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Hannes Malte Mahler — Sprenkgpunkte und Haftpunkte

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HANNES MALTE MAHLER


HANNES MALTE MAHLER<br />

SPRENGPUNKTE<br />

& HAFTPUNKTE


Anne-Marie Bonnet<br />

SPRENGPUNKTE<br />

UND HAFTPUNKTE<br />

Wer hat befohlen?<br />

HMM auszustellen heißt, sich einer Invasion, einer Übernahme<br />

durch andere Kräfte überlassen. Warum aber sich<br />

dieser Kunst aussetzen? <strong>Mahler</strong>s Werke stellen sich nicht<br />

nur vor, sie nehmen Räume in Besitz <strong>und</strong> fordern vom Betrachter,<br />

Stellung zu beziehen.<br />

Warum wird Kunst ausgestellt?<br />

Welchen 'Mehrwert' verspricht man sich?<br />

Jenseits der alten Diskussion über die Ablösung des<br />

Kultwertes durch den Ausstellungswert haben gerade in den<br />

letzten Jahren die ökonomischen Aspekte überhand genommen.<br />

Statt von der üblich gewordenen Gleichsetzung 'teuer =<br />

bedeutend' <strong>und</strong> der Allmacht des Kunstmarktes zu reden, sei<br />

versuchsweise die Frage gestellt: Warum Kunst? Allen<br />

Diskursen über die Relativierung der Werte im Zuge der<br />

postkolonialen <strong>und</strong> globalen Wende zum Trotz assoziieren<br />

die Meisten mit Kunst Schönheit bzw. Ästhetik oder ein<br />

‚Anderes’ in einem je sehr allgemeinen Verständnis: Kunst<br />

als Medium für einen anderen Blick auf die Welt! Wo alle<br />

Aspekte des Lebens von Effizienz, Rentabilität <strong>und</strong><br />

Funktionalität bestimmt sind, erscheint Kunst als ein letztes<br />

frei bestimmtes Feld. Aber auch dieses hat Spielregeln, wird<br />

von einem 'Betriebssystem Kunst' streng reguliert, das wiederum<br />

einem ökonomischen Diktat unterliegt! Davon nun<br />

setzt sich HMMs Praxis markant ab <strong>und</strong> folgt eigenen<br />

‚Spielregeln’.<br />

Jedes gute Kunstwerk stellt (sich) Fragen <strong>und</strong> muss seine<br />

eigene Notwendigkeit begründen. Nicht zufällig charakterisiert<br />

<strong>Mahler</strong> sein Atelier als ‚Bildfindungs intensiv -<br />

station’; denn dort entstehen die Werke nicht nur, sondern<br />

reagieren mit- <strong>und</strong> aufeinander, verändern immer wieder<br />

die Atmosphäre <strong>und</strong> erzeugen, die Experimentier- <strong>und</strong><br />

Spielregeln immer wieder sprengend, gleichsam eine<br />

Laborsituation. HMM ist Zeichner, Maler, Graphiker,<br />

Plastiker, Bildhauer, Performer, <strong>und</strong> diese kaleidoskopische<br />

Begabung irritiert zumeist. Quellen seines Wissens<br />

<strong>und</strong> seiner Inspiration sind neben der Kunstgeschichte<br />

auch die Literatur <strong>und</strong> alle Alltagsbereiche wie Wirt -<br />

schaft, Politik, Finanz- <strong>und</strong> Konsumweltsowie Medien.<br />

Zeitgenössische Kunst vs. Kunstgeschichte?<br />

Formal <strong>und</strong> inhaltlich bieten HMMs Werke Asso -<br />

ziationen zu Gemälden <strong>und</strong>/oder zur Schnitzkunst aus der<br />

Kunstgeschichte; diese sind zwar jederzeit möglich aber<br />

auch wohlfeil. Gewiss kann man unterscheiden zwischen<br />

dem eher allgemeinen kulturellen Bewusstsein <strong>und</strong> eher<br />

autobiographischen Bezügen, doch begründen diese<br />

<strong>Mahler</strong>s spezifische Ästhetik nicht wirklich. Das eigenwillige<br />

doublebind aus Vertrautem <strong>und</strong> Fremden, Anziehung<br />

<strong>und</strong> Abstoßung in den Themen wie in der Materialität der<br />

Bilder <strong>und</strong> Objekte ist eine der markantesten Qualitäten<br />

seiner bildnerischen Praxis. Was sprengt sie?<br />

5


Erwartungen, Gewissheiten?<br />

Was bleibt haften?<br />

Seltsam widersprüchliche Empfindungen zwischen<br />

Anmutung <strong>und</strong> Befremden, Erkennen <strong>und</strong> Ratlosigkeit.<br />

Die Gemälde evozieren auf malerisch ansprechende, ja<br />

geradezu attraktive Weise Situationen oder Zustände, die<br />

man letztlich nicht entschlüsseln kann <strong>und</strong> die auf entweder<br />

angenehme oder beunruhigende Weise die Phantasie<br />

anregen. Die haptische Qualität der plastischen Objekte<br />

oszilliert zwischen rätselhafter Kostbarkeit <strong>und</strong> trashiger<br />

Wertlosigkeit, wenn sich das opal schimmernde Gebilde<br />

als billiges Verpackungsmaterial entpuppt. Schein <strong>und</strong><br />

Sein, Fragen <strong>und</strong> Zweifel: Sind sie nicht der Beginn neuer<br />

Erkenntnis? Während Erkennen <strong>und</strong> Bestätigung zur<br />

raschen aber auch schnell verpuffenden Befriedigung führen,<br />

wecken <strong>Mahler</strong>s rätselhaft fremde Gebilde die<br />

Neugier. Die Formen des Halbreliefs <strong>und</strong> der Objekte sind<br />

offensichtlich gestaltet, vielfältig, subtil <strong>und</strong> deklinieren<br />

das gesamte Formenvokabular von organisch, vegetabil bis<br />

zu technischem Ornament. Die Gemälde loten ein weites<br />

Spannungsfeld zwischen Figuration <strong>und</strong> Abstraktion, Informell<br />

<strong>und</strong> Comic-Strip aus, bieten sämtliche Register<br />

des farbigen Auftrags <strong>und</strong> sind stets von attraktiver<br />

Farbigkeit. Malend wie plastisch gestaltend entwickelt<br />

HMM ein reichhaltiges Register der Ambivalenz, des<br />

doublebind zwischen appeal <strong>und</strong> Ablehnung, um<br />

Verständnis <strong>und</strong> Zweifel auszuloten. Anziehung kann aber<br />

auch ‚anzüglich’ sein: <strong>Mahler</strong>s Kunst der Ambivalenz ist<br />

nicht nur bipolar, sondern nuancenreich, changierend, irisierend<br />

<strong>und</strong> vertraut auf Wahrnehmung <strong>und</strong> Sinnlichkeit<br />

jenseits ihrer Instrumentalisierung. Das Bild der Welt ist<br />

schillernd, begegnet uns heute vornehmlich in Pixeln aufgelöst<br />

<strong>und</strong> erscheint zuweilen, etwa in high definition oder<br />

3D, schärfer <strong>und</strong> bunter als die Realität selbst. Wenn<br />

HMM an seine bildnerischen Stellungnahmen denkt,<br />

spricht er von „Sprengpunkten“ <strong>und</strong> „<strong>Haftpunkte</strong>n“.<br />

Auf den Punkt gebracht?<br />

Vom Punkt zur Linie zur Fläche: Alle klassischen<br />

Traktakte zur Kunst – sei es bei Albrecht Dürer oder Paul<br />

Klee <strong>und</strong> Kandinsky – beginnen mit dem Punkt, der zur<br />

Linie wird als Urquelle der Gestaltung, gilt die Zeichnung<br />

doch als Ursprung aller Bildnerei.<br />

Als Zeichner ist HMM auch bestens bekannt, aber dies ist<br />

nur eine seiner Ausdrucksmöglichkeiten, da er auch sämtliche<br />

alten handwerklichen <strong>und</strong> neuesten digital gestützten<br />

Gestaltungsmöglichkeiten beherrscht. Seit Dada <strong>und</strong><br />

Pop Art spricht man von der Aufhebung der trennung zwischen<br />

‚high and low’, E- <strong>und</strong> U-Kunst, da alles Kunst sein<br />

könne. Mit wirklichen Grenzgängen tut sich jedoch das<br />

'Betriebssystem Kunst' bis heute schwer, <strong>und</strong> es hält – je<br />

nach Bedarf – zwischen Kunst <strong>und</strong> Design, Kunst <strong>und</strong><br />

Mode etc. bizarre Grenzen aufrecht. Man spricht von<br />

‚cross over’ oder ‚transmedialem Arbeiten, übt selbst täglich<br />

‚multitasking’, sperrt sich dann aber dagegen, Vor -<br />

gehensweisen anzunehmen, die bisherige Kategorien<br />

sprengen. Die Malerei wurde vielfach zu Grabe getragen<br />

<strong>und</strong> feiert doch immer wieder fröhliche Aufstände.<br />

Mitten in der dritten digitalen Revolution entdeckt man<br />

wieder das Zeichnen etc. Der heutigen Vielfalt gestalterischer<br />

Möglichkeiten stellen sich jedoch weder die<br />

Kunstakademien noch die meisten Ausstellungshäuser.<br />

Nur wenige stemmen sich gegen diese 'Wahrnehmungs-<br />

scheuklappen' <strong>und</strong> suchen nach ‚Strategien gegen Obsolet -<br />

sein im digitalen Zeitalter’ . Zuletzt fragte z. B. 2001 eine<br />

Ausstellung, ob Malen eine Form des Denkens sei <strong>und</strong> es<br />

eine Philosophie der Malerei gebe, die über die Grenzen<br />

des eigenen Mediums hinaus ginge? Wo hört das Gemälde<br />

auf <strong>und</strong> wo beginnt die Welt? So interessant die Frage<br />

auch war, so sehr beharrte die damalige Ausstellung darauf,<br />

letztlich eine Praxis der Malerei zu behaupten: Sie könne<br />

Photographie, Konzept-Kunst, Performance oder Archi -<br />

tektur sein, aber sollte Malerei bleiben.<br />

Dass Malerei nicht mehr unbedingt ein Bild der Welt<br />

biete, ist eine Binsenwahrheit; dass sie dennoch die Welt<br />

verhandelt, steht außer Frage. Diese Art der Theoreti -<br />

sierung verrät nicht nur ein Unbehagen an der expandierenden<br />

Vielfalt gestalterischer Praktiken sondern auch<br />

einen Unwillen, sich von vertrauten Denkkategorien zu<br />

verabschieden. Wieso muss alles auf Malerei zurück geführt<br />

werden? Sehr wohl war sie am Beginn der historischen<br />

Moderne (im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert) <strong>und</strong> Anfang des 20.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts in der westlichen Welt das Medium, welches<br />

