(Typha minima Hoppe ) im Tiroler Lechtal - Naturpark Tiroler Lech
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Artenhilfsmassnahme für den Zwergrohrkolben<br />
(<strong>Typha</strong> <strong>min<strong>im</strong>a</strong> <strong>Hoppe</strong>) <strong>im</strong> <strong>Tiroler</strong> <strong><strong>Lech</strong>tal</strong><br />
Foto: Zwergrohrkolben fruchtend<br />
Wissenschaftliche Vorbereitung und Begleitung:<br />
Prof. Dr. Norbert Müller, D - Fachhochschule Erfurt, n.mueller@fh-erfurt.de<br />
Stand Juli 2005<br />
© Norbert Müller 2005 1
1 Vergesellschaftung, Verbreitung und Gefährdung des<br />
Zwergrohrkolbens<br />
Der Zwergrohrkolben (Thypha <strong>min<strong>im</strong>a</strong> <strong>Hoppe</strong>) ist eine typische Pionierart großer alpiner<br />
Flussauen und kommt nur hier vor. Er besiedelt vorzugsweise frisch angelegte Altwasser<br />
mit sandig-schluffigen Ablagerungen, die <strong>im</strong>mer etwas abseits vom Hauptgerinne zu finden<br />
sind und bildet hier Dominanzbestände die so genannte Zwergrohrkolben-Gesellschaft<br />
(Equisto-Typhetum <strong>min<strong>im</strong>a</strong>e Br. Bl. in Volk 1939). Die Samen werden über Wind und Wasser<br />
verbreitet und ke<strong>im</strong>en auf feuchtem Substrat innerhalb weniger Tage. Als<br />
Rhizomhemikryptophyt breitet sich die Art rasch vegetativ auf neu eroberten Standorten aus.<br />
Als konkurrenzschwache Pionierart wird sie allerdings <strong>im</strong> Zuge der Auensukzession ebenso<br />
rasch wieder von höher wüchsigen Arten wie Großseggen und Schilfröhricht abgelöst. Das<br />
bedeutet das die Art ebenso wie andere Leitarten alpiner Flussauen (z. B. Deutsche<br />
Tamariske) nur überleben kann, solange die natürliche Auendynamik nicht gestört ist und<br />
darum <strong>im</strong>mer wieder aufs Neue geeignete Pionierstandorte vom Fluss geschaffen werden.<br />
Schnitt durch eine alpine Flussaue vor (oben) dem Flussausbau mit Lebensraum des<br />
Zwergrohrkolbens (roter Pfeil) und nach (unten) dem Flussausbau (aus MÜLLER 1995). Mit<br />
dem Verlust der durch Überschüttung und Abtrag gekennzeichneten rezenten Aue sind auch<br />
die Lebensräume des Zwergrohrkolbens verschwunden.<br />
© Norbert Müller 2005 2
Der Zwergrohrkolben hat weltweit zwei disjunkte Areale:<br />
a) in den Gebirgen Zentral- und Mittelasiens und<br />
b) in den europäischen Alpen mit Alpenvorland.<br />
Innerhalb seines europäischen Areals war die Art vor dem konsequenten wasserbaulichen<br />
Ausbau an vielen großen alpinen Flüssen eine typische Art neu entstandener Altwasser. Im<br />
nördlichen Alpenraum waren ehemals die größten Vorkommen an Rhein, <strong>Lech</strong> und Inn. Dabei<br />
reichten die Vorkommen weit ins Alpenvorland so z. B. an der Donau bis Wien. Auch in den<br />
Zentral- und Südalpen war die Art verbreitet (näheres zur Vergesellschaftung und Verbreitung<br />
vgl. MÜLLER 1991).<br />
.<br />
Als Leitart intakter alpiner Umlagerungsstrecken verzeichnet die Art infolge der<br />
Flussbaumaßnahmen in den letzten 100 Jahren einen dramatischen Rückgang und muss<br />
heute innerhalb Europa als akut vom Aussterben bedroht eingestuft werden. Darum ist die<br />
Zwergrohrkolbengesellschaft in der FFH Richtlinie Anhang I als prioritärer Lebensraum<br />
(7240 Alpine Pionierformationen mit Caricion bicoloris-atrofuscae Vegetation) eingestuft<br />
worden, für den besondere Maßnahmen zur Erhaltung und Entwicklung <strong>im</strong> Rahmen des<br />
Europäischen Schutzgebietssystems NATURA 2000 getroffen werden sollen.<br />
