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Hinz&Kunzt 275 Januar 2016

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Das Hamburger<br />

Straßenmagazin<br />

N O <strong>275</strong><br />

01.16<br />

2,20 Euro<br />

Davon 1,10 Euro<br />

für unsere Verkäufer<br />

Ulrich Tukur &<br />

Die Rhythmus Boys<br />

Großes Benefizkonzert am 26. <strong>Januar</strong> – und ein Interview mit allen vier Jungs<br />

über ihre musikalischen Anfänge: „Die Straße war unsere Schauspielschule.“


Schülerwettbewerb<br />

Miteinander hören:<br />

Wie klingt<br />

„Weltverbessern“?<br />

An alle Schüler: Hinz&<strong>Kunzt</strong> und die Internetplattform<br />

AUDIYOU.de rufen zum sechsten Audio-Wettbewerb auf!<br />

Flüchtlinge, Klimakatastrophe, Obdachlose, Kinderarmut … Wir leben in<br />

einer Zeit, in der für viele Herausforderungen Lösungen gesucht werden.<br />

Es gibt reichlich Ideen und Gedanken dazu, was sich ändern müsste,<br />

„damit die Welt besser wird“. Die Verantwortung hierfür schieben wir<br />

gerne anderen zu. Aber was können wir als Einzelne bewirken?<br />

„Weltverbessern“ kann in kleinen Schritten beginnen. Eine Aktion<br />

für Obdachlose. Ein Referat, das die Mitschüler berührt. Eine Idee,<br />

wie zu Hause Strom gespart wird. Wie man Dinge tauschen kann, statt sie<br />

neu zu kaufen. Ein offener Brief an die Mitbürger … und vieles mehr!<br />

Macht daraus einen Song, ein Gedicht, ein Hörspiel …<br />

Hauptsache, es ist hörbar. Technische und inhaltliche Hilfe geben wir gern.<br />

Für Lehrer gibt es am Mittwoch, 17. Februar <strong>2016</strong><br />

einen Workshop, bei dem die Grundlagen der Technik<br />

vermittelt und Fragen beantwortet werden.<br />

Einsendeschluss<br />

Montag, 27. Juni <strong>2016</strong><br />

Informationen, Teilnahmebedingungen<br />

und Anmeldeformular unter:<br />

hinzundkunzt@audiyou.de oder telefonisch:<br />

Stephanie Landa, AUDIYOU: 040/46 07 15 38<br />

Isabel Schwartau, Hinz&<strong>Kunzt</strong>: 040/32 10 84 01.<br />

Es gibt wieder hochwertige<br />

technische Geräte zu gewinnen!<br />

Wir freuen uns auf<br />

Eure Wettbewerbsbeiträge.<br />

Viel Spaß!<br />

ILLUSTRATION: CARMEN SEGOVIA/2AGENTEN


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Inhalt<br />

Titel: Nicht verpassen! ULRICH TUKUR &<br />

DIE RHYTHMUS BOYS am 26. <strong>Januar</strong>!<br />

TITELBILD: KATHARINA JOHN<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

hoffentlich hatten Sie einen guten Start ins neue Jahr! Wir empfangen Sie gleich auf<br />

unserer Seite Gut&Schön (S. 4/5) mit guten Nachrichten: Prinz William setzt sich für<br />

junge Obdachlose ein – und eine Tochter hat ihren obdachlosen Vater nach Jahren<br />

wiedergefunden. 12.000 Freiwillige haben sich im vergangenen Jahr in Norddeutschland<br />

für Flüchtlinge engagiert. Wie glücklich es machen kann, wenn man etwas bewegt,<br />

zeigt sich auch in Deutschlands berühmtester Kleiderkammer (S. 16). Spannendes<br />

erlebte Fotografin Lena Maja Wöhler: 48 Stunden verbrachte sie im<br />

Winternotprogramm (S. 6). Und falls Sie mal wieder richtig feiern wollen: Ulrich<br />

Tukur & Die Rhythmus Boys kommen am 26. <strong>Januar</strong> ins St. Pauli Theater, der Erlös<br />

geht komplett an uns. Vorher allerdings erzählte die älteste Boygroup noch, dass sie<br />

auf der Straße angefangen hat zu spielen und wie „wunderbar und gnadenlos“ das<br />

war (S.48). Berührend auch die Fotoarbeit „Trigger“ von Jakob Ganslmeier über Soldaten,<br />

die schwer traumatisiert aus ihren Auslandseinsätzen zurückkommen. Unser<br />

Autor Frank Keil hat einen von ihnen getroffen (S. 36). Ihr Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Team<br />

FOTOS: JAKOB GANSLMEIER, MAURICIO BUSTAMANTE, DMITRIJ LELTSCHUK<br />

Stadtgespräch<br />

04 Gut&Schön<br />

Nur aufmunternde Nachrichten<br />

06 48 Stunden Winternotprogramm<br />

Selbstversuch von Lena Wöhler<br />

16 Vom Glück, etwas zu bewegen<br />

Neues aus Deutschlands berühmtester<br />

Kleiderkammer<br />

19 Wenn nicht hier, wo dann?<br />

Wie Hamburg für Flüchtlinge baut<br />

22 Nachtasyl im Gebetsraum<br />

Flüchtlinge in der Moschee<br />

24 Spot on!<br />

Hinz&Künztler in der Kunsthalle<br />

30 „Lachen bringt Menschen zusammen“<br />

sagt PALAZZO-Clown Peter Shub<br />

32 Über Klimawandel und Flüchtlinge<br />

Jakob von Uexküll im Interview<br />

42 Mehr als eine warme Mahlzeit<br />

Grandiose Verkäuferweihnachtsfeier<br />

in der Fischauktionshalle<br />

Stadtexpedition<br />

11 #3: Verlorene Orte<br />

Lost Places – von Hagenbeck<br />

bis zur Schilleroper<br />

Lebenslinien<br />

36 „Soldaten wollen integriert werden“<br />

Viele kehren von den Auslands-<br />

Einsätzen traumatisiert zurück<br />

Freunde<br />

44 Viel mehr als eine warme Mahlzeit!<br />

Dank an alle Sponsoren, Promis<br />

und Helfer<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

48 Die Straße als Schauspielschule<br />

Ulrich Tukur & Die Rhythmus<br />

Boys im Interview<br />

52 20 Tipps für den <strong>Januar</strong><br />

56 Koch des Monats<br />

Hinz&Künztlerin<br />

Sabrina kocht einen<br />

Bauerneintopf<br />

58 Momentaufnahme<br />

Ex-Hinz&Künztler Reinhard<br />

Rubriken<br />

05, 09, 15 Kolumnen<br />

10, 15, 35 Meldungen<br />

46 Leserbriefe<br />

57 Rätsel, Impressum<br />

36<br />

24<br />

16<br />

Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk


Begegnung<br />

Claus Duppke<br />

Immer donnerstags und freitags ist<br />

Claus-Tag in der Rösterei in der<br />

Steinstraße 19b in Hamburg.<br />

Seit 40 Jahren serviert der 70-Jährige.<br />

Er hat schon viele bedient, die einen<br />

Namen haben. Im SAS Plaza Hotel<br />

etwa Altkanzler Helmut Kohl. Duppke<br />

ist von der alten Schule, darum trägt<br />

er bis heute Anzug und Fliege. Und<br />

selbst im größten Stress erkundigt<br />

er sich bei jedem nach seiner<br />

Zufriedenheit. Der Gast ist eben<br />

König! „Nur wenn mal 200 Könige<br />

da sind, wird’s manchmal eng“,<br />

sagt er schmunzelnd. Aber das<br />

ist in der Mini-Rösterei zum Glück<br />

selten der Fall. LÖWE<br />

•<br />

Mehr Infos unter: www.die-roesterei.com


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Gut&Schön<br />

Prinz William fordert:<br />

Aus für Jugendobdachlosigkeit!<br />

FOTOS: KLAUS-DIETMAR GABBERT/DPA, METTE KRAMER KIRSTENSEN/INSP, LOUISE HAYWOOD-SCHIEFER/INSP<br />

Bild des Monats<br />

Spätzle am Alex – Flüchtling kocht für Arme<br />

Alex A. floh aus Syrien. Erst zu Fuß durch Wüsten,<br />

dann mit dem Boot übers Mittelmeer. Sein Asylantrag<br />

wurde anerkannt, nun ist er ein Berliner. Und steht<br />

jeden Samstag an der S-Bahn-Station Alexanderplatz.<br />

Kocht für Obdachlose und Bedürftige. Gerne Spätzle.<br />

Sonst syrisch oder arabisch. Sein Credo:<br />

„Ich möchte den Deutschen etwas zurückgeben.“ FK<br />

•<br />

Von der Pinnwand ins<br />

Internet – Hilfe für Heinrich<br />

Hinz&Künztler Heinrich verkauft<br />

in Barmbek vor dem Rewe-Markt.<br />

Und hängte dort einen Zettel an die<br />

Pinnwand: „Suche eine Unterkunft.<br />

Bin sehr ruhig und ehrlich.“<br />

Eine Kundin postete den Zettel bei<br />

Facebook – nun haben über 600<br />

Nutzer eine öffentliche Facebookgruppe<br />

gegründet: „Unterstützung<br />

für Heinrich“. FK<br />

•<br />

5<br />

Wiedersehen nach 13 Jahren<br />

Mit ihrem Vater hatte Maria Louise<br />

abgeschlossen: Der Seemann trank,<br />

nahm Drogen und kümmerte sich<br />

wenig um seine Familie. Mit 15<br />

brach die heute 30-jährige Dänin<br />

den Kontakt endgültig ab. Dass ihr<br />

Vater Jorgen obdachlos ist und die<br />

Straßenzeitung „Hus Forbi“ in<br />

Odense verkauft, erfuhr sie erst, als<br />

sie ein Foto von ihm darin entdeckte.<br />

„Ich habe ihn sofort erkannt!“<br />

Nach einem aufregenden ersten<br />

Treffen haben Vater und Tochter<br />

wieder regelmäßig Kontakt. LEU<br />

•<br />

Man kann Jugendobdachlosigkeit<br />

in England und Wales<br />

überwinden, davon ist Prinz<br />

William überzeugt. „Es gibt<br />

insgesamt 136.000 Jugendliche<br />

in Not, davon sind nur<br />

16.000 wirklich obdachlos“,<br />

sagte der Schirmherr von<br />

„Centrepoint“, das sich für<br />

junge Obdachlose engagiert.<br />

„Es würde mir sehr gefallen,<br />

wenn das Land endlich aufwachen<br />

würde.“<br />

Er selbst hat auch schon<br />

mal eine Nacht draußen geschlafen,<br />

erzählte er seiner<br />

Interviewerin. Aber das habe<br />

nicht das Geringste mit dem<br />

zu tun, was Obdachlose erleben.<br />

„Ich konnte nach Hause<br />

zurückkehren in ein schönes<br />

Bett.“<br />

Das Interview machte<br />

übrigens Sophia Kichou, die<br />

selbst als Jugendliche obdachlos<br />

war und über Centrepoint<br />

Prinz William kennengelernt<br />

hatte. Damals<br />

hatte sie den Traum, Journalistin<br />

zu werden und fragte<br />

ihn, ob sie ihn dann interviewen<br />

dürfe. Ende November<br />

sprach sie mit ihm über seinen<br />

Respekt vor den jungen<br />

Obdachlosen – und darüber,<br />

was sich ändern muss. Das<br />

Interview erschien zuerst im<br />

englischen Straßenmagazin<br />

„Big Issue“, jetzt weltweit. •<br />

Das ganze Interview lesen Sie<br />

bei uns online unter<br />

www.huklink.de/prinz


48 Stunden<br />

Winternotprogramm<br />

Ein Selbstversuch.


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Stadtgespräch<br />

Wohncontainer<br />

erweitern das<br />

Angebot in der<br />

MÜNZSTRASSE<br />

(links). Die<br />

Zimmer bieten den<br />

Bewohnern kaum<br />

Privatsphäre.<br />

TEXT UND FOTOS: LENA MAJA WÖHLER<br />

16.30 Uhr. Ich komme mit meinem Rucksack in der Münzstraße<br />

an. Beim Winternotprogramm. Die Menschenschlange<br />

zeigt den Weg. Gut 40 Wartende stehen entlang eines Bauzauns.<br />

Ein Security-Team steht auf der anderen Seite des<br />

Zauns, die Mitarbeiter schauen starr auf ihre Smartphones.<br />

Es ist kurz vor 17 Uhr, in ein paar Minuten ist Einlass.<br />

Ein älterer Mann, dem es nicht gut geht, wird zuerst hinter<br />

den Bauzaun geführt. Die Leute protestieren pfeifend. Ein<br />

Security-Mann kommt zurück zum Zaun und ruft mit fester<br />

Stimme: „Wenn ihr so weitermacht, dürft ihr noch eine weitere<br />

Stunde warten.“ Es wird still.<br />

Nach einiger Zeit öffnet sich der Eingang, die Ersten können<br />

sich vor einem Container registrieren lassen. Nun bin<br />

auch ich dran. Werde nach meinen persönlichen Daten gefragt.<br />

Werde gefragt, ob ich Waffen oder Alkohol bei mir<br />

habe. „Ein Taschenmesser“, antworte ich. Man schreibt<br />

meinen Namen drauf, verwahrt es. Weiter werde ich nicht<br />

kontrolliert. Ich bekomme eine „Bettkarte“.<br />

Ich komme in das Haupthaus, über eine Bautreppe erreiche<br />

ich die Extra-Etage für Frauen. Betrete den Flur. Ein beißender<br />

Geruch steigt mir in die Nase, obwohl alles einen sauberen<br />

Eindruck macht. Ich suche Zimmer G9, das rechte Bett<br />

unten. Ich finde mein Zimmer, ich bin die Erste dort. Persönliche<br />

Gegenstände einer mir noch unbekannten Zimmerkollegin<br />

sind im Zimmer verteilt. Die anderen Betten sind leer. Ich<br />

gehe mich umschauen. Die Toiletten, die Duschen und<br />

Waschräume sind sauber. Aber es wird klar, woher der unangenehme<br />

Geruch stammt. Überall hängen Warnhinweisschilder:<br />

„Kein Trinkwasser“. Auf Nachfrage beim Personal wird<br />

mir gesagt, dass es nirgendwo im Haus die Möglichkeit gibt,<br />

Trinkwasser aus dem Wasserhahn zu bekommen.<br />

In einem Raum im Erdgeschoss gibt es dafür Kaffee und<br />

Tee, so viel man mag. Aber nach dem ersten Kaffee bin ich<br />

mir sicher, dass man selten viel mag. Um 19 Uhr gibt es<br />

Abendbrot. Also Brot mit Belag. Man kann es sich aus einer<br />

Kiste nehmen. Auch mehr als eins, wenn man möchte. Ich<br />

gehe zurück auf die Frauenetage.<br />

Mittlerweile ist Leben eingekehrt und mir wird klar, dass die<br />

Bewohner nach Nationalitäten auf die Zimmer verteilt sind.<br />

Viele Frauen stehen im Waschraum und waschen ihre Wäsche<br />

per Hand. Ich lerne die Zimmerkollegin kennen, Simone<br />

W. (Name geändert). 55 Jahre, sie ist seit zwei Wochen hier<br />

und erklärt mir die Regeln. Bei all den Geschichten, die sie<br />

erzählt, bin ich froh, als sie sagt, dass wir zu zweit auf dem<br />

Zimmer sind. Sie schaltet das Radio ein. Es läuft derselbe<br />

Radiosender wie bei mir zu Hause. Doch hört man in der<br />

Notunterkunft der Wettervorhersage zu, ist es fast wie bei der<br />

Ziehung der Lottozahlen. Bei Schnee und frostigen Temperaturen<br />

hat man mehrfach verloren: Um 9 Uhr morgens<br />

muss man die Unterkunft verlassen haben. Rein kommt man<br />

erst um 17 Uhr wieder. Auch wenn man krank ist.<br />

Was man in der übrigen Zeit macht, ist jedem selbst überlassen.<br />

Simone erzählt mir, dass sie am liebsten bei Saturn<br />

und Karstadt die Preise vergleicht. „Wenn ich wieder eine<br />

eigene Wohnung habe, brauche ich alles neu, darum vergleiche<br />

ich alles und weiß mittlerweile genau, wo ich was kaufen<br />

werde.“ Dazu läuft im Radio ein Bericht über das neue<br />

Musical in der Stadt – was für ein Kontrast.<br />

Nach einem Becher Tee aus dem Aufenthaltsraum lege<br />

ich mich hin. Ich fühle mich taub und müde – all die lauten<br />

Gespräche in den Gängen, die Eindrücke, der Geruch, der<br />

nun von den gewaschenen und nassen Anziehsachen ausgeht<br />

und auf Heizungsluft trifft. Simone bietet mir eine von ihren<br />

Zeitungen an. Sie hat alles da, vom „Goldenen Blatt“ bis zur<br />

„Bild der Frau“. Gut gelaunte Prinzen und Prinzessinnen<br />

lächeln mir von den Titelblättern entgegen. Ich frage Simone,<br />

ob sie es nicht komisch findet, von all dem Luxus zu lesen,<br />

wenn man selbst so wenig hat. Sie sagt: „Die Welt in den<br />

Zeitungen ist mindestens genauso unrealistisch wie mein<br />

Leben seit ein paar Monaten. Es ist wie ein kleiner Ausflug.“<br />

Ich liege auf der dünnen Matratze und lausche den unbekannten<br />

Geräuschen und Stimmen. Ich kann nicht unterscheiden,<br />

ob sie sich nebenan streiten oder gemeinsam über<br />

etwas lachen.<br />

7


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>275</strong>/ JANUAR <strong>2016</strong><br />

Gute Gemeinschaft<br />

gegen KÄLTE und<br />

Tristesse: Lena Maja<br />

Wöhler (Foto unten<br />

rechts, mit Mütze).<br />

Rechts im Bild:<br />

ihre Zimmergenossin<br />

für zwei Tage.<br />

Tief schlafen werde ich diese Nacht nicht. Immer wieder<br />

werde ich von schlagenden Türen wach. Ich höre Simone<br />

mehrmals aus einem Albtraum hochschrecken.<br />

7.30 Uhr. Die Tür geht auf. Eine Security-Frau schaltet das<br />

Licht an, murmelt: „Guten Morgen, aufstehen …“ Ich komme<br />

langsam zu mir, versuche mich zu orientieren. Simone<br />

versichert mir: „Daran gewöhnt man sich mit der Zeit, in der<br />

JVA ist es schlimmer, da geht nur das Licht an, ohne ‚Guten<br />

Morgen‘.“<br />

Dann lacht sie und sagt, dass sie mir gestern nicht sagen<br />

wollte, dass sie mal im Gefängnis war, damit ich besser<br />

schlafen könne. Für einen Tag, weil sie eine Geldstrafe nicht<br />

zahlen konnte.<br />

Auf dem Weg zum Kaffee begrüßen mich alle mit einem<br />

freundlichen Hustenanfall. Es gibt Frühstück. Brot mit Belag.<br />

Diesmal nehme ich nichts, beschließe, die zehn Euro anzubrechen,<br />

die ich für 48 Stunden mitgenommen habe.<br />

9 Uhr. Alle haben die Unterkunft verlassen. Ich fühle mich<br />

irgendwie seltsam, brauche Platz und Stille, es zieht mich an<br />

die Elbe. Ich genieße die ersten Sonnenstrahlen.<br />

10 Uhr. Noch sieben Stunden, bis die Notunterkunft wieder<br />

aufmacht. Ich gehe zu McDonald’s, 1-Euro-Frühstück. Ich<br />

treffe drei Leute aus der Notunterkunft. Dann Saturn, Topfpreise<br />

vergleichen. Das findet der Hausdetektiv anscheinend<br />

verdächtig, auffällig unauffällig folgt er mir.<br />

Ich besuche Karstadt, den Weihnachtsmarkt, die kleine<br />

Alster. Es ist 12.30 Uhr. Ich stelle fest, dass ein Prospekt sich<br />

gut als Sitzunterlage eignet, wenn man mal ausruhen will.<br />

Zehn Grad zeigt ein Thermometer. Bei den Landungsbrücken<br />

bin ich mit Simone verabredet, die mir das CaFée<br />

mit Herz zeigen möchte. Man bekomme dort ein kostenloses<br />

Mittagessen, könne sich unterhalten. Leider hat es heute<br />

geschlossen.<br />

Simone hat einen Vorschlag: das Herz As in der Nähe der<br />

Münzstraße. Dort erhalten wir für 50 Cent ein sehr leckeres<br />

Essen. Auch hier treffe ich einige Menschen aus der Notunterkunft.<br />

Viele versuchen zu schlafen – den Kopf auf den<br />

Tisch gelegt. Um 16 Uhr müssen wir gehen.<br />

Simone und ich nehmen noch ein Sonderangebot an<br />

einem Kiosk wahr: zwei Bier zum Preis von zwei Euro. Wir<br />

setzen uns in einen Hauseingang, trinken aus der Flasche<br />

und lachen über das Klischee, das wir gerade erfüllen. Simone<br />

erzählt mir von der Treppe, die für sie immer weiter nach<br />

unten führte. Aber sie ist noch da. Und wird es auch bleiben.<br />

Das weiß sie genau.<br />

8


Stadtgespräch<br />

17 Uhr. Die Containerburg wird wieder eröffnet. Wir stehen<br />

in der Schlange an und kommen mit den Menschen um uns<br />

herum ins Gespräch. Vor uns ein Mann, der von Hamburg<br />

schwärmt, von der guten Luft. Hinter uns drei Männer,<br />

Polen oder Russen. Ich will eine Wissenslücke schließen und<br />

frage, was das Wort „Kalinka“ aus dem gleichnamigen Song<br />

bedeutet. Kurz darauf singt die ganze Menschenschlange<br />

„Kalinka, kalinka, kalinka moja!“.<br />

Ich hole mir bei der Verwaltung eine Tasse Shampoo<br />

und gehe unter die Dusche. Einen Föhn gibt es nicht, also ist<br />

die einzige Chance, die Haare zu trocknen, wenn man gleich<br />

nach dem Einlass duscht und sich dann eine Mütze aufsetzt.<br />

Ich lege mich ins Bett. Eine Sitzgelegenheit gibt es weder auf<br />

der Etage noch auf dem Zimmer. Im Radio läuft: „Somewhere<br />

over the Rainbow“.<br />

Heute stehen freundliche Damen an der Essensausgabe,<br />

und es gibt Buchstabensuppe. Ich freue mich am meisten<br />

darüber, dass es etwas Warmes gibt. Eine Gruppe von Rumänen<br />

sitzt an einem Zwölf-Personen-Tisch im Essensraum.<br />

Ein Stuhl ist noch frei. Einer von ihnen schiebt mir<br />

den Stuhl hin. Unterhalten können wir uns nicht, aber wir<br />

tauschen Blicke aus. Andere Bewohner, die ich vom Warten<br />

auf Kaffee und Tee her kenne, klopfen mir dafür auf die<br />

Schulter. Gemeinschaft auf eine seltsame Art. Einerseits<br />

konkurriert man um das Wenige, das es hier gibt; andererseits<br />

bemühen sich alle, respektvoll und freundlich miteinander<br />

umzugehen.<br />

Auch die Securitys sprechen mich an. Sie wollen wissen,<br />

was ich für Pläne habe und erzählen mir, dass ich Unterstützung<br />

in einem Beratungsgespräch finden kann, das sie hier<br />

im Haus vermitteln. Nach dem Essen teilt Simone ihre Zeitschriftensammlung<br />

mit mir. Ich erfahre, dass Helene Fischer<br />

gar nicht naturblond ist. Mein Weltbild gerät ins Wanken.<br />

Diesmal schlafe ich früh ein. Mitten in der Nacht klopft<br />

es an der Tür. Erst ganz leise, dann immer lauter. Ich bin<br />

wach, sage aber nichts. Die Tür geht langsam auf, ein Kopf<br />

schiebt sich durch den Spalt. Simone wird ebenfalls wach,<br />

ruft laut: „Hallo!“ Die Tür geht schnell wieder zu. „Das<br />

kommt öfter vor“, sagt Simone. Es ist ein Test, ob man tief<br />

genug schläft. Wenn ja, wird man beklaut.<br />

7.30 Uhr. Licht an. Aufstehen. Kaffee. Hustenchor. Einen<br />

Plan für den Tag machen. Heute regnet es, da eigne sich die<br />

Europapassage zum Aufenthalt, sagt Simone. Wir gehen gemeinsam<br />

los, trinken zuerst bei der Bahnhofsmission einen<br />

Kaffee. Um 17 Uhr sind die 48 Stunden vorbei. Ich gehe den<br />

Weg vom Stadtzentrum bis nach Barmbek zu Fuß, nur durch<br />

ruhige Nebenstraßen. Mir wird bewusst, dass man nicht nur<br />

ständig draußen ist, wenn man auf der Straße lebt, sondern<br />

vor allem auch permanent in der Öffentlichkeit. Ein Eindruck<br />

folgt auf den nächsten. Du fällst durch dein Äußeres auf, du<br />

wirst beobachtet. Kein Rückzugsort, keine Privatsphäre<br />

schützt dich. Ich frage mich, wie man so zur Ruhe kommen<br />

kann, um Kraft zu sammeln und sein Leben zu ändern.<br />

Ich komme zu Hause an, schalte das Radio ein und denke<br />

an Simone. •<br />

Drei Fragen an<br />

Joachim Lux*<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Bisher wurden die „Lessingtage“<br />

stets mit der Rede eines prominenten Denkers eröffnet.<br />

Dieses Jahr ist das anders. Warum?<br />

JOACHIM LUX: Wir finden es wichtig, dass sich die<br />

Hamburger Bürgerinnen und Bürger am Diskurs<br />

über das Zusammenleben in einer sich<br />

verändernden Stadtgesellschaft beteiligen. Zu<br />

diesem Zweck haben wir 501 Neu-Hamburger,<br />

500 Hamburger BürgerInnen und 100<br />

Experten zur Eröffnungsveranstaltung „Das<br />

neue Wir“ eingeladen. Dieser Bürgergipfel ist<br />

also zugleich Wissenskongress, Kontaktbörse<br />

und Ort der Begegnung.<br />

Die einen wollen, dass einem das Theater den<br />

Boden unter den Füßen wegzieht, den anderen dürstet<br />

es nach handfester Orientierung. Wer wird während<br />

der Lessingtage auf seine Kosten kommen?<br />

Das Theater ist ein wunderbarer Ort, um verstörende<br />

gesellschaftliche Zustände in einem<br />

geschützten Raum zu verhandeln. Beispielsweise<br />

setzt sich das Kollektiv FC Bergmann in<br />

seiner Performance „300el x 50el x 30el“ sowohl<br />

verstörend als auch poetisch mit hermetischen<br />

Gesellschaften auseinander.<br />

Wie das kosmopolitische Zusammenleben<br />

aussehen kann, zeigt leichtfüßig der musikalische<br />

„Heimatabend – Heimatlieder aus<br />

Deutschland“, der vom Migrationsforscher<br />

Mark Terkessidis moderiert wird. Von daher<br />

kommen bei den Lessingtagen alle auf ihre<br />

Kosten.<br />

Es erwarten uns an 17 Tagen mehr als 30 Veranstaltungen.<br />

Welche darf man keinesfalls verpassen?<br />

Neben dem Bürgergipfel sollte man die Urgeschichte<br />

der Migration „Früchte des Zorns“,<br />

mit der wir die Lessingtage eröffnen, sowie die<br />

syrische „Antigone of Shatila“, die in einem libanesischen<br />

Flüchtlingscamp entstanden ist,<br />

nicht missen. Außerdem setzen wir die kontinuierliche<br />

Zusammenarbeit mit China fort<br />

und möchten Ihnen das Gastspiel aus Schanghai<br />

„Die Masse“ ans Herz legen, das sich an<br />

Ibsens „Ein Volksfeind“ orientiert.<br />

Ein besonderes Highlight ist das aktuelle<br />

„Herzzentrum“ über Navid Kermanis Buch<br />

„Ungläubiges Staunen. Über das Christentum“,<br />

das nach dem großen Erfolg in der Centrumsmoschee<br />

jetzt an einem gänzlich unheiligen<br />

Ort aufgeführt wird – im Bordell „Pink<br />

Palace“ auf der Reeperbahn. FK<br />

•<br />

*Joachim Lux ist Intendant des Thalia Theaters.<br />

Die „Lessingtage“ starten am 23. <strong>Januar</strong>.<br />

Programm: www.huklink.de/lessingtage/<br />

9


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>275</strong>/ JANUAR <strong>2016</strong><br />