das veränderte Sein in der Welt reflektierte. Diesen Status<br />

hat sie aber schon lange eingebüßt.<br />

6 Carbon Footprint Remorse


Angesichts der visuellen Realität, mit der unsere Ge genwart<br />

nicht nur die westliche Welt konfrontiert, verspricht es<br />

wenig Erfolg, eine Malerei zu beschwören, die das ehemalige<br />

Potenzial von Welthaltigkeit einlösen könnte. Indem<br />

HMM malend, zeichnend, plastisch gestaltend sowie das<br />

Web <strong>und</strong> die neue digitalen Träger (tablets) nutzend seine<br />

bildnerische Praxis multipliziert, macht er deutlich, dass<br />

der Welt <strong>und</strong> unserer Realität nur mehrstimmig begegnet<br />

werden kann. Sie kann erfasst, auf den Punkt gebracht<br />

werden, aber bleibt schillernd, wechselhaft, flüchtig, ständig<br />

im Wechsel <strong>und</strong> muss immer erneut er-jagt werden,<br />

sprengt sich gleichsam immer wieder selbst in die Luft.<br />

Der Welt begegnen?<br />

<strong>Mahler</strong> stellt nicht Kunst um der Kunst willen her, sondern<br />

bezieht Stellung zur Welt. Wie er das tut, ist für ihn<br />

eine Frage der Rhetorik: Wie kann Kunst wirksam sein?<br />

In einer Zeit, die sich dem ökonomischen Diktat ergeben<br />

habe, in der im Ökonomischen wie in der Politik keine<br />

Diskurse mehr stattfänden, herrscht laut HMM nur noch<br />

Rhetorik. Damit ist wohl die hohe Kunst der Verbrämung<br />

von Nichtigkeiten, Leerformeln gemeint. So erinnert er<br />

daran, dass wir im Alltag von Bildern umgeben sind, die<br />

uns ständig zu Konsum verführen wollen, uns Bedürfnisse<br />

einreden, ohne dass nach unserer Meinung oder unseren<br />

wahren Bedürfnissen gefragt würde. Es sind Leerformen,<br />

die allein wirtschaftlichen Interessen dienen. Ähnliches<br />

gilt für die allgegenwärtigen Reden in den Medien: Sie<br />

täuschen eine Information vor, die nicht stattfindet.<br />

HMMs Styrodur-Gewehre sind genau solche rhetorischen<br />

Leerformen: Effektvoll lassen sie erkennen, was gemeint<br />

ist, sind aber nur Leerformen, Anspielung, Schatten bzw.<br />

Hauch ihrer selbst.<br />

Was will der Künstler? Sich in die Kunstgeschichte einschreiben?<br />

Auf diese Fragen muss man für HMM antworten:<br />

Lustvolle Kommentare zu heutigen Verfasstheit der<br />

Welt, alternative Blicke, Ein- <strong>und</strong> Aussichten zu unseren<br />

Befindlichkeiten bieten. Heute hat in der Kunst „alles<br />

einen Preis aber keinen Wert mehr“. Umso mehr gilt es,<br />

immer wieder zu fragen: Was sehen wir, wird uns gezeigt?<br />

Schauen wir hin, nehmen wir wahr? Oder reicht uns ein<br />

schemenhaftes Andeuten?<br />

Die Politik spricht davon, es gebe keine Alternative – entsprechend<br />

dem viel zitierten Merkelschen „alternativlos“.<br />

Und doch werden weitere Steigerungen, noch bessere<br />

Spar- oder Rettungsprogramme versprochen. Diesem<br />

‚Gesetz der Superlative’ entsprechend bietet HMM dann<br />

die besten Waffen ‚ever’!<br />

Kunst der Superlative?<br />

Neben den Waffen entfalten die Gemälde <strong>und</strong> die Gebilde<br />

eine komplexe Welt aus zoomorphen, technoiden, anthropomorphen,<br />

humanoiden <strong>und</strong> vegetabilen <strong>und</strong>efinierbaren<br />

Formen, die einander überlagern, berühren, halten,<br />

verdecken: Schicht um Schicht, Lage für Lage, sie<br />

wuchern <strong>und</strong> wachsen, sind da, folgen einer inneren<br />

Logik, die man nicht versteht, die aber in sich stimmig<br />

erscheint <strong>und</strong> ästhetisch überwältigt. Sie täuscht uns aber<br />

nicht, sondern führt sich selbst <strong>und</strong> ihre Methoden vor.<br />

Geschnitzt, geschnitten, geformt, gewachsen, gelegt,<br />

geheftet führen HMMs Gebilde eine große Palette plastischer<br />

<strong>und</strong> bildnerischer Möglichkeiten vor: von größter<br />

Einfachheit zu extremer Komplexität. Ihre Materialität ist,<br />

da nicht immer haptisch oder visuell erkenn- <strong>und</strong> definierbar,<br />

befremdlich <strong>und</strong> fordert unsere Sinne heraus.<br />

Ausgeprägt ist der Drang, die Objekte anfzufassen. Das<br />

Material ist keineswegs edel, kommt aus der Industrie, ist<br />

als Isoliermaterial gedacht zur Wärmedämmung <strong>und</strong><br />

besitzt eine perfide, ebenso attraktive wie abstoßende<br />

Qualität. HMMs bildnerische Praxis führt ein idiosynkratisches<br />

Modell vor: einen Modus, der Welt zu begegnen<br />

<strong>und</strong> ihr zu antworten, einen Anreiz, sich ‚seinen eigenen<br />

Reim’ darauf zu machen.<br />

Mit den Sinnen denken?<br />

In der Ausstellung ‚Painting at the Edge of the World’ von<br />

2001 wurde gefragt, ob Malerei „eine Form des Denkens<br />

sei“. Die Antwort: Ja, aber nur eine! HMMs plastische<br />

Praxis erweist sich hingegen als anschauliche Philosophie.<br />

Denken bei <strong>und</strong> mit HMM ist nicht abstrakt, sondern<br />

haptisch, sinnlich vielfältig, führte er doch zahlreiche<br />

Arten vor, zu denken, zu formen, zu entwickeln: ernst, kritisch,<br />

humorvoll, philosophisch, politisch, albern, augenzwinkernd,<br />

nachdenklich, verspielt <strong>und</strong> tiefschürfend.<br />

Casino Capitalism Main Entrance<br />

11


Die Titel der Werke, die diese selten erklären, sie eher wie<br />

ein ‚Parfüm’ (wie Duchamp sagte) begleiten <strong>und</strong> eine weitere<br />

Dimension eröffnen, geben aufschlussreiche Anhalts -<br />

punkte: Titel wie ‚Die Insel der außertariflich An ge -<br />

stellten’, ‚Giant Growth Indicator’, ‚Pirate Economist’,<br />

‚Gewinnmitnahme’ oder ‚Big Pimple’ spielen auf die<br />

Phantasie- bzw. die Arbeits-, Wirtschafts- <strong>und</strong> Finanzwelt<br />

an, stammen aus der Kunst, der Geographie, der Biologie,<br />

dem Alltag, der Spielwelt, der Medizin etc., wecken Asso -<br />

ziationen oder Gegenbilder, ein Lächeln oder Nase -<br />

rümpfen, reizen uns, eigene Gedanken zu entwickeln. Die<br />

Werke haben sinnliche, haptische <strong>und</strong> ästhetische, sensualistisch<br />

gewinnende Eigenschaften, sind zuweilen sogar<br />

interaktiv, <strong>und</strong> regen doch stets zum Nachdenken an. Sie<br />

führen vor, wie sinnlich <strong>und</strong> spannend Denken sein kann<br />

<strong>und</strong> wie anregend Zweifeln.<br />

(Ver?-)Lustprinzip<br />

Bei HMM reagiert Denken quecksilbrig, seismographisch<br />

auf die Welt <strong>und</strong> liefert Bildwerke, die uns einladen, uns<br />

der Welt so intuitiv wie intelligent, so rational wie instinktiv<br />

zu öffnen <strong>und</strong> ihr zu antworten. Die Welt sei heute so<br />

komplex, dass sie sich mehr denn je der Verständlichkeit<br />

<strong>und</strong> Darstellbarkeit entziehe. Seit Beginn der Moderne ist<br />

dies geradezu ein Mantra, das lange dazu diente, Formen<br />

nicht-figurativer Kunst zu rechtfertigen. Heutzutage hat<br />

sich die Schwierigkeit, die Welt <strong>und</strong> die Realität zu erfassen,<br />

um ein Vielfaches vermehrt, da ein Großteil der<br />

Menschheit nicht mehr nur einfach im ‚hier <strong>und</strong> jetzt’<br />

lebt, sondern ständig mit anderen Menschen an anderen<br />

Orten in Verbindung steht <strong>und</strong> via Internet über Zeit- <strong>und</strong><br />

Ländergrenzen hinweg prinzipiell an mehreren Lebens -<br />

wirklichkeiten Teil hat. Jeder kann Bilder <strong>und</strong> Objekte<br />

erzeugen, manipulieren <strong>und</strong> in Umlauf bringen. Photo -<br />

graphische Bilder sind im digitalen Zeitalter nur mehr<br />

‚Realitätsversprechen’ <strong>und</strong> dienen nur selten dazu, sich der<br />