Innerhalb des europäischen Areals gibt es heute nur noch wenige kleine isolierte Populationen<br />
so <strong>im</strong> Durancetal und in Hochsavoyen (Frankreich) sowie in Graubünden (Schweiz). Letztere<br />
werden bereits seit 1966 durch Wiederansiedlung laufend gestärkt. Ferner gibt es <strong>im</strong> Wallis<br />
mehrere in den letzten Jahren künstlich angesiedelte Populationen (CAMENISCH 1998 in<br />
KÄSERMANN 1999). Die ehemals großen Populationen in Deutschland sind heute alle<br />
erloschen. In Österreich ist die Art ebenfalls stark zurückgegangen. Reste der ehemals großen<br />
Vorkommen gibt es noch in Vorarlberg (Alpenrhein - Rheinmündung und Dornbirner Ach) und<br />
in Tirol (<strong>Lech</strong> bei Pinswang)(vgl. Abb.). Diese sind heute alpenweit die größten<br />
Populationen.<br />
Abb.<br />
Frühere & heutige Nachweise von<br />
<strong>Typha</strong> <strong>min<strong>im</strong>a</strong> in Tirol und Bayern. Die<br />
ehemals sicher reichen Vorkommen am<br />
Unterlauf der Flüsse sowie der Donau<br />
wurden bereits vor einer systematischen<br />
floristischen Erfassung durch den<br />
Flussausbau <strong>im</strong> 19. Jahrhundert zerstört<br />
(aus Müller 1995)<br />
Alpenweit und somit <strong>im</strong> europäischen Areal hat damit Österreich für die Erhaltung der<br />
Sippe die Hauptverantwortung. (Anm.: Es ist zu vermuten, dass sich die Art in ihren beiden<br />
© Norbert Müller 2005 3
disjunkten Arealen weiterentwickelt hat und es wäre darum zu prüfen ob sich nicht inzwischen<br />
eigene Unterarten entwickelt haben).<br />
2 Anlass und Zielsetzung des Projekts<br />
Nachdem seit 2001 am <strong>Tiroler</strong> <strong>Lech</strong> <strong>im</strong> Rahmen eines LIFE Projekts Flussrenaturierungen<br />
durchgeführt werden, bestehen hier günstige Bedingungen durch begleitende<br />
Artenhilfsmaßnahmen die Population des Zwergrohrkolbens am <strong>Lech</strong> bei Pinswang wieder zu<br />
stärken.<br />
Darum wurde 2003 von der Umweltabteilung der <strong>Tiroler</strong> Landesregierung ein Projekt<br />
initiiert (Laufzeit 3 Jahre) mit folgenden Zielsetzungen:<br />
1. Aktuelle Überprüfung der Bestandssituation und Gefährdungsanalyse des<br />
Zwergrohrkolbens in Nordtirol.<br />
2. Stärkung der Teilpopulation auf den Ersatzstandorten <strong>im</strong> Kiesschotterwerk Pinswang<br />
innerhalb des Natura 2000 Gebietes durch geeignete Biotopentwicklungsmaßnahmen und<br />
Etablierung eines Populationspools, von dem aus in Zukunft indigenes Pflanzenmaterial<br />
(Achänen, Jungpflanzen) am <strong>Lech</strong> und weiteren <strong>Tiroler</strong> Flüssen begleitend zu<br />
Renaturierungsmaßnahmen ausgebracht werden können.<br />
3. Biotoppflege und –entwicklung der rezenten Teilpopulation in den <strong>Lech</strong>auen bei Unter-<br />
Pinswang<br />
4. Anlage einer Erhaltungskultur in einem Botanischen Garten zur Sicherung des Gen-<br />
Materials und zur Wiederansiedlung<br />
5. Wiederausbringung von Jungpflanzen und frisch geernteten Achänen begleitend zu<br />
laufenden Renaturierungsmaßnahmen innerhalb des <strong>Naturpark</strong>s <strong><strong>Lech</strong>tal</strong><br />
6. Effizienzkontrolle der Wiederansiedlungsversuche<br />
7. Entwicklung von Zielvorstellungen zur langfristigen Sicherung der Art und ihres<br />
Lebensraums in Tirol<br />
Die wissenschaftliche Vorbereitung und fachliche Begleitung des Projekts wurde<br />
Prof. Dr. Norbert Müller von der Fachhochschule Erfurt, Fachgebiet<br />
Landschaftspflege und Biotopentwicklung übertragen.<br />
