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Das Hamburger<br />
Straßenmagazin<br />
N O <strong>275</strong><br />
01.16<br />
2,20 Euro<br />
Davon 1,10 Euro<br />
für unsere Verkäufer<br />
Ulrich Tukur &<br />
Die Rhythmus Boys<br />
Großes Benefizkonzert am 26. <strong>Januar</strong> – und ein Interview mit allen vier Jungs<br />
über ihre musikalischen Anfänge: „Die Straße war unsere Schauspielschule.“
Schülerwettbewerb<br />
Miteinander hören:<br />
Wie klingt<br />
„Weltverbessern“?<br />
An alle Schüler: Hinz&<strong>Kunzt</strong> und die Internetplattform<br />
AUDIYOU.de rufen zum sechsten Audio-Wettbewerb auf!<br />
Flüchtlinge, Klimakatastrophe, Obdachlose, Kinderarmut … Wir leben in<br />
einer Zeit, in der für viele Herausforderungen Lösungen gesucht werden.<br />
Es gibt reichlich Ideen und Gedanken dazu, was sich ändern müsste,<br />
„damit die Welt besser wird“. Die Verantwortung hierfür schieben wir<br />
gerne anderen zu. Aber was können wir als Einzelne bewirken?<br />
„Weltverbessern“ kann in kleinen Schritten beginnen. Eine Aktion<br />
für Obdachlose. Ein Referat, das die Mitschüler berührt. Eine Idee,<br />
wie zu Hause Strom gespart wird. Wie man Dinge tauschen kann, statt sie<br />
neu zu kaufen. Ein offener Brief an die Mitbürger … und vieles mehr!<br />
Macht daraus einen Song, ein Gedicht, ein Hörspiel …<br />
Hauptsache, es ist hörbar. Technische und inhaltliche Hilfe geben wir gern.<br />
Für Lehrer gibt es am Mittwoch, 17. Februar <strong>2016</strong><br />
einen Workshop, bei dem die Grundlagen der Technik<br />
vermittelt und Fragen beantwortet werden.<br />
Einsendeschluss<br />
Montag, 27. Juni <strong>2016</strong><br />
Informationen, Teilnahmebedingungen<br />
und Anmeldeformular unter:<br />
hinzundkunzt@audiyou.de oder telefonisch:<br />
Stephanie Landa, AUDIYOU: 040/46 07 15 38<br />
Isabel Schwartau, Hinz&<strong>Kunzt</strong>: 040/32 10 84 01.<br />
Es gibt wieder hochwertige<br />
technische Geräte zu gewinnen!<br />
Wir freuen uns auf<br />
Eure Wettbewerbsbeiträge.<br />
Viel Spaß!<br />
ILLUSTRATION: CARMEN SEGOVIA/2AGENTEN
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Inhalt<br />
Titel: Nicht verpassen! ULRICH TUKUR &<br />
DIE RHYTHMUS BOYS am 26. <strong>Januar</strong>!<br />
TITELBILD: KATHARINA JOHN<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
hoffentlich hatten Sie einen guten Start ins neue Jahr! Wir empfangen Sie gleich auf<br />
unserer Seite Gut&Schön (S. 4/5) mit guten Nachrichten: Prinz William setzt sich für<br />
junge Obdachlose ein – und eine Tochter hat ihren obdachlosen Vater nach Jahren<br />
wiedergefunden. 12.000 Freiwillige haben sich im vergangenen Jahr in Norddeutschland<br />
für Flüchtlinge engagiert. Wie glücklich es machen kann, wenn man etwas bewegt,<br />
zeigt sich auch in Deutschlands berühmtester Kleiderkammer (S. 16). Spannendes<br />
erlebte Fotografin Lena Maja Wöhler: 48 Stunden verbrachte sie im<br />
Winternotprogramm (S. 6). Und falls Sie mal wieder richtig feiern wollen: Ulrich<br />
Tukur & Die Rhythmus Boys kommen am 26. <strong>Januar</strong> ins St. Pauli Theater, der Erlös<br />
geht komplett an uns. Vorher allerdings erzählte die älteste Boygroup noch, dass sie<br />
auf der Straße angefangen hat zu spielen und wie „wunderbar und gnadenlos“ das<br />
war (S.48). Berührend auch die Fotoarbeit „Trigger“ von Jakob Ganslmeier über Soldaten,<br />
die schwer traumatisiert aus ihren Auslandseinsätzen zurückkommen. Unser<br />
Autor Frank Keil hat einen von ihnen getroffen (S. 36). Ihr Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Team<br />
FOTOS: JAKOB GANSLMEIER, MAURICIO BUSTAMANTE, DMITRIJ LELTSCHUK<br />
Stadtgespräch<br />
04 Gut&Schön<br />
Nur aufmunternde Nachrichten<br />
06 48 Stunden Winternotprogramm<br />
Selbstversuch von Lena Wöhler<br />
16 Vom Glück, etwas zu bewegen<br />
Neues aus Deutschlands berühmtester<br />
Kleiderkammer<br />
19 Wenn nicht hier, wo dann?<br />
Wie Hamburg für Flüchtlinge baut<br />
22 Nachtasyl im Gebetsraum<br />
Flüchtlinge in der Moschee<br />
24 Spot on!<br />
Hinz&Künztler in der Kunsthalle<br />
30 „Lachen bringt Menschen zusammen“<br />
sagt PALAZZO-Clown Peter Shub<br />
32 Über Klimawandel und Flüchtlinge<br />
Jakob von Uexküll im Interview<br />
42 Mehr als eine warme Mahlzeit<br />
Grandiose Verkäuferweihnachtsfeier<br />
in der Fischauktionshalle<br />
Stadtexpedition<br />
11 #3: Verlorene Orte<br />
Lost Places – von Hagenbeck<br />
bis zur Schilleroper<br />
Lebenslinien<br />
36 „Soldaten wollen integriert werden“<br />
Viele kehren von den Auslands-<br />
Einsätzen traumatisiert zurück<br />
Freunde<br />
44 Viel mehr als eine warme Mahlzeit!<br />
Dank an alle Sponsoren, Promis<br />
und Helfer<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
48 Die Straße als Schauspielschule<br />
Ulrich Tukur & Die Rhythmus<br />
Boys im Interview<br />
52 20 Tipps für den <strong>Januar</strong><br />
56 Koch des Monats<br />
Hinz&Künztlerin<br />
Sabrina kocht einen<br />
Bauerneintopf<br />
58 Momentaufnahme<br />
Ex-Hinz&Künztler Reinhard<br />
Rubriken<br />
05, 09, 15 Kolumnen<br />
10, 15, 35 Meldungen<br />
46 Leserbriefe<br />
57 Rätsel, Impressum<br />
36<br />
24<br />
16<br />
Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk
Begegnung<br />
Claus Duppke<br />
Immer donnerstags und freitags ist<br />
Claus-Tag in der Rösterei in der<br />
Steinstraße 19b in Hamburg.<br />
Seit 40 Jahren serviert der 70-Jährige.<br />
Er hat schon viele bedient, die einen<br />
Namen haben. Im SAS Plaza Hotel<br />
etwa Altkanzler Helmut Kohl. Duppke<br />
ist von der alten Schule, darum trägt<br />
er bis heute Anzug und Fliege. Und<br />
selbst im größten Stress erkundigt<br />
er sich bei jedem nach seiner<br />
Zufriedenheit. Der Gast ist eben<br />
König! „Nur wenn mal 200 Könige<br />
da sind, wird’s manchmal eng“,<br />
sagt er schmunzelnd. Aber das<br />
ist in der Mini-Rösterei zum Glück<br />
selten der Fall. LÖWE<br />
•<br />
Mehr Infos unter: www.die-roesterei.com
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Gut&Schön<br />
Prinz William fordert:<br />
Aus für Jugendobdachlosigkeit!<br />
FOTOS: KLAUS-DIETMAR GABBERT/DPA, METTE KRAMER KIRSTENSEN/INSP, LOUISE HAYWOOD-SCHIEFER/INSP<br />
Bild des Monats<br />
Spätzle am Alex – Flüchtling kocht für Arme<br />
Alex A. floh aus Syrien. Erst zu Fuß durch Wüsten,<br />
dann mit dem Boot übers Mittelmeer. Sein Asylantrag<br />
wurde anerkannt, nun ist er ein Berliner. Und steht<br />
jeden Samstag an der S-Bahn-Station Alexanderplatz.<br />
Kocht für Obdachlose und Bedürftige. Gerne Spätzle.<br />
Sonst syrisch oder arabisch. Sein Credo:<br />
„Ich möchte den Deutschen etwas zurückgeben.“ FK<br />
•<br />
Von der Pinnwand ins<br />
Internet – Hilfe für Heinrich<br />
Hinz&Künztler Heinrich verkauft<br />
in Barmbek vor dem Rewe-Markt.<br />
Und hängte dort einen Zettel an die<br />
Pinnwand: „Suche eine Unterkunft.<br />
Bin sehr ruhig und ehrlich.“<br />
Eine Kundin postete den Zettel bei<br />
Facebook – nun haben über 600<br />
Nutzer eine öffentliche Facebookgruppe<br />
gegründet: „Unterstützung<br />
für Heinrich“. FK<br />
•<br />
5<br />
Wiedersehen nach 13 Jahren<br />
Mit ihrem Vater hatte Maria Louise<br />
abgeschlossen: Der Seemann trank,<br />
nahm Drogen und kümmerte sich<br />
wenig um seine Familie. Mit 15<br />
brach die heute 30-jährige Dänin<br />
den Kontakt endgültig ab. Dass ihr<br />
Vater Jorgen obdachlos ist und die<br />
Straßenzeitung „Hus Forbi“ in<br />
Odense verkauft, erfuhr sie erst, als<br />
sie ein Foto von ihm darin entdeckte.<br />
„Ich habe ihn sofort erkannt!“<br />
Nach einem aufregenden ersten<br />
Treffen haben Vater und Tochter<br />
wieder regelmäßig Kontakt. LEU<br />
•<br />
Man kann Jugendobdachlosigkeit<br />
in England und Wales<br />
überwinden, davon ist Prinz<br />
William überzeugt. „Es gibt<br />
insgesamt 136.000 Jugendliche<br />
in Not, davon sind nur<br />
16.000 wirklich obdachlos“,<br />
sagte der Schirmherr von<br />
„Centrepoint“, das sich für<br />
junge Obdachlose engagiert.<br />
„Es würde mir sehr gefallen,<br />
wenn das Land endlich aufwachen<br />
würde.“<br />
Er selbst hat auch schon<br />
mal eine Nacht draußen geschlafen,<br />
erzählte er seiner<br />
Interviewerin. Aber das habe<br />
nicht das Geringste mit dem<br />
zu tun, was Obdachlose erleben.<br />
„Ich konnte nach Hause<br />
zurückkehren in ein schönes<br />
Bett.“<br />
Das Interview machte<br />
übrigens Sophia Kichou, die<br />
selbst als Jugendliche obdachlos<br />
war und über Centrepoint<br />
Prinz William kennengelernt<br />
hatte. Damals<br />
hatte sie den Traum, Journalistin<br />
zu werden und fragte<br />
ihn, ob sie ihn dann interviewen<br />
dürfe. Ende November<br />
sprach sie mit ihm über seinen<br />
Respekt vor den jungen<br />
Obdachlosen – und darüber,<br />
was sich ändern muss. Das<br />
Interview erschien zuerst im<br />
englischen Straßenmagazin<br />
„Big Issue“, jetzt weltweit. •<br />
Das ganze Interview lesen Sie<br />
bei uns online unter<br />
www.huklink.de/prinz
48 Stunden<br />
Winternotprogramm<br />
Ein Selbstversuch.
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Wohncontainer<br />
erweitern das<br />
Angebot in der<br />
MÜNZSTRASSE<br />
(links). Die<br />
Zimmer bieten den<br />
Bewohnern kaum<br />
Privatsphäre.<br />
TEXT UND FOTOS: LENA MAJA WÖHLER<br />
16.30 Uhr. Ich komme mit meinem Rucksack in der Münzstraße<br />
an. Beim Winternotprogramm. Die Menschenschlange<br />
zeigt den Weg. Gut 40 Wartende stehen entlang eines Bauzauns.<br />
Ein Security-Team steht auf der anderen Seite des<br />
Zauns, die Mitarbeiter schauen starr auf ihre Smartphones.<br />
Es ist kurz vor 17 Uhr, in ein paar Minuten ist Einlass.<br />
Ein älterer Mann, dem es nicht gut geht, wird zuerst hinter<br />
den Bauzaun geführt. Die Leute protestieren pfeifend. Ein<br />
Security-Mann kommt zurück zum Zaun und ruft mit fester<br />
Stimme: „Wenn ihr so weitermacht, dürft ihr noch eine weitere<br />
Stunde warten.“ Es wird still.<br />
Nach einiger Zeit öffnet sich der Eingang, die Ersten können<br />
sich vor einem Container registrieren lassen. Nun bin<br />
auch ich dran. Werde nach meinen persönlichen Daten gefragt.<br />
Werde gefragt, ob ich Waffen oder Alkohol bei mir<br />
habe. „Ein Taschenmesser“, antworte ich. Man schreibt<br />
meinen Namen drauf, verwahrt es. Weiter werde ich nicht<br />
kontrolliert. Ich bekomme eine „Bettkarte“.<br />
Ich komme in das Haupthaus, über eine Bautreppe erreiche<br />
ich die Extra-Etage für Frauen. Betrete den Flur. Ein beißender<br />
Geruch steigt mir in die Nase, obwohl alles einen sauberen<br />
Eindruck macht. Ich suche Zimmer G9, das rechte Bett<br />
unten. Ich finde mein Zimmer, ich bin die Erste dort. Persönliche<br />
Gegenstände einer mir noch unbekannten Zimmerkollegin<br />
sind im Zimmer verteilt. Die anderen Betten sind leer. Ich<br />
gehe mich umschauen. Die Toiletten, die Duschen und<br />
Waschräume sind sauber. Aber es wird klar, woher der unangenehme<br />
Geruch stammt. Überall hängen Warnhinweisschilder:<br />
„Kein Trinkwasser“. Auf Nachfrage beim Personal wird<br />
mir gesagt, dass es nirgendwo im Haus die Möglichkeit gibt,<br />
Trinkwasser aus dem Wasserhahn zu bekommen.<br />
In einem Raum im Erdgeschoss gibt es dafür Kaffee und<br />
Tee, so viel man mag. Aber nach dem ersten Kaffee bin ich<br />
mir sicher, dass man selten viel mag. Um 19 Uhr gibt es<br />
Abendbrot. Also Brot mit Belag. Man kann es sich aus einer<br />
Kiste nehmen. Auch mehr als eins, wenn man möchte. Ich<br />
gehe zurück auf die Frauenetage.<br />
Mittlerweile ist Leben eingekehrt und mir wird klar, dass die<br />
Bewohner nach Nationalitäten auf die Zimmer verteilt sind.<br />
Viele Frauen stehen im Waschraum und waschen ihre Wäsche<br />
per Hand. Ich lerne die Zimmerkollegin kennen, Simone<br />
W. (Name geändert). 55 Jahre, sie ist seit zwei Wochen hier<br />
und erklärt mir die Regeln. Bei all den Geschichten, die sie<br />
erzählt, bin ich froh, als sie sagt, dass wir zu zweit auf dem<br />
Zimmer sind. Sie schaltet das Radio ein. Es läuft derselbe<br />
Radiosender wie bei mir zu Hause. Doch hört man in der<br />
Notunterkunft der Wettervorhersage zu, ist es fast wie bei der<br />
Ziehung der Lottozahlen. Bei Schnee und frostigen Temperaturen<br />
hat man mehrfach verloren: Um 9 Uhr morgens<br />
muss man die Unterkunft verlassen haben. Rein kommt man<br />
erst um 17 Uhr wieder. Auch wenn man krank ist.<br />
Was man in der übrigen Zeit macht, ist jedem selbst überlassen.<br />
Simone erzählt mir, dass sie am liebsten bei Saturn<br />
und Karstadt die Preise vergleicht. „Wenn ich wieder eine<br />
eigene Wohnung habe, brauche ich alles neu, darum vergleiche<br />
ich alles und weiß mittlerweile genau, wo ich was kaufen<br />
werde.“ Dazu läuft im Radio ein Bericht über das neue<br />
Musical in der Stadt – was für ein Kontrast.<br />
Nach einem Becher Tee aus dem Aufenthaltsraum lege<br />
ich mich hin. Ich fühle mich taub und müde – all die lauten<br />
Gespräche in den Gängen, die Eindrücke, der Geruch, der<br />
nun von den gewaschenen und nassen Anziehsachen ausgeht<br />
und auf Heizungsluft trifft. Simone bietet mir eine von ihren<br />
Zeitungen an. Sie hat alles da, vom „Goldenen Blatt“ bis zur<br />
„Bild der Frau“. Gut gelaunte Prinzen und Prinzessinnen<br />
lächeln mir von den Titelblättern entgegen. Ich frage Simone,<br />
ob sie es nicht komisch findet, von all dem Luxus zu lesen,<br />
wenn man selbst so wenig hat. Sie sagt: „Die Welt in den<br />
Zeitungen ist mindestens genauso unrealistisch wie mein<br />
Leben seit ein paar Monaten. Es ist wie ein kleiner Ausflug.“<br />
Ich liege auf der dünnen Matratze und lausche den unbekannten<br />
Geräuschen und Stimmen. Ich kann nicht unterscheiden,<br />
ob sie sich nebenan streiten oder gemeinsam über<br />
etwas lachen.<br />
7
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>275</strong>/ JANUAR <strong>2016</strong><br />
Gute Gemeinschaft<br />
gegen KÄLTE und<br />
Tristesse: Lena Maja<br />
Wöhler (Foto unten<br />
rechts, mit Mütze).<br />
Rechts im Bild:<br />
ihre Zimmergenossin<br />
für zwei Tage.<br />
Tief schlafen werde ich diese Nacht nicht. Immer wieder<br />
werde ich von schlagenden Türen wach. Ich höre Simone<br />
mehrmals aus einem Albtraum hochschrecken.<br />
7.30 Uhr. Die Tür geht auf. Eine Security-Frau schaltet das<br />
Licht an, murmelt: „Guten Morgen, aufstehen …“ Ich komme<br />
langsam zu mir, versuche mich zu orientieren. Simone<br />
versichert mir: „Daran gewöhnt man sich mit der Zeit, in der<br />
JVA ist es schlimmer, da geht nur das Licht an, ohne ‚Guten<br />
Morgen‘.“<br />
Dann lacht sie und sagt, dass sie mir gestern nicht sagen<br />
wollte, dass sie mal im Gefängnis war, damit ich besser<br />
schlafen könne. Für einen Tag, weil sie eine Geldstrafe nicht<br />
zahlen konnte.<br />
Auf dem Weg zum Kaffee begrüßen mich alle mit einem<br />
freundlichen Hustenanfall. Es gibt Frühstück. Brot mit Belag.<br />
Diesmal nehme ich nichts, beschließe, die zehn Euro anzubrechen,<br />
die ich für 48 Stunden mitgenommen habe.<br />
9 Uhr. Alle haben die Unterkunft verlassen. Ich fühle mich<br />
irgendwie seltsam, brauche Platz und Stille, es zieht mich an<br />
die Elbe. Ich genieße die ersten Sonnenstrahlen.<br />
10 Uhr. Noch sieben Stunden, bis die Notunterkunft wieder<br />
aufmacht. Ich gehe zu McDonald’s, 1-Euro-Frühstück. Ich<br />
treffe drei Leute aus der Notunterkunft. Dann Saturn, Topfpreise<br />
vergleichen. Das findet der Hausdetektiv anscheinend<br />
verdächtig, auffällig unauffällig folgt er mir.<br />
Ich besuche Karstadt, den Weihnachtsmarkt, die kleine<br />
Alster. Es ist 12.30 Uhr. Ich stelle fest, dass ein Prospekt sich<br />
gut als Sitzunterlage eignet, wenn man mal ausruhen will.<br />
Zehn Grad zeigt ein Thermometer. Bei den Landungsbrücken<br />
bin ich mit Simone verabredet, die mir das CaFée<br />
mit Herz zeigen möchte. Man bekomme dort ein kostenloses<br />
Mittagessen, könne sich unterhalten. Leider hat es heute<br />
geschlossen.<br />
Simone hat einen Vorschlag: das Herz As in der Nähe der<br />
Münzstraße. Dort erhalten wir für 50 Cent ein sehr leckeres<br />
Essen. Auch hier treffe ich einige Menschen aus der Notunterkunft.<br />
Viele versuchen zu schlafen – den Kopf auf den<br />
Tisch gelegt. Um 16 Uhr müssen wir gehen.<br />
Simone und ich nehmen noch ein Sonderangebot an<br />
einem Kiosk wahr: zwei Bier zum Preis von zwei Euro. Wir<br />
setzen uns in einen Hauseingang, trinken aus der Flasche<br />
und lachen über das Klischee, das wir gerade erfüllen. Simone<br />
erzählt mir von der Treppe, die für sie immer weiter nach<br />
unten führte. Aber sie ist noch da. Und wird es auch bleiben.<br />
Das weiß sie genau.<br />
8
Stadtgespräch<br />
17 Uhr. Die Containerburg wird wieder eröffnet. Wir stehen<br />
in der Schlange an und kommen mit den Menschen um uns<br />
herum ins Gespräch. Vor uns ein Mann, der von Hamburg<br />
schwärmt, von der guten Luft. Hinter uns drei Männer,<br />
Polen oder Russen. Ich will eine Wissenslücke schließen und<br />
frage, was das Wort „Kalinka“ aus dem gleichnamigen Song<br />
bedeutet. Kurz darauf singt die ganze Menschenschlange<br />
„Kalinka, kalinka, kalinka moja!“.<br />
Ich hole mir bei der Verwaltung eine Tasse Shampoo<br />
und gehe unter die Dusche. Einen Föhn gibt es nicht, also ist<br />
die einzige Chance, die Haare zu trocknen, wenn man gleich<br />
nach dem Einlass duscht und sich dann eine Mütze aufsetzt.<br />
Ich lege mich ins Bett. Eine Sitzgelegenheit gibt es weder auf<br />
der Etage noch auf dem Zimmer. Im Radio läuft: „Somewhere<br />
over the Rainbow“.<br />
Heute stehen freundliche Damen an der Essensausgabe,<br />
und es gibt Buchstabensuppe. Ich freue mich am meisten<br />
darüber, dass es etwas Warmes gibt. Eine Gruppe von Rumänen<br />
sitzt an einem Zwölf-Personen-Tisch im Essensraum.<br />
Ein Stuhl ist noch frei. Einer von ihnen schiebt mir<br />
den Stuhl hin. Unterhalten können wir uns nicht, aber wir<br />
tauschen Blicke aus. Andere Bewohner, die ich vom Warten<br />
auf Kaffee und Tee her kenne, klopfen mir dafür auf die<br />
Schulter. Gemeinschaft auf eine seltsame Art. Einerseits<br />
konkurriert man um das Wenige, das es hier gibt; andererseits<br />
bemühen sich alle, respektvoll und freundlich miteinander<br />
umzugehen.<br />
Auch die Securitys sprechen mich an. Sie wollen wissen,<br />
was ich für Pläne habe und erzählen mir, dass ich Unterstützung<br />
in einem Beratungsgespräch finden kann, das sie hier<br />
im Haus vermitteln. Nach dem Essen teilt Simone ihre Zeitschriftensammlung<br />
mit mir. Ich erfahre, dass Helene Fischer<br />
gar nicht naturblond ist. Mein Weltbild gerät ins Wanken.<br />
Diesmal schlafe ich früh ein. Mitten in der Nacht klopft<br />
es an der Tür. Erst ganz leise, dann immer lauter. Ich bin<br />
wach, sage aber nichts. Die Tür geht langsam auf, ein Kopf<br />
schiebt sich durch den Spalt. Simone wird ebenfalls wach,<br />
ruft laut: „Hallo!“ Die Tür geht schnell wieder zu. „Das<br />
kommt öfter vor“, sagt Simone. Es ist ein Test, ob man tief<br />
genug schläft. Wenn ja, wird man beklaut.<br />
7.30 Uhr. Licht an. Aufstehen. Kaffee. Hustenchor. Einen<br />
Plan für den Tag machen. Heute regnet es, da eigne sich die<br />
Europapassage zum Aufenthalt, sagt Simone. Wir gehen gemeinsam<br />
los, trinken zuerst bei der Bahnhofsmission einen<br />
Kaffee. Um 17 Uhr sind die 48 Stunden vorbei. Ich gehe den<br />
Weg vom Stadtzentrum bis nach Barmbek zu Fuß, nur durch<br />
ruhige Nebenstraßen. Mir wird bewusst, dass man nicht nur<br />
ständig draußen ist, wenn man auf der Straße lebt, sondern<br />
vor allem auch permanent in der Öffentlichkeit. Ein Eindruck<br />
folgt auf den nächsten. Du fällst durch dein Äußeres auf, du<br />
wirst beobachtet. Kein Rückzugsort, keine Privatsphäre<br />
schützt dich. Ich frage mich, wie man so zur Ruhe kommen<br />
kann, um Kraft zu sammeln und sein Leben zu ändern.<br />
Ich komme zu Hause an, schalte das Radio ein und denke<br />
an Simone. •<br />
Drei Fragen an<br />
Joachim Lux*<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Bisher wurden die „Lessingtage“<br />
stets mit der Rede eines prominenten Denkers eröffnet.<br />
Dieses Jahr ist das anders. Warum?<br />
JOACHIM LUX: Wir finden es wichtig, dass sich die<br />
Hamburger Bürgerinnen und Bürger am Diskurs<br />
über das Zusammenleben in einer sich<br />
verändernden Stadtgesellschaft beteiligen. Zu<br />
diesem Zweck haben wir 501 Neu-Hamburger,<br />
500 Hamburger BürgerInnen und 100<br />
Experten zur Eröffnungsveranstaltung „Das<br />
neue Wir“ eingeladen. Dieser Bürgergipfel ist<br />
also zugleich Wissenskongress, Kontaktbörse<br />
und Ort der Begegnung.<br />
Die einen wollen, dass einem das Theater den<br />
Boden unter den Füßen wegzieht, den anderen dürstet<br />
es nach handfester Orientierung. Wer wird während<br />
der Lessingtage auf seine Kosten kommen?<br />
Das Theater ist ein wunderbarer Ort, um verstörende<br />
gesellschaftliche Zustände in einem<br />
geschützten Raum zu verhandeln. Beispielsweise<br />
setzt sich das Kollektiv FC Bergmann in<br />
seiner Performance „300el x 50el x 30el“ sowohl<br />