Welt zu versichern. Wie kann man einer solchen flüssigen,<br />

sich in stetem Wandel befindenden Welt <strong>und</strong> Bilderwelt<br />

noch begegnen? Schon in den 1950er Jahren warnte der<br />

Philosoph Günther Anders davor, dass sich die Bilderwelt<br />

vor die Welt schieben <strong>und</strong> zu einem Realitätsverlust führen<br />

werde. Die Möglichkeit, die Welt der Bilder ('Welt<br />

2.0') mit der realen Welt zu verwechseln, ist heute allgegenwärtig;<br />

es gibt sogar schon Pathologien ('Netzsucht').<br />

Dieser Zustand wird nicht selten als Verlust von<br />

Authentizität, Verständigung <strong>und</strong> Verständnis erfahren.<br />

HMM kapituliert nicht vor der Aufgabe, der Allgegen -<br />

wart visueller Angebote <strong>und</strong> Penetrationen zu begegnen.<br />

Im Gegenteil reagiert er mit einem lustvollen Gegenan -<br />

griff, indem er Bilderwelten generiert, die vermittels eigenwilliger<br />

Materialien <strong>und</strong> Gestaltungsstrategien eigene<br />

Fragen <strong>und</strong> Antworten bieten. Sie entsprechen ihrer<br />

Gegenwart, halten dieser den Spiegel vor, treiben mit ihr<br />

Vexierspiele. Während die meisten Menschen auf die allgegenwärtige<br />

Durchdringung aller Lebensbereiche durch<br />

das Diktat der Ökonomie mit Selbst-Management <strong>und</strong> -<br />

Optimierungsbemühungen reagieren, um so fit wie möglich<br />

fürs System zu bleiben/werden, antwortet HMM mit<br />

subtiler Ironie oder lustvollem Witz.<br />

Die 'Welt 2.0'?<br />

Unlängst beschrieb Bernd Graff sehr treffend, wie die<br />

Paradigmen der Ökonomie, „die Rationalisierung, das<br />

Management, die Quantifizierung, die Effizienz, die<br />

Zeiterfassung, der Profit, die Optimierung, der Wett be -<br />

werb sich heute in der Selbstbeschreibung von Menschen<br />

wieder finden ... Ganz so, als seien das Ich <strong>und</strong> sein Körper<br />

nur nach der Logik des Marktes, der Rentabilität von Be -<br />

ziehungen, den Maßgaben zur Steigerung von Effizienz<br />

des Einzelnen denkbar.“Zum einen muss alles planbar,<br />

messbar, steuerbar sein, <strong>und</strong> zum anderen sind die<br />

Grenzen zwischen realem <strong>und</strong> sog. ‚virtuellem’ Leben fließend<br />

geworden. Was heißt virtuell, wenn eine Mobbing-<br />

Kampagne in der ‚virtuellen’ Welt des Netzes zum realen<br />

Selbstmord einer Schülerin führt? Fre<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Feind -<br />

schaften werden im <strong>und</strong> durch das Netz <strong>und</strong> das Smart -<br />

phone bestimmt. Macht <strong>und</strong> Allgegenwart der Ökonomie<br />

<strong>und</strong> der Multiplikation von Bilder- <strong>und</strong> Lebens welten verändern<br />

Werte- <strong>und</strong> Realitätsvorstellungen in noch nie da<br />

gewesenem Maße. Während sich Künstler früher mit der<br />

Kunstgeschichte <strong>und</strong> der Realität konfrontiert sahen, liefern<br />

heutige Bildmedien, man denke z. B. nur an ‚Youtube',<br />

eine täglich steigende Flut an Bildern <strong>und</strong> Möglichkeiten<br />

von Selbstdarstellung <strong>und</strong> Partizipation, mit denen ‚klassische’<br />

Kunstwerke kaum noch zu konkurrieren vermögen.<br />

Giergr<strong>und</strong>schule<br />

12


Mit seiner wuchernden Kreativität, seinen lustvollen Ent -<br />

wicklungen immer neu- <strong>und</strong> andersartiger Gestaltungs -<br />

möglichkeiten, Grenzgängen zwischen Medien <strong>und</strong><br />

Genres antwortet HMM auf die aus den Fugen geratene<br />

Wirklichkeit, der mit überlieferten Denk- <strong>und</strong> Gestalt -<br />

konventionen nicht mehr begegnet werden kann.<br />

Zeitgenössisch?<br />

In den 1970er Jahren dachte man zum Beispiel, „dass sich<br />

die Malerei, um zu überleben <strong>und</strong> sich weiterzuentwikkeln,<br />

von allen übrigen Künsten ebenso unterscheiden<br />

müsse wie von jeder Nichtkunst.“ Dies hat sie seitdem in<br />

immer neuen Volten – vom Selbstzweifel bis zur Anti -<br />

kunst – vollzogen; es erhebt sich nur die Frage nach ihrer<br />

Relevanz bzw. Wirkungsmacht. Bedarf sie, um zu bestehen,<br />

der Reservate der Kunst (Museum, Galerie, Kunst -<br />

markt)? Nur eine Kunst, die den Gang in den <strong>und</strong> die<br />

Bewährungsprobe im Alltag nicht scheut, sich selbst in<br />

Frage stellt <strong>und</strong> sich nicht zu ernst zu nehmen scheint, vermag<br />

einer Gegenwart zu begegnen, die nur wenige Frei -<br />

räume des Denkens <strong>und</strong> Fühlens vorsieht. Die nächsten<br />

Generationen werden sog. ‚digital natives’ sein, deren<br />

ästhetische Kodierung vorwiegend durch Videospiele<br />

geprägt sein wird – ein Wandel, den z. B. die Filmindustrie<br />

Hollywoods schon lange erfasst hat, richtet sich doch<br />

deren Leitästhetik zunehmend nach den Kriterien von<br />

Videospielen <strong>und</strong> oder Comics. Comic-Helden werden<br />

von echten Schauspielern nachgestellt, reale Menschen in<br />

3D-Avatare transformiert, <strong>und</strong> sogar in der Literatur er -<br />

fährt die Graphic Novel eine Nobilitierung. Die alten<br />

‚Kategorien’ <strong>und</strong> Maßstäbe wandeln sich rascher, als den<br />

Gralshütern des ästhetischen Feldes lieb ist. <strong>Mahler</strong> sind<br />

Scheuklappen fremd, <strong>und</strong> er verarbeitet kühn <strong>und</strong> unverfroren<br />

alle Bilderwelten, die uns tagtäglich nicht nur<br />

umgeben, sondern penetrieren <strong>und</strong> prägen, ob wir es<br />

möchten oder nicht. HMM ist eine Molly Bloom des 21.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts, deren ‚stream of consciousness’ uns statt mit<br />

Sprache mit einem Bilderstrom kaleidoskopisch reflektiert.<br />

Indem er uns mit Bildern <strong>und</strong> Objekten konfrontiert, die<br />

uns Fragen stellen, <strong>und</strong> mit neuartigen Empfindungen<br />

<strong>und</strong> Seherlebnissen immer wieder überrascht, erinnert uns<br />

HMM daran, dass wir einen eigenen ‚Wahrnehmungs-<br />

apparat’ haben <strong>und</strong> zu eigenen Antworten fähig sind. Er<br />

bietet keine Antworten sondern Anleitungen zur selbstständigen<br />

Erk<strong>und</strong>ung. Der Erkenntnisweg ist überaus<br />

abwechslungsreich, <strong>und</strong> lässt man sich auf ihn ein, wird<br />

man wie Alice, als sie einst durch den Spiegel ging mit<br />

neuen Augen durch die Welt wandelte.<br />

1 Jörg Heiser, The Odd Couple: Painting, Rock Music, and their shared strategies against obsolescence in the digital age,<br />

in: Painting at the Edge of the World, hrsg. von Douglas Fogle, Walker Art Center, Minneapolis, 2001 S.- 137-<br />

2 ebda. passim<br />

3 Neuerdings kann jeder selbst mittels eines 3D-Druckers jeden denkbaren Gegenstand erzeugen.<br />

Wie wird sich dies auf die Praxis der Bildhauer/Plastiker, der Bildenden Künstler auswirken?<br />

4 Graff, Bernd, Wir herrenlosen Sklaven, Was war das nochmal, das gute Leben?<br />

Auf einer Stuttgarter Tagung wurde die schleichende Ökonomisierung der Werte diskutiert, in:<br />

Süddeutsche Zeitung, Nr. 286, 11.12 2012, S. 13<br />

5 Batchelor, David, Chromophobie, Angst vor der Farbe, Wien, 2002, S. 98<br />

14<br />

Booze Cruise Control


Junk Bonds<br />

16<br />

Pirate Economist


Emerging Markets<br />

18 Der Zauberlehrling


Memory Sack 20<br />

Mnemonic Memory Sacks Stereo Big Pimple Blue Collar Memories


Darkhouse II 22<br />

Silent Shore


The Party 24<br />

Sub Prime Inferno


Flood 26<br />

Evil Cloud


Full Board 28


Die Goldmacherin 30


Pin Stripe Curtain 32


Self Surgery Harvest 35<br />

Der süße Brei


Der Zauberlehrling<br />

37<br />

Stride


Giant Growth Indicator<br />

38<br />

Mother Earth


Sfumato Dedicated Followers of Fashion Invisible Spook<br />

40


Snow Ball System Sprengpunkte (Studie) 43 Trial and Error


Testosterone Jumper<br />

45 Sprengpunkte Memento Vivendi Youth


Graces Paralines Bonds 47<br />

Algenanzug


Land Cape<br />

48 Dance Memories Memory Rucksack


Seven Deadly Sins<br />

51


52 xx


55


56


Generic Models<br />

59


60


63


65


67


69


70


Mark Gisbourne<br />

VIRTUELL ALS VISUELL<br />

Die Zeichnung im digitalen Zeitalter<br />

Etwa siebzig Jahre nach dem Erscheinen von Walter<br />

Benjamins berühmtem Aufsatz scheint es sonderbar, dass<br />

die alte Verteidigungsformel der “Aura” der Originalität<br />

nach wie vor zitiert wird, um gegen die Nutzung technischer<br />

Verfahren bei der Herstellung von Kultur gütern zu<br />

argumentieren. 1 Es gibt nur wenige, die der kreativen<br />

Kamera ihre Rolle als Mechanismus für die Produktion<br />

photographischer Kunst streitig machen würden. Doch<br />

man beruft sich auf die alten kritischen Klischees wenn es<br />

um die neue digitale Welt geht, vor allem wenn es sich um<br />

Computer-Technologien handelt – in diesem Fall, um die<br />

Neuerungen im Bereich iPad. Die jüngsten digitalen<br />

Zeichnungen von <strong>Hannes</strong> <strong>Malte</strong> <strong>Mahler</strong> reflektieren <strong>und</strong><br />

entwickeln visuelle Erfahrungen in einer erweiterten Form<br />

digitaler Zeichen kunst. 2 Die Be trachtung der einzigartigen<br />

visuellen <strong>und</strong> originären Qualitäten, die <strong>Mahler</strong> im<br />