Meldungen (1)<br />

Politik & Soziales<br />

Grundsatzurteil: EU-Bürger erhalten Sozialhilfe<br />

Bürger der Europäischen Union (EU), die länger als sechs Monate in Deutschland<br />

leben, haben grundsätzlich Anspruch auf Sozialhilfe. Das entschied jetzt das<br />

Bundessozialgericht (BSG) in Kassel. Das Urteil sorgt für Aufsehen, weil erst im<br />

September der Europäische Gerichtshof EU-Bürgern einen pauschalen Anspruch<br />

auf Hartz IV abgesprochen hatte. Habe sich der Aufenthalt „verfestigt“ –<br />

laut BSG ist das nach sechs Monaten der Fall –, muss nun zumindest das Sozialamt<br />

Hilfeleistungen gewähren. Nach Einschätzung des Landessozialgerichts<br />

Essen könnten bundesweit rund 130.000 Menschen von dem Urteil profitieren,<br />

vor allem Rumänen und Bulgaren. Es sei „erfreulich“, dass sich die Lebenssituation<br />

sehr vieler Menschen verbessere, sagt Stephan Nagel. Der Hamburger Diakonie-Referent<br />

für Wohnungslosenhilfe bemängelt aber: „Noch ist nicht für alle Bedürftigen<br />

ein Weg in das soziale Sicherungssystem erreicht.“ Es sei jetzt Aufgabe<br />

des Bundesverfassungsgerichts, für Rechtsklarheit zu sorgen. JOF<br />

•<br />

Miete: Hilfeempfänger zahlen drauf Staatliche Hilfe deckt Stromkosten nicht<br />

Hamburger Hartz-IV-Empfänger haben<br />

2014 rund 20 Millionen Euro Mietund<br />

Heizkosten aus eigener Tasche gezahlt,<br />

weil die Zuschüsse des Jobcenters<br />

nicht ausreichten. Pro Hartz-IV-Haushalt<br />

sind das monatlich mehr als 17 Euro,<br />

knapp ein Euro mehr als im Bundesdurchschnitt.<br />

Durch „offenkundig zu<br />

niedrige Angemessenheitsgrenzen“ spare<br />

die öffentliche Hand „auf Kosten der<br />

Betroffenen“, so die Linken-Bundestagsabgeordnete<br />

Sabine Zimmermann,<br />

die die Zahlen bei der Bundesregierung<br />

erfragt hat. Die Hamburger Mietobergrenzen<br />

wurden zuletzt an den Mietenspiegel<br />

2013 angepasst. Die nächste<br />

Erhöhung ist im Frühjahr geplant. Bis<br />

dahin werden laut Sozialbehörde keine<br />

Hilfeempfänger mehr aufgefordert, ihre<br />

Mietkosten zu senken. BELA<br />

•<br />

10<br />

Die staatliche Unterstützung für Hilfeempfänger reicht nicht<br />

aus, um deren Stromkosten zu decken. Das ist das Ergebnis<br />

einer Studie der Caritas und des Zentrums für Europäische<br />

Wirtschaftsforschung. Je nach Haushaltsgröße müssten Hartz-<br />

IV-Empfänger monatlich fünf bis elf Euro draufzahlen.<br />

Im Regelsatz sind für Strom 28 Euro vorgesehen. Weil die<br />

Energiekosten stark gestiegen sind, reicht das oft nicht aus. Da<br />

dürfte auch die Regelsatz-Erhöhung um 5 auf nun 404 Euro<br />

nichts ändern, die seit Jahresbeginn gilt. 2014 wurden bundesweit<br />

über eine halbe Million Mahnungen verschickt und Tausende<br />

Stromsperren verhängt (bundesweite Zahlen für 2015<br />

liegen noch nicht vor). In Hamburg wurden in den ersten<br />

neun Monaten des vergangenen Jahres 5639 Haushalten<br />

der Strom abgestellt. Sozialverbände fordern, dass Ämter die<br />

Energiekosten grundsätzlich übernehmen sollen. UJO/SIM<br />

•<br />

870.000 Haushalte bekommen mehr Wohngeld<br />

Wer ein geringes Einkommen hat, kann ab sofort auf höhere<br />

Mietzuschüsse hoffen. Im Schnitt steige das Wohngeld um<br />

39 Prozent, so die Bundesregierung. Mindestens 870.000 Haushalte<br />

bundesweit würden profitieren. Zuletzt war das Wohngeld<br />

2009 an die steigenden Mieten angepasst worden.<br />

Der Mieterbund begrüßte die Erhöhung deshalb als „längst<br />

überfällig“. Wohngeld ist kein Almosen: Wer die Voraussetzungen<br />

erfüllt, hat Rechtsanspruch darauf. Künftig sollen die<br />

Wohngeldsätze alle zwei Jahre überprüft werden. UJO<br />

•<br />

Mehr Infos: www.huklink.de/wohngeld und www.wohngeld.org


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Rubrik<br />

STADT-<br />

EXPEDITION:<br />

#3 Verlorene Orte<br />

An vielen Orten der Stadt gehen wir achtlos vorbei – nicht<br />

ahnend, welche spannenden Geschichten sich hier früher<br />

abspielten. Unsere Tour der verlorenen Orte nimmt Sie mit<br />

auf Spurensuche zu Ruinen, Neubauten und Leerstellen.<br />

TEXT: SIMONE DECKNER<br />

FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE, KARTE: OPEN STREET MAP<br />

Kristina Sassenscheidt (38)<br />

versorgte uns mit Hintergrundinfos für die Tour.<br />

Die Architektin (in Elternzeit) leitete lange Zeit<br />

die Öffentlichkeitsarbeit des Denkmalschutzamtes.<br />

Sie engagiert sich im Denkmalverein,<br />

Gängeviertel und bei leerstandsmelder.de.<br />

St.Pauli-Archiv<br />

1. Schilleroper<br />

Einst Schauplatz von<br />

Show-Ringkämpfen und<br />

prächtiger Theatersaal.<br />

St.Pauli-Archiv<br />

11<br />

S<br />

eit ich denken kann, habe ich mich für alte Gebäude<br />

interessiert. Vielleicht, weil ich in einem klassischen<br />

Jugendstilaltbau groß geworden bin“, sagt Kristina<br />

Sassenscheidt. Wenn sie über historische Architektur<br />

spricht, spürt man die Begeisterung bei jedem Wort. Die<br />

gebürtige Hamburgerin studierte Architektur in Berlin, spezialisierte<br />

sich auf Denkmalschutz. „Im Verfall wird Geschichte<br />

besonders spürbar“, sagt sie. Und erzählt mit<br />

leuchtenden Augen, wie sie hin und wieder auf Streiftour<br />

geht: Ruinen gucken. Solche Momente erlebt sie am liebsten<br />

allein. „Die Begegnung mit einem verfallenden Gebäude hat<br />

etwas sehr Intimes, fast Sakrales: Wenn Sonnenlicht durch<br />

Scheiben fällt und der Staub im Inneren tanzt, erinnert das<br />

sehr an Kathedralen.“ Ein Gebäude ist für Sassenscheidt<br />

„deutlich mehr als die Summe seiner Steine.“ Die ästhetische<br />

Bewertung unterliege immer auch dem Zeitgeist. „In<br />

den 40ern galt die Gründerzeitarchitektur, die jetzt alle so<br />

mögen, als beklemmend und menschenfeindlich.“ Unsere<br />

Stadt-Expertin mag besonders die Schiller-Oper, den Schellfischtunnel<br />

und den Veddeler Ballsaal. Ihr derzeitiger Lieblingsort<br />

ist die abrissbedrohte City-Hof-Passage. „Man muss<br />

sich die Zeit für den zweiten Blick nehmen.“ •<br />

11


Stadt-Expedition<br />

Rubrik<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>275</strong>/ JANUAR <strong>2016</strong><br />

Sie erinnert etwas an eine alternde Rotlicht-Schönheit.<br />

Die Farbe: abgeblättert, die Jungen schauen ihr<br />

nicht mehr hinterher, doch sie verteidigt stolz ihren<br />

Platz. Große Zeiten hat die Schilleroper gesehen:<br />

1899 als Stahlskelettkonstruktion von Zirkus-Zampano<br />

Paul Busch erbaut, beherbergte sie Artisten, Sänger, Ringer<br />

(1. ), Schauspieler und manchen Star: Hans Albers<br />

schmetterte hier Lieder, später Xavier Naidoo. Der Eintritt<br />

war günstig, der Alkohol auch. Besitzer kamen und gingen.<br />

Immer wieder sollte sie abgerissen werden. In den 90er-Jahren<br />

beherbergte sie sogar Flüchtlinge, obwohl durch den<br />

einstigen Prunksaal schon die Ratten liefen. Zuletzt ging es<br />

von 2004–2006 hoch her: Szenegänger liebten den morbiden<br />

Charme und tanzten zu Swing und Electro. Seit zehn Jahren<br />

ist Ruhe, das Gebäude verfällt immer mehr. Jenen, die mit<br />

dem Herzen sehen, zeigt es sich aber auch heute noch in<br />

seiner ganzen, ramponierten Schönheit.<br />

Bei der Schilleroper, Lektüretipp: Horst Königstein,<br />

Die Schiller-Oper in Altona, Suhrkamp, 1983.<br />

Hagenbeck, den Zoo kennt in Hamburg jedes Kind.<br />

In Stellingen kann man heute vom Achilles-Doktorfisch<br />

bis zur Zwergziege allerlei Getier sehen. Los<br />

ging aber alles 1874 am Neuen Pferdemarkt 13.<br />

Dort, wo heute Schüler lernen, erstreckte sich auf 6200 Quadratmetern<br />

„Hagenbecks Thierpark“: zwischen Pferdemarkt,<br />

Augustenpassage und Ludwigstraße. So kamen Schnappschüsse<br />

wie (2. ) zustande: Elf Elefanten (wiegen ausgewachsen<br />

mehr als drei VW Golf) stehen vor Laubbäumen auf der<br />

grünen Wiese. 1901 zog die Karawane weiter.<br />

Neuer Pferdemarkt 13, www.hagenbeck.de<br />

Bibliothekarin im St. Pauli-Archiv<br />

hält es für einen „Kitschbau“, andere<br />

liebten das (3. ) Konzerthaus Ludwig<br />

03.Die<br />

gerade wegen seiner übertriebenen<br />

Ornamentik: Kuppel, Tuffsandsteingrotten, Wintergarten,<br />

Wasserfall über drei Etagen. Erbaut 1877 war die „Volksoper“<br />

Theater, Opernhaus und Bierschenke, bis sie im Zweiten<br />

Weltkrieg zerstört wurde. 1966 folgte an ihrer Stelle das 89<br />

Meter hohe Iduna-Hochhaus. Bei dessen Sprengung (Asbest!)<br />

stapelten sich 1995 die Neugierigen hinter Absperrungen.<br />

Heute hebt man unten sein Bier im Zwick.<br />

Millerntorplatz 1, Video zur Sprengung: www.huklink.de/sprengung<br />

Während überall des berühmten Sohns der Stadt,<br />

Brahms, gedacht wird, finden sich von Felix<br />

Mendelssohn Bartholdy wenige Spuren. Dabei<br />

stand das (4. ) Geburtshaus des berühmten<br />

Komponisten und Dirigenten in der Neustadt. Von 1809 –11<br />

lebte die Familie dort, bevor sie wegen der französischen<br />

Besetzung nach Berlin floh. An der Ludwig-Erhard-Straße<br />

erinnert ein Denkmal an ihn. Als Mendelssohn mit nur 38 Jahren<br />

starb, hinterließ er der Musikwelt bedeutende Werke wie<br />

den „Hochzeitsmarsch“ aus dem „Sommernachtstraum“.<br />

Große Michaelisstraße 14, heute Michaelisstraße/Erste Brunnenstraße,<br />

www.fufmendelssohngesellschaft.de<br />

7. Schellfischtunnel<br />

Die einstige „Lebensader“<br />

Altonas ist seit<br />

1993 verschlossen.<br />

6. Straßenbahnen<br />

Sie gehören seit 1978<br />

leider nicht mehr zu<br />

Hamburgs Straßenbild.<br />

2. Hagenbeck<br />

Der beliebte Zoo hatte<br />

seinen Standort bis 1901<br />

am Neuen Pferdemarkt.<br />

Stadtteilarchiv Ottensen/ OBV-Archiv<br />

12<br />

12


Hagenbeck-Archiv<br />

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St.Pauli-Archiv<br />

Rubrik<br />

3. Konzerthaus Ludwig<br />

Protzbau mit viel Tand<br />

und Wasserspielen – bei<br />

Biertrinkern beliebt<br />

Archiv Mendelssohn-Haus<br />

4. Felix Mendelssohn<br />

Bartholdy<br />

Der Komponist wurde in<br />

diesem Haus geboren.<br />

5<br />

2<br />

6<br />

7<br />

1<br />

3<br />

4<br />

9<br />

8<br />

Bildarchiv Hamburg Jens Wunderlich<br />

Bildarchiv Hamburg Jens Wunderlich<br />

Stadtteilarchiv<br />

Ottensen/ OBV-Archiv<br />

5. Eisbahn vor dem Dammtor<br />

Auf Tennisplätzen<br />

eislaufen – das ging früher.<br />

13


Stadt-Expedition Rubrik<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>275</strong>/ JANUAR <strong>2016</strong><br />

Am Rothenbaum, wo heute Tennis gespielt<br />

wird, konnten die Hamburger früher Schlittschuh<br />

laufen – und das ging so: Im Winter<br />

wurden auf den (5. ) Tennisplätzen des<br />

Harvestehuder Lawn-Tennis-Clubs (HTHC)<br />

Netze und Pfosten abgebaut. Dann setzte man die Plätze<br />

für das Schlittschuhlaufen unter Wasser. Sofern die Minusgrade<br />

mitspielten, zogen die Pirouettendreher einfach<br />

ein paar Schritte weiter: zur zugefrorenen Alster.<br />

Hallerstraße 89, www.hthc.de<br />

Heute trifft sich am Alma-Wartenberg-<br />

Platz nachts halb Ottensen, tagsüber betteln<br />

Tauben, ein offenes Pissoir stinkt zum<br />

Himmel. Früher kreuzten über den damaligen (6. )<br />

Friedenseichenplatz noch Hamburgs Straßenbahnen.<br />

Sie hingen an Trolleystangen, die sie mit der Oberleitung<br />

verbanden. Zwischen 1920 und 1958 rollten einige sogar<br />

mit Briefkästen als mobile Post durch die Stadt. 1978 machten<br />

sich die letzten Straßenbahnen (mit dem klangvollen Namen<br />

„Sambawagen“) auf den Weg ins Depot nach Niendorf.<br />

Wen heute die Schienensehnsucht packt, muss ins Museum<br />

gehen. Am Schönberger Strand bei Kiel kann man mit einem<br />

restaurierten Hamburger Straßenbahnwagen fahren.<br />

Alma-Wartenberg-Platz, www.hamburger-strassenbahn.de,<br />

www.vvm-museumsbahn.de<br />

Im Volksmund heißt er bis heute „Schellfischtunnel“,<br />

weil durch den 1874 erbauten Hafenbahntunnel<br />

viel Frischfisch transportiert wurde.<br />

Die Güterzüge fuhren vom Hafenanleger Neumühlen durch<br />

den Elbberg bis zum Bahnhof Altona. Der Tunnel galt als<br />

Altonas „Lebensader“. Das pralle Leben fand auch in den<br />

80ern statt, als der nur noch wenig frequentierte Tunnel beliebter<br />

Treffpunkt der Schwulenszene wurde. 1989 fuhr der<br />

letzte Güterzug, vier Jahre später wurden die (7. ) Tunneleingänge<br />

mit Stahltoren verschlossen. Der Verein zur<br />

Rettung der Hafenbahn Hamburg-Altona will ihn erhalten.<br />

Elbberg, Richtung grünes, gebogenes Dach gehen und nach ein paar<br />

Metern links über die Mauer schauen. www.huklink.de/tunnel<br />

9. Veddeler Ballsaal<br />

Einstiger Tanztempel –<br />

2008 von Kulturinitiativen<br />

kurz wiederbelebt<br />

Mathias Lintl<br />

Baden in der Elbe – heute nur etwas für Hartgesottene,<br />

aber früher planschten viele Hamburger am<br />

08.<br />

Elbufer. Etwa auf der (8. ) Elbinsel Kaltehofe. Zwischen<br />

1930 und den frühen 60er-Jahren trafen sich am Kaltehofer<br />

Hauptdeich vor allem die Einwohner von Rothenburgsort,<br />

Hamm und Hammerbrook zum Schwimmen. Wer es selbst<br />

ausprobieren möchte: vom 8.–10. Juli <strong>2016</strong> findet in Wittenberge<br />

(1,5 Autostunden von Hamburg) der Elbebadetag statt.<br />

Kaltehofer Hauptdeich, kurz hinter der roten Brücke in Richtung<br />

Wasserkunst Kaltehofe, www.huklink.de/baden<br />

Ein mit Stuck verziertes, prachtvolles Vorderhaus<br />

von außen, ein gut besuchter Tanzschuppen<br />

im Hinterhaus: Das war der Veddeler<br />

Ballsaal. 1896 erbaut war er bis 1920 Teil des<br />

„Vergnügungslocal Hinrichsen“. Später nutzte die Post das<br />

Gebäude für die Telefonvermittlung. In den 80er-Jahren mieteten<br />

sich Schraubenhersteller und eine Reinigungsfirma ein,<br />

während im Keller Bands probten. Zur IBA 2008<br />

erweckten Wilhelmsburger Initiativen um Mathi-<br />

as<br />

Lintl (KuBaSta) das Gebäude wieder zum Leben.<br />

Sie veranstalteten Konzerte, Workshops und<br />

Diskussionen. Der Ballsaal war dabei stets präsent:<br />

in historischen Bildern, die an die Wand<br />

geworfen wurden, und durch eine riesige (9. )<br />

Plastikblase im Rauminneren, die als Haus<br />

im Haus fungierte. Ein letztes Aufbäumen:<br />

2009 machte die Besitzerin, die Hamburg Port<br />

Authority, alles dem Erdboden gleich.<br />

Veddeler Elbdeich 23, www.denkmalverein.de •<br />

Bildarchiv Hamburg<br />

Jens Wunderlich<br />

8. Elbfreibad Kaltehofe<br />

Kind und Kegel badeten bis Anfang<br />

der 60er ohne Scheu in der Elbe.<br />

14


Stadtgespräch<br />

Meldungen (2)<br />

Politik & Soziales<br />

Senat fördert den sozialen Arbeitsmarkt kaum<br />

1000 neue sozialversicherungspflichtige Jobs für Langzeitarbeitslose<br />

hat Rot-Grün nach der Bürgerschaftswahl 2014 versprochen.<br />

Bislang wurden neben den 500 bereits bestehenden<br />

aber nur 100 geschaffen, so der Senat in seinen Antworten<br />

auf Bürgerschaftsanfragen von Linken und CDU. 200 weitere<br />

sollen dieses Jahr eingerichtet werden. Ein Hamburger Bündnis<br />

aus Wohlfahrtsverbänden, Deutschem Gewerkschaftsbund<br />

(DGB) und Beschäftigungsträgern forderte den Senat angesichts<br />

dieser Zahlen auf, sein Versprechen endlich umzusetzen.<br />

„Wir brauchen dringend Maßnahmen für einen sozialen<br />

Arbeitsmarkt“, so die DGB-Vorsitzende Katja Karger. UJO<br />

•<br />

Initiativpreis für Marily Stroux<br />

Marily Stroux, Hamburger Fotografin und Aktivistin mit griechischen<br />

Wurzeln, ist für ihr jahrzehntelanges Engagement<br />

für Flüchtlinge ausgezeichnet worden. Der Verein Jugendliche<br />

ohne Grenzen (JoG) verlieh ihr den Initiativpreis 2015. Die<br />

65-Jährige ist Gründungsmitglied des Wohnschiffprojekts Altona,<br />

das vor allem Flüchtlingskindern hilft. Seit einigen Jahren<br />

betreiben Stroux und ihre Mitstreiter auf der griechischen<br />

Insel Lesbos ein Infomobil und in Athen zwei Flüchtlingswohnungen.<br />

Jugendliche ohne Grenzen kürt jährlich auch einen<br />

„Abschiebeminister“: diesmal den sächsischen Innenminister<br />

Markus Ulbig (CDU). Das Besondere an JoG: Die Vereinsmitglieder<br />

sind junge Flüchtlinge und ihre Freunde. BIM<br />

•<br />

Mehr Infos unter www.huklink.de/stroux<br />

Zwei tote Obdachlose auf St. Pauli<br />

Innerhalb weniger Tage sind Mitte Dezember<br />

zwei Obdachlose auf der Reeperbahn<br />

gestorben. Laut Polizei gibt es<br />

„keine Hinweise auf Fremdverschulden“.<br />

Bei einem der Toten seien leere<br />

Spritzen gefunden worden. Bei Redaktionsschluss<br />

waren beide nicht identifiziert,<br />

Obduktionsergebnisse lagen noch<br />

nicht vor. In Rosengarten bei Hamburg<br />

starb ein 66-Jähriger nach einem Brand<br />

in einer Unterkunft. Die Brandursache<br />

war bei Redaktionsschluss unklar, einen<br />

Anschlag schloss die Polizei aus. UJO<br />

•<br />

Konzept Wohnungslosenhilfe<br />

Ziele wurden<br />

nicht verwirklicht!<br />

Es sollte dafür sorgen, dass Menschen ohne eigene<br />

vier Wände schneller und besser geholfen<br />

wird: das „Gesamtkonzept der Wohnungslosenhilfe<br />

in Hamburg“. Drei Jahre haben<br />

Behörden und Wohlfahrtsverbände an seiner<br />

Umsetzung gearbeitet, diesen Monat tagt der<br />

Beirat ein letztes Mal.<br />

Die Bilanz der Fachleute fällt ernüchternd<br />

aus. „Die Vermutung, dass auf dieser Grundlage<br />

keine umfassende Verbesserung der Lebenssituation<br />

wohnungsloser Menschen erzielt<br />

werden kann, hat sich leider bestätigt“, schreibt<br />

die Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege<br />

(AGFW) in einer Stellungnahme.<br />

„Mit Enttäuschung“ stellen die Experten fest,<br />

„dass abgesehen von einigen punktuellen Fortschritten<br />

keine wesentliche Umsteuerung des<br />

Hilfesystems gelungen ist“.<br />

Die Verbesserungen sind überschaubar.<br />

Drei Schwerpunktpraxen für Obdachlose wurden<br />

„gut angenommen und haben sich im Hilfesystem<br />

etabliert“, so die AGFW. 30 neue<br />

Schlafplätze für obdachlose Frauen will die<br />

Stadt bis März schaffen. Und nie gab es so<br />

viele Notschlafplätze wie in diesem Winter.<br />

Viele andere Ziele wurden nicht verwirklicht.<br />

Ein Pflegeheim für Wohnungslose fehlt<br />

weiterhin, auch eine zweite Einrichtung für<br />

junge Obdachlose. Und die Frage, wie Zwangsräumungen<br />

häufiger verhindert werden könnten,<br />

sei gar nicht erst behandelt worden. Dabei<br />

ist es, so die AGFW, „weitaus schwieriger,<br />

für die Betroffenen neuen Wohnraum zu besorgen,<br />

als den bestehenden zu sichern“.<br />

Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum<br />

wirke als „Bremsklotz“, so die Wohlfahrtsverbände.<br />

Er „führte dazu, dass Arbeitsgruppen<br />

keine zufriedenstellenden Ergebnisse lieferten<br />

oder gar nicht erst begannen“. Bestes Beispiel<br />

dafür sind die sogenannten Clearinghäuser, die<br />

etwa in München als großer Erfolg gelten. Sie<br />

sollen ermöglichen, dass Wohnungslose mithilfe<br />

von Sozialarbeitern innerhalb von sechs<br />

Monaten Perspektiven entwickeln und zurück<br />

in eigene vier Wände ziehen. Doch wohin, fragen<br />

die Fachleute, sollen die Menschen ziehen,<br />

wenn es keine Wohnungen für sie gibt?<br />

„Der Schlüssel zu einer Verringerung der<br />

Wohnungslosigkeit liegt im Wohnungsbestand“,<br />

so die AGFW. Deshalb müsse Saga<br />

GWG jedes Jahr mindestens die Hälfte ihrer<br />

frei werdenden Wohnungen – rund 4500 – an<br />

vordringlich Wohnungssuchende vergeben,<br />

davon 2000 an wohnungslose Haushalte. UJO<br />

•<br />

15


Viel mehr als Kollegen im neuen Shop in der Glashüttenstraße: AMIN, LENA,<br />

MARCEL und DOMINIK wohnen derzeit auch zusammen in der Groß-WG von<br />

Marcel. „Wir sind mehr als Freunde, das ist meine neue Familie“, sagt Amin.


