OCEAN7 2008-03
Gegensätzlicher könnten die Reviere nicht sein, die in dieser Ausgabe von OCEAN7 beschrieben werden: karibisches Segeln vor den Küsten des kommunistischen Kuba und Besonderheiten aus der Inselwelt der dänischen Südsee. Gegensätzlicher könnten die Reviere nicht sein, die in dieser Ausgabe von OCEAN7 beschrieben werden: karibisches Segeln vor den Küsten des kommunistischen Kuba und Besonderheiten aus der Inselwelt der dänischen Südsee.
100 TexT IngeBorg WAldInger foTo roBert BreSSAnI Leere. „es ist allzu viel Platz da …” (thomas Mann) So Weit daS auge Reicht? Das phänomen horizont. Begrenzt. Über einen bestimmten Winkel hinaus kann das menschliche Auge nicht sehen. Und auch WAS gesehen wird, liegt rein im Auge des Betrachters. und stolz ist das Dahinziehen so eines Schiffes durch die Horizonte, als „schön Bewegungsart würdiger, entschieden, als das Um-die-Kurven-Rasen der Schnellzüge. Auffallend die absolute Leere des Gesichtskreises ... Es ist allzu viel Platz da. Die Geräumigkeit hat etwas Kosmisches.“ (Thomas Mann, „Meerfahrt mit Don Quijote“.) Der Horizont zeigt sich als messerscharfe Kontur oder als diffuse Grauzone; als gerader Strich, zackiger Kamm oder sanfte Wölbung. Er verschlingt die Sonne und gibt sie wieder frei. Der Mensch hat eine besondere Beziehung zu dieser Linie, an der Himmel und Erde scheinbar zusammenstoßen. Der Horizont markiert eine mythische Schwelle, die viele Fragen aufwirft. Das verleiht ihr den Nimbus eines Mysteriums: Wie real ist diese Grenze? Und was kommt dahinter? Das Ende der Welt? Der menschliche Gesichtskreis (griech. horízon) ist „begrenzt“. Über einen bestimmten Winkel hinaus vermag das Auge nicht zu sehen. Doch die Wahrnehmung der Welt ist keine bloße Frage der Sehkraft, sondern auch des geistigen Horizonts. Und der wird wesentlich durch soziale und kulturelle Faktoren bestimmt. Der hanseatische Feingeist und Patriziersohn Thomas Mann sieht die Welt (und deren Grenze zum Himmel) mit anderen Augen als der ums Überleben kämpfende Küstenfischer, die bangende Seemannsbraut oder der Entdeckungsreisende.
OCEAN7 essay essay 101 Die Kimm scharf zu beobachten war für Neuland-„Jäger“ in mehrfacher Hinsicht lohnend. So notierte Kolumbus in sein Bordbuch: Wer als Erster „Land in Sicht!“ vermeldete, sollte „außer all den Belohnungen, die das Herrscherpaar versprochen hatte, nämlich die Auszahlung eines lebenslänglichen Ruhegehaltes von 10.000 Maravedis“ auch noch eine seidene Jacke als Geschenk erhalten. Welche Küste Kolumbus erreicht zu haben glaubte, ist Legende. Die Grenzen des alten christlichen Kosmos waren ins Wanken geraten. Die Vorstellung, die Erde sei eine fixe Scheibe im Zentrum des Planetensystems, und der Himmel eine darübergesetzte Kuppel, hielt dem neuzeitlichen Forscherdrang nicht stand. Fremde Horizonte taten sich auf, neue Karten waren zu zeichnen, erstaunliche Geschichten zu erzählen. Die unendliche Ferne war nicht länger eine metaphysische, sondern eine berechenbare Dimension. Das Zeitalter der Aufklärung deutet den Horizont als Sinnbild der Erkenntnis. Man beginnt, die Welt aus immer neuen Perspektiven zu erfassen. Die Erschließung der Berggipfel ermöglicht den „Panoramablick“ auf die Schöpfung. Ein Flug mit der „Montgolfière“ legt dem Ballonfahrer die Welt zu Füßen. Allmählich unterscheidet man den wahren vom scheinbaren, den mathematischen vom nautischen Horizont. Der Wissensdurst des Menschen ist groß, die rein sachliche Erfassung von Welt und All aber macht ihn nicht selig. Immer wieder lädt er die entzauberte Natur mit Sentiment und Transzendenz auf. Der Horizont wird zur Projektionszone diffusen Verlangens. Solange der Mensch auf diese Sehnsuchtslinie zusteuert, hält er an seinen Träumen fest – und vielleicht auch an seiner Vision von einer besseren Welt. Der Horizont ähnelt einem Chamäleon. Er wechselt sein Aussehen, und das selbst hinter dem Rücken des Betrachters: Die Erinnerung verklärt bekannte Horizonte – oder lässt sie dem Herzen langsam entschwinden. So erging es wohl manchem Europäer, der New York erreichte und noch einmal Rückschau hielt: Jener „... blickte auf die See hinaus … und glaubte, dass die Wolkenbahn knapp über dem Horizont ein Umriss von Land sei ... Immer wieder sagte er sich, dass es kein Land sei und dass der östliche Horizont kein Versprechen enthalte. Aber der Eindruck blieb, entgegen aller Logik. Als er dann endlich die Wolken als Wolken erkannte und sah, dass es nichts als Wolken waren – und wenn es ihm nicht gelang, gelang es bestimmt seinem Sohn –, wurde er Amerikaner und ließ seine Verwandtschaft nachkommen.“ (John Berger, Essayband „Das Sichtbare und das Verborgene“.) Nicht selten entzaubert der Geschichtslauf diesen Limes. Dann verblasst der sprichwörtliche Silberstreif am Horizont. Doch Götter sind ewig und Utopien zäh. Solange sie den Horizont beseelen, verheißt diese Linie immer neue Hoffnung. Das Phänomen Horizont.