Umgang mit dem iPad entwickelt, bietet eine Mög lich -<br />

keit zu einem besseren Ver ständnis der erneuerten zeitgenössischen<br />

Beziehung zur Geschichte des Zeichnens im<br />

Zeitalter der Digitalisierung. Was sind die primären<br />

Eigenschaften der Zeichnung als lebendiges <strong>und</strong> modernes<br />

Medium <strong>und</strong> auf welche Art wird dieses durch digitale<br />

Verfahren gestärkt <strong>und</strong> erweitert? Allen Zeichnungen ist<br />

die Beziehung zwischen dem Visuellen <strong>und</strong> dem Hap -<br />

tischen gemeinsam (Sehen <strong>und</strong> Berühren) <strong>und</strong> so gibt es<br />

psychologisch kaum einen Unter schied zwischen der<br />

Verwendung von Feder, Kreide oder Tusche auf Papier<br />

<strong>und</strong> dem Stift auf dem iPad. Durch die neuen Com -<br />

putertechnologien ist es möglich, die pentimenti (korrigierende<br />

Arbeitsspuren) sichtbar zu machen – aber eben als<br />

Daten, anstatt als unmittelbar physisch vorhandene<br />

Zeichen auf Papier.<br />

In gewissem Sinn bleiben für den heutigen Zeichner die<br />

Verfahren der traditionellen <strong>und</strong> der digitalen Zeichen -<br />

technik also gleich.<br />

Dabei tritt das Werkzeug – die verschiedenen Stifte für das<br />

digitale Zeichnen – in eine direkte Beziehung mit den<br />

historischen Ursprüngen. 3 Ein weiteres Merk mal, das mit<br />

der traditionellen Zeichen kunst geteilt wird, ist die Ver -<br />

wendung von Transparenz – der gestische Schwung für<br />

zarte Tönungen oder Aquarelle, den auch digital Werk -<br />

zeuge ermöglichen. Dieses digital erzeugte optische Palim -<br />

pest bietet ein breites Spektrum von Symmetrie <strong>und</strong> Ver -<br />

zerrung, unterschiedlichster Wirk ungen <strong>und</strong> Effekte <strong>und</strong><br />

eine große Vielfalt virtueller Oberflächen. Wo keine tatsächliche<br />

physische Präsenz durch Pinselstrich oder Blei -<br />

stiftlinie im eigentlichen Sinne entsteht, wird diese durch<br />

manipulative Gewandheit ersetzt, die höchste Ge schwindig -<br />

keit der Interaktionen zwischen Hand <strong>und</strong> Bildschirm<br />

ermöglicht. Darüber hinaus gibt es sehr viele Ähnlichkeiten<br />

mit den traditionellen geistigen Ein stellungen des<br />

Zeichnens <strong>und</strong> Malens. Die Tatsache, dass die Parameter<br />

durch die verwendeten digitalen Pro gramme vorgegeben<br />

sind, sollte nicht als Hemmung be trachtet werden, da jegliches<br />

Material hinsichtlich seine Nutzung <strong>und</strong> seiner<br />

Anwendung spezifische Grenzen aufweist. Dies trifft für<br />

traditionelle Kunstmaterialien ebenso zu wie für die kreative,<br />

illusions-orientierte Ästhetik des von der digitalen<br />

Kunst erzeugten „Virtuellen“. 4 Andere digitale Verfahren<br />

ermöglichen eine noch spontanere Arbeitsweise, da es keinen<br />

materiellen Widerstand gibt <strong>und</strong> der intuitive Fluss<br />

des Ausdrucks weniger eingeschränkt wird.<br />

Big Bang Expansion 75


So kann man folgern, dass digitales Zeichnen (oder<br />

Malen) deshalb keinesfalls die Aufgabe der Tradition be -<br />

deutet sondern die kreative Erweiterung des bestehenden<br />

Mediums mit weiter wachsenden Möglichkeiten.<br />

Mit ihrem lebendigen, oft Matisse-artigen Sinn für Farbe<br />

sind <strong>Hannes</strong> <strong>Malte</strong> <strong>Mahler</strong>s digitale iPad-Zeichnungen<br />

eine Einladung an den Betrachter, in das Vergnügen rein<br />

optischer Wahrnehmung einzutauchen. Die Serie in der<br />

aktuellen Ausstellung offenbart <strong>Mahler</strong>s zunehmende<br />

Beherrschung dieser neuen digitalen Zeichnung. Die Ar -<br />

beiten entfalten die Vertraulichkeit von Linie <strong>und</strong> Flächig -<br />

keit ebenso wie geschichtete Tiefen <strong>und</strong> Trans parenz.<br />

Vom verbergenden Palimpest bis zur großen Vielfalt gestischer<br />

Reihung wird eine höchst persönliche Sprache in<br />

Arbeiten wie Alpinist Spots <strong>und</strong> Rods and Cones sichtbar.<br />

Gleichzeitig findet man auch Zeichnungen von frenetischen<br />

Dichte, etwa Risings and Falls, in der pseudo-wissenschaftliche<br />

Konzepte von Zeit <strong>und</strong> Dauer als Erhebung<br />

<strong>und</strong> Fall einer imaginären Bergkette anklingen – deren<br />

Unmittelbarkeit <strong>und</strong> visueller Humor jedoch ebenso<br />

offensichtlich ist: durch die Eigentümlichkeit der ab -<br />

fallenden Linien, die an berühmte Skipisten erinnern. In<br />

der Tat sind Humor <strong>und</strong> Witz in <strong>Mahler</strong>s Arbeiten nie<br />

fern – wie in seinem Self-Portrait as a Cloud, in dem sein<br />

Gesicht <strong>und</strong> seine an DVDs erinnernden Augen ein wehleidiges<br />

<strong>und</strong> schüchternes, mehrdeutiges melancholisches<br />

Gefühl hervorrufen. Zwar verweist die komische Ge -<br />

spenterhaftigkeit des Werks scheinbar auf <strong>Mahler</strong>s außerordentlich<br />

amüsante Fotoserie Spooks / Spirits, es ist ebenso<br />

ein gelungener Versuch in ‘Pareidolie’ oder ‘Apophänie’,<br />

das weit verbreitete Phänomen, aufgr<strong>und</strong> dessen man zum<br />

Beispiel Gesichter in Wolken zu sehen meint. 5 Diese Idee<br />

ist am ehesten durch die Abhandlung in den „Notiz-<br />

büchern“ Leonardos bekannt, der die Idee von kreativ auftauchenden<br />

Gesichtern <strong>und</strong> Provokationen aus Wänden<br />

<strong>und</strong> Steinen usw. formuliert. Wenn <strong>Mahler</strong> sie verwendet,<br />

werden sie jedoch besonders komisch. Es gibt eine Fülle<br />

von Verweisen auf Wolken, Berge, Sternbilder <strong>und</strong> Zellen<br />

in <strong>Mahler</strong>s aktueller Serie von iPad-Zeichnungen.<br />

Der Künstler liefert in seinen Zeichnungen einen entfernten<br />

Anklang intuitiver Konzepte von Makrokosmos <strong>und</strong><br />

Mikro kosmos. Andererseits thematisieren sie die den<br />

Rückgriff auf Theorien hinsichtlich malerischer Muster<br />

<strong>und</strong> verfolgen das einfache optische Vergnügen, welches<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich mit der gestalterischen Wiederholung eines<br />

Motivs verb<strong>und</strong>en ist. 7 Vor allem aber machen diese<br />

Zeichnungen dem Auge Spaß, sie sind außerordentlich<br />

freudig <strong>und</strong> feierlich <strong>und</strong> erinnern dabei zum Teil an die<br />

frühe Spontaneität <strong>und</strong> die Frische amerikanischer Pop-<br />

Art mit deren positiver Af firmation der Wiederholung<br />

populärer Kultur.<br />

So die Verteidigung der iPad-Zeichnung nötig wäre: ein<br />

Großteil der Auseinandersetzung <strong>und</strong> Argumentation<br />

zielt auf die Art <strong>und</strong> Weise der Reproduktion <strong>und</strong> das<br />

Drucken des digitalen Bildes als Gegensatz zum kreativen<br />

Prozess des eigentlichen Zeichnens; mit anderen Worten<br />

das Transfer vom Gerät zum gewählten Trägermaterial für<br />

das digitale Bild. Es wird behauptet, dass solche Bilder<br />

theoretisch in unendlichen Mengen produziert werden<br />

können, wodurch ihr Status als originäres Kunstwerk unter -<br />

graben wird. Das Ar gu ment der unendlichen Wieder ho -<br />

lung kann leicht durch den Einsatz von Edition <strong>und</strong><br />

Lizensierung entkräftet werden, dies ist gängige Praxis<br />

heutiger Kulturproduktion. Allerdings ist die Vorstellung<br />

des „genauen Faksimiles“ aufgr<strong>und</strong> der perfektionierten<br />

Ergebnisse computergenerierter Repro duktionen problematischer<br />

(anders als z. B. frühe Fotografien, Radierungen<br />

oder Lithografien – deren Reproduktionsprozess regelmäßig<br />

subtile Unterschiede hervorbrachte). Diese<br />

Argumente haben wenig mit Benjamins tatsächlichen<br />

Punkt zu tun, nämlich dass Kunst eines Zeitalters, um als<br />

ein gültiges Kunstwerk zu gelten, auf irgendeine Weise<br />

emblematisch für das Zeitalter sein muss, in dem es kreiert<br />

wurde. „Die Art <strong>und</strong> Weise, in der die menschliche<br />

Sinneswahrnehmung sich organisiert – das Medium, in<br />

dem sie erfolgt – ist nicht nur natürlich sondern auch<br />

geschichtlich bedingt.“ 8<br />

Mag sein, dass sich die „Aura“ verschoben hat, dies aber<br />

trifft für alle Reproduktionsformen zu; eine Fotografie ist<br />

von dem Moment an verschoben, in dem sie aufgenommen<br />

wurde. In gewisser Weise befindet sich fast jedes Kunst -<br />

werk im Zustand kontinuierlicher Verschiebung, denn der<br />

Moment seiner Konzeption <strong>und</strong> Realisierung ist unwiederbringlich<br />

