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Wie Industrie 4.0 die Führungskultur prägen wird

Die Idee der intelligenten Produktion fordert nicht nur deutsche Unternehmen heraus. Sie stellt nicht nur neue fachliche Anforderungen an Ingenieure und Techniker, sondern auch an Führungskräfte: Tradierte Managementmodelle stehen auf dem Prüfstand. Der Maschinenbauunternehmer Manfred Wittenstein erläutert, wie Industrie 4.0 die Führungskultur prägen wird, wie er sein Unternehmen und Führungskräfte weiterentwickelt und welche Rolle die St.Galler Business School hier spielt.

Die Idee der intelligenten Produktion fordert nicht nur deutsche Unternehmen heraus. Sie stellt nicht nur neue fachliche Anforderungen an Ingenieure und Techniker, sondern auch an Führungskräfte: Tradierte Managementmodelle stehen auf dem Prüfstand. Der Maschinenbauunternehmer Manfred Wittenstein erläutert, wie Industrie 4.0 die Führungskultur prägen wird, wie er sein Unternehmen und Führungskräfte weiterentwickelt und welche Rolle die St.Galler Business School hier spielt.

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Ab Seite 28: Karriereberatung und Stellenmarkt für technische Fach- und Führungskräfte<br />

TECHNIK WIRTSCHAFT GESELLSCHAFT<br />

15. Januar 2016 · Nr. 1/2 www.vdi-nachrichten.com Einzelpreis 3,00 Euro 6867<br />

Die nächste Ausgabe<br />

erscheint am 29. 1. 2016<br />

Foto: privat<br />

Personalexperten<br />

geben Tipps<br />

VDI nachrichten, Düsseldorf, 15. 1. 16, ps<br />

Bei unserer telefonischen<br />

Karriereberatung stehen<br />

Ihnen Astrid Steinkötter,<br />

Personalreferentin M Plan,<br />

und Thomas Sundermann,<br />

Personalleiter Carcoustics,<br />

Rede und Antwort. ps<br />

Donnerstag, 21. 1. 16,<br />

14 Uhr bis 18 Uhr<br />

0211 17600-401<br />

Astrid Steinkötter<br />

0211 17600-402<br />

Thomas Sundermann<br />

Technik & Gesellschaft<br />

Steinkohle – vorletzte<br />

Ruhrpott-Zeche schließt<br />

-Seite 6<br />

EU verspielt <strong>die</strong> Chance für<br />

mehr Recycling<br />

-Seite 7<br />

Technik & Wirtschaft<br />

Keine Langeweile auf dem<br />

Smartphone-Markt<br />

-Seiten 12 und 13<br />

Big Data unterstützt das<br />

Team im Operationssaal<br />

-Seite 21<br />

Technik & Finanzen<br />

Geldprofi Gottfried Heller:<br />

In Europa geht es aufwärts<br />

-Seite 24<br />

Management & Karriere<br />

Special Bauindustrie:<br />

Bedarf übersteigt Angebot<br />

-Seiten 28 und 29<br />

Technik & Kultur: Kunst<br />

trifft auf <strong>die</strong> Digitalisierung<br />

-Seiten 38 und 39<br />

Karrieretelefon<br />

Aus dem VDI -Seite 40<br />

Foto: privat<br />

Videoüberwachung<br />

ist kein Allheilmittel<br />

VDI nachrichten, Düsseldorf, 15. 1. 16, rb<br />

Überwachung: Nach den Gewalttaten<br />

in der Silvesternacht in Deutschland<br />

fordern Politiker und Bürger mehr Videoüberwachung,<br />

wie sie in anderen europäischen<br />

Großstädten (Foto: London) zum Alltag<br />

gehört. Doch ihre Wirkung ist umstritten.<br />

Thomas Feltes von der Ruhr-Universität<br />

Bochum warnt: „Videoüberwachung<br />

ist nur so gut wie <strong>die</strong> Person, <strong>die</strong> in Echtzeit<br />