verstörend als auch poetisch mit hermetischen<br />
Gesellschaften auseinander.<br />
Wie das kosmopolitische Zusammenleben<br />
aussehen kann, zeigt leichtfüßig der musikalische<br />
„Heimatabend – Heimatlieder aus<br />
Deutschland“, der vom Migrationsforscher<br />
Mark Terkessidis moderiert wird. Von daher<br />
kommen bei den Lessingtagen alle auf ihre<br />
Kosten.<br />
Es erwarten uns an 17 Tagen mehr als 30 Veranstaltungen.<br />
Welche darf man keinesfalls verpassen?<br />
Neben dem Bürgergipfel sollte man die Urgeschichte<br />
der Migration „Früchte des Zorns“,<br />
mit der wir die Lessingtage eröffnen, sowie die<br />
syrische „Antigone of Shatila“, die in einem libanesischen<br />
Flüchtlingscamp entstanden ist,<br />
nicht missen. Außerdem setzen wir die kontinuierliche<br />
Zusammenarbeit mit China fort<br />
und möchten Ihnen das Gastspiel aus Schanghai<br />
„Die Masse“ ans Herz legen, das sich an<br />
Ibsens „Ein Volksfeind“ orientiert.<br />
Ein besonderes Highlight ist das aktuelle<br />
„Herzzentrum“ über Navid Kermanis Buch<br />
„Ungläubiges Staunen. Über das Christentum“,<br />
das nach dem großen Erfolg in der Centrumsmoschee<br />
jetzt an einem gänzlich unheiligen<br />
Ort aufgeführt wird – im Bordell „Pink<br />
Palace“ auf der Reeperbahn. FK<br />
•<br />
*Joachim Lux ist Intendant des Thalia Theaters.<br />
Die „Lessingtage“ starten am 23. <strong>Januar</strong>.<br />
Programm: www.huklink.de/lessingtage/<br />
9
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>275</strong>/ JANUAR <strong>2016</strong><br />
Meldungen (1)<br />
Politik & Soziales<br />
Grundsatzurteil: EU-Bürger erhalten Sozialhilfe<br />
Bürger der Europäischen Union (EU), die länger als sechs Monate in Deutschland<br />
leben, haben grundsätzlich Anspruch auf Sozialhilfe. Das entschied jetzt das<br />
Bundessozialgericht (BSG) in Kassel. Das Urteil sorgt für Aufsehen, weil erst im<br />
September der Europäische Gerichtshof EU-Bürgern einen pauschalen Anspruch<br />
auf Hartz IV abgesprochen hatte. Habe sich der Aufenthalt „verfestigt“ –<br />
laut BSG ist das nach sechs Monaten der Fall –, muss nun zumindest das Sozialamt<br />
Hilfeleistungen gewähren. Nach Einschätzung des Landessozialgerichts<br />
Essen könnten bundesweit rund 130.000 Menschen von dem Urteil profitieren,<br />
vor allem Rumänen und Bulgaren. Es sei „erfreulich“, dass sich die Lebenssituation<br />
sehr vieler Menschen verbessere, sagt Stephan Nagel. Der Hamburger Diakonie-Referent<br />
für Wohnungslosenhilfe bemängelt aber: „Noch ist nicht für alle Bedürftigen<br />
ein Weg in das soziale Sicherungssystem erreicht.“ Es sei jetzt Aufgabe<br />
des Bundesverfassungsgerichts, für Rechtsklarheit zu sorgen. JOF<br />
•<br />
Miete: Hilfeempfänger zahlen drauf Staatliche Hilfe deckt Stromkosten nicht<br />
Hamburger Hartz-IV-Empfänger haben<br />
2014 rund 20 Millionen Euro Mietund<br />
Heizkosten aus eigener Tasche gezahlt,<br />
weil die Zuschüsse des Jobcenters<br />
nicht ausreichten. Pro Hartz-IV-Haushalt<br />
sind das monatlich mehr als 17 Euro,<br />
knapp ein Euro mehr als im Bundesdurchschnitt.<br />
Durch „offenkundig zu<br />
niedrige Angemessenheitsgrenzen“ spare<br />
die öffentliche Hand „auf Kosten der<br />
Betroffenen“, so die Linken-Bundestagsabgeordnete<br />
Sabine Zimmermann,<br />
die die Zahlen bei der Bundesregierung<br />
erfragt hat. Die Hamburger Mietobergrenzen<br />
wurden zuletzt an den Mietenspiegel<br />
2013 angepasst. Die nächste<br />
Erhöhung ist im Frühjahr geplant. Bis<br />
dahin werden laut Sozialbehörde keine<br />
Hilfeempfänger mehr aufgefordert, ihre<br />
Mietkosten zu senken. BELA<br />
•<br />
10<br />
Die staatliche Unterstützung für Hilfeempfänger reicht nicht<br />
aus, um deren Stromkosten zu decken. Das ist das Ergebnis<br />
einer Studie der Caritas und des Zentrums für Europäische<br />
Wirtschaftsforschung. Je nach Haushaltsgröße müssten Hartz-<br />
IV-Empfänger monatlich fünf bis elf Euro draufzahlen.<br />
Im Regelsatz sind für Strom 28 Euro vorgesehen. Weil die<br />
Energiekosten stark gestiegen sind, reicht das oft nicht aus. Da<br />
dürfte auch die Regelsatz-Erhöhung um 5 auf nun 404 Euro<br />
nichts ändern, die seit Jahresbeginn gilt. 2014 wurden bundesweit<br />
über eine halbe Million Mahnungen verschickt und Tausende<br />
Stromsperren verhängt (bundesweite Zahlen für 2015<br />
liegen noch nicht vor). In Hamburg wurden in den ersten<br />
neun Monaten des vergangenen Jahres 5639 Haushalten<br />
der Strom abgestellt. Sozialverbände fordern, dass Ämter die<br />
Energiekosten grundsätzlich übernehmen sollen. UJO/SIM<br />
•<br />
870.000 Haushalte bekommen mehr Wohngeld<br />
Wer ein geringes Einkommen hat, kann ab sofort auf höhere<br />
Mietzuschüsse hoffen. Im Schnitt steige das Wohngeld um<br />
39 Prozent, so die Bundesregierung. Mindestens 870.000 Haushalte<br />
bundesweit würden profitieren. Zuletzt war das Wohngeld<br />
2009 an die steigenden Mieten angepasst worden.<br />
Der Mieterbund begrüßte die Erhöhung deshalb als „längst<br />
überfällig“. Wohngeld ist kein Almosen: Wer die Voraussetzungen<br />
erfüllt, hat Rechtsanspruch darauf. Künftig sollen die<br />
Wohngeldsätze alle zwei Jahre überprüft werden. UJO<br />
•<br />
Mehr Infos: www.huklink.de/wohngeld und www.wohngeld.org
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Rubrik<br />
STADT-<br />
EXPEDITION:<br />
#3 Verlorene Orte<br />
An vielen Orten der Stadt gehen wir achtlos vorbei – nicht<br />
ahnend, welche spannenden Geschichten sich hier früher<br />
abspielten. Unsere Tour der verlorenen Orte nimmt Sie mit<br />
auf Spurensuche zu Ruinen, Neubauten und Leerstellen.<br />
TEXT: SIMONE DECKNER<br />
FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE, KARTE: OPEN STREET MAP<br />
Kristina Sassenscheidt (38)<br />
versorgte uns mit Hintergrundinfos für die Tour.<br />
Die Architektin (in Elternzeit) leitete lange Zeit<br />
die Öffentlichkeitsarbeit des Denkmalschutzamtes.<br />
Sie engagiert sich im Denkmalverein,<br />
Gängeviertel und bei leerstandsmelder.de.<br />
St.Pauli-Archiv<br />
1. Schilleroper<br />
Einst Schauplatz von<br />
Show-Ringkämpfen und<br />
prächtiger Theatersaal.<br />
St.Pauli-Archiv<br />
11<br />
S<br />
eit ich denken kann, habe ich mich für alte Gebäude<br />
interessiert. Vielleicht, weil ich in einem klassischen<br />
Jugendstilaltbau groß geworden bin“, sagt Kristina<br />
Sassenscheidt. Wenn sie über historische Architektur<br />
spricht, spürt man die Begeisterung bei jedem Wort. Die<br />
gebürtige Hamburgerin studierte Architektur in Berlin, spezialisierte<br />
sich auf Denkmalschutz. „Im Verfall wird Geschichte<br />
besonders spürbar“, sagt sie. Und erzählt mit<br />
leuchtenden Augen, wie sie hin und wieder auf Streiftour<br />
geht: Ruinen gucken. Solche Momente erlebt sie am liebsten<br />
allein. „Die Begegnung mit einem verfallenden Gebäude hat<br />
etwas sehr Intimes, fast Sakrales: Wenn Sonnenlicht durch<br />
Scheiben fällt und der Staub im Inneren tanzt, erinnert das<br />
sehr an Kathedralen.“ Ein Gebäude ist für Sassenscheidt<br />
„deutlich mehr als die Summe seiner Steine.“ Die ästhetische<br />
Bewertung unterliege immer auch dem Zeitgeist. „In<br />
den 40ern galt die Gründerzeitarchitektur, die jetzt alle so<br />
mögen, als beklemmend und menschenfeindlich.“ Unsere<br />
Stadt-Expertin mag besonders die Schiller-Oper, den Schellfischtunnel<br />
und den Veddeler Ballsaal. Ihr derzeitiger Lieblingsort<br />
ist die abrissbedrohte City-Hof-Passage. „Man muss<br />
sich die Zeit für den zweiten Blick nehmen.“ •<br />
11
Stadt-Expedition<br />
Rubrik<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>275</strong>/ JANUAR <strong>2016</strong><br />
Sie erinnert etwas an eine alternde Rotlicht-Schönheit.<br />
Die Farbe: abgeblättert, die Jungen schauen ihr<br />
nicht mehr hinterher, doch sie verteidigt stolz ihren<br />
Platz. Große Zeiten hat die Schilleroper gesehen:<br />
1899 als Stahlskelettkonstruktion von Zirkus-Zampano<br />
Paul Busch erbaut, beherbergte sie Artisten, Sänger, Ringer<br />
(1. ), Schauspieler und manchen Star: Hans Albers<br />
schmetterte hier Lieder, später Xavier Naidoo. Der Eintritt<br />
war günstig, der Alkohol auch. Besitzer kamen und gingen.<br />
Immer wieder sollte sie abgerissen werden. In den 90er-Jahren<br />
beherbergte sie sogar Flüchtlinge, obwohl durch den<br />
einstigen Prunksaal schon die Ratten liefen. Zuletzt ging es<br />
von 2004–2006 hoch her: Szenegänger liebten den morbiden<br />
Charme und tanzten zu Swing und Electro. Seit zehn Jahren<br />
ist Ruhe, das Gebäude verfällt immer mehr. Jenen, die mit<br />
dem Herzen sehen, zeigt es sich aber auch heute noch in<br />
seiner ganzen, ramponierten Schönheit.<br />
Bei der Schilleroper, Lektüretipp: Horst Königstein,<br />
Die Schiller-Oper in Altona, Suhrkamp, 1983.<br />
Hagenbeck, den Zoo kennt in Hamburg jedes Kind.<br />
In Stellingen kann man heute vom Achilles-Doktorfisch<br />
bis zur Zwergziege allerlei Getier sehen. Los<br />
ging aber alles 1874 am Neuen Pferdemarkt 13.<br />
Dort, wo heute Schüler lernen, erstreckte sich auf 6200 Quadratmetern<br />
„Hagenbecks Thierpark“: zwischen Pferdemarkt,<br />
Augustenpassage und Ludwigstraße. So kamen Schnappschüsse<br />
wie (2. ) zustande: Elf Elefanten (wiegen ausgewachsen<br />
mehr als drei VW Golf) stehen vor Laubbäumen auf der<br />
grünen Wiese. 1901 zog die Karawane weiter.<br />
Neuer Pferdemarkt 13, www.hagenbeck.de<br />
Bibliothekarin im St. Pauli-Archiv<br />
hält es für einen „Kitschbau“, andere<br />
liebten das (3. ) Konzerthaus Ludwig<br />
03.Die<br />
gerade wegen seiner übertriebenen<br />
Ornamentik: Kuppel, Tuffsandsteingrotten, Wintergarten,<br />
Wasserfall über drei Etagen. Erbaut 1877 war die „Volksoper“<br />
Theater, Opernhaus und Bierschenke, bis sie im Zweiten<br />
Weltkrieg zerstört wurde. 1966 folgte an ihrer Stelle das 89<br />
Meter hohe Iduna-Hochhaus. Bei dessen Sprengung (Asbest!)<br />
stapelten sich 1995 die Neugierigen hinter Absperrungen.<br />
Heute hebt man unten sein Bier im Zwick.<br />
Millerntorplatz 1, Video zur Sprengung: www.huklink.de/sprengung<br />
Während überall des berühmten Sohns der Stadt,<br />
Brahms, gedacht wird, finden sich von Felix<br />
Mendelssohn Bartholdy wenige Spuren. Dabei<br />
stand das (4. ) Geburtshaus des berühmten<br />
Komponisten und Dirigenten in der Neustadt. Von 1809 –11<br />
lebte die Familie dort, bevor sie wegen der französischen<br />
Besetzung nach Berlin floh. An der Ludwig-Erhard-Straße<br />
erinnert ein Denkmal an ihn. Als Mendelssohn mit nur 38 Jahren<br />
starb, hinterließ er der Musikwelt bedeutende Werke wie<br />
den „Hochzeitsmarsch“ aus dem „Sommernachtstraum“.<br />
Große Michaelisstraße 14, heute Michaelisstraße/Erste Brunnenstraße,<br />
www.fufmendelssohngesellschaft.de<br />
7. Schellfischtunnel<br />
Die einstige „Lebensader“<br />
Altonas ist seit<br />
1993 verschlossen.<br />
6. Straßenbahnen<br />
Sie gehören seit 1978<br />
leider nicht mehr zu<br />
Hamburgs Straßenbild.<br />
2. Hagenbeck<br />
Der beliebte Zoo hatte<br />
seinen Standort bis 1901<br />
am Neuen Pferdemarkt.<br />
Stadtteilarchiv Ottensen/ OBV-Archiv<br />
12<br />
12
Hagenbeck-Archiv<br />
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
St.Pauli-Archiv<br />
Rubrik<br />
3. Konzerthaus Ludwig<br />
Protzbau mit viel Tand<br />
und Wasserspielen – bei<br />
Biertrinkern beliebt<br />
Archiv Mendelssohn-Haus<br />
4. Felix Mendelssohn<br />
Bartholdy<br />
Der Komponist wurde in<br />
diesem Haus geboren.<br />
5<br />
2<br />
6<br />
7<br />
1<br />
3<br />
4<br />
9<br />
8<br />
Bildarchiv Hamburg Jens Wunderlich<br />
Bildarchiv Hamburg Jens Wunderlich<br />
Stadtteilarchiv<br />
Ottensen/ OBV-Archiv<br />
5. Eisbahn vor dem Dammtor<br />
Auf Tennisplätzen<br />
eislaufen – das ging früher.<br />
13
Stadt-Expedition Rubrik<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>275</strong>/ JANUAR <strong>2016</strong><br />
Am Rothenbaum, wo heute Tennis gespielt<br />
wird, konnten die Hamburger früher Schlittschuh<br />
laufen – und das ging so: Im Winter<br />
wurden auf den (5. ) Tennisplätzen des<br />
Harvestehuder Lawn-Tennis-Clubs (HTHC)<br />
Netze und Pfosten abgebaut. Dann setzte man die Plätze<br />
für das Schlittschuhlaufen unter Wasser. Sofern die Minusgrade<br />
mitspielten, zogen die Pirouettendreher einfach<br />
ein paar Schritte weiter: zur zugefrorenen Alster.<br />
Hallerstraße 89, www.hthc.de<br />
Heute trifft sich am Alma-Wartenberg-<br />
Platz nachts halb Ottensen, tagsüber betteln<br />
Tauben, ein offenes Pissoir stinkt zum<br />
Himmel. Früher kreuzten über den damaligen (6. )<br />
Friedenseichenplatz noch Hamburgs Straßenbahnen.<br />
Sie hingen an Trolleystangen, die sie mit der Oberleitung<br />
verbanden. Zwischen 1920 und 1958 rollten einige sogar<br />
mit Briefkästen als mobile Post durch die Stadt. 1978 machten<br />
sich die letzten Straßenbahnen (mit dem klangvollen Namen<br />
„Sambawagen“) auf den Weg ins Depot nach Niendorf.<br />
Wen heute die Schienensehnsucht packt, muss ins Museum<br />
gehen. Am Schönberger Strand bei Kiel kann man mit einem<br />
restaurierten Hamburger Straßenbahnwagen fahren.<br />
Alma-Wartenberg-Platz, www.hamburger-strassenbahn.de,<br />
www.vvm-museumsbahn.de<br />
Im Volksmund heißt er bis heute „Schellfischtunnel“,<br />
weil durch den 1874 erbauten Hafenbahntunnel<br />
viel Frischfisch transportiert wurde.<br />
Die Güterzüge fuhren vom Hafenanleger Neumühlen durch<br />
den Elbberg bis zum Bahnhof Altona. Der Tunnel galt als<br />
Altonas „Lebensader“. Das pralle Leben fand auch in den<br />
80ern statt, als der nur noch wenig frequentierte Tunnel beliebter<br />
Treffpunkt der Schwulenszene wurde. 1989 fuhr der<br />
letzte Güterzug, vier Jahre später wurden die (7. ) Tunneleingänge<br />
mit Stahltoren verschlossen. Der Verein zur<br />
Rettung der Hafenbahn Hamburg-Altona will ihn erhalten.<br />
Elbberg, Richtung grünes, gebogenes Dach gehen und nach ein paar<br />
Metern links über die Mauer schauen. www.huklink.de/tunnel<br />
9. Veddeler Ballsaal<br />
Einstiger Tanztempel –<br />
2008 von Kulturinitiativen<br />
kurz wiederbelebt<br />
Mathias Lintl<br />
Baden in der Elbe – heute nur etwas für Hartgesottene,<br />
aber früher planschten viele Hamburger am<br />
08.<br />
Elbufer. Etwa auf der (8. ) Elbinsel Kaltehofe. Zwischen<br />
1930 und den frühen 60er-Jahren trafen sich am Kaltehofer<br />
Hauptdeich vor allem die Einwohner von Rothenburgsort,<br />
Hamm und Hammerbrook zum Schwimmen. Wer es selbst<br />
ausprobieren möchte: vom 8.–10. Juli <strong>2016</strong> findet in Wittenberge<br />
(1,5 Autostunden von Hamburg) der Elbebadetag statt.<br />
Kaltehofer Hauptdeich, kurz hinter der roten Brücke in Richtung<br />
Wasserkunst Kaltehofe, www.huklink.de/baden<br />
Ein mit Stuck verziertes, prachtvolles Vorderhaus<br />
von außen, ein gut besuchter Tanzschuppen<br />
im Hinterhaus: Das war der Veddeler<br />
Ballsaal. 1896 erbaut war er bis 1920 Teil des<br />
„Vergnügungslocal Hinrichsen“. Später nutzte die Post das<br />
Gebäude für die Telefonvermittlung. In den 80er-Jahren mieteten<br />
sich Schraubenhersteller und eine Reinigungsfirma ein,<br />
während im Keller Bands probten. Zur IBA 2008<br />
erweckten Wilhelmsburger Initiativen um Mathi-<br />
as<br />
Lintl (KuBaSta) das Gebäude wieder zum Leben.<br />
Sie veranstalteten Konzerte, Workshops und<br />
Diskussionen. Der Ballsaal war dabei stets präsent:<br />
in historischen Bildern, die an die Wand<br />
geworfen wurden, und durch eine riesige (9. )<br />
Plastikblase im Rauminneren, die als Haus<br />
im Haus fungierte. Ein letztes Aufbäumen:<br />
2009 machte die Besitzerin, die Hamburg Port<br />
Authority, alles dem Erdboden gleich.<br />
Veddeler Elbdeich 23, www.denkmalverein.de •<br />
Bildarchiv Hamburg<br />
Jens Wunderlich<br />
8. Elbfreibad Kaltehofe<br />
Kind und Kegel badeten bis Anfang<br />
der 60er ohne Scheu in der Elbe.<br />
14
Stadtgespräch<br />
Meldungen (2)<br />
Politik & Soziales<br />
Senat fördert den sozialen Arbeitsmarkt kaum<br />
1000 neue sozialversicherungspflichtige Jobs für Langzeitarbeitslose<br />
hat Rot-Grün nach der Bürgerschaftswahl 2014 versprochen.<br />
Bislang wurden neben den 500 bereits bestehenden<br />
aber nur 100 geschaffen, so der Senat in seinen Antworten<br />
auf Bürgerschaftsanfragen von Linken und CDU. 200 weitere<br />
sollen dieses Jahr eingerichtet werden. Ein Hamburger Bündnis<br />
aus Wohlfahrtsverbänden, Deutschem Gewerkschaftsbund<br />
(DGB) und Beschäftigungsträgern forderte den Senat angesichts<br />
dieser Zahlen auf, sein Versprechen endlich umzusetzen.<br />
„Wir brauchen dringend Maßnahmen für einen sozialen<br />
Arbeitsmarkt“, so die DGB-Vorsitzende Katja Karger. UJO<br />
•<br />
Initiativpreis für Marily Stroux<br />
Marily Stroux, Hamburger Fotografin und Aktivistin mit griechischen<br />
Wurzeln, ist für ihr jahrzehntelanges Engagement<br />
für Flüchtlinge ausgezeichnet worden. Der Verein Jugendliche<br />
ohne Grenzen (JoG) verlieh ihr den Initiativpreis 2015. Die<br />
65-Jährige ist Gründungsmitglied des Wohnschiffprojekts Altona,<br />
das vor allem Flüchtlingskindern hilft. Seit einigen Jahren<br />
betreiben Stroux und ihre Mitstreiter auf der griechischen<br />
Insel Lesbos ein Infomobil und in Athen zwei Flüchtlingswohnungen.<br />
Jugendliche ohne Grenzen kürt jährlich auch einen<br />
„Abschiebeminister“: diesmal den sächsischen Innenminister<br />
Markus Ulbig (CDU). Das Besondere an JoG: Die Vereinsmitglieder<br />
sind junge Flüchtlinge und ihre Freunde. BIM<br />
•<br />
Mehr Infos unter www.huklink.de/stroux<br />
Zwei tote Obdachlose auf St. Pauli<br />
Innerhalb weniger Tage sind Mitte Dezember<br />
zwei Obdachlose auf der Reeperbahn<br />
gestorben. Laut Polizei gibt es<br />
„keine Hinweise auf Fremdverschulden“.<br />
Bei einem der Toten seien leere<br />
Spritzen gefunden worden. Bei Redaktionsschluss<br />
waren beide nicht identifiziert,<br />
Obduktionsergebnisse lagen noch<br />
nicht vor. In Rosengarten bei Hamburg<br />
starb ein 66-Jähriger nach einem Brand<br />
in einer Unterkunft. Die Brandursache<br />
war bei Redaktionsschluss unklar, einen<br />
Anschlag schloss die Polizei aus. UJO<br />
•<br />
Konzept Wohnungslosenhilfe<br />
Ziele wurden<br />
nicht verwirklicht!<br />
Es sollte dafür sorgen, dass Menschen ohne eigene<br />
vier Wände schneller und besser geholfen<br />
wird: das „Gesamtkonzept der Wohnungslosenhilfe<br />
in Hamburg“. Drei Jahre haben<br />
Behörden und Wohlfahrtsverbände an seiner<br />
Umsetzung gearbeitet, diesen Monat tagt der<br />
Beirat ein letztes Mal.<br />
Die Bilanz der Fachleute fällt ernüchternd<br />
aus. „Die Vermutung, dass auf dieser Grundlage<br />
keine umfassende Verbesserung der Lebenssituation<br />
wohnungsloser Menschen erzielt<br />
werden kann, hat sich leider bestätigt“, schreibt<br />
die Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege<br />
(AGFW) in einer Stellungnahme.<br />
„Mit Enttäuschung“ stellen die Experten fest,<br />
„dass abgesehen von einigen punktuellen Fortschritten<br />
keine wesentliche Umsteuerung des<br />
Hilfesystems gelungen ist“.<br />
Die Verbesserungen sind überschaubar.<br />
Drei Schwerpunktpraxen für Obdachlose wurden<br />
„gut angenommen und haben sich im Hilfesystem<br />
etabliert“, so die AGFW. 30 neue<br />
Schlafplätze für obdachlose Frauen will die<br />
Stadt bis März schaffen. Und nie gab es so<br />
viele Notschlafplätze wie in diesem Winter.<br />
Viele andere Ziele wurden nicht verwirklicht.<br />
Ein Pflegeheim für Wohnungslose fehlt<br />
weiterhin, auch eine zweite Einrichtung für<br />
junge Obdachlose. Und die Frage, wie Zwangsräumungen<br />
häufiger verhindert werden könnten,<br />
sei gar nicht erst behandelt worden. Dabei<br />
ist es, so die AGFW, „weitaus schwieriger,<br />
für die Betroffenen neuen Wohnraum zu besorgen,<br />
als den bestehenden zu sichern“.<br />
Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum<br />
wirke als „Bremsklotz“, so die Wohlfahrtsverbände.<br />
Er „führte dazu, dass Arbeitsgruppen<br />
keine zufriedenstellenden Ergebnisse lieferten<br />
oder gar nicht erst begannen“. Bestes Beispiel<br />
dafür sind die sogenannten Clearinghäuser, die<br />
etwa in München als großer Erfolg gelten. Sie<br />
sollen ermöglichen, dass Wohnungslose mithilfe<br />
von Sozialarbeitern innerhalb von sechs<br />
Monaten Perspektiven entwickeln und zurück<br />
in eigene vier Wände ziehen. Doch wohin, fragen<br />
die Fachleute, sollen die Menschen ziehen,<br />
wenn es keine Wohnungen für sie gibt?<br />
„Der Schlüssel zu einer Verringerung der<br />
Wohnungslosigkeit liegt im Wohnungsbestand“,<br />
so die AGFW. Deshalb müsse Saga<br />
GWG jedes Jahr mindestens die Hälfte ihrer<br />
frei werdenden Wohnungen – rund 4500 – an<br />
vordringlich Wohnungssuchende vergeben,<br />
davon 2000 an wohnungslose Haushalte. UJO<br />
•<br />
15
Viel mehr als Kollegen im neuen Shop in der Glashüttenstraße: AMIN, LENA,<br />
MARCEL und DOMINIK wohnen derzeit auch zusammen in der Groß-WG von<br />
Marcel. „Wir sind mehr als Freunde, das ist meine neue Familie“, sagt Amin.