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in sein Bordbuch: Wer als Erster „Land<br />
in Sicht!“ vermeldete, sollte „außer all<br />
den Belohnungen, die das Herrscherpaar<br />
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eines lebenslänglichen Ruhegehaltes von<br />
10.000 Maravedis“ auch noch eine seidene<br />
Jacke als Geschenk erhalten. Welche<br />
Küste Kolumbus erreicht zu haben<br />
glaubte, ist Legende. Die Grenzen des<br />
alten christlichen Kosmos waren ins<br />
Wanken geraten. Die Vorstellung, die<br />
Erde sei eine fixe Scheibe im Zentrum<br />
des Planetensystems, und der Himmel<br />
eine darübergesetzte Kuppel, hielt<br />
dem neuzeitlichen Forscherdrang nicht<br />
stand. Fremde Horizonte taten sich auf,<br />
neue Karten waren zu zeichnen, erstaunliche<br />
Geschichten zu erzählen. Die<br />
unendliche Ferne war nicht länger eine<br />
metaphysische, sondern eine berechenbare<br />
Dimension.<br />
Das Zeitalter der Aufklärung deutet den<br />
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Man beginnt, die Welt aus immer neuen<br />
Perspektiven zu erfassen. Die Erschließung<br />
der Berggipfel ermöglicht den<br />
„Panoramablick“ auf die Schöpfung.<br />
Ein Flug mit der „Montgolfière“ legt<br />
dem Ballonfahrer die Welt zu Füßen.<br />
Allmählich unterscheidet man den wahren<br />
vom scheinbaren, den mathematischen<br />
vom nautischen Horizont. Der<br />
Wissensdurst des Menschen ist groß, die<br />
rein sachliche Erfassung von Welt und<br />
All aber macht ihn nicht selig. Immer<br />
wieder lädt er die entzauberte Natur mit<br />
Sentiment und Transzendenz auf. Der<br />
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Verlangens. Solange der Mensch<br />
auf diese Sehnsuchtslinie zusteuert, hält<br />
er an seinen Träumen fest – und vielleicht<br />
auch an seiner Vision von einer<br />
besseren Welt.<br />
Der Horizont ähnelt einem Chamäleon.<br />
Er wechselt sein Aussehen, und das<br />
selbst hinter dem Rücken des Betrachters:<br />
Die Erinnerung verklärt bekannte<br />
Horizonte – oder lässt sie dem Herzen<br />
langsam entschwinden. So erging<br />
es wohl manchem Europäer, der New<br />
York erreichte und noch einmal Rückschau<br />
hielt: Jener „... blickte auf die See<br />
hinaus … und glaubte, dass die Wolkenbahn<br />
knapp über dem Horizont ein Umriss<br />
von Land sei ... Immer wieder sagte er sich,<br />
dass es kein Land sei und dass der östliche<br />
Horizont kein Versprechen enthalte. Aber<br />
der Eindruck blieb, entgegen aller Logik.<br />
Als er dann endlich die Wolken als Wolken<br />
erkannte und sah, dass es nichts als Wolken<br />
waren – und wenn es ihm nicht gelang, gelang<br />
es bestimmt seinem Sohn –, wurde er<br />
Amerikaner und ließ seine Verwandtschaft<br />
nachkommen.“ (John Berger, Essayband<br />
„Das Sichtbare und das Verborgene“.)<br />
Nicht selten entzaubert der Geschichtslauf<br />
diesen Limes. Dann verblasst<br />
der sprichwörtliche Silberstreif<br />
am Horizont. Doch Götter sind ewig<br />
und Utopien zäh. Solange sie den Horizont<br />
beseelen, verheißt diese Linie<br />
immer neue Hoffnung.<br />
Das Phänomen Horizont.