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TC Ausgabe April bis Juni 2016

Kunst- und Kulturzeitung für Dresden und Umland

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SEITE 3<br />

WAS DIE BÜHNE BEWEGT<br />

WWW.THEATERCOURIER.DE<br />

THEATERKRITIK<br />

Gastspiel des Wiener Burgtheaters mit Shakespeares „Sturm“<br />

Theaterkritik von Eckhard-Ullrich<br />

zum Gastspiel des Burgtheaters<br />

im Rahmen der Reihe Theater<br />

zu Gast in Dresden|März<br />

<strong>2016</strong> | Schauspielhaus Dresden<br />

Es lässt sich nicht leugnen: die Vorankündigung<br />

des Staatsschauspiels Dresden<br />

für das zweitägige Gastspiel des<br />

Wiener Burgtheaters mit „Sturm“ von<br />

William Shakespeare war irreführend.<br />

Denn die Aussicht auf eine Fassung<br />

mit ganzen drei Rollen musste zwangsläufig<br />

die Frage aufwerfen, wie das mit<br />

Prospero, Ariel und Caliban, aber ohne<br />

Ferdinand und Miranda, ohne Trinculo<br />

und Stephano, ohne Alonso, Sebastian,<br />

Antonio, Gonzalo gehen soll, das Fehlen<br />

der restlichen Geister schon großzügig<br />

zugestanden, das Fehlen der Herren<br />

Adrian und Francisco auch, das der<br />

Schiffsmannschaft ohnehin.<br />

Sturm im Wasserglas die Frage, der<br />

Kalauer sei verziehen. Denn aus Wien<br />

kam kein Drei-Personen-Stück, ein<br />

solches hat Shakespeare ja auch nie<br />

geschrieben, es kam ein Drei-Schauspieler-Stück,<br />

es kamen, es sofort zu<br />

sagen, drei grandiose Schauspieler, drei<br />

zum Heulen großartige Schauspieler<br />

und sehr rasch war klar, dass Barbara<br />

Frey da ein Wurf gelungen ist. Und<br />

siehe, das Klapp-Programm aus Wien<br />

nannte auch nur die Namen der Darsteller,<br />

nicht, welche Rollen sie spielten.<br />

Maria Happel ist Caliban und Miranda.<br />

Johann Adam Oest ist Prospero<br />

und Trinculo und Joachim Meyerhoff<br />

kommt gar dreifach: Ariel, Ferdinand<br />

und Stephano.<br />

Die Premiere im Akademie-Theater<br />

war am 5. <strong>Juni</strong> 2007, das läuft also<br />

schon bald neun Jahre, in anderen Theatern<br />

ist nach neun Jahren, wenn es hart<br />

läuft, vom einstigen Personal nur noch<br />

die Frau an der Kasse vorhanden.<br />

„Sturm“ ohne Artikel, so viel muss<br />

sein, oder so wenig, bei Shakespeare<br />

heißt es dann doch nicht „Tempest“<br />

sondern „The Tempest“, das aber fällt<br />

unter die lässlichen Sünden. Die Radikalkur<br />

an den fünf Akten dagegen, die<br />

am Ende in Dresden knapp anderthalb<br />

Stunden Netto-Spielzeit erbrachte,<br />

zehn Minuten mehr, als im Programm<br />

und Internet avisiert, war nicht nur keine<br />

lässliche Sünde, sondern schlagender<br />

Beweis, dass fast alles geht. Wenn es gekonnt<br />

wurde.<br />

Hier stehen ein paar Tische nebeneinander<br />

wie in einem soliden Salzburger<br />

„Jedermann“. Hier stehen ein knappes<br />

Dutzend Stühle dahinter, die sich<br />

dadurch auszeichnen, dass nicht zwei<br />

zusammenpassen. Hinten steht noch<br />

etwas von zu vermutender Bedeutung<br />

(Bühne Bettina Meyer).<br />