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Vom Glück, etwas<br />
zu bewegen<br />
Für die Ehrenamtlichen in den Messehallen hat eine neue Ära begonnen:<br />
Sie haben einen Verein gegründet, liefern Kleidung in Flüchtlingslager im Irak oder<br />
auf Lesbos, haben einen Shop eröffnet und sind in ein neues Lager gezogen.<br />
TEXT: BIRGIT MÜLLER<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Die Zeichen bei Deutschlands berühmtester<br />
Kleiderkammer in den Messehallen stehen eigentlich<br />
immer auf Veränderung. Wenn diese<br />
Ausgabe erscheint, ist sogar die Messehalle<br />
schon Vergangenheit: Die Halle B7 ist dann<br />
schon besenrein übergeben. Und 2500 Paletten mit Kleidung,<br />
Bettdecken, Schuhen, Schlafsäcken und Isomatten<br />
sind im neuen Lager bei Hermes in Bramfeld. „Ich weiß<br />
schon gar nicht mehr, wie oft wir umgezogen sind“, sagt René,<br />
so etwas wie der ehrenamtliche Cheflogistiker hier. René<br />
bezeichnet sein Engagement deshalb als eine Art Reise. Eine<br />
Reise, die jetzt vielleicht bald endet, weil der Mietvertrag bei<br />
Hermes über drei Jahre läuft. Dann will der 42-Jährige sich<br />
auch mal wieder mehr seinem Beruf und seiner IT-Firma<br />
widmen – und seiner Familie. Das alles kam nämlich seit<br />
August wie bei vielen Helfern hier deutlich zu kurz.<br />
Aber ob das wirklich was wird mit dem „Ende der Reise“?<br />
Ziemlich unwahrscheinlich. Bei dieser Hilfsorganisation<br />
bewegt sich ständig was, und die Aufgaben werden größer<br />
und größer. Vor ein paar Wochen haben die Ehrenamtlichen<br />
einen Verein gegründet: Hanseatic Help. Und einen Shop in<br />
der Glashüttenstraße namens Hanseatic Heels haben sie aufgemacht<br />
mit all den Spenden, die Flüchtlinge derzeit nicht<br />
brauchen: High Heels und Abendkleider beispielsweise.<br />
Das ist aber nicht Renés Beritt. Er organisiert gerade eine<br />
Riesenaktion: In der Halle werden Lastwagen beladen, die in<br />
Flüchtlingslager in den Irak oder auf Lesbos fahren. 20 Wagenladungen<br />
sollen insgesamt raus. „Auf Lesbos gibt es keine<br />
funktionierenden Behörden mehr, die Menschen werden einfach<br />
ihrem Schicksal überlassen“, sagt er. Alles laufe nur über<br />
Hilfsorganisationen und Ehrenamtliche. Und nicht nur das:<br />
Jetzt kommen sogar schon Spenden aus der ganzen Welt<br />
nach Hamburg. Aus China angeblich 100.000 Jacken. Kein<br />
Wunder, dass René martialisch sagt: „Jede Herausforderung<br />
war bisher kriegsentscheidend.“ Und dann kürzertreten?<br />
Doch, sagt René ernst. Aber damit das Niveau gehalten<br />
oder sogar ausgebaut werden kann, muss sich bald wieder<br />
etwas ändern, sagt er: In Zukunft brauche man mindestens<br />
RENÉ, einer der Cheflogistiker, an einem der letzten Tage in den Messehallen:<br />
Schon seine Lehrerin bescheinigte ihm Organisationstalent. So ein<br />
Mammutprojekt wie die Kleiderkammer hat er allerdings noch nie betreut.<br />
17
„Wir sind eine<br />
große glückliche<br />
Bande.“ DOMINIK<br />
RUDI hat durch sein Engagement in den<br />
Messsehallen den Sinn seines Lebens<br />
wiedergefunden. 60 bis 80 Stunden arbeiten<br />
einige Helfer hier wöchentlich – auch Rudi.<br />
einen Festangestellten und einen Lkw-Fahrer. Aber trotz der<br />
ganzen Schufterei: Helfen ist nicht nur sinnvoll, sondern beglückt<br />
auch.<br />
Es muss ja nicht gleich so weltbewegend sein wie bei Rudi<br />
und Dominik. Rudi ging es Anfang des Jahres noch richtig<br />
schlecht: Der Schweizer Monteur hat vor zwei Jahren seine<br />
Frau und sein Kind bei einem Verkehrsunfall verloren. „Es<br />
war, als hätte eine Welle mein Leben weggezogen“, sagt der<br />
34-Jährige. Alles war ihm egal. Als er ganz unten war, wollte<br />
er woanders ein neues Leben anfangen, nahm einen Job in<br />
Hamburg an, wurde gefeuert und landete auf der Straße. Eines<br />
Tages kam er in die Messehallen, eigentlich, um selbst<br />
um Hilfe zu bitten – und blieb, als Helfer. „Was mir fehlte,<br />
war eine Perspektive, die habe ich hier gefunden“, sagt er.<br />
Und nicht nur das: Rudi hat eine Unterkunft gefunden – und<br />
eine neue Liebe.<br />
Dominik, 27, sagt, dass er gerade glücklich ist. Starke<br />
Worte für einen Obdachlosen. Auch sein Lebensmittelpunkt<br />
ist seit Monaten die Kleiderkammer. Es sei so toll mitzuerleben,<br />
wie es bei all den Menschen, die hier arbeiten, „Klick<br />
gemacht hat im Kopf“, sagt er. „Immer wird gesagt: Hier ist<br />
die Grenze, aber es gibt hier keine.“ Anfangs schlief er nach<br />
einem 16-Stunden-Tag sogar manchmal hier – auf einem<br />
Feldbett. Und er fand einen Freund: Auf dem Hauptbahnhof<br />
lernte er einen syrischen Flüchtling kennen: Amin (25).<br />
Der wollte eigentlich weiter nach Schweden. „Wir haben die<br />
ganze Nacht geredet und haben schnell eine Verbundenheit<br />
gespürt.“ Schweren Herzens verabschiedeten sie sich.<br />
Am Tag drauf trafen sie sich in den Messehallen wieder,<br />
die Grenze nach Schweden war geschlossen und so blieb<br />
Amin. Hier in der Halle haben Amin und Dominik auch<br />
Marcel kennengelernt. Der wiederum hat die beiden in seine<br />
Achter-WG eingeladen.<br />
Diese Menschen, sagt Amin, seien nicht nur seine Freunde:<br />
„They are my family.“ Seine echte Familie ist noch in Syrien.<br />
„Aber ich werde irgendwann arbeiten“, sagt der Schiffsmechaniker.<br />
„Und wenn ich Geld habe, dann hole ich sie.“<br />
Bis dahin versuchen alle nur eins: viel zu schaffen – und<br />
das zu bleiben, was sie gerade sind. „Wir sind eine große<br />
glückliche Bande“, sagt Dominik. •<br />
Info: www.hanseatic-help.de<br />
18
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Wenn nicht hier,<br />
wo dann?<br />
Die Hilfsbereitschaft für die ankommenden Flüchtlinge war überwältigend. Doch jetzt,<br />
wo es darum geht, neue Wohnungen für diese Menschen zu bauen, wehren sich Bürger gegen<br />
Wohnsiedlungen in ihrer Nachbarschaft. Und wenn die Stadt nachgibt, schafft sie es<br />
nicht, genügend Wohnungen zu bauen. Ein Dilemma.<br />
TEXT: ULRICH JONAS/JONAS FÜLLNER<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Die Aula der Anna-Warburg-Schule in Niendorf<br />
ist gut gefüllt. Rund 250 Bürger sind an diesem<br />
Dezemberabend gekommen. Die Stadt hat zur<br />
„Informationsveranstaltung“ geladen, weil sie<br />
hier im Stadtteil zusätzliche Holzblockhäuser und Wohncontainer<br />
für 1800 Flüchtlinge errichten wird. Der neue Flüchtlingskoordinator<br />
steht Rede und Antwort, ebenso der Bezirksamtsleiter<br />
und auch Vertreter des Roten Kreuzes, die die<br />
Flüchtlinge betreuen. Die Krisenmanager haben dazugelernt:<br />
An ihrer Seite steht die Pastorin und ermuntert die<br />
Bürger mit gewinnendem Lächeln zu „guten Begegnungen<br />
in einer Situation, die nicht gut ist“. Immer wieder danken<br />
die Vertreter der Stadt den vielen Ehrenamtlichen, ohne die<br />
es auch in Niendorf nicht gehen würde. Bitten um Unterstützung.<br />
Versuchen Ängste zu nehmen. Lassen Listen herumgehen,<br />
um Besorgte zu weiteren Treffen einzuladen. Die<br />
Männer von der Stadt versichern,<br />
dass sie „Anregungen mitnehmen“<br />
wollen. Und doch zeigt sich auch an<br />
diesem Abend, mit welch heißer Nadel<br />
die Behörden derzeit die Zukunft<br />
Hamburgs stricken und was sie noch<br />
lernen müssen im Umgang mit ihren<br />
Bürgern. „Wird es neue Lehrer geben?“,<br />
fragt eine junge Frau. Der<br />
Koordinator weiß es nicht. Er sagt,<br />
darüber mache sich die Schulbehörde<br />
Gedanken. Dass er nachfragen<br />
werde. Und dass die Antwort im<br />
Internet nachzulesen sein wird.<br />
Noch halten die Niendorfer still.<br />
Anderswo hat sich Widerstand formiert.<br />
„Es geht hier nicht um Ausländerfeindlichkeit“, sagt<br />
Volker Jahnke von der Bürgerinitiative Neugraben-Fischbek.<br />
„Es geht darum, dass wir keine Gettos wollen.“ 27.500 Menschen<br />
leben in seinem Stadtteil, rund 5000 Flüchtlinge sollen<br />
bald hinzukommen. „Das kann nicht gut gehen.“ Die Neugrabener<br />
wissen, worüber sie sprechen, sagt der 52-Jährige.<br />
Ein sehr guter Freund von ihm sei gläubiger Moslem. Andere<br />
stammen aus Spanien, Griechenland, Norwegen oder Pakistan.<br />
„Wir integrieren hier seit 50 Jahren Menschen“, sagt<br />
Jahnke. „Das war manchmal problematisch. Aber immer lösbar.<br />
Weil es kleine Mengen waren.“<br />
Es sind gewaltige Projekte, die der Senat im Eilverfahren<br />
durchzieht. In jedem der sieben Bezirke Hamburgs soll bis<br />
Jahresende ein Wohnquartier für 4000 Flüchtlinge gebaut<br />
werden – und bei Anwohnern die Angst vor Überforderung<br />
auslösen. Es gebe keine Wahl, sagt der Senat. Und hat er<br />
Der Rissener Klaus Schomacker findet<br />
75 Wohnungen für Flüchtlinge in seiner<br />
Nachbarschaft „mutig“. Zumal die Unterkunft<br />
nebenan auf 750 PLÄTZE erweitert wird.
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>275</strong>/ JANUAR <strong>2016</strong><br />
„Eigentlich müsste jeder<br />
junge Flüchtling einen<br />
deutschen Paten haben.“<br />
KLAUS SCHOMACKER<br />
nicht Recht? Im Dezember schliefen immer noch rund 750<br />
Flüchtlinge in Zelten. Der Winter ist noch lang. Und bis auf<br />
Weiteres rechnen die Behörden damit, Monat für Monat<br />
3000 neue Menschen unterbringen zu müssen. Aufs Jahr gesehen<br />
wären das 36.000 Flüchtlinge, die in Hamburg einen<br />
Ort zum Leben benötigen. „Wir müssen aus dieser Spirale<br />
von Zelten, Baumärkten und Lagerhallen raus“, sagt SPD-<br />
Fraktionsführer Andreas Dressel stellvertretend für den Senat.<br />
„Und dass sich jeder Stadtteil die Zahl der Flüchtlinge<br />
aussuchen kann, wird nicht funktionieren.“<br />
In Rissen schütteln sie über diese Argumentation nur die<br />
Köpfe. „Eindimensional“, sagt Klaus Schomacker. Der<br />
61-Jährige ist bei den Jungsozialisten groß geworden, war<br />
inter nationaler Vertriebsleiter für ein großes Unternehmen<br />
und gleichzeitig Betriebsrat. Nun ist er der Stratege der Bürgerinitiative<br />
„Vorrang für Integration und Nachhaltigkeit<br />
Rissen“ , verlangt „maximale Dezentralisierung“ bei der Unterbringung<br />
der Flüchtlinge und gute Integration. „Das kostet<br />
viel mehr Geld. Aber das fordern wir jetzt einfach.“<br />
Nicht weit von Schomackers Eigenheim entfernt will der<br />
Senat 800 Wohnungen für Flüchtlinge errichten. Gegenüber<br />
der Baufläche hat der Rissener Sportverein seine Heimat.<br />
Tennis und Hockey spielt man hier. Etwas weiter die Straße<br />
hinunter liegen verstreut viele alte, aber auch neue Einfamilienhäuser.<br />
Dass in dieser beschaulichen Gegend eines Tages<br />
die Bagger rollen würden, steht schon lange fest. Bereits 2004<br />
beschäftigten sich Gutachter mit dem Gebiet. Die Fläche hat<br />
allerdings einen Haken: Weil der Boden verseucht ist, wird<br />
die Erschließung teuer. Wohl auch deswegen liegt die Fläche<br />
immer noch brach. Für die vom Senat anvisierten 800 Wohneinheiten<br />
für Flüchtlinge hingegen ließ sich mit dem Bauunternehmen<br />
Otto Wulff zügig ein Interessent finden.<br />
Doch die Rissener Bürgerinitiative stellt sich quer. Ihr Gegenvorschlag:<br />
Weiterhin sollen 230 Wohnungen entstehen.<br />
Ein Drittel davon wird belegt mit Flüchtlingen. „Das finde ich<br />
schon ziemlich mutig“, sagt Schomacker. Und es geht ihm<br />
und seinen Mitstreitern nicht nur um den zusätzlichen Autoverkehr,<br />
den sie fürchten. Nein, sie denken auch darüber<br />
nach, was aus den Menschen werden soll, wenn sie ihre neuen<br />
Nachbarn sind: „70 Prozent sind junge Leute. Das ist eine<br />
Hammer-Aufgabe, die gelöst werden muss. Und eigentlich<br />
müsste jeder junge Flüchtling einen deutschen Paten haben.“<br />
Und die Rissener Akademiker stellen wichtige Fragen:<br />
Warum werden die geschätzt 5000 leer stehenden Wohnungen<br />
in der Stadt nicht genutzt? Und warum führt der Senat<br />
nicht sofort statt des bei größeren Bauprojekten inzwischen<br />
üblichen Drittel-Mixes einen Viertel-Mix ein: Ein Viertel Eigentumswohnungen,<br />
ein Viertel frei finanzierte Wohnungen,<br />
ein Viertel Sozialwohnungen und das letzte Viertel für<br />
Flüchtlinge? 6500 Wohnungen sind derzeit in Hamburg im<br />
Bau, sagt Schomacker. „Schon mit denen könnte man<br />
anfangen!“<br />
Die zuständige Stadtentwicklungssenatorin Dorothee<br />
Stapelfeldt (SPD) entgegnet auf Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Nachfrage:<br />
„Den Anteil der geförderten Wohnungen zu ändern, ist bei<br />
laufenden Bauprojekten nicht ohne Weiteres möglich, weil<br />
die Bauherren bereits Baurecht haben oder entsprechende<br />
Verträge geschlossen sind.“ Hamburg fördere zehnmal so<br />
viele Sozialwohnungen wie der Bundesdurchschnitt. Und:<br />
„Auch zukünftig ist eine Abkehr vom Drittelmix nicht zielführend,<br />
weil gerade die richtige Mischung von gefördertem<br />
und frei finanziertem Wohnungsbau entscheidend ist, um Investoren<br />
für den geförderten Wohnungsbau zu gewinnen.“<br />
Eine Nutzung der zahlreichen Leerstände wiederum scheitere<br />
in der Regel am mangelnden Brandschutz, an dem zeitaufwändigen<br />
Umbau oder den zu hohen Kosten, heißt es aus<br />
der behördlichen Koordinierungsstelle für Flüchtlinge.<br />
In Rissen ist daher nicht mit einer Einigung zu rechnen.<br />
Einen Befriedungsversuch des Bezirks – 600 neue Wohnungen,<br />
davon 400 für Flüchtlinge – lehnt die Bürgerinitiative<br />
ab. Das Geld für den mindestens 30.000 Euro teuren Rechtsstreit<br />
mit der Stadt wird schon gesammelt, ein Bündnis mit<br />
anderen Initiativen geschmiedet, um die Schlagkraft zu erhöhen.<br />
„Wir müssen die Hamburger bei diesem Thema wachküssen“,<br />
sagt Klaus Schomacker. Gelingt ihnen das, kann<br />
er sich auch ein Volksbegehren vorstellen, um den Senat zu<br />
einer anderen Politik zu zwingen.<br />
In Klein Borstel, Lokstedt und Lemsahl-Mellingstedt<br />
haben Anwohner inzwischen vor Gericht einen Baustopp<br />
erwirkt. Sollten weitere Bürger erfolgreich klagen, könnte aus<br />
dem Expressbauprogramm schnell ein Rohrkrepierer werden.<br />
Der Senat hat reagiert und mehrfach das Baurecht ver ändert.<br />
Dennoch ist der Ausgang der Prozesse ungewiss.<br />
Gerne würde man in Rissen von einer Klage absehen,<br />
sagt Klaus Schomacker. Es gebe 104 Stadtteile in Hamburg.<br />
Warum also werde die Last der Integration auf wenige Quartiere<br />
verteilt? Für einen Stadtstaat sei es schwer, Flächen zu<br />
20
„Es geht darum, dass wir KEINE GETTOS wollen“, sagen die<br />
Neugrabener Norbert Höbelt (links) und Volker Jahnke. 1500 Flüchtlinge<br />
würden sie hier am Stadtrand integrieren – aber nicht 5000.<br />
finden, heißt es aus der Stadtentwicklungsbehörde. 100 mögliche<br />
Standorte für den Wohnungsbau würden derzeit geprüft.<br />
Neben einer schnellen Umsetzbarkeit müssten auch<br />
Nahversorgung und Verkehrsanbindung sichergestellt sein.<br />
Bei den geplanten Großbauprojekten habe man diese<br />
Aspekte berücksichtigt, sagt Ingrid Breckner. Die Professorin<br />
„Wir können auf<br />
diese Plätze<br />
nicht verzichten.“<br />
SOZIALSENATORIN MELANIE LEONHARD<br />
für Stadt- und Regionalsoziologie an der HafenCity Universität<br />
unterstützt die Senatspläne. Schließlich würden mit<br />
einem Schlag dringend benötigte Sozialwohnungen gebaut.<br />
„Und das mit einer Bindung von 30 Jahren.“ Außerdem wolle<br />
die Stadt nur in einer ersten Phase die Wohnungen ausschließlich<br />
mit Flüchtlingen belegen. Später sollen die Siedlungen<br />
auch Hamburger Geringverdienern offenstehen. Bei<br />
einer Tagung zur „Stadt des Ankommens“ zeigte sich Ingrid<br />
Breckner daher zuversichtlich, dass eine Einigung mit den<br />
Initiativen möglich ist.<br />
Man habe in allen Bezirken Informationsveranstaltungen<br />
durchgeführt, sagt Senatorin Stapelfeldt zu Vorwürfen,<br />
die Bürger würden nicht ausreichend informiert. „Und natürlich<br />
werden wir weiterhin den Dialog suchen. Entscheidend<br />
ist aber, dass wir diese Wohnungen brauchen, um<br />
Obdachlosigkeit zu vermeiden.“<br />
Die Neugrabener Bürgerinitiative hat dem Senat Mitte<br />
Dezember einen schriftlichen Vorschlag unterbreitet. Darin<br />
erklärt sie sich bereit, in ihrem Stadtteil „1500 Flüchtlinge in<br />
Folgeunterbringungen zu beherbergen und die Integrationsarbeit<br />
aktiv zu unterstützen“. Heimlich haben sie ja schon<br />
lange den Flüchtlingen in ihrer Nachbarschaft geholfen, darüber<br />
aber aus strategischen Gründen nicht groß geredet. Sozialsenatorin<br />
Melanie Leonhard (SPD) stellt allerdings klar:<br />
„Wir können auf diese Plätze nicht verzichten.“ Es könnte<br />
ein langes Tauziehen werden – zulasten der Flüchtlinge. •<br />
Mehr Infos im Internet: www.binf-online.de, www.vin-rissen.de und<br />
www.hamburg.de/fluechtlinge<br />
21
Nasratullah (Dritter von rechts) und seine<br />
Gruppe aus Afghanistan übernachten in der<br />
MOSCHEE, betreut vom Flüchtlings beauftragten<br />
Abdellah Benhammou (vorn rechts).<br />
Nachtasyl auf dem<br />
Gebetsteppich<br />
Flüchtlingen, die auf dem Weg nach Skandinavien in Hamburg Station machen,<br />
bietet die Al-Nour Moschee eine sichere Zuflucht für eine Nacht. Für die Gemeinde<br />
ist das selbstverständlich – und ein Kraftakt, der nur durch Spenden möglich wird.<br />
TEXT: ANNABEL TRAUTWEIN<br />
FOTO: DMITRIJ LELTSCHUK<br />
Die ersten Gäste der Nacht schlafen schon. Ihre Schuhe<br />
haben sie ins Regal gestellt, ihre Kleider unter<br />
den Wolldecken anbehalten. Es riecht nach Schweiß<br />
und abgestandenem Atem. Einer schnarcht, einige husten,<br />
Neonlicht scheint grell von der niedrigen Decke. Aber der<br />
Teppich im Gebetsraum ist weich und sauber. Und hier ist<br />
noch Platz, rund 300 Menschen können dazukommen. Die<br />
Nacht in der Al-Nour Moschee hat gerade erst begonnen.<br />
Steckdosen – danach fragen die Flüchtlinge zuerst, erzählt<br />
Abdellah Benhammou. Nacht für Nacht nimmt der<br />
breitschultrige Mann aus Marokko die Durchreisenden in<br />
Empfang, die von Helfern vom Hauptbahnhof zur Moschee<br />
begleitet werden. Alle wollen ihr Handy aufladen. Doch es<br />
gibt nur noch zwei Steckdosen, die funktionieren. „Das ist<br />
dieser Hochbetrieb: rein, raus, rein, raus. Der Flüchtlingsbeauftragte<br />
der Al-Nour Gemeinde hat sich daran gewöhnt, oft<br />
nur das Nötigste geben zu können: Wasser zum Waschen,<br />
Trinken und Essen und einen Schlafplatz auf dem Teppich.<br />
Die meisten, die in der Moschee in St. Georg stranden,<br />
kommen aus Syrien oder Afghanistan, sagt der 48-Jährige.<br />
Auf dem Weg nach Skandinavien ist Hamburg für sie eine<br />
Zwischenstation. Seit rund drei Monaten sind es meist junge<br />
Männer. Die flüchtenden Familien seien weniger geworden:<br />
„Das sind jetzt die Nachzügler – Jugendliche, die eigentlich<br />
in der Heimat bleiben wollten.“ Die meisten sind Muslime,<br />
aber auch Christen oder Menschen ohne Glauben finden in<br />
der Moschee Schutz. Der Flüchtlingsbeauftragte sieht es<br />
pragmatisch: „Wir bieten einen Raum zum Schlafen.“ Für<br />
eine Nacht, manchmal zwei. Dann geht die Flucht weiter.<br />
Wohin? Nasratullah zuckt die Schultern. Seine Augen<br />
sind rot vor Müdigkeit. Nasratullah ist 22 Jahre alt, verheiratet,<br />
Vater von drei Kindern. Und ehemaliger Soldat in der afghanischen<br />
Armee. „Special force“, sagt er. Er legt Wert darauf,<br />
dass die Deutschen verstehen, was das heißt: Die<br />
Spezialeinheiten kämpfen an der Seite der NATO-Truppen<br />
gegen die Taliban. Auch sein Bruder und sein Vater waren<br />
dabei. Auf seinem Handy zeigt er Fotos von ihnen in Uniform.<br />
Alle drei lächeln. Trotzdem ist Nasratullah jetzt kein<br />
Soldat mehr. Er will nie wieder kämpfen, sagt er auf Farsi.<br />
Sein Wegbegleiter Sharif, der fünf Sprachen spricht, über-<br />
22
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
setzt: „Stell dir vor, die Taliban holen sich meinen Cousin.<br />
Ich bin in der Armee. Dann muss ich auf ihn schießen.“<br />
Deshalb ist Nasratullah geflohen, gemeinsam mit anderen,<br />