<strong>die</strong> Monitore beobachtet und Maßnahmen<br />

einleiten kann.“ Von intelligenter<br />

Überwachung mit Mustererkennungssoftware<br />

sind <strong>die</strong> Systeme noch weit entfernt.<br />

„Tanzen und eine Schlägerei könnten ähnlich<br />

aussehen“, weiß Sicherheitsexperte<br />

Nils Zurawski. rb -Seite 10<br />

VDI nachrichten, Düsseldorf, 15. 1. 16, ciu<br />

<strong>Industrie</strong> <strong>4.0</strong> – Manfred Wittenstein<br />

kann den Begriff kaum noch<br />

hören. Durch inflationären Gebrauch<br />

sei er zur „Plakette für<br />

manchen Unfug“ geworden, verdeutlichte<br />

er gegenüber den<br />

VDI nachrichten.<br />

Der Maschinenbau-Unternehmer<br />

fürchtet, dass <strong>die</strong> Debatte<br />

hierzulande Schlagseite hat. Es<br />

werde viel über neue Geschäftsmodelle,<br />

Fertigungstechnologien,<br />

Rechtsfragen und Datensicherheit<br />

diskutiert. Zu kurz kommen seiner<br />

Meinung nach zwei Fragen, <strong>die</strong> für<br />

den Erfolg der intelligenten Fabrik<br />

entscheidend sein könnten: Welchen<br />

Herausforderungen sieht<br />

sich das obere Management gegenüber?<br />

<strong>Wie</strong> geht es damit um?<br />

Immer häufiger müssten Führungskräfte<br />

außerhalb von hierarchischen<br />

Systemen für Ziele, Ori-<br />

Börsenspiel: Mitmachen und<br />

gewinnen!<br />

VDI nachrichten, Düsseldorf, 15. 1. 16, cb<br />

Ingenieurfonds: Alle Zähler<br />

stehen wieder auf null, unser Börsenspiel<br />

geht in <strong>die</strong> neue Runde.<br />

Wer bis 30. Juni den besten Aktienriecher<br />

beweist und <strong>die</strong> höchste<br />

Rendite erzielt, gewinnt ein<br />

MacBook. Doch an den Börsen<br />

bläst gerade mächtiger Gegenwind.<br />

Dass <strong>die</strong> Ingenieure auch<br />

bei stürmischen Zeiten einen kühlen<br />

Kopf bewahren und <strong>die</strong> richtige<br />

Aktienstrategie parat haben,<br />

gilt es jetzt zu beweisen. Außerdem<br />

<strong>wird</strong> unter allen Mitspielern<br />

ein Tablet-PC verlost. cb -Seite 25<br />

Mobile Maschinen oft<br />

sauberer als moderne Pkw<br />

VDI nachrichten, Düsseldorf, 15. 1. 16, pek<br />

Emissionen: Das Vorurteil<br />

scheint tief verwurzelt: Land- und<br />

Baumaschinen verschmutzen <strong>die</strong><br />

Luft stärker als moderne Pkw. „Das<br />

hat mit der Realität leider wenig zu<br />

tun“, widerspricht Marcus Geimer,<br />

Leiter des Lehrstuhls für Mobile<br />

Arbeitsmaschinen am Karlsruher<br />

Institut für Technologie<br />

(KIT). Das Problem sei, dass <strong>die</strong><br />

Foto: Getty Images<br />

Abschied vom Absolutismus<br />

Management: Sauber, leise, komplett vernetzt – so stellen<br />

sich Forscher <strong>die</strong> Fabrik der Zukunft vor. Doch nicht nur <strong>die</strong><br />

Werkshallen werden sich verändern. Auch <strong>die</strong> <strong>Führungskultur</strong><br />