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Stadtgespräch<br />

Vom Glück, etwas<br />

zu bewegen<br />

Für die Ehrenamtlichen in den Messehallen hat eine neue Ära begonnen:<br />

Sie haben einen Verein gegründet, liefern Kleidung in Flüchtlingslager im Irak oder<br />

auf Lesbos, haben einen Shop eröffnet und sind in ein neues Lager gezogen.<br />

TEXT: BIRGIT MÜLLER<br />

FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

Die Zeichen bei Deutschlands berühmtester<br />

Kleiderkammer in den Messehallen stehen eigentlich<br />

immer auf Veränderung. Wenn diese<br />

Ausgabe erscheint, ist sogar die Messehalle<br />

schon Vergangenheit: Die Halle B7 ist dann<br />

schon besenrein übergeben. Und 2500 Paletten mit Kleidung,<br />

Bettdecken, Schuhen, Schlafsäcken und Isomatten<br />

sind im neuen Lager bei Hermes in Bramfeld. „Ich weiß<br />

schon gar nicht mehr, wie oft wir umgezogen sind“, sagt René,<br />

so etwas wie der ehrenamtliche Cheflogistiker hier. René<br />

bezeichnet sein Engagement deshalb als eine Art Reise. Eine<br />

Reise, die jetzt vielleicht bald endet, weil der Mietvertrag bei<br />

Hermes über drei Jahre läuft. Dann will der 42-Jährige sich<br />

auch mal wieder mehr seinem Beruf und seiner IT-Firma<br />

widmen – und seiner Familie. Das alles kam nämlich seit<br />

August wie bei vielen Helfern hier deutlich zu kurz.<br />

Aber ob das wirklich was wird mit dem „Ende der Reise“?<br />

Ziemlich unwahrscheinlich. Bei dieser Hilfsorganisation<br />

bewegt sich ständig was, und die Aufgaben werden größer<br />

und größer. Vor ein paar Wochen haben die Ehrenamtlichen<br />

einen Verein gegründet: Hanseatic Help. Und einen Shop in<br />

der Glashüttenstraße namens Hanseatic Heels haben sie aufgemacht<br />

mit all den Spenden, die Flüchtlinge derzeit nicht<br />

brauchen: High Heels und Abendkleider beispielsweise.<br />

Das ist aber nicht Renés Beritt. Er organisiert gerade eine<br />

Riesenaktion: In der Halle werden Lastwagen beladen, die in<br />

Flüchtlingslager in den Irak oder auf Lesbos fahren. 20 Wagenladungen<br />

sollen insgesamt raus. „Auf Lesbos gibt es keine<br />

funktionierenden Behörden mehr, die Menschen werden einfach<br />

ihrem Schicksal überlassen“, sagt er. Alles laufe nur über<br />

Hilfsorganisationen und Ehrenamtliche. Und nicht nur das:<br />

Jetzt kommen sogar schon Spenden aus der ganzen Welt<br />

nach Hamburg. Aus China angeblich 100.000 Jacken. Kein<br />

Wunder, dass René martialisch sagt: „Jede Herausforderung<br />

war bisher kriegsentscheidend.“ Und dann kürzertreten?<br />

Doch, sagt René ernst. Aber damit das Niveau gehalten<br />

oder sogar ausgebaut werden kann, muss sich bald wieder<br />

etwas ändern, sagt er: In Zukunft brauche man mindestens<br />

RENÉ, einer der Cheflogistiker, an einem der letzten Tage in den Messehallen:<br />

Schon seine Lehrerin bescheinigte ihm Organisationstalent. So ein<br />

Mammutprojekt wie die Kleiderkammer hat er allerdings noch nie betreut.<br />

17


„Wir sind eine<br />

große glückliche<br />

Bande.“ DOMINIK<br />

RUDI hat durch sein Engagement in den<br />

Messsehallen den Sinn seines Lebens<br />

wiedergefunden. 60 bis 80 Stunden arbeiten<br />

einige Helfer hier wöchentlich – auch Rudi.<br />

einen Festangestellten und einen Lkw-Fahrer. Aber trotz der<br />

ganzen Schufterei: Helfen ist nicht nur sinnvoll, sondern beglückt<br />

auch.<br />

Es muss ja nicht gleich so weltbewegend sein wie bei Rudi<br />

und Dominik. Rudi ging es Anfang des Jahres noch richtig<br />

schlecht: Der Schweizer Monteur hat vor zwei Jahren seine<br />

Frau und sein Kind bei einem Verkehrsunfall verloren. „Es<br />

war, als hätte eine Welle mein Leben weggezogen“, sagt der<br />

34-Jährige. Alles war ihm egal. Als er ganz unten war, wollte<br />

er woanders ein neues Leben anfangen, nahm einen Job in<br />

Hamburg an, wurde gefeuert und landete auf der Straße. Eines<br />

Tages kam er in die Messehallen, eigentlich, um selbst<br />

um Hilfe zu bitten – und blieb, als Helfer. „Was mir fehlte,<br />

war eine Perspektive, die habe ich hier gefunden“, sagt er.<br />

Und nicht nur das: Rudi hat eine Unterkunft gefunden – und<br />

eine neue Liebe.<br />

Dominik, 27, sagt, dass er gerade glücklich ist. Starke<br />

Worte für einen Obdachlosen. Auch sein Lebensmittelpunkt<br />

ist seit Monaten die Kleiderkammer. Es sei so toll mitzuerleben,<br />

wie es bei all den Menschen, die hier arbeiten, „Klick<br />

gemacht hat im Kopf“, sagt er. „Immer wird gesagt: Hier ist<br />

die Grenze, aber es gibt hier keine.“ Anfangs schlief er nach<br />

einem 16-Stunden-Tag sogar manchmal hier – auf einem<br />

Feldbett. Und er fand einen Freund: Auf dem Hauptbahnhof<br />

lernte er einen syrischen Flüchtling kennen: Amin (25).<br />

Der wollte eigentlich weiter nach Schweden. „Wir haben die<br />

ganze Nacht geredet und haben schnell eine Verbundenheit<br />

gespürt.“ Schweren Herzens verabschiedeten sie sich.<br />

Am Tag drauf trafen sie sich in den Messehallen wieder,<br />

die Grenze nach Schweden war geschlossen und so blieb<br />

Amin. Hier in der Halle haben Amin und Dominik auch<br />

Marcel kennengelernt. Der wiederum hat die beiden in seine<br />

Achter-WG eingeladen.<br />

Diese Menschen, sagt Amin, seien nicht nur seine Freunde:<br />

„They are my family.“ Seine echte Familie ist noch in Syrien.<br />

„Aber ich werde irgendwann arbeiten“, sagt der Schiffsmechaniker.<br />

„Und wenn ich Geld habe, dann hole ich sie.“<br />

Bis dahin versuchen alle nur eins: viel zu schaffen – und<br />

das zu bleiben, was sie gerade sind. „Wir sind eine große<br />

glückliche Bande“, sagt Dominik. •<br />

Info: www.hanseatic-help.de<br />

18


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Stadtgespräch<br />

Wenn nicht hier,<br />

wo dann?<br />

Die Hilfsbereitschaft für die ankommenden Flüchtlinge war überwältigend. Doch jetzt,<br />

wo es darum geht, neue Wohnungen für diese Menschen zu bauen, wehren sich Bürger gegen<br />

Wohnsiedlungen in ihrer Nachbarschaft. Und wenn die Stadt nachgibt, schafft sie es<br />

nicht, genügend Wohnungen zu bauen. Ein Dilemma.<br />

TEXT: ULRICH JONAS/JONAS FÜLLNER<br />

FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

Die Aula der Anna-Warburg-Schule in Niendorf<br />

ist gut gefüllt. Rund 250 Bürger sind an diesem<br />

Dezemberabend gekommen. Die Stadt hat zur<br />

„Informationsveranstaltung“ geladen, weil sie<br />

hier im Stadtteil zusätzliche Holzblockhäuser und Wohncontainer<br />

für 1800 Flüchtlinge errichten wird. Der neue Flüchtlingskoordinator<br />

steht Rede und Antwort, ebenso der Bezirksamtsleiter<br />

und auch Vertreter des Roten Kreuzes, die die<br />

Flüchtlinge betreuen. Die Krisenmanager haben dazugelernt:<br />

An ihrer Seite steht die Pastorin und ermuntert die<br />

Bürger mit gewinnendem Lächeln zu „guten Begegnungen<br />

in einer Situation, die nicht gut ist“. Immer wieder danken<br />

die Vertreter der Stadt den vielen Ehrenamtlichen, ohne die<br />

es auch in Niendorf nicht gehen würde. Bitten um Unterstützung.<br />

Versuchen Ängste zu nehmen. Lassen Listen herumgehen,<br />

um Besorgte zu weiteren Treffen einzuladen. Die<br />

Männer von der Stadt versichern,<br />

dass sie „Anregungen mitnehmen“<br />

wollen. Und doch zeigt sich auch an<br />

diesem Abend, mit welch heißer Nadel<br />

die Behörden derzeit die Zukunft<br />

Hamburgs stricken und was sie noch<br />

lernen müssen im Umgang mit ihren<br />

Bürgern. „Wird es neue Lehrer geben?“,<br />

fragt eine junge Frau. Der<br />

Koordinator weiß es nicht. Er sagt,<br />

darüber mache sich die Schulbehörde<br />

Gedanken. Dass er nachfragen<br />

werde. Und dass die Antwort im<br />

Internet nachzulesen sein wird.<br />

Noch halten die Niendorfer still.<br />

Anderswo hat sich Widerstand formiert.<br />

„Es geht hier nicht um Ausländerfeindlichkeit“, sagt<br />

Volker Jahnke von der Bürgerinitiative Neugraben-Fischbek.<br />

„Es geht darum, dass wir keine Gettos wollen.“ 27.500 Menschen<br />

leben in seinem Stadtteil, rund 5000 Flüchtlinge sollen<br />

bald hinzukommen. „Das kann nicht gut gehen.“ Die Neugrabener<br />

wissen, worüber sie sprechen, sagt der 52-Jährige.<br />

Ein sehr guter Freund von ihm sei gläubiger Moslem. Andere<br />

stammen aus Spanien, Griechenland, Norwegen oder Pakistan.<br />

„Wir integrieren hier seit 50 Jahren Menschen“, sagt<br />

Jahnke. „Das war manchmal problematisch. Aber immer lösbar.<br />

Weil es kleine Mengen waren.“<br />

Es sind gewaltige Projekte, die der Senat im Eilverfahren<br />

durchzieht. In jedem der sieben Bezirke Hamburgs soll bis<br />

Jahresende ein Wohnquartier für 4000 Flüchtlinge gebaut<br />

werden – und bei Anwohnern die Angst vor Überforderung<br />

auslösen. Es gebe keine Wahl, sagt der Senat. Und hat er<br />

Der Rissener Klaus Schomacker findet<br />

75 Wohnungen für Flüchtlinge in seiner<br />

Nachbarschaft „mutig“. Zumal die Unterkunft<br />

nebenan auf 750 PLÄTZE erweitert wird.


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>275</strong>/ JANUAR <strong>2016</strong><br />

„Eigentlich müsste jeder<br />

junge Flüchtling einen<br />

deutschen Paten haben.“<br />

KLAUS SCHOMACKER<br />

nicht Recht? Im Dezember schliefen immer noch rund 750<br />

Flüchtlinge in Zelten. Der Winter ist noch lang. Und bis auf<br />

Weiteres rechnen die Behörden damit, Monat für Monat<br />

3000 neue Menschen unterbringen zu müssen. Aufs Jahr gesehen<br />

wären das 36.000 Flüchtlinge, die in Hamburg einen<br />

Ort zum Leben benötigen. „Wir müssen aus dieser Spirale<br />

von Zelten, Baumärkten und Lagerhallen raus“, sagt SPD-<br />

Fraktionsführer Andreas Dressel stellvertretend für den Senat.<br />

„Und dass sich jeder Stadtteil die Zahl der Flüchtlinge<br />

aussuchen kann, wird nicht funktionieren.“<br />

In Rissen schütteln sie über diese Argumentation nur die<br />

Köpfe. „Eindimensional“, sagt Klaus Schomacker. Der<br />

61-Jährige ist bei den Jungsozialisten groß geworden, war<br />

inter nationaler Vertriebsleiter für ein großes Unternehmen<br />

und gleichzeitig Betriebsrat. Nun ist er der Stratege der Bürgerinitiative<br />

„Vorrang für Integration und Nachhaltigkeit<br />

Rissen“ , verlangt „maximale Dezentralisierung“ bei der Unterbringung<br />

der Flüchtlinge und gute Integration. „Das kostet<br />

viel mehr Geld. Aber das fordern wir jetzt einfach.“<br />

Nicht weit von Schomackers Eigenheim entfernt will der<br />

Senat 800 Wohnungen für Flüchtlinge errichten. Gegenüber<br />

der Baufläche hat der Rissener Sportverein seine Heimat.<br />

Tennis und Hockey spielt man hier. Etwas weiter die Straße<br />

hinunter liegen verstreut viele alte, aber auch neue Einfamilienhäuser.<br />

Dass in dieser beschaulichen Gegend eines Tages<br />

die Bagger rollen würden, steht schon lange fest. Bereits 2004<br />

beschäftigten sich Gutachter mit dem Gebiet. Die Fläche hat<br />

allerdings einen Haken: Weil der Boden verseucht ist, wird<br />

die Erschließung teuer. Wohl auch deswegen liegt die Fläche<br />

immer noch brach. Für die vom Senat anvisierten 800 Wohneinheiten<br />

für Flüchtlinge hingegen ließ sich mit dem Bauunternehmen<br />

Otto Wulff zügig ein Interessent finden.<br />

Doch die Rissener Bürgerinitiative stellt sich quer. Ihr Gegenvorschlag:<br />

Weiterhin sollen 230 Wohnungen entstehen.<br />

Ein Drittel davon wird belegt mit Flüchtlingen. „Das finde ich<br />

schon ziemlich mutig“, sagt Schomacker. Und es geht ihm<br />

und seinen Mitstreitern nicht nur um den zusätzlichen Autoverkehr,<br />

den sie fürchten. Nein, sie denken auch darüber<br />

nach, was aus den Menschen werden soll, wenn sie ihre neuen<br />

Nachbarn sind: „70 Prozent sind junge Leute. Das ist eine<br />

Hammer-Aufgabe, die gelöst werden muss. Und eigentlich<br />

müsste jeder junge Flüchtling einen deutschen Paten haben.“<br />

Und die Rissener Akademiker stellen wichtige Fragen:<br />

Warum werden die geschätzt 5000 leer stehenden Wohnungen<br />

in der Stadt nicht genutzt? Und warum führt der Senat<br />

nicht sofort statt des bei größeren Bauprojekten inzwischen<br />

üblichen Drittel-Mixes einen Viertel-Mix ein: Ein Viertel Eigentumswohnungen,<br />

ein Viertel frei finanzierte Wohnungen,<br />

ein Viertel Sozialwohnungen und das letzte Viertel für<br />

Flüchtlinge? 6500 Wohnungen sind derzeit in Hamburg im<br />

Bau, sagt Schomacker. „Schon mit denen könnte man<br />

anfangen!“<br />

Die zuständige Stadtentwicklungssenatorin Dorothee<br />

Stapelfeldt (SPD) entgegnet auf Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Nachfrage:<br />

„Den Anteil der geförderten Wohnungen zu ändern, ist bei<br />

laufenden Bauprojekten nicht ohne Weiteres möglich, weil<br />

die Bauherren bereits Baurecht haben oder entsprechende<br />

Verträge geschlossen sind.“ Hamburg fördere zehnmal so<br />

viele Sozialwohnungen wie der Bundesdurchschnitt. Und:<br />

„Auch zukünftig ist eine Abkehr vom Drittelmix nicht zielführend,<br />

weil gerade die richtige Mischung von gefördertem<br />

und frei finanziertem Wohnungsbau entscheidend ist, um Investoren<br />

für den geförderten Wohnungsbau zu gewinnen.“<br />

Eine Nutzung der zahlreichen Leerstände wiederum scheitere<br />

in der Regel am mangelnden Brandschutz, an dem zeitaufwändigen<br />

Umbau oder den zu hohen Kosten, heißt es aus<br />

der behördlichen Koordinierungsstelle für Flüchtlinge.<br />

In Rissen ist daher nicht mit einer Einigung zu rechnen.<br />

Einen Befriedungsversuch des Bezirks – 600 neue Wohnungen,<br />

davon 400 für Flüchtlinge – lehnt die Bürgerinitiative<br />

ab. Das Geld für den mindestens 30.000 Euro teuren Rechtsstreit<br />

mit der Stadt wird schon gesammelt, ein Bündnis mit<br />

anderen Initiativen geschmiedet, um die Schlagkraft zu erhöhen.<br />

„Wir müssen die Hamburger bei diesem Thema wachküssen“,<br />

sagt Klaus Schomacker. Gelingt ihnen das, kann<br />

er sich auch ein Volksbegehren vorstellen, um den Senat zu<br />

einer anderen Politik zu zwingen.<br />

In Klein Borstel, Lokstedt und Lemsahl-Mellingstedt<br />

haben Anwohner inzwischen vor Gericht einen Baustopp<br />

erwirkt. Sollten weitere Bürger erfolgreich klagen, könnte aus<br />

dem Expressbauprogramm schnell ein Rohrkrepierer werden.<br />

Der Senat hat reagiert und mehrfach das Baurecht ver ändert.<br />

Dennoch ist der Ausgang der Prozesse ungewiss.<br />

Gerne würde man in Rissen von einer Klage absehen,<br />

sagt Klaus Schomacker. Es gebe 104 Stadtteile in Hamburg.<br />

Warum also werde die Last der Integration auf wenige Quartiere<br />

verteilt? Für einen Stadtstaat sei es schwer, Flächen zu<br />

20


„Es geht darum, dass wir KEINE GETTOS wollen“, sagen die<br />

Neugrabener Norbert Höbelt (links) und Volker Jahnke. 1500 Flüchtlinge<br />

würden sie hier am Stadtrand integrieren – aber nicht 5000.<br />

finden, heißt es aus der Stadtentwicklungsbehörde. 100 mögliche<br />

Standorte für den Wohnungsbau würden derzeit geprüft.<br />

Neben einer schnellen Umsetzbarkeit müssten auch<br />

Nahversorgung und Verkehrsanbindung sichergestellt sein.<br />

Bei den geplanten Großbauprojekten habe man diese<br />

Aspekte berücksichtigt, sagt Ingrid Breckner. Die Professorin<br />

„Wir können auf<br />

diese Plätze<br />

nicht verzichten.“<br />

SOZIALSENATORIN MELANIE LEONHARD<br />

für Stadt- und Regionalsoziologie an der HafenCity Universität<br />

unterstützt die Senatspläne. Schließlich würden mit<br />

einem Schlag dringend benötigte Sozialwohnungen gebaut.<br />

„Und das mit einer Bindung von 30 Jahren.“ Außerdem wolle<br />

die Stadt nur in einer ersten Phase die Wohnungen ausschließlich<br />

mit Flüchtlingen belegen. Später sollen die Siedlungen<br />

auch Hamburger Geringverdienern offenstehen. Bei<br />

einer Tagung zur „Stadt des Ankommens“ zeigte sich Ingrid<br />

Breckner daher zuversichtlich, dass eine Einigung mit den<br />

Initiativen möglich ist.<br />

Man habe in allen Bezirken Informationsveranstaltungen<br />

durchgeführt, sagt Senatorin Stapelfeldt zu Vorwürfen,<br />

die Bürger würden nicht ausreichend informiert. „Und natürlich<br />

werden wir weiterhin den Dialog suchen. Entscheidend<br />

ist aber, dass wir diese Wohnungen brauchen, um<br />

Obdachlosigkeit zu vermeiden.“<br />

Die Neugrabener Bürgerinitiative hat dem Senat Mitte<br />

Dezember einen schriftlichen Vorschlag unterbreitet. Darin<br />

erklärt sie sich bereit, in ihrem Stadtteil „1500 Flüchtlinge in<br />

Folgeunterbringungen zu beherbergen und die Integrationsarbeit<br />

aktiv zu unterstützen“. Heimlich haben sie ja schon<br />

lange den Flüchtlingen in ihrer Nachbarschaft geholfen, darüber<br />

aber aus strategischen Gründen nicht groß geredet. Sozialsenatorin<br />

Melanie Leonhard (SPD) stellt allerdings klar:<br />

„Wir können auf diese Plätze nicht verzichten.“ Es könnte<br />

ein langes Tauziehen werden – zulasten der Flüchtlinge. •<br />

Mehr Infos im Internet: www.binf-online.de, www.vin-rissen.de und<br />

www.hamburg.de/fluechtlinge<br />

21


Nasratullah (Dritter von rechts) und seine<br />

Gruppe aus Afghanistan übernachten in der<br />

MOSCHEE, betreut vom Flüchtlings beauftragten<br />

Abdellah Benhammou (vorn rechts).<br />

Nachtasyl auf dem<br />

Gebetsteppich<br />

Flüchtlingen, die auf dem Weg nach Skandinavien in Hamburg Station machen,<br />

bietet die Al-Nour Moschee eine sichere Zuflucht für eine Nacht. Für die Gemeinde<br />

ist das selbstverständlich – und ein Kraftakt, der nur durch Spenden möglich wird.<br />

TEXT: ANNABEL TRAUTWEIN<br />

FOTO: DMITRIJ LELTSCHUK<br />

Die ersten Gäste der Nacht schlafen schon. Ihre Schuhe<br />

haben sie ins Regal gestellt, ihre Kleider unter<br />

den Wolldecken anbehalten. Es riecht nach Schweiß<br />

und abgestandenem Atem. Einer schnarcht, einige husten,<br />

Neonlicht scheint grell von der niedrigen Decke. Aber der<br />

Teppich im Gebetsraum ist weich und sauber. Und hier ist<br />

noch Platz, rund 300 Menschen können dazukommen. Die<br />

Nacht in der Al-Nour Moschee hat gerade erst begonnen.<br />

Steckdosen – danach fragen die Flüchtlinge zuerst, erzählt<br />

Abdellah Benhammou. Nacht für Nacht nimmt der<br />

breitschultrige Mann aus Marokko die Durchreisenden in<br />

Empfang, die von Helfern vom Hauptbahnhof zur Moschee<br />

begleitet werden. Alle wollen ihr Handy aufladen. Doch es<br />

gibt nur noch zwei Steckdosen, die funktionieren. „Das ist<br />

dieser Hochbetrieb: rein, raus, rein, raus. Der Flüchtlingsbeauftragte<br />

der Al-Nour Gemeinde hat sich daran gewöhnt, oft<br />

nur das Nötigste geben zu können: Wasser zum Waschen,<br />

Trinken und Essen und einen Schlafplatz auf dem Teppich.<br />

Die meisten, die in der Moschee in St. Georg stranden,<br />

kommen aus Syrien oder Afghanistan, sagt der 48-Jährige.<br />

Auf dem Weg nach Skandinavien ist Hamburg für sie eine<br />

Zwischenstation. Seit rund drei Monaten sind es meist junge<br />

Männer. Die flüchtenden Familien seien weniger geworden:<br />

„Das sind jetzt die Nachzügler – Jugendliche, die eigentlich<br />

in der Heimat bleiben wollten.“ Die meisten sind Muslime,<br />

aber auch Christen oder Menschen ohne Glauben finden in<br />

der Moschee Schutz. Der Flüchtlingsbeauftragte sieht es<br />

pragmatisch: „Wir bieten einen Raum zum Schlafen.“ Für<br />

eine Nacht, manchmal zwei. Dann geht die Flucht weiter.<br />

Wohin? Nasratullah zuckt die Schultern. Seine Augen<br />

sind rot vor Müdigkeit. Nasratullah ist 22 Jahre alt, verheiratet,<br />

Vater von drei Kindern. Und ehemaliger Soldat in der afghanischen<br />

Armee. „Special force“, sagt er. Er legt Wert darauf,<br />

dass die Deutschen verstehen, was das heißt: Die<br />

Spezialeinheiten kämpfen an der Seite der NATO-Truppen<br />

gegen die Taliban. Auch sein Bruder und sein Vater waren<br />

dabei. Auf seinem Handy zeigt er Fotos von ihnen in Uniform.<br />

Alle drei lächeln. Trotzdem ist Nasratullah jetzt kein<br />

Soldat mehr. Er will nie wieder kämpfen, sagt er auf Farsi.<br />

Sein Wegbegleiter Sharif, der fünf Sprachen spricht, über-<br />

22


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Stadtgespräch<br />

setzt: „Stell dir vor, die Taliban holen sich meinen Cousin.<br />

Ich bin in der Armee. Dann muss ich auf ihn schießen.“<br />

Deshalb ist Nasratullah geflohen, gemeinsam mit anderen,<br />

die mit ihm in der Al-Nour Moschee übernachten. Zwei<br />

Monate lang waren sie unterwegs: über Iran, Türkei, Bulgarien,<br />

Serbien, Kroatien, Österreich nach Deutschland. „Vom<br />

Iran in die Türkei sind wir drei Tage und drei Nächte gelaufen“,<br />

erzählt Sharif. „Von der Türkei nach Bulgarien fünf<br />

Tage und fünf Nächte durch die Berge.“ In Bulgarien sei es<br />

am schlimmsten gewesen. „Sie lassen Hunde auf dich los,<br />

nehmen dein Geld und dein Telefon, einfach alles.“ Nasratullah<br />

hat sein Telefon noch. Auf einem Foto auf dem<br />

Handy hält er seine beiden Söhne und seine Tochter im Arm.<br />

Seit zwei Monaten hat er sie nicht mehr gesprochen.<br />

Auf der Reise vom Unerträglichen ins Ungewisse ist die<br />

Al-Nour Moschee ein Rastplatz geworden. Jede Information<br />

kann entscheidend sein für den weiteren Weg, Erlebnisse, Erkenntnisse<br />

und Halbwissen werden weitergegeben. Alle haben<br />

mehr Fragen als Antworten, auch Abdellah Benhammou<br />

kann nicht allen weiterhelfen. Während die Männer aus Afghanistan<br />

erzählen, spricht er mit einem syrischen Paar. Die<br />

Kinder der beiden sind auf der Flucht verschollen, nun gibt<br />

es einen Hoffnungsschimmer: Auf Facebook fanden sie ein<br />

Video aus Italien, in dem sie ihren Sohn zu erkennen glauben.<br />

„Wollt ihr wirklich dahin fahren?“, fragt Abdellah Benhammou.<br />

Geld haben sie nicht, auch die Gemeinde kann ihnen<br />

keines geben. Doch die Eltern sind fest entschlossen.<br />

„Zu 80 Prozent Wahrscheinlichkeit ist er es“, sagt der Vater.<br />

Ob die beiden tatsächlich abreisen, bekommt der Flüchtlingsbeauftragte<br />

nicht mehr mit. Seit die Moschee jede Nacht<br />

rund 400 Menschen beherbergt, wechseln sich die Helfer ab.<br />

Etwa fünf Gemeindemitglieder pro Schicht kümmern sich<br />

um die Flüchtenden. Alle tun das ehrenamtlich, sagt Abdellah<br />

Benhammou. Unterstützt wird die Moschee von Familien,<br />

die Spenden sammeln und Essen kochen, und von den<br />

umliegenden Restaurants. Zudem hat der Paritätische Wohlfahrtsverband<br />

eine Mülltonne bereitgestellt, die täglich geleert<br />

wird. Sachspenden machen die Hilfe erst möglich, sagt<br />

der Flüchtlingsbeauftragte.<br />

„Mosque is safe“, sagt Sharif. Die Moschee ist sicher.<br />

„Es ist einfach ein Ort, an dem man sich wohlfühlt“, meint<br />

Abdellah Benhammou. „Moscheen waren immer Zufluchtsorte.“<br />

Dennoch muss er dafür sorgen, dass der Gebetsraum<br />

pünktlich um 6.39 Uhr wieder als solcher genutzt werden<br />

kann. Helfer wecken die Schlafenden in den ersten Reihen,<br />

damit sie sich vor dem Frühgebet waschen oder zumindest<br />

einen schmalen Korridor frei machen für die Gemeindemitglieder.<br />

Bis 9 Uhr können die Flüchtenden weiterschlafen,<br />

bevor sie aufbrechen zur nächsten Etappe. Danach rückt die<br />

letzte Schicht der Helfer mit Staubsauger und Raumspray an<br />

und lüftet die Räume. „Dann arbeiten wir daran, dass die<br />

Moschee wieder zu einer Moschee wird.“ •<br />

HAFEN AKADEMIE HAMBURG<br />

zugunsten von<br />

KICKERTURNIER <strong>2016</strong> Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

7. GROSSES TISCHFUSSBALL TURNIER<br />

am 06.02.<strong>2016</strong> ab 11 Uhr<br />

im Ballsaal des FC St. Pauli<br />

Auch bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> soll das Runde ins Eckige.<br />

Wenn Sie beim großen Kickerturnier mitmachen wollen,<br />

dann melden Sie sich jetzt schnell an unter:<br />

www.hinzundkunzt-kickerturnier.de<br />

Voraussetzungen: Spielfreude und gute Laune – mitmachen<br />

kann jeder. Bringen Sie Ihre Freunde und Familie<br />

mit zu einem ganz besonderen Spieltag beim FC St. Pauli.<br />

<strong>2016</strong><br />

Mit freundlicher Unterstützung von:


Peter, 64, obdachlos, vor dem Gemälde „Die Hülsenbeckschen Kinder“ (1805/06) von Philipp Otto Runge, der als EXTREM-ROMANTIKER gilt:<br />

„Es ist so schön, wie die Kinder im eigenen Garten spielen. Da braucht sich die Mutter nicht zu kümmern. Sie hat die Kinder bestimmt im Blick.<br />

Die zwei Größeren ziehen liebevoll den Wagen, sie tun sich liebevoll um das Kleinere kümmern. Die Freundlichkeit der Kinder finde ich so schön.<br />

Die haben bestimmt eine Mutter, die sie liebhat. Das ist nicht selbstverständlich. Überleg mal, die Mutter, die ihr Kind vor die U-Bahn geschubst hat,<br />

das Kind hat zum Glück überlebt. Eine andere Frau hat es gerettet. Sonst wäre es jetzt tot. Ich finde, die Frau hat eine Goldmedaille verdient.“<br />

