />

A mon grand Ami Auguste Rodin.<br />

"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!"<br />

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Die Texte von Rainer Maria Rilke<br />

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Fremde Familie<br />

Rainer Maria Rilke<br />

Fremde Familie<br />

So wie der Staub, der irgendwie beginnt<br />

und nirgends ist, zu unerklärtem Zwecke<br />

an einem leeren Morgen in der Ecke<br />

in die man sieht, ganz rasch zu Grau gerinnt,<br />

so bildeten sie sich, wer weiß aus was,<br />

im letzten Augenblick vor deinen Schritten<br />

und waren etwas Ungewisses mitten<br />

im nassen Niederschlag der Gasse, das<br />

nach dir verlangte. Oder nicht nach dir.<br />

Denn eine Stimme, wie vom vorigen Jahr,<br />

sang dich zwar an und blieb doch ein Geweine;<br />

und eine Hand, die wie geliehen war,<br />

kam zwar hervor und nahm doch nicht die deine.<br />

Wer kommt denn noch? Wen meinen diese vier?<br />

Rainer Maria Rilke<br />

Sommer 1908 (vor dem 2.8.), Paris<br />

Aus: Der neuen Gedichte anderer Teil<br />

A mon grand Ami Auguste Rodin.<br />

"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!"<br />

Editorische Notiz : Betrifft Rechtschreibung:<br />

Die Texte von Rainer Maria Rilke<br />

werden nicht im Format der neuen deutschen Rechtschreibung wiedergegeben,<br />

sondern im Originalformat von Rainer Maria Rilke.<br />

Dieser Blog folgt dem Originaltext.<br />

RAINER MARIA RILKE . 1875 - 1926<br />

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Gedichte - Der Blinde<br />

Rainer Maria Rilke<br />

Der Blinde<br />

Paris<br />

Sieh, er geht und unterbricht die Stadt,<br />

die nicht ist auf seiner dunkeln Stelle,<br />

wie ein dunkler Sprung durch eine helle<br />

Tasse geht. Und wie auf einem Blatt<br />

ist auf ihm der Widerschein der Dinge<br />

aufgemalt; er nimmt ihn nicht hinein.<br />

Nur sein Fühlen rührt sich, so als finge<br />

es die Welt in kleinen Wellen ein<br />

eine Stille, einen Widerstand -,<br />

und dann scheint er wartend wen zu wählen:<br />

hingegeben hebt er seine Hand,<br />

festlich fast, wie um sich zu vermählen.<br />

Rainer Maria Rilke<br />

21.8.1907, Pari<br />

Aus: Der neuen Gedichte anderer Teil<br />

A mon grand Ami Auguste Rodin.<br />

"Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit!"<br />

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Gedichte : Der Balkon<br />

Rainer Maria Rilke<br />

Der Balkon<br />

Neapel<br />

Von der Enge, oben, des Balkones<br />

angeordnet wie von einem Maler<br />

und gebunden wie zu einem Strauß<br />

alternder Gesichter und ovaler,<br />

klar im Abend, sehn sie idealer,<br />

rührender und wie für immer aus.<br />

Diese aneinander angelehnten<br />

Schwestern, die, als ob sie sich von weit<br />

ohne Aussicht nacheinander sehnten,<br />

lehnen, Einsamkeit an Einsamkeit;<br />

und der Bruder mit dem feierlichen<br />

Schweigen, zugeschlossen, voll Geschick,<br />

doch von einem sanften Augenblick<br />

mit der Mutter unbemerkt verglichen;<br />

und dazwischen, abgelebt und länglich,<br />

langst mit keinem mehr verwandt,<br />

einer Greisin Maske, unzugänglich,<br />

wie im Fallen von der einen Hand<br />

aufgehalten, während eine zweite<br />

welkere, als ob sie weitergleite,<br />

unten vor den Kleidern hängt zur Seite<br />

von dem Kinder-Angesicht,<br />

das das Letzte ist, versucht, verblichen,<br />

von den Stäben wieder durchgestrichen<br />

wie noch unbestimmbar, wie noch nicht.<br />

Rainer Maria Rilke<br />

17.8.1907, Paris<br />

Aus: Der neuen Gedichte anderer Teil<br />

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Gedichte: Auswanderer-Schiff<br />

Rainer Maria Rilke<br />

Auswanderer-Schiff<br />

Neapel<br />

Denk dass einer heiß und glühend flüchte,<br />

und die Sieger wären hinterher,<br />

und auf einmal machte der<br />

Flüchtende kurz, unerwartet, Kehr<br />

gegen Hunderte -: so sehr<br />

warf sich das Erglühende der Früchte<br />

immer wieder an das blaue Meer:<br />

als das langsame Orangen-Boot<br />

sie vorübertrug bis an das große<br />

graue Schiff, zu dem, von Stoß zu Stoße,<br />

andre Boote Fische hoben, Brot, -<br />

während es, voll Hohn, in seinem Schoße<br />

Kohlen aufnahm, offen wie der Tod.<br />

Rainer Maria Rilke<br />

18.8.1907, Paris<br />

Aus: Der neuen Gedichte anderer Teil<br />

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