die mit ihm in der Al-Nour Moschee übernachten. Zwei<br />
Monate lang waren sie unterwegs: über Iran, Türkei, Bulgarien,<br />
Serbien, Kroatien, Österreich nach Deutschland. „Vom<br />
Iran in die Türkei sind wir drei Tage und drei Nächte gelaufen“,<br />
erzählt Sharif. „Von der Türkei nach Bulgarien fünf<br />
Tage und fünf Nächte durch die Berge.“ In Bulgarien sei es<br />
am schlimmsten gewesen. „Sie lassen Hunde auf dich los,<br />
nehmen dein Geld und dein Telefon, einfach alles.“ Nasratullah<br />
hat sein Telefon noch. Auf einem Foto auf dem<br />
Handy hält er seine beiden Söhne und seine Tochter im Arm.<br />
Seit zwei Monaten hat er sie nicht mehr gesprochen.<br />
Auf der Reise vom Unerträglichen ins Ungewisse ist die<br />
Al-Nour Moschee ein Rastplatz geworden. Jede Information<br />
kann entscheidend sein für den weiteren Weg, Erlebnisse, Erkenntnisse<br />
und Halbwissen werden weitergegeben. Alle haben<br />
mehr Fragen als Antworten, auch Abdellah Benhammou<br />
kann nicht allen weiterhelfen. Während die Männer aus Afghanistan<br />
erzählen, spricht er mit einem syrischen Paar. Die<br />
Kinder der beiden sind auf der Flucht verschollen, nun gibt<br />
es einen Hoffnungsschimmer: Auf Facebook fanden sie ein<br />
Video aus Italien, in dem sie ihren Sohn zu erkennen glauben.<br />
„Wollt ihr wirklich dahin fahren?“, fragt Abdellah Benhammou.<br />
Geld haben sie nicht, auch die Gemeinde kann ihnen<br />
keines geben. Doch die Eltern sind fest entschlossen.<br />
„Zu 80 Prozent Wahrscheinlichkeit ist er es“, sagt der Vater.<br />
Ob die beiden tatsächlich abreisen, bekommt der Flüchtlingsbeauftragte<br />
nicht mehr mit. Seit die Moschee jede Nacht<br />
rund 400 Menschen beherbergt, wechseln sich die Helfer ab.<br />
Etwa fünf Gemeindemitglieder pro Schicht kümmern sich<br />
um die Flüchtenden. Alle tun das ehrenamtlich, sagt Abdellah<br />
Benhammou. Unterstützt wird die Moschee von Familien,<br />
die Spenden sammeln und Essen kochen, und von den<br />
umliegenden Restaurants. Zudem hat der Paritätische Wohlfahrtsverband<br />
eine Mülltonne bereitgestellt, die täglich geleert<br />
wird. Sachspenden machen die Hilfe erst möglich, sagt<br />
der Flüchtlingsbeauftragte.<br />
„Mosque is safe“, sagt Sharif. Die Moschee ist sicher.<br />
„Es ist einfach ein Ort, an dem man sich wohlfühlt“, meint<br />
Abdellah Benhammou. „Moscheen waren immer Zufluchtsorte.“<br />
Dennoch muss er dafür sorgen, dass der Gebetsraum<br />
pünktlich um 6.39 Uhr wieder als solcher genutzt werden<br />
kann. Helfer wecken die Schlafenden in den ersten Reihen,<br />
damit sie sich vor dem Frühgebet waschen oder zumindest<br />
einen schmalen Korridor frei machen für die Gemeindemitglieder.<br />
Bis 9 Uhr können die Flüchtenden weiterschlafen,<br />
bevor sie aufbrechen zur nächsten Etappe. Danach rückt die<br />
letzte Schicht der Helfer mit Staubsauger und Raumspray an<br />
und lüftet die Räume. „Dann arbeiten wir daran, dass die<br />
Moschee wieder zu einer Moschee wird.“ •<br />
HAFEN AKADEMIE HAMBURG<br />
zugunsten von<br />
KICKERTURNIER <strong>2016</strong> Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
7. GROSSES TISCHFUSSBALL TURNIER<br />
am 06.02.<strong>2016</strong> ab 11 Uhr<br />
im Ballsaal des FC St. Pauli<br />
Auch bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> soll das Runde ins Eckige.<br />
Wenn Sie beim großen Kickerturnier mitmachen wollen,<br />
dann melden Sie sich jetzt schnell an unter:<br />
www.hinzundkunzt-kickerturnier.de<br />
Voraussetzungen: Spielfreude und gute Laune – mitmachen<br />
kann jeder. Bringen Sie Ihre Freunde und Familie<br />
mit zu einem ganz besonderen Spieltag beim FC St. Pauli.<br />
<strong>2016</strong><br />
Mit freundlicher Unterstützung von:
Peter, 64, obdachlos, vor dem Gemälde „Die Hülsenbeckschen Kinder“ (1805/06) von Philipp Otto Runge, der als EXTREM-ROMANTIKER gilt:<br />
„Es ist so schön, wie die Kinder im eigenen Garten spielen. Da braucht sich die Mutter nicht zu kümmern. Sie hat die Kinder bestimmt im Blick.<br />
Die zwei Größeren ziehen liebevoll den Wagen, sie tun sich liebevoll um das Kleinere kümmern. Die Freundlichkeit der Kinder finde ich so schön.<br />
Die haben bestimmt eine Mutter, die sie liebhat. Das ist nicht selbstverständlich. Überleg mal, die Mutter, die ihr Kind vor die U-Bahn geschubst hat,<br />
das Kind hat zum Glück überlebt. Eine andere Frau hat es gerettet. Sonst wäre es jetzt tot. Ich finde, die Frau hat eine Goldmedaille verdient.“<br />
24
Stadtgespräch<br />
Kunst,<br />
Kreise und<br />
Gekrakel<br />
Mit Hinz&Künztlern zu Besuch bei<br />
„Spot on!“ in der Kunsthalle.<br />
TEXT: BIRGIT MÜLLER<br />
FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK<br />
Wenn uns nicht Kuratorin Anna Heinze<br />
durch die Kunsthalle geführt hätte, wär<br />
uns so einiges entgangen. Zum Beispiel<br />
dieser schwarze Kreis gleich am Eingang.<br />
Soll das etwa Kunst sein? Vera ist aufgefallen, dass der<br />
Kreis nicht mal ordentlich gemalt ist und sogar eine Delle<br />
hat. Sven vom Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Kaffeetresen raunt uns zu:<br />
„Also damit würd ich auch gern Geld verdienen.“ Als wir<br />
später an einem Haufen angekokelter Holzscheite vorbeigegehen<br />
– wenn’s denn Holzscheite waren –, werfen<br />
wir uns nur vielsagende Blicke zu. Wir, das sind übrigens<br />
die beiden Verkäufer Vera und Peter, Ingo, ein Besucher<br />
unserer Kaffeestube, Sven vom Kaffeetresen, Fotograf<br />
Dmitrij und ich aus der Redaktion. Und wir alle, das wird<br />
uns dank Anna Heinze deutlich, haben keine Ahnung von<br />
der Materie.<br />
Vera ist die Einzige, die tatsächlich was mit Kunst<br />
macht. Sie arbeitet derzeit in einem Kunstprojekt, als Ein-<br />
Euro-Jobberin. Das Atelier wird aber bald geschlossen,<br />
sagt sie. „Weil Kunst ja keine Arbeit ist.“ So richtig begabt<br />
sei sie gar nicht, sagt die 53-Jährige. Aber als wir nachfragen,<br />
erzählt sie, dass sie gerade eine Methode ausprobiert:<br />
„Dot-Painting“, Bilder, die aus Punkten (Dots) bestehen.<br />
„So bemalen die Aborigines in Australien ihre Musikinstrumente,<br />
Fußböden oder Wände“, sagt Vera. „Ich halt’s<br />
etwas kleiner. Beim Malen kann ich so richtig entspannen<br />
und versinken.“<br />
Aber zurück zum Kreis von Richard Serra. „Spot<br />
on!“ (1996) heißt er. „Damit wollte der Künstler den<br />
Architekten der Kunsthalle, Oswald Mathias Ungers,<br />
ärgern“, erzählt uns Anna Heinze. Quasi einen Kontrapunkt<br />
setzen zu dessen strenger Architektur. „Ungers war<br />
ein Quadratfan“, sagt sie. Der Grundriss ist quadratisch,<br />
die Fußboden-Kacheln – und alles perfekt.<br />
25
Ingo mit „Der Chor der Nieuwe Kerk in<br />
Delft“ (1650) von Gerard Houckgeest:<br />
„Das Mosaik am Boden, das Schachbrettmuster,<br />
finde ich gut als Kontrast<br />
zu den ruhigen Farben – und dann diese<br />
Lichtspielereien! Und die kleinen Figuren<br />
unten bringen etwas Leben rein“, sagt<br />
der 61-jährige Frührentner begeistert.<br />
„Allgemein gehe ich gern in Kirchen,<br />
vor allem in die Petrikirche, wo ich<br />
manchmal auch Konzerte höre.<br />
Die Kirche ist für mich ein RUHE-<br />
RAUM. Das finde ich in der nervigen<br />
Großstadt besonders wichtig.“
„Serra setzte Ungers ein nicht ganz so<br />
perfektes Förmchen rein.“ „Hat Ungers<br />
das noch erlebt?“, fragt Vera. „Nicht<br />
nur das, er hat es auch genehmigt“, sagt<br />
Anna Heinze. Nicht nur den Punkt,<br />
sondern sogar die Wand, auf die er ihn<br />
gemalt habe. Eigentlich hatte Ungers<br />
eine Blickachse schaffen wollen, von<br />
ganz hinten nach vorne durch. Die war<br />
dann auch hinüber.<br />
„Spot on!“ heißt nicht nur das<br />
Kunstwerk von Serra, sondern die ganze<br />
Ausstellung. Die besten 200 Kunstwerke<br />
der Kunsthalle aus sieben Jahrhunderten<br />
erwarten uns. Anna Heinze<br />
ist erstaunt, dass wir schon bei den alten<br />
Meistern hängenbleiben. „Auf jeden<br />
Fall gut gemalt, sehr farbenfreundlich –<br />
kein Gekrakel“, sagt Peter. Bestimmt<br />
spielt bei ihm auch eine Rolle, dass viel<br />
Rot vorkommt. Das ist die Lieblingsfarbe<br />
des 64-jährigen Obdachlosen.<br />
„Damals hat man gemalt, was man<br />
gesehen hat, und irgendwann ist die<br />
Malerei ganz frei geworden, nicht mehr<br />
gegenständlich“, sagt Anna Heinze.<br />
„Sie nennen es Gekrakel, wir nennen es<br />
abstrakte Kunst – und die sehen wir<br />
nachher noch.“<br />
Noch stehen wir aber vor Meister<br />
Francke und Bildern seines aufklappbaren<br />
Thomas-Altars (1426). „Die Flügel<br />
bilden fast so etwas wie einen Comic“,<br />
so die Kuratorin. „Jedes Bild erzählt eine<br />
Geschichte, nur die Sprechblase fehlt.“<br />
Die Gemälde sind auch toll gehängt.<br />
Die Blickachse, die Ungers so<br />
wichtig war, wird in diesen Räumen voll<br />
genutzt – und verlängert sich sogar in<br />
den Bildern: Innenansichten von Kirchen,<br />
mit unglaublichen Perspektiven.<br />
„Das ist ja cool, dass man von hier in<br />
mehrere Räume guckt “, sagt Sven.<br />
Ingo kniet schon bei dem Gemälde<br />
„Der Chor der Nieuwe Kerk in Delft“<br />
(1650) von Gerard Houckgeest. „Das<br />
Mosaik am Boden finde ich gut als<br />
Kontrast zu den ruhigen Farben – und<br />
diese Lichtspielereien!“ Begeistert ist<br />
der 61-Jährige auch von „der Monumentalität<br />
des Raumes und den kleinen<br />
Menschen unten, die etwas Leben reinbringen.“<br />
Der Frührentner hält sich viel<br />
in Kirchen auf, vor allem in St. Petri.<br />
„Kirchen sind für mich ein Ruheraum,<br />
Sven vom Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Kaffeetresen mit „Die schnelle Hoffnung“ (1927) von René Magritte: „Ich war<br />
erst völlig irritiert, weil da nur schwarze FLECKEN zu sehen sind mit Wörtern. Ohne Erklärung hätte<br />
ich das nicht verstanden. Als mir aber klar wurde, was die französischen Wörter bedeuten – Baum, Pferd,<br />
Dorf am Horizont, Wolke und Straße aus Blei –, verwandelten sich die schwarzen Flecken ganz schnell<br />
vor meinem geistigen Auge in ein buntes Bild. Das bedeutet für mich Hoffnung. Das ist echt mein Bild!“<br />
wo man nachdenken und das ganze<br />
Drumherum herausfiltern kann. Das ist<br />
gerade in der nervigen Großstadt so<br />
wichtig.“<br />
Einige von uns kannten das „Kunstkammerregal“<br />
(1666) des Hamburger<br />
Malers Johann Georg Hinz. „In einer<br />
Kunstkammer haben früher Fürsten<br />
und reiche Bürger Kunst gesammelt,<br />
aber auch natürliche oder exotische Gegenstände<br />
wie Totenschädel, Muscheln<br />
oder Korallen“, erläutert uns Anna<br />
Heinze. „Letztlich ist das der Beginn<br />
des Museums.“<br />
Dass wir bei Caspar David Friedrich<br />
hängen bleiben, hat mehrere<br />
Gründe. Der „Wanderer über dem Nebelmeer“<br />
(1818) ist sowieso „das allerbeliebteste<br />
Bild in der Kunsthalle“, sagt<br />
Anna Heinze. „Einerseits ist der Wanderer<br />
eine Identifikationsfigur. Wir können<br />
uns vorstellen, dass wir es sind,<br />
die da stehen. Gleichzeitig können<br />
wir nicht sehen, worauf er guckt, er<br />
wird uns immer im Weg stehen.“<br />
„Eigentlich hatte er es nicht mit<br />
Bergen, er hat sogar mal die Alpen an<br />
die Ostsee versetzt“, weiß Sven, der aus<br />
Greifswald kommt. Das ist nur teilweise<br />
richtig. „Er ist aber wirklich im Elbsandsteingebirge<br />
wandern gewesen, hat<br />
Skizzen angefertigt und die Landschaft<br />
dann wieder zusammengesetzt – aber<br />
neu“, sagt Anna Heinze. „Die Landschaft<br />
gibt es also nicht, aber jeder einzelne<br />
Fels existiert.“ Peter steht vor<br />
„Das Eismeer“ (1824): „Die spitzen Eisschollen,<br />
die Kraft, die in dem Wasser<br />
stecken. Genauso sieht Eismeer aus.<br />
Nur an dem Schiff merkt man, dass es<br />
ein altes Bild ist.“<br />
Sven ist abgelenkt von dem kleinen,<br />
sehr romantisch wirkenden Bild „Wiesen<br />
bei Greifswald“ (um 1820). „Wenn<br />
man heute aus dieser Perspektive<br />
schaut, sind da natürlich keine Wiesen<br />
oder Mühlen, sondern ein Gewerbecenter<br />
und eine Umgehungsstraße.“<br />
Ganz trostlos ist es allerdings nicht:<br />
„Die Kirchtürme sieht man ja noch.“<br />
Auch Ingo hat so seine Erinnerungen:<br />
Er war vor Jahrzehnten mit seinen<br />
Eltern in einem Park an der Greifswalder<br />
Uni spazieren. „Wir hatten auf<br />
Usedom Urlaub gemacht, meine Mutter<br />
ist in Sweenemünde geboren.“<br />
Man merkt eben doch: Die Hälfte<br />
unserer kleinen Gruppe kommt aus der<br />
ehemaligen DDR.<br />
Szenenwechsel: Wir sind in einem<br />
Raum, in dem es um das Frauenbild in<br />
der Kunst geht. Schnell schießen wir<br />
27
Stadtgespräch<br />
Oben:<br />
Für eine Kuratorin ist es nicht so leicht, ein<br />
Lieblingsbild zu bestimmen. Anna Heinze, die<br />
über den liegenden weiblichen Akt in der<br />
Renaissance promoviert hat, entscheidet sich für<br />
„Flora“ (1559) von Jan Massys. Im Hintergrund<br />
ist die Silhouette von Antwerpen zu sehen<br />
– im Vordergrund eine antike GÖTTIN.<br />
„Man befindet sich kurz nach einem Krieg, es<br />
hat gerade einen Friedensschluss gegeben, alles<br />
blüht wieder auf“, sagt Anna Heinze. „Man erhofft<br />
sich eine Zeit des Friedens und des Wohlstands.<br />
Das sieht man an der Pracht der Blumen.<br />
Der ersehnte Reichtum wird auch durch ihren<br />
Schmuck symbolisiert.“<br />
Unten:<br />
Vera ist die Einzige, die selbst malt. Momentan<br />
beschäftigt sie sich mit DOT-PAINTING, einer<br />
Methode der Aborigines in Australien. Das<br />
„Stillleben mit Masken“ (1896) von James<br />
Ensor hat sie begeistert: „Die moderne Kunst<br />
mit all ihren Farben finde ich nicht so farbig wie<br />
dieses Bild. Ich habe mich öfter gefragt: Was ist<br />
Stillleben? Warum überhaupt Stillleben? Ist das<br />
was Stilles, was Unbelebtes? Aber dieses Bild<br />
wirkt gar nicht wie ein Stillleben, sondern ziemlich<br />
lebhaft. Es strahlt für mich Fröhlichkeit aus.<br />
Ich mag auch, wie es gemalt ist. Einerseits finde<br />
ich Bilder sehr schön, die wie Fotos gemalt sind,<br />
aber ich mag auch so wuschige, und dieses Bild<br />
ist genau dazwischen. Es kommt mir so jung vor,<br />
obwohl es ja schon im 19. Jahrhundert gemalt<br />
wurde. Ob ich mir das aufhängen würde? Abgesehen<br />
davon, dass ich es mir nicht leisten könnte?<br />
Aber hallo!“<br />
uns auf „Die Kinderstube“ (1889) von<br />
Fritz von Uhde ein. „Die Mutter sitzt<br />
da und macht Handarbeiten, so nach<br />
dem Motto: ‚Macht, was ihr wollt!‘“,<br />
sagt Peter. „Sie müsste mal einen Blick<br />
auf die Kinder werfen!“ – „Von wegen:<br />
Die Kinder können machen, was sie<br />
wollen!“, protestiert Vera. „Die Ältere<br />
muss auch schon mitmachen – und bestimmt<br />
demnächst auch die Kleinere.“<br />
Ingo ist schon vorausgegangen: zu<br />
Claude Monets „Waterloobrücke“<br />
(1902). „Man sieht richtig das alte, dreckige<br />
London“, sagt er. „Die Windsors<br />
mussten damals außerhalb von London<br />
bauen, weil London so nach Kloake gestunken<br />
hat.“ Peter runzelt die Stirn.<br />
Mit dem Impressionismus beginnt für<br />
ihn das „Gekrakel“. Anna Heinze erläutert:<br />
„Hier sieht man jeden Pinselstrich<br />
und die Farben gehen ineinander<br />
über, es gibt keine klaren Linien mehr.“<br />
Peter mag das nicht. Das ist ihm zu<br />
„verlaufen“. „Das ist Absicht. Es soll etwas<br />
Flüchtiges haben, als wäre es im<br />
nächsten Moment vorbei“, erklärt die<br />
Kuratorin. „Und ganz wichtig ist, wie<br />
sich das Licht im Wasser spiegelt.“<br />
Wir wären vielleicht an der „Schnellen<br />
Hoffnung“ (1927) von René Magritte<br />
vorbeigegangen, wenn Sven nicht<br />
wie angewurzelt stehen geblieben wäre.<br />
Hoffnung, gar schnelle Hoffnung bei einem<br />
dunklen Bild, auf das irgendwelche<br />
schwarze Formen gemalt sind – und<br />
französische Wörter? Wir stehen alle etwas<br />
ratlos davor.<br />
„Normalerweise ist es so: Jemand<br />
malt einen Goldfisch, und wir denken<br />
das Wort ‚Goldfisch‘“, sagt Anna Heinze.<br />
„Magritte macht es genau umgekehrt.“<br />
Baum, Wolke, Dorf am Horizont<br />
heißen einige Wörter auf dem<br />
Bild. Und plötzlich ist alles klar. „Das<br />
Bild entsteht in unserem Kopf“, sagt<br />
Sven begeistert. „Plötzlich ist das dunkle<br />
Bild hell.“ – „Und jeder sieht ein anderes<br />
Bild“, sagt Fotograf Dmitrij. Nur<br />
Vera sagt: „Ich seh immer noch nur<br />
schwarze Flächen!“<br />
Nicht umsonst hänge „Die schnelle<br />
Hoffnung“ an der Schwelle zur Moderne,<br />
die ganz ohne Gegenständlichkeit<br />
auskommt, sagt Anna Heinze. Und<br />
schon stehen wir vor einer riesigen,<br />
schwarz gestrichenen Glasscheibe.<br />
Vor ein paar Minuten hätten wir<br />
bestimmt gefragt, ob die ein Handwerker<br />
hier vergessen hat. Jetzt sind wir da<br />
weiter. Gemeinsam stellen wir uns vor<br />
das spiegelnde Glas: Peter, Sven, Vera,<br />
Ingo, Dmitrij, Anna Heinze und ich.<br />
Wir sehen uns an – und werden für ein<br />
paar Sekunden Teil eines Kunstwerks.<br />
Das gefällt selbst Peter, weil wir alle<br />
rausgucken aus dem Bild, Blickkontakt<br />
zueinander haben. „Und außerdem“,<br />
sagt Peter, „der hat die Farbe wirklich<br />
gut und gleichmäßig aufgetragen.“ •<br />
„Spot on!“ läuft bis zum 31. <strong>Januar</strong> in der<br />
Hamburger Kunsthalle, Glockengießerwall,<br />
1. 1., 12–18 Uhr, 2.–10. 1. täglich von<br />
10–18 Uhr. 7.1. bis 21 Uhr, sonst immer<br />
Di–So, 10–18 Uhr, Do 10–21 Uhr,<br />
Eintritt: 12/6 Euro; Familienkarte 18 Euro<br />
29
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>275</strong>/ JANUAR <strong>2016</strong><br />
Eigentlich ist<br />
PETER SHUB<br />
Soziologe.<br />
Doch seit mehr<br />
als 30 Jahren<br />
arbeitet der<br />
58-Jährige<br />
erfolgreich als<br />
Clown.<br />
Die Kraft des Lachens<br />
in harten Zeiten<br />
Peter Shub ist ein Clown von Welt: Der Amerikaner war mit dem Zirkus Roncalli unterwegs und<br />
arbeitete mit dem Cirque du Soleil zusammen. Jetzt tritt er in der Dinnershow PALAZZO zugunsten<br />
von Hinz&<strong>Kunzt</strong> auf. Wir sprachen mit ihm darüber, wie das Lachen Menschen zusammenbringt.<br />
TEXT: ANNABEL TRAUTWEIN; FOTO: DMITRIJ LELTSCHUK<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Die meisten Lacher kriegt ein<br />
Clown, wenn irgendwas schiefläuft.<br />
Ist Scheitern ein offensichtliches Erfolgsrezept?<br />
PETER SHUB: Scheitern ist witzig. Wir sehen<br />
einfach gerne anderen dabei zu, wenn<br />
sie Schwierigkeiten haben. Ein Clown<br />
stolpert, fällt hin – das ist auf der ganzen<br />
Welt lustig. Allerdings nur, solange<br />
er auch wieder aufsteht.<br />
Warum lachen die Leute denn so gerne über<br />
Pechvögel und Tollpatsche?<br />
Interessant, oder? In unserer Gesellschaft<br />
ist das Scheitern ja verpönt. Keiner<br />
will als Versager dastehen. Immer<br />
sagt man uns: Nicht scheitern! Erfolg!<br />
Alles dreht sich im alltäglichen Leben<br />
um Erfolg. Vielleicht gehen die Leute<br />
deshalb in den Zirkus oder ins Palazzo.<br />
Wir haben hier sehr erfolgreiche Manager<br />
im Publikum, gestandene Geschäftsleute,<br />
die viel geschafft haben. Sie<br />
bezahlen Geld, um Leuten wie mir beim<br />
Scheitern zuzusehen. Nicht um Mitleid<br />
mit mir zu haben, sondern um darüber<br />
zu lachen.<br />
Finden Sie das nicht fies, wenn das Publikum<br />
Sie ständig auslacht?<br />
Dann hätte ich kein Clown werden dürfen.<br />
Die Leute lachen eben am meisten,<br />
wenn wir uns zum Affen machen. Das<br />
30<br />
sind die Momente, in denen wir besonders<br />
verletzlich sind. Verletzlichkeit ist<br />
aber eine wichtige Eigenschaft, der wir<br />
uns alle stellen müssen. Niemand kann<br />
immer stark sein.<br />
Wieso glauben Sie, dass es Menschen stärker<br />
macht, wenn sie mit Witz durchs Leben gehen?<br />
Humor hilft uns dabei, das Leben nicht<br />
zu ernst zu nehmen. Statt ständig über<br />
Frust zu reden, sollten wir versuchen,<br />
den Momenten in unserem Alltag<br />
immer wieder etwas Witziges abzugewinnen.<br />
Humor kann auch ein gutes<br />
Hilfsmittel sein, beim Geschäftemachen<br />
zum Beispiel.