24


Stadtgespräch<br />

Kunst,<br />

Kreise und<br />

Gekrakel<br />

Mit Hinz&Künztlern zu Besuch bei<br />

„Spot on!“ in der Kunsthalle.<br />

TEXT: BIRGIT MÜLLER<br />

FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK<br />

Wenn uns nicht Kuratorin Anna Heinze<br />

durch die Kunsthalle geführt hätte, wär<br />

uns so einiges entgangen. Zum Beispiel<br />

dieser schwarze Kreis gleich am Eingang.<br />

Soll das etwa Kunst sein? Vera ist aufgefallen, dass der<br />

Kreis nicht mal ordentlich gemalt ist und sogar eine Delle<br />

hat. Sven vom Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Kaffeetresen raunt uns zu:<br />

„Also damit würd ich auch gern Geld verdienen.“ Als wir<br />

später an einem Haufen angekokelter Holzscheite vorbeigegehen<br />

– wenn’s denn Holzscheite waren –, werfen<br />

wir uns nur vielsagende Blicke zu. Wir, das sind übrigens<br />

die beiden Verkäufer Vera und Peter, Ingo, ein Besucher<br />

unserer Kaffeestube, Sven vom Kaffeetresen, Fotograf<br />

Dmitrij und ich aus der Redaktion. Und wir alle, das wird<br />

uns dank Anna Heinze deutlich, haben keine Ahnung von<br />

der Materie.<br />

Vera ist die Einzige, die tatsächlich was mit Kunst<br />

macht. Sie arbeitet derzeit in einem Kunstprojekt, als Ein-<br />

Euro-Jobberin. Das Atelier wird aber bald geschlossen,<br />

sagt sie. „Weil Kunst ja keine Arbeit ist.“ So richtig begabt<br />

sei sie gar nicht, sagt die 53-Jährige. Aber als wir nachfragen,<br />

erzählt sie, dass sie gerade eine Methode ausprobiert:<br />

„Dot-Painting“, Bilder, die aus Punkten (Dots) bestehen.<br />

„So bemalen die Aborigines in Australien ihre Musikinstrumente,<br />

Fußböden oder Wände“, sagt Vera. „Ich halt’s<br />

etwas kleiner. Beim Malen kann ich so richtig entspannen<br />

und versinken.“<br />

Aber zurück zum Kreis von Richard Serra. „Spot<br />

on!“ (1996) heißt er. „Damit wollte der Künstler den<br />

Architekten der Kunsthalle, Oswald Mathias Ungers,<br />

ärgern“, erzählt uns Anna Heinze. Quasi einen Kontrapunkt<br />

setzen zu dessen strenger Architektur. „Ungers war<br />

ein Quadratfan“, sagt sie. Der Grundriss ist quadratisch,<br />

die Fußboden-Kacheln – und alles perfekt.<br />

25


Ingo mit „Der Chor der Nieuwe Kerk in<br />

Delft“ (1650) von Gerard Houckgeest:<br />

„Das Mosaik am Boden, das Schachbrettmuster,<br />

finde ich gut als Kontrast<br />

zu den ruhigen Farben – und dann diese<br />

Lichtspielereien! Und die kleinen Figuren<br />

unten bringen etwas Leben rein“, sagt<br />

der 61-jährige Frührentner begeistert.<br />

„Allgemein gehe ich gern in Kirchen,<br />

vor allem in die Petrikirche, wo ich<br />

manchmal auch Konzerte höre.<br />

Die Kirche ist für mich ein RUHE-<br />

RAUM. Das finde ich in der nervigen<br />

Großstadt besonders wichtig.“


„Serra setzte Ungers ein nicht ganz so<br />

perfektes Förmchen rein.“ „Hat Ungers<br />

das noch erlebt?“, fragt Vera. „Nicht<br />

nur das, er hat es auch genehmigt“, sagt<br />

Anna Heinze. Nicht nur den Punkt,<br />

sondern sogar die Wand, auf die er ihn<br />

gemalt habe. Eigentlich hatte Ungers<br />

eine Blickachse schaffen wollen, von<br />

ganz hinten nach vorne durch. Die war<br />

dann auch hinüber.<br />

„Spot on!“ heißt nicht nur das<br />

Kunstwerk von Serra, sondern die ganze<br />

Ausstellung. Die besten 200 Kunstwerke<br />

der Kunsthalle aus sieben Jahrhunderten<br />

erwarten uns. Anna Heinze<br />

ist erstaunt, dass wir schon bei den alten<br />

Meistern hängenbleiben. „Auf jeden<br />

Fall gut gemalt, sehr farbenfreundlich –<br />

kein Gekrakel“, sagt Peter. Bestimmt<br />

spielt bei ihm auch eine Rolle, dass viel<br />

Rot vorkommt. Das ist die Lieblingsfarbe<br />

des 64-jährigen Obdachlosen.<br />

„Damals hat man gemalt, was man<br />

gesehen hat, und irgendwann ist die<br />

Malerei ganz frei geworden, nicht mehr<br />

gegenständlich“, sagt Anna Heinze.<br />

„Sie nennen es Gekrakel, wir nennen es<br />

abstrakte Kunst – und die sehen wir<br />

nachher noch.“<br />

Noch stehen wir aber vor Meister<br />

Francke und Bildern seines aufklappbaren<br />

Thomas-Altars (1426). „Die Flügel<br />

bilden fast so etwas wie einen Comic“,<br />

so die Kuratorin. „Jedes Bild erzählt eine<br />

Geschichte, nur die Sprechblase fehlt.“<br />

Die Gemälde sind auch toll gehängt.<br />

Die Blickachse, die Ungers so<br />

wichtig war, wird in diesen Räumen voll<br />

genutzt – und verlängert sich sogar in<br />

den Bildern: Innenansichten von Kirchen,<br />

mit unglaublichen Perspektiven.<br />

„Das ist ja cool, dass man von hier in<br />

mehrere Räume guckt “, sagt Sven.<br />

Ingo kniet schon bei dem Gemälde<br />

„Der Chor der Nieuwe Kerk in Delft“<br />

(1650) von Gerard Houckgeest. „Das<br />

Mosaik am Boden finde ich gut als<br />

Kontrast zu den ruhigen Farben – und<br />

diese Lichtspielereien!“ Begeistert ist<br />

der 61-Jährige auch von „der Monumentalität<br />

des Raumes und den kleinen<br />

Menschen unten, die etwas Leben reinbringen.“<br />

Der Frührentner hält sich viel<br />

in Kirchen auf, vor allem in St. Petri.<br />

„Kirchen sind für mich ein Ruheraum,<br />

Sven vom Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Kaffeetresen mit „Die schnelle Hoffnung“ (1927) von René Magritte: „Ich war<br />

erst völlig irritiert, weil da nur schwarze FLECKEN zu sehen sind mit Wörtern. Ohne Erklärung hätte<br />

ich das nicht verstanden. Als mir aber klar wurde, was die französischen Wörter bedeuten – Baum, Pferd,<br />

Dorf am Horizont, Wolke und Straße aus Blei –, verwandelten sich die schwarzen Flecken ganz schnell<br />

vor meinem geistigen Auge in ein buntes Bild. Das bedeutet für mich Hoffnung. Das ist echt mein Bild!“<br />

wo man nachdenken und das ganze<br />

Drumherum herausfiltern kann. Das ist<br />

gerade in der nervigen Großstadt so<br />

wichtig.“<br />

Einige von uns kannten das „Kunstkammerregal“<br />

(1666) des Hamburger<br />

Malers Johann Georg Hinz. „In einer<br />

Kunstkammer haben früher Fürsten<br />

und reiche Bürger Kunst gesammelt,<br />

aber auch natürliche oder exotische Gegenstände<br />

wie Totenschädel, Muscheln<br />

oder Korallen“, erläutert uns Anna<br />

Heinze. „Letztlich ist das der Beginn<br />

des Museums.“<br />

Dass wir bei Caspar David Friedrich<br />

hängen bleiben, hat mehrere<br />

Gründe. Der „Wanderer über dem Nebelmeer“<br />

(1818) ist sowieso „das allerbeliebteste<br />

Bild in der Kunsthalle“, sagt<br />

Anna Heinze. „Einerseits ist der Wanderer<br />

eine Identifikationsfigur. Wir können<br />

uns vorstellen, dass wir es sind,<br />

die da stehen. Gleichzeitig können<br />

wir nicht sehen, worauf er guckt, er<br />

wird uns immer im Weg stehen.“<br />

„Eigentlich hatte er es nicht mit<br />

Bergen, er hat sogar mal die Alpen an<br />

die Ostsee versetzt“, weiß Sven, der aus<br />

Greifswald kommt. Das ist nur teilweise<br />

richtig. „Er ist aber wirklich im Elbsandsteingebirge<br />

wandern gewesen, hat<br />

Skizzen angefertigt und die Landschaft<br />

dann wieder zusammengesetzt – aber<br />

neu“, sagt Anna Heinze. „Die Landschaft<br />

gibt es also nicht, aber jeder einzelne<br />

Fels existiert.“ Peter steht vor<br />

„Das Eismeer“ (1824): „Die spitzen Eisschollen,<br />

die Kraft, die in dem Wasser<br />

stecken. Genauso sieht Eismeer aus.<br />

Nur an dem Schiff merkt man, dass es<br />

ein altes Bild ist.“<br />

Sven ist abgelenkt von dem kleinen,<br />

sehr romantisch wirkenden Bild „Wiesen<br />

bei Greifswald“ (um 1820). „Wenn<br />

man heute aus dieser Perspektive<br />

schaut, sind da natürlich keine Wiesen<br />

oder Mühlen, sondern ein Gewerbecenter<br />

und eine Umgehungsstraße.“<br />

Ganz trostlos ist es allerdings nicht:<br />

„Die Kirchtürme sieht man ja noch.“<br />

Auch Ingo hat so seine Erinnerungen:<br />

Er war vor Jahrzehnten mit seinen<br />

Eltern in einem Park an der Greifswalder<br />

Uni spazieren. „Wir hatten auf<br />

Usedom Urlaub gemacht, meine Mutter<br />

ist in Sweenemünde geboren.“<br />

Man merkt eben doch: Die Hälfte<br />

unserer kleinen Gruppe kommt aus der<br />

ehemaligen DDR.<br />

Szenenwechsel: Wir sind in einem<br />

Raum, in dem es um das Frauenbild in<br />

der Kunst geht. Schnell schießen wir<br />

27


Stadtgespräch<br />

Oben:<br />

Für eine Kuratorin ist es nicht so leicht, ein<br />

Lieblingsbild zu bestimmen. Anna Heinze, die<br />

über den liegenden weiblichen Akt in der<br />

Renaissance promoviert hat, entscheidet sich für<br />

„Flora“ (1559) von Jan Massys. Im Hintergrund<br />

ist die Silhouette von Antwerpen zu sehen<br />

– im Vordergrund eine antike GÖTTIN.<br />

„Man befindet sich kurz nach einem Krieg, es<br />

hat gerade einen Friedensschluss gegeben, alles<br />

blüht wieder auf“, sagt Anna Heinze. „Man erhofft<br />

sich eine Zeit des Friedens und des Wohlstands.<br />

Das sieht man an der Pracht der Blumen.<br />

Der ersehnte Reichtum wird auch durch ihren<br />

Schmuck symbolisiert.“<br />

Unten:<br />

Vera ist die Einzige, die selbst malt. Momentan<br />

beschäftigt sie sich mit DOT-PAINTING, einer<br />

Methode der Aborigines in Australien. Das<br />

„Stillleben mit Masken“ (1896) von James<br />

Ensor hat sie begeistert: „Die moderne Kunst<br />

mit all ihren Farben finde ich nicht so farbig wie<br />

dieses Bild. Ich habe mich öfter gefragt: Was ist<br />

Stillleben? Warum überhaupt Stillleben? Ist das<br />

was Stilles, was Unbelebtes? Aber dieses Bild<br />

wirkt gar nicht wie ein Stillleben, sondern ziemlich<br />

lebhaft. Es strahlt für mich Fröhlichkeit aus.<br />

Ich mag auch, wie es gemalt ist. Einerseits finde<br />

ich Bilder sehr schön, die wie Fotos gemalt sind,<br />

aber ich mag auch so wuschige, und dieses Bild<br />

ist genau dazwischen. Es kommt mir so jung vor,<br />

obwohl es ja schon im 19. Jahrhundert gemalt<br />

wurde. Ob ich mir das aufhängen würde? Abgesehen<br />

davon, dass ich es mir nicht leisten könnte?<br />

Aber hallo!“<br />

uns auf „Die Kinderstube“ (1889) von<br />

Fritz von Uhde ein. „Die Mutter sitzt<br />

da und macht Handarbeiten, so nach<br />

dem Motto: ‚Macht, was ihr wollt!‘“,<br />

sagt Peter. „Sie müsste mal einen Blick<br />

auf die Kinder werfen!“ – „Von wegen:<br />

Die Kinder können machen, was sie<br />

wollen!“, protestiert Vera. „Die Ältere<br />

muss auch schon mitmachen – und bestimmt<br />

demnächst auch die Kleinere.“<br />

Ingo ist schon vorausgegangen: zu<br />

Claude Monets „Waterloobrücke“<br />

(1902). „Man sieht richtig das alte, dreckige<br />

London“, sagt er. „Die Windsors<br />

mussten damals außerhalb von London<br />

bauen, weil London so nach Kloake gestunken<br />

hat.“ Peter runzelt die Stirn.<br />

Mit dem Impressionismus beginnt für<br />

ihn das „Gekrakel“. Anna Heinze erläutert:<br />

„Hier sieht man jeden Pinselstrich<br />

und die Farben gehen ineinander<br />

über, es gibt keine klaren Linien mehr.“<br />

Peter mag das nicht. Das ist ihm zu<br />

„verlaufen“. „Das ist Absicht. Es soll etwas<br />

Flüchtiges haben, als wäre es im<br />

nächsten Moment vorbei“, erklärt die<br />

Kuratorin. „Und ganz wichtig ist, wie<br />

sich das Licht im Wasser spiegelt.“<br />

Wir wären vielleicht an der „Schnellen<br />

Hoffnung“ (1927) von René Magritte<br />

vorbeigegangen, wenn Sven nicht<br />

wie angewurzelt stehen geblieben wäre.<br />

Hoffnung, gar schnelle Hoffnung bei einem<br />

dunklen Bild, auf das irgendwelche<br />

schwarze Formen gemalt sind – und<br />

französische Wörter? Wir stehen alle etwas<br />

ratlos davor.<br />

„Normalerweise ist es so: Jemand<br />

malt einen Goldfisch, und wir denken<br />

das Wort ‚Goldfisch‘“, sagt Anna Heinze.<br />

„Magritte macht es genau umgekehrt.“<br />

Baum, Wolke, Dorf am Horizont<br />

heißen einige Wörter auf dem<br />

Bild. Und plötzlich ist alles klar. „Das<br />

Bild entsteht in unserem Kopf“, sagt<br />

Sven begeistert. „Plötzlich ist das dunkle<br />

Bild hell.“ – „Und jeder sieht ein anderes<br />

Bild“, sagt Fotograf Dmitrij. Nur<br />

Vera sagt: „Ich seh immer noch nur<br />

schwarze Flächen!“<br />

Nicht umsonst hänge „Die schnelle<br />

Hoffnung“ an der Schwelle zur Moderne,<br />

die ganz ohne Gegenständlichkeit<br />

auskommt, sagt Anna Heinze. Und<br />

schon stehen wir vor einer riesigen,<br />

schwarz gestrichenen Glasscheibe.<br />

Vor ein paar Minuten hätten wir<br />

bestimmt gefragt, ob die ein Handwerker<br />

hier vergessen hat. Jetzt sind wir da<br />

weiter. Gemeinsam stellen wir uns vor<br />

das spiegelnde Glas: Peter, Sven, Vera,<br />

Ingo, Dmitrij, Anna Heinze und ich.<br />

Wir sehen uns an – und werden für ein<br />

paar Sekunden Teil eines Kunstwerks.<br />

Das gefällt selbst Peter, weil wir alle<br />

rausgucken aus dem Bild, Blickkontakt<br />

zueinander haben. „Und außerdem“,<br />

sagt Peter, „der hat die Farbe wirklich<br />

gut und gleichmäßig aufgetragen.“ •<br />

„Spot on!“ läuft bis zum 31. <strong>Januar</strong> in der<br />

Hamburger Kunsthalle, Glockengießerwall,<br />

1. 1., 12–18 Uhr, 2.–10. 1. täglich von<br />

10–18 Uhr. 7.1. bis 21 Uhr, sonst immer<br />

Di–So, 10–18 Uhr, Do 10–21 Uhr,<br />

Eintritt: 12/6 Euro; Familienkarte 18 Euro<br />

29


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>275</strong>/ JANUAR <strong>2016</strong><br />

Eigentlich ist<br />

PETER SHUB<br />

Soziologe.<br />

Doch seit mehr<br />

als 30 Jahren<br />

arbeitet der<br />

58-Jährige<br />

erfolgreich als<br />

Clown.<br />

Die Kraft des Lachens<br />

in harten Zeiten<br />

Peter Shub ist ein Clown von Welt: Der Amerikaner war mit dem Zirkus Roncalli unterwegs und<br />

arbeitete mit dem Cirque du Soleil zusammen. Jetzt tritt er in der Dinnershow PALAZZO zugunsten<br />

von Hinz&<strong>Kunzt</strong> auf. Wir sprachen mit ihm darüber, wie das Lachen Menschen zusammenbringt.<br />

TEXT: ANNABEL TRAUTWEIN; FOTO: DMITRIJ LELTSCHUK<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Die meisten Lacher kriegt ein<br />

Clown, wenn irgendwas schiefläuft.<br />

Ist Scheitern ein offensichtliches Erfolgsrezept?<br />

PETER SHUB: Scheitern ist witzig. Wir sehen<br />

einfach gerne anderen dabei zu, wenn<br />

sie Schwierigkeiten haben. Ein Clown<br />

stolpert, fällt hin – das ist auf der ganzen<br />

Welt lustig. Allerdings nur, solange<br />

er auch wieder aufsteht.<br />

Warum lachen die Leute denn so gerne über<br />

Pechvögel und Tollpatsche?<br />

Interessant, oder? In unserer Gesellschaft<br />

ist das Scheitern ja verpönt. Keiner<br />

will als Versager dastehen. Immer<br />

sagt man uns: Nicht scheitern! Erfolg!<br />

Alles dreht sich im alltäglichen Leben<br />

um Erfolg. Vielleicht gehen die Leute<br />

deshalb in den Zirkus oder ins Palazzo.<br />

Wir haben hier sehr erfolgreiche Manager<br />

im Publikum, gestandene Geschäftsleute,<br />

die viel geschafft haben. Sie<br />

bezahlen Geld, um Leuten wie mir beim<br />

Scheitern zuzusehen. Nicht um Mitleid<br />

mit mir zu haben, sondern um darüber<br />

zu lachen.<br />

Finden Sie das nicht fies, wenn das Publikum<br />

Sie ständig auslacht?<br />

Dann hätte ich kein Clown werden dürfen.<br />

Die Leute lachen eben am meisten,<br />

wenn wir uns zum Affen machen. Das<br />

30<br />

sind die Momente, in denen wir besonders<br />

verletzlich sind. Verletzlichkeit ist<br />

aber eine wichtige Eigenschaft, der wir<br />

uns alle stellen müssen. Niemand kann<br />

immer stark sein.<br />

Wieso glauben Sie, dass es Menschen stärker<br />

macht, wenn sie mit Witz durchs Leben gehen?<br />

Humor hilft uns dabei, das Leben nicht<br />

zu ernst zu nehmen. Statt ständig über<br />

Frust zu reden, sollten wir versuchen,<br />

den Momenten in unserem Alltag<br />

immer wieder etwas Witziges abzugewinnen.<br />

Humor kann auch ein gutes<br />

Hilfsmittel sein, beim Geschäftemachen<br />

zum Beispiel.


Das müssen Sie jetzt genauer erklären …<br />

Als ich noch in Philadelphia in den<br />

USA gelebt habe, kam eine Gruppe von<br />

Obdachlosen auf mich zu, die wollten<br />

Straßenkunst anbieten. Sie hatten keine<br />

Zeitung, die sie verkaufen konnten, also<br />

haben sie einfach den Hut hingehalten.<br />

Im Grunde waren sie auch Geschäftsleute.<br />

Sobald du Menschen um Geld<br />

„Wenn wir uns<br />

zum Affen<br />

machen, sind wir<br />

am verletzlichsten.“<br />

bittest, bist du im Business. Das heißt<br />

aber: Du musst etwas anbieten. Ich habe<br />

ihnen dann geholfen, ihre witzige<br />

Seite zu entdecken und auf der Straße<br />

einzusetzen.<br />

Zurzeit werden wir jeden Tag mit Krisen,<br />

Krieg und Gewalt konfrontiert. Wie schaffen<br />

Sie es, die Menschen trotzdem noch zum<br />

Lachen zu bringen?<br />

Ich will nicht sagen, dass wir Komiker<br />

von dieser Stimmung profitieren – aber<br />

eigentlich ist es so. Denn wenn die Leute<br />

ständig gut drauf sind, dann gibt es<br />

wenig, was wir noch für sie tun können.<br />

In Krisenzeiten sind Comedybühnen<br />

oder Shows wie das Palazzo ein guter<br />

Ort, um dem Alltag mit all den schlimmen<br />

Nachrichten zu entfliehen und zu<br />

feiern. Wir dürfen Terror und Tragödien<br />

nicht gewinnen lassen. Natürlich<br />

müssen wir ernst nehmen, dass es das<br />

alles gibt. Aber wir sollten trotzdem<br />

nicht aufhören, das Leben zu genießen.<br />

Haben Sie selbst schon Schicksalsschläge<br />

erlebt, bei denen Sie mit Humor nicht mehr<br />

weitergekommen sind?<br />

Ich habe meinen Sohn verloren. Das<br />

war am 19. Juni 2001 in Hannover. Er<br />

war damals vier Jahre alt. Wir waren in<br />

einem Restaurant, er hatte seine Pizza<br />

aufgegessen und stand vom Tisch auf.<br />

Ein paar Meter entfernt stand eine<br />

Stadtgespräch<br />

31<br />

Skulptur, die nicht gesichert war – was<br />

erstaunlich ist in Deutschland. Als er sie<br />

angefasst hat, ist die Skulptur umgefallen<br />

und hat ihn erschlagen. Danach habe<br />

ich lange nicht gelacht, und ich wollte<br />

auch für eine Weile keine Leute zum<br />

Lachen bringen. Aber was heißt eine<br />

Weile? Eine Woche später habe ich eine<br />

Show gemacht. Es ging, trotz allem.<br />

Wer mich selbst zum Lachen gebracht<br />

hat, war meine Frau. Es ist schwer zu<br />

erklären, wie schmerzhaft das für uns<br />

war, unser Kind zu verlieren. Aber<br />

manchmal haben wir es doch geschafft,<br />

zusammen zu lachen. Das war unheimlich<br />

wichtig. Du musst der Tragödie in<br />

die Augen sehen und sagen: Sorry, aber<br />

ich werde nicht für immer leiden.<br />

Manchmal werde ich auch wieder Freude<br />

am Leben haben.<br />

Können andere Menschen dabei helfen –<br />

Freunde, Verwandte, vielleicht sogar Fremde?<br />

Schmerz können wir nicht wirklich teilen.<br />

Unser Lachen aber können wir teilen.<br />

Humor zündet Feuerwerke, er<br />

bringt Menschen zusammen. Das ist<br />

das Schöne an Comedyshows: diese<br />

Momente, in denen fremde Menschen<br />

gemeinsam lachen. Obwohl die Leute<br />

im Publikum sich nicht kennen, kommen<br />

sie aus sich heraus und verlieren<br />

gemeinsam die Kontrolle. Das Lachen<br />

vereint sie zu einer Gruppe – ein einmaliges<br />

Gefühl.<br />

Ins Palazzo kommen die Leute ja nicht nur,<br />

um die Show zu sehen, sondern auch<br />

zum Essen. Wie ist das für Sie als Künstler?<br />

Natürlich gibt es ein bisschen Konkurrenz<br />

zwischen der Show und dem Essen.<br />

Da muss das Publikum dann entscheiden,<br />

was besser ist. Im Idealfall sind wir<br />

gleichauf. Vielleicht ist es auch okay,<br />

wenn die Show sogar noch ein bisschen<br />

besser ankommt als das Essen. Aber verraten<br />

Sie das bloß nicht dem Koch! •<br />

PALAZZO goes Hinz&<strong>Kunzt</strong> – das 4-Gang-<br />

Menü und 3,5 Std. Dinnershow: Mi, 17. Februar,<br />

19.30 Uhr; Preise: 89–129 Euro plus<br />

2 Euro Buchungsgebühr. Karten sind erhältlich<br />

über die Palazzo-Tickethotline 01806/<br />

38 88 83 oder unter www.palazzo.org,<br />

Stichwort: Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Anruf aus<br />

dem Festnetz: 20 Cent; mobil: 60 Cent<br />

Die<br />

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Telefon: 040/298 34 274<br />

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040 - 55 89 18 15<br />

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Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>275</strong>/ JANUAR <strong>2016</strong><br />

JAKOB VON UEXKÜLL<br />

ist Gründer des World Future<br />

Council und des Alternativen<br />

Nobelpreises. Der 71-Jährige<br />

war EU-Parlamentarier und saß<br />

im Aufsichtsrat von Greenpeace<br />

Deutschland und Transparency<br />

International.<br />

Weniger Autorennen,<br />

mehr Tanzwettbewerbe<br />

Wie wir den Klimawandel überstehen und die Flüchtlingszahl reduzieren könnten.<br />

Ein Interview mit Jakob von Uexküll vom World Future Council in Hamburg<br />

INTERVIEW: BIRGIT MÜLLER<br />

FOTO: ANDREAS HORNOFF<br />

32


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Stadtgespräch<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Sie haben gerade wieder den<br />

