EINER VON EINER MILLION
Liberal-02_2016
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AUTOREN DER FREIHEIT<br />
Wenn sich der Papst<br />
plötzlich in<br />
Karl Marx verwandelt!<br />
„Für Papst Franziskus ist die freie Marktwirtschaft<br />
Teufelszeug“, findet Jacques Schuster, der Chefkommentator<br />
der „Welt“. Dabei dürfe man vom Heiligen Vater die Fähigkeit<br />
zur Differenzierung erwarten. Mit seinem Beitrag „Wenn sich<br />
der Papst plötzlich in Karl Marx verwandelt“ gewann Schuster<br />
unsere Wahl zum „Autor der Freiheit“ im Oktober 2015.<br />
ZUR PERSON<br />
JACQUES SCHUSTER ist seit Mai 2014<br />
Chefkommentator der Welt-Gruppe, der<br />
Welt gehört er seit 1998 an. Davor und<br />
währenddessen arbeitete Schuster als<br />
freier Journalist, unter anderem für die<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche<br />
Zeitung, den Tagesspiegel, Die<br />
Woche sowie für das Deutschlandradio.<br />
Stimmen auch Sie jeden Monat über die<br />
Autoren der Freiheit ab unter libmag.de<br />
Foto: Klar/Lengemann; Illustration: E. Merheim<br />
Alle lieben Franziskus.<br />
Wurde der intellektuelle,<br />
doch spröde wirkende<br />
Papst Benedikt allenfalls<br />
verehrt, gehen selbst der nicht<br />
katholischen Welt die heitere<br />
Selbstsicherheit bei betonter<br />
Genügsamkeit und die wache<br />
Intelligenz des immer leicht<br />
spielerisch aufgelegten argentinischen<br />
Jesuiten ans Herz.<br />
Mithilfe weniger Worte gelingt<br />
es Papst Franziskus, liberaler<br />
zu wirken als sein Vorgänger.<br />
Nur wenige Zeitgenossen<br />
erkennen, dass er in kirchlichen Dingen als Oberhaupt<br />
einer altehrwürdigen Institution konservativ<br />
sein muss, konservativ ist und sich darin kaum von<br />
Benedikt unterscheidet. Trotzdem wird Franziskus<br />
bewundert als Vorkämpfer in der Armee der Weltverbesserer,<br />
der den irdischen Größen die Leviten<br />
liest. Rundum, nahezu grenzenlos und – naiv!<br />
Es ist haarsträubend, was der Heilige Vater über<br />
den Kapitalismus von sich gibt. Entartet sei die freie<br />
Marktwirtschaft, ein Teufelswerk der Ausbeutung,<br />
eine Quelle, die nichts als Armut hervorbringe. Dass<br />
seine Aussagen nicht zu belegen sind, stört ihn nicht.<br />
Geht es um die freie Marktwirtschaft, gehört der<br />
Nachfolger Petri plötzlich nicht mehr zu den Zarten,<br />
den Suchenden. Er weiß Bescheid, ein für allemal –<br />
so wie vor ihm nur Karl Marx.<br />
Eines vergisst Franziskus<br />
in seinem Furor jesuiticus: Es<br />
hat in der Geschichte der<br />
Menschheit Demokratie<br />
niemals ohne den freien<br />
Markt gegeben. Demokratie<br />
und Markt gehören untrennbar<br />
zusammen.<br />
Wer der Demokratie den<br />
freien Markt raubt, entzieht<br />
dem Menschen nicht nur das<br />
Recht auf freie Entfaltung<br />
und Eigeninitiative, er nimmt<br />
ihm auf lange Sicht auch die<br />
Freiheit selbst.<br />
Ist der Papst sich dieser Tatsache bewusst? Er<br />
sollte es sein. Sonst kämen harte Geister womöglich<br />
auf die Idee, dass es für das Oberhaupt der<br />
katholischen Kirche wichtigere Dinge gibt als die<br />
Demokratie. Immerhin stünde Franziskus damit in<br />
guter katholischer Tradition.<br />
Fast jeder Fortschritt im humanen Empfinden,<br />
nahezu jede Verbesserung der Strafgesetze, jeder<br />
Schritt zur besseren Behandlung der farbigen<br />
Rassen, zur Milderung der Sklaverei, ja sogar der<br />
Gleich berechtigung von Mann und Frau ist von der<br />
Kirche bekämpft worden. Vor diesem Hintergrund<br />
stünde Franziskus die Gabe zum Zwischenton gut<br />
an – auch wenn es im Westen gegenwärtig beliebt<br />
ist, den freien Markt als neoliberales Teufelszeug zu<br />
verdammen. ●<br />
liberal 2.2016<br />
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