Das müssen Sie jetzt genauer erklären …<br />
Als ich noch in Philadelphia in den<br />
USA gelebt habe, kam eine Gruppe von<br />
Obdachlosen auf mich zu, die wollten<br />
Straßenkunst anbieten. Sie hatten keine<br />
Zeitung, die sie verkaufen konnten, also<br />
haben sie einfach den Hut hingehalten.<br />
Im Grunde waren sie auch Geschäftsleute.<br />
Sobald du Menschen um Geld<br />
„Wenn wir uns<br />
zum Affen<br />
machen, sind wir<br />
am verletzlichsten.“<br />
bittest, bist du im Business. Das heißt<br />
aber: Du musst etwas anbieten. Ich habe<br />
ihnen dann geholfen, ihre witzige<br />
Seite zu entdecken und auf der Straße<br />
einzusetzen.<br />
Zurzeit werden wir jeden Tag mit Krisen,<br />
Krieg und Gewalt konfrontiert. Wie schaffen<br />
Sie es, die Menschen trotzdem noch zum<br />
Lachen zu bringen?<br />
Ich will nicht sagen, dass wir Komiker<br />
von dieser Stimmung profitieren – aber<br />
eigentlich ist es so. Denn wenn die Leute<br />
ständig gut drauf sind, dann gibt es<br />
wenig, was wir noch für sie tun können.<br />
In Krisenzeiten sind Comedybühnen<br />
oder Shows wie das Palazzo ein guter<br />
Ort, um dem Alltag mit all den schlimmen<br />
Nachrichten zu entfliehen und zu<br />
feiern. Wir dürfen Terror und Tragödien<br />
nicht gewinnen lassen. Natürlich<br />
müssen wir ernst nehmen, dass es das<br />
alles gibt. Aber wir sollten trotzdem<br />
nicht aufhören, das Leben zu genießen.<br />
Haben Sie selbst schon Schicksalsschläge<br />
erlebt, bei denen Sie mit Humor nicht mehr<br />
weitergekommen sind?<br />
Ich habe meinen Sohn verloren. Das<br />
war am 19. Juni 2001 in Hannover. Er<br />
war damals vier Jahre alt. Wir waren in<br />
einem Restaurant, er hatte seine Pizza<br />
aufgegessen und stand vom Tisch auf.<br />
Ein paar Meter entfernt stand eine<br />
Stadtgespräch<br />
31<br />
Skulptur, die nicht gesichert war – was<br />
erstaunlich ist in Deutschland. Als er sie<br />
angefasst hat, ist die Skulptur umgefallen<br />
und hat ihn erschlagen. Danach habe<br />
ich lange nicht gelacht, und ich wollte<br />
auch für eine Weile keine Leute zum<br />
Lachen bringen. Aber was heißt eine<br />
Weile? Eine Woche später habe ich eine<br />
Show gemacht. Es ging, trotz allem.<br />
Wer mich selbst zum Lachen gebracht<br />
hat, war meine Frau. Es ist schwer zu<br />
erklären, wie schmerzhaft das für uns<br />
war, unser Kind zu verlieren. Aber<br />
manchmal haben wir es doch geschafft,<br />
zusammen zu lachen. Das war unheimlich<br />
wichtig. Du musst der Tragödie in<br />
die Augen sehen und sagen: Sorry, aber<br />
ich werde nicht für immer leiden.<br />
Manchmal werde ich auch wieder Freude<br />
am Leben haben.<br />
Können andere Menschen dabei helfen –<br />
Freunde, Verwandte, vielleicht sogar Fremde?<br />
Schmerz können wir nicht wirklich teilen.<br />
Unser Lachen aber können wir teilen.<br />
Humor zündet Feuerwerke, er<br />
bringt Menschen zusammen. Das ist<br />
das Schöne an Comedyshows: diese<br />
Momente, in denen fremde Menschen<br />
gemeinsam lachen. Obwohl die Leute<br />
im Publikum sich nicht kennen, kommen<br />
sie aus sich heraus und verlieren<br />
gemeinsam die Kontrolle. Das Lachen<br />
vereint sie zu einer Gruppe – ein einmaliges<br />
Gefühl.<br />
Ins Palazzo kommen die Leute ja nicht nur,<br />
um die Show zu sehen, sondern auch<br />
zum Essen. Wie ist das für Sie als Künstler?<br />
Natürlich gibt es ein bisschen Konkurrenz<br />
zwischen der Show und dem Essen.<br />
Da muss das Publikum dann entscheiden,<br />
was besser ist. Im Idealfall sind wir<br />
gleichauf. Vielleicht ist es auch okay,<br />
wenn die Show sogar noch ein bisschen<br />
besser ankommt als das Essen. Aber verraten<br />
Sie das bloß nicht dem Koch! •<br />
PALAZZO goes Hinz&<strong>Kunzt</strong> – das 4-Gang-<br />
Menü und 3,5 Std. Dinnershow: Mi, 17. Februar,<br />
19.30 Uhr; Preise: 89–129 Euro plus<br />
2 Euro Buchungsgebühr. Karten sind erhältlich<br />
über die Palazzo-Tickethotline 01806/<br />
38 88 83 oder unter www.palazzo.org,<br />
Stichwort: Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Anruf aus<br />
dem Festnetz: 20 Cent; mobil: 60 Cent<br />
Die<br />
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Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>275</strong>/ JANUAR <strong>2016</strong><br />
JAKOB VON UEXKÜLL<br />
ist Gründer des World Future<br />
Council und des Alternativen<br />
Nobelpreises. Der 71-Jährige<br />
war EU-Parlamentarier und saß<br />
im Aufsichtsrat von Greenpeace<br />
Deutschland und Transparency<br />
International.<br />
Weniger Autorennen,<br />
mehr Tanzwettbewerbe<br />
Wie wir den Klimawandel überstehen und die Flüchtlingszahl reduzieren könnten.<br />
Ein Interview mit Jakob von Uexküll vom World Future Council in Hamburg<br />
INTERVIEW: BIRGIT MÜLLER<br />
FOTO: ANDREAS HORNOFF<br />
32
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Sie haben gerade wieder den<br />
Future Policy Award vergeben, den Preis für<br />
das beste Gesetz. Diesmal ging es um Kinderrechte.<br />
Der erste Preis ging nach Sansibar,<br />
in ein Entwicklungsland.<br />
JAKOB VON UEXKÜLL: Das ist natürlich schon<br />
markant, dass eine kleine Insel, die auch<br />
noch eine Teilrepublik von Tansania ist,<br />
ein so vorbildliches Gesetz erlassen hat.<br />
Das hängt sicher von Einzelpersonen<br />
ab. In diesem Fall von vielen Personen,<br />
die Probleme sahen, die es dort gab: vor<br />
allem Kinderarbeit und Misshandlungen<br />
von Kindern. Wenn man sich die<br />
Geschichte des Future Policy Award,<br />
des Oscars für Gesetze, anschaut, wird<br />
man sehr schnell geheilt von der Vorstellung:<br />
Wir in Europa sind viel weiter<br />
als andere. Das beste Nahrungssicherheitsgesetz<br />
gibt es in Brasilien. Das beste<br />
Gesetz zum Schutz der Artenvielfalt<br />
gibt es in Costa Rica, das beste Waldschutzgesetz<br />
in Ruanda, bestes Gesetz<br />
zum Schutz der Meere auf Palau im<br />
Südpazifik – und eins der besten Abrüstungsgesetze<br />
in Argentinien, wo die<br />
Handfeuerwaffen eingesammelt und<br />
die Menschen dafür belohnt werden. Es<br />
ist unser Ziel, diese besten Gesetze auch<br />
zu verbreiten – dieses Gesetz bringen<br />
wir dieses Jahr nach Bosnien.<br />
Ungewöhnlich ist ja, dass das prämierte<br />
Gesetz mit den Kindern gemeinsam geschaffen<br />
wurde.<br />
Die Kinder haben mitgeholfen, dieses<br />
Gesetz zu formulieren, und auch die Institutionen.<br />
Sie brauchen ja Institutionen,<br />
die den Nutznießern dieses Gesetzes<br />
helfen, dass die Rechte, die auf dem<br />
Papier stehen, auch eingehalten werden.<br />
In der Sowjetunion gab es beispielsweise<br />
viele vorbildliche Umweltgesetze,<br />
nur die Umwelt hatte davon<br />
nichts. In Sansibar wurde deshalb zur<br />
Kontrolle ein Kinderparlament geschaffen.<br />
Es gibt einen fortlaufenden<br />
Dialog. Wenn man für ein solches Gesetz<br />
einen Preis verleiht, dann stärkt das<br />
ein Gesetz. Es ist schwierig, ein Gesetz<br />
zu schwächen, auf das die Menschen<br />
stolz sind.<br />
Sie sind die einzige Organisation, die Gesetze<br />
belohnt. Was ist daran so wichtig?<br />
Ich habe jahrelang mit dem Alternativen<br />
Nobelpreis einzelne Menschen<br />
und Initiativen belohnt. Nach einiger<br />
Zeit merkte ich, dass die Preisträger –<br />
auch wenn sie bekannt sind – große<br />
Schwierigkeiten haben, ihre Ideen<br />
durchzusetzen. Da habe ich gesagt,<br />
man muss sehen, wie man die Gesetze<br />
verbessern kann. Gesetze setzen die<br />
„Es ist unser<br />
Ziel, die besten<br />
Gesetze zu<br />
verbreiten.“<br />
Rahmenbedingungen, Gesetze setzen<br />
die Anreize. Es gibt ja heute diesen antipolitischen<br />
Zynismus, wo man sagt:<br />
Der Markt macht das. Das ist natürlich<br />
illusorisch. Ich diskutiere oft mit Vertretern<br />
der Wirtschaft, und wenn die<br />
dann sagen „Je weniger Staat, desto<br />
besser!“, dann sage ich: „Dann müssten<br />
Sie ja viel in Somalia investieren,<br />
da gibt es überhaupt keinen Staat.“ Da<br />
sind sie dann etwas peinlich berührt.<br />
Vor einiger Zeit wurde ein Vorstandsvorsitzender<br />
einer großen Firma<br />
gefragt: „Wer ist denn Ihr wichtigster<br />
Kunde?“ Und er sagte: „Der Gesetzgeber.<br />
Denn der bestimmt die Rahmenbedingungen.“<br />
Deshalb ist es auch so<br />
wichtig, sich am öffentlichen politischen<br />
Leben zu beteiligen. Wir sollten<br />
es nicht den Besitzstandswahrern überlassen,<br />
die Gesetzgeber zu umgarnen,<br />
während wir alle dasitzen und sagen:<br />
„Politik ist schmutzig.“<br />
33<br />
Der Krieg in Syrien ist auf einmal nahegerückt:<br />
Tausende von Flüchtlingen kommen.<br />
Wie sehen Sie die momentane Situation?<br />
Ich bin ja in Schweden aufgewachsen<br />
und habe die schwedische und deutsche<br />
Staatsbürgerschaft. Und da muss ich sagen:<br />
Ich bin erfreut und stolz, dass<br />
Deutschland aus der Geschichte gelernt<br />
hat. Wir haben die große Herausforderung<br />
mit den Flüchtlingen, aber die<br />
Rechtsradikalen und die Fremdenfeindlichkeit<br />
sind noch sehr begrenzt. Und in<br />
Schweden, diesem liberalen Vorzeigeland,<br />
liegt eine fremdenfeindliche Partei<br />
in Umfragen jetzt an erster Stelle mit<br />
27 Prozent. Schweden und Deutschland,<br />
die beiden Länder, die momentan<br />
am meisten tun, sagen: Menschenrechte<br />
und das Recht auf Asyl kann man nicht<br />
abschaffen. Man kann nicht sagen: Sorry,<br />
das war nur für gute Zeiten, wenn<br />
wenige kommen. Gleichzeitig ist klar,<br />
dass es Grenzen der Möglichkeiten gibt.<br />
Wenn wir einen Notstand haben, dann<br />
brauchen wir entsprechende Gesetze.<br />
Es kann nicht sein, dass Einzelpersonen<br />
jetzt mit Klagen den Bau von Notunterkünften<br />
behindern. Und wenn wir einen<br />
harten Winter bekommen – und durch<br />
das Klimachaos weiß man nie, was auf<br />
einen zukommt –, kann es nicht angehen,<br />
dass dann Flüchtlingskinder hier<br />
erfrieren, weil sie draußen übernachten<br />
müssen. Das Problem ist: Wir haben uns<br />
auf die Situation nicht vorbereitet. Es<br />
gibt so wenig Zukunftsplanung. Ich sage<br />
immer: Wenn die Europäer schon mit<br />
ein paar Millionen Kriegsflüchtlingen<br />
so viele Probleme haben, was wollen sie<br />
machen, wenn zig Millionen Klimaflüchtlinge<br />
kommen?<br />
Wie müsste es jetzt weitergehen?<br />
Die Pflicht ist jetzt, das Überleben der<br />
Menschen sicherzustellen – und uns<br />
dann um die Ursachen zu kümmern.<br />
Erst mal müssen wir mehr Mut zeigen,<br />
wenn es um Geldpolitik geht. Wenn die<br />
Zentralbanken zig Milliarden schaffen<br />
konnten, um die Banken zu retten,
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>275</strong>/ JANUAR <strong>2016</strong><br />
dann können sie auch die nötigen Milliarden<br />
aufbringen, um das Klima zu retten.<br />
Das ist auch nicht inflationär, denn<br />
da schaffen sie neue Werte. Mit diesem<br />
Geld müsste man massiv Solarenergiekapazitäten<br />
besonders im Nahen Osten<br />
und vor allem in Afrika ausbauen. Beispiel<br />
Ruanda: Dort wurde innerhalb eines<br />
Jahres eine riesige Solarenergieanlage<br />
eröffnet. Oder man forstet die Wälder<br />
wieder auf und schafft einen klimaangepassten<br />
Landanbau. Mit solchen Maßnahmen<br />
schafft man Arbeitsplätze und<br />
gibt den Menschen Hoffnung. Gleichzeitig<br />
müssen wir dahin schauen, wo es<br />
Konflikte gibt, die zu diesen riesigen<br />
Flüchtlingsströmen führen. Und wenn<br />
man irgendwo anfangen würde, müsste<br />
man Druck ausüben auf die Israelis und<br />
die Palästinenser. Die Behandlung der<br />
Palästinenser hat der Glaubwürdigkeit<br />
des Westens in der arabisch-muslimischen<br />
Welt stark geschadet. Vor einiger<br />
Zeit habe ich an einer Universität in<br />
Bahrain einen Vortrag gehalten. Ich<br />
sprach davon, dass es gemeinsame<br />
menschliche Werte gibt. Und als ich das<br />
sagte, sprangen eine Studentin und ein<br />
Professor auf: „Sie waren doch in Gaza,<br />
wenn Sie das gesehen haben, wie können<br />
Sie dann von gemeinsamen menschlichen<br />
Werten sprechen!“ Der Konflikt<br />
zwischen Israel und Palästina ist zwar<br />
nicht die Ursache für den derzeitigen<br />
Konflikt in Syrien, aber die Ursache für<br />
die mangelnde Glaubwürdigkeit des<br />
Westens in der arabischen Welt.<br />
Klimawandel, Kriege, Flüchtlingsbewegungen<br />
und wachsende Armut – in Europa herrscht<br />
Zukunftsangst. Könnte man diese Themen –<br />
sagen wir: binnen zehn Jahren – bewältigen?<br />
Wenn man die Fluchtursachen beseitigt,<br />
wenn ein Überleben zu Hause wieder<br />
möglich ist, werden einige Flüchtlinge<br />
zwar hierbleiben, aber es werden<br />
viele zurückkehren und weniger kommen.<br />
Aber es genügt nicht, dass man<br />
nur an den Symptomen herumkuriert.<br />
Nehmen Sie die Umweltzerstörung:<br />
Der ehemalige US-Vizepräsident Al<br />
Gore hat ja sein wichtiges Buch „Earth<br />
in the Balance“ geschrieben, bevor er<br />
Vizepräsident wurde – das ist über 20<br />
Jahre her. Da gibt es den entscheidenden<br />
Absatz: Unter dem Eindruck der<br />
Umweltzerstörung muss alles neu<br />
durchdacht werden, jeder Vertrag, jedes<br />
Gesetz, jede Institution, neu durchdacht<br />
und verändert, angepasst werden.<br />
Das wurde ignoriert. Jetzt sagt man: Paris<br />
ist die letzte Chance, das hat man<br />
„Es kann nicht<br />
jeder eine Villa<br />
an der Außenalster<br />
haben.“<br />
zwar schon vor ein paar Jahren gesagt,<br />
aber jetzt könnte es tatsächlich so<br />
sein. Man sagt immer: Die Medien<br />
übertreiben. Doch wenn es um den Klimawandel<br />
geht und Umweltzerstörung,<br />
dann untertreiben sie, weil sie Angst haben,<br />
die Leute zu erschrecken. Als neulich<br />
die renommierte Londoner „The<br />
Times“ einen längeren Bericht über<br />
große Umweltgefahren veröffentlicht<br />
hat, hat sie am Ende die Telefonnummer<br />
der Samariter angegeben. Das<br />
muss man sich mal vorstellen: Was sollen<br />
denn die armen Samariter tun,<br />
wenn Menschen anrufen und sagen:<br />
„Die Gefahren des Klimawandels sind<br />
so groß, bitte helfen Sie mir!“<br />
Sie können noch lachen!<br />
Es nützt nichts, Optimist zu sein und zu<br />
sagen, es wird schon alles gut. Ich bin<br />
auch kein Pessimist, es ist zum Glück<br />
noch nicht alles hoffnungslos. Solange<br />
34<br />
es Hoffnung gibt, muss man Possibilist<br />
sein: Ich bin überzeugt, dass es möglich<br />
ist, die Probleme zu lösen, wenn wir uns<br />
an die Arbeit machen. Wenn die Richtung<br />
geändert wird, kann es sehr schnell<br />
gehen. Da geht es dann nicht um Jahrzehnte,<br />
da kann sich innerhalb von ein<br />
paar Jahren viel verändern. Das haben<br />
wir doch in Deutschland, in Europa<br />
1989 erlebt. Ich erinnere mich, dass der<br />
Korrespondent der FAZ, der im Mai<br />
1989 in Moskau war, gehört hat, wie<br />
der Vertreter der Bonner Regierung seinem<br />
DDR-Kollegen sagte: „Niemand<br />
im Westen denkt daran, am Status von<br />
Berlin etwas zu verändern.“ Und sechs<br />
Monate später fiel die Mauer.<br />
Wie sieht die Welt denn aus, wenn<br />
wir klimaverträglich leben, trist und grau?<br />
Ein Freund von mir, Chandran Nair,<br />
lebt in Hongkong und berät die chinesische<br />
Regierung mit seinem Global Institute<br />
for Tomorrow. Er sagt: Es kann<br />
kein Menschenrecht auf etwas geben,<br />
was nicht möglich ist. Der Ressourcenverbrauch<br />
pro Kopf wie bei uns ist in<br />
China einfach nicht möglich. Es kann<br />
auch nicht jeder eine Villa an der Außenalster<br />
haben. Und es wird mehr und<br />
mehr solcher „positional goods“ geben,<br />
wie das die Wirtschaft nennt. Und da<br />
muss man sich überlegen, wie man die<br />
gerecht verteilt. Im Kommunismus war<br />
das einfach: Da wurden dann solche<br />
Villen zu Urlaubsheimen für Arbeiter.<br />
Aber ich glaube, wir können uns Systeme<br />
vorstellen, die keine Ökodiktatur<br />
werden, sondern eine Ökokratie. Auch<br />
eine Demokratie hat ja Rahmenbedingungen.<br />
Wir müssen dafür sorgen, dass<br />
auch künftige Generationen geschützt<br />
werden. Chandran Nair wurde mal gefragt:<br />
Wie sieht denn diese zukünftige<br />
Welt aus? Da sagte er: „Weniger Autorennen<br />
und mehr Tanzwettbewerbe.“ •<br />
Mehr Infos findet man unter<br />
www.worldfuturecouncil.org
Stadtgespräch<br />
Meldungen (3)<br />
Politik & Soziales<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Mehr Übergriffe auf städtische Mitarbeiter<br />
Die Zahl der statistisch erfassten Übergriffe auf Mitarbeiter der Stadt wächst. Laut<br />
einer Analyse des städtischen Personalamts stieg die Zahl 2014 im Vergleich zum<br />
Vorjahr um fast 10 Prozent auf 1766 an. Wie das „Abendblatt“ aus dem Papier<br />
weiter zitiert, nahm vor allem die Zahl der Gewalttaten zu: 2013 waren es 207, ein<br />
Jahr später 339, also 64 Prozent mehr. 19 Bedienstete hätten schwere Verletzungen<br />
erlitten, 10 mussten vorübergehend dienstunfähig geschrieben werden. 225 Übergriffe<br />
wurden in Schulen registriert, 64 mehr als im Jahr zuvor. Die Schulbehörde<br />
erklärte den Anstieg gegenüber dem Abendblatt mit einem „stärkeren, sensibleren<br />
Meldeverhalten seitens der Schulleitungen“. Auch die Leiterin des Hamburger<br />
Personalamts sieht keinen Trend zu mehr Brutalität: Die Beschäftigten würden seit<br />
Jahren sensibilisiert. Dadurch stiegen auch die Fallzahlen. UJO<br />
•<br />
Stellvertretend für alle FLÜCHTLINGSHELFER<br />
zeichnete das Abendblatt im Dezember Julia Röder<br />
von fördern und wohnen und Simone Herrmann von<br />
Hanseatic Help (Messehallen) als Hamburger des<br />
Jahres in der Kategorie „Fairness und Courage“ aus.<br />
35<br />
Behörden und Helfer im Dialog<br />
Mit den steigenden Flüchtlingszahlen<br />
wuchs im vergangenen Jahr zum Glück<br />
auch die Hilfsbereitschaft. Doch eine<br />
Koordination zwischen Ehrenamt und<br />
behördlichen Maßnahmen war lange<br />
Zeit Fehlanzeige. Ein Missstand, den<br />
der Senat jetzt beheben will. Mitte Dezember<br />
luden die Behörden zum Forum<br />
Flüchtlingshilfe in die Fischauktionshalle.<br />
Es handele sich „mitnichten“ um<br />
„eine einmalige Sache“, stellt Sozialbehördensprecher<br />
Marcel Schweitzer klar.<br />
Thematische Dialogforen dienen künftig<br />
dem inhaltlichen Austausch. Initiativen<br />
können zudem Finanzmittel beantragen.<br />
Dafür stellt die Stadt insgesamt<br />
1,7 Millionen Euro bereit. JOF<br />
•<br />
Mehr Infos: www.hamburg.de/fluechtlinge<br />
Notunterkünfte bleiben tagsüber verschlossen<br />
Egal wie kalt oder nass es noch wird: Der städtische<br />
Unterkunftsbetreiber fördern und wohnen setzt<br />
weiterhin Hunderte Obdachlose tagsüber vor die Tür.<br />
Denn das Winternotprogramm bietet nur nachts<br />
Schutz. Eine „Erweiterung der Aufenthaltszeiten“ sei<br />
„nicht beabsichtigt“, heißt es aus der Sozialbehörde.<br />
Immerhin: Die Behörde verhandelt mit den Trägern<br />
der Tagesaufenthaltsstätten für Obdachlose über eine<br />
Finanzierung längerer Öffnungszeiten. JOF<br />
•<br />
<br />
<br />
<br />
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„Wir Soldaten<br />
wollen integriert<br />
werden“<br />
Robert Sedlatzek-Müller war als Soldat im Kosovo und<br />
Afghanistan. Heute ist er Ansprechpartner für geschädigte<br />
Kameraden. Und er ist einer der Protagonisten in<br />
Jakob Ganslmeiers bedrückend-berührender Fotoarbeit<br />
„Trigger“ über traumatisierte Bundeswehr-Soldaten.<br />
TEXT: FRANK KEIL<br />
FOTOS: JAKOB GANSLMEIER<br />
Holger Rossmeier war von 2009 bis 2010 in<br />
Kabul eingesetzt. Nun ist er in Münster<br />
stationiert. Er würde so gerne seinen<br />
EINSATZ in Afghanistan zu Ende führen.<br />
36
Lebenslinien<br />
Es kommt vor, dass Robert<br />
Sedlatzek-Müller, Berufssoldat,<br />
auf der Fahrt zum Einkaufen<br />
nach Hamburg wieder<br />
umkehren muss. Er sagt: „Am<br />
liebsten fahre ich abends oder nachts,<br />
wenn die Straßen leer sind.“ Denn<br />
wenn er im Stau steht, wenn es nicht<br />
weitergeht, dann kann er sich nicht<br />
einfach wie andere damit ablenken, indem<br />
er das Radio anschaltet, eine<br />
raucht oder aus dem Fenster schaut. Er<br />
sagt: „Ich muss die Situation, in der ich<br />
bin, kontrollieren.“<br />
Oder wenn er eingeladen ist, einen<br />
Vortrag zu halten, in einer Schule, vor<br />
Politikern, vor Soldaten: „Ich merke<br />
heute, wenn ich mit einem Mal abdrifte,<br />
wenn ich mich wegbeame.“ Dann greift<br />
er zu seinen Bonbons: Pastillen der<br />
Marke Fisherman’s Friends („Sind sie<br />
zu stark, bist du zu schwach.“). „Der<br />
scharfe Geschmacksreiz sorgt dafür,<br />
dass ich wieder zurückkomme“, sagt er.<br />
Und er kann seinen Vortrag fortsetzen.<br />
Kann von den Toten erzählen, die er<br />
während seiner Einsätze gesehen hat.<br />
„Von den Leichen“, sagt er. Und er<br />
kann erzählen, was ihm passiert ist.<br />
Es ist der 6. März 2002. Er ist in<br />
Afghanistan stationiert, als Fallschirmjäger,<br />
als Sprengstoffexperte; gehört<br />
zu einem Vorauskommando. Gerade<br />
schaut er zu, wie Kameraden sich abmühen,<br />
eine alte russische Rakete zu<br />
entschärfen, die sie zuvor den Taliban<br />
abgenommen haben. Sekunden später<br />
sind fünf Soldaten tot; ihn selbst hat es<br />
meterweit weggeschleudert.<br />
„Man kann unsere Auslandseinsätze<br />
befürworten, man kann sie ablehnen,<br />
aber sie sind vom Parlament jeweils<br />
beschlossen worden, und wir sind<br />
eine Parlamentsarmee, also gehen wir<br />
dorthin, wo man uns hinschickt“, sagt<br />
er. Er lächelt kurz: „Ich weiß: ‚Soldaten<br />
sind Mörder.‘ Und ich kenne die Gedichtzeilen<br />
‚Stell dir vor, es ist Krieg und<br />
keiner geht hin‘.“ Er setzt eine wohldosierte<br />
Pause: „Aber jetzt bitte das Gedicht<br />
weiter zitieren!“ Und er macht’s:<br />
„‚…dann kommt der Krieg zu dir.‘“<br />
37
Er möchte ANONYM bleiben: Hauptmann, elf Mal in Afghanistan, PTBS-Diagnose im Jahr 2013.<br />
Er wurde einen<br />
Tag nach der<br />
Raketenexplosion<br />
ausgeflogen.<br />
38<br />
Soldat daheim: Er wollte nicht, dass<br />
irgendetwas über ihn BEKANNT<br />
wird. Trotz der Bereitschaft,<br />
sich fotografieren zu lassen.
Sie will ihren Namen nicht nennen: 2008 Soldatin im Kosovo, 2010 in KUNDUZ. Heute Oberstabsärztin.<br />
Er wurde einen Tag nach der Raketenexplosion ausgeflogen.<br />
Im Herbst 2002 wird bei ihm das diagnostiziert, für das es ein<br />
so klug klingendes wie abstraktes Wort gibt: posttraumatische<br />
Belastungsstörung. Abgekürzt: PTBS. 2003 und 2005 geht es<br />
zu weiteren Einsätzen nach Kabul. Dann bricht in den folgenden<br />
Jahren die PTBS immer wieder mit Macht aus, ist<br />
auch durch ständiges Überarbeiten und viel Alkohol kaum<br />
mehr einzudämmen. Die Zeit, für die er sich für die Bundeswehr<br />
verpflichtet hat, endet. Er will bei der Bundeswehr bleiben,<br />
denn eine Rückkehr in einen zivilen Beruf, in dem sich<br />
seine Erkrankung nicht einfach auflösen würde, ist für ihn<br />
keine Option: „Ein guter Freund von mir hat schließlich von<br />
Hartz IV gelebt. Diesen Weg wollte ich nicht gehen.“<br />
Und der schlanke, sehr drahtige Mann mit dem festen<br />
Händedruck und den raspelkurzen Haaren kämpft. Kämpft<br />
um seine Weiterbeschäftigung. Kämpft mit der Bundeswehr,<br />
kämpft mit der Politik, wird Sprecher der Soldaten, die von<br />
der Gesellschaft, die sie losgeschickt hat, erwarten, dass man<br />
sie respektiert, dass man sie hört und dass sie dauerhaft versorgt<br />
werden: „Wir Soldaten wollen integriert werden.“<br />
Mit dieser Botschaft und seinen Erfahrungen im Gepäck gibt<br />
er zahlreiche Interviews, spricht mit Politikern, ist in parlamentrischen<br />
Ausschüssen zu Gast. Er schreibt ein Buch, er<br />
kehrt in Talkshows sein Innerstes nach außen. Und er erreicht<br />
schließlich, dass das für verletzte Soldaten geltende Gesetz<br />
mit dem sperrigen Titel „Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz“<br />
vom Bundestag grundlegend neu gefasst wird:<br />
Heute müssen auch Soldaten mit einem Verletzungsgrad von<br />
30 Prozent weiterbeschäftigt werden – statt vorher mindestens<br />
50 Prozent. Und der bisher willkürlich festgesetzte Stichtag<br />
für diesen Anspruch wird vom 1. Dezember 2002 auf den<br />
1. Juli 1992 zurückdatiert: als für die Bundeswehr die ersten<br />
Auslandseinsätze begannen.<br />
Robert Sedlatzek-Müller sagt: „Unsere Gesellschaft hat<br />
die Wehrpflicht ausgesetzt, okay. Doch heute haben wir mehr<br />
Einsätze als in den Jahren, als es die Wehrpflicht gab.“ Die<br />
Folge sei, dass die Soldaten immer öfter und immer schneller<br />
hintereinander auf Auslandseinsätze geschickt würden. Und<br />
sie dazwischen keine ausreichenden Pausen hätten. Was auch<br />
dazu führe, dass die Soldaten nach dem Einsatz zu Hause<br />
39
Robert Sedlatzek-Müller hat erreicht, dass er trotz seiner PTBS Soldat bleiben kann. Er sagt: „Die Bundeswehr ist ein guter Arbeitgeber.“<br />
„Wir wissen nicht,<br />
wie viele Soldaten<br />
nach ihrem<br />
Einsatz obdachlos<br />
werden.“<br />
Eine posttraumatische Belastungsstörung<br />
kann jeden TREFFEN:<br />
Militärpfarrer Jonathan Göllner<br />
war zuletzt in Kunduz im Einsatz.<br />
40
Lebenslinien<br />
nicht mehr ankämen: „Ich kenne Kameraden, die waren das<br />
achte Mal in Afghanistan. Die wollen immer wieder dorthin,<br />
weil sie hier im Zivilleben nicht mehr richtig klarkommen.“<br />
Und so mahnt er: „Wenn wir nicht aufpassen, züchten wir<br />
uns regelrechte Einsatzjunkies heran.“<br />
Damit es besser gelingen kann, die zurückkehrenden Soldaten<br />
wieder in den ganz normalen Alltag einzubinden, ist er<br />