Future Policy Award vergeben, den Preis für<br />

das beste Gesetz. Diesmal ging es um Kinderrechte.<br />

Der erste Preis ging nach Sansibar,<br />

in ein Entwicklungsland.<br />

JAKOB VON UEXKÜLL: Das ist natürlich schon<br />

markant, dass eine kleine Insel, die auch<br />

noch eine Teilrepublik von Tansania ist,<br />

ein so vorbildliches Gesetz erlassen hat.<br />

Das hängt sicher von Einzelpersonen<br />

ab. In diesem Fall von vielen Personen,<br />

die Probleme sahen, die es dort gab: vor<br />

allem Kinderarbeit und Misshandlungen<br />

von Kindern. Wenn man sich die<br />

Geschichte des Future Policy Award,<br />

des Oscars für Gesetze, anschaut, wird<br />

man sehr schnell geheilt von der Vorstellung:<br />

Wir in Europa sind viel weiter<br />

als andere. Das beste Nahrungssicherheitsgesetz<br />

gibt es in Brasilien. Das beste<br />

Gesetz zum Schutz der Artenvielfalt<br />

gibt es in Costa Rica, das beste Waldschutzgesetz<br />

in Ruanda, bestes Gesetz<br />

zum Schutz der Meere auf Palau im<br />

Südpazifik – und eins der besten Abrüstungsgesetze<br />

in Argentinien, wo die<br />

Handfeuerwaffen eingesammelt und<br />

die Menschen dafür belohnt werden. Es<br />

ist unser Ziel, diese besten Gesetze auch<br />

zu verbreiten – dieses Gesetz bringen<br />

wir dieses Jahr nach Bosnien.<br />

Ungewöhnlich ist ja, dass das prämierte<br />

Gesetz mit den Kindern gemeinsam geschaffen<br />

wurde.<br />

Die Kinder haben mitgeholfen, dieses<br />

Gesetz zu formulieren, und auch die Institutionen.<br />

Sie brauchen ja Institutionen,<br />

die den Nutznießern dieses Gesetzes<br />

helfen, dass die Rechte, die auf dem<br />

Papier stehen, auch eingehalten werden.<br />

In der Sowjetunion gab es beispielsweise<br />

viele vorbildliche Umweltgesetze,<br />

nur die Umwelt hatte davon<br />

nichts. In Sansibar wurde deshalb zur<br />

Kontrolle ein Kinderparlament geschaffen.<br />

Es gibt einen fortlaufenden<br />

Dialog. Wenn man für ein solches Gesetz<br />

einen Preis verleiht, dann stärkt das<br />

ein Gesetz. Es ist schwierig, ein Gesetz<br />

zu schwächen, auf das die Menschen<br />

stolz sind.<br />

Sie sind die einzige Organisation, die Gesetze<br />

belohnt. Was ist daran so wichtig?<br />

Ich habe jahrelang mit dem Alternativen<br />

Nobelpreis einzelne Menschen<br />

und Initiativen belohnt. Nach einiger<br />

Zeit merkte ich, dass die Preisträger –<br />

auch wenn sie bekannt sind – große<br />

Schwierigkeiten haben, ihre Ideen<br />

durchzusetzen. Da habe ich gesagt,<br />

man muss sehen, wie man die Gesetze<br />

verbessern kann. Gesetze setzen die<br />

„Es ist unser<br />

Ziel, die besten<br />

Gesetze zu<br />

verbreiten.“<br />

Rahmenbedingungen, Gesetze setzen<br />

die Anreize. Es gibt ja heute diesen antipolitischen<br />

Zynismus, wo man sagt:<br />

Der Markt macht das. Das ist natürlich<br />

illusorisch. Ich diskutiere oft mit Vertretern<br />

der Wirtschaft, und wenn die<br />

dann sagen „Je weniger Staat, desto<br />

besser!“, dann sage ich: „Dann müssten<br />

Sie ja viel in Somalia investieren,<br />

da gibt es überhaupt keinen Staat.“ Da<br />

sind sie dann etwas peinlich berührt.<br />

Vor einiger Zeit wurde ein Vorstandsvorsitzender<br />

einer großen Firma<br />

gefragt: „Wer ist denn Ihr wichtigster<br />

Kunde?“ Und er sagte: „Der Gesetzgeber.<br />

Denn der bestimmt die Rahmenbedingungen.“<br />

Deshalb ist es auch so<br />

wichtig, sich am öffentlichen politischen<br />

Leben zu beteiligen. Wir sollten<br />

es nicht den Besitzstandswahrern überlassen,<br />

die Gesetzgeber zu umgarnen,<br />

während wir alle dasitzen und sagen:<br />

„Politik ist schmutzig.“<br />

33<br />

Der Krieg in Syrien ist auf einmal nahegerückt:<br />

Tausende von Flüchtlingen kommen.<br />

Wie sehen Sie die momentane Situation?<br />

Ich bin ja in Schweden aufgewachsen<br />

und habe die schwedische und deutsche<br />

Staatsbürgerschaft. Und da muss ich sagen:<br />

Ich bin erfreut und stolz, dass<br />

Deutschland aus der Geschichte gelernt<br />

hat. Wir haben die große Herausforderung<br />

mit den Flüchtlingen, aber die<br />

Rechtsradikalen und die Fremdenfeindlichkeit<br />

sind noch sehr begrenzt. Und in<br />

Schweden, diesem liberalen Vorzeigeland,<br />

liegt eine fremdenfeindliche Partei<br />

in Umfragen jetzt an erster Stelle mit<br />

27 Prozent. Schweden und Deutschland,<br />

die beiden Länder, die momentan<br />

am meisten tun, sagen: Menschenrechte<br />

und das Recht auf Asyl kann man nicht<br />

abschaffen. Man kann nicht sagen: Sorry,<br />

das war nur für gute Zeiten, wenn<br />

wenige kommen. Gleichzeitig ist klar,<br />

dass es Grenzen der Möglichkeiten gibt.<br />

Wenn wir einen Notstand haben, dann<br />

brauchen wir entsprechende Gesetze.<br />

Es kann nicht sein, dass Einzelpersonen<br />

jetzt mit Klagen den Bau von Notunterkünften<br />

behindern. Und wenn wir einen<br />

harten Winter bekommen – und durch<br />

das Klimachaos weiß man nie, was auf<br />

einen zukommt –, kann es nicht angehen,<br />

dass dann Flüchtlingskinder hier<br />

erfrieren, weil sie draußen übernachten<br />

müssen. Das Problem ist: Wir haben uns<br />

auf die Situation nicht vorbereitet. Es<br />

gibt so wenig Zukunftsplanung. Ich sage<br />

immer: Wenn die Europäer schon mit<br />

ein paar Millionen Kriegsflüchtlingen<br />

so viele Probleme haben, was wollen sie<br />

machen, wenn zig Millionen Klimaflüchtlinge<br />

kommen?<br />

Wie müsste es jetzt weitergehen?<br />

Die Pflicht ist jetzt, das Überleben der<br />

Menschen sicherzustellen – und uns<br />

dann um die Ursachen zu kümmern.<br />

Erst mal müssen wir mehr Mut zeigen,<br />

wenn es um Geldpolitik geht. Wenn die<br />

Zentralbanken zig Milliarden schaffen<br />

konnten, um die Banken zu retten,


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>275</strong>/ JANUAR <strong>2016</strong><br />

dann können sie auch die nötigen Milliarden<br />

aufbringen, um das Klima zu retten.<br />

Das ist auch nicht inflationär, denn<br />

da schaffen sie neue Werte. Mit diesem<br />

Geld müsste man massiv Solarenergiekapazitäten<br />

besonders im Nahen Osten<br />

und vor allem in Afrika ausbauen. Beispiel<br />

Ruanda: Dort wurde innerhalb eines<br />

Jahres eine riesige Solarenergieanlage<br />

eröffnet. Oder man forstet die Wälder<br />

wieder auf und schafft einen klimaangepassten<br />

Landanbau. Mit solchen Maßnahmen<br />

schafft man Arbeitsplätze und<br />

gibt den Menschen Hoffnung. Gleichzeitig<br />

müssen wir dahin schauen, wo es<br />

Konflikte gibt, die zu diesen riesigen<br />

Flüchtlingsströmen führen. Und wenn<br />

man irgendwo anfangen würde, müsste<br />

man Druck ausüben auf die Israelis und<br />

die Palästinenser. Die Behandlung der<br />

Palästinenser hat der Glaubwürdigkeit<br />

des Westens in der arabisch-muslimischen<br />

Welt stark geschadet. Vor einiger<br />

Zeit habe ich an einer Universität in<br />

Bahrain einen Vortrag gehalten. Ich<br />

sprach davon, dass es gemeinsame<br />

menschliche Werte gibt. Und als ich das<br />

sagte, sprangen eine Studentin und ein<br />

Professor auf: „Sie waren doch in Gaza,<br />

wenn Sie das gesehen haben, wie können<br />

Sie dann von gemeinsamen menschlichen<br />

Werten sprechen!“ Der Konflikt<br />

zwischen Israel und Palästina ist zwar<br />

nicht die Ursache für den derzeitigen<br />

Konflikt in Syrien, aber die Ursache für<br />

die mangelnde Glaubwürdigkeit des<br />

Westens in der arabischen Welt.<br />

Klimawandel, Kriege, Flüchtlingsbewegungen<br />

und wachsende Armut – in Europa herrscht<br />

Zukunftsangst. Könnte man diese Themen –<br />

sagen wir: binnen zehn Jahren – bewältigen?<br />

Wenn man die Fluchtursachen beseitigt,<br />

wenn ein Überleben zu Hause wieder<br />

möglich ist, werden einige Flüchtlinge<br />

zwar hierbleiben, aber es werden<br />

viele zurückkehren und weniger kommen.<br />

Aber es genügt nicht, dass man<br />

nur an den Symptomen herumkuriert.<br />

Nehmen Sie die Umweltzerstörung:<br />

Der ehemalige US-Vizepräsident Al<br />

Gore hat ja sein wichtiges Buch „Earth<br />

in the Balance“ geschrieben, bevor er<br />

Vizepräsident wurde – das ist über 20<br />

Jahre her. Da gibt es den entscheidenden<br />

Absatz: Unter dem Eindruck der<br />

Umweltzerstörung muss alles neu<br />

durchdacht werden, jeder Vertrag, jedes<br />

Gesetz, jede Institution, neu durchdacht<br />

und verändert, angepasst werden.<br />

Das wurde ignoriert. Jetzt sagt man: Paris<br />

ist die letzte Chance, das hat man<br />

„Es kann nicht<br />

jeder eine Villa<br />

an der Außenalster<br />

haben.“<br />

zwar schon vor ein paar Jahren gesagt,<br />

aber jetzt könnte es tatsächlich so<br />

sein. Man sagt immer: Die Medien<br />

übertreiben. Doch wenn es um den Klimawandel<br />

geht und Umweltzerstörung,<br />

dann untertreiben sie, weil sie Angst haben,<br />

die Leute zu erschrecken. Als neulich<br />

die renommierte Londoner „The<br />

Times“ einen längeren Bericht über<br />

große Umweltgefahren veröffentlicht<br />

hat, hat sie am Ende die Telefonnummer<br />

der Samariter angegeben. Das<br />

muss man sich mal vorstellen: Was sollen<br />

denn die armen Samariter tun,<br />

wenn Menschen anrufen und sagen:<br />

„Die Gefahren des Klimawandels sind<br />

so groß, bitte helfen Sie mir!“<br />

Sie können noch lachen!<br />

Es nützt nichts, Optimist zu sein und zu<br />

sagen, es wird schon alles gut. Ich bin<br />

auch kein Pessimist, es ist zum Glück<br />

noch nicht alles hoffnungslos. Solange<br />

34<br />

es Hoffnung gibt, muss man Possibilist<br />

sein: Ich bin überzeugt, dass es möglich<br />

ist, die Probleme zu lösen, wenn wir uns<br />

an die Arbeit machen. Wenn die Richtung<br />

geändert wird, kann es sehr schnell<br />

gehen. Da geht es dann nicht um Jahrzehnte,<br />

da kann sich innerhalb von ein<br />

paar Jahren viel verändern. Das haben<br />

wir doch in Deutschland, in Europa<br />

1989 erlebt. Ich erinnere mich, dass der<br />

Korrespondent der FAZ, der im Mai<br />

1989 in Moskau war, gehört hat, wie<br />

der Vertreter der Bonner Regierung seinem<br />

DDR-Kollegen sagte: „Niemand<br />

im Westen denkt daran, am Status von<br />

Berlin etwas zu verändern.“ Und sechs<br />

Monate später fiel die Mauer.<br />

Wie sieht die Welt denn aus, wenn<br />

wir klimaverträglich leben, trist und grau?<br />

Ein Freund von mir, Chandran Nair,<br />

lebt in Hongkong und berät die chinesische<br />

Regierung mit seinem Global Institute<br />

for Tomorrow. Er sagt: Es kann<br />

kein Menschenrecht auf etwas geben,<br />

was nicht möglich ist. Der Ressourcenverbrauch<br />

pro Kopf wie bei uns ist in<br />

China einfach nicht möglich. Es kann<br />

auch nicht jeder eine Villa an der Außenalster<br />

haben. Und es wird mehr und<br />

mehr solcher „positional goods“ geben,<br />

wie das die Wirtschaft nennt. Und da<br />

muss man sich überlegen, wie man die<br />

gerecht verteilt. Im Kommunismus war<br />

das einfach: Da wurden dann solche<br />

Villen zu Urlaubsheimen für Arbeiter.<br />

Aber ich glaube, wir können uns Systeme<br />

vorstellen, die keine Ökodiktatur<br />

werden, sondern eine Ökokratie. Auch<br />

eine Demokratie hat ja Rahmenbedingungen.<br />

Wir müssen dafür sorgen, dass<br />

auch künftige Generationen geschützt<br />

werden. Chandran Nair wurde mal gefragt:<br />

Wie sieht denn diese zukünftige<br />

Welt aus? Da sagte er: „Weniger Autorennen<br />

und mehr Tanzwettbewerbe.“ •<br />

Mehr Infos findet man unter<br />

www.worldfuturecouncil.org


Stadtgespräch<br />

Meldungen (3)<br />

Politik & Soziales<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Mehr Übergriffe auf städtische Mitarbeiter<br />

Die Zahl der statistisch erfassten Übergriffe auf Mitarbeiter der Stadt wächst. Laut<br />

einer Analyse des städtischen Personalamts stieg die Zahl 2014 im Vergleich zum<br />

Vorjahr um fast 10 Prozent auf 1766 an. Wie das „Abendblatt“ aus dem Papier<br />

weiter zitiert, nahm vor allem die Zahl der Gewalttaten zu: 2013 waren es 207, ein<br />

Jahr später 339, also 64 Prozent mehr. 19 Bedienstete hätten schwere Verletzungen<br />

erlitten, 10 mussten vorübergehend dienstunfähig geschrieben werden. 225 Übergriffe<br />

wurden in Schulen registriert, 64 mehr als im Jahr zuvor. Die Schulbehörde<br />

erklärte den Anstieg gegenüber dem Abendblatt mit einem „stärkeren, sensibleren<br />

Meldeverhalten seitens der Schulleitungen“. Auch die Leiterin des Hamburger<br />

Personalamts sieht keinen Trend zu mehr Brutalität: Die Beschäftigten würden seit<br />

Jahren sensibilisiert. Dadurch stiegen auch die Fallzahlen. UJO<br />

•<br />

Stellvertretend für alle FLÜCHTLINGSHELFER<br />

zeichnete das Abendblatt im Dezember Julia Röder<br />

von fördern und wohnen und Simone Herrmann von<br />

Hanseatic Help (Messehallen) als Hamburger des<br />

Jahres in der Kategorie „Fairness und Courage“ aus.<br />

35<br />

Behörden und Helfer im Dialog<br />

Mit den steigenden Flüchtlingszahlen<br />

wuchs im vergangenen Jahr zum Glück<br />

auch die Hilfsbereitschaft. Doch eine<br />

Koordination zwischen Ehrenamt und<br />

behördlichen Maßnahmen war lange<br />

Zeit Fehlanzeige. Ein Missstand, den<br />

der Senat jetzt beheben will. Mitte Dezember<br />

luden die Behörden zum Forum<br />

Flüchtlingshilfe in die Fischauktionshalle.<br />

Es handele sich „mitnichten“ um<br />

„eine einmalige Sache“, stellt Sozialbehördensprecher<br />

Marcel Schweitzer klar.<br />

Thematische Dialogforen dienen künftig<br />

dem inhaltlichen Austausch. Initiativen<br />

können zudem Finanzmittel beantragen.<br />

Dafür stellt die Stadt insgesamt<br />

1,7 Millionen Euro bereit. JOF<br />

•<br />

Mehr Infos: www.hamburg.de/fluechtlinge<br />

Notunterkünfte bleiben tagsüber verschlossen<br />

Egal wie kalt oder nass es noch wird: Der städtische<br />

Unterkunftsbetreiber fördern und wohnen setzt<br />

weiterhin Hunderte Obdachlose tagsüber vor die Tür.<br />

Denn das Winternotprogramm bietet nur nachts<br />

Schutz. Eine „Erweiterung der Aufenthaltszeiten“ sei<br />

„nicht beabsichtigt“, heißt es aus der Sozialbehörde.<br />

Immerhin: Die Behörde verhandelt mit den Trägern<br />

der Tagesaufenthaltsstätten für Obdachlose über eine<br />

Finanzierung längerer Öffnungszeiten. JOF<br />

•<br />

<br />

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„Wir Soldaten<br />

wollen integriert<br />

werden“<br />

Robert Sedlatzek-Müller war als Soldat im Kosovo und<br />

Afghanistan. Heute ist er Ansprechpartner für geschädigte<br />

Kameraden. Und er ist einer der Protagonisten in<br />

Jakob Ganslmeiers bedrückend-berührender Fotoarbeit<br />

„Trigger“ über traumatisierte Bundeswehr-Soldaten.<br />

TEXT: FRANK KEIL<br />

FOTOS: JAKOB GANSLMEIER<br />

Holger Rossmeier war von 2009 bis 2010 in<br />

Kabul eingesetzt. Nun ist er in Münster<br />

stationiert. Er würde so gerne seinen<br />

EINSATZ in Afghanistan zu Ende führen.<br />

36


Lebenslinien<br />

Es kommt vor, dass Robert<br />

Sedlatzek-Müller, Berufssoldat,<br />

auf der Fahrt zum Einkaufen<br />

nach Hamburg wieder<br />

umkehren muss. Er sagt: „Am<br />

liebsten fahre ich abends oder nachts,<br />

wenn die Straßen leer sind.“ Denn<br />

wenn er im Stau steht, wenn es nicht<br />

weitergeht, dann kann er sich nicht<br />

einfach wie andere damit ablenken, indem<br />

er das Radio anschaltet, eine<br />

raucht oder aus dem Fenster schaut. Er<br />

sagt: „Ich muss die Situation, in der ich<br />

bin, kontrollieren.“<br />

Oder wenn er eingeladen ist, einen<br />

Vortrag zu halten, in einer Schule, vor<br />

Politikern, vor Soldaten: „Ich merke<br />

heute, wenn ich mit einem Mal abdrifte,<br />

wenn ich mich wegbeame.“ Dann greift<br />

er zu seinen Bonbons: Pastillen der<br />

Marke Fisherman’s Friends („Sind sie<br />

zu stark, bist du zu schwach.“). „Der<br />

scharfe Geschmacksreiz sorgt dafür,<br />

dass ich wieder zurückkomme“, sagt er.<br />

Und er kann seinen Vortrag fortsetzen.<br />

Kann von den Toten erzählen, die er<br />

während seiner Einsätze gesehen hat.<br />

„Von den Leichen“, sagt er. Und er<br />

kann erzählen, was ihm passiert ist.<br />

Es ist der 6. März 2002. Er ist in<br />

Afghanistan stationiert, als Fallschirmjäger,<br />

als Sprengstoffexperte; gehört<br />

zu einem Vorauskommando. Gerade<br />

schaut er zu, wie Kameraden sich abmühen,<br />

eine alte russische Rakete zu<br />

entschärfen, die sie zuvor den Taliban<br />

abgenommen haben. Sekunden später<br />

sind fünf Soldaten tot; ihn selbst hat es<br />

meterweit weggeschleudert.<br />

„Man kann unsere Auslandseinsätze<br />

befürworten, man kann sie ablehnen,<br />

aber sie sind vom Parlament jeweils<br />

beschlossen worden, und wir sind<br />

eine Parlamentsarmee, also gehen wir<br />

dorthin, wo man uns hinschickt“, sagt<br />

er. Er lächelt kurz: „Ich weiß: ‚Soldaten<br />

sind Mörder.‘ Und ich kenne die Gedichtzeilen<br />

‚Stell dir vor, es ist Krieg und<br />

keiner geht hin‘.“ Er setzt eine wohldosierte<br />

Pause: „Aber jetzt bitte das Gedicht<br />

weiter zitieren!“ Und er macht’s:<br />

„‚…dann kommt der Krieg zu dir.‘“<br />

37


Er möchte ANONYM bleiben: Hauptmann, elf Mal in Afghanistan, PTBS-Diagnose im Jahr 2013.<br />

Er wurde einen<br />

Tag nach der<br />

Raketenexplosion<br />

ausgeflogen.<br />

38<br />

Soldat daheim: Er wollte nicht, dass<br />

irgendetwas über ihn BEKANNT<br />

wird. Trotz der Bereitschaft,<br />

sich fotografieren zu lassen.


Sie will ihren Namen nicht nennen: 2008 Soldatin im Kosovo, 2010 in KUNDUZ. Heute Oberstabsärztin.<br />

Er wurde einen Tag nach der Raketenexplosion ausgeflogen.<br />

Im Herbst 2002 wird bei ihm das diagnostiziert, für das es ein<br />

so klug klingendes wie abstraktes Wort gibt: posttraumatische<br />

Belastungsstörung. Abgekürzt: PTBS. 2003 und 2005 geht es<br />

zu weiteren Einsätzen nach Kabul. Dann bricht in den folgenden<br />

Jahren die PTBS immer wieder mit Macht aus, ist<br />

auch durch ständiges Überarbeiten und viel Alkohol kaum<br />

mehr einzudämmen. Die Zeit, für die er sich für die Bundeswehr<br />

verpflichtet hat, endet. Er will bei der Bundeswehr bleiben,<br />

denn eine Rückkehr in einen zivilen Beruf, in dem sich<br />

seine Erkrankung nicht einfach auflösen würde, ist für ihn<br />

keine Option: „Ein guter Freund von mir hat schließlich von<br />

Hartz IV gelebt. Diesen Weg wollte ich nicht gehen.“<br />

Und der schlanke, sehr drahtige Mann mit dem festen<br />

Händedruck und den raspelkurzen Haaren kämpft. Kämpft<br />

um seine Weiterbeschäftigung. Kämpft mit der Bundeswehr,<br />

kämpft mit der Politik, wird Sprecher der Soldaten, die von<br />

der Gesellschaft, die sie losgeschickt hat, erwarten, dass man<br />

sie respektiert, dass man sie hört und dass sie dauerhaft versorgt<br />

werden: „Wir Soldaten wollen integriert werden.“<br />

Mit dieser Botschaft und seinen Erfahrungen im Gepäck gibt<br />

er zahlreiche Interviews, spricht mit Politikern, ist in parlamentrischen<br />

Ausschüssen zu Gast. Er schreibt ein Buch, er<br />

kehrt in Talkshows sein Innerstes nach außen. Und er erreicht<br />

schließlich, dass das für verletzte Soldaten geltende Gesetz<br />

mit dem sperrigen Titel „Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz“<br />

vom Bundestag grundlegend neu gefasst wird:<br />

Heute müssen auch Soldaten mit einem Verletzungsgrad von<br />

30 Prozent weiterbeschäftigt werden – statt vorher mindestens<br />

50 Prozent. Und der bisher willkürlich festgesetzte Stichtag<br />

für diesen Anspruch wird vom 1. Dezember 2002 auf den<br />

1. Juli 1992 zurückdatiert: als für die Bundeswehr die ersten<br />

Auslandseinsätze begannen.<br />

Robert Sedlatzek-Müller sagt: „Unsere Gesellschaft hat<br />

die Wehrpflicht ausgesetzt, okay. Doch heute haben wir mehr<br />

Einsätze als in den Jahren, als es die Wehrpflicht gab.“ Die<br />

Folge sei, dass die Soldaten immer öfter und immer schneller<br />

hintereinander auf Auslandseinsätze geschickt würden. Und<br />

sie dazwischen keine ausreichenden Pausen hätten. Was auch<br />

dazu führe, dass die Soldaten nach dem Einsatz zu Hause<br />

39


Robert Sedlatzek-Müller hat erreicht, dass er trotz seiner PTBS Soldat bleiben kann. Er sagt: „Die Bundeswehr ist ein guter Arbeitgeber.“<br />

„Wir wissen nicht,<br />

wie viele Soldaten<br />

nach ihrem<br />

Einsatz obdachlos<br />

werden.“<br />

Eine posttraumatische Belastungsstörung<br />

kann jeden TREFFEN:<br />

Militärpfarrer Jonathan Göllner<br />

war zuletzt in Kunduz im Einsatz.<br />

40


Lebenslinien<br />

nicht mehr ankämen: „Ich kenne Kameraden, die waren das<br />

achte Mal in Afghanistan. Die wollen immer wieder dorthin,<br />

weil sie hier im Zivilleben nicht mehr richtig klarkommen.“<br />

Und so mahnt er: „Wenn wir nicht aufpassen, züchten wir<br />

uns regelrechte Einsatzjunkies heran.“<br />

Damit es besser gelingen kann, die zurückkehrenden Soldaten<br />

wieder in den ganz normalen Alltag einzubinden, ist er<br />

aktuell dabei, mit dem von ihm gegründeten Verein „Combat-Veteran<br />

(Germany)“ ein Veteranenkonzept zu erarbeiten.<br />

Er weiß, dass schon das Wort „Veteranen“ bei manchem<br />

Kopfschütteln hervorrufen wird. Veteranen – wie klingt denn<br />

das! Doch er schlägt vor, den Blick in andere Länder zu lenken:<br />

Dort gäbe es selbstverständlich ein Mal im Jahr einen<br />

Veteranentag. Und immerhin 380.000 Bundeswehrsoldaten<br />

und -soldatinnen seien in den vergangenen Jahrzehnten unterwegs<br />

gewesen. Also 380.000 Veteranen.<br />

„Die Bundeswehr hat die verschiedenen Probleme erkannt<br />

und ist auf einem guten Weg, auch wenn noch viel zu<br />

tun ist“, sagt er. So werde noch immer nicht ausreichend<br />

erfasst, wie viele Soldaten mit PTBS sich schließlich das Leben<br />

nehmen würden. „Wir wissen auch nicht, wie viele Soldaten<br />

nach ihrem Einsatz sich bei den Tafeln anstellen oder obdachlos<br />

werden.“ So hat er sich um einen Soldaten gekümmert,<br />

der infolge eines Anschlags auf einen Militärbus, in<br />

dem er saß, bei Kiel am Strand lebte: „Er hat erst Hilfe angenommen,<br />

als der Winter kam und es kalt wurde.“ Aktuell bemüht<br />

er sich um einen Soldaten, der irgendwo am Rande der<br />

Lüneburger Heide am Waldrand haust und den Weg zurück<br />

ins normale Leben nicht findet. Als bei der Bundeswehr angestellter<br />

„Lotse für Einsatzgeschädigte“ ist er auch Ansprechpartner<br />

für die Angehörigen der Soldaten: „In der Regel<br />

kommen die fünf Minuten vor zwölf, wenn die Probleme<br />

zu Hause nur noch aus dem Ruder laufen.“<br />

Sedlatzek-Müller selbst arbeitete zunächst nach dem<br />

„Hamburger Modell“, ein Reha-Konzept, das es ihm erlaubte,<br />

so viel am Tag zu arbeiten, wie er an dem Tag schaffte.<br />

Seit einem Jahr ist er wieder regulär im Dienst. Seine PTBS<br />

wird bleiben. Er sagt: „Als Soldat spreche ich bei mir von<br />

einer Verwundung. Im zivilen Leben nenne ich es eine<br />

Behinderung.“ Denn das, was er erlitten habe, werde nicht<br />

weggehen. Sein ganzes noch folgendes Leben nicht. •<br />

Zwei Jahre lang hat der Berliner Fotograf Jakob Ganslmeier an<br />

seiner Fotostrecke „Trigger“ über traumatisierte Soldaten gearbeitet.<br />

Er fragte sich im Rahmen seiner Abschlussarbeit an der Fotoschule<br />

„Ostkreuz“: Wer sind die deutschen Soldaten, die auf Auslandseinsätze<br />

gehen? Und ihm war aufgefallen, dass im amerikanischen<br />

Kino schon seit den 70er-Jahren der traumatisierte Rückkehrer immer<br />

wieder Thema war. Als Erstes lernte er Robert Sedlatzek-Müller<br />

kennen – während eines extremen Hindernislaufes bei eisigen<br />

Temperaturen. Danach besuchte er weitere sechs Soldaten und<br />

Soldatinnen im Dienst und auf Krankenstationen, traf sie privat.<br />

Er nahm an Übungen, großen Manövern und Einsatzbesprechungen<br />

teil und erhielt als Zivilist intime Einblicke in das Soldatenleben.<br />

Weitere Fotos der Serie können auf seiner Homepage<br />

www. jakobganslmeier.com betrachtet werden.<br />

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41


Rubrik<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>275</strong>/ JANUAR <strong>2016</strong><br />

So schön kann Weihnachten sein: An riesigen, festlich gedeckten Tafeln<br />

in der FISCHAUKTIONSHALLE fanden Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer<br />

und andere Obdachlose und Bedürftige Platz.<br />

„So muss<br />

eine Feier sein!“<br />

Mithilfe von alsterradio, Rewe und vielen Ehrenamtlichen haben<br />

400 Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer und Obdachlose eine tolle Weihnachtsfeier erlebt.<br />