Man hört sphärische Klänge und Vögel.<br />

Und dann zuerst ein Shakespeare-<br />

Sonett aus dem Munde des Prospero-<br />

Darstellers in der deutschen Fassung<br />

von Christa Schuenke, die 1977 an der<br />

Humboldt-Universität zur Diplom-<br />

Philosophin gekürt wurde. Ihre Sonett-<br />

Übertragungen haben es <strong>bis</strong> in ein Taschenbuch<br />

gebracht, was den meisten<br />

der sehr vielen Sonett-Übertragungen<br />

<strong>bis</strong> heute nicht gelang. Johann Adam<br />

Oest sprach es und ging zum „Sturm“<br />

über.<br />

Ariel kommt wie ein echter Luftgeist<br />

von oben, er wäre sonst wohl doch eher<br />

ein Erdgeist und damit aus einem anderen<br />

Stück. Von oben kommt er eine<br />

Stange herab wie der Schnellste der<br />

örtlichen Berufsfeuerwehr und empfängt<br />

seine Weisungen. Spätestens hier,<br />

allerspätestens hier, weiß der Zuschauer,<br />

dass ihn ein großer Abend erwartet.<br />

Foto: Matthias Horn<br />

Gastspiele<br />

im Schauspielhaus:<br />

Reihe >Theater zu Gast in Dresden<br />

Ekzem Homo<br />

von und mit Gerhard Polt und den<br />

Well-Brüdern aus‘m Biermoos<br />

Gastspiel Münchner Kammerspiele<br />

16. und 17. <strong>April</strong> <strong>2016</strong><br />

Gift<br />

von Lot Vekemans | Übersetzung:<br />

Eva Pieper/ Alexandra Schmiedebach<br />

Gastspiel Deutsches Theater Berlin<br />

29. und 30. Mai <strong>2016</strong><br />

Meyerhoff bläst sich gewissermaßen<br />

innerlich selbst auf, wenn er den Befehl<br />

zum Blasen bekommt. Und bläst<br />

seinem Herrn auch ein wenig auf den<br />

Kopf. Caliban arbeitet hinter der Bühne<br />

mit der Säge, ehe er mit seinem Holzbündel<br />

geschlurft kommt. Caliban, der<br />

nicht er ist, sondern sie: Maria Happel,<br />

die lachen kann, dass es durch Mark<br />

und Bein geht. Und kurz darauf mit<br />

einem eher albernen Kränzlein um den<br />

kahlen Kopf Miranda ist, die des Vaters<br />

Rede pflichtschuldig genervt lauscht.<br />

Hier sollte man in langen Reihen Schauspielelevinnen<br />

und Schauspieleleven<br />

davor setzen und sagen: Schaut, was es<br />

heißt, stumm zu spielen und dabei in<br />

keiner Sekunde, buchstäblich in keiner<br />

Sekunde, zu sein und zu wirken wie in<br />

der eben vergangenen. Augenlust heißt<br />

ein zur Gruppe ausgestorbener Wörter<br />

gehörendes, Augenlust ist eines jener<br />

Vergnügungen des großen Theaters, die<br />

es ausmachen.<br />

Noch kurz zur Geschichte: diese Miranda<br />

hat an die Zeit in Mailand, da sie<br />

die ganz kleine Tochter des Herzogs<br />

war, keine Erinnerungen, ihr Vater ist<br />

also der einzige Mensch, den sie kennt,<br />

Caliban, der Kloß, der sie vergewaltigen<br />

wollte, Wesen Nummer zwei in ihrem<br />

Leben. Auf Platz drei kommt schon<br />

Ferdinand, Sohn des Königs von Neapel,<br />

der mit dem Bruder des rechtmäßigen<br />

Herzogs von Mailand im Bunde ist.<br />

Ferdinand ist für Miranda die Schönheit<br />

an sich.<br />

Wie Joachim Meyerhoff aus Ariel zu<br />

Ferdinand wird, gewissermaßen mützenknüllend<br />