aktuell dabei, mit dem von ihm gegründeten Verein „Combat-Veteran<br />
(Germany)“ ein Veteranenkonzept zu erarbeiten.<br />
Er weiß, dass schon das Wort „Veteranen“ bei manchem<br />
Kopfschütteln hervorrufen wird. Veteranen – wie klingt denn<br />
das! Doch er schlägt vor, den Blick in andere Länder zu lenken:<br />
Dort gäbe es selbstverständlich ein Mal im Jahr einen<br />
Veteranentag. Und immerhin 380.000 Bundeswehrsoldaten<br />
und -soldatinnen seien in den vergangenen Jahrzehnten unterwegs<br />
gewesen. Also 380.000 Veteranen.<br />
„Die Bundeswehr hat die verschiedenen Probleme erkannt<br />
und ist auf einem guten Weg, auch wenn noch viel zu<br />
tun ist“, sagt er. So werde noch immer nicht ausreichend<br />
erfasst, wie viele Soldaten mit PTBS sich schließlich das Leben<br />
nehmen würden. „Wir wissen auch nicht, wie viele Soldaten<br />
nach ihrem Einsatz sich bei den Tafeln anstellen oder obdachlos<br />
werden.“ So hat er sich um einen Soldaten gekümmert,<br />
der infolge eines Anschlags auf einen Militärbus, in<br />
dem er saß, bei Kiel am Strand lebte: „Er hat erst Hilfe angenommen,<br />
als der Winter kam und es kalt wurde.“ Aktuell bemüht<br />
er sich um einen Soldaten, der irgendwo am Rande der<br />
Lüneburger Heide am Waldrand haust und den Weg zurück<br />
ins normale Leben nicht findet. Als bei der Bundeswehr angestellter<br />
„Lotse für Einsatzgeschädigte“ ist er auch Ansprechpartner<br />
für die Angehörigen der Soldaten: „In der Regel<br />
kommen die fünf Minuten vor zwölf, wenn die Probleme<br />
zu Hause nur noch aus dem Ruder laufen.“<br />
Sedlatzek-Müller selbst arbeitete zunächst nach dem<br />
„Hamburger Modell“, ein Reha-Konzept, das es ihm erlaubte,<br />
so viel am Tag zu arbeiten, wie er an dem Tag schaffte.<br />
Seit einem Jahr ist er wieder regulär im Dienst. Seine PTBS<br />
wird bleiben. Er sagt: „Als Soldat spreche ich bei mir von<br />
einer Verwundung. Im zivilen Leben nenne ich es eine<br />
Behinderung.“ Denn das, was er erlitten habe, werde nicht<br />
weggehen. Sein ganzes noch folgendes Leben nicht. •<br />
Zwei Jahre lang hat der Berliner Fotograf Jakob Ganslmeier an<br />
seiner Fotostrecke „Trigger“ über traumatisierte Soldaten gearbeitet.<br />
Er fragte sich im Rahmen seiner Abschlussarbeit an der Fotoschule<br />
„Ostkreuz“: Wer sind die deutschen Soldaten, die auf Auslandseinsätze<br />
gehen? Und ihm war aufgefallen, dass im amerikanischen<br />
Kino schon seit den 70er-Jahren der traumatisierte Rückkehrer immer<br />
wieder Thema war. Als Erstes lernte er Robert Sedlatzek-Müller<br />
kennen – während eines extremen Hindernislaufes bei eisigen<br />
Temperaturen. Danach besuchte er weitere sechs Soldaten und<br />
Soldatinnen im Dienst und auf Krankenstationen, traf sie privat.<br />
Er nahm an Übungen, großen Manövern und Einsatzbesprechungen<br />
teil und erhielt als Zivilist intime Einblicke in das Soldatenleben.<br />
Weitere Fotos der Serie können auf seiner Homepage<br />
www. jakobganslmeier.com betrachtet werden.<br />
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41
Rubrik<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>275</strong>/ JANUAR <strong>2016</strong><br />
So schön kann Weihnachten sein: An riesigen, festlich gedeckten Tafeln<br />
in der FISCHAUKTIONSHALLE fanden Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer<br />
und andere Obdachlose und Bedürftige Platz.<br />
„So muss<br />
eine Feier sein!“<br />
Mithilfe von alsterradio, Rewe und vielen Ehrenamtlichen haben<br />
400 Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer und Obdachlose eine tolle Weihnachtsfeier erlebt.<br />
Dabei hatten auch die Helfer in der Fischauktionshalle ihren Spaß.<br />
TEXT: SYBILLE ARENDT<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Schon von draußen sieht die Fischauktionshalle total festlich<br />
und einladend aus. Durch die großen Scheiben des Backsteinbaus<br />
sind weihnachtlich gedeckte Tafeln und riesige silberne<br />
Kerzenleuchter zu sehen. Unsere 400 Gäste können es<br />
kaum erwarten, hineinzukommen. „Wow, echte Kerzen!“, ist<br />
zu hören, sobald die Kartenkontrolle endlich geschafft ist.<br />
Und nicht nur das: Die Deko und Atmosphäre sind so feierlich,<br />
dass man auch den Vorstand einer deutschen Großbank<br />
hier ohne Weiteres platzieren könnte. Anzugträger sucht<br />
man heute jedoch vergeblich. Diese Gäste tragen Rauschebart<br />
und Rucksack, Jeans statt Jackett. „Wenn ihr dunkle Anzüge<br />
und Abendkleid tragen würdet, könntet ihr nicht schöner<br />
aussehen“, ruft es von der Bühne. Sänger Peter Sebastian<br />
hat das Showprogramm eröffnet. Begeistert klatschen die<br />
Männer, Frauen und Kinder den Takt. Der Auftritt kommt<br />
gut an. Holger, Verkäufer aus Duvenstedt, ist zum ersten<br />
42
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Freunde<br />
Mal in der Fischauktionshalle. „Ich finde die Atmosphäre<br />
toll.“ Sein Nachbar Jörg schließt sich an. „Es sieht so gemütlich<br />
aus durch die Kerzen.“ Als Autogrammjäger hofft der<br />
Hinz&Künztler, auch noch den einen oder anderen Promi<br />
treffen zu können. Rainer lässt sich gleich mit Regina Halmich<br />
fotografieren. Die ehemalige Boxerin ist eine von vielen, die<br />
hier sind, um den Hinz&Künztlern ehrenamtlich einen schönen<br />
Abend zu verschaffen. Sie ist zum Servieren eingeteilt:<br />
„Ich finde es toll, dass man nicht erkennen kann, ob es eine<br />
Promi-Gala oder eine Feier für Obdachlose ist.“ Auch Schauspieler<br />
Nik Breidenbach steht schon bei der Vorspeise parat.<br />
Im Gegensatz zu Regina Halmich ist er zum ersten Mal dabei.<br />
„Ob es mit dem Kellnern so gut klappt, werden wir sehen.<br />
Aber Schauspieler sind ja die besten Kellner“, frotzelt er.<br />
Ermöglicht haben den Abend alsterradio und Rewe. Die<br />
Supermarktkette hat durch seine Pfandsammelboxen 14.000<br />
Euro zusammenbekommen! Außerdem stellt das Unternehmen<br />
Lebensmittel und Leute: „Die Dankbarkeit der Verkäufer<br />
ist der Lohn für unser Engagement“, so Rewe-Bezirksmanager<br />
Jens Timm, der mit einem vielköpfigen Team hier aufgelaufen<br />
ist, um zu dekorieren und zu servieren. Der Geschäftsführer<br />
freut sich besonders darüber, dass er schon seinen<br />
Stammverkäufer vom Elbe-Einkaufszentrum unter den<br />
Gästen entdeckt hat.<br />
Auch andere überraschende Begegnungen gibt es an diesem<br />
Abend. Denis, der Sohn von Verkäuferin Valentina zeigt<br />
auf einmal ganz aufgeregt auf die Bühne: Dort singt der<br />
Gospelchor Nienstedten Weihnachtslieder. Denis hat seine<br />
Lehrerin unter den Sängern entdeckt. Nach dem Auftritt<br />
begrüßt Christina Hasselmann den Kleinen herzlich.<br />
Da nicht wenige Kinder unter den Gästen sind, darf auch<br />
der Weihnachtsmann nicht fehlen. Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer<br />
Peter zieht sein rotes Kostüm über und verteilt Stofftiger. Neben<br />
den festlich gedeckten Tafeln steht mit roter Servierschürze<br />
Ingo Pohlmann und träumt vor sich hin. Dabei soll er doch<br />
bald auf die Bühne und muss sich noch einsingen. Aber es<br />
sieht so schön weihnachtlich aus, dass der Künstler sich kaum<br />
lösen mag. Über die Verkäufer spricht Pohlmann voller Bewunderung:<br />
„Ich habe keine Ahnung, wie man die Energie<br />
aufbringen kann, sich selbst aus dem Dreck zu ziehen.“ Auch<br />
seine Stammverkäuferin vor Edeka in Winterhude nötigt ihm<br />
Respekt ab. „Sie steht da jeden Morgen schon ab 7 Uhr und<br />
verkauft Zeitungen – und zwar mit einem Lächeln auf den<br />
Lippen!“ Vor Pohlmann ist noch Cäthe dran. Die Hamburger<br />
Sängerin mit der markanten Stimme ist schon zum dritten<br />
Mal dabei. Aus Überzeugung: „Ich kann mich gut hineinfühlen<br />
in Leute, die alles verloren haben.“<br />
Inzwischen ist auch das Dessert verputzt. Alsterradio-<br />
Moderatorin Maren Bockholdt setzt zur letzten Moderation<br />
an. In der Hand hält sie ein Fläschchen Nagellack. „Das habe<br />
ich gerade von einem Verkäufer bekommen, vielen Dank“,<br />
sagt sie gerührt ins Mikrofon. „Die Weihnachtsfeier ist für<br />
uns alle im Sender hier ein Fest“, so die Radiofrau. Sie hat<br />
früher sogar bei „Hilfspunkt“ Brote für Wohnungslose geschmiert.<br />
Alsterradio-Geschäftsführer Jörg Reitmann spricht<br />
für alle, wenn er sagt: „Wir machen das immer total gerne –<br />
die Obdachlosen haben es verdient.“<br />
Es ist kurz vor 21 Uhr, die Hinz&Künztler werden unruhig.<br />
Für sie kommt jetzt der wichtigste Programmpunkt des<br />
Abends: die Geschenketüten. Alle strömen zum Ausgabetresen.<br />
Wie beim Einlass entsteht ein ziemliches Gedränge.<br />
Aber natürlich steht für jeden eine große Tasche mit nützlichen<br />
Dingen wie Mütze, Handschuhe und Taschenlampe<br />
bereit. 400 zufriedene Gäste machen sich auf den Heimweg.<br />
50 zufriedene Helfer machen sich ans Aufräumen (wer noch<br />
alles geholfen hat, siehe Seite 45). Organisator Sven Flohr, der das<br />
ganze Jahr über emsig diesen Abend vorbereitet hat, bringt<br />
es auf den Punkt: „So muss eine Feier sein!“ •<br />
Feier gut, alles gut! Nicht nur Loredana und Vasile genossen die Feier,<br />
auch Töchterchen Sara kam auf ihre Kosten. Bild Mitte: Hinz&Künztler<br />
Rainer ließ sich erst mal mit Boxlegende Regina Halmich fotografieren,<br />
die schon zum dritten Mal bei „Mehr als eine warme Mahlzeit“ half.<br />
Auch sie hatten SPASS (unten): Sky-Moderator Rolf Fuhrmann,<br />
Schauspieler Nik Breidenbach und Uwe Borutta.<br />
43
Freunde<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>275</strong>/ JANUAR <strong>2016</strong><br />
So viele Menschen haben mitgeholfen,<br />
damit die WEIHNACHTSFEIER<br />
„Mehr als eine warme Mahlzeit“ in der<br />
Fischauktionshalle ein voller Erfolg wurde.<br />
Viel mehr als eine<br />
warme Mahlzeit!<br />
Festlich gedeckte Tische, romantisches Kerzenlicht, ein tolles<br />
Essen, ein Mega-Showprogramm – und eine prall gefüllte<br />
Weihnachtstüte – die Weihnachtsfeier hatten alsterradio,<br />
REWE, die Fischauktionshalle und viele Promis gestemmt.<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Isabel Schwartau ist noch immer ganz beseelt: „Ein so festliches Ambiente<br />
und eine so große Wertschätzung der Gäste!“, schwärmt die Öffentlichkeitsarbeiterin<br />
von Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Klar, wir haben schon viele Weihnachtsfeiern<br />
für Hinz&Künztler, Obdachlose und Bedürftige erlebt, viele davon<br />
selbst organisiert. Aber genau das wurde in den vergangenen Jahren richtig<br />
schwer: Wir haben immer mehr Verkäufer, aber weniger Sponsoren.<br />
Ständig mussten wir – gerade für die Weihnachtstüten – zukaufen.<br />
Dank alsterradio, dessen Eventagentur perfect:media um Sven Flohr<br />
und dem REWE-Team um Jens Timm gibt es diese Probleme seit drei Jahren<br />
nicht mehr. Neu ist die Fischauktionshalle als perfekte Location! Deren<br />
Mitarbeiter waren – zusammen mit den helfenden Promis – unschlagbar.<br />
„Die haben aufgeräumt, serviert, die Kerzen aufgestellt, alles!“, so Isabel<br />
Schwartau. „Wirklich beeindruckend.“ Tausend Dank! ABI<br />
•<br />
Wer noch geholfen hat: siehe S. 45. Mehr Fotos: www.huklink.de/weihnachtsfeier<br />
Sven Flohr von der Eventagentur perfect:media (Bild Mitte,<br />
schwarzes Hemd) steckt viel HERZBLUT in die Organisation<br />
der Feier. Neben ihm: alsterradio-Chef Jörg Reitmann (links)<br />
und Programmdirektor Florian Wittmann. Unten: Das riesige<br />
REWE-Team um Bezirksmanager Jens Timm (mit Krawatte).<br />
Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk<br />
44
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Freunde<br />
Als die schöne Müllerin<br />
Obdachlose traf …<br />
Was war das für ein berührender<br />
Abend in der St.-Petri-Kirche!<br />
Denn der Autor<br />
und Musikfan Stefan Weiller<br />
hatte den klassischen<br />
Liederzyklus „Die schöne<br />
Müllerin“ von Franz Schubert<br />
mal ganz anders inszeniert<br />
– und die Lieder mit<br />
Lebensgeschichten von<br />
Obdachlosen aus ganz Deutschland konfrontiert. Dazu wurden diese vorher nach<br />
ihrem Liebesglück, dem Liebesunglück und nach ihrer Liebessehnsucht befragt.<br />
In Hamburg waren natürlich Hinz&Künztler Weillers Gesprächspartner. FK •<br />
Hier erfährt man mehr: www.die-schoene-muellerin.com<br />
Dankeschön<br />
JA,<br />
ICH WERDE<br />
MITGLIED<br />
IM HINZ&KUNZT-<br />
FREUNDESKREIS.<br />
Damit unterstütze ich die<br />
Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Meine Jahresspende beträgt:<br />
60 Euro (Mindestbeitrag für<br />
Schüler/Studenten/Senioren)<br />
100 Euro<br />
Euro<br />
Datum; Unterschrift<br />
Ich möchte eine Bestätigung<br />
für meine Jahresspende erhalten.<br />
(Sie wird im Februar des Folgejahres zugeschickt.)<br />
Meine Adresse:<br />
Wir danken allen, die im Dezember an uns<br />
gespendet haben, sowie allen Mitgliedern<br />
im Freundeskreis von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
für die Unterstützung unserer Arbeit!<br />
DANKESCHÖN EBENFALLS AN:<br />
Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH,<br />
IPHH, wk it services, Hamburger Tafel,<br />
Axel Ruepp Rätselservice, Hamburger Kunsthalle,<br />
bildarchiv-hamburg.de, Firma Ute Orth,<br />
Kultur-Medien-Hamburg GmbH,<br />
Medienpool Extra GmbH,<br />
Jerusalem-Gemeinde Eimsbüttel mit<br />
Pastor Gossmann und Peter Will,<br />
Kampf der Künste/Slam Kultur gGmbH,<br />
Renate Kellner und den Gästen der<br />
Trauerfeier für Peter Hardtmann,<br />
Heinz-Joachim und Gisela Watterodt<br />
Allen, die geholfen haben, die Aufführung von<br />
„Die schöne Müllerin“ gelingen zu lassen:<br />
Stefan Weiller, Hauptkirche St. Petri:<br />
Pastor Störmer, Pastor Seemann,<br />
Dagmar Loga-Haenel, Martin Meier,<br />
Dagmar Manzel, Gustav Peter Wöhler,<br />
Tilo Werner, Claus Bantzer, Harvestehuder<br />
Kammerchor, Druckerei SCHARLAU GmbH,<br />
Andere Zeiten, Baseler Hof, Stiftung Winterreise,<br />
Gemeinnützige Treuhandstelle Hamburg,<br />
den Hinz&Künztlern, die als Interviewpartner<br />
zur Verfügung standen sowie dem<br />
Ehrenamtlichenteam von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
Für die Gestaltung der Weihnachtsfeier<br />
„Mehr als eine warme Mahlzeit“ bedanken<br />
wir uns bei: alsterradio, Fischauktionshalle,<br />
REWE mit Jens Timm und seinem Team,<br />
Hella Mineralbrunnen, PSD Bank Nord,<br />
Sparda Bank, Medimax, Darboven,<br />
Hamburger Hochbahn, Hamburg<br />
Showtechnik, hydrophil, Hallo Pizza,<br />
Hard Rock Cafe, Beiersdorf, Shell,<br />
Ingo Pohlmann, Cäthe, Regina Halmich,<br />
Peter Sebastian, David und Götz,<br />
Rolf Fuhrmann, Viola Möbius,<br />
Fernanda Brandao, Silva Gonzalez mit Band<br />
„Hot Banditoz“, Tim Koller, Gospelchor<br />
Nienstedten, Harry Schulz, Stefan Schnoor,<br />
Anthony Bauer Jr., Jan-Phillipp Kalla,<br />
Robin Himmelmann, David Wolf,<br />
Jörg Reitmann und Florian Wittmann sowie<br />
dem Team von alsterradio, Sven Flohr und<br />
Antje Peschuk sowie dem Team von<br />
perfect media und dem Verein Frauen<br />
in Verantwortung (FinV)<br />
Für „Spenden statt Schenken“ zugunsten<br />
von Hinz&<strong>Kunzt</strong> bedanken wir uns bei:<br />
xpertum, Arbeitsgemeinschaft Hamburger<br />
Schiffsbefestiger, Architekturbüro<br />
Roger Steinbach, MGF Gartenstadt Farmsen,<br />
Onlineagentur schokoladenseite<br />
sowie dem HSV<br />
NEUE FREUNDE:<br />
Gisela Achinger, Elke und Uwe Albert,<br />
Birgit und Rüdiger Bräuer, Jens Erich Burg,<br />
Gerd Garbers, Brigitte Genthner, John Heaven,<br />
Eckhard Karrasch, Sebastian Lehmann,<br />
Uwe Lemm, Ursula Mönnich, Sabrina<br />
Reddehase, Marga Ritscher, Ursula Roehrs,<br />
Gabriele Schädle, Tim Suchanek, Uwe Werner<br />
Name, Vorname<br />
Straße, Nr.<br />
PLZ, Ort<br />
Telefon<br />
E-Mail<br />
Beruf<br />
Geburtsjahr<br />
Einzugsermächtigung:<br />
Ich erteile eine Ermächtigung zum<br />
Bankeinzug meiner Jahresspende.<br />
Ich zahle: halbjährlich jährlich<br />
IBAN<br />
BIC<br />
Bankinstitut<br />
Wir versichern, dass Ihre Angaben nur für interne<br />
Zwecke bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> verwendet werden. Ihre<br />
Mitgliedschaft im Freundeskreis ist jederzeit kündbar.<br />
Bitte Coupon ausschneiden und senden an:<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreis<br />
Altstädter Twiete 1-5, 20095 Hamburg<br />
Oder online im Freundeskreis anmelden unter<br />
www.hinzundkunzt.de/so-koennen-sie-helfen/<br />
45<br />
HK <strong>275</strong>
Buh&Beifall<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>275</strong>/ JANUAR <strong>2016</strong><br />
Was unsere Leser meinen<br />
„Es ist sehr anstrengend, immer unterwegs sein zu müssen“<br />
Alles muss man selbst machen<br />
H&K 274, Winternotprogramm<br />
Ich frage mich allen Ernstes, warum<br />
Obdachlose ihre Schlafplätze am<br />
Tag verlassen müssen. Wie Torsten, einer<br />
der „Pfefferkuchen-Häuslebauer“,<br />
äußert, ist es sehr anstrengend, immer<br />
unterwegs sein zu müssen. Die Argumente,<br />
„die Betten müssen gemacht<br />
werden“ oder „dass andernfalls das Bett<br />
gar nicht mehr aufgegeben würde“, sind<br />
sehr fadenscheinig. Warum soll ein Obdachloser<br />
nicht einmal einen Tag in seinem<br />
Bett bleiben können? ULRIKE LIMPACH<br />
Die schöne Müllerin<br />
H&K 273, Schubert-Abend für Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
Der Abend erinnerte mich daran,<br />
dass auch Franz Schubert ein armer<br />
Mensch ohne eigenes Zuhause war und<br />
seine Lieben nicht erwidert wurden. Die<br />
Verknüpfung seines Schicksals mit dem<br />
heutiger Obdachloser und die Erwartung<br />
Schuberts berührender Musik<br />
waren für mich der Antrieb, in die Petri-<br />
Kirche zu gehen. ROSWITHA STEINVORTH<br />
„Es geht um die Geste“<br />
H&K Allgemein<br />
Neulich vor Edeka in der Hallerstraße.<br />
Beim Verlassen des Geschäfts<br />
bietet mir ein Hinz&Künztler die neue<br />
Ausgabe an. Ich nehme sie, wühle in<br />
meiner Geldbörse und finde nur noch<br />
1,24 Euro, bestehend aus lauter Kleingeld.<br />
Bedauernd möchte ich ihm das<br />
Magazin zurückgeben. Doch der Mann<br />
schüttelt heftig den Kopf: „Es geht um<br />
die Geste. Dass Sie überhaupt bereit<br />
waren, Hinz&<strong>Kunzt</strong> zu kaufen, uns zu<br />
unterstützen.“ Es ist mir peinlich. Ich<br />
biete ihm an, nach Hause zu gehen und<br />
den Restbetrag zu holen. „Das ist genau,<br />
was ich nicht will“, beteuert er<br />
nochmals, drückt mir beinahe heftig<br />
das Heft in die Hand, wendet sich dem<br />
nächsten Kunden zu. Ich brauche<br />
eine Weile, ihn zu verstehen und damit<br />
klar- zukommen.<br />
DAGMAR GEHM<br />
Preiserhöhung<br />
H&K Allgemein<br />
Leider fürchte ich, dass mit den<br />
2,20 Euro eine psychologische Grenze<br />
überschritten worden ist. Bei mir, glaube<br />
ich, ist das der Fall. Zwei Euro kann<br />
ich immer ohne größeres Nachdenken<br />
geben, aber schon der kleine Sprung zu<br />
den 2,50 Euro macht daraus eine heikle<br />
Sache. Nun, Sie werden ja merken,<br />
ob es anderen Menschen auch so wie<br />
mir geht.<br />
MARC ALBANO<br />
Leserbriefe geben die Meinung des Verfassers<br />
wieder, nicht die der Redaktion. Wir behalten<br />
uns vor, Leserbriefe zu kürzen.<br />
HAMBURGER NEBENSCHAUPLÄTZE<br />
DER ETWAS<br />
ANDERE<br />
STADTRUNDGANG<br />
Wollen Sie Hamburgs City einmal mit anderen Augen sehen?<br />
Abseits der teuren Fassaden zeigt Hinz&<strong>Kunzt</strong> Orte, die in<br />
keinem Reiseführer stehen: Bahnhofs mission statt Rathausmarkt,<br />
Drogenberatungsstelle statt Alsterpavillon, Tages aufent halts stätte<br />
statt Einkaufspassage.<br />
Anmeldung: info@hinzundkunzt.de<br />
oder Telefon: 040/32 10 83 11<br />
Kostenbeitrag: 10/5 Euro,<br />
nächste Termine: 10. + 24.1.<strong>2016</strong>, 15 Uhr<br />
CAP SAN DIEGO<br />
Weltweit größter fahrtüchtiger<br />
Museumsfrachter<br />
<br />
<br />
Unsere aktuellen Tagesfahrten in <strong>2016</strong><br />
<br />
Fahrt durch die Schleuse in Bremerhaven,<br />
Fahrt auf der Weser bis Bremen, dort drehen,<br />
Fahrt auf der Weser bis Bremerhaven zurück<br />
<br />
Fahrt elbabwärts bis max. Glückstadt,<br />
Drehmanöver auf der Elbe, Teilnahme an der<br />
Einlaufparade<br />
<br />
Fahrt elbabwärts<br />
<br />
<br />
Fahrt auf dem Nord-Ostsee-Kanal<br />
<br />
Fahrt auf dem Nord-Ostsee-Kanal, Holtenau<br />
Schleuse, Fahrt auf der Kieler Förde<br />
<br />
Fahrt auf der Kieler Förde, Holtenau Schleuse,<br />
Fahrt auf dem Nord-Ostsee-Kanal<br />
<br />
<br />
Schleuse, Fahrt auf der Elbe<br />
<br />
Fahrt elbaufwärts, Drehen im Hamburger Hafen<br />
Weitere Infos und Buchung:<br />
www.capsandiego.de, Tel.: 040 / 36 42 09
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Wir machen Musik: Ulrich Tukur & Die Rhythmus Boys spielen für Hinz&<strong>Kunzt</strong> (S. 48).<br />
Wir richten an: Unsere Köchin des Monats Sabrina empfi ehlt einen Fleischeintopf à la Oma (S. 56).<br />
Wir geben nicht auf: Hinz&Künztler Reinhard erkämpft sich sein Leben neu (S. 58).<br />
Der INNENARCHITEKT Assem<br />
Rahima hat Bilder seiner Flucht<br />
aus Syrien gemalt. Zu sehen ab dem<br />
15. <strong>Januar</strong> im Gängeviertel – und<br />
ein paar bei uns im Veranstaltungs-<br />
teil (ab S. 52 und Tipp S. 54).<br />
FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE
Sänger, Schauspieler,<br />
Schellackplattenliebhaber:<br />
Ulrich Tukur ist zwar nach<br />
außen das ZUGPFERD,<br />
aber tatsächlich ein wahrer<br />
Teammensch.
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
„Die Straße war meine<br />
Schauspielschule“<br />
Sie nennen sich die „älteste Boygroup der Welt“ und feierten jüngst ihr 20-jähriges<br />
Bühnenjubiläum. Am 26. <strong>Januar</strong> spielen Ulrich Tukur & Die Rhythmus Boys<br />
ein „Best-of“-Benefizkonzert für Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Vorab haben wir mit ihnen über ihre<br />
Anfänge auf der Straße, Streitkultur und Furzkissen gesprochen.<br />
TEXT: SIMONE DECKNER<br />
FOTOS: DANIEL CRAMER<br />
HINZ&KUNZT: Herr Tukur, Sie besitzen<br />
weit über 1000 Schellackplatten. Ihre<br />
Begeisterung für die Musik der 30er-Jahre<br />
soll eine Frau ausgelöst haben: Ihre Tante.<br />
ULRICH TUKUR: Ja, das stimmt. Zu meiner<br />
Konfirmation hat sie mir einen Stapel<br />
Schellackplatten geschenkt. Ich weiß<br />
nicht, welcher Hafer sie da gestochen<br />
hat: Es war 1972 und solche Musik war<br />
überhaupt nicht populär. Mein Onkel<br />
steuerte ein Koffer-Grammophon bei.<br />
Die erste Platte, die ich mir darauf angehört<br />
habe, hieß „Mondnacht auf Kuba“,<br />
eine unglaubliche Schnulze. Und<br />
dann „A Handful Of Keys“ von Fats<br />
Waller, ein berühmter US-Jazzpianist.<br />
So etwas hatte ich noch nie gehört. Von<br />
da an war ich infiziert. Es war nicht<br />
mehr die Streitfrage: Beatles oder Rolling<br />
Stones? Aber das blieb lange mein<br />
Geheimnis.<br />
Sie hätten vor allem als hoffnungslos<br />
uncool da gestanden.<br />
TUKUR: Genau. Wie hätte ich meinen<br />
Freunden auch erklären können, dass<br />
mir Hans-Albers-Lieder besser gefielen<br />
als die Musik von Deep Purple oder<br />
Led Zeppelin? Erst sehr viel später habe<br />
ich Brüder im Geiste gefunden, die<br />
das auch verstanden haben.<br />
Wann fing das an?<br />
TUKUR: Während unseres Germanistikstudiums.<br />
Ulrich Mayer (Mitbegründer der<br />
Rhythmus Boys, d. Red.) und ich gaben für<br />
eine Seminararbeit Tucholsky-Chansons<br />
zum Besten. Das kam derart gut<br />
an, dass wir damit auf die Straße gingen.<br />
Einer der ersten Sprüche, die wir<br />
dann abbekommen haben, war: „Was<br />
seid ihr denn für Neonazis!“<br />
Weil sie in Knickerbocker aufgetreten sind?<br />
ULRICH MAYER: Nein, weil wir nur deutsche<br />
Musik aus den 30er-Jahren gespielt<br />
haben.<br />
Stichwort Straßenmusik: Was haben Sie in<br />
dieser Zeit gelernt?<br />
MAYER: Die Straße ist wunderbar und<br />
gnadenlos zugleich. Du kannst einfach<br />
stehen gelassen werden. Du musst es also<br />
schaffen, dass die Leute da bleiben.<br />
GÜNTER MÄRTENS: Mir ist auf der Straße<br />
mal ein Glas Bier ins Gesicht geschüttet<br />
worden von jemandem, der nicht so begeistert<br />
war. Damit musst du irgendwie<br />
umgehen. Du darfst dir keine Blöße geben,<br />
musst Haltung bewahren.<br />
TUKUR: Die Straße war meine Schauspielschule<br />
und viel mehr: Man lernt, spontan<br />
zu sein, man lernt zu improvisieren.<br />
49<br />
Wie bleibt man als Band 20 Jahre<br />
zusammen, ohne sich zu hassen?<br />
KALLE MEWS: Wir reden viel miteinander.<br />
Und wir streiten auch.<br />
Die Rhythmus Boys sind eine kommunikationsstarke<br />
Kapelle?<br />
MEWS: Ja, und das, obwohl wir sehr gegensätzliche<br />
Typen sind. Günter und<br />
ich, der Größte und der Kleinste, wir<br />
geraten manchmal ganz schön aneinander.<br />
Aber durch unsere Verschiedenheit<br />
können wir uns auch auf wunderliche<br />
Weise gegenseitig inspirieren.<br />
Nervt es trotzdem, wenn der bekannte<br />
Schauspieler Tukur oft im Mittelpunkt steht?<br />
MÄRTENS: Tukur ist natürlich das Zugpferd.<br />
Wobei wir uns auch in den vergangenen<br />
20 Jahren als Rhythmus Boys<br />
ein Publikum erspielt haben. Aber Uli<br />
kann sich da auch tatsächlich einordnen.<br />
Wenn Stücke ausgesucht werden, sagt er<br />
niemals: „Das wird gemacht!“ Wir sind<br />
wirklich eine Band, nicht nur ein Bandleader<br />
mit irgendwelchen Musikern.<br />
TUKUR: Ich bin ein Ensemble-Mensch,<br />
nur so gut, wie die Menschen, mit denen<br />
ich arbeite. Ich möchte nicht permanent<br />
im Zentrum stehen. Macht positionen<br />
waren mir immer peinlich.