vergangen.<br />

76<br />

Big Bang Contraction


Eine Reproduktion ist keine Kopie, also eine atemporale<br />

Simulation eines Kunst werks, das keinen Bezug zum<br />

Moment der Ent stehung des Originals hat. Die<br />

Reproduktion funktioniert sowohl als kontinuierlicher<br />

kultureller Prozess ebenso wie als erweiterte Metapher. Ein<br />

lang etablierter <strong>und</strong> innerhalb der Nutzung moderner<br />

Kultur integrierter Prozess, sowie eine Metapher (die an<br />

sich bereits eine Verschiebung ist) von Natur <strong>und</strong> den<br />

Bedingungen der zeitgenössischen Welt. Die Einzig -<br />

artigkeit, die dem Ritual der „Aura“ zugeschrieben wird<br />

mag verschoben sein, doch kulturelle Feierlichkeiten ritueller<br />

Multiplizität sind als Ersatz entstanden. Diese ist<br />

einer der gr<strong>und</strong>legenden Aspekte, den wir von Konzept -<br />

kunst <strong>und</strong> Appropriation Art gelernt haben, das ästhetische<br />

Verschieben von selbstverzehrender Singularität<br />

(Subjektivität) bis zur Ausbreitung <strong>und</strong> Ubiquität (All-<br />

gegenwart). Die Resistenz <strong>und</strong> ständige Neubelebung der<br />

„Aura“ ist vor allem Teil eines manipulierten Kults des<br />

Objekts – von primärem <strong>und</strong> sek<strong>und</strong>ärem Markt – der<br />

kommerziellen Galerie <strong>und</strong> dem Auktions haus. Selbst -<br />

verständlich verfolgt der Markt die auratische Einzigartig -<br />

keit des Kunstwerks, um den Wert von Kunst als Ware <strong>und</strong><br />

Teil des Kapitalismus zu erhöhen. Wie die jüngeren<br />

Arbeiten von David Hockney zeigen <strong>Hannes</strong> <strong>Malte</strong><br />

<strong>Mahler</strong>s iPad-Zeichnungen, was Künstler jeder neuen<br />

Generation gemeinsam haben, nämlich die Tatsache, dass<br />

wahrhaft kreative Kunst fast immer eine Beschäftigung<br />

mit <strong>und</strong> Voranbringung der Technologien der eigenen<br />

Zeit bedeutet. 9 Aber es gibt einen Unter schied: <strong>Mahler</strong>s<br />

Arbeiten entwickeln sich freier <strong>und</strong> spontaner, weniger<br />

kompositorisch im Sinne traditioneller Malerei als jene<br />

von David Hockney. Der Deutsche konzentriert sich auf<br />

die freie Bewegung <strong>und</strong> die schnelle <strong>und</strong> <strong>und</strong> geschickte<br />

Handhabung – seine Ausdrucksmittel für die Dring -<br />

lichkeit des Augenblicks.Die ästhetische Offen barung, die<br />

der Betrachter in <strong>Mahler</strong>s iPad-Zeichnungen erfährt, ist<br />

der intuitive Eindruck der fröhlichen Unmittelbarkeit des<br />

Moments in denen sie produziert wurden. Sie erinnern<br />

uns daran, dass die Freude primär eine gesellschaftliche<br />

<strong>und</strong> kulturelle Empfindung ist, die Menschen miteinander<br />

teilen <strong>und</strong> dass dies als Herausforderung an den gegenwärtigen<br />

Kunstmarkt zu sehen ist, der Kunst in verschiedene<br />

Formen kommerzieller Waren verwandelt.<br />

Jelly Fish Motion Picture<br />

Digitale Malerei, Clip, Prints, 2013<br />

1 Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt 1963.<br />

2 Jeder kann für sich entscheiden, ob er sie digitale Zeichnungen oder Malereien nennen will. Da Farbe vorhanden ist, manche ziehen<br />

den Begriff “Malerei” vor. Doch wegen des Bildschirmstylus favorisieren anderen den Begriff “Zeichnung”. Styli aus Metall <strong>und</strong> Holz<br />

waren die ersten mechanischen Hilfsmittel im modernen Zeitalter des Zeichnens. Die Zeichenkunst begann im 14. Jahrh<strong>und</strong>ert zum<br />

Beispiel mit Silberstift <strong>und</strong> Goldstift (eine dünne Stange oder Juwelierdraht in einem hölzernen Stylus mit dem man auf gr<strong>und</strong>iertem<br />

Paper zeichnen konnte), später kamen Kreide <strong>und</strong> Feder als Zeichentechniken hinzu. Für eine kurze Geschichte digitaler Kunst siehe<br />

Christiane Paul, Digital Art, London, 2008. Für eine weitergehende ästhetische <strong>und</strong> theoretische Einschätzung siehe Frank Popper,<br />

From Technological Art to Virtual Art, Cambridge Mass. <strong>und</strong> London 2007.<br />

3 Frances Ames-Lewis, Drawing in Early Renaissance Italy, New Haven <strong>und</strong> London 2000. Es gibt eine Vielzahl von Publikationen, die<br />

die verschiedenen Metallstiftzeichnungstechniken behandeln.<br />

4 Oliver Grau, Virtual Art: From Illusion to Immersion, Cambridge, Mass. <strong>und</strong> London 2004. Es handelt sich um eine interessante<br />

Abhandlung über wie die neue digitale Kunst <strong>und</strong> die resultierende virtuelle Natur der Bilder sich in die Geschichte eines Suchens nach<br />

„virtuellem Raum“ innerhalb der Ästhetik von Illusion <strong>und</strong> Immersion einmündet.<br />

5 Obwohl es heute kaum ernst genommen wird, die Neigung Formen in anderen Dingen zu sehen wurde im frühen 20. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

von Psychopathologen als eine wahnhafte Störung diagnostiziert (Apophänie im Gegensatz zu Epiphanie), vgl. Klaus Conrad, Die<br />

beginnende Schizophrenie. Versuch einer Gestaltanalyse des Wahns, Stuttgart, 1958.<br />

6 Leonardo da Vinci, Sämtliche Gemälde <strong>und</strong> die Schriften zur Malerei, hrsg., kommentiert <strong>und</strong> eingeleitet von André Chastel, München<br />

1990, S. 384–385: “Und das geschieht, wenn du manches Gemäuer mit verschiedenen Flecken oder mit einem Gemisch aus verschiedenartigen<br />

Steinen anschaust; wenn du dir gerade eine Landschaft ausdenken sollst, so kannst Du dort Bilder verschiedener<br />

Landschaften mit Bergen, Flüssen, Felsen, Bäumen, großen Ebenen, Tälern <strong>und</strong> Hügeln verschiedener Arten sehen; ebenso kannst<br />

Du dort verschiedene Schlachten <strong>und</strong> Gestalten mit lebhaften Gebärden, seltsame Gesichter <strong>und</strong> Gewänder <strong>und</strong> unendlich viele Dinge<br />

sehen, die du dann in vollendeter Form <strong>und</strong> guter Gestalt wiedergeben kannst.”<br />

7 Wiederholung ist das Essenz einer modernen kapitalistischen Kultur, die auf Verbrauch, das Produkt der reproduktiven Kräfte der<br />

industriellen Gesellschaft konzentriert, <strong>und</strong> wurde bereits vor zwei Jahrh<strong>und</strong>erten von Søren Kierkegaard vorhergesagt. In Hinblick<br />

auf die griechische Philosophie schrieb er in “Die Erinnerung ist ein abgelegtes Kleid” dass “Gleich wie diese also gelehrt haben, dass<br />

alles Erkennen ein sich Erinnern sei, ebenso wird die neuere Philosophie lehren, dass das ganze Leben eine Wiederholung ist …Wer<br />

aber nicht begreift, dass das Leben eine Wiederholung ist, <strong>und</strong> dass dies des Lebens Schönheit ist, der hat sich selbst gerichtet <strong>und</strong> ver<br />

dient nichts Besseres, als dass er umkommt.” Vgl. Sören Kierkegaard, “Die Wiederholung. Drei erbauliche Reden 1843”, in:<br />

Gesammelte Werke, Bd. 5/6), Düsseldorf 1955, S.1–97, S. 3 ff.<br />

8 Walter Benjamin, wie Anm. 1, S. 14.<br />

9 David Hockney: A Bigger Picture, Ausst. Kat. Royal Academy of Arts, London, (21. Januar – 9. April 2012), Guggenheim Museum,<br />

Bilbao (14. Mai – 30. September 2012); Museum Ludwig Köln (29. Oktober 2012 – 4. Februar 2013).<br />

79


81


83 Self Portrait As The Cloud


Warm Soft Cloud 86<br />

Supernova Afternoon<br />

Blue Holes


Stem Cell Carpet<br />

89 Snowy Convention


21 Mnemonic<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 24 x 30 cm, 2013<br />

36 Der Zauberlehrling<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 60 x 80 cm, 2013<br />

46 Graces<br />

Buntstift auf Papiertüte, laviert, 2013<br />

KATALOG<br />

Memory Sacks Stereo<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 24 x 30 cm, 2013<br />

37 Stride<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 91 x 70 cm, 2012<br />

Paralines<br />

Buntstift auf Papiertüte, laviert, 2013<br />

Big Pimple<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 30 x 40 cm, 2012<br />