muss vielerorts angepasst werden. Zum neuen Leitbild <strong>wird</strong><br />

der wohlinformierte, mündige Mitarbeiter.<br />

entierung und Konsequenz sorgen,<br />

konstatiert Wittenstein. „Zunehmende<br />

Geschwindigkeit und<br />

Vernetzung, <strong>die</strong> Gleichzeitigkeit<br />

und Interdependenzen von Ereignissen,<br />

unternehmensübergreifende<br />

Kooperationen und vieles<br />

mehr sorgen für zusätzliche Dynamik<br />

und Komplexität.“<br />

Die Zeit des absolutistischen<br />

Managers ist für ihn abgelaufen:<br />

„Klassische Führung über hierarchische<br />

Mechanismen funktioniert<br />

in Zeiten von <strong>Industrie</strong> <strong>4.0</strong><br />

immer weniger.“ Intelligenten<br />

Wertschöpfungsnetzwerken, <strong>die</strong><br />

sich je nach Aufgabe immer wieder<br />

neu konfigurieren, gehörten<br />

<strong>die</strong> Zukunft. Diese aber stellten<br />

„enorme Anforderungen an <strong>die</strong><br />

Kommunikation im Unternehmen“.<br />

Wittenstein hat in seinem<br />

Unternehmen dazu Kommunikationsforen<br />

eingerichtet, bei denen<br />

Foto: [M] istockphoto<br />

Foto: Marijan Murat/dpa<br />

„Klassische Führung<br />

funktioniert bei<br />

<strong>Industrie</strong> <strong>4.0</strong><br />

immer weniger.“<br />

Manfred Wittenstein,<br />

Chef der Wittenstein AG<br />

der Vorstand regelmäßig allen Mitarbeitern<br />

in kleineren Gruppen<br />

Rede und Antwort steht.<br />

Das ist Wasser auf <strong>die</strong> Mühlen<br />

von Sabine Pfeiffer. Die Professorin<br />

an der Uni Hohenheim hat in<br />

einer Stu<strong>die</strong> festgestellt, dass <strong>die</strong><br />

Belegschaft in den Fabriken fit ist<br />

und keine Angst vor <strong>Industrie</strong> <strong>4.0</strong><br />

haben muss. Es hapere eher bei<br />

den Führungskräften. Die seien<br />

schlecht vorbereitet, <strong>die</strong> <strong>Führungskultur</strong><br />

in Deutschland hinke<br />

hinterher. Was alle lernen müssten,<br />

sei, mit großen Datenmengen<br />

umzugehen. Man dürfe sich keine<br />

Illusionen machen, <strong>die</strong> Digitalisierung<br />

solle im Kern menschliche<br />

Arbeit ersetzen. Den viel beschworenen<br />

Satz „Der Mensch steht im<br />

Mittelpunkt“ könne sie so nicht<br />

sehen. Umso wichtiger sei es, jetzt<br />

<strong>die</strong> richtigen Weichen für <strong>die</strong> Zukunft<br />

zu stellen. „Das ist nur zu erreichen,<br />

wenn es auch durchgesetzt<br />

und zum Teil erkämpft <strong>wird</strong>“,<br />

sagt Pfeiffer.<br />

Um dem Mittelstand den digitalen<br />

Wandel zu erleichtern, hat das<br />

Forschungsministerium ein Förderprogramm<br />

erstellt, das am<br />

Mittwoch vorgestellt wurde. Kleine<br />

und mittlere Unternehmen sollen<br />

mit <strong>die</strong>ser Hilfe z. B. ihre Arbeitsorganisation<br />

auf den neuesten<br />

Stand bringen können.<br />

Die Veränderung des Arbeitsumfelds<br />

<strong>wird</strong> auch auf der VDI-Tagung<br />

„<strong>Industrie</strong> <strong>4.0</strong>“ am 27. und<br />

28. Januar in Düsseldorf ein Thema<br />

sein.<br />

cer/ps/ws<br />

n Seiten 2, 3, 8 und 16 bis 18<br />

Emissionen für Pkw auf eine Strecke<br />

bezogen sind (g/km), wobei<br />

<strong>die</strong> der Land- und Baumaschinen<br />

in g/kWh gemessen werden – ein<br />

Bagger im Einsatz fährt eben keine<br />

Strecken. Es hapert an der Vergleichbarkeit.<br />

Dieses Manko hat<br />

eine aktuelle Stu<strong>die</strong> des KIT beseitigt<br />

und widerlegt das lang gehegte<br />