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>275</strong>/ JANUAR <strong>2016</strong><br />
Ihr aktuelles Album heißt „Let’s Misbehave“,<br />
also: Benehmt euch daneben! Glauben Sie,<br />
dass es bei der ganzen politischen Korrektheit<br />
heute umgekehrt eine Sehnsucht nach Regelverstoß<br />
gibt?<br />
MÄRTENS: Unbedingt! Dass ist wirklich ein<br />
Ärgernis, dass du heute bei jedem<br />
Schritt reglementiert wirst. Ständig<br />
wird dir der erhobene Zeigefinger entgegengehalten.<br />
Das wollten wir ein bisschen<br />
aufbrechen. Eigentlich hat doch<br />
auch jeder Mensch die Neigung dazu,<br />
Regeln zu brechen.<br />
MEWS: Wir Musiker mussten auch über<br />
unseren Schatten springen und sagen:<br />
„Lass doch mal den falschen Ton drin.“<br />
Spricht genau das die Menschen an<br />
in einer Welt, in der sich alle unentwegt<br />
selbst optimieren?<br />
MEWS: Meine Tochter hat mal mitbekommen,<br />
dass wir es bei einem Auftritt bei<br />
einem Stück nicht geschafft haben, den<br />
Background-Chor zu singen. Ich hatte<br />
im Publikum eine ältere Dame gesehen,<br />
die über einen schmutzigen Witz von<br />
Tukur fassungslos gelacht hat. Sie hatte<br />
die Hände vors Gesicht geschlagen,<br />
und ich sah nur die Schultern zucken<br />
und dann habe ich auch das ganze<br />
Stück über gelacht. Meine Tochter<br />
fragte mich danach: „Sag mal, Papa,<br />
dieses eine Stück, wo du so gelacht hast,<br />
das war ja gut! Habt ihr das geplant?“<br />
Das war im Grunde ein echtes Geschenk<br />
für die Situation.<br />
MÄRTENS: Es geht ja darum, dass die Leute<br />
sich amüsieren, dass sie gut gelaunt<br />
rausgehen und dass sie glücklich sind in<br />
den zwei Stunden, die sie da sind.<br />
Nicht nur Ulrich Tukur, alle Rhythmus<br />
Boys sind eng mit Musik und Schauspielerei<br />
verbunden. Wenn jetzt eine Fee kommen<br />
und fragen würde: Musik oder Spiel?<br />
MÄRTENS: Musik. Gar keine Frage. Die<br />
Musik hat mir eigentlich schon mal fast<br />
das Leben gerettet.<br />
50<br />
In welcher Situation?<br />
MÄRTENS: Ich hatte mich mal als Jugendlicher<br />
ziemlich verirrt. Damals bin ich im<br />
Drogensumpf fast abgesoffen. Irgendwann<br />
bin ich an den Punkt gekommen,<br />
mich zu fragen: Was will ich jetzt eigentlich?<br />
Will ich mich weiter mit Drogen<br />
ruinieren? Oder mache ich jetzt<br />
was dagegen und tue das, was ich wirklich<br />
will, nämlich: Musik machen.<br />
Wie kam es denn zu der Entscheidung<br />
für die Musik?<br />
MÄRTENS: Ich war am Abstürzen, hatte sogar<br />
schon einen Suizidversuch hinter<br />
mir. Meine Familie und Freunde wurden<br />
immer unglücklicher. Ich wurde gemocht,<br />
aber keiner konnte mir mehr<br />
helfen. Dann war mir irgendwann klar:<br />
Jetzt bist du mal gefragt, eine Entscheidung<br />
zu treffen! Eigentlich ist mir der<br />
Schritt dann auch leicht gefallen. Ich<br />
habe damals eine Therapie gemacht,<br />
die ging zwei Jahre. Und vom ersten<br />
Tag an wusste ich, das ist genau der<br />
richtige Weg.<br />
TUKUR: Ich würde auch die Musik nehmen.<br />
Das macht mir am meisten Spaß.<br />
Musik geht direkt in die Herzen der<br />
Menschen und verbindet Kulturen. Sie<br />
ist für mich die Königin der Künste.<br />
Damit fing es ja auch alles an: Erst war<br />
der Rhythmus da.<br />
MAYER: Erst kam der Rhythmus und dann<br />
der Boy (lacht).
Wie wichtig ist Humor für Ihr<br />
Selbstverständnis als Künstler?<br />
MÄRTENS: Sehr wichtig. Man muss eine gewisse<br />
Selbstironie haben, eine Distanz<br />
zu sich selbst. Dann kann man erkennen,<br />
was für eine lächerliche Figur man<br />
manchmal so abgibt. Genau das musst<br />
du zu deiner Stärke machen. Das ist im<br />
Grunde das, was wir auf die Bühne stellen:<br />
Eigentlich sind wir eine Band von<br />
lächerlichen Figuren, die aber diese Lächerlichkeit<br />
kultiviert haben und damit<br />
die Leute unterhalten.<br />
MEWS: Es gibt ja auch diesen optischen<br />
Orgelpfeifeneffekt bei uns – wir haben<br />
das Glück, dass wir gar nicht viel machen<br />
müssen.<br />
MÄRTENS: Deshalb nennen wir uns ja auch<br />
eine optische Tanzkapelle. Das ist das<br />
Theatralische auf der Bühne. Nur hinstellen<br />
und alte Lieder nachspielen wäre<br />
auch zu wenig.<br />
Benehmen Sie sich auf der Bühne daneben?<br />
MEWS: Bevor wir dem Publikum Vorwürfe<br />
machen , dass sie husten, machen wir<br />
es selber. Manchmal furzen wir auch.<br />
MÄRTENS: Wir haben mal in der ersten<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
51<br />
DIE RHYTHMUS<br />
BOYS in ihrer ganzen<br />
Pracht (von links):<br />
Kontrabassist Günter<br />
Märtens, Schlagzeuger<br />
Kalle Mews und<br />
Gitarrist Ulrich Mayer.<br />
„Wir sind wirklich eine<br />
Band. Nicht nur ein<br />
Band leader mit irgendwelchen<br />
Musikern.“<br />
Reihe ein Furzkissen versteckt. Tukur<br />
hatte eine Fernbedienung dafür. Dann<br />
hatte sich eine Frau hingesetzt, aber<br />
man hat gar nichts gehört, weil es im<br />
Saal zu laut war. Er ist immer dichter<br />
an diese Frau mit seiner Fernbedienung<br />
ran, bis man irgendwann ein ganz leises<br />
Furzgeräusch gehört hat (lacht).<br />
MEWS: Wir lassen uns auch mit Sachen<br />
beschmeißen. Wir haben schon Tomaten<br />
abbekommen …<br />
MÄRTENS: … und irgendwann hat mal einer<br />
einen verwesten Karpfen geworfen.<br />
Das war irgendwo im Badischen. Die<br />
haben ja nur Karpfen, die haben ja keine<br />
echten Fische. (lacht) •<br />
Info: 26.1., Benefiz-Konzert für Hinz&<strong>Kunzt</strong>,<br />
St. Pauli–Theater, 19.30 Uhr,<br />
Moderation: Judith Rakers. Karten von<br />
19,90 bis 79,90 Euro. Für 159,90 Euro<br />
können Sie Karten der Kategorie<br />
„Meet & Greet“ kaufen und damit nach<br />
der Vorstellung die Künstler in der<br />
Theaterbar treffen. Kartenvorverkauf unter<br />
www.st-pauli-theater.de oder über das<br />
Kartentelefon 040/47 11 06 66 sowie an<br />
allen bekannten Vorverkaufsstellen.<br />
<br />
BAABA MAAL<br />
<br />
MAX RAABE & PALAST ORCHESTER<br />
<br />
<br />
KLAUS HOFFMANN<br />
<br />
<br />
SE + IR<br />
<br />
<br />
WLADIMIR KAMINER<br />
<br />
<br />
THE GOSPEL PEOPLE<br />
<br />
<br />
ANDREAS BOURANI<br />
<br />
HENRY ROLLINS<br />
<br />
<br />
DER KLEINE PRINZ<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
ANGEL HAZE<br />
<br />
<br />
STAATLICHES RUSSISCHES BALLETT<br />
MOSKAU - SCHWANENSEE<br />
<br />
THE MACCABEES<br />
<br />
CÄTHE<br />
<br />
<br />
CHINESISCHER NATIONALCIRCUS<br />
<br />
<br />
<br />
DISCLOSURE<br />
<br />
DEICHKIND<br />
<br />
<br />
CHARLIE CUNNINGHAM<br />
<br />
CARMINHO<br />
<br />
<br />
KONSTANTIN WECKER<br />
<br />
<br />
ROBIN SCHULZ<br />
<br />
TICKETS:<br />
KARSTEN JAHNKE<br />
<br />
GMBH<br />
<br />
KJ.DE
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>275</strong>/ JANUAR <strong>2016</strong><br />
Szenen einer<br />
FLUCHT: Die Bilder<br />
auf diesen Seiten sind<br />
von Assem Rahima<br />
(Tipp S. 54).<br />
Tipps ( 1)<br />
1. bis 15. <strong>Januar</strong> <strong>2016</strong><br />
MUSIK<br />
Baaba Maal heizt ein<br />
In seiner senegalesischen Heimat ist<br />
Baaba Maal ein Superstar. Auch in Europa<br />
hat der Sänger eine treue Fangemeinde.<br />
Das liegt an der originellen Mischung<br />
aus afrikanischer und westlicher<br />
elektronischer Musik sowie der enormen<br />
Bühnenpräsenz. Wenn Maal gut<br />
drauf ist – und das ist er fast immer –,<br />
wird der Konzertsaal zu einem Hexenkessel.<br />
Dafür sorgen vor allem die<br />
hervorragenden Percussionisten: Mit<br />
der Djembé oder mit der Tama, einer<br />
mit Echsenhaut bespannten Trommel,<br />
zaubern sie unglaubliche Rhythmen.<br />
Baaba Maal singt dazu und spielt<br />
Gitarre. Manchmal tanzt er auch<br />
barfuß über die Bühne. Jetzt stellt der<br />
Musiker sein brandneues elftes Album<br />
„The Traveller“ vor. •<br />
Fabrik, Barnerstraße 36,<br />
Do, 14.1., 20 Uhr, 33 Euro<br />
VORTRAG<br />
Friedrich von Borries diskutiert<br />
über die politische Zukunft<br />
Friedrich von Borries schaut schon von<br />
Berufs wegen gern in die Zukunft. Der<br />
Kunstprofessor und Designtheoretiker<br />
befasst sich mit den großen Fragen<br />
unserer Zeit. „Welches Land wollen<br />
wir sein?“, lautet das Thema, dem er<br />
sich jetzt gemeinsam mit Sieghard<br />
Wilm, Pastor an der St.-Pauli- Kirche,<br />
und Bettina Stucky, Ensemblemitglied<br />
am Schauspielhaus, stellt. Wollen wir<br />
angesichts des islamistischen Terrors<br />
und der Flüchtlingsbewegungen<br />
eine offene Gesellschaft sein oder uns<br />
abschotten? Journalist Christian<br />
Rabhansl moderiert die Diskussion. •<br />
Schauspielhaus, Kirchenallee 39,<br />
Di, 12.1., 20 Uhr, 15/9 Euro<br />
MUSIK<br />
Ben Caplan: wilder Bart<br />
und wilde Musik<br />
Mit seinem gewaltigen Bart und seiner<br />
Hornbrille sieht Ben Caplan aus wie<br />
eine wilde Mischung aus Waldarbeiter<br />
und Professor. Markant ist auch die<br />
Stimme des kanadischen Sängers und<br />
Songwriters: Er hat den Whiskey-<br />
Sound von Tom Waits genauso drauf<br />
wie den Soul von Tom Jones. Das passt<br />
zu der enormen stilistischen Bandbreite<br />
von Caplans Songs: Von Folk-Balladen<br />
bis zu Rock-Nummern ist alles<br />
dabei. Eine Kostprobe seiner Musik<br />
und seiner Entertainer- Qualitäten<br />
gibt der ehemalige Philosophiestudent<br />
jetzt live in Hamburg. •<br />
Nochtspeicher, Bernhard-Nocht-Str. 69a,<br />
Di, 12.1., 20 Uhr, 17,50 Euro<br />
52<br />
VORTRAG<br />
Ein Blick hinter die Kulissen<br />
des Ukraine-Konflikts<br />
Zwei Russland-Experten gehen in einem<br />
gemeinsamen Buch der Frage<br />
nach, warum die deutsche Öffentlichkeit<br />
so gelassen auf den Krieg in der<br />
Ukraine reagiert. „Der Russland-Reflex.<br />
Einsichten in eine Beziehungskrise“ lautet<br />
der Titel. Die Autorin Irina Scherbakowa<br />
ist Germanistin und Bürgerrechtlerin.<br />
Unermüdlich beschäftigt sie sich<br />
mit dem aktuellen und historischen Bild<br />
von Russland und setzt sich für die<br />
Menschenrechte in ihrem Heimatland<br />
ein. Ihr Buchpartner Karl Schlögel hat<br />
schon als Schüler die Sowjetunion<br />
bereist, hat viele Jahre in Moskau gelebt<br />
und vielfach zu Themen der russischen<br />
Geschichte recherchiert. Die beiden<br />
Fachleute lassen ihren engagierten Einsatz<br />
für die deutsch-russische Verständigung<br />
noch einmal Revue passieren und<br />
sprechen kenntnisreich über aktuelle<br />
politische Tendenzen. Die beiden geben<br />
die Hoffnung nicht auf, dadurch Vorurteile<br />
und Stereotypen abzubauen. •<br />
KörberForum, Kehrwieder 12, Do, 14.1.,<br />
19 Uhr, Eintritt frei, Anmeldung erforderlich<br />
unter www.koerberforum.de
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
AUSSTELLUNG<br />
Expressionistische Utopien<br />
BILDER: ASSEM RAHIMA; COLLAGEN: GRAFIKDEERNS<br />
Daniel M Thuraus Bilder bieten einen<br />
wahren Farbenrausch. Der Berliner<br />
Künstler liebt die bunten Farben des<br />
Expressionismus und kombiniert sie<br />
mit übersteigerten Formen und comicartigen<br />
Elementen. „Ich versuche die<br />
sogenannte elitäre und populäre Kultur<br />
miteinander auszusöhnen, indem ich<br />
mit beiden ehrlich bin und Humor als<br />
Verbindungselement verwende“, so der<br />
Künstler. „Utopia Now“ lautet der Titel<br />
seiner neuen Ausstellung. •<br />
Feinkunst Krüger, Kohlhöfen 8,<br />
9.1.–30.1., 19 Uhr, Do+Fr, 12–19 Uhr,<br />
Sa, 12–18 Uhr, Eintritt frei<br />
BÜHNE<br />
Zwischen Politik und Poesie<br />
mit Uta Köbernick<br />
Leise Töne sind die Stärke von Uta<br />
Köbernick. Vielleicht bezeichnet sie<br />
deshalb ihre Lieder als „Widerständchen“?<br />
Mit Sprachwitz und Poesie<br />
verwandelt die Schauspielerin und<br />
Sängerin Alltagsfragen in musikalische<br />
Perlen. Mal geht es um Kindergärten,<br />
mal um Europa-Politik. Musikalisch<br />
begleitet sich die Kabarettistin am<br />
Klavier, mit der Ukulele und der<br />
Gitarre. „Grund für Liebe“ heißt ihr<br />
aktuelles Programm. •<br />
Polittbüro, Steindamm 45,<br />
Sa, 9.1., 20 Uhr, 15/10 Euro<br />
BÜHNE<br />
Lutz von Rosenberg Lipinsky<br />
veräppelt die Angst<br />
„Angst.Macht.Spaß.“ heißt Lutz von<br />
Rosenberg Lipinskys aktuelles Programm.<br />
Die Themen sind zahlreich,<br />
und die Worte fließen bei dem studierten<br />
Theologen in Höchstgeschwindigkeit.<br />
Zwei Stunden spannt der Kabarettist<br />
den Bogen über Fußball, Kultur<br />
und Politik bis hin zu Religion. Gekonnt<br />
und unterhaltsam beweist der<br />
Hamburger dabei, warum wir Deutschen<br />
die Meister der Phobien sind. •<br />
Goldbekhaus, Moorfurthweg 9,<br />
Sa, 9.1., 20 Uhr, 16,50/12 Euro<br />
KINO<br />
Gangster als Popstars<br />
Wer Geschwister hat, ist seltener allein.<br />
Wer einen Zwillingsbruder hat, ist es<br />
nie. Wenn es gut läuft. Der Autor dieser<br />
Zeilen hat einen Zwillingsbruder. Ob<br />
Blut dicker ist als Wasser, mag ich nicht<br />
beurteilen. Eine gemeinsame Eizelle<br />
jedenfalls ist dicker als der Stahlbeton<br />
im AKW. Den Beweis dafür traten die<br />
Kray-Zwillinge an, die als Nachtclub-<br />
Besitzer im London der 60-er ihre<br />
Karriere starteten und diese als echte<br />
Promigangster 1968 beendeten. Und<br />
weil der <strong>Januar</strong> ein trüber Monat ist,<br />
sollte man den Kinofilm „Legend“ in<br />
seine Monatsplanung einbeziehen.<br />
Was da passiert? Gewalt auf jeden Fall.<br />
Das mutet einen am Anfang erst<br />
einmal befremdlich an. Schließlich<br />
wirkt Reginald Kray eher wie Prince<br />
Charming, sein Bruder Ronald wie der<br />
spleenige Sachbearbeiter einer Krankenkasse.<br />
Die Fassade täuscht. Groß<br />
geworden in armen Verhältnissen, beweisen<br />
die Krays eine niedrige Frustrationstoleranz.<br />
Kein Wunder, dass sie<br />
durch Raub und Schutzgelderpressung<br />
schnell ein kriminelles Imperium aufbauten.<br />
Und sie treffen auch den Nerv<br />
der Swinging Sixties: Die Kray-Zwillinge<br />
wurden zu Medienstars. Bis Konkurrenz<br />
und Rechtsstaat einen Pakt<br />
schließen – und die Krays noch ein<br />
letztes Mal zusammenhalten müssen.<br />
Tom Hardy spielt in einer Doppelrolle<br />
Reginald und Ronald Kray beeindruckend<br />
kraftvoll und hintergründig.<br />
Die bösen Jungs wickeln auch den<br />
Zuschauer trotz Brutalität schnell um<br />
den Finger. Der Rest ist gutes Popcorn-<br />
Kino. Mehr muss Kino nicht leisten.<br />
Nicht im <strong>Januar</strong>. Ich muss mal meinen<br />
Bruder fragen, vielleicht gehen wir<br />
gemeinsam … ASCHMI<br />
•<br />
Neu im Kino ab Do, 7.1.<br />
MUSIK<br />
Klänge zwischen<br />
Symphonie und Anarchie<br />
Vier Tage werden die Hörgewohnheiten<br />
in Hamburg mit schrägen Klängen<br />
auf die Probe gestellt. Den Auftakt<br />
bei „Klub Katarakt – Festival für experimentelle<br />
Musik“ macht Christian<br />
Wolff. Der amerikanische Komponist<br />
und John-Cage-Weggefährte präsentiert<br />
„Burdocks“. Das Stück gilt als<br />
Klassiker der experimentellen Musik<br />
und wird als Festival-Auftakt in großer<br />
Besetzung aufgeführt. Ein bisschen<br />
Symphonie, ein bisschen Anarchie:<br />
So ungewöhnlich kann Musik sein. •<br />
Kampnagel, Jarrestraße 20,<br />
Mi, 13.1., 20 Uhr, 15/8 Euro<br />
AUSSTELLUNG<br />
Hamburg ins Gesicht geschaut<br />
Erstmals haben Hamburg Museum,<br />
Altonaer Museum und das Museum<br />
der Arbeit für eine Ausstellung eng zusammengearbeitet.<br />
Rund 400 Bilder<br />
wurden für die Schau „Hamburg ins<br />
Gesicht geschaut. Porträts auf fünf<br />
Jahrhunderten“ zusammengetragen.<br />
Ölbilder, Zeichnungen, Scherenschnitte<br />
und Fotos zeigen die Gesichter von<br />
Siegfried Lenz oder Heidi Kabel, aber<br />
auch die von unbekannten Familien,<br />
Fischern und Handwerkern. Mit Hilfe<br />
einer internetbasierten Datenbank<br />
kann man weitere 700 Porträts anschauen<br />
und spannende biografische<br />
Details dazu lesen. •<br />
Hamburg Museum, Holstenwall 24, bis<br />
22.5.2015, Di–Sa, 10–17 Uhr, So–18 Uhr,<br />
9/5,50, unter 18 Jahren frei, Programm<br />
unter www.hamburg.museum.de<br />
53
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Tipps (2)<br />
16. bis 31. <strong>Januar</strong> <strong>2016</strong><br />
MUSIK<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>275</strong>/ JANUAR <strong>2016</strong><br />
Eigenwillige Sängerin: Cäthe<br />
Cäthe ist eine der interessantesten<br />
Sängerinnen der deutschen Popmusik.<br />
Glamour und Divenhaftes sind der<br />
33-Jährigen fremd. Viele ihrer Songs<br />
sind autobiografisch. So singt sie zum<br />
Beispiel über ihren Stiefvater, der die<br />
Familie verlassen hat. Musikalisch will<br />
sich Cäthe nicht festlegen. Auch auf<br />
ihrem aktuellen dritten Album „Vagabund“<br />
lässt sie mal mit rauer Stimme<br />
Blues-Rock erklingen, mal einen<br />
sanften Folksong. Die sympathische<br />
Sängerin ist jetzt live zu erleben. •<br />
Mojo Club, Reeperbahn 1,<br />
So, 31.1., 20 Uhr, 26,75 Euro<br />
KINO<br />
Electroboy: eine unglaubliche<br />
Geschichte<br />
AUSSTELLUNG<br />
Assem Rahima: Bilder einer<br />
Flucht nach Hamburg<br />
„Zelte, in denen Menschen leben müssen<br />
und nicht Urlaub machen, sind etwas<br />
furchtbar Trauriges“, sagt Assem<br />
Rahima. Der syrische Innenarchitekt<br />
floh, nachdem sein Haus ausgebombt<br />
worden war. Knapp fünf Monate lebte<br />
er in der Erstaufnahme Schnackenburgallee.<br />
Seine Nerven lagen nach der<br />
Flucht blank, und nicht nur seine. „Im<br />
Camp gab es schnell Streit“, sagt er,<br />
„wegen der kleinsten Kleinigkeiten.“<br />
Rahima entzog sich, indem er malte:<br />
die ganze Reise von Homs bis nach<br />
Hamburg. Auf diesen Seiten sehen Sie<br />
einige Bilder, alle 35 Blätter werden im<br />
Gängeviertel ausgestellt. Rahima selbst<br />
geht es inzwischen besser: Über Freunde<br />
hat er eine Wohnung gefunden. •<br />
Raum linksrechts, Valentinskamp 37,<br />
Vernissage: 15.1., 18 Uhr; Dauer:<br />
16.–24.1., Fr–So, 15–18 Uhr und nach<br />
Vereinbarung, Eintritt frei<br />
VORTRAG<br />
Wie glaubwürdig ist der<br />
deutsche Journalismus?<br />
Über die Rolle des Journalismus wird<br />
gerade intensiv diskutiert. Ist die Berichterstattung<br />
über Russland einseitig?<br />
Die über Flüchtlinge zu voyeuristisch?<br />
Wie sollen sich Medien mit Vorwürfen<br />
an die „Lügenpresse“ auseinandersetzen?<br />
Ein Diskussionsabend unter dem<br />
Motto „Wehe dem, der lügt. Die<br />
Glaubwürdigkeitskrise im Journalismus“<br />
versucht Antworten darauf<br />
zu finden. Ex-Spiegel-Chefredakteur<br />
Georg Mascolo und Peter-Matthias<br />
Gaede, ehemaliger Geo-Chef, tragen<br />
interessante Fakten vor und stellen sich<br />
anschließend den Fragen des Publikums.<br />
Beide sind Mitglied im Kuratorium<br />
von „Reporter ohne Grenzen“.<br />
Die Organisation, die sich weltweit für<br />
Pressefreiheit einsetzt, erhält die Hälfte<br />
der Einnahmen aus dem Eintritt. •<br />
Literaturhaus, Schwanenwik 38,<br />
Mi, 20.1., 20 Uhr, 19.30 Uhr, 20/15 Euro<br />
Der mehrfach prämierte Dokumentarfilm<br />
„Electroboy“ von Marcel Gisler<br />
erzählt die unglaubliche Geschichte<br />
von Florian Burkhardt. Zunächst<br />
klappte bei ihm einfach alles: Burkhardt,<br />
geboren 1974 in Basel, hatte<br />
schon ein Lehramtsstudium und ein<br />
erfolgreiche Karriere als Snowboarder<br />
hinter sich, als er sich selbst zum<br />
Schauspieler erklärte und nach Hollywood<br />
ging. Dort entdeckte man ihn als<br />
Model. Von den Shootings hatte Burkhardt<br />
jedoch bald genug. Er begann in<br />
einer Internet-Agentur zu schreiben,<br />
hatte auch hier ein goldenes Händchen.<br />
Dann der Absturz. „Generalisierte<br />
Angststörung bei narzisstischer<br />
Persönlichkeitsstruktur“ lautete die<br />
Diagnose der psychiatrischen Klinik,<br />
in die er sich selbst einwies. Nach seiner<br />
Entlassung organisierte er unter<br />
dem Pseudonym Electroboy Club-<br />
Events, die er wegen seiner Erkrankung<br />
selbst gar nicht besuchen konnte.<br />
Filmemacher Marcel Gisler erzählt<br />
einfühlsam ein Leben auf der Überholspur<br />
nach, bringt im Laufe der<br />
Dreharbeiten auch noch Familiengeheimnisse<br />
ans Licht. Bei einem Hollywood-Film<br />
würde man denken: Das ist<br />
aber an den Haaren herbeigezogen! •<br />
Lichtmess Kino, Gaußstraße 25,<br />
Do, 28.1., 20 Uhr, 5/4 Euro<br />
BILDER: ASSEM RAHIMA; COLLAGEN: GRAFIKDEERNS<br />
54
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
BÜHNE<br />
Humorvolle Strategien gegen<br />
den Liebeskummer<br />
Isabella wurde von ihrem Freund verlassen<br />
und sucht nun verzweifelt im<br />
Internet nach Mitteln gegen Liebeskummer.<br />
Zwischen einem Pappaufsteller<br />
mit dem Bild ihres Ex und einem<br />
Kalender, an dem sie die Tage abstreicht,<br />
die seit der Trennung vergangen<br />
sind, versucht sie, möglichst schnell<br />
über die Krise hinwegzukommen.<br />
Autorin und Regisseurin Denise Stellmann<br />
erzählt in „Lovesickness – noch<br />
389 Tage, dann bin ich drüber weg“<br />
humorvoll von einem Leben im Ausnahmezustand.<br />
•<br />
Sprechwerk, Klaus-Groth-Straße 23,<br />
29.+30.1., 20 Uhr, 20 Euro<br />
MUSIK<br />
Jazz-Klassiker neu interpretiert<br />
Ariane Nielsen zeigt, dass man sich<br />
nicht unbedingt zwischen einer musikalischen<br />
und einer bürgerlichen Karriere<br />
entscheiden muss. Tagsüber berät sie<br />
als Coach Unternehmen, abends begeistert<br />
sie von der Bühne aus ihr Publikum.<br />
Begleitet von hervorragenden<br />
Jazzmusikern wie dem Pianisten Buggy<br />
Braune stellt die Sängerin mit viel<br />
Herzblut live ihr Album „It’s About<br />
Time“ vor. Ariane Nielsen interpretiert<br />
darauf ihre Lieblings-Jazz-Klassiker<br />
aus den letzten 80 Jahren neu.<br />
Die Hälfte des Verkaufserlöses der<br />
CD kommt dem Diakonie-Hospiz<br />
Volksdorf zugute. •<br />
Cascadas, Ferdinandstraße 12,<br />
Do, 21.1., 20 Uhr, 12 Euro<br />
KINO<br />
„Qualia“: Eine mutige Frau<br />
arbeitet Missbrauch auf<br />