© Norbert Müller 2005 4
3 Bislang durchgeführte Maßnahmen (Stand Jan. 2005)<br />
3.1 Überprüfung der Bestandssituation und Gefährdungsanalyse des<br />
Zwergrohrkolbens in Tirol<br />
Im Jahr 2003 wurden die beiden rezenten Teil-Populationen überprüft und die Individuenzahl<br />
mit der von 1988 überprüft. Dabei zeigte sich, dass insgesamt eine starke Schrumpfung der<br />
Population in den letzten Jahren erfolgte (von ca. 6100 auf 1210 Individuen)<br />
Gründe sind die zunehmende Sukzession auf dem Ersatzstandort <strong>im</strong> Kieswerk. Die<br />
Teilpopulation in Unter-Pinswanger Auen konnte sich zwar - bedingt durch das 100-jährige<br />
Hochwasser <strong>im</strong> Jahr 1999 - etwas erholen. Insgesamt ist dieser Bestand aber nicht ohne<br />
menschliche Hilfe derzeit überlebensfähig, da in diesem Flussabschnitt die Auendynamik<br />
durch eine Wasserausleitung und Geschiebedefizit stark reduziert ist.<br />
a) Starker Rückgang der Teilpopulation auf den Ersatzstandorten <strong>im</strong><br />
Kieswerk Beirer<br />
1988 ca. 6000 Ind. 2003 ca. 360 Ind.<br />
b) Kurzfristige Zunahme der Teilpopulation in Unter - Pinswang durch das Jahrhundert<br />
Hochwasser 1999<br />
1988 ca. 100 Ind. 2003 ca. 850 Ind.<br />
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3.2 Stärkung der Teilpopulation auf den Ersatzstandorten <strong>im</strong><br />
Kiesschotterwerk Pinswang und Aufbau eines Populationspools<br />
Im Kieswerk wurden <strong>im</strong> Juni 2004 auf zwei Flächen Rohbodenstandorte hergestellt.<br />
Auf einer Fläche (vgl. Abb.) wurden über 100 Jungpflanzen aus der Erhaltungskultur sowie<br />
frisch gesammelte Samenkapseln ausgebracht.<br />
Ziel ist es hier unter kontrollierten Freilandbedingungen einen Populationspool aufzubauen. Von<br />
diesem aus sollen dann Pflanzen für weitere Wiederansiedlungsprojekte <strong>im</strong> <strong><strong>Lech</strong>tal</strong> und Tirol<br />
zur Verfügung gestellt werden.<br />
3. 3 Biotoppflege und –entwicklung der Teilpopulation in den <strong>Lech</strong>auen bei<br />
Unter-Pinswang<br />
Im Mai wurde durch eine Schulklasse aus Vils die Teilpopulation in den Unter-Pinswanger Auen<br />
durch Rodung der Weidensukzession wieder freigestellt (vgl. Abb.).<br />
Abb. Schulklasse Vils und freigestellter Bestand (rechts)<br />
© Norbert Müller 2005 6
3. 4 Vermehrung des Zwergrohrkolbens in situ und Wiederansiedlung<br />
Seit 2003 werden aus frisch geernteten Samen Jungpflanzen herangezogen und diese <strong>im</strong><br />
<strong><strong>Lech</strong>tal</strong> kontrolliert ausgebracht.<br />
Versuchsweise werden auch frisch gesammelte Samen wieder ausgebracht.<br />
4. Schlussbemerkung<br />
Die vorgestellten Maßnahmen werden fortlaufend dokumentiert, um Erfahrungen zur<br />
Wiederansiedlung der Art zu sammeln und als Nachweis für die<br />
Wiederansiedlungsmaßnahmen.<br />
5 Literatur<br />
EUR 25 (2003): Interpretation Manual of European Union Habitats. - European Commission<br />
Dg Environment<br />
KÄSERMANN, Ch. 1999: <strong>Typha</strong> <strong>min<strong>im</strong>a</strong> .- in Merkblätter Artenschutz ©BUWAL/SKEW/ZDSF/<br />
PRONATURA: 284 -285<br />
MÜLLER, N. 1991: Verbreitung, Vergesellschaftung und Rückgang des Zwergrohrkolbens<br />
(<strong>Typha</strong> <strong>min<strong>im</strong>a</strong> <strong>Hoppe</strong>). HOPPEA 50: 685-700<br />
MÜLLER, N. 1995: Wandel von Flora und Vegetation nordalpiner Wildflußlandschaften unter<br />
dem Einfluß des Menschen. - Ber. ANL 19: 125-187<br />
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