Vorurteil mit Zahlen, Daten und<br />

Fakten. pek SSeite 19


2 MEINUNG VDI nachrichten · 15. Januar 2016 · Nr. 1/2<br />

Politisches Prisma<br />

Schmusekurs<br />

Matthias Müller:<br />

Möchte das Vertrauen<br />

der US-Kunden in VW<br />

zurückgewinnen.<br />

Foto: Volkswagen AG<br />

Während der Detroit Motor Show bemüht sich<br />

VW-Chef Matthias Müller um Imagepolitur.<br />

Schwer lastet der Skandal um manipulierte<br />

Dieselmotoren auf seinen Schultern. Um das<br />

Vertrauen der Amerikaner in VW wiederzugewinnen,<br />

steht der Rückkauf von über 100 000<br />

Wagen im Raum. Darüber hinaus erweitert VW<br />

sein Gutscheinprogramm, dabei werden jedem<br />

vom Abgas-Skandal betroffenen Kunden<br />

1000 $ geboten. Bundesverbraucherschutzminister<br />

Heiko Maas forderte bereits im November,<br />

dass betroffene deutsche VW-Kunden <strong>die</strong>selben<br />

Hilfen vom Konzern erhalten wie jene<br />

in den USA. Doch wie es derzeit aussieht,<br />

müssen sich <strong>die</strong> meisten deutschen Kunden<br />

mit einer kleinen Plastikröhre in ihrem Fahrzeug<br />

zufriedengeben. Damit werden <strong>die</strong> Abgase<br />

reduziert. 1000 € Entschädigung – geschweige<br />

denn ein Rückkauf – bleibt wohl nur ein<br />

Wunschtraum. pek -Seite 19<br />

Aufwertung<br />

Gerhard Bosch:<br />

Fürchtet, dass <strong>die</strong><br />

berufliche Bildung auf<br />

der Strecke bleibt.<br />

Foto: Carolin Weinkopff/<br />

Uni Duisburg-Essen<br />

Das Image der industriellen Ausbildung müsse<br />

verbessert werden, fordert der Arbeitsmarktforscher<br />

Gerhard Bosch vom Institut Arbeit<br />

und Qualifikation an der Universität Duisburg-<br />

Essen. Derzeit stu<strong>die</strong>ren in Deutschland 58 %<br />

eines Jahrgangs, 2003 waren es noch 39 %. Der<br />

Anteil der Arbeitsplätze, für <strong>die</strong> eine akademische<br />

Bildung vorausgesetzt <strong>wird</strong>, liegt aber<br />

nach seinen Angaben unter 25 %. Der Run auf<br />

Hochschulen führe dazu, dass „das Potenzial<br />

für gute Bewerber für <strong>die</strong> Berufsausbildung<br />

austrocknet“. Ein wichtiger Schritt zur Aufwertung<br />

der Berufsbildung ist nach Ansicht von<br />

Bosch <strong>die</strong> Gleichstellung von Meistern und<br />

Fachwirten mit Bachelor-Absolventen. Die<br />

Unternehmen müssten aber auch gute Perspektiven<br />

für beruflich Ausgebildete bieten.<br />

Wenn <strong>die</strong>se Perspektiven aber nur in Sonntagsreden<br />

vorkommen, <strong>wird</strong> der Run auf <strong>die</strong><br />

Hochschulen anhalten.<br />

has<br />

Nach Plan<br />

Patrick Graichen:<br />

Fordert Ausstieg aus<br />

der Kohle bis 2040.<br />

Foto: Agora<br />

„Agora Energiewende“ heißt ein politischer<br />

Thinktank in Berlin, der sich Gedanken macht<br />

über – na klar, <strong>die</strong> Energiewende. Am Montag<br />

wurden seine Ideen zum Ausstieg aus der Kohle<br />

bekannt. Raus bis 2040 – in elf Punkten skizzieren<br />

<strong>die</strong> Hauptstädter, wie das gehen könnte.<br />

Denn es eilt, glaubt man Agora-Chef Patrick<br />

Graichen: „Wenn wir jetzt nicht offen über <strong>die</strong><br />

Zukunft der Kohle reden, droht uns <strong>die</strong> gleiche<br />

Debatte wie einst bei der Atomkraft.“ Die<br />

Schließung der vorletzten Zeche im Revier ist<br />

ein guter Anlass, sich rechtzeitig Gedanken<br />

über den Kohleausstieg zu machen. Und der<br />

Zeitraum? Wer in <strong>die</strong> Leitstu<strong>die</strong> zur Energiewende<br />