Nadja wurde in ihrer frühen Kindheit<br />
jahrelang missbraucht und vergewaltigt.<br />
Später wollte sie einfach nur<br />
vergessen. Doch die Angst, die Bilder<br />
und die Schmerzen wollten nicht verschwinden.<br />
So machte sich die junge<br />
Frau an die schwere Aufarbeitung ihres<br />
Traumas und zeigte ihren Peiniger an.<br />
Und sie bewies den Mut, ihren Weg in<br />
einem Dokumentarfilm öffentlich zu<br />
machen. Regisseurin Lena Scheidgen<br />
begleitete in „Qualia“ die Protagonistin<br />
und zeigt eine Familienstruktur, in der<br />
Gewalt und Missbrauch über mehrere<br />
Generationen hinweg an der Tagesordnung<br />
waren. •<br />
Metropolis Kino, Kleine Theaterstraße 10,<br />
So, 24.1., 19 Uhr, 7,50 Euro<br />
AUSSTELLUNG<br />
Warum Brachen wichtig für<br />
die Seele der Stadt sind<br />
Die Fotografin Sarah Hildebrand<br />
dokumentiert seit Jahren Freiflächen<br />
in der Stadt. Viele leere Plätze hat sie<br />
bereits in ihrem Fotoband „Verlassene<br />
Orte“ festgehalten. Nun hat sie 30<br />
Künstler, Musiker und Wissenschaftler<br />
eingeladen, sich ebenfalls mit dem kreativen<br />
Potenzial auseinanderzusetzen,<br />
das Brachen bieten. Die Ergebnisse<br />
sind eine Woche lang unter dem Motto<br />
„Terrain vague – so viel Platz schaufel<br />
ich frei für dich“ zu sehen. Installationen,<br />
Fotos, Lesungen, Performances<br />
und Kinderaktionen zeigen, wie<br />
wichtig Lücken und Unordnung für<br />
die Seele der Stadt sind. •<br />
Westwerk, Admiralitätstraße 74,<br />
22.–28.1., 17–24 Uhr, Eintritt frei<br />
Fünf Monate war Assem Rahima<br />
in der Massenunterkunft<br />
Schnackenburgallee untergebracht.<br />
Oft malte er den ganzen Tag gegen<br />
die DEPRESSION an. Aber<br />
vom ersten Tag an fühlte sich der<br />
Innenarchitekt in der Stadt sicher.<br />
LESUNG<br />
Briefe über die Nazizeit<br />
Die fast 90-jährige Schauspielerin<br />
Renate Delfs ist bis heute damit beschäftigt,<br />
den Nationalsozialismus zu<br />
verarbeiten. Das tut sie nicht allein,<br />
sondern gemeinsam mit ihrer mehr als<br />
50 Jahre jüngeren Kollegin und Freundin<br />
Rike Schmid. Jahrelang haben die<br />
beiden einen Briefwechsel zu dem Thema<br />
geführt. Wie sah dein Alltag aus?<br />
Wann hast du begonnen, genauer hinzusehen?<br />
Auf diese Fragen hat Renate<br />
Delfs mit großer Offenheit geantwortet.<br />
Teile der Korrespondenz haben die<br />
Freundinnen unter dem Titel „Nimm<br />
mich mit nach Gestern“ veröffentlicht.<br />
Die bewegendsten Passagen tragen die<br />
beiden auf einer Lesung vor. •<br />
Ernst Deutsch Theater, Friedrich-Schütter-<br />
Platz 1, So, 24.1., 11 Uhr, 15/7,50 Euro<br />
BÜHNE<br />
Jenseits von Eden: Familiendrama<br />
im neuen Gewand<br />
Adam und Charles wachsen mit ihrem<br />
alleinerziehenden Vater auf. An der<br />
Bevorzugung von Adam zerbricht die<br />
Familie. In der nächsten Generation<br />
wiederholt sich der Konflikt: Aron und<br />
Caleb wachsen ebenfalls mutterlos auf,<br />
und Caleb kämpft um die Liebe und<br />
den Respekt seines Vaters. John Steinbecks<br />
Familiendrama „Jenseits von<br />
Eden“ wurde durch die Verfilmung<br />
Elia Kazans mit James Dean weltberühmt.<br />
Harald Weiler inszeniert die<br />
dramatische und zeitlose Geschichte<br />
jetzt neu. Der Hamburger Regisseur<br />
wurde für seine Arbeit bereits mit dem<br />
Rolf-Mares-Preis ausgezeichnet. •<br />
Altonaer Theater, Museumstraße 17,<br />
Premiere, So, 17.1., 19 Uhr, 33/17 Euro,<br />
weitere Termine bis 20.2.<br />
55
SABRINA MEYER<br />
Das Rezept hat sie von ihrer Oma aus<br />
Bayern. Von der stammt auch die Idee<br />
mit dem Eierstich. „Der gibt dem Eintopf<br />
noch mehr Geschmack“, findet Sabrina.<br />
Die Mengen der Zutaten bestimmt sie<br />
meistens nach Gefühl. Hauptsache, der<br />
Eintopf wird nicht zu dünn. Oma hat<br />
schließlich auch immer dafür gesorgt,<br />
dass sie etwas Zünftiges in den Magen<br />
bekommt. Bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> wird übrigens<br />
regelmäßig gekocht, jeden Monat, wenn<br />
das neue Heft erscheint, und immer von<br />
anderen Hinz&Künztlern.<br />
Deftig. Kräftig. Gut.<br />
Würziger Speck, herzhafte Mettenden, zartes Hühnchen:<br />
Sabrinas Lieblings eintopf hat es in sich. Er macht<br />
satt und lässt sich perfekt vorbereiten, um nach einem<br />
langen Winterspaziergang wieder Energie zu tanken.<br />
Fleischliebe-Eintopf<br />
mit Schneeflocken<br />
3 Liter Hühnerbrühe<br />
(Instant)<br />
1 EL Sonnenblumenöl<br />
1 Suppenhuhn, frisch<br />
4 Zehen Knoblauch<br />
4 Eier<br />
800 g Kartoffeln<br />
500 g Rosenkohl<br />
300 g Möhren<br />
4 Mettenden<br />
250 g Speckwürfel<br />
Salz, Pfeffer<br />
1 Bund Petersilie<br />
TEXT: ANNABEL TRAUTWEIN; FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
SO WIRD ER GEKOCHT:<br />
1. Die Knoblauchzehen schälen, nicht schneiden. Mit der kalten Brühe und<br />
1 El Sonnenblumenöl in einen großen Topf geben. Suppenhuhn waschen, hineinlegen.<br />
Aufkochen und etwa 45 bis 60 Minuten kochen lassen, bis das Huhn gar ist.<br />
2. Währenddessen die Kartoffeln schälen und in 1x1–cm–kleine Würfel schneiden.<br />
Den Rosenkohl vorbereiten, den Strunk kreuzweise einritzen. Dann gart er so schnell<br />
wie die Blätter. Auch die Möhren vorbereiten: Sie werden geschält, längs halbiert und in<br />
Scheiben geschnitten.<br />
3. Das Huhn aus dem Topf nehmen und etwas abkühlen lassen. Die Brühe derweil stehen<br />
lassen. Die Knoblauchzehen herausnehmen. Das Fleisch auslösen (Knochen und Haut<br />
brauchen wir nicht mehr), in mundgerechte Stücke zupfen und beiseitestellen.<br />
4. Die Eier trennen. Das Eigelb für ein anderes Rezept verwenden. Die Brühe aufkochen.<br />
Die Eiweiße in die kochende Brühe schütten und sofort wild mit einem Schneebesen<br />
herumrühren. Das Eiweiß flockt sehr schnell, es dauert nur ein paar Sekunden.<br />
„Wie kleine Schneeflocken sieht das aus“, sagt Sabrina.<br />
5. Die Kartoffelwürfel in den Topf geben und fünf Minuten kochen lassen.<br />
6. Den Rosenkohl, die Möhren, Speckwürfel, Mettenden und das Hühnerfleisch dazugeben.<br />
7. Den Eintopf noch einmal etwa zehn Minuten köcheln lassen.<br />
8. Mit Salz und Pfeffer abschmecken. Den Eintopf heiß mit frisch gehackter Petersilie<br />
servieren.<br />
Getestet von MAMPF: www.mampf-hh.de<br />
56
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Rätsel<br />
ILLUSTRATION (BLEISTIFT): BERND MÖLCK-TASSEL<br />
Pilger<br />
heftig<br />
verlaufend<br />
(Krankh.)<br />
französisch:<br />
Straße<br />
Spielkartenfarbe<br />
griechischer<br />
Meergott<br />
deutscher<br />
Schriftsteller<br />
†<br />
(Erich)<br />
viel<br />
Lärm um<br />
nichts<br />
Angst vor<br />
Nebenbuhlern<br />
Ablauf,<br />
Geschehnisfolge<br />
Längenmaß<br />
1<br />
8<br />
6<br />
1<br />
Luft der<br />
Lunge<br />
4<br />
8<br />
3<br />
2<br />
9<br />
1<br />
3<br />
Aufschneider<br />
Pökelbrühe<br />
3<br />
2<br />
7<br />
1<br />
1<br />
Indogermane<br />
Flüssigkeit<br />
in<br />
Pflanzen<br />
5<br />
4<br />
7<br />
2<br />
4<br />
8<br />
indischer<br />
Dichter<br />
† 1941<br />
pusten,<br />
hauchen<br />
englisch:<br />
Flasche<br />
Vorspeise<br />
(frz.)<br />
3<br />
7<br />
1<br />
5<br />
5<br />
schmaler<br />
Gebirgsrücken<br />
vulkanisches<br />
Tuffgestein<br />
Nomadenvolk<br />
der<br />
Sahara<br />
6<br />
2<br />
7<br />
Teil der<br />
Westkarpaten<br />
verächtlich:<br />
Hund<br />
Richter<br />
in islamischen<br />
Dummkopf<br />
Ländern<br />
7<br />
5<br />
6<br />
Lotterieanteilschein<br />
Drang zur<br />
Schnelligkeit,<br />
Hast<br />
Füllen Sie das Gitter so<br />
aus, dass die Zahlen von<br />
1 bis 9 nur je einmal in jeder<br />
Reihe, in jeder Spalte und<br />
in jedem Neun-Kästchen-Block<br />
vorkommen.<br />
Als Lösung schicken Sie<br />
uns bitte die unterste, farbig<br />
gerahmte Zahlenreihe.<br />
Lösungen an: Hinz&<strong>Kunzt</strong>, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />
per Fax an 040 30 39 96 38 oder per E-Mail an info@hinzundkunzt.de.<br />
Einsendeschluss: 29. <strong>Januar</strong> <strong>2016</strong>. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.<br />
Wer die korrekte Lösung für eines der beiden Rätsel einsendet, kann<br />
zwei Karten für die Hamburger Kunsthalle oder eines von drei Büchern<br />
„Kulturführer Hamburg <strong>2016</strong>“ (Junius Verlag) gewinnen. Das Lösungswort<br />
beim Kreuzworträtsel war: Zentimeter. Die Sudoku-Zahlenreihe war:<br />
425 391 876<br />
6<br />
2<br />
5<br />
8<br />
2<br />
7<br />
Muse der<br />
Liebesdichtung<br />
Sinnesorgan<br />
8<br />
4<br />
Säulenhalle<br />
im<br />
alten<br />
Athen<br />
dt. Hochgeschwindigkeitszug<br />
(Abk.)<br />
9<br />
7<br />
3<br />
französischer<br />
Mehrzahlartikel<br />
Ziererei,<br />
Zimperlichkeit<br />
Küstenfluss<br />
in<br />
Mecklenb.-<br />
Vorpomm.<br />
süddeutsch:<br />
Busenfreund<br />
Bergstock<br />
bei<br />
Sankt<br />
Moritz<br />
irischschottischer<br />
Tanz<br />
6<br />
zweitgrößte<br />
indische<br />
Stadt<br />
10<br />
den<br />
Boden befeuchten<br />
Naturgeist,<br />
Blumenfee<br />
Gewinnerin<br />
eines<br />
Wettkampfes<br />
9<br />
italienischer<br />
Heiliger<br />
† 1595<br />
10<br />
deutscher<br />
Kirchenkomponist<br />
†<br />
AR1115-0215_6<br />
57<br />
Impressum<br />
Redaktion und Verlag<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH<br />
Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg<br />
Tel. 040 32 10 83 11, Fax 040 30 39 96 38<br />
Anzeigenleitung Tel. 040 32 10 84 01<br />
E-Mail info@hinzundkunzt.de<br />
www.hinzundkunzt.de<br />
Herausgeber<br />
Landespastor Dirk Ahrens,<br />
Diakonisches Werk Hamburg<br />
Externer Beirat<br />
Prof. Dr. Harald Ansen (Armutsexperte HAW-Hamburg),<br />
Mathias Bach (Kaufmann), Rüdiger Knott (ehem. NDR 90,3-Programmchef),<br />
Olaf Köhnke (Ringdrei Media Network),<br />
Thomas Magold (BMW-Niederlassungsleiter i.R.),<br />
Beate Behn (Lawaetz-Service GmbH), Karin Schmalriede (Lawaetz-Stiftung),<br />
Dr. Bernd-Georg Spies (Russell Reynolds),<br />
Alexander Unverzagt (Medienanwalt), Oliver Wurm (Medienberater)<br />
Geschäftsführung Dr. Jens Ade<br />
Redaktion Birgit Müller (v.i.S.d.P.),<br />
Frank Keil (CvD, Stellv.), Annette Woywode,<br />
Mitarbeit Sybille Arendt, Simone Deckner, Jonas Füllner,<br />
Ulrich Jonas, Misha Leuschen, Uta Sternsdorff,<br />
Annabel Trautwein, Kerstin Weber und Kim Bösch (Grafik)<br />
Redaktionsassistenz Sonja Conrad,<br />
Dina Fedossova<br />
Online-Redaktion Simone Deckner, Jonas Füllner,<br />
Benjamin Laufer<br />
Artdirektion grafikdeerns.de<br />
Öffentlichkeitsarbeit Isabel Schwartau, Friederike Steiffert<br />
Anzeigenleitung Isabel Schwartau<br />
Anzeigenvertretung Christoph Wahring,<br />
Wahring & Company, Tel. 040 284 09 40, info@wahring.de<br />
Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 20 vom 1. <strong>Januar</strong> 2015<br />
Vertrieb Marcus Chomse, Jonas Göbel, Christian Hagen (Leitung),<br />
Sigi Pachan, Jürgen Jobsen, Meike Lehmann, Sergej Machov, Frank Nawatzki,<br />
Sven Schadofske, Cristina Stanculescu, Marcel Stein,<br />
Cornelia Tanase, Silvia Zahn<br />
Rechnungswesen/Systemadministration Frank Belchhaus<br />
Spendenmarketing Gabriele Koch<br />
Spendenverwaltung Susanne Wehde<br />
Sozialarbeit Ana-Maria Ilisiu, Stephan Karrenbauer, Isabel Kohler<br />
Litho PX2@ Medien GmbH & Co. KG<br />
Produktion Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />
Druck A. Beig Druckerei und Verlag,<br />
Damm 9–15, 25421 Pinneberg<br />
Verarbeitung Delle und Söhne, Buchbinderei<br />
und Papierverarbeitungsgesellschaft mbH<br />
Spendenkonto Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
IBAN: DE56 200505501280167873<br />
BIC: HASPDEHHXXX<br />
Die Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH mit Sitz in Hamburg ist durch den aktuellen<br />
Freistellungsbescheid des Finanzamts Hamburg-Nord, Steuernummer<br />
17/414/00797, vom 15.11.2013 nach §5 Abs.1 Nr. 9<br />
des Körperschaftssteuergesetzes von der Körperschaftssteuer und nach<br />
§3 Nr. 6 des Gewerbesteuergesetzes von der Gewerbesteuer befreit.<br />
Geldspenden sind steuerlich nach §10 EStG abzugsfähig. Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist als<br />
gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH im Handelsregister<br />
beim Amtsgericht Hamburg HRB 59669 eingetragen. Wir bestätigen,<br />
dass wir Spenden nur für die Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong> einsetzen.<br />
Adressen werden nur intern verwendet und nicht an Dritte weitergegeben.<br />
Beachten Sie unsere Datenschutzerklärung, abrufbar auf www.hinzundkunzt.de.<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist ein unabhängiges soziales Projekt, das obdachlosen und<br />
ehemals obdachlosen Menschen Hilfe zur Selbsthilfe bietet.<br />
Das Magazin wird von Journalisten geschrieben, Wohnungslose und<br />
ehemals Wohnungslose verkaufen es auf der Straße. Sozialarbeiter<br />
unterstützen die Verkäufer.<br />
Das Projekt versteht sich als Lobby für Arme.<br />
Gesellschafter<br />
Durchschnittliche monatliche<br />
Druckauflage 3. Quartal 2015:<br />
73.333 Exemplare
Momentaufnahme<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>275</strong>/ JANUAR <strong>2016</strong><br />
Schlachter, Fallschirmspringer,<br />
Hafenarbeiter: Reinhard hat<br />
viel malocht in seinem Leben.<br />
Jetzt HILFT er anderen.<br />
„Man muss aus dem<br />
Leben das Beste machen“<br />
Der ehemalige Hinz&Künztler Reinhard (64) hat sich sein Leben<br />
immer wieder neu erkämpft. Er ist einfach nicht der Typ, der aufgibt.<br />
Helfen und sich helfen lassen – das ist sein Motto.<br />
TEXT: ANNABEL TRAUTWEIN<br />
FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Es läuft mal wieder rund für Reinhard:<br />
Der neue Job im Sozialkaufhaus Eleos<br />
ist genau das Richtige für ihn. Seit Oktober<br />
gehört der 64-Jährige zum Team,<br />
er hält Ordnung zwischen Pelzmänteln,<br />
Lichterketten und Fondue-Sets, verbreitet<br />
gute Laune. Wenn die Chefs verreist<br />
sind, schmeißt er den Laden in Lohbrügge<br />
fast alleine. Das Ehrenamt fühlt<br />
sich gut an – denn mit dem Geld, das<br />
durch seine Kasse fließt, hilft der Verein<br />
Eleos Waisenkindern in Griechenland<br />
und in der Ukraine. „Ich hab viel Hilfe<br />
bekommen“, sagt Reinhard. „Da kann<br />
ich auch was von mir geben.“<br />
Der Timmendorfer Jung stand früh<br />
auf eigenen Füßen. Er schaffte seine<br />
Gesellenprüfung als Schlachter, fand<br />
seinen Traumjob als Fallschirmspringer<br />
bei der Bundeswehr. Das Glück zwischen<br />
den Wolken war kaum zu toppen<br />
– bis er seine Traumfrau traf. Für sie<br />
gab er sogar die Bundeswehr auf, wurde<br />
wieder Schlachter. Sie heirateten<br />
und zogen nach Italien. Als ihn das<br />
Heimweh packte, kehrte sie mit ihm<br />
zurück.<br />
Dann aber brachen harte Zeiten<br />
an. Reinhards Körper machte den<br />
Knochenjob in der Schlachterei nicht<br />
mehr mit. Er sattelte 1989 um und wurde<br />
Hafenarbeiter in Hamburg, erst Tagelöhner,<br />
dann Staplerfahrer. Reinhard<br />
trank zu viel, und immer wieder gab es<br />
Zoff mit seiner Frau. Schluck für<br />
Schluck, Streit für Streit schlitterte er<br />
näher an den Abgrund.<br />
Und dann ging’s über die Kante.<br />
Betrunken fuhr er den Gabelstapler ins<br />
eisige Hafenbecken. „Ein Kumpel hat<br />
mich rausgezogen, in den Heizungskeller<br />
geschmissen und die Verantwortung<br />
auf sich genommen“, erzählt er. Die<br />
Kumpel im Hafen hielten zusammen.<br />
Für seine Ehe aber war jede Rettung zu<br />
spät. Nach einem Streit ließ seine Frau<br />
ihn nicht mehr in die Wohnung. Reinhard<br />
landete auf der Straße. 1995 war<br />
das.<br />
Drei Tage machte er Platte, dann<br />
fand er ein billiges Hotel und guten<br />
Rat: „Komm doch mit zu Hinz&<strong>Kunzt</strong>,<br />
da kannst du Zeitungen verkaufen“, riet<br />
ein Freund. Reinhard nahm die Hilfe<br />
an. Das Geld aus dem Verkauf sparte er<br />
für den Umzug in eine eigene Wohnung.<br />
Und er begann einen Entzug.<br />
Darauf ist er noch heute stolz: dass er<br />
es schaffte, das Geld nicht zu versaufen.<br />
In der Suchtberatungsstelle Park In<br />
half er schließlich selbst ehrenamtlich<br />
mit. Dort lernte er den Streetworker Peter<br />
kennen. „Der Einzige, der an mich<br />
geglaubt hat“, wie er sagt. Das nächste<br />
Tief nahm er mit Peters Hilfe: 1999 kamen<br />
fünf seiner Geschwister ums Leben,<br />
dann wurde er selbst schwer krank.<br />
„Wenn ich Peter nicht gehabt hätte in<br />
dieser schlimmen Zeit – ich weiß nicht,<br />
ob ich nicht wieder angefangen hätte zu<br />
trinken“, sagt Reinhard.<br />
Heute passt er gut auf sich auf. Bei<br />
Eleos trägt er ja Verantwortung. Und er<br />
hat ein neues Hobby: Er moderiert<br />
beim Internetradio „Knuddel“. Er<br />
kommt klar, sagt er, auch wenn er nur<br />
seine Grundsicherung hat und obwohl<br />
er gerade mit einer schlimmen Diagnose<br />
leben muss. „Man muss aus dem Leben<br />
das Beste machen, was man kann“,<br />
sagt Reinhard. „Soll ich mich etwa hinsetzen<br />
und warten, bis der mit der<br />
Schaufel kommt? Nee, das ist nicht<br />
mein Ding.“ •<br />
58
KUNZT-<br />
KOLLEKTION<br />
BESTELLEN SIE DIESE UND WEITERE PRODUKTE BEI: Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH,<br />
www.hinzundkunzt.de/shop, shop@hinzundkunzt.de, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />
Tel. 32 10 83 11. Preise zzgl. Versandkostenpauschale von 2,50 Euro bis 4 Euro,<br />
Ausland auf Anfrage. Versand ab 100 Euro Warenwert kostenlos.<br />
4.<br />
1.<br />
1. Bio-Schwarztee-Mischung<br />
Aromatisiert mit Kakao und Vanillegeschmack.<br />
Zutaten: Schwarzer Tee*, Kakaoschalen*, Zimt*,<br />
Orangenschalen*, *aus kontrolliert biologischem<br />
Anbau (k. b. A.). 100 g, Nachfülldose,<br />
Preis: 7,50 Euro<br />
Bio-Rotbuschtee<br />
Mit Kakao-Orange aromatisiert. Zutaten:<br />
Rotbuschtee*, Kakaoschalen*, Zimt*,<br />
Orangenschalen*, *k. b. A., 75 g,<br />
Nachfülldose, Preis: 7,50 Euro<br />
1.<br />
2.<br />
5.<br />
3.<br />
Beide Sorten: In Kooperation mit dem<br />
Chocoladenmuseum Chocoversum.<br />
Hersteller: Dethlefsen&Balk<br />
2.<br />
2. „Macht auch wach!“<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Bio-Kaffeemischung,<br />
100% Arabica gemahlen, 250-g-Beutel, 5,95 Euro<br />
oder Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Bio-Espresso, italienische<br />
Mischung, kräftiger Geschmack, ungemahlen,<br />
250-g-Beutel, 5,95 Euro,<br />
exklusiv von der Kaffeerösterei Burg aus Hamburg.<br />
3. „Gegens Abstempeln“<br />
10 selbstklebende 62-Cent-Briefmarken<br />
mit Porträts von Hinz&Künztlern im A5-Heftchen.<br />
Konzeption: Agentur Lukas Lindemann Rosinski,<br />
Preis: 11 Euro<br />
4.<br />
5.<br />
6.<br />
4. „Hamburg Hommage“ – Klappkarten<br />
5 verschiedene Motive mit Umschlag,<br />
DIN A6, Fotograf Mauricio Bustamante<br />
Preis: 8 Euro<br />
3.<br />
5. „Hamburg Hommage“ – Print<br />
Format 40 x 40 x 2,5 cm, fotokaschiert auf<br />
MDF-Platte, mit Bienenwachs versiegelt, einzeln<br />
angefertigter Rahmen aus Palettenholz<br />
5 verschiedene Motive:<br />
1. #118 / 2. #058 / 3. #153 / 4. #095 / 5. #117<br />
Preis: 99 Euro<br />
6. „Hamburg zeigt Herz“-Becher<br />
Porzellanbecher mit Silikondeckel, in<br />
Deutschland gefertigt. Idee und Design von einer<br />
Auszubildendengruppe der Firma OTTO.<br />
Preis: 8,50 Euro<br />
7.<br />
7. „Ein mittelschönes Leben“<br />
Eine Geschichte für Kinder über Obdachlosigkeit<br />
von Kirsten Boie, illustriert von Jutta Bauer.<br />
Preis: 4,80 Euro
<strong>Januar</strong> <strong>2016</strong><br />
Kampfeinsatz<br />
und Reflexe<br />
und andere Themen, die Hamburger bewegen<br />
Do 14.01. | 19.00 Uhr | Buchpräsentation<br />
Der Russland-Reflex Die Zeiten des Kalten Krieges schienen überwunden. Doch nun verfallen Deutsche<br />
wie Russen wieder in stereotype Urteile übereinander. Die Bürgerrechtlerin Irina Scherbakowa<br />
und der Osteuropa-Historiker Karl Schlögel untersuchen in »Der Russland-Reflex« die Gründe dafür,<br />
nicht nur bei Putin und im Ukraine-Konflikt, sondern auch in ihren persönlichen Geschichten.<br />
Fr 15.01. | 19.00 Uhr | Werkstatt<br />
Öffentlicher Meisterkurs Einen seltenen Blick hinter die Kulissen ermöglicht der Meisterkurs<br />
mit den Sängern des Internationalen Opernstudios der Staatsoper Hamburg. Unter Anleitung der<br />
Kammersängerin Renate Behle lassen die jungen Sänger das Publikum an der Arbeit mit ihrem<br />
einzigartigen Instrument teilhaben – der Stimme. Musikalische Begleitung: Georgiy Dubko.<br />
Do 21.01. | 19.30 Uhr | Filmabend<br />
Nahid: Ein Frauenleben in Iran Das Spielfilmdebüt von Ida Panahandeh erzählt die verfahrene<br />
Situation von Nahid, die sich nach ihrer Scheidung neu verliebt und mit der restriktiven Ordnung<br />
der iranischen Gesellschaft in Konflikt gerät. Der Film beleuchtet das Innenleben seiner Protagonisten<br />
und das ihres Heimatlandes. Kooperation mit dem Filmfest Hamburg.<br />
Do 28.01. | 19.00 Uhr | Theater im Haus im Park<br />
Stell dir vor, es ist Krieg und du gehst hin Das Theaterstück »Kampfeinsatz« untersucht die Folgen<br />
von Auslandseinsätzen für deutsche Soldaten. Wie gehen sie mit den Erfahrungen um? Wie reagiert<br />
die Gesellschaft? Und was bewegt junge Deutsche, als Freiwillige in den Kampf zu ziehen? Ein<br />
hochaktuelles Theaterstück zu Krieg, Terror und zur Verantwortung demokratischer Gesellschaften.<br />
Stand: Dezember 2015, Änderungen vorbehalten. groothuis.de Fotos: David Ausserhofer, Hamburgische Staatsoper, Noori Pictures, Oliver Fantitsch<br />
Eintritt frei, Anmeldung erforderlich: www.koerberforum.de<br />
KörberForum – Kehrwieder 12 | 20457 Hamburg | U Baumwall<br />
Telefon 040 · 80 81 92 - 0 | E-Mail info@koerberforum.de<br />
Veranstalter ist die gemeinnützige Körber-Stiftung.<br />
KörberForum<br />
Kehrwieder 12<br />
Für Menschen, die nicht alles so lassen wollen, wie es ist.