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gangart 6

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ZUAGROAST<br />

ODA DAHOAM?<br />

Ein Beitrag von Fritz Messner<br />

Name Fritz Messner<br />

ist Musiker, Kabarettist, Autor<br />

und Kolumnist der Salzburger<br />

Nachrichten.<br />

mehr unter www.fritzmessner.at<br />

www.querschlaeger.at<br />

www.kultkabarett.at<br />

Die gute alte<br />

Zeit verdankt<br />

ihr Dasein<br />

unserem<br />

schlechten<br />

Gedächtnis.<br />

Anatole France<br />

Früher war selbstverständlich alles viel besser<br />

und viel einfacher. Nicht im Früher der Wirklichkeit,<br />

sondern im Früher der Heimatfilme<br />

und der gepflegten Volkskultur, also jenem<br />

Früher, das unsere heutige Vorstellung vom<br />

historischen Früher entscheidend prägt. Da<br />

blieben die Dörfler im Dorf, hatten dort ihr<br />

Auskommen, von der Wiege bis zum Grab, hin<br />

und wieder kamen ein paar Fremde durch,<br />

Reisende, Handwerker oder Vagabunden,<br />

aber sonst blieb man unter sich. Wenn einer<br />

eine aus dem Nachbardorf heiratete, war das<br />

schon eine mittlere Sensation, die nicht ohne<br />

territorial motivierten Watschenplattler beim<br />

Hochzeitstanz über die Bühne ging. So etwas<br />

wie „Zuagroaste“ waren in diesem Konstrukt<br />

einfach nicht vorgesehen, man war zutiefst in<br />

seinem engsten „Dahoam“ verwurzelt.<br />

Die Wirklichkeit war natürlich damals schon<br />

eine andere, dieses Bild oder noch viel eher:<br />

dieser Wunschtraum von der heilen, abgegrenzten<br />

Welt „dahoam“ hat sich aber bis in<br />

unsere heutige, von fast grenzenloser Mobilität<br />

geprägten Zeit, erhalten. Heute ist alles<br />

in Bewegung: Arbeitsplätze, Wohnräume und<br />

-kosten, Grundstückspreise und dadurch (ob<br />

sie wollen oder nicht) auch viele Menschen,<br />

die von einem oder mehreren dieser Faktoren<br />

abhängig sind. Menschen aus Seitentälern<br />

ziehen in die größeren Orte im Bezirk, jene<br />

aus Randregionen siedeln in die Zentralräume,<br />

wo sie Arbeit finden, Stadtbewohner streben<br />

aufs Land, junge Häuslbauer ziehen in Gebiete<br />

mit billigen Baugründen und EU-Bürger<br />

lassen sich in ihren ehemaligen Urlaubsorten<br />

nieder. Und alle diese Menschen verändern<br />

als „Zuagroaste“ ihre Zuzugsgemeinden auf<br />

verschiedene Art und Weise. Gleichzeitig gibt<br />

es eine anhaltende globale Migrationsbewegung<br />

von Süden nach Norden, die gerade einen<br />

Höhepunkt erreicht.<br />

Man hat nun zwei Möglichkeiten, auf diese Tatsachen zu reagieren:<br />

Entweder man verweigert die Realität und igelt sich im Klischee einer<br />

ewig heilen Welt „dahoam“ ein und wird früher oder später unsanft<br />

erwachen, oder man versucht, die Herausforderungen unserer Zeit anzunehmen<br />

und mit Hirn und Herz darauf zu reagieren. Eine entscheidende<br />

Ebene dabei werden die Gemeinden sein. Denn dort kann oder<br />

muss in persönlichem Zusammentreffen ausprobiert und umgesetzt<br />

werden, wie das „Dahoam“ der Zukunft aussehen und funktionieren<br />

könnte. Die Kernfrage dabei ist: Mit welchen Strategien kann<br />

man „Zuagroaste“ aus anderen Gemeinden, Städten, Bezirken oder<br />

Bundes- und EU-Ländern in die bestehende Gemeinschaft einbauen?<br />

Diese Einladung zur Teilnahme an der Gemeinschaft ist beileibe kein<br />

Gnadenakt, sondern sichert langfristig den Bestand von wichtigen<br />

Institutionen wie Dorfschule, Rettung, Feuerwehr, Musikkapelle oder<br />

von verschiedenen Vereinen. Und wenn sich eine Gemeinde geöffnet<br />

und diesen Schritt erfolgreich bewältigt hat, wird es ihr auch leichter<br />

fallen, Migranten aus anderen Ländern aufzunehmen und zu integrieren.<br />

Auch das ist kein Gnadenakt, sondern Eigennutz auf lange Sicht,<br />

man schaue sich nur unsere Alterspyramide an.<br />

Patentrezepte für die Entwicklung einer zeitgemäßen Dörflichkeit<br />

oder eines neuen „Dahoam“ gibt es keine, da jede Gemeinde andere<br />

Voraussetzungen hat, es gibt allerdings eine Gemeinsamkeit: Eine<br />

ganz entscheidende Rolle bei diesem Prozess kommt dabei den Bürgermeistern<br />

zu. Wenn ein Bürgermeister der Versuchung erliegt, aus<br />

Ängstlichkeit, aus politischem Kalkül oder aus Bequemlichkeit die<br />

„mir san mir“-Karte zu spielen und den Leuten vorzugaukeln, man<br />

könne die Zeit aufhalten, haben es die gestaltenden Kräfte in einer<br />

Gemeinde um ein Vielfaches schwerer, zukunftsträchtige Ideen und<br />

Projekte umzusetzen. Wenn von Bürgermeisterseite aber Interesse<br />

und Unterstützung signalisiert wird, oder wenn ein Bürgermeister<br />

gar federführend vorangeht und Projekte anstößt, finden sich in allen<br />

Gemeinden Menschen, Vereine und Initiativen, die Erstaunliches auf<br />

die Beine stellen, damit sich die verschiedenen Gruppen in einem<br />

Dorf kennen und in der Folge meist schätzen oder zumindest respektieren<br />

lernen. Und in diesem Fall ist die Antwort auf die Frage „Zuagroast<br />

oda dahoam?“ dann ganz einfach, sie lautet „Zuagroast UND<br />

dahoam!“<br />

Leben ist ständige Bewegung und Veränderung, und wenn man mit<br />

geeigneten Strategien darauf reagiert und die Menschen in den Entwicklungsprozess<br />

einbindet, braucht niemand Angst vor der Zukunft<br />

unserer Gemeinden haben – diese wird allerdings nicht so sein, wie<br />

die Vergangenheit eh nie war.<br />

<strong>gangart</strong> 17

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