Dabei hatten auch die Helfer in der Fischauktionshalle ihren Spaß.<br />

TEXT: SYBILLE ARENDT<br />

FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

Schon von draußen sieht die Fischauktionshalle total festlich<br />

und einladend aus. Durch die großen Scheiben des Backsteinbaus<br />

sind weihnachtlich gedeckte Tafeln und riesige silberne<br />

Kerzenleuchter zu sehen. Unsere 400 Gäste können es<br />

kaum erwarten, hineinzukommen. „Wow, echte Kerzen!“, ist<br />

zu hören, sobald die Kartenkontrolle endlich geschafft ist.<br />

Und nicht nur das: Die Deko und Atmosphäre sind so feierlich,<br />

dass man auch den Vorstand einer deutschen Großbank<br />

hier ohne Weiteres platzieren könnte. Anzugträger sucht<br />

man heute jedoch vergeblich. Diese Gäste tragen Rauschebart<br />

und Rucksack, Jeans statt Jackett. „Wenn ihr dunkle Anzüge<br />

und Abendkleid tragen würdet, könntet ihr nicht schöner<br />

aussehen“, ruft es von der Bühne. Sänger Peter Sebastian<br />

hat das Showprogramm eröffnet. Begeistert klatschen die<br />

Männer, Frauen und Kinder den Takt. Der Auftritt kommt<br />

gut an. Holger, Verkäufer aus Duvenstedt, ist zum ersten<br />

42


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Freunde<br />

Mal in der Fischauktionshalle. „Ich finde die Atmosphäre<br />

toll.“ Sein Nachbar Jörg schließt sich an. „Es sieht so gemütlich<br />

aus durch die Kerzen.“ Als Autogrammjäger hofft der<br />

Hinz&Künztler, auch noch den einen oder anderen Promi<br />

treffen zu können. Rainer lässt sich gleich mit Regina Halmich<br />

fotografieren. Die ehemalige Boxerin ist eine von vielen, die<br />

hier sind, um den Hinz&Künztlern ehrenamtlich einen schönen<br />

Abend zu verschaffen. Sie ist zum Servieren eingeteilt:<br />

„Ich finde es toll, dass man nicht erkennen kann, ob es eine<br />

Promi-Gala oder eine Feier für Obdachlose ist.“ Auch Schauspieler<br />

Nik Breidenbach steht schon bei der Vorspeise parat.<br />

Im Gegensatz zu Regina Halmich ist er zum ersten Mal dabei.<br />

„Ob es mit dem Kellnern so gut klappt, werden wir sehen.<br />

Aber Schauspieler sind ja die besten Kellner“, frotzelt er.<br />

Ermöglicht haben den Abend alsterradio und Rewe. Die<br />

Supermarktkette hat durch seine Pfandsammelboxen 14.000<br />

Euro zusammenbekommen! Außerdem stellt das Unternehmen<br />

Lebensmittel und Leute: „Die Dankbarkeit der Verkäufer<br />

ist der Lohn für unser Engagement“, so Rewe-Bezirksmanager<br />

Jens Timm, der mit einem vielköpfigen Team hier aufgelaufen<br />

ist, um zu dekorieren und zu servieren. Der Geschäftsführer<br />

freut sich besonders darüber, dass er schon seinen<br />

Stammverkäufer vom Elbe-Einkaufszentrum unter den<br />

Gästen entdeckt hat.<br />

Auch andere überraschende Begegnungen gibt es an diesem<br />

Abend. Denis, der Sohn von Verkäuferin Valentina zeigt<br />

auf einmal ganz aufgeregt auf die Bühne: Dort singt der<br />

Gospelchor Nienstedten Weihnachtslieder. Denis hat seine<br />

Lehrerin unter den Sängern entdeckt. Nach dem Auftritt<br />

begrüßt Christina Hasselmann den Kleinen herzlich.<br />

Da nicht wenige Kinder unter den Gästen sind, darf auch<br />

der Weihnachtsmann nicht fehlen. Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer<br />

Peter zieht sein rotes Kostüm über und verteilt Stofftiger. Neben<br />

den festlich gedeckten Tafeln steht mit roter Servierschürze<br />

Ingo Pohlmann und träumt vor sich hin. Dabei soll er doch<br />

bald auf die Bühne und muss sich noch einsingen. Aber es<br />

sieht so schön weihnachtlich aus, dass der Künstler sich kaum<br />

lösen mag. Über die Verkäufer spricht Pohlmann voller Bewunderung:<br />

„Ich habe keine Ahnung, wie man die Energie<br />

aufbringen kann, sich selbst aus dem Dreck zu ziehen.“ Auch<br />

seine Stammverkäuferin vor Edeka in Winterhude nötigt ihm<br />

Respekt ab. „Sie steht da jeden Morgen schon ab 7 Uhr und<br />

verkauft Zeitungen – und zwar mit einem Lächeln auf den<br />

Lippen!“ Vor Pohlmann ist noch Cäthe dran. Die Hamburger<br />

Sängerin mit der markanten Stimme ist schon zum dritten<br />

Mal dabei. Aus Überzeugung: „Ich kann mich gut hineinfühlen<br />

in Leute, die alles verloren haben.“<br />

Inzwischen ist auch das Dessert verputzt. Alsterradio-<br />

Moderatorin Maren Bockholdt setzt zur letzten Moderation<br />

an. In der Hand hält sie ein Fläschchen Nagellack. „Das habe<br />

ich gerade von einem Verkäufer bekommen, vielen Dank“,<br />

sagt sie gerührt ins Mikrofon. „Die Weihnachtsfeier ist für<br />

uns alle im Sender hier ein Fest“, so die Radiofrau. Sie hat<br />

früher sogar bei „Hilfspunkt“ Brote für Wohnungslose geschmiert.<br />

Alsterradio-Geschäftsführer Jörg Reitmann spricht<br />

für alle, wenn er sagt: „Wir machen das immer total gerne –<br />

die Obdachlosen haben es verdient.“<br />

Es ist kurz vor 21 Uhr, die Hinz&Künztler werden unruhig.<br />

Für sie kommt jetzt der wichtigste Programmpunkt des<br />

Abends: die Geschenketüten. Alle strömen zum Ausgabetresen.<br />

Wie beim Einlass entsteht ein ziemliches Gedränge.<br />

Aber natürlich steht für jeden eine große Tasche mit nützlichen<br />

Dingen wie Mütze, Handschuhe und Taschenlampe<br />

bereit. 400 zufriedene Gäste machen sich auf den Heimweg.<br />

50 zufriedene Helfer machen sich ans Aufräumen (wer noch<br />

alles geholfen hat, siehe Seite 45). Organisator Sven Flohr, der das<br />

ganze Jahr über emsig diesen Abend vorbereitet hat, bringt<br />

es auf den Punkt: „So muss eine Feier sein!“ •<br />

Feier gut, alles gut! Nicht nur Loredana und Vasile genossen die Feier,<br />

auch Töchterchen Sara kam auf ihre Kosten. Bild Mitte: Hinz&Künztler<br />

Rainer ließ sich erst mal mit Boxlegende Regina Halmich fotografieren,<br />

die schon zum dritten Mal bei „Mehr als eine warme Mahlzeit“ half.<br />

Auch sie hatten SPASS (unten): Sky-Moderator Rolf Fuhrmann,<br />

Schauspieler Nik Breidenbach und Uwe Borutta.<br />

43


Freunde<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>275</strong>/ JANUAR <strong>2016</strong><br />

So viele Menschen haben mitgeholfen,<br />

damit die WEIHNACHTSFEIER<br />

„Mehr als eine warme Mahlzeit“ in der<br />

Fischauktionshalle ein voller Erfolg wurde.<br />

Viel mehr als eine<br />

warme Mahlzeit!<br />

Festlich gedeckte Tische, romantisches Kerzenlicht, ein tolles<br />

Essen, ein Mega-Showprogramm – und eine prall gefüllte<br />

Weihnachtstüte – die Weihnachtsfeier hatten alsterradio,<br />

REWE, die Fischauktionshalle und viele Promis gestemmt.<br />

FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

Isabel Schwartau ist noch immer ganz beseelt: „Ein so festliches Ambiente<br />

und eine so große Wertschätzung der Gäste!“, schwärmt die Öffentlichkeitsarbeiterin<br />

von Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Klar, wir haben schon viele Weihnachtsfeiern<br />

für Hinz&Künztler, Obdachlose und Bedürftige erlebt, viele davon<br />

selbst organisiert. Aber genau das wurde in den vergangenen Jahren richtig<br />

schwer: Wir haben immer mehr Verkäufer, aber weniger Sponsoren.<br />

Ständig mussten wir – gerade für die Weihnachtstüten – zukaufen.<br />

Dank alsterradio, dessen Eventagentur perfect:media um Sven Flohr<br />

und dem REWE-Team um Jens Timm gibt es diese Probleme seit drei Jahren<br />

nicht mehr. Neu ist die Fischauktionshalle als perfekte Location! Deren<br />

Mitarbeiter waren – zusammen mit den helfenden Promis – unschlagbar.<br />

„Die haben aufgeräumt, serviert, die Kerzen aufgestellt, alles!“, so Isabel<br />

Schwartau. „Wirklich beeindruckend.“ Tausend Dank! ABI<br />

•<br />

Wer noch geholfen hat: siehe S. 45. Mehr Fotos: www.huklink.de/weihnachtsfeier<br />

Sven Flohr von der Eventagentur perfect:media (Bild Mitte,<br />

schwarzes Hemd) steckt viel HERZBLUT in die Organisation<br />

der Feier. Neben ihm: alsterradio-Chef Jörg Reitmann (links)<br />

und Programmdirektor Florian Wittmann. Unten: Das riesige<br />

REWE-Team um Bezirksmanager Jens Timm (mit Krawatte).<br />

Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk<br />

44


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Freunde<br />

Als die schöne Müllerin<br />

Obdachlose traf …<br />

Was war das für ein berührender<br />

Abend in der St.-Petri-Kirche!<br />

Denn der Autor<br />

und Musikfan Stefan Weiller<br />

hatte den klassischen<br />

Liederzyklus „Die schöne<br />

Müllerin“ von Franz Schubert<br />

mal ganz anders inszeniert<br />

– und die Lieder mit<br />

Lebensgeschichten von<br />

Obdachlosen aus ganz Deutschland konfrontiert. Dazu wurden diese vorher nach<br />

ihrem Liebesglück, dem Liebesunglück und nach ihrer Liebessehnsucht befragt.<br />

In Hamburg waren natürlich Hinz&Künztler Weillers Gesprächspartner. FK •<br />

Hier erfährt man mehr: www.die-schoene-muellerin.com<br />

Dankeschön<br />

JA,<br />

ICH WERDE<br />

MITGLIED<br />

IM HINZ&KUNZT-<br />

FREUNDESKREIS.<br />

Damit unterstütze ich die<br />

Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

Meine Jahresspende beträgt:<br />

60 Euro (Mindestbeitrag für<br />

Schüler/Studenten/Senioren)<br />

100 Euro<br />

Euro<br />

Datum; Unterschrift<br />

Ich möchte eine Bestätigung<br />

für meine Jahresspende erhalten.<br />

(Sie wird im Februar des Folgejahres zugeschickt.)<br />

Meine Adresse:<br />

Wir danken allen, die im Dezember an uns<br />

gespendet haben, sowie allen Mitgliedern<br />

im Freundeskreis von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

für die Unterstützung unserer Arbeit!<br />

DANKESCHÖN EBENFALLS AN:<br />

Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH,<br />

IPHH, wk it services, Hamburger Tafel,<br />

Axel Ruepp Rätselservice, Hamburger Kunsthalle,<br />

bildarchiv-hamburg.de, Firma Ute Orth,<br />

Kultur-Medien-Hamburg GmbH,<br />

Medienpool Extra GmbH,<br />

Jerusalem-Gemeinde Eimsbüttel mit<br />

Pastor Gossmann und Peter Will,<br />

Kampf der Künste/Slam Kultur gGmbH,<br />

Renate Kellner und den Gästen der<br />

Trauerfeier für Peter Hardtmann,<br />

Heinz-Joachim und Gisela Watterodt<br />

Allen, die geholfen haben, die Aufführung von<br />

„Die schöne Müllerin“ gelingen zu lassen:<br />

Stefan Weiller, Hauptkirche St. Petri:<br />

Pastor Störmer, Pastor Seemann,<br />

Dagmar Loga-Haenel, Martin Meier,<br />

Dagmar Manzel, Gustav Peter Wöhler,<br />

Tilo Werner, Claus Bantzer, Harvestehuder<br />

Kammerchor, Druckerei SCHARLAU GmbH,<br />

Andere Zeiten, Baseler Hof, Stiftung Winterreise,<br />

Gemeinnützige Treuhandstelle Hamburg,<br />

den Hinz&Künztlern, die als Interviewpartner<br />

zur Verfügung standen sowie dem<br />

Ehrenamtlichenteam von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

Für die Gestaltung der Weihnachtsfeier<br />

„Mehr als eine warme Mahlzeit“ bedanken<br />

wir uns bei: alsterradio, Fischauktionshalle,<br />

REWE mit Jens Timm und seinem Team,<br />

Hella Mineralbrunnen, PSD Bank Nord,<br />

Sparda Bank, Medimax, Darboven,<br />

Hamburger Hochbahn, Hamburg<br />

Showtechnik, hydrophil, Hallo Pizza,<br />

Hard Rock Cafe, Beiersdorf, Shell,<br />

Ingo Pohlmann, Cäthe, Regina Halmich,<br />

Peter Sebastian, David und Götz,<br />

Rolf Fuhrmann, Viola Möbius,<br />

Fernanda Brandao, Silva Gonzalez mit Band<br />

„Hot Banditoz“, Tim Koller, Gospelchor<br />

Nienstedten, Harry Schulz, Stefan Schnoor,<br />

Anthony Bauer Jr., Jan-Phillipp Kalla,<br />

Robin Himmelmann, David Wolf,<br />

Jörg Reitmann und Florian Wittmann sowie<br />

dem Team von alsterradio, Sven Flohr und<br />

Antje Peschuk sowie dem Team von<br />

perfect media und dem Verein Frauen<br />

in Verantwortung (FinV)<br />

Für „Spenden statt Schenken“ zugunsten<br />

von Hinz&<strong>Kunzt</strong> bedanken wir uns bei:<br />

xpertum, Arbeitsgemeinschaft Hamburger<br />

Schiffsbefestiger, Architekturbüro<br />

Roger Steinbach, MGF Gartenstadt Farmsen,<br />

Onlineagentur schokoladenseite<br />

sowie dem HSV<br />

NEUE FREUNDE:<br />

Gisela Achinger, Elke und Uwe Albert,<br />

Birgit und Rüdiger Bräuer, Jens Erich Burg,<br />

Gerd Garbers, Brigitte Genthner, John Heaven,<br />

Eckhard Karrasch, Sebastian Lehmann,<br />

Uwe Lemm, Ursula Mönnich, Sabrina<br />

Reddehase, Marga Ritscher, Ursula Roehrs,<br />

Gabriele Schädle, Tim Suchanek, Uwe Werner<br />

Name, Vorname<br />

Straße, Nr.<br />

PLZ, Ort<br />

Telefon<br />

E-Mail<br />

Beruf<br />

Geburtsjahr<br />

Einzugsermächtigung:<br />

Ich erteile eine Ermächtigung zum<br />

Bankeinzug meiner Jahresspende.<br />

Ich zahle: halbjährlich jährlich<br />

IBAN<br />

BIC<br />

Bankinstitut<br />

Wir versichern, dass Ihre Angaben nur für interne<br />

Zwecke bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> verwendet werden. Ihre<br />

Mitgliedschaft im Freundeskreis ist jederzeit kündbar.<br />

Bitte Coupon ausschneiden und senden an:<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreis<br />

Altstädter Twiete 1-5, 20095 Hamburg<br />

Oder online im Freundeskreis anmelden unter<br />

www.hinzundkunzt.de/so-koennen-sie-helfen/<br />

45<br />

HK <strong>275</strong>


Buh&Beifall<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>275</strong>/ JANUAR <strong>2016</strong><br />

Was unsere Leser meinen<br />

„Es ist sehr anstrengend, immer unterwegs sein zu müssen“<br />

Alles muss man selbst machen<br />

H&K 274, Winternotprogramm<br />

Ich frage mich allen Ernstes, warum<br />

Obdachlose ihre Schlafplätze am<br />

Tag verlassen müssen. Wie Torsten, einer<br />

der „Pfefferkuchen-Häuslebauer“,<br />

äußert, ist es sehr anstrengend, immer<br />

unterwegs sein zu müssen. Die Argumente,<br />

„die Betten müssen gemacht<br />

werden“ oder „dass andernfalls das Bett<br />

gar nicht mehr aufgegeben würde“, sind<br />

sehr fadenscheinig. Warum soll ein Obdachloser<br />

nicht einmal einen Tag in seinem<br />

Bett bleiben können? ULRIKE LIMPACH<br />

Die schöne Müllerin<br />

H&K 273, Schubert-Abend für Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

Der Abend erinnerte mich daran,<br />

dass auch Franz Schubert ein armer<br />

Mensch ohne eigenes Zuhause war und<br />

seine Lieben nicht erwidert wurden. Die<br />

Verknüpfung seines Schicksals mit dem<br />

heutiger Obdachloser und die Erwartung<br />

Schuberts berührender Musik<br />

waren für mich der Antrieb, in die Petri-<br />

Kirche zu gehen. ROSWITHA STEINVORTH<br />

„Es geht um die Geste“<br />

H&K Allgemein<br />

Neulich vor Edeka in der Hallerstraße.<br />

Beim Verlassen des Geschäfts<br />

bietet mir ein Hinz&Künztler die neue<br />

Ausgabe an. Ich nehme sie, wühle in<br />

meiner Geldbörse und finde nur noch<br />

1,24 Euro, bestehend aus lauter Kleingeld.<br />

Bedauernd möchte ich ihm das<br />

Magazin zurückgeben. Doch der Mann<br />

schüttelt heftig den Kopf: „Es geht um<br />

die Geste. Dass Sie überhaupt bereit<br />

waren, Hinz&<strong>Kunzt</strong> zu kaufen, uns zu<br />

unterstützen.“ Es ist mir peinlich. Ich<br />

biete ihm an, nach Hause zu gehen und<br />

den Restbetrag zu holen. „Das ist genau,<br />

was ich nicht will“, beteuert er<br />

nochmals, drückt mir beinahe heftig<br />

das Heft in die Hand, wendet sich dem<br />

nächsten Kunden zu. Ich brauche<br />

eine Weile, ihn zu verstehen und damit<br />

klar- zukommen.<br />

DAGMAR GEHM<br />

Preiserhöhung<br />

H&K Allgemein<br />

Leider fürchte ich, dass mit den<br />

2,20 Euro eine psychologische Grenze<br />

überschritten worden ist. Bei mir, glaube<br />

ich, ist das der Fall. Zwei Euro kann<br />

ich immer ohne größeres Nachdenken<br />

geben, aber schon der kleine Sprung zu<br />

den 2,50 Euro macht daraus eine heikle<br />

Sache. Nun, Sie werden ja merken,<br />

ob es anderen Menschen auch so wie<br />

mir geht.<br />

MARC ALBANO<br />

Leserbriefe geben die Meinung des Verfassers<br />

wieder, nicht die der Redaktion. Wir behalten<br />

uns vor, Leserbriefe zu kürzen.<br />

HAMBURGER NEBENSCHAUPLÄTZE<br />

DER ETWAS<br />

ANDERE<br />

STADTRUNDGANG<br />

Wollen Sie Hamburgs City einmal mit anderen Augen sehen?<br />

Abseits der teuren Fassaden zeigt Hinz&<strong>Kunzt</strong> Orte, die in<br />

keinem Reiseführer stehen: Bahnhofs mission statt Rathausmarkt,<br />

Drogenberatungsstelle statt Alsterpavillon, Tages aufent halts stätte<br />

statt Einkaufspassage.<br />

Anmeldung: info@hinzundkunzt.de<br />

oder Telefon: 040/32 10 83 11<br />

Kostenbeitrag: 10/5 Euro,<br />

nächste Termine: 10. + 24.1.<strong>2016</strong>, 15 Uhr<br />

CAP SAN DIEGO<br />

Weltweit größter fahrtüchtiger<br />

Museumsfrachter<br />

<br />

<br />

Unsere aktuellen Tagesfahrten in <strong>2016</strong><br />

<br />

Fahrt durch die Schleuse in Bremerhaven,<br />

Fahrt auf der Weser bis Bremen, dort drehen,<br />

Fahrt auf der Weser bis Bremerhaven zurück<br />

<br />

Fahrt elbabwärts bis max. Glückstadt,<br />

Drehmanöver auf der Elbe, Teilnahme an der<br />

Einlaufparade<br />

<br />

Fahrt elbabwärts<br />

<br />

<br />

Fahrt auf dem Nord-Ostsee-Kanal<br />

<br />

Fahrt auf dem Nord-Ostsee-Kanal, Holtenau<br />

Schleuse, Fahrt auf der Kieler Förde<br />

<br />

Fahrt auf der Kieler Förde, Holtenau Schleuse,<br />

Fahrt auf dem Nord-Ostsee-Kanal<br />

<br />

<br />

Schleuse, Fahrt auf der Elbe<br />

<br />

Fahrt elbaufwärts, Drehen im Hamburger Hafen<br />

Weitere Infos und Buchung:<br />

www.capsandiego.de, Tel.: 040 / 36 42 09


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Wir machen Musik: Ulrich Tukur & Die Rhythmus Boys spielen für Hinz&<strong>Kunzt</strong> (S. 48).<br />

Wir richten an: Unsere Köchin des Monats Sabrina empfi ehlt einen Fleischeintopf à la Oma (S. 56).<br />

Wir geben nicht auf: Hinz&Künztler Reinhard erkämpft sich sein Leben neu (S. 58).<br />

Der INNENARCHITEKT Assem<br />

Rahima hat Bilder seiner Flucht<br />

aus Syrien gemalt. Zu sehen ab dem<br />

15. <strong>Januar</strong> im Gängeviertel – und<br />

ein paar bei uns im Veranstaltungs-<br />

teil (ab S. 52 und Tipp S. 54).<br />

FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE


Sänger, Schauspieler,<br />

Schellackplattenliebhaber:<br />

Ulrich Tukur ist zwar nach<br />

außen das ZUGPFERD,<br />

aber tatsächlich ein wahrer<br />

Teammensch.


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

„Die Straße war meine<br />

Schauspielschule“<br />

Sie nennen sich die „älteste Boygroup der Welt“ und feierten jüngst ihr 20-jähriges<br />

Bühnenjubiläum. Am 26. <strong>Januar</strong> spielen Ulrich Tukur & Die Rhythmus Boys<br />

ein „Best-of“-Benefizkonzert für Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Vorab haben wir mit ihnen über ihre<br />

Anfänge auf der Straße, Streitkultur und Furzkissen gesprochen.<br />

TEXT: SIMONE DECKNER<br />

FOTOS: DANIEL CRAMER<br />

HINZ&KUNZT: Herr Tukur, Sie besitzen<br />

weit über 1000 Schellackplatten. Ihre<br />

Begeisterung für die Musik der 30er-Jahre<br />

soll eine Frau ausgelöst haben: Ihre Tante.<br />

ULRICH TUKUR: Ja, das stimmt. Zu meiner<br />

Konfirmation hat sie mir einen Stapel<br />

Schellackplatten geschenkt. Ich weiß<br />

nicht, welcher Hafer sie da gestochen<br />

hat: Es war 1972 und solche Musik war<br />

überhaupt nicht populär. Mein Onkel<br />

steuerte ein Koffer-Grammophon bei.<br />

Die erste Platte, die ich mir darauf angehört<br />

habe, hieß „Mondnacht auf Kuba“,<br />

eine unglaubliche Schnulze. Und<br />

dann „A Handful Of Keys“ von Fats<br />

Waller, ein berühmter US-Jazzpianist.<br />

So etwas hatte ich noch nie gehört. Von<br />

da an war ich infiziert. Es war nicht<br />

mehr die Streitfrage: Beatles oder Rolling<br />

Stones? Aber das blieb lange mein<br />

Geheimnis.<br />

Sie hätten vor allem als hoffnungslos<br />

uncool da gestanden.<br />

TUKUR: Genau. Wie hätte ich meinen<br />

Freunden auch erklären können, dass<br />

mir Hans-Albers-Lieder besser gefielen<br />

als die Musik von Deep Purple oder<br />

Led Zeppelin? Erst sehr viel später habe<br />

ich Brüder im Geiste gefunden, die<br />

das auch verstanden haben.<br />

Wann fing das an?<br />

TUKUR: Während unseres Germanistikstudiums.<br />

Ulrich Mayer (Mitbegründer der<br />

Rhythmus Boys, d. Red.) und ich gaben für<br />

eine Seminararbeit Tucholsky-Chansons<br />

zum Besten. Das kam derart gut<br />

an, dass wir damit auf die Straße gingen.<br />

Einer der ersten Sprüche, die wir<br />

dann abbekommen haben, war: „Was<br />

seid ihr denn für Neonazis!“<br />

Weil sie in Knickerbocker aufgetreten sind?<br />

ULRICH MAYER: Nein, weil wir nur deutsche<br />

Musik aus den 30er-Jahren gespielt<br />

haben.<br />

Stichwort Straßenmusik: Was haben Sie in<br />

dieser Zeit gelernt?<br />

MAYER: Die Straße ist wunderbar und<br />

gnadenlos zugleich. Du kannst einfach<br />

stehen gelassen werden. Du musst es also<br />

schaffen, dass die Leute da bleiben.<br />

GÜNTER MÄRTENS: Mir ist auf der Straße<br />

mal ein Glas Bier ins Gesicht geschüttet<br />

worden von jemandem, der nicht so begeistert<br />

war. Damit musst du irgendwie<br />

umgehen. Du darfst dir keine Blöße geben,<br />

musst Haltung bewahren.<br />

TUKUR: Die Straße war meine Schauspielschule<br />

und viel mehr: Man lernt, spontan<br />

zu sein, man lernt zu improvisieren.<br />

49<br />

Wie bleibt man als Band 20 Jahre<br />

zusammen, ohne sich zu hassen?<br />

KALLE MEWS: Wir reden viel miteinander.<br />

Und wir streiten auch.<br />

Die Rhythmus Boys sind eine kommunikationsstarke<br />

Kapelle?<br />

MEWS: Ja, und das, obwohl wir sehr gegensätzliche<br />

Typen sind. Günter und<br />

ich, der Größte und der Kleinste, wir<br />

geraten manchmal ganz schön aneinander.<br />

Aber durch unsere Verschiedenheit<br />

können wir uns auch auf wunderliche<br />

Weise gegenseitig inspirieren.<br />

Nervt es trotzdem, wenn der bekannte<br />

Schauspieler Tukur oft im Mittelpunkt steht?<br />

MÄRTENS: Tukur ist natürlich das Zugpferd.<br />

Wobei wir uns auch in den vergangenen<br />

20 Jahren als Rhythmus Boys<br />

ein Publikum erspielt haben. Aber Uli<br />

kann sich da auch tatsächlich einordnen.<br />

Wenn Stücke ausgesucht werden, sagt er<br />

niemals: „Das wird gemacht!“ Wir sind<br />

wirklich eine Band, nicht nur ein Bandleader<br />

mit irgendwelchen Musikern.<br />

TUKUR: Ich bin ein Ensemble-Mensch,<br />

nur so gut, wie die Menschen, mit denen<br />

ich arbeite. Ich möchte nicht permanent<br />

im Zentrum stehen. Macht positionen<br />

waren mir immer peinlich.