vor der Jungfrau steht,<br />

selbst ein überaus lustiges Krönchen<br />

auf dem Kopf, das ist der Momente einer,<br />

der eine solche Inszenierung über<br />

die Jahre höchst lebendig hält. Sein Leiden<br />

im Dienste ist von Barbara Frey getilgt,<br />

erscheint nur im späten Resümee<br />

des Prospero, als der sich quasi entschuldigt<br />

bei seinem künftigen Schwiegersohne,<br />

es sei die Liebesprobe gewesen,<br />

der Test auf ihre Beständigkeit hin,<br />

was Vätern halt so wichtig ist, wenn sie<br />

eine einzige Tochter nur an die Welt zu<br />

verlieren haben. Das Zueinanderfinden<br />

von Ferdinand und Miranda: wieder die<br />

pure Augenlust. So kann Theater sein.<br />

Sonst geht es auch in diesem „Sturm“<br />

zu wie im „Sturm“. Nur halt ohne das<br />

dazu gehörige Nebenpersonal. Aus<br />

Prospero wird Trinculo, ein komisches<br />

Helmchen nur äußerlich macht den Unterschied,<br />

aus Ariel wird Stephano und<br />

beide zusammen bilden mit Caliban das<br />

Verschwörer-Trio, das versagt.<br />

Immer wieder die Kommunikation<br />

zwischen Ariel, der seine Freiheit will,<br />

und Prospero, der sie verspricht, aber<br />

stets noch einen Dienst braucht, den<br />

letzten, den allerletzten und den allerallerletzten.<br />

Ariel leidet und lauert, Ariel<br />

schmeichelt und schmiegt sich, haut<br />

sein Kinn nach vorn und rollt mit den<br />

Augen. Gegen Ende knabbert er an<br />

Prosperos Schulter.<br />

Dessen finale Begegnung mit all seinen<br />

Feinden, die sich in seiner Hand<br />

befinden, ohne vorhanden zu sein,<br />

bringt einen letzten Höhepunkt in einer<br />

Foto: Matthias Horn<br />

Inszenierung, in der die Höhepunkte<br />

so dicht liegen, dass sie fast eine Fläche<br />

bilden. Er redet sie an, einzeln und als<br />

Gruppe, und lässt sich von Ariel referieren,<br />

was sie antworten. Und während<br />

er ihnen verzeiht, schüttelt ihn sein<br />

Verzeihen, seine Vergebung klappert<br />

mit den Zähnen und rasselt mit nicht<br />

vorhandenen Säbeln.<br />

Nichts da mit souveräner Herrschergeste,<br />

die Utopie, von der die Rede ist,<br />

ist schon vor ihrer Inangriffnahme eine<br />

Zangengeburt. Johann Adam Oest ist<br />

am Ende wieder allein auf der Bühne,<br />

es wird leiser, es kommt Text aus den<br />

Sonetten. Natürlich verzichtet er auf<br />

seine Bücher und die Zukunft heißt erst<br />

einmal Ferdinand und Miranda. Ariel<br />

darf ganz leicht werden, leichter als<br />

Luft, Caliban, der das Fluchen lernte,<br />

als er sprechen lernte, trägt sein Holz,<br />

man hört ihn sägen.<br />

Und das Dresdner Publikum, das sogar<br />

Hockerplätze an den Parkettseiten<br />

erworben hatte, als alles andere längst<br />

ausverkauft war, es war begeistert. Ich<br />

sah noch die Requisiten im tschechischen<br />

Truck verschwinden. Der sicher<br />

preiswerter ist als eine Wiener Spedition.<br />

Verweile, Augenblick. Mal muss das<br />

gehen.<br />

Foto: Matthias Horn / www.hornphotography.de<br />

N www.eckhard-ullrich.de

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