38 Giant Growth Indicator<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 120 x 100 cm, 2012<br />

Bonds<br />

Buntstift auf Papiertüte, laviert, 2013<br />

Seite<br />

Blue Collar Memories<br />

Ölfarbe auf Sitzkissen, 80 x 60 cm, 2013<br />

39 Mother Earth<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 100 x 120 cm, 2012<br />

47 Algenanzug<br />

Buntstift auf Papiertüte, laviert, 2013<br />

1 Angemessene Maßnahmen<br />

Styropor, gesägt, 6 x 5 m, 2011<br />

22 Darkhouse<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 100 x 80 cm, 2013<br />

40 Sfumato<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 50 x 70 cm, 2012<br />

48 Land Cape<br />

Buntstift auf Papiertüte, laviert, 2013<br />

2 Junk Bond<br />

Handzeichnung, laviert<br />

23 Silent Shore<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 100 x 80 cm, 2013<br />

Dedicated Followers of Fashion<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 50 x 70 cm, 2013<br />

49 Dance Memories<br />

Buntstift auf Papiertüte, laviert, 2013<br />

7 Junk Bonds<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 140 x 160 cm, 2013<br />

24 The Party<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 100 x 80 cm, 2013<br />

Invisible Spook<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 50 x 70 cm, 2012<br />

Memory Rucksack<br />

Buntstift auf Papiertüte, laviert, 2013<br />

8–9 Pilot Memories, (Installationsansicht)<br />

Ölfarbe auf Dekostoff, 40 x 50 cm, 2012<br />

10 Casino Capitalism Main Entrance<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 140 x 160 cm, 2013<br />

13 Giergr<strong>und</strong>schule<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 140 x 160 cm, 2013<br />

15 Booze Cruise Control<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 140 x 160 cm, 2013<br />

16 Carbon Footprint Remorse<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 140 x 160 cm, 2013<br />

17 Pirate Economist<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 30 x 40 cm, 2012<br />

18 Emerging Markets<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 50 x 50 cm, 2012<br />

19 Der Zauberlehrling<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 60 x 80 cm, 2013<br />

20 Memory Sack<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 80 x 60 cm, 2012<br />

25 Sub Prime Inferno<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 100 x 80 cm, 2013<br />

26 Flood<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 100 x 80 cm, 2013<br />

27 Evil Cloud<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 50 x 40 cm, 2013<br />

28–29 Full Board<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 280 x 140 cm, 2013<br />

30–31 Die Goldmacherin<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 280 x 140 cm, 2013<br />

32–33 Die Goldmacherin<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 280 x 140 cm, 2013<br />

34 Self Surgery<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 70 x 50 cm, 2012<br />

Harvest<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 70 x 50 cm, 2012<br />

35 Der süße Brei<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 100 x 70 cm, 2013<br />

41 Kasse<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 120 x 100 cm, 2006<br />

42 Snow Ball System<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 40 x 30 cm, 2013<br />

Sprengpunkte (Studie)<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 40 x 30 cm, 2012<br />

43 Trial and Error<br />

Ölfarbe auf Leinwand, 50 x 70 cm, 2013<br />

44 Testosterone Jumper<br />

Buntstift auf Packpapier, laviert, 2013<br />

45 Sprengpunkte<br />

Buntstift auf Papiertüte, laviert, 2013<br />

Memento Vivendi<br />

Buntstift auf Papiertüte, laviert, 2013<br />

Youth<br />

Buntstift auf Papiertüte, laviert, 2013<br />

51 Wrath<br />

Buntstift auf Karton, Siebdruck, laviert,<br />

21 x 30 cm, 2010<br />

52 Greed<br />

Buntstift auf Karton, laviert, 21 x 30 cm, 2010<br />

53 Sloth<br />

Buntstift auf Karton, laviert, 21 x 30 cm, 2010<br />

54 Pride<br />

Buntstift auf Karton, laviert, 21 x 30 cm, 2010<br />

55 Lust<br />

Buntstift auf Karton, laviert, 21 x 30 cm, 2010<br />

56 Envy<br />

Buntstift auf Karton, laviert, 21 x 30 cm, 2010<br />

57 Gluttony<br />

Buntstift auf Karton, laviert, 21 x 30 cm, 2010<br />

59 First Cow on Mars<br />

Buntstift auf Karton, laviert, 21 x 30 cm, 2012<br />

90


60 Pacific<br />

Buntstift auf Karton, laviert, 21 x 30 cm, 2011<br />

61 Reach<br />

Buntstift auf Karton, laviert, 21 x 30 cm, 2012<br />

62 Sprengpunkte & <strong>Haftpunkte</strong><br />

Buntstift auf Karton, laviert, 21 x 30 cm, 2012<br />

63 Demographic Tuttifrutti<br />

Buntstift auf Karton, laviert, 21 x 30 cm, 2012<br />

64 Memory Sack<br />

Buntstift auf Karton, laviert, 21 x 30 cm, 2011<br />

76 Big Bang Contraction<br />

Digitale Zeichnung, Lambda-Belichtung,<br />

Alu-Dibond, 200 x 100 cm, 2012<br />

79–82 Jelly Fish Motion Picture<br />

Digitale Malerei, Clip (Stills), 2013<br />

83 Self Portrait as The Cloud<br />

Digitale Zeichnung, Lambda-Belichtung,<br />

Alu-Dibond, 80 x 60 cm, 2012<br />

84–85 Constellation<br />

Digitale Zeichnung, Lambda-Belichtung,<br />

Alu-Dibond, 120 x 90 cm, 2013<br />

65 Swing Molecules<br />

Buntstift auf Karton, laviert, 21 x 30 cm, 2012<br />

66 Sturm <strong>und</strong> Drang<br />

Buntstift auf Karton, laviert, 21 x 30 cm, 2012<br />

67 Spook<br />

Buntstift auf Karton, laviert, 21 x 30 cm, 2012<br />

68 Letzte Hemmnisse vor dem Aufrichten<br />

Buntstift auf Karton, laviert, 21 x 30 cm, 2010<br />

86 Warm Soft Cloud<br />

Digitale Zeichnung, Lambda-Belichtung,<br />

Alu-Dibond, 40 x 30 cm, 2012<br />

86 Warm Soft Cloud<br />

Digitale Zeichnung, Lambda-Belichtung,<br />

Alu-Dibond, 40 x 30 cm, 2012<br />

87 Supernova Afternoon<br />

Digitale Zeichnung, Lambda-Belichtung,<br />

Alu-Dibond, 40 x 30 cm, 2012<br />

69 Gold<br />

Buntstift auf Karton, laviert, 21 x 30 cm, 2012<br />

70 Shareholder<br />

Buntstift auf Karton, laviert, 21 x 30 cm, 2013<br />

71 Stakeholder<br />

Buntstift auf Karton, laviert, 21 x 30 cm, 2012<br />

72–73 Risings and Falls<br />

Digitale Zeichnung, Lambda-Belichtung,<br />

Alu-Dibond, 120 x 60 cm, 2012<br />

Blue Holes<br />

Digitale Zeichnung, Lambda-Belichtung,<br />

Alu-Dibond, 55 x 30 cm, 2012<br />

88 Stem Cell Carpet<br />

Digitale Zeichnung, Lambda-Belichtung,<br />

Alu-Dibond, 60 x 40 cm, 2012<br />

89 Snowy Convention<br />

Digitale Zeichnung, Lambda-Belichtung,<br />

Alu-Dibond, 35 x 20 cm, 2012<br />

74 Big Bang Expansion<br />

Digitale Zeichnung, Lambda-Belichtung,<br />

Alu-Dibond, 200 x 100 cm, 2012<br />

xx 92<br />

92<br />

93


Anne-Marie Bonnet<br />

SPRENGPUNKTE UND HAFTPUNKTE .0<br />

blieben haften, wirken nach.<br />

xx<br />

94


97


Mark Gisbourne<br />

VIRTUAL<br />

AS VISUAL<br />

DRAWING IN THE DIGITAL AGE<br />

Some seventy-five years or so after Benjamin’s famous essay it seems<br />

strange that the old defence of the ‘aura’ of originality is still used to<br />

advocate an argument against the involvement of technical mechanical<br />

processes in cultural production. There are few who would contest<br />

the role of the creative camera today in terms of it being a mechanism<br />

for producing a photographic art. But when it comes to the new digital<br />

world, and particularly when it is allied to the computer technologies,<br />

and, more specifically, in this instance, the innovation of Ipad<br />

technologies, the old critical clichés are often re-invoked. The recent<br />

digital or Ipad drawings of <strong>Hannes</strong> <strong>Malte</strong> <strong>Mahler</strong> reflect and progress<br />

further visual experience into an extended form of digital draftsmanship.<br />

To evaluate the unique visual and original qualities thrown up be<br />

<strong>Mahler</strong>’s Ipad procedures, becomes another way of <strong>und</strong>erstanding better<br />

a renewed contemporary relationship with the history of the drawing<br />

in the age of digitalisation. It is to ask what are the primary characteristics<br />

of drawing as a modern living medium, and in what ways do<br />

digital approaches reinforce and expand upon them. What all drawings<br />

share a priori is a relationship between the visual and the haptic<br />

(seeing and touching), and in that respect the distinction of pen,<br />

chalk, or ink on paper differs little, psychically speaking, from the<br />

application of the stylus onto the screen of the Ipad. With the new<br />

computer technologies even the pentimenti (second thoughts) will<br />

increasingly be able to be retrieved; the distinction being that they will<br />

be retrieved as a code rather than being immediately present as a mark<br />

on the paper or other application surface. In this sense the broad procedures<br />

between the traditional and digital approach to drawing<br />

remain to some degree a commensurate experience for the contemporary<br />

draftsman.<br />

At the same time the drawing tool used on the Ipad screen<strong>—</strong>the various<br />

styli used for digital drawing<strong>—</strong>in terms of the history of the graphic<br />

medium<strong>—</strong>come into a direct relationship to the historical origins of<br />

modern drawing itself. A further characteristic shared with traditional<br />

drawing is the use of transparency, the gestural sweep made by the<br />

stylus that acts similarly, as if it were a wash or watercolour application.<br />