der Bundesregierung schaut, stellt fest:<br />

Der weitgehende Rückzug der Kohle aus der<br />

Stromerzeugung steht da längst drin: Bis 2040<br />

soll es so weit sein. swe -Seite 6<br />

lschneider@vdi-nachrichten.com/hsteiger@vdi-nachrichten.com<br />

„Bei Führung <strong>4.0</strong><br />

ist konstruktives<br />

Stören erwünscht“<br />

Management: Die Idee der<br />

intelligenten Fabrik fordert <strong>die</strong><br />

deutsche <strong>Industrie</strong> heraus. Sie<br />

stellt nicht nur neue Anforderungen<br />

an <strong>die</strong> Ingenieurwissenschaften,<br />

sondern auch an <strong>die</strong><br />

Betriebswirtschaft. Tra<strong>die</strong>rte<br />

Managementmodelle stehen auf<br />

dem Prüfstand. Der Maschinenbauunternehmer<br />

Manfred Wittenstein<br />

erläutert, wie <strong>Industrie</strong><br />

<strong>4.0</strong> <strong>die</strong> <strong>Führungskultur</strong> <strong>prägen</strong><br />

<strong>wird</strong>.<br />

VDI nachrichten, Igersheim, 15. 1. 16, ps<br />

„<strong>Industrie</strong> <strong>4.0</strong>“ ist seit einiger Zeit in<br />

aller Munde, mitunter gar inflationär<br />

in Gebrauch und Plakette für so manchen<br />

Unfug. Im Kern ist es jedoch<br />

fraglos ein Thema von höchster Relevanz<br />

gerade für hoch entwickelte<br />

Volkswirtschaften und Schlüsselbranchen<br />

wie den Maschinen- und Anlagenbau.<br />

Für mein Unternehmen, mit<br />

seinem Anspruch, Weltmarktführer<br />

auf dem Gebiet mechatronischer Antriebstechnik<br />

zu sein, allemal.<br />

Inzwischen ist <strong>die</strong> cyber-physische<br />

Wertschöpfungsvision gezeichnet, <strong>die</strong><br />

volkswirtschaftlichen Potenziale für<br />

Deutschland wurden ermittelt. Die<br />

Ergebnisse stimmen optimistisch. Auf<br />

staatlicher, verbandspolitischer und<br />

unternehmerischer Ebene – überall<br />

<strong>wird</strong> heftig diskutiert über Fragen<br />

der Geschäftsmodellinnovation,<br />

der Fertigungstechnologien<br />

und -prozesse, der rechtlich-institutionellen<br />

Gegebenheiten,<br />

der Datensicherheit, der Ausund<br />

Weiterbildung der Mitarbeiter.<br />

Längst gibt es vielerorts beeindruckende<br />

Umsetzungserfolge<br />

von hohem Nutzen.<br />

Und doch: Mich umschleicht seit<br />

Langem der Verdacht, dass eine entscheidende<br />

Frage zu wenig Beachtung<br />

findet. Eine Frage, deren erfolgreiche<br />

Beantwortung am Ende des Tages<br />

kriegsentscheidend sein kann, <strong>die</strong><br />

Frage nämlich „Welchen neuen Herausforderungen<br />

sieht sich das obere<br />

Management gegenüber und wie geht<br />

es damit intelligent um?“<br />

Nicht dass plötzlich alles anders<br />

wäre. Aber <strong>die</strong> Anforderungen an erfolgreiche<br />

Führung sind gestiegen.<br />

Immer häufiger müssen Führungs-<br />

Zur Person<br />

Manfred Wittenstein ist<br />

Aufsichtsratsvorsitzender<br />

der Wittenstein AG, Weltmarktführer<br />

auf dem Gebiet<br />

der mechatronischen<br />

Antriebstechnik. Der ehemalige<br />

Präsident des<br />

VDMA und BDI-Vizepräsident<br />

ist „Entrepreneur<br />

des Jahres“ und Mitglied<br />

in der Hall of Fame der<br />

weltbesten Unternehmer.<br />

ps<br />

kräfte außerhalb von hierarchischen<br />

Systemen für Ziele, Orientierung und<br />

Konsequenz sorgen. Zunehmende<br />

Geschwindigkeit und Vernetzung, <strong>die</strong><br />

Gleichzeitigkeit und Interdependenzen<br />

von Ereignissen, Digitalisierung,<br />

das Verschmelzen verschiedener<br />

Technologien und Disziplinen, unternehmensübergreifende<br />

Kooperationen<br />

und vieles mehr sorgen für zusätzliche<br />

Dynamik und Komplexität.<br />

„Klassische“ Führung über hierarchische<br />

Mechanismen funktioniert<br />

seit Längerem immer weniger. <strong>Industrie</strong><br />

<strong>4.0</strong> beschleunigt <strong>die</strong>se Entwicklung.<br />

Zugegeben: Auch ich weiß nicht,<br />

wie künftig optimale Führung – nennen<br />

wir Sie „Führung <strong>4.0</strong>“ – aussieht.<br />

Und ganz gewiss habe ich in meinem<br />

Leben vieles falsch gesehen und falsch<br />

gemacht. In einem aber bin ich mir sicher:<br />

Man muss ständig auf der Suche<br />

nach Antworten sein. Es ist <strong>die</strong> ureigenste<br />

Aufgabe eines jeden Unternehmers,<br />

sich <strong>die</strong>ser Herausforderung zu<br />

stellen.<br />

Und bei aller Unsicherheit: Einige<br />

Muster zukunftsfähiger Führung sind<br />

schon erkennbar: Nachdem Hierarchien,<br />

<strong>die</strong> Dominanz eigener fachlicher<br />

Kompetenzen sowie <strong>die</strong> Strukturen<br />

des eigenen Unternehmens vielerorts<br />

an Bedeutung verlieren, gilt es,<br />

Mehrwert in intelligenten Wertschöpfungsnetzwerken<br />

zu schaffen. Diese<br />

Netzwerke werden sich je nach Aufgabenstellung<br />

immer wieder neu konfigurieren.<br />

„Bei uns steht der Vorstand allen<br />

Mitarbeitern in überschaubaren<br />

Gruppen persönlich Rede und Antwort.<br />

So minimieren wir Sickerverluste.“<br />

Manfred Wittenstein,<br />

Aufsichtsratsvorsitzender der Wittenstein AG<br />

Das Ausrichten dezentraler Intelligenz<br />

und Autonomie auf übergeordnete<br />

Zielsetzungen, noch dazu bei einem<br />

immer größer werdenden Beeinflussungsbereich<br />

– das ist <strong>die</strong> schwierige<br />

Aufgabe. <strong>Wie</strong> lässt sie sich lösen? Statisch,<br />

zentralistisch und entlang von<br />

Berichtslinien: wohl kaum! Anpassungsfähig<br />

über Begeisterung und<br />

Orientierung dennoch kritisch-rationalistisch:<br />

schon eher!<br />

Das eigene Unternehmen muss darüber<br />

hinaus zu einem attraktiven<br />

und anschlussfähigen Hochleistungsgebilde<br />

entwickelt werden, das für seine<br />

Partner und Kunden ein zuverlässiger<br />

Beschleuniger ist. Klar ist bei alledem<br />

auch: Dazu braucht es Multiplikatoren<br />

und „Satelliten“ – innerhalb<br />

und außerhalb des eigenen Unternehmens.<br />

Alleine kann niemand führen.<br />

Als vor mittlerweile fast zehn Jahren<br />

in meinem Unternehmen erkennbar<br />

wurde, dass <strong>die</strong> im Kern recht zentralistische<br />

Führung an ihre Grenzen<br />

stieß und <strong>die</strong>s nicht dem starken Unternehmenswachstum<br />

alleine zugerechnet<br />

werden konnte, machten wir<br />

uns auf den Weg. Der Veränderungsprozess<br />

lief damals noch nicht unter<br />

der Überschrift „<strong>Industrie</strong> <strong>4.0</strong>“. In einem<br />