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>275</strong>/ JANUAR <strong>2016</strong><br />

Ihr aktuelles Album heißt „Let’s Misbehave“,<br />

also: Benehmt euch daneben! Glauben Sie,<br />

dass es bei der ganzen politischen Korrektheit<br />

heute umgekehrt eine Sehnsucht nach Regelverstoß<br />

gibt?<br />

MÄRTENS: Unbedingt! Dass ist wirklich ein<br />

Ärgernis, dass du heute bei jedem<br />

Schritt reglementiert wirst. Ständig<br />

wird dir der erhobene Zeigefinger entgegengehalten.<br />

Das wollten wir ein bisschen<br />

aufbrechen. Eigentlich hat doch<br />

auch jeder Mensch die Neigung dazu,<br />

Regeln zu brechen.<br />

MEWS: Wir Musiker mussten auch über<br />

unseren Schatten springen und sagen:<br />

„Lass doch mal den falschen Ton drin.“<br />

Spricht genau das die Menschen an<br />

in einer Welt, in der sich alle unentwegt<br />

selbst optimieren?<br />

MEWS: Meine Tochter hat mal mitbekommen,<br />

dass wir es bei einem Auftritt bei<br />

einem Stück nicht geschafft haben, den<br />

Background-Chor zu singen. Ich hatte<br />

im Publikum eine ältere Dame gesehen,<br />

die über einen schmutzigen Witz von<br />

Tukur fassungslos gelacht hat. Sie hatte<br />

die Hände vors Gesicht geschlagen,<br />

und ich sah nur die Schultern zucken<br />

und dann habe ich auch das ganze<br />

Stück über gelacht. Meine Tochter<br />

fragte mich danach: „Sag mal, Papa,<br />

dieses eine Stück, wo du so gelacht hast,<br />

das war ja gut! Habt ihr das geplant?“<br />

Das war im Grunde ein echtes Geschenk<br />

für die Situation.<br />

MÄRTENS: Es geht ja darum, dass die Leute<br />

sich amüsieren, dass sie gut gelaunt<br />

rausgehen und dass sie glücklich sind in<br />

den zwei Stunden, die sie da sind.<br />

Nicht nur Ulrich Tukur, alle Rhythmus<br />

Boys sind eng mit Musik und Schauspielerei<br />

verbunden. Wenn jetzt eine Fee kommen<br />

und fragen würde: Musik oder Spiel?<br />

MÄRTENS: Musik. Gar keine Frage. Die<br />

Musik hat mir eigentlich schon mal fast<br />

das Leben gerettet.<br />

50<br />

In welcher Situation?<br />

MÄRTENS: Ich hatte mich mal als Jugendlicher<br />

ziemlich verirrt. Damals bin ich im<br />

Drogensumpf fast abgesoffen. Irgendwann<br />

bin ich an den Punkt gekommen,<br />

mich zu fragen: Was will ich jetzt eigentlich?<br />

Will ich mich weiter mit Drogen<br />

ruinieren? Oder mache ich jetzt<br />

was dagegen und tue das, was ich wirklich<br />

will, nämlich: Musik machen.<br />

Wie kam es denn zu der Entscheidung<br />

für die Musik?<br />

MÄRTENS: Ich war am Abstürzen, hatte sogar<br />

schon einen Suizidversuch hinter<br />

mir. Meine Familie und Freunde wurden<br />

immer unglücklicher. Ich wurde gemocht,<br />

aber keiner konnte mir mehr<br />

helfen. Dann war mir irgendwann klar:<br />

Jetzt bist du mal gefragt, eine Entscheidung<br />

zu treffen! Eigentlich ist mir der<br />

Schritt dann auch leicht gefallen. Ich<br />

habe damals eine Therapie gemacht,<br />

die ging zwei Jahre. Und vom ersten<br />

Tag an wusste ich, das ist genau der<br />

richtige Weg.<br />

TUKUR: Ich würde auch die Musik nehmen.<br />

Das macht mir am meisten Spaß.<br />

Musik geht direkt in die Herzen der<br />

Menschen und verbindet Kulturen. Sie<br />

ist für mich die Königin der Künste.<br />

Damit fing es ja auch alles an: Erst war<br />

der Rhythmus da.<br />

MAYER: Erst kam der Rhythmus und dann<br />

der Boy (lacht).


Wie wichtig ist Humor für Ihr<br />

Selbstverständnis als Künstler?<br />

MÄRTENS: Sehr wichtig. Man muss eine gewisse<br />

Selbstironie haben, eine Distanz<br />

zu sich selbst. Dann kann man erkennen,<br />

was für eine lächerliche Figur man<br />

manchmal so abgibt. Genau das musst<br />

du zu deiner Stärke machen. Das ist im<br />

Grunde das, was wir auf die Bühne stellen:<br />

Eigentlich sind wir eine Band von<br />

lächerlichen Figuren, die aber diese Lächerlichkeit<br />

kultiviert haben und damit<br />

die Leute unterhalten.<br />

MEWS: Es gibt ja auch diesen optischen<br />

Orgelpfeifeneffekt bei uns – wir haben<br />

das Glück, dass wir gar nicht viel machen<br />

müssen.<br />

MÄRTENS: Deshalb nennen wir uns ja auch<br />

eine optische Tanzkapelle. Das ist das<br />

Theatralische auf der Bühne. Nur hinstellen<br />

und alte Lieder nachspielen wäre<br />

auch zu wenig.<br />

Benehmen Sie sich auf der Bühne daneben?<br />

MEWS: Bevor wir dem Publikum Vorwürfe<br />

machen , dass sie husten, machen wir<br />

es selber. Manchmal furzen wir auch.<br />

MÄRTENS: Wir haben mal in der ersten<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

51<br />

DIE RHYTHMUS<br />

BOYS in ihrer ganzen<br />

Pracht (von links):<br />

Kontrabassist Günter<br />

Märtens, Schlagzeuger<br />

Kalle Mews und<br />

Gitarrist Ulrich Mayer.<br />

„Wir sind wirklich eine<br />

Band. Nicht nur ein<br />

Band leader mit irgendwelchen<br />

Musikern.“<br />

Reihe ein Furzkissen versteckt. Tukur<br />

hatte eine Fernbedienung dafür. Dann<br />

hatte sich eine Frau hingesetzt, aber<br />

man hat gar nichts gehört, weil es im<br />

Saal zu laut war. Er ist immer dichter<br />

an diese Frau mit seiner Fernbedienung<br />

ran, bis man irgendwann ein ganz leises<br />

Furzgeräusch gehört hat (lacht).<br />

MEWS: Wir lassen uns auch mit Sachen<br />

beschmeißen. Wir haben schon Tomaten<br />

abbekommen …<br />

MÄRTENS: … und irgendwann hat mal einer<br />

einen verwesten Karpfen geworfen.<br />

Das war irgendwo im Badischen. Die<br />

haben ja nur Karpfen, die haben ja keine<br />

echten Fische. (lacht) •<br />

Info: 26.1., Benefiz-Konzert für Hinz&<strong>Kunzt</strong>,<br />

St. Pauli–Theater, 19.30 Uhr,<br />

Moderation: Judith Rakers. Karten von<br />

19,90 bis 79,90 Euro. Für 159,90 Euro<br />

können Sie Karten der Kategorie<br />

„Meet & Greet“ kaufen und damit nach<br />

der Vorstellung die Künstler in der<br />

Theaterbar treffen. Kartenvorverkauf unter<br />

www.st-pauli-theater.de oder über das<br />

Kartentelefon 040/47 11 06 66 sowie an<br />

allen bekannten Vorverkaufsstellen.<br />

<br />

BAABA MAAL<br />

<br />

MAX RAABE & PALAST ORCHESTER<br />

<br />

<br />

KLAUS HOFFMANN<br />

<br />

<br />

SE + IR<br />

<br />

<br />

WLADIMIR KAMINER<br />

<br />

<br />

THE GOSPEL PEOPLE<br />

<br />

<br />

ANDREAS BOURANI<br />

<br />

HENRY ROLLINS<br />

<br />

<br />

DER KLEINE PRINZ<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

ANGEL HAZE<br />

<br />

<br />

STAATLICHES RUSSISCHES BALLETT<br />

MOSKAU - SCHWANENSEE<br />

<br />

THE MACCABEES<br />

<br />

CÄTHE<br />

<br />

<br />

CHINESISCHER NATIONALCIRCUS<br />

<br />

<br />

<br />

DISCLOSURE<br />

<br />

DEICHKIND<br />

<br />

<br />

CHARLIE CUNNINGHAM<br />

<br />

CARMINHO<br />

<br />

<br />

KONSTANTIN WECKER<br />

<br />

<br />

ROBIN SCHULZ<br />

<br />

TICKETS:<br />

KARSTEN JAHNKE<br />

<br />

GMBH<br />

<br />

KJ.DE


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>275</strong>/ JANUAR <strong>2016</strong><br />

Szenen einer<br />

FLUCHT: Die Bilder<br />

auf diesen Seiten sind<br />

von Assem Rahima<br />

(Tipp S. 54).<br />

Tipps ( 1)<br />

1. bis 15. <strong>Januar</strong> <strong>2016</strong><br />

MUSIK<br />

Baaba Maal heizt ein<br />

In seiner senegalesischen Heimat ist<br />

Baaba Maal ein Superstar. Auch in Europa<br />

hat der Sänger eine treue Fangemeinde.<br />

Das liegt an der originellen Mischung<br />

aus afrikanischer und westlicher<br />

elektronischer Musik sowie der enormen<br />

Bühnenpräsenz. Wenn Maal gut<br />

drauf ist – und das ist er fast immer –,<br />

wird der Konzertsaal zu einem Hexenkessel.<br />

Dafür sorgen vor allem die<br />

hervorragenden Percussionisten: Mit<br />

der Djembé oder mit der Tama, einer<br />

mit Echsenhaut bespannten Trommel,<br />

zaubern sie unglaubliche Rhythmen.<br />

Baaba Maal singt dazu und spielt<br />

Gitarre. Manchmal tanzt er auch<br />

barfuß über die Bühne. Jetzt stellt der<br />

Musiker sein brandneues elftes Album<br />

„The Traveller“ vor. •<br />

Fabrik, Barnerstraße 36,<br />

Do, 14.1., 20 Uhr, 33 Euro<br />

VORTRAG<br />

Friedrich von Borries diskutiert<br />

über die politische Zukunft<br />

Friedrich von Borries schaut schon von<br />

Berufs wegen gern in die Zukunft. Der<br />

Kunstprofessor und Designtheoretiker<br />

befasst sich mit den großen Fragen<br />

unserer Zeit. „Welches Land wollen<br />

wir sein?“, lautet das Thema, dem er<br />

sich jetzt gemeinsam mit Sieghard<br />

Wilm, Pastor an der St.-Pauli- Kirche,<br />

und Bettina Stucky, Ensemblemitglied<br />

am Schauspielhaus, stellt. Wollen wir<br />

angesichts des islamistischen Terrors<br />

und der Flüchtlingsbewegungen<br />

eine offene Gesellschaft sein oder uns<br />

abschotten? Journalist Christian<br />

Rabhansl moderiert die Diskussion. •<br />

Schauspielhaus, Kirchenallee 39,<br />

Di, 12.1., 20 Uhr, 15/9 Euro<br />

MUSIK<br />

Ben Caplan: wilder Bart<br />

und wilde Musik<br />

Mit seinem gewaltigen Bart und seiner<br />

Hornbrille sieht Ben Caplan aus wie<br />

eine wilde Mischung aus Waldarbeiter<br />

und Professor. Markant ist auch die<br />

Stimme des kanadischen Sängers und<br />

Songwriters: Er hat den Whiskey-<br />

Sound von Tom Waits genauso drauf<br />

wie den Soul von Tom Jones. Das passt<br />

zu der enormen stilistischen Bandbreite<br />

von Caplans Songs: Von Folk-Balladen<br />

bis zu Rock-Nummern ist alles<br />

dabei. Eine Kostprobe seiner Musik<br />

und seiner Entertainer- Qualitäten<br />

gibt der ehemalige Philosophiestudent<br />

jetzt live in Hamburg. •<br />

Nochtspeicher, Bernhard-Nocht-Str. 69a,<br />

Di, 12.1., 20 Uhr, 17,50 Euro<br />

52<br />

VORTRAG<br />

Ein Blick hinter die Kulissen<br />

des Ukraine-Konflikts<br />

Zwei Russland-Experten gehen in einem<br />

gemeinsamen Buch der Frage<br />

nach, warum die deutsche Öffentlichkeit<br />

so gelassen auf den Krieg in der<br />

Ukraine reagiert. „Der Russland-Reflex.<br />

Einsichten in eine Beziehungskrise“ lautet<br />

der Titel. Die Autorin Irina Scherbakowa<br />

ist Germanistin und Bürgerrechtlerin.<br />

Unermüdlich beschäftigt sie sich<br />

mit dem aktuellen und historischen Bild<br />

von Russland und setzt sich für die<br />

Menschenrechte in ihrem Heimatland<br />

ein. Ihr Buchpartner Karl Schlögel hat<br />

schon als Schüler die Sowjetunion<br />

bereist, hat viele Jahre in Moskau gelebt<br />

und vielfach zu Themen der russischen<br />

Geschichte recherchiert. Die beiden<br />

Fachleute lassen ihren engagierten Einsatz<br />

für die deutsch-russische Verständigung<br />

noch einmal Revue passieren und<br />

sprechen kenntnisreich über aktuelle<br />

politische Tendenzen. Die beiden geben<br />

die Hoffnung nicht auf, dadurch Vorurteile<br />

und Stereotypen abzubauen. •<br />

KörberForum, Kehrwieder 12, Do, 14.1.,<br />

19 Uhr, Eintritt frei, Anmeldung erforderlich<br />

unter www.koerberforum.de


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

AUSSTELLUNG<br />

Expressionistische Utopien<br />

BILDER: ASSEM RAHIMA; COLLAGEN: GRAFIKDEERNS<br />

Daniel M Thuraus Bilder bieten einen<br />

wahren Farbenrausch. Der Berliner<br />

Künstler liebt die bunten Farben des<br />

Expressionismus und kombiniert sie<br />

mit übersteigerten Formen und comicartigen<br />

Elementen. „Ich versuche die<br />

sogenannte elitäre und populäre Kultur<br />

miteinander auszusöhnen, indem ich<br />

mit beiden ehrlich bin und Humor als<br />

Verbindungselement verwende“, so der<br />

Künstler. „Utopia Now“ lautet der Titel<br />

seiner neuen Ausstellung. •<br />

Feinkunst Krüger, Kohlhöfen 8,<br />

9.1.–30.1., 19 Uhr, Do+Fr, 12–19 Uhr,<br />

Sa, 12–18 Uhr, Eintritt frei<br />

BÜHNE<br />

Zwischen Politik und Poesie<br />

mit Uta Köbernick<br />

Leise Töne sind die Stärke von Uta<br />

Köbernick. Vielleicht bezeichnet sie<br />

deshalb ihre Lieder als „Widerständchen“?<br />

Mit Sprachwitz und Poesie<br />

verwandelt die Schauspielerin und<br />

Sängerin Alltagsfragen in musikalische<br />

Perlen. Mal geht es um Kindergärten,<br />

mal um Europa-Politik. Musikalisch<br />

begleitet sich die Kabarettistin am<br />

Klavier, mit der Ukulele und der<br />

Gitarre. „Grund für Liebe“ heißt ihr<br />

aktuelles Programm. •<br />

Polittbüro, Steindamm 45,<br />

Sa, 9.1., 20 Uhr, 15/10 Euro<br />

BÜHNE<br />

Lutz von Rosenberg Lipinsky<br />

veräppelt die Angst<br />

„Angst.Macht.Spaß.“ heißt Lutz von<br />

Rosenberg Lipinskys aktuelles Programm.<br />

Die Themen sind zahlreich,<br />

und die Worte fließen bei dem studierten<br />

Theologen in Höchstgeschwindigkeit.<br />

Zwei Stunden spannt der Kabarettist<br />

den Bogen über Fußball, Kultur<br />

und Politik bis hin zu Religion. Gekonnt<br />

und unterhaltsam beweist der<br />

Hamburger dabei, warum wir Deutschen<br />

die Meister der Phobien sind. •<br />

Goldbekhaus, Moorfurthweg 9,<br />

Sa, 9.1., 20 Uhr, 16,50/12 Euro<br />

KINO<br />

Gangster als Popstars<br />

Wer Geschwister hat, ist seltener allein.<br />

Wer einen Zwillingsbruder hat, ist es<br />

nie. Wenn es gut läuft. Der Autor dieser<br />

Zeilen hat einen Zwillingsbruder. Ob<br />

Blut dicker ist als Wasser, mag ich nicht<br />

beurteilen. Eine gemeinsame Eizelle<br />

jedenfalls ist dicker als der Stahlbeton<br />

im AKW. Den Beweis dafür traten die<br />

Kray-Zwillinge an, die als Nachtclub-<br />

Besitzer im London der 60-er ihre<br />

Karriere starteten und diese als echte<br />

Promigangster 1968 beendeten. Und<br />

weil der <strong>Januar</strong> ein trüber Monat ist,<br />

sollte man den Kinofilm „Legend“ in<br />

seine Monatsplanung einbeziehen.<br />

Was da passiert? Gewalt auf jeden Fall.<br />

Das mutet einen am Anfang erst<br />

einmal befremdlich an. Schließlich<br />

wirkt Reginald Kray eher wie Prince<br />

Charming, sein Bruder Ronald wie der<br />

spleenige Sachbearbeiter einer Krankenkasse.<br />

Die Fassade täuscht. Groß<br />

geworden in armen Verhältnissen, beweisen<br />

die Krays eine niedrige Frustrationstoleranz.<br />

Kein Wunder, dass sie<br />

durch Raub und Schutzgelderpressung<br />

schnell ein kriminelles Imperium aufbauten.<br />

Und sie treffen auch den Nerv<br />

der Swinging Sixties: Die Kray-Zwillinge<br />

wurden zu Medienstars. Bis Konkurrenz<br />

und Rechtsstaat einen Pakt<br />

schließen – und die Krays noch ein<br />

letztes Mal zusammenhalten müssen.<br />

Tom Hardy spielt in einer Doppelrolle<br />

Reginald und Ronald Kray beeindruckend<br />

kraftvoll und hintergründig.<br />

Die bösen Jungs wickeln auch den<br />

Zuschauer trotz Brutalität schnell um<br />

den Finger. Der Rest ist gutes Popcorn-<br />

Kino. Mehr muss Kino nicht leisten.<br />

Nicht im <strong>Januar</strong>. Ich muss mal meinen<br />

Bruder fragen, vielleicht gehen wir<br />

gemeinsam … ASCHMI<br />

•<br />

Neu im Kino ab Do, 7.1.<br />

MUSIK<br />

Klänge zwischen<br />

Symphonie und Anarchie<br />

Vier Tage werden die Hörgewohnheiten<br />

in Hamburg mit schrägen Klängen<br />

auf die Probe gestellt. Den Auftakt<br />

bei „Klub Katarakt – Festival für experimentelle<br />

Musik“ macht Christian<br />

Wolff. Der amerikanische Komponist<br />

und John-Cage-Weggefährte präsentiert<br />

„Burdocks“. Das Stück gilt als<br />

Klassiker der experimentellen Musik<br />

und wird als Festival-Auftakt in großer<br />

Besetzung aufgeführt. Ein bisschen<br />

Symphonie, ein bisschen Anarchie:<br />

So ungewöhnlich kann Musik sein. •<br />

Kampnagel, Jarrestraße 20,<br />

Mi, 13.1., 20 Uhr, 15/8 Euro<br />

AUSSTELLUNG<br />

Hamburg ins Gesicht geschaut<br />

Erstmals haben Hamburg Museum,<br />

Altonaer Museum und das Museum<br />

der Arbeit für eine Ausstellung eng zusammengearbeitet.<br />

Rund 400 Bilder<br />

wurden für die Schau „Hamburg ins<br />

Gesicht geschaut. Porträts auf fünf<br />

Jahrhunderten“ zusammengetragen.<br />

Ölbilder, Zeichnungen, Scherenschnitte<br />

und Fotos zeigen die Gesichter von<br />

Siegfried Lenz oder Heidi Kabel, aber<br />

auch die von unbekannten Familien,<br />

Fischern und Handwerkern. Mit Hilfe<br />

einer internetbasierten Datenbank<br />

kann man weitere 700 Porträts anschauen<br />

und spannende biografische<br />

Details dazu lesen. •<br />

Hamburg Museum, Holstenwall 24, bis<br />

22.5.2015, Di–Sa, 10–17 Uhr, So–18 Uhr,<br />

9/5,50, unter 18 Jahren frei, Programm<br />

unter www.hamburg.museum.de<br />

53


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Tipps (2)<br />

16. bis 31. <strong>Januar</strong> <strong>2016</strong><br />

MUSIK<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>275</strong>/ JANUAR <strong>2016</strong><br />