This optical palimpsest effect made possible by the digital process<br />

allows for a far wider range of symmetries and distortions, several different<br />

repetitions of effect, and a large variety of virtual textures.<br />

Though it does not allow for the actual presence through residue of a<br />

brush stroke or pencil line in the literal sense, it substitutes for the<br />

mark a manipulative dexterity that maximises the rapid use of hand to<br />

screen surface gestures and interactions. Beyond this there are an<br />

overwhelming number of haptic affinities shared with traditional<br />

mental dispositions of drawing and painting. The fact that parameters<br />

are pre-ordained by the digital programme in use should not be seen<br />

as an inhibition, since all materials have defined limits as to their use<br />

and application. This is as true of traditional art materials, as it is of<br />

the creative illusion-based aesthetics of the ‘virtual’ that is posed by<br />

digital art. Further digital procedures allow for a more spontaneous<br />

way of working, since there is no material resistance and the intuitive<br />

flow of expression is less restricted. It can be argued therefore that digital<br />

drawing (or painting) is in no way an abandonment of the tradition<br />

of drawing, but a creative extension of the existing medium with<br />

ever expanding possibilities.<br />

The digital Ipad drawings of <strong>Hannes</strong> <strong>Mahler</strong> <strong>Malte</strong>, with their vivid<br />

often Matisse-like sense of colour, is an open invitation to viewers to<br />

immerse themselves in the pleasure of pure optical perceptions. The<br />

series in the current exhibition reveal the developing mastery of the<br />

new digital Ipad procedure by <strong>Mahler</strong>. They develop the intimacies of<br />

line and flatness, as well as layered depth and transparency. The ability<br />

on the one hand of a veiling palimpsest effect and a large variety of<br />

gestural juxtapositions, becomes a quality that has now emerged into a<br />

highly personal language, evidenced in works like Alpenist Spots and<br />

Rods and Cones. At the same time there are also drawings of frenetic<br />

density like Risings and Falls, which echo pseudo-scientific ideas of<br />

time and extended duration, as an imaginary mountain range rises and<br />

falls, but whose visual humour and immediacy is also evident through<br />

the singularity of descending lines that are reminiscent of famous<br />

downhill ski runs. In fact humour and wit are never far away in<br />

<strong>Mahler</strong>’s works, as witnessed by his Self-Portrait as a Cloud, where his<br />

face and DVD disk-like eyes evoke a plaintiff and coy ambiguous sense<br />

of melancholy. The comic ghostly and/or apparitional sense of the<br />

work, while it may reference <strong>Mahler</strong>’s earlier and extremely amusing<br />

photographic series called Spooks, is also a popular take on pareidolia<br />

or apophenia, the most common phenomena of which is a tendency to<br />

see faces in clouds. The idea is even better known through its espousal<br />

by Leonardo in his ‘Notebooks’ who cited the idea of creative emergent<br />

faces and provocations in walls and rocks and other desiderata.<br />

But they are made particularly comical when used by <strong>Mahler</strong>. A number<br />

of references to clouds, mountains, constellations, and cells appear<br />

ab<strong>und</strong>antly in the present series of Ipad drawings by the artist. There is<br />

an inferred suggestion made by the artist in the drawings to counter<br />

intuitive ideas of macrocosm and microcosm. But in another sense<br />

they also address the recent return to discursive theories of pictorial<br />

patterning, they pursue the optical delight that has always flowed from<br />

the repetition of a patterned motif. Yet importantly the digital drawings<br />

are extraordinarily joyful and celebratory to the eye, echoing in<br />

part something of the early spontaneity and freshness of American Pop<br />

Art, and its positive affirmations of repetition in popular culture.<br />

If a defence of Ipad drawing to some people seems necessary, most of<br />

the contestation and argumentation focuses on the nature of reproduction<br />

and printing of the digital image as against the creative processes<br />

of drawing in digital art. That is to say from the Ipad or computer<br />

screen onto a chosen surface support for the digital work. The argument<br />

runs that these images are open to infinite repetition through<br />

exact facsimile, and that this <strong>und</strong>ermines their status as original works<br />

of art. The argument of infinite repetition can easily be dispelled<br />

through the use of edition and licence, since it is now a commonplace<br />

in terms of contemporary cultural production.<br />

However, the idea of ‘exact facsimile’ as an argument is more problematic<br />

with the perfected issues of computer derived reproductions,<br />

where unlike traditional early photographs, prints, or reproduced<br />

engravings and lithographs that always produced subtle differences<br />

formed within the printed reproduction processes. But these arguments<br />

miss the point that Benjamin pointed out, namely that the art<br />

of an age in order to be a valid work of art must in some way emblematise<br />

the age in which it is made. "…the manner in which human sense<br />

perception is organised, the medium in which it is accomplished, is<br />

determined not only by nature but by historical circumstances as well."<br />

The ‘aura’ may have been displaced, but this is equally true of all other<br />

forms of reproduction, a photograph is displaced from the moment in<br />

which it was taken. In a particular sense almost all art is in a state of<br />

perpetual displacement, since the moment of its conceptualisation and<br />

realisation are gone forever. A reproduction is not a copy, which is an<br />

atemporal simulation of an art work disconnected from the time when<br />

the original was produced, but reproduction acts as both continuous<br />

cultural process and extended metaphor. A process long established<br />

and integrated into modern cultural consumption, and a metaphor<br />

(which is by implication a displacement) of the nature and mirrored<br />

condition of the contemporary world. The singularity afforded to the<br />

ritual of ‘aura’ may be displaced, but the cultural celebration of ritual<br />

multiplicity has come into being to replace it. This is one of the f<strong>und</strong>amental<br />

issues we have learnt from conceptual and appropriation art,<br />

the aesthetic shift from self-consuming singularity (subjectivity) to the<br />

proliferation of ubiquity (alterity). The resistance and constant re-evocation<br />

of the ‘aura’, is for the most part a manipulated cult of the object<br />

created by the primary and secondary market<strong>—</strong>the commercial gallery<br />

and the auction house. It is self-evident that the market pursues the<br />

auratic singularity of art objects in order to advance and enhance the<br />

exchange values of art within modern consumption and capitalism.<br />

<strong>Hannes</strong> <strong>Malte</strong> <strong>Mahler</strong>’s Ipad drawings, like the recent works of David<br />

Hockney, reveal what is common to artists of every new generation,<br />

namely that truly creative art almost always engages with and redirects<br />

the technologies of its age. But there is a further distinction, <strong>Mahler</strong>’s<br />

works are more freely formed and spontaneous, less compositional in<br />

the traditional sense of picture making as are those produced by David<br />

Hockney. The German artist focuses on the freedom of gesture and<br />

uses rapid dexterous movements of the hand emphasising the expressive<br />

need for an immediacy of moment. The aesthetic revelation you<br />

experience in <strong>Mahler</strong>’s Ipad drawings is a powerful intuitive sense of<br />

the joyful instantaneity of the moments in which they were produced.<br />

They are a reminder that pleasure is first and foremost a social and cultural<br />

sensation to be shared by people, and that this will necessarily<br />

challenge the contemporary market’s impulse that turns art into commercial<br />

forms of commodity.<br />

99


Anne-Marie Bonnet<br />

SPRENGPUNKTE UND HAFTPUNKTE .0<br />

Bonner Präludium / Vorspiel<br />

Als HMM in den Räumen des Instituts für Kunstgeschichte, das sich<br />

in einem Flügel im ehemaligen Residenz-Schlosses des bischöflichen<br />

Kurfürsten in der Bonner Stadtmitte befindet, eine Generalprobe der<br />

Ausstellung ‚Sprengpunkte <strong>und</strong> <strong>Haftpunkte</strong>.0’ veranstaltete, musste<br />

mehrfach widrigen Umständen getrotzt werden. In diesem Institut,<br />

einem der frühesten kunsthistorischen Institute übrigens, das sich<br />

schon lange auch der modernen <strong>und</strong> der Gegenwartskunst widmet,<br />

haben Ausstellungen zeitgenössischer Kunst eine eigene Tradition –<br />

mitnichten eine Selbstverständlichkeit <strong>und</strong> erst seit ca. 20 Jahren ge -<br />

läufig. Und doch ist es zuweilen noch mühsam, deren Not wendig keit<br />

<strong>und</strong> Sinnhaftigkeit zu verteidigen. Neue Brand schutz ver ord nun gen<br />

brachten zudem weitere Hürden für die Belegung der öffentlichen<br />

Halle <strong>und</strong> der Bereiche.<br />

Kunst vs. Kunstgeschichte?<br />

Diese Widrigkeiten haben den Künstler nicht gestört, sondern ihn<br />

geradezu heraus gefordert <strong>und</strong> die spezifischen Qualitäten seiner<br />

Arbeiten sogar mehr zur Geltung gebracht, zeigte sich doch, dass<br />

‚Kunst’ in <strong>Mahler</strong>scher Interpretation nicht bloße Dekoration oder<br />

Wand ge staltung ist, sondern sich Räume aneignet, diese transformiert<br />

<strong>und</strong> die Betrachter nicht nur ästhetisch anspricht <strong>und</strong> überrascht<br />

sondern auch dazu verführt, über eigene Erwartungen an die<br />

Kunst nachzudenken. Dies gelang den Werken in Bonn spielend.<br />

Es gab Bilder, Gemälde, Objekte <strong>und</strong> Reliefs, die auf eigene Art die<br />

Orte besetzten, beziehungsweise in Besitz nahmen. Bei den Orten<br />

handelte es sich um Räume mit unterschiedlichen Öffentlichkeiten<br />

<strong>und</strong> Funktionen: eine Eingangshalle, einen Lesesaal <strong>und</strong> ein Pro -<br />

fessoren-Zimmer.<br />

Anders als in ‚klassischen’ Museen oder Ausstellungsinstitutionen, in<br />

denen Bild- <strong>und</strong> Kunstwerke der ‚reinen’ Anschauung dienen, gestalteten<br />

die Werke hier einen Alltag <strong>und</strong> kehrten so in die ursprüngliche<br />

Funktion von Bildwerken zurück, die einst zur Gestaltung von Kult<strong>und</strong><br />