ersten Schritt haben wir „Rollen<br />

& Regeln“ für das Zusammenspiel der<br />

zentralen Konzernsteuerung einerseits,<br />

der dezentralen Unternehmenseinheiten<br />

andererseits definiert.<br />

Auf <strong>die</strong>ser konstitutionellen Basis<br />

aufbauend, findet seitdem für unsere<br />

Top-Führungskräfte eine auf Dialog<br />

setzende, über mehrere Monate laufende<br />

Schulung statt, unser sogenannter<br />

FührungsDialog.<br />

Es ist wichtig zu erkennen, dass ohne<br />

<strong>die</strong> richtige Geisteshaltung der einzelnen<br />

Führungskräfte <strong>die</strong> definierten<br />

„Rollen & Regeln“ nicht funktionieren<br />

können, <strong>die</strong> Zielsetzung von mehr dezentraler<br />

Autonomie und einem starken<br />

strategisch-normativen Überbau<br />

nicht erreicht werden kann.<br />

Nur bei maximalem Verständnis auf<br />

individueller Ebene lässt sich der Vorteil<br />

von Kleinteiligkeit nutzen, Führung<br />

vervielfältigen, ohne dass Heterogenität<br />

zur Beliebigkeit verkommt.<br />

Und nur dann entwickelt sich das Unternehmen<br />

mit seinen dezentralen<br />

Einheiten hin zu einer strategischen<br />

Managementholding.<br />

Diese Managementholding soll<br />

auch von außen als attraktives<br />

Hochleistungsnetzwerk mit exzellenten<br />

Möglichkeiten zur Andockung<br />

wahrgenommen werden,<br />

sich somit positiv aufladen<br />

und immer wieder neu konfigurieren.<br />

Verständnis und Veränderung<br />

von innen nach außen – das ist der<br />

Weg, für den wir uns entschieden haben.<br />

Umfassend verstanden, stellt <strong>die</strong>ser<br />

Weg enorme Anforderungen an <strong>die</strong><br />

Kommunikation und den Austausch<br />

im Unternehmen. Das Durchdringen<br />

der Organisation von innen nach außen<br />

führt – bildlich gesprochen –<br />

durch jeden einzelnen Mitarbeiter.<br />

Nur so kann das Gebilde als intelligentes<br />

und anpassungsfähiges Hochleistungsnetzwerk<br />

funktionieren, nur<br />

so entsteht auch nach außen <strong>die</strong><br />

größtmögliche Attraktivität und Anschlussfläche.<br />

<strong>Wie</strong> gehen wir dabei konkret vor?<br />

Wir nutzen seit den Jahren der Wirtschafts-<br />

und Finanzkrise regelmäßig<br />

Kommunikationsforen, auf denen der<br />

Vorstand allen Mitarbeitern in überschaubaren<br />

Gruppengrößen persönlich<br />

Rede und Antwort steht. Auf <strong>die</strong>se<br />

Art und Weise erreichen wir größtmögliche<br />

Authentizität und minimieren<br />

„Sickerverluste“.<br />

Der Vorstand trägt hier enorme Verantwortung<br />

und ist Nukleus für <strong>die</strong> Intelligenz<br />

des Unternehmens und seiner<br />

Anschlussfähigkeit. Deshalb haben<br />

wir uns bei der Auswahl unserer<br />

neuen Vorstandsmitglieder bewusst


VDI nachrichten · 15. Januar 2016 · Nr. 1/2 MEINUNG 3<br />

für eine in Persönlichkeit und Fachdisziplin<br />

heterogene Gruppe junger<br />

Leute entschieden. Wir erhoffen uns<br />

davon eine hohe „Sendeleistung“ sowie<br />

große Anschlussfläche – intern<br />

und extern.<br />

Der gerade skizzierte Ansatz erscheint<br />

mir zielführend, doch ob er<br />

Einblicke: Manfred Wittenstein<br />

erläutert, wie<br />

er Führung <strong>4.0</strong> in seinem<br />

Unternehmen realisiert.<br />

Foto: Marijan Murat/dpa<br />

wirklich zum Erfolg führt, weiß ich natürlich<br />

nicht. Und doch habe ich nicht<br />

zuletzt auch deshalb ein gutes Gefühl<br />

dabei, weil um <strong>die</strong> einzelnen Schritte<br />

jeweils intensiv gerungen <strong>wird</strong>. Sie<br />

sind Zwischenergebnisse eines permanenten<br />

Prozesses ohne aktionistische<br />

Hauruck-Maßnahmen. Auf den<br />

Punkt gebracht: Auch „Führung <strong>4.0</strong>“<br />

ist wohl eher evolutionär als revolutionär.<br />

Und noch etwas möchte ich in aller<br />

Offenheit anmerken: Wenn es um <strong>die</strong><br />

Weiterentwicklung des Unternehmens<br />

und dessen Führungskräfte<br />

geht, ist es nicht gut, im eigenen Saft<br />

zu schmoren. Achtsamkeit und Bescheidenheit<br />

sind hier gewiss <strong>die</strong> besseren<br />

Berater als Egozentrik und<br />

Überheblichkeit. Konstruktives Stören,<br />

fachliche Expertise und Erfahrungen<br />

von außen sind der Beifahrer, den<br />

man gerade bei schnellen Fahrten im<br />

Nebel ab und an sehr gut gebrauchen<br />

kann. Das gilt vor allem dann, wenn er<br />

das Auto (Unternehmen), den Fahrer<br />

(Unternehmer/Management) und <strong>die</strong><br />

Strecke (Strategie) schon gut kennt.<br />

Mit der St. Galler Business School<br />

und ihrem Geschäftsführenden Direktor<br />

Christian Abegglen haben wir seit<br />

Jahren einen solchen Partner, der Wittenstein<br />

durch <strong>die</strong> verschiedenen<br />

Phasen der Unternehmensentwicklung<br />

begleitet. Diese Partnerschaft hat<br />

strategischen Charakter und durchzieht<br />

den hier beschriebenen Prozess<br />

als Konstante von Anfang an – vom<br />

Projekt „Rollen & Regeln“ über den<br />

„FührungsDialog“ bis hin zur Neukonfiguration<br />

des Vorstands.<br />

Warum erwähne ich das ausdrücklich?<br />

Weil ich unterstreichen möchte,<br />

dass es meines Erachtens geradezu<br />

„Führung-<strong>4.0</strong>-inhärent“ ist, sich auch<br />

in Führungsfragen zu vernetzen. Dabei<br />

schafft Konstanz das erforderliche<br />

unternehmensspezifische Wissen, ohne<br />

jedoch den Blick von außen zu vernebeln.<br />

Ich erwähne es zudem, weil noch<br />

etwas deutlich werden soll: Institutionelles<br />

Renommee ist womöglich ein<br />

taugliches Auswahlkriterium für den<br />

externen Partner. Überzeugungsfähigkeit,<br />

Glaubhaftigkeit und Vertrauen<br />

jedoch werden letztlich an Personen<br />

festgemacht. Daran <strong>wird</strong> sich nichts<br />

ändern. Womöglich ist es sogar so,<br />

dass der Erfolg von „<strong>Industrie</strong> <strong>4.0</strong>“ davon<br />