Eigenwillige Sängerin: Cäthe<br />

Cäthe ist eine der interessantesten<br />

Sängerinnen der deutschen Popmusik.<br />

Glamour und Divenhaftes sind der<br />

33-Jährigen fremd. Viele ihrer Songs<br />

sind autobiografisch. So singt sie zum<br />

Beispiel über ihren Stiefvater, der die<br />

Familie verlassen hat. Musikalisch will<br />

sich Cäthe nicht festlegen. Auch auf<br />

ihrem aktuellen dritten Album „Vagabund“<br />

lässt sie mal mit rauer Stimme<br />

Blues-Rock erklingen, mal einen<br />

sanften Folksong. Die sympathische<br />

Sängerin ist jetzt live zu erleben. •<br />

Mojo Club, Reeperbahn 1,<br />

So, 31.1., 20 Uhr, 26,75 Euro<br />

KINO<br />

Electroboy: eine unglaubliche<br />

Geschichte<br />

AUSSTELLUNG<br />

Assem Rahima: Bilder einer<br />

Flucht nach Hamburg<br />

„Zelte, in denen Menschen leben müssen<br />

und nicht Urlaub machen, sind etwas<br />

furchtbar Trauriges“, sagt Assem<br />

Rahima. Der syrische Innenarchitekt<br />

floh, nachdem sein Haus ausgebombt<br />

worden war. Knapp fünf Monate lebte<br />

er in der Erstaufnahme Schnackenburgallee.<br />

Seine Nerven lagen nach der<br />

Flucht blank, und nicht nur seine. „Im<br />

Camp gab es schnell Streit“, sagt er,<br />

„wegen der kleinsten Kleinigkeiten.“<br />

Rahima entzog sich, indem er malte:<br />

die ganze Reise von Homs bis nach<br />

Hamburg. Auf diesen Seiten sehen Sie<br />

einige Bilder, alle 35 Blätter werden im<br />

Gängeviertel ausgestellt. Rahima selbst<br />

geht es inzwischen besser: Über Freunde<br />

hat er eine Wohnung gefunden. •<br />

Raum linksrechts, Valentinskamp 37,<br />

Vernissage: 15.1., 18 Uhr; Dauer:<br />

16.–24.1., Fr–So, 15–18 Uhr und nach<br />

Vereinbarung, Eintritt frei<br />

VORTRAG<br />

Wie glaubwürdig ist der<br />

deutsche Journalismus?<br />

Über die Rolle des Journalismus wird<br />

gerade intensiv diskutiert. Ist die Berichterstattung<br />

über Russland einseitig?<br />

Die über Flüchtlinge zu voyeuristisch?<br />

Wie sollen sich Medien mit Vorwürfen<br />

an die „Lügenpresse“ auseinandersetzen?<br />

Ein Diskussionsabend unter dem<br />

Motto „Wehe dem, der lügt. Die<br />

Glaubwürdigkeitskrise im Journalismus“<br />

versucht Antworten darauf<br />

zu finden. Ex-Spiegel-Chefredakteur<br />

Georg Mascolo und Peter-Matthias<br />

Gaede, ehemaliger Geo-Chef, tragen<br />

interessante Fakten vor und stellen sich<br />

anschließend den Fragen des Publikums.<br />

Beide sind Mitglied im Kuratorium<br />

von „Reporter ohne Grenzen“.<br />

Die Organisation, die sich weltweit für<br />

Pressefreiheit einsetzt, erhält die Hälfte<br />

der Einnahmen aus dem Eintritt. •<br />

Literaturhaus, Schwanenwik 38,<br />

Mi, 20.1., 20 Uhr, 19.30 Uhr, 20/15 Euro<br />

Der mehrfach prämierte Dokumentarfilm<br />

„Electroboy“ von Marcel Gisler<br />

erzählt die unglaubliche Geschichte<br />

von Florian Burkhardt. Zunächst<br />

klappte bei ihm einfach alles: Burkhardt,<br />

geboren 1974 in Basel, hatte<br />

schon ein Lehramtsstudium und ein<br />

erfolgreiche Karriere als Snowboarder<br />

hinter sich, als er sich selbst zum<br />

Schauspieler erklärte und nach Hollywood<br />

ging. Dort entdeckte man ihn als<br />

Model. Von den Shootings hatte Burkhardt<br />

jedoch bald genug. Er begann in<br />

einer Internet-Agentur zu schreiben,<br />

hatte auch hier ein goldenes Händchen.<br />

Dann der Absturz. „Generalisierte<br />

Angststörung bei narzisstischer<br />

Persönlichkeitsstruktur“ lautete die<br />

Diagnose der psychiatrischen Klinik,<br />

in die er sich selbst einwies. Nach seiner<br />

Entlassung organisierte er unter<br />

dem Pseudonym Electroboy Club-<br />

Events, die er wegen seiner Erkrankung<br />

selbst gar nicht besuchen konnte.<br />

Filmemacher Marcel Gisler erzählt<br />

einfühlsam ein Leben auf der Überholspur<br />

nach, bringt im Laufe der<br />

Dreharbeiten auch noch Familiengeheimnisse<br />

ans Licht. Bei einem Hollywood-Film<br />

würde man denken: Das ist<br />

aber an den Haaren herbeigezogen! •<br />

Lichtmess Kino, Gaußstraße 25,<br />

Do, 28.1., 20 Uhr, 5/4 Euro<br />

BILDER: ASSEM RAHIMA; COLLAGEN: GRAFIKDEERNS<br />

54


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

BÜHNE<br />

Humorvolle Strategien gegen<br />

den Liebeskummer<br />

Isabella wurde von ihrem Freund verlassen<br />

und sucht nun verzweifelt im<br />

Internet nach Mitteln gegen Liebeskummer.<br />

Zwischen einem Pappaufsteller<br />

mit dem Bild ihres Ex und einem<br />

Kalender, an dem sie die Tage abstreicht,<br />

die seit der Trennung vergangen<br />

sind, versucht sie, möglichst schnell<br />

über die Krise hinwegzukommen.<br />

Autorin und Regisseurin Denise Stellmann<br />

erzählt in „Lovesickness – noch<br />

389 Tage, dann bin ich drüber weg“<br />

humorvoll von einem Leben im Ausnahmezustand.<br />

•<br />

Sprechwerk, Klaus-Groth-Straße 23,<br />

29.+30.1., 20 Uhr, 20 Euro<br />

MUSIK<br />

Jazz-Klassiker neu interpretiert<br />

Ariane Nielsen zeigt, dass man sich<br />

nicht unbedingt zwischen einer musikalischen<br />

und einer bürgerlichen Karriere<br />

entscheiden muss. Tagsüber berät sie<br />

als Coach Unternehmen, abends begeistert<br />

sie von der Bühne aus ihr Publikum.<br />

Begleitet von hervorragenden<br />

Jazzmusikern wie dem Pianisten Buggy<br />

Braune stellt die Sängerin mit viel<br />

Herzblut live ihr Album „It’s About<br />

Time“ vor. Ariane Nielsen interpretiert<br />

darauf ihre Lieblings-Jazz-Klassiker<br />

aus den letzten 80 Jahren neu.<br />

Die Hälfte des Verkaufserlöses der<br />

CD kommt dem Diakonie-Hospiz<br />

Volksdorf zugute. •<br />

Cascadas, Ferdinandstraße 12,<br />

Do, 21.1., 20 Uhr, 12 Euro<br />

KINO<br />

„Qualia“: Eine mutige Frau<br />

arbeitet Missbrauch auf<br />

Nadja wurde in ihrer frühen Kindheit<br />

jahrelang missbraucht und vergewaltigt.<br />

Später wollte sie einfach nur<br />

vergessen. Doch die Angst, die Bilder<br />

und die Schmerzen wollten nicht verschwinden.<br />

So machte sich die junge<br />

Frau an die schwere Aufarbeitung ihres<br />

Traumas und zeigte ihren Peiniger an.<br />

Und sie bewies den Mut, ihren Weg in<br />

einem Dokumentarfilm öffentlich zu<br />

machen. Regisseurin Lena Scheidgen<br />

begleitete in „Qualia“ die Protagonistin<br />

und zeigt eine Familienstruktur, in der<br />

Gewalt und Missbrauch über mehrere<br />

Generationen hinweg an der Tagesordnung<br />

waren. •<br />

Metropolis Kino, Kleine Theaterstraße 10,<br />

So, 24.1., 19 Uhr, 7,50 Euro<br />

AUSSTELLUNG<br />

Warum Brachen wichtig für<br />

die Seele der Stadt sind<br />

Die Fotografin Sarah Hildebrand<br />

dokumentiert seit Jahren Freiflächen<br />

in der Stadt. Viele leere Plätze hat sie<br />

bereits in ihrem Fotoband „Verlassene<br />

Orte“ festgehalten. Nun hat sie 30<br />

Künstler, Musiker und Wissenschaftler<br />

eingeladen, sich ebenfalls mit dem kreativen<br />

Potenzial auseinanderzusetzen,<br />

das Brachen bieten. Die Ergebnisse<br />

sind eine Woche lang unter dem Motto<br />

„Terrain vague – so viel Platz schaufel<br />

ich frei für dich“ zu sehen. Installationen,<br />

Fotos, Lesungen, Performances<br />

und Kinderaktionen zeigen, wie<br />

wichtig Lücken und Unordnung für<br />

die Seele der Stadt sind. •<br />

Westwerk, Admiralitätstraße 74,<br />

22.–28.1., 17–24 Uhr, Eintritt frei<br />

Fünf Monate war Assem Rahima<br />

in der Massenunterkunft<br />

Schnackenburgallee untergebracht.<br />

Oft malte er den ganzen Tag gegen<br />

die DEPRESSION an. Aber<br />

vom ersten Tag an fühlte sich der<br />

Innenarchitekt in der Stadt sicher.<br />

LESUNG<br />

Briefe über die Nazizeit<br />

Die fast 90-jährige Schauspielerin<br />

Renate Delfs ist bis heute damit beschäftigt,<br />

den Nationalsozialismus zu<br />

verarbeiten. Das tut sie nicht allein,<br />

sondern gemeinsam mit ihrer mehr als<br />

50 Jahre jüngeren Kollegin und Freundin<br />

Rike Schmid. Jahrelang haben die<br />

beiden einen Briefwechsel zu dem Thema<br />

geführt. Wie sah dein Alltag aus?<br />

Wann hast du begonnen, genauer hinzusehen?<br />

Auf diese Fragen hat Renate<br />

Delfs mit großer Offenheit geantwortet.<br />

Teile der Korrespondenz haben die<br />

Freundinnen unter dem Titel „Nimm<br />

mich mit nach Gestern“ veröffentlicht.<br />

Die bewegendsten Passagen tragen die<br />

beiden auf einer Lesung vor. •<br />

Ernst Deutsch Theater, Friedrich-Schütter-<br />

Platz 1, So, 24.1., 11 Uhr, 15/7,50 Euro<br />

BÜHNE<br />

Jenseits von Eden: Familiendrama<br />

im neuen Gewand<br />

Adam und Charles wachsen mit ihrem<br />

alleinerziehenden Vater auf. An der<br />

Bevorzugung von Adam zerbricht die<br />

Familie. In der nächsten Generation<br />

wiederholt sich der Konflikt: Aron und<br />

Caleb wachsen ebenfalls mutterlos auf,<br />

und Caleb kämpft um die Liebe und<br />

den Respekt seines Vaters. John Steinbecks<br />

Familiendrama „Jenseits von<br />

Eden“ wurde durch die Verfilmung<br />

Elia Kazans mit James Dean weltberühmt.<br />

Harald Weiler inszeniert die<br />

dramatische und zeitlose Geschichte<br />

jetzt neu. Der Hamburger Regisseur<br />

wurde für seine Arbeit bereits mit dem<br />

Rolf-Mares-Preis ausgezeichnet. •<br />

Altonaer Theater, Museumstraße 17,<br />

Premiere, So, 17.1., 19 Uhr, 33/17 Euro,<br />

weitere Termine bis 20.2.<br />

55


SABRINA MEYER<br />

Das Rezept hat sie von ihrer Oma aus<br />

Bayern. Von der stammt auch die Idee<br />

mit dem Eierstich. „Der gibt dem Eintopf<br />

noch mehr Geschmack“, findet Sabrina.<br />

Die Mengen der Zutaten bestimmt sie<br />

meistens nach Gefühl. Hauptsache, der<br />

Eintopf wird nicht zu dünn. Oma hat<br />

schließlich auch immer dafür gesorgt,<br />

dass sie etwas Zünftiges in den Magen<br />

bekommt. Bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> wird übrigens<br />

regelmäßig gekocht, jeden Monat, wenn<br />

das neue Heft erscheint, und immer von<br />

anderen Hinz&Künztlern.<br />

Deftig. Kräftig. Gut.<br />

Würziger Speck, herzhafte Mettenden, zartes Hühnchen:<br />

Sabrinas Lieblings eintopf hat es in sich. Er macht<br />

satt und lässt sich perfekt vorbereiten, um nach einem<br />

langen Winterspaziergang wieder Energie zu tanken.<br />

Fleischliebe-Eintopf<br />

mit Schneeflocken<br />

3 Liter Hühnerbrühe<br />

(Instant)<br />

1 EL Sonnenblumenöl<br />

1 Suppenhuhn, frisch<br />

4 Zehen Knoblauch<br />

4 Eier<br />

800 g Kartoffeln<br />

500 g Rosenkohl<br />

300 g Möhren<br />

4 Mettenden<br />

250 g Speckwürfel<br />

Salz, Pfeffer<br />

1 Bund Petersilie<br />

TEXT: ANNABEL TRAUTWEIN; FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

SO WIRD ER GEKOCHT:<br />

1. Die Knoblauchzehen schälen, nicht schneiden. Mit der kalten Brühe und<br />

1 El Sonnenblumenöl in einen großen Topf geben. Suppenhuhn waschen, hineinlegen.<br />

Aufkochen und etwa 45 bis 60 Minuten kochen lassen, bis das Huhn gar ist.<br />

2. Währenddessen die Kartoffeln schälen und in 1x1–cm–kleine Würfel schneiden.<br />

Den Rosenkohl vorbereiten, den Strunk kreuzweise einritzen. Dann gart er so schnell<br />

wie die Blätter. Auch die Möhren vorbereiten: Sie werden geschält, längs halbiert und in<br />

Scheiben geschnitten.<br />

3. Das Huhn aus dem Topf nehmen und etwas abkühlen lassen. Die Brühe derweil stehen<br />

lassen. Die Knoblauchzehen herausnehmen. Das Fleisch auslösen (Knochen und Haut<br />

brauchen wir nicht mehr), in mundgerechte Stücke zupfen und beiseitestellen.<br />

4. Die Eier trennen. Das Eigelb für ein anderes Rezept verwenden. Die Brühe aufkochen.<br />

Die Eiweiße in die kochende Brühe schütten und sofort wild mit einem Schneebesen<br />

herumrühren. Das Eiweiß flockt sehr schnell, es dauert nur ein paar Sekunden.<br />

„Wie kleine Schneeflocken sieht das aus“, sagt Sabrina.<br />

5. Die Kartoffelwürfel in den Topf geben und fünf Minuten kochen lassen.<br />

6. Den Rosenkohl, die Möhren, Speckwürfel, Mettenden und das Hühnerfleisch dazugeben.<br />

7. Den Eintopf noch einmal etwa zehn Minuten köcheln lassen.<br />

8. Mit Salz und Pfeffer abschmecken. Den Eintopf heiß mit frisch gehackter Petersilie<br />

servieren.<br />

Getestet von MAMPF: www.mampf-hh.de<br />

56


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Rätsel<br />

ILLUSTRATION (BLEISTIFT): BERND MÖLCK-TASSEL<br />

Pilger<br />

heftig<br />

verlaufend<br />

(Krankh.)<br />

französisch:<br />

Straße<br />

Spielkartenfarbe<br />

griechischer<br />

Meergott<br />

deutscher<br />

Schriftsteller<br />

†<br />

(Erich)<br />

viel<br />

Lärm um<br />

nichts<br />

Angst vor<br />

Nebenbuhlern<br />

Ablauf,<br />

Geschehnisfolge<br />

Längenmaß<br />

1<br />

8<br />

6<br />

1<br />

Luft der<br />

Lunge<br />

4<br />

8<br />

3<br />

2<br />

9<br />

1<br />

3<br />

Aufschneider<br />

Pökelbrühe<br />

3<br />

2<br />

7<br />

1<br />

1<br />

Indogermane<br />

Flüssigkeit<br />

in<br />

Pflanzen<br />

5<br />

4<br />

7<br />

2<br />

4<br />

8<br />

indischer<br />

Dichter<br />

† 1941<br />

pusten,<br />

hauchen<br />

englisch:<br />

Flasche<br />

Vorspeise<br />

(frz.)<br />

3<br />

7<br />

1<br />

5<br />

5<br />

schmaler<br />

Gebirgsrücken<br />

vulkanisches<br />

Tuffgestein<br />

Nomadenvolk<br />

der<br />

Sahara<br />

6<br />

2<br />

7<br />

Teil der<br />

Westkarpaten<br />

verächtlich:<br />

Hund<br />

Richter<br />

in islamischen<br />

Dummkopf<br />

Ländern<br />

7<br />

5<br />

6<br />

Lotterieanteilschein<br />

Drang zur<br />

Schnelligkeit,<br />

Hast<br />

Füllen Sie das Gitter so<br />

aus, dass die Zahlen von<br />

1 bis 9 nur je einmal in jeder<br />

Reihe, in jeder Spalte und<br />

in jedem Neun-Kästchen-Block<br />

vorkommen.<br />

Als Lösung schicken Sie<br />

uns bitte die unterste, farbig<br />

gerahmte Zahlenreihe.<br />

Lösungen an: Hinz&<strong>Kunzt</strong>, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />

per Fax an 040 30 39 96 38 oder per E-Mail an info@hinzundkunzt.de.<br />

Einsendeschluss: 29. <strong>Januar</strong> <strong>2016</strong>. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.<br />

Wer die korrekte Lösung für eines der beiden Rätsel einsendet, kann<br />

zwei Karten für die Hamburger Kunsthalle oder eines von drei Büchern<br />

„Kulturführer Hamburg <strong>2016</strong>“ (Junius Verlag) gewinnen. Das Lösungswort<br />

beim Kreuzworträtsel war: Zentimeter. Die Sudoku-Zahlenreihe war:<br />

425 391 876<br />

6<br />

2<br />

5<br />

8<br />

2<br />

7<br />

Muse der<br />

Liebesdichtung<br />

Sinnesorgan<br />

8<br />

4<br />

Säulenhalle<br />

im<br />

alten<br />

Athen<br />

dt. Hochgeschwindigkeitszug<br />

(Abk.)<br />

9<br />

7<br />

3<br />

französischer<br />

Mehrzahlartikel<br />

Ziererei,<br />

Zimperlichkeit<br />

Küstenfluss<br />

in<br />

Mecklenb.-<br />

Vorpomm.<br />

süddeutsch:<br />

Busenfreund<br />

Bergstock<br />

bei<br />

Sankt<br />

Moritz<br />

irischschottischer<br />

Tanz<br />

6<br />

zweitgrößte<br />

indische<br />

Stadt<br />

10<br />

den<br />

Boden befeuchten<br />

Naturgeist,<br />

Blumenfee<br />

Gewinnerin<br />

eines<br />

Wettkampfes<br />

9<br />

italienischer<br />

Heiliger<br />

† 1595<br />

10<br />

deutscher<br />

Kirchenkomponist<br />

†<br />

AR1115-0215_6<br />

57<br />

Impressum<br />

Redaktion und Verlag<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH<br />

Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg<br />

Tel. 040 32 10 83 11, Fax 040 30 39 96 38<br />

Anzeigenleitung Tel. 040 32 10 84 01<br />

E-Mail info@hinzundkunzt.de<br />

www.hinzundkunzt.de<br />

Herausgeber<br />

Landespastor Dirk Ahrens,<br />

Diakonisches Werk Hamburg<br />

Externer Beirat<br />

Prof. Dr. Harald Ansen (Armutsexperte HAW-Hamburg),<br />

Mathias Bach (Kaufmann), Rüdiger Knott (ehem. NDR 90,3-Programmchef),<br />

Olaf Köhnke (Ringdrei Media Network),<br />

Thomas Magold (BMW-Niederlassungsleiter i.R.),<br />

Beate Behn (Lawaetz-Service GmbH), Karin Schmalriede (Lawaetz-Stiftung),<br />

Dr. Bernd-Georg Spies (Russell Reynolds),<br />

Alexander Unverzagt (Medienanwalt), Oliver Wurm (Medienberater)<br />

Geschäftsführung Dr. Jens Ade<br />

Redaktion Birgit Müller (v.i.S.d.P.),<br />

Frank Keil (CvD, Stellv.), Annette Woywode,<br />

Mitarbeit Sybille Arendt, Simone Deckner, Jonas Füllner,<br />

Ulrich Jonas, Misha Leuschen, Uta Sternsdorff,<br />

Annabel Trautwein, Kerstin Weber und Kim Bösch (Grafik)<br />

Redaktionsassistenz Sonja Conrad,<br />

Dina Fedossova<br />

Online-Redaktion Simone Deckner, Jonas Füllner,<br />

Benjamin Laufer<br />

Artdirektion grafikdeerns.de<br />

Öffentlichkeitsarbeit Isabel Schwartau, Friederike Steiffert<br />

Anzeigenleitung Isabel Schwartau<br />

Anzeigenvertretung Christoph Wahring,<br />

Wahring & Company, Tel. 040 284 09 40, info@wahring.de<br />

Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 20 vom 1. <strong>Januar</strong> 2015<br />

Vertrieb Marcus Chomse, Jonas Göbel, Christian Hagen (Leitung),<br />

Sigi Pachan, Jürgen Jobsen, Meike Lehmann, Sergej Machov, Frank Nawatzki,<br />

Sven Schadofske, Cristina Stanculescu, Marcel Stein,<br />

Cornelia Tanase, Silvia Zahn<br />

Rechnungswesen/Systemadministration Frank Belchhaus<br />

Spendenmarketing Gabriele Koch<br />

Spendenverwaltung Susanne Wehde<br />

Sozialarbeit Ana-Maria Ilisiu, Stephan Karrenbauer, Isabel Kohler<br />

Litho PX2@ Medien GmbH & Co. KG<br />

Produktion Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />

Druck A. Beig Druckerei und Verlag,<br />

Damm 9–15, 25421 Pinneberg<br />

Verarbeitung Delle und Söhne, Buchbinderei<br />

und Papierverarbeitungsgesellschaft mbH<br />

Spendenkonto Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

IBAN: DE56 200505501280167873<br />

BIC: HASPDEHHXXX<br />

Die Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH mit Sitz in Hamburg ist durch den aktuellen<br />

Freistellungsbescheid des Finanzamts Hamburg-Nord, Steuernummer<br />

17/414/00797, vom 15.11.2013 nach §5 Abs.1 Nr. 9<br />

des Körperschaftssteuergesetzes von der Körperschaftssteuer und nach<br />

§3 Nr. 6 des Gewerbesteuergesetzes von der Gewerbesteuer befreit.<br />

Geldspenden sind steuerlich nach §10 EStG abzugsfähig. Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist als<br />

gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH im Handelsregister<br />

beim Amtsgericht Hamburg HRB 59669 eingetragen. Wir bestätigen,<br />

dass wir Spenden nur für die Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong> einsetzen.<br />

Adressen werden nur intern verwendet und nicht an Dritte weitergegeben.<br />

Beachten Sie unsere Datenschutzerklärung, abrufbar auf www.hinzundkunzt.de.<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist ein unabhängiges soziales Projekt, das obdachlosen und<br />

ehemals obdachlosen Menschen Hilfe zur Selbsthilfe bietet.<br />

Das Magazin wird von Journalisten geschrieben, Wohnungslose und<br />

ehemals Wohnungslose verkaufen es auf der Straße. Sozialarbeiter<br />

unterstützen die Verkäufer.<br />

Das Projekt versteht sich als Lobby für Arme.<br />

Gesellschafter<br />

Durchschnittliche monatliche<br />

Druckauflage 3. Quartal 2015:<br />

73.333 Exemplare


Momentaufnahme<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>275</strong>/ JANUAR <strong>2016</strong><br />

Schlachter, Fallschirmspringer,<br />

Hafenarbeiter: Reinhard hat<br />

viel malocht in seinem Leben.<br />

Jetzt HILFT er anderen.<br />

„Man muss aus dem<br />

Leben das Beste machen“<br />

Der ehemalige Hinz&Künztler Reinhard (64) hat sich sein Leben<br />

immer wieder neu erkämpft. Er ist einfach nicht der Typ, der aufgibt.<br />

Helfen und sich helfen lassen – das ist sein Motto.<br />

TEXT: ANNABEL TRAUTWEIN<br />

FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

Es läuft mal wieder rund für Reinhard:<br />

Der neue Job im Sozialkaufhaus Eleos<br />

ist genau das Richtige für ihn. Seit Oktober<br />

gehört der 64-Jährige zum Team,<br />

er hält Ordnung zwischen Pelzmänteln,<br />

Lichterketten und Fondue-Sets, verbreitet<br />

gute Laune. Wenn die Chefs verreist<br />

sind, schmeißt er den Laden in Lohbrügge<br />

fast alleine. Das Ehrenamt fühlt<br />

sich gut an – denn mit dem Geld, das<br />

durch seine Kasse fließt, hilft der Verein<br />

Eleos Waisenkindern in Griechenland<br />

und in der Ukraine. „Ich hab viel Hilfe<br />

bekommen“, sagt Reinhard. „Da kann<br />

ich auch was von mir geben.“<br />

Der Timmendorfer Jung stand früh<br />

auf eigenen Füßen. Er schaffte seine<br />

Gesellenprüfung als Schlachter, fand<br />

seinen Traumjob als Fallschirmspringer<br />

bei der Bundeswehr. Das Glück zwischen<br />

den Wolken war kaum zu toppen<br />

– bis er seine Traumfrau traf. Für sie<br />

gab er sogar die Bundeswehr auf, wurde<br />

wieder Schlachter. Sie heirateten<br />

und zogen nach Italien. Als ihn das<br />

Heimweh packte, kehrte sie mit ihm<br />

zurück.<br />

Dann aber brachen harte Zeiten<br />

an. Reinhards Körper machte den<br />

Knochenjob in der Schlachterei nicht<br />

mehr mit. Er sattelte 1989 um und wurde<br />

Hafenarbeiter in Hamburg, erst Tagelöhner,<br />

dann Staplerfahrer. Reinhard<br />

trank zu viel, und immer wieder gab es<br />

Zoff mit seiner Frau. Schluck für<br />

Schluck, Streit für Streit schlitterte er<br />

näher an den Abgrund.<br />

Und dann ging’s über die Kante.<br />

Betrunken fuhr er den Gabelstapler ins<br />

eisige Hafenbecken. „Ein Kumpel hat<br />

mich rausgezogen, in den Heizungskeller<br />

geschmissen und die Verantwortung<br />

auf sich genommen“, erzählt er. Die<br />

Kumpel im Hafen hielten zusammen.<br />

Für seine Ehe aber war jede Rettung zu<br />

spät. Nach einem Streit ließ seine Frau<br />

ihn nicht mehr in die Wohnung. Reinhard<br />

landete auf der Straße. 1995 war<br />

das.<br />

Drei Tage machte er Platte, dann<br />

fand er ein billiges Hotel und guten<br />

Rat: „Komm doch mit zu Hinz&<strong>Kunzt</strong>,<br />

da kannst du Zeitungen verkaufen“, riet<br />

ein Freund. Reinhard nahm die Hilfe<br />

an. Das Geld aus dem Verkauf sparte er<br />

für den Umzug in eine eigene Wohnung.<br />

Und er begann einen Entzug.<br />

Darauf ist er noch heute stolz: dass er<br />

es schaffte, das Geld nicht zu versaufen.<br />

In der Suchtberatungsstelle Park In<br />

half er schließlich selbst ehrenamtlich<br />

mit. Dort lernte er den Streetworker Peter<br />

kennen. „Der Einzige, der an mich<br />

geglaubt hat“, wie er sagt. Das nächste<br />

Tief nahm er mit Peters Hilfe: 1999 kamen<br />

fünf seiner Geschwister ums Leben,<br />

dann wurde er selbst schwer krank.<br />

„Wenn ich Peter nicht gehabt hätte in<br />

dieser schlimmen Zeit – ich weiß nicht,<br />

ob ich nicht wieder angefangen hätte zu<br />

trinken“, sagt Reinhard.<br />

Heute passt er gut auf sich auf. Bei<br />

Eleos trägt er ja Verantwortung. Und er<br />

hat ein neues Hobby: Er moderiert<br />

beim Internetradio „Knuddel“. Er<br />

kommt klar, sagt er, auch wenn er nur<br />

seine Grundsicherung hat und obwohl<br />

er gerade mit einer schlimmen Diagnose<br />

leben muss. „Man muss aus dem Leben<br />

das Beste machen, was man kann“,<br />

sagt Reinhard. „Soll ich mich etwa hinsetzen<br />

und warten, bis der mit der<br />

Schaufel kommt? Nee, das ist nicht<br />

mein Ding.“ •<br />

58


KUNZT-<br />

KOLLEKTION<br />

BESTELLEN SIE DIESE UND WEITERE PRODUKTE BEI: Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH,<br />

www.hinzundkunzt.de/shop, shop@hinzundkunzt.de, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />

Tel. 32 10 83 11. Preise zzgl. Versandkostenpauschale von 2,50 Euro bis 4 Euro,<br />

Ausland auf Anfrage. Versand ab 100 Euro Warenwert kostenlos.<br />

4.<br />

1.<br />

1. Bio-Schwarztee-Mischung<br />

Aromatisiert mit Kakao und Vanillegeschmack.<br />

Zutaten: Schwarzer Tee*, Kakaoschalen*, Zimt*,<br />

Orangenschalen*, *aus kontrolliert biologischem<br />

Anbau (k. b. A.). 100 g, Nachfülldose,<br />

Preis: 7,50 Euro<br />

Bio-Rotbuschtee<br />

Mit Kakao-Orange aromatisiert. Zutaten:<br />

Rotbuschtee*, Kakaoschalen*, Zimt*,<br />

Orangenschalen*, *k. b. A., 75 g,<br />

Nachfülldose, Preis: 7,50 Euro<br />

1.<br />

2.<br />

5.<br />

3.<br />

Beide Sorten: In Kooperation mit dem<br />

Chocoladenmuseum Chocoversum.<br />

Hersteller: Dethlefsen&Balk<br />

2.<br />

2. „Macht auch wach!“<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Bio-Kaffeemischung,<br />

100% Arabica gemahlen, 250-g-Beutel, 5,95 Euro<br />

oder Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Bio-Espresso, italienische<br />

Mischung, kräftiger Geschmack, ungemahlen,<br />

250-g-Beutel, 5,95 Euro,<br />

exklusiv von der Kaffeerösterei Burg aus Hamburg.<br />

3. „Gegens Abstempeln“<br />

10 selbstklebende 62-Cent-Briefmarken<br />

mit Porträts von Hinz&Künztlern im A5-Heftchen.<br />

Konzeption: Agentur Lukas Lindemann Rosinski,<br />

Preis: 11 Euro<br />

4.<br />

5.<br />

6.<br />

4. „Hamburg Hommage“ – Klappkarten<br />

5 verschiedene Motive mit Umschlag,<br />

DIN A6, Fotograf Mauricio Bustamante<br />

Preis: 8 Euro<br />

3.<br />

5. „Hamburg Hommage“ – Print<br />

Format 40 x 40 x 2,5 cm, fotokaschiert auf<br />

MDF-Platte, mit Bienenwachs versiegelt, einzeln<br />

angefertigter Rahmen aus Palettenholz<br />

5 verschiedene Motive:<br />

1. #118 / 2. #058 / 3. #153 / 4. #095 / 5. #117<br />

Preis: 99 Euro<br />

6. „Hamburg zeigt Herz“-Becher<br />

Porzellanbecher mit Silikondeckel, in<br />

Deutschland gefertigt. Idee und Design von einer<br />

Auszubildendengruppe der Firma OTTO.<br />

Preis: 8,50 Euro<br />

7.<br />

7. „Ein mittelschönes Leben“<br />

Eine Geschichte für Kinder über Obdachlosigkeit<br />

von Kirsten Boie, illustriert von Jutta Bauer.<br />

Preis: 4,80 Euro


<strong>Januar</strong> <strong>2016</strong><br />

Kampfeinsatz<br />

und Reflexe<br />

und andere Themen, die Hamburger bewegen<br />

Do 14.01. | 19.00 Uhr | Buchpräsentation<br />

Der Russland-Reflex Die Zeiten des Kalten Krieges schienen überwunden. Doch nun verfallen Deutsche<br />

wie Russen wieder in stereotype Urteile übereinander. Die Bürgerrechtlerin Irina Scherbakowa<br />

und der Osteuropa-Historiker Karl Schlögel untersuchen in »Der Russland-Reflex« die Gründe dafür,<br />

nicht nur bei Putin und im Ukraine-Konflikt, sondern auch in ihren persönlichen Geschichten.<br />

Fr 15.01. | 19.00 Uhr | Werkstatt<br />

Öffentlicher Meisterkurs Einen seltenen Blick hinter die Kulissen ermöglicht der Meisterkurs<br />

mit den Sängern des Internationalen Opernstudios der Staatsoper Hamburg. Unter Anleitung der<br />

Kammersängerin Renate Behle lassen die jungen Sänger das Publikum an der Arbeit mit ihrem<br />

einzigartigen Instrument teilhaben – der Stimme. Musikalische Begleitung: Georgiy Dubko.<br />

Do 21.01. | 19.30 Uhr | Filmabend<br />

Nahid: Ein Frauenleben in Iran Das Spielfilmdebüt von Ida Panahandeh erzählt die verfahrene<br />

Situation von Nahid, die sich nach ihrer Scheidung neu verliebt und mit der restriktiven Ordnung<br />

der iranischen Gesellschaft in Konflikt gerät. Der Film beleuchtet das Innenleben seiner Protagonisten<br />

und das ihres Heimatlandes. Kooperation mit dem Filmfest Hamburg.<br />

Do 28.01. | 19.00 Uhr | Theater im Haus im Park<br />

Stell dir vor, es ist Krieg und du gehst hin Das Theaterstück »Kampfeinsatz« untersucht die Folgen<br />

von Auslandseinsätzen für deutsche Soldaten. Wie gehen sie mit den Erfahrungen um? Wie reagiert<br />

die Gesellschaft? Und was bewegt junge Deutsche, als Freiwillige in den Kampf zu ziehen? Ein<br />

hochaktuelles Theaterstück zu Krieg, Terror und zur Verantwortung demokratischer Gesellschaften.<br />

Stand: Dezember 2015, Änderungen vorbehalten. groothuis.de Fotos: David Ausserhofer, Hamburgische Staatsoper, Noori Pictures, Oliver Fantitsch<br />

Eintritt frei, Anmeldung erforderlich: www.koerberforum.de<br />

KörberForum – Kehrwieder 12 | 20457 Hamburg | U Baumwall<br />

Telefon 040 · 80 81 92 - 0 | E-Mail info@koerberforum.de<br />

Veranstalter ist die gemeinnützige Körber-Stiftung.<br />

KörberForum<br />

Kehrwieder 12<br />

Für Menschen, die nicht alles so lassen wollen, wie es ist.

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