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Zwangsverheiratung Dokumentation der Fachtagung vom 26. Juni ...

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<strong>Zwangsverheiratung</strong><br />

Artikel Artikel 16 16 Abs. Abs. 2 2 <strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>der</strong> Allgemeinen<br />

Allgemeinen<br />

Erklärung Erklärung <strong>der</strong> <strong>der</strong> Menschenrechte:<br />

Menschenrechte:<br />

„Die „Die Ehe Ehe darf darf nur nur auf auf Grund Grund <strong>der</strong> <strong>der</strong> freien<br />

freien<br />

und und vollen vollen Willenseinigung Willenseinigung <strong>der</strong> <strong>der</strong> zukünftigen<br />

zukünftigen<br />

Ehegatten Ehegatten geschlossen geschlossen geschlossen werden.“ werden.“<br />

werden.“<br />

<strong>Dokumentation</strong><br />

<strong>der</strong><br />

<strong>Fachtagung</strong><br />

<strong>vom</strong> <strong>26.</strong> <strong>Juni</strong> 2006<br />

im Stadthaus, N 1<br />

Mannheim<br />

Die Tagung wurde veranstaltet <strong>vom</strong> Beauftragten für ausländische<br />

Einwohner in Zusammenarbeit mit dem Koordinierungskreis „Gewalt in<br />

Partnerschaften“


Die <strong>Fachtagung</strong> erfolgte mit freundlicher Unterstützung <strong>der</strong> Scha<strong>der</strong>-Stiftung im Rahmen des<br />

Verbundprojektes<br />

www.zuwan<strong>der</strong>er-in-<strong>der</strong>-stadt.de<br />

Impressum<br />

Herausgeber:<br />

Stadt Mannheim - Beauftragter für ausländische Einwohner<br />

Kontakt:<br />

Beauftragter für ausländische Einwohner<br />

Claus Preißler<br />

Rathaus E 5<br />

68159 Mannheim<br />

Tel. 0621-293 9431<br />

Fax 0621-293 9471<br />

Email: amt19@mannheim.de<br />

Die Tagungsdokumentation kann unter <strong>der</strong> Internetadresse www.mannheim.de/integration kostenfrei<br />

abgerufen werden.<br />

Für die namentlich benannten Beiträge und <strong>der</strong>en Inhalte sind die jeweiligen Verfasser/-innen<br />

verantwortlich. Die inhaltlichen Beiträge und vorgestellten Ergebnisse <strong>der</strong> Arbeitsgruppen geben nicht<br />

unbedingt die Meinung des Herausgebers wie<strong>der</strong>.<br />

Mannheim, im Juli 2006


Tagungsablauf<br />

Gesamtmo<strong>der</strong>ation: Frau Bartels (Psychologische Beratungsstelle, Stadt Mannheim)<br />

9:00<br />

Begrüßung<br />

Herr Preißler (Beauftragter für ausländische Einwohner, Stadt Mannheim)<br />

Frau Thomas (Frauenbeauftragte, Stadt Mannheim)<br />

9:20<br />

„Genese und Sachstand <strong>der</strong> Gesetzesinitiative gegen <strong>Zwangsverheiratung</strong>“<br />

Herr Storr (Leiter <strong>der</strong> Stabsstelle des Integrationsbeauftragten des Landes Baden-Württemberg;<br />

Stuttgart)<br />

anschl. Diskussion<br />

10:10<br />

„Die Situation junger Migrantinnen im Kontext geschlechtsspezifischer<br />

Sozialisationserfahrungen“<br />

Frau Schubert (Terre des Femmes, Tübingen)<br />

anschl. Diskussion<br />

11:00 Kaffeepause<br />

11:30<br />

„Berichte aus <strong>der</strong> Praxis – zwei Hilfseinrichtungen für Frauen stellen sich vor“<br />