abhängt, wie überzeugungsfähig,<br />

glaubhaft und vertrauensvoll <strong>die</strong> Führung<br />

ist. MANFRED WITTENSTEIN<br />

VDI-Tagung <strong>Industrie</strong> <strong>4.0</strong><br />

Am 27. und 28. Januar bietet das<br />

VDI Wissensforum auf der Fachtagung<br />

„<strong>Industrie</strong> <strong>4.0</strong>“ eine Plattform<br />

zum Erfahrungsaustausch.<br />

Geleitet <strong>wird</strong> <strong>die</strong> Veranstaltung<br />

von Michael ten Hompel (TU<br />

Dortmund) sowie Fraunhofer-<br />

IML und Fraunhofer ISST. Das<br />

Tagungsprogramm finden Sie im<br />

Netz.<br />

ps<br />

- vdi-wissensforum.de<br />

„Jetzt <strong>die</strong> Weichen richtig stellen“<br />

<strong>Industrie</strong> <strong>4.0</strong>: Für <strong>die</strong> Wissenschaftlerin Sabine Pfeiffer<br />

steht fest: Wer <strong>die</strong> aktuelle Komplexität in der <strong>Industrie</strong><br />

beherrscht, mit den Unwägbarkeiten der Arbeitswelt umgehen<br />

kann, der hat mit <strong>Industrie</strong> <strong>4.0</strong> kein Problem. Mehr als zwei<br />

Drittel der Beschäftigten in den Fabriken sind fit für <strong>die</strong> neuen<br />

Aufgaben, hat sie in einer Stu<strong>die</strong> festgestellt.<br />

VDI nachrichten. Hohenheim, 15. 1. 16, cer<br />

VDI nachrichten: Gibt es ausreichend<br />

Ressourcen für <strong>die</strong> Gestaltung<br />

der neuen Aufgaben?<br />

Pfeiffer: Ja, unbedingt. Die Beschäftigten<br />

in der <strong>Industrie</strong> haben<br />

ein hohes Potenzial, das sie heute<br />

schon unter Beweis stellen.<br />

Ist das ein Wettbewerbsvorteil<br />

für <strong>die</strong> Wirtschaft?<br />

Wenn wir <strong>die</strong>sen Vorteil jetzt für<br />

<strong>die</strong> Entwicklung der Technik und<br />

Gestaltung von <strong>Industrie</strong> <strong>4.0</strong> einsetzen,<br />

und zwar von Anfang an,<br />

dann ist schon viel erreicht. Alle<br />

Techniklösungen müssen auf das<br />

besondere Arbeitskräftepotenzial<br />

setzen, das wir in Deutschland haben,<br />

es nutzen und weiter fördern.<br />

Sind <strong>die</strong> Fachkräfte in Deutschland<br />

denn etwas Besonderes?<br />

Die Idee der Stu<strong>die</strong><br />

Wir setzen bei einem hohen und<br />

breiten Qualifikationsniveau an,<br />

das seines Gleichen sucht. Dadurch<br />

können Lösungen für <strong>Industrie</strong><br />

<strong>4.0</strong> entstehen, <strong>die</strong> so<br />

schnell keiner auf der Welt kopieren<br />

kann.<br />

Haben <strong>die</strong> Mitbewerber <strong>die</strong>sen<br />

Qualifikationsvorteil nicht?<br />

Die zentralen Wettbewerber wie<br />

China oder <strong>die</strong> USA sind an <strong>die</strong>sem<br />

Punkt schlechter aufgestellt.<br />

Wir haben eine Beschäftigtenstruktur,<br />

<strong>die</strong> im mittleren Bereich<br />

durch <strong>die</strong> duale Berufsausbildung<br />

schon sehr gut qualifiziert ist. Aber<br />

auch <strong>die</strong> Ingenieurausbildung ist<br />

auf hohem fachlichem Niveau.<br />

Nutzen wir das, entsteht daraus eine<br />

sehr starke Ressource. Das<br />

schafft einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil,<br />

den man nicht so<br />

- Auf Basis der Daten der<br />

BIBB/BAuA-Befragung (<strong>die</strong><br />

Stu<strong>die</strong> sammelte 2012 Informationen<br />

über 20 000 Erwerbstätige<br />

und deren Arbeitsplätze)<br />

hat Sabine<br />

Pfeiffer <strong>die</strong> Frage untersucht:<br />

Haben <strong>die</strong> Beschäftigten<br />

ausreichende Kompetenzen<br />

für <strong>die</strong> Gestaltung<br />

von <strong>Industrie</strong> <strong>4.0</strong>?<br />

- Dabei entstand der Arbeitsvermögen-Index<br />

(AV-Index),<br />

der <strong>die</strong> Komplexität<br />

und Unwägbarkeit in der<br />

Arbeit abbildet.<br />

- Sabine Pfeiffer und Anne<br />

Suphan haben eine Kurzfassung<br />

(15 Seiten) ihrer Stu<strong>die</strong><br />

„Der Mensch kann <strong>Industrie</strong><br />

<strong>4.0</strong>“ im Netz veröffentlicht.<br />

- sabine-pfeiffer.de/files/downloads/<br />

2015_Mensch_kann_<br />

<strong>Industrie</strong>40.pdf<br />

Sabine Pfeiffer<br />

- hat eine Ausbildung zur<br />

Werkzeugmacherin absolviert.<br />

Danach war sie<br />

im technischen Support<br />

von <strong>Industrie</strong>firmen tätig.<br />

Sie stu<strong>die</strong>rte Soziologie,<br />

promovierte an der<br />

FU Hagen.<br />

- Jetzt ist sie Professorin<br />

für Soziologie an der<br />

Universität Hohenheim<br />

in Stuttgart.<br />

schnell mit noch so großem finanziellem<br />

Aufwand kompensieren<br />

kann.<br />

Es ist also ein Vorurteil, dass <strong>die</strong><br />

Beschäftigten in der deutschen<br />

<strong>Industrie</strong> nicht fit sind für <strong>die</strong> Digitalisierung?<br />

