Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
SCHWERPUNKT FLUCHT<br />
WAS ERZÄHLEN WIR<br />
UNSEREN KINDERN?<br />
Weg. Nur weg. Aber wohin? Von fliehenden Menschen<br />
und fliehenden Hoffnungen. Ein Grenzgang.<br />
Ein Beitrag von Wolfgang Tonninger<br />
Die Grenze der Belastbarkeit ist erreicht.<br />
Es herrscht Chaos.<br />
In Syrien.<br />
Nicht hier.<br />
Hier werden Obergrenzen eingeführt und hässliche Bilder<br />
bewusst in Kauf genommen. Über die Köpfe der Geflohenen<br />
und Schutzsuchenden hinweg. Hier wird Domino gespielt. Ein<br />
geostrategisches Brettspiel für Politiker, die den Bezug zur<br />
Realität verloren haben. Wo Domino gespielt wird, gibt es einen<br />
ersten Stein. Und eine lange Schlange aus Steinen. Und irgendwo<br />
am Ende der Schlange, da erwischt es Menschen. Da werden<br />
Menschen begraben und Hoffnungen. Das ist kein Spiel, was an<br />
der mazedonischen Grenze in Idomeni gespielt wird. Das ist<br />
reales Tränengas. Das ist reale Gewalt.<br />
Berge von Schwimmwesten in Lesbos und<br />
Flüchtlinge entlang der Balkanroute<br />
Weiter nach Lesbos.<br />
Zu den Bergen von Schwimmwesten, die sich an der Küste<br />
türmen. Zu den Fischern, die seit Juli 2015 beinahe täglich<br />
tote Menschen aus dem Meer ziehen; und wenn sie Menschen<br />
in Seenot helfen, Gefahr laufen, der Schlepperei bezichtigt zu<br />
werden. Hier an den Grenzen zeigt Europa sein wahres Gesicht.<br />
Hier kann man sie sehen, die Dominoeffekte, mit denen Spin-<br />
Doktoren die politische Debatte gestalten, ohne an Lösungen<br />
interessiert zu sein. Frauen, Männer, Kinder. So viele Kinder.<br />
Traumatisiert. Verzweifelt. Tot. Bilder, die sich eingebrannt<br />
haben, wie das des 2-jährigen Alan Kurdi an einem türkischen<br />
Strand, das im September 2015 die Welt erschütterte. Mit rotem<br />
T-Shirt und kurzer blauer Hose. Das Gesicht im Sand vergraben.<br />
Von Wasser umspült. Tot. Ein Bild wie ein Schrei. Es ist<br />
schwer hinzuschauen. Aber wohin sollen wir schauen? Überall<br />
werden sie angespült. Menschen, die alles zurückgelassen<br />
haben. Hals über Kopf geflohen sind, auf der Suche nach dem<br />
Silberstreif am Horizont, der sich Hoffnung nennt.<br />
Obergrenzen muss es geben, sagen die Politiker. Und die Menge<br />
nickt. Doch kann es so etwas geben? Eine Obergrenze der<br />
Menschlichkeit? Kann es sein, dass plötzlich ein willkürlich<br />
festgelegtes Zahlenkalkül regiert, das Flüchtlingskonvention<br />
und Menschenrechte – unsere kulturellen Grundpfeiler – über<br />
10 <strong>gangart</strong>