Frau Kultus (PAPATYA e.V., Berlin)<br />

Frau Özkan & Frau König (ROSA e.V., Stuttgart)<br />

anschl. Diskussion<br />

13:15 Mittagspause<br />

14:00 Beginn <strong>der</strong> Arbeitsgruppen<br />

AG 1 – „Auslän<strong>der</strong>rechtliche Fragestellungen und Rahmenbedingungen (mit Praxisbeispielen)“<br />

Referentin: Frau Walz-Hildenbrand (Rechtsanwältin; Stuttgart)<br />

Mo<strong>der</strong>ation: Herr Preißler (Beauftragter für ausländische Einwohner; Stadt Mannheim)<br />

AG 2 – „Möglichkeiten <strong>der</strong> Intervention in <strong>der</strong> Jugendhilfe“<br />

Referentin: Frau Stefanidou-Knappmann (Landratsamt Tübingen, Abteilung Jugend und ASD)<br />

Mo<strong>der</strong>ation: Herr Dr. Nitsch (Caritasverband Mannheim)<br />

AG 3 – „Aufbau eines Unterstützungsnetzwerkes“<br />

Referentin: Frau Kultus (PAPATYA e.V.; Berlin)<br />

Mo<strong>der</strong>ation: Frau Dr. Schöning-Kalen<strong>der</strong> (Vorsitzende des Mannheimer Frauenhaus e.V.; Mannheim)<br />

AG 4 – „Ambivalenzen in <strong>der</strong> Beratungspraxis“<br />

Referentinnen: Frau Özkan & Frau König (ROSA e.V.; Stuttgart)<br />

Mo<strong>der</strong>ation: Frau Mattes (Psychologische Beratungsstelle; Stadt Mannheim)<br />

AG 5 – „Präventionsarbeit“<br />

Referentin: Frau Schubert (Terre des Femmes; Tübingen)<br />

Mo<strong>der</strong>ation: Frau Canpolat (Psychologische Beratungsstelle; Stadt Mannheim)<br />

15:30 Kaffeepause<br />

16:00<br />

Präsentation <strong>der</strong> Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen<br />

mit anschl. Plenumsdiskussion<br />

16:50<br />

Schlusswort<br />

Herr Preißler (Beauftragter für ausländische Einwohner, Stadt Mannheim)<br />

17:00 Ende <strong>der</strong> Veranstaltung<br />

- 3 -


- 4 -


Inhaltsverzeichnis<br />

1. Vorwort des Beauftragten für ausländische Einwohner <strong>der</strong> Stadt<br />

Mannheim<br />

2. Vorwort <strong>der</strong> Frauenbeauftragten <strong>der</strong> Stadt Mannheim 11-12<br />

3. Genese und Sachstand <strong>der</strong> Gesetzesinitiative gegen <strong>Zwangsverheiratung</strong><br />

Christian Storr<br />

Stabsstellenleiter des Integrationsbeauftragten des Landes Baden-<br />

Württemberg<br />

4. Die Situation junger Migrantinnen im Kontext geschlechtsspezifischer<br />

Sozialisationserfahrungen<br />

Collin Schubert<br />

Terre des Femmes/Tübingen<br />

5. Die Kriseneinrichtung PAPATYA – ein Praxisbericht<br />

Eva Kultus<br />

PAPATYA e.V./Berlin<br />

6. Junge Migrantinnen und ihr langer Weg in die Unabhängigkeit – ein<br />

Bericht aus <strong>der</strong> Praxis<br />

König & Özkan<br />

ROSA e.V./Stuttgart<br />

7. AG 1: Aufenthaltsrechtliche, zivilrechtliche und zivilprozessrechtliche<br />

Regelungen (mit Fallbeispielen)<br />

Marina Walz-Hildenbrand<br />

Rechtsanwaltskanzlei Schuster & Walz-Hildenbrand/ Stuttgart<br />

8. AG 2: Möglichkeiten <strong>der</strong> Intervention in <strong>der</strong> Jugendhilfe – Ergebnisse 62<br />

9. AG 3: Aufbau eines Unterstützungsