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... wie <strong>Pierrot</strong> das Lächeln lernte<br />
Text und Illustration :<br />
Marie Malherbe<br />
Bernest<br />
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Es war einmal in Venedig ...<br />
Menschenleer war die Straße, leergefegt durch Wind und Kälte,<br />
als das Spielzeuggeschäft seine Pforten schloss.<br />
Eine alte Straßenlaterne beschien die Spielsachen<br />
und zeichnete bizarre Schatten auf Puppen und Hexen.<br />
Mitten im Schaufenster leuchtete eine Maske von <strong>Pierrot</strong>.<br />
Er schien etwas auf dem Herzen zu haben<br />
und machte eine traurige Miene .<br />
Selbst die Nacht schien nicht so schwarz und hoffnungslos<br />
wie <strong>Pierrot</strong>s tiefer Kummer.<br />
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„<strong>Pierrot</strong>, es ist Zeit schlafen zu gehen !“<br />
rief der Ladenbesitzer ärgerlich.<br />
„Komm schon <strong>Pierrot</strong>, langsam habe ich aber genug :<br />
Könntest du nicht endlich<br />
deine Schwermut ablegen ?<br />
Wegen deiner Trauermiene laufen alle Kinder weg ;<br />
Hör doch auf zu weinen, mein Lieber –<br />
oder muss ich dich in den Keller sperren ?“<br />
und er löschte das Licht aus.<br />
Aber <strong>Pierrot</strong> antwortete kein Wort mehr<br />
und versank in einem Tränenmeer.<br />
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In der Dunkelheit, die ihn jetzt umhüllte,<br />
vermochte er allmählich tausende silberne Sterne zu sehen,<br />
die den Abendhimmel wie Perlen bedeckten ...<br />
dann, nur einen kurzen Augenblick später,<br />
tauchte der Mond ganz langsam aus der Lagune empor.<br />
„Ah, da bist du ja !“ seufzte <strong>Pierrot</strong>,<br />
„ob du mich wohl trösten könntest,<br />
mein Kaufmann schimpft so sehr !<br />
Er wirft mir mein trauriges Gesicht vor,<br />
aber dies ist doch nicht meine<br />
sondern die Schuld des Puppenmachers,<br />
der mich auf diese Weise gemalt hat,<br />
dazu verurteilt, immer zu weinen ...“<br />
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Es ist wirklich nicht angenehm<br />
immer melancholisch sein zu müssen ...<br />
Gestern Abend beobachtete ich ein Kind,<br />
das viel Spass hatte, indem es tausend Grimassen<br />
im Spiegelbild des Schaufensters schnitt !<br />
Ich wollte schallend lachen,<br />
aber ich war dazu nicht imstande.<br />
Mit meiner Träne im Auge<br />
bin ich ständig von Kummer gezeichnet :<br />
aber dafür kann ich nichts ...<br />
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Ich kann nur sagen,<br />
dass ich mit meiner Trauermiene<br />
keine anderen Freunde habe<br />
als dich und die Nacht.<br />
Sogar meine süße Colombine,<br />
während ich hier weine ...,<br />
verlässt mich wegen der Abzählreime<br />
eines bunten Harlekins.<br />
Ah, dieser Halunke von Harlekin !<br />
Er kann leicht scherzen<br />
mit seiner bunten Mütze<br />
und seinen goldenen Wangen !<br />
Er möchte meine Colombine<br />
... als seine Harlekine !“<br />
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„<strong>Pierrot</strong>, <strong>Pierrot</strong>,<br />
zerbrich dir nicht so den Kopf !“<br />
lächelte der Mond liebevoll.<br />
„Du bist so schön, ganz in weiß !<br />
Und anmutig,<br />
wie eine Silberfeder ...<br />
Wenn du in so düsterer Stimmung bist,<br />
mit wem sollte ich dann<br />
in der Nacht spielen,<br />
wenn mir langweilig ist ?<br />
Ich möchte nicht, dass du dich<br />
wegen deiner kleinen Träne kränkst.<br />
Weißt du denn nicht,<br />
dass man auch weinen kann ...<br />
aus Freude ?<br />
Du müsstest nur lächeln<br />
oder sogar lachen ...<br />
mit den Augen !<br />
Diese runde Träne wird dann<br />
in einem glücklichen Gesicht<br />
ganz bezaubernd wirken ...“.<br />
„Wirklich ?“<br />
flüsterte nach einem kurzen Moment<br />
ein erstaunter <strong>Pierrot</strong><br />
mit großen, aufgerissenen Augen.<br />
„Dies wäre so wunderbar ...“<br />
dachte er voll Freude –<br />
„aus lauter Glück zu weinen !“.<br />
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Also begann er leichten Herzens<br />
ein träumerisches Lied zu singen.<br />
Der Mond begleitete ihn dabei,<br />
mit dem Chor der Nachtvögel<br />
und dem Nebelorchester.<br />
Sie spielten und lachten so viel,<br />
dass sie nicht mehr bemerkten,<br />
wie die Zeit verging ...<br />
Der Mond war zwar sehr müde,<br />
aber auch so vergnügt,<br />
dass er darüber vergessen hatte,<br />
sich schlafen zu legen !<br />
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Der blasse Mond irrte noch immer<br />
auf dem heller werdenden Himmel umher,<br />
während bereits die Morgenröte am Horizont erschien.<br />
Die Sta<strong>dt</strong> erwachte ;<br />
man hörte die Glocken läuten<br />
und die morgendlichen Grüße der Passanten ;<br />
man roch den Duft von frischer Brioche<br />
in den Kaffeehäusern.<br />
„Mond, Mond, mein lieber Freund !<br />
Bevor du einschläfst,<br />
gönne dir doch im Vorbeiziehen<br />
diese köstliche Kuchen !“<br />
„Danke <strong>Pierrot</strong>, aber ich kann nicht,<br />
denn, unter uns gesagt,<br />
mir bekommen nur Mond-Kipferl ...“<br />
Dann verblasste er langsam<br />
in einem immer blauer erstrahlenden Himmel.<br />
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Ganz verträumt kehrte <strong>Pierrot</strong><br />
auf sein kleines Regal zurück<br />
zwischen die Feen und die Hexen ...<br />
... Dann, zu seiner Verblüffung,<br />
erlebte er<br />
eine wunderbare Überraschung :<br />
Während die anderen Spielsachen<br />
noch schliefen<br />
spendete ihm Colombine<br />
in ihrem weißen Hemdchen<br />
sanften Beifall.<br />
An diesem Tag drängten sich<br />
alle Kinder des Viertels<br />
vor dem Geschäft,<br />
um die beiden zu bewundern :<br />
mit ihren Augen lachenden Liebenden,<br />
ganz in weiß und überglücklich,<br />
im schönsten aller Schaufenster :<br />
<strong>Pierrot</strong> und seine Colombine<br />
„Danke<br />
für dieses wunderbare Konzert :<br />
das ist mein schönster Geburtstag !“<br />
sagte sie, schmiegte sich an ihn<br />
und umarmte ihn liebevoll.<br />
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Text und Illustration : Marie Malherbe<br />
Alle Rechte vorbehalten<br />
© 2015 Editions Bernest · Wien<br />
bernest@bernest.at<br />
www.bernest.at<br />
ISBN 978-3-902984-03-6<br />
Gesamtherstellung: E. Becvar, Wien<br />
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