/oder Lebensräumen dienten <strong>und</strong> darin bestimmte Funktion<br />

erfüllten.<br />

<strong>Mahler</strong>s Bilder <strong>und</strong> Objekte waren zwar nicht für diese Räume entstanden,<br />

aber ihre Auswahl <strong>und</strong> ihre Hängung wurde passgenau für<br />

die vorgef<strong>und</strong>enen Raumsituationen choreographiert. Die Formate,<br />

die verschiedenen Techniken <strong>und</strong> die Materialität, die Art ihrer An -<br />

bringung im Raum (hoch, tief, einzeln, in Gruppen) waren genauso<br />

wichtig wie die Werke selbst. Die Bedeutung dieser ‚grammar of display’<br />

wird oft vernachlässigt, <strong>und</strong> die Werke werden meist als<br />

‚Flachware’ betrachtet. Jedes Werk ist eine autarke ästhetische Ein heit,<br />

die aber erst in ihrem Potenzial zur Interaktion mit anderen Werken<br />

<strong>und</strong> in verschiedenen Situationen ihre gestalterische Kraft erweist.<br />

103<br />

Sprengen <strong>und</strong> Haften?<br />

Zunächst wurden Erwartungen gesprengt: In der Eingangshalle hing<br />

über der Tür zur Bibliothek eine aus Styropor gesägte Kalaschnikow,<br />

<strong>und</strong> die Wände blieben leer: ein ansonsten leerer ‚white cube’. Nur in<br />

vier Vitrinen besetzte <strong>Mahler</strong> diesen Raum: zwei längliche Tisch -<br />

vitrinen stellten Creme- bzw. Mayonnaise-farbene Gebilde zur Schau,<br />

die wie ausgesägte Landkarten oder organische Präparate aussahen,<br />

die beiden in die Wand eingelassenen Vitrinen enthielten kleine<br />

‚W<strong>und</strong>erkammern’, in denen <strong>Mahler</strong> jeweils kleine Gemälde angebracht<br />

<strong>und</strong> Gebilde aus Styropor an den Wänden <strong>und</strong> auf dem<br />

Boden verteilt hatte. Die linke Vitrine war in lichten Pastellfarben<br />

gehalten, während die rechte durch ein düster wirkendes Gemälde<br />

bestimmt war, das von einem Bündel flacher ausgeschnittener<br />

Kunststoff-Maschinengewehre flankiert <strong>und</strong> von einem wuchernden<br />

weißen Halbrelief aus organischen bzw. nicht weiter definierbaren<br />

Elementen begleitet wurde. Im historischen Lesesaal waren in einer<br />

großen Komposition Gemälde sowie Styrodur-Reliefs <strong>und</strong> -Gebilde<br />

so angeordnet, dass sie eine ebenso reizvolle wie rätselhafte Wand -<br />

gestaltung ergaben. Um ein zentrales hirn- bzw. medusenartiges<br />

Gebilde aus weißen wuchernden Formen waren die Gemälde verteilt.<br />

Jede Wand im Raum war durch ein Bild besetzt, Büsten von Ge -<br />

lehrten in eine Inszenierung einbezogen. Auf die Schläfen von Anton<br />

Springer, dem Gründer der akademischen Kunstgeschichte in Bonn,<br />

war eine Styropor-Pistole gerichtet - ein Hinweis auf die Gefahren<br />

des Denkens? Hatte das Maschinengewehr über dem Eingang zur<br />

Bibliothek, betitelt 'Wissen <strong>und</strong> Vermögen' nicht darauf verwiesen,<br />

dass Bücher, also Wissen, Waffen sein können? Im Professoren-<br />

Zimmer stieß man auf das große Gemälde 'Die Wiedergeburt der<br />

Krise auf der Bildfindungsintensivstation’ <strong>und</strong> eine Styropor-Kala -<br />

schnikow, deren Anwesenheit Anlass zu neuartigen Gesprächen gab<br />

<strong>und</strong> den Begegnungen in diesem sog. ‚Dienstzimmer’ eine andere<br />

Qualität verlieh.<br />

<strong>Mahler</strong>s Werke wurden nicht nur als ästhetische Belebung des<br />

Lebens ambientes erlebt, sondern griffen tatsächlich in die täglichen<br />

Abläufe ein, beeinflussten den Fortgang von Unterhaltungen,<br />

Beratungen. In den Lesesälen verführten sie Studierende dazu, sich<br />

über den eigenen Horizont hinaus mit Bilderwelten auseinander zu<br />

setzen, <strong>und</strong> in den Gemeinschaftsräumen lösten sie öfter angeregten<br />

Gedanken- <strong>und</strong> Meinungsaustausch aus. So wurden routinierte Ab -<br />

läufe <strong>und</strong> Denkgewohnheiten gesprengt, <strong>und</strong> einmalige Erlebnisse<br />

blieben haften, wirken nach.


Anne-Marie Bonnet<br />

BLAST POINTS AND ADHESION POINTS .0<br />

Bonn Prelude / Fore-Play<br />

Blasting and Adhering?<br />

A number of adverse circumstances had to be overcome when HMM<br />

prepared a dress rehearsal of his “Blast Points and Adhesion Points .0”<br />

exhibition in the spaces of the Institute of Art History in Bonn,<br />

which is situated in a wing of the former residential palace of the<br />

Episcopal elector in the center of Bonn. The institute, which is incidentally<br />

one of the oldest art historical institutes and one that has<br />

also long dedicated itself to modern and current art, has its own tradition<br />

of showing exhibitions of contemporary art<strong>—</strong>something that<br />

is by no means to be taken for granted and has been common for<br />

only about twenty years. And yet it is occasionally still a tedious matter<br />

to defend its necessity and meaningfulness. New fire codes posed<br />

further obstacles for the occupancy of the public hall and the area.<br />

Art versus Art History?<br />

HMM was not disturbed by these adversities, in fact they posed a<br />

challenge for him and the specific qualities of his works were shown<br />

to an even greater advantage to the extent that <strong>Mahler</strong>’s <strong>und</strong>erstanding<br />

of “art” means that it is more than a mere decoration or wall<br />

design. It should appropriate spaces, transforming them. It should<br />

not only aesthetically appeal to the viewer and surprise him, but also<br />

seduce him into thinking about the expectations he places on art.<br />

HMM’s easily succeeded in accomplishing this in Bonn.<br />

The exhibition encompassed pictures, paintings, objects and reliefs<br />

that occupied or took possession of the places in their own way. The<br />

sites concerned spaces with varying public makeups and functions: a<br />

vestibule, a reading room and a professor’s office. Unlike “traditional”<br />

museums or exhibition venues where pictures and artworks are<br />

“purely” illustrative material, the works here shape everyday life, thus<br />

returning to art’s original function when it once served the arrangement<br />

of a cultic or living space.<br />

While HMM’s pictures and objects were not produced specifically<br />

for these spaces, their selection and hanging were perfectly choreographed<br />

to correspond to the existing spatial situations. The formats,<br />

the various techniques and materials, the manner in which they were<br />

installed in the space (high, low, individually, in groups) were just as<br />

important as the works themselves. The significance of this “grammar<br />

of display” is often neglected, seeing the works primarily as “flatware.”<br />

Each work is a stand-alone aesthetic unit that however first<br />

professes its artistic capabilities in its potential to interact with other<br />

works and in other situations.<br />

Expectations were firstly blasted. A Kalashnikov sawed out of<br />

Styrofoam was hung in the vestibule over the door leading to the<br />

library while the wall remained empty: an otherwise empty “white<br />

cube.” <strong>Mahler</strong> occupied this space solely in four showcases: two<br />

oblong table display cases featured cream or mayonnaise-colored<br />

objects that looked like sawn-out maps or preserved organic specimens;<br />

the two vitrines embedded in the wall contained small “curiosity<br />

cabinets” in which <strong>Mahler</strong> affixed small paintings and Styrofoam<br />

objects on the walls and on the floor. The display case on the left was<br />

kept in clear pastel colors while the one on the right was dominated<br />

by a gloomy painting that was flanked by a bunch of flat cut-out plastic<br />

machine guns accompanied by a rampant white semi-relief made<br />

out of organic or otherwise indeterminable elements. In the historical<br />

reading room, paintings as well as Styrofoam reliefs were arranged in<br />

a large composition in such a way that they produced an equally<br />

appealing and puzzling wall design. The paintings were distributed<br />

aro<strong>und</strong> a brain or Medusa-like object out of white proliferating<br />

forms. Each wall in the space was occupied by a picture; busts of<br />

scholars were integrated into the staging. A Styrofoam pistol was<br />

aimed at the temples of Anton Springer, the fo<strong>und</strong>er of academic art<br />

history in Bonn<strong>—</strong>perhaps an allusion to the dangers of thinking?<br />

Was it not the case that the machine gun over the library entrance<br />

entitled “Knowledge and Capability” already indicated that books,<br />

i.e. knowledge, could also be weapons? In the professor’s office one<br />

was confronted with the large painting “The Rebirth of the Crisis in<br />

the Pictorial Invention Intensive Care Unit” and a Styrofoam<br />

Kalashnikov whose presence occasioned unprecedented discussions,<br />

lending a different quality to the encounters that took place in this<br />

“office.”<br />

HMM’s works were not only experienced as an aesthetic stimulation<br />

of the atmosphere in these everyday spaces but in fact they also intervened<br />

into the daily routines, determining the progress of conversations<br />

and consultations. They seduced students in the reading rooms<br />

to deal with pictorial worlds beyond their own horizons, often triggering<br />

animated exchanges of ideas and opinions in the common<br />

rooms. Routine processes and habitual ways of thinking were thus<br />

blasted and unique experiences continued to adhere, having an effect<br />

afterwards.<br />

104


<strong>Hannes</strong> <strong>Malte</strong> <strong>Mahler</strong><br />

Städtische Kunstsammlungen Schloss Salder<br />

Museumstraße 34, 38229 Salzgitter<br />

05341. 839 4613, www.salzgitter.de<br />

Di.–Sa. 10 – 17 Uhr, So. 11 – 17 Uhr<br />

Bibliographic information published by Die Deutsche Bibliothek<br />

Die Deutsche Bibliothek lists this publication in the Deutsche<br />

Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available in<br />

the Internet at http://dnb.ddb.de.<br />

ISBN<br />

Gestaltung: feinkunst.com<br />

Druck: BenatzkyMünstermann<br />

Dank an AMB, Mark Gisbourne, Michael Wolfson, Lise M., Carsten Beyer, Jan Geißelbrecht, Simon Alexander Buchhagen<br />

www.the<strong>Mahler</strong>.com<br />

110


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& VERSPIELTE VERSPRECHUNGEN U. V. A. M.<br />

ISBN 978-3-9816004-0-7

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