Die Beschäftigten in der <strong>Industrie</strong><br />

haben gelernt, ihre Antworten jenseits<br />

von Schema F zu finden. Sie<br />

verlassen sich nicht nur auf ihr<br />

theoretisches Fachwissen. Erfahrung<br />

spielt eine große und wichtige<br />

Rolle.<br />

Natürlich haben wir in der <strong>Industrie</strong><br />

auch schlecht qualifizierte<br />

Beschäftigte, aber <strong>die</strong> brauchten<br />

auch ohne Digitalisierung einen<br />

Weiterbildungsschub. Der Bedarf<br />

an Weiterbildung steigt für alle.<br />

Müssen Ingenieure bei <strong>Industrie</strong><br />

<strong>4.0</strong> umdenken?<br />

Was Ingenieure immer noch nicht<br />

so richtig gut können, ist, sich von<br />

den technischen Möglichkeiten zu<br />

lösen und in <strong>die</strong> Rolle des Anwenders<br />

schlüpfen.<br />

Was sind <strong>die</strong> Lernthemen?<br />

Es gibt nur eine bahnbrechende<br />

neue Qualifikation: Wir alle müssen<br />

lernen, mit großen Datenmengen<br />

umzugehen.<br />

Braucht es dafür nicht auch andere<br />

Methoden des Lernens?<br />

Ja, das ist komplementär. In der<br />

Ausbildung sollten mehrere Berufe<br />

gemeinsam an einem Projekt<br />

arbeiten. Im Studium haben wir<br />

das Problem, dass <strong>die</strong> Ingenieurdisziplinen<br />

sich allenfalls noch im<br />

Grundstudium begegnen.<br />

Das muss sich ändern, und zwar<br />

systematisch so, dass es nicht der<br />

Kreativität des Lehrenden überlassen<br />

bleibt, ob was passiert.<br />

Was ist mit den Führungskräften?<br />

Die sind schlecht vorbereitet. In<br />

der Führungsetage sehe ich den<br />

größten Bedarf an Weiterbildung.<br />

Führung nach den Prinzipien von<br />

1.0, nach tayloristischen Arbeitsmodellen,<br />

gibt es immer noch. Die<br />

<strong>Führungskultur</strong> hinkt hinterher.<br />

Sie fordern: Einmischen, hinterfragen<br />

und mitgestalten – können<br />

das <strong>die</strong> Belegschaften?<br />

Manche meinen, Social Media<br />

mache quasi automatisch alles demokratischer<br />

und hierarchieloser.<br />

Das ist im Internet schon nicht so<br />

und im Unternehmen allemal<br />

nicht. Betriebe bleiben auch bei<br />

<strong>Industrie</strong> <strong>4.0</strong> hierarchisch. Unterschiedliche<br />

Interessen spielen eine<br />

Rolle – das <strong>wird</strong> sich nicht automatisch<br />

demokratisieren. Das<br />

muss man schon wollen.<br />

Sabine Pfeiffer sieht <strong>die</strong> Belegschaften<br />

in der deutschen <strong>Industrie</strong><br />

gut gerüstet, <strong>die</strong> Führungskräfte<br />

seien eher das Problem. Foto: A. Amann<br />

Die Frage ist nur, mit welchen<br />

Prozessen und wer darf gestalten?<br />

Genau, das ist <strong>die</strong> Gestaltungsfrage.<br />

Egal ob es smarte Handschuhe,<br />

<strong>die</strong> Datenbrille, der Roboter oder<br />

ein Software-Programm ist, <strong>die</strong><br />

Frage ist doch immer, an welche<br />

Stelle setze ich eine sinnvolle Arbeitsteilung<br />

zwischen Mensch<br />

und Maschine oder Algorithmus.<br />

Je partizipativer, desto besser sind<br />

<strong>die</strong> Lösungen.<br />

Also alles <strong>wird</strong> gut?<br />

Nein, so einfach ist das nicht. Man<br />

darf sich keine Illusionen machen,<br />

was <strong>die</strong> Digitalisierung in ihrem<br />

Kern will: Sie soll menschliche Arbeit<br />

ersetzen. Es gibt den viel beschworenen<br />

Satz „Der Mensch<br />

steht im Mittelpunkt“ – das sehe<br />

ich so noch nicht. Das ist nur zu<br />

erreichen, wenn es auch durchgesetzt<br />

und zum Teil erkämpft <strong>wird</strong>.<br />

Müssen wir Angst haben?<br />

Ja, wenn wir nicht gut gestalten.<br />

Gerade jetzt haben wir ein Zeitfenster,<br />

in dem viele Weichen zu<br />

stellen sind. K. HEIMANN<br />

Langfassung des<br />

Interviews<br />

- vdi-nachrichten.com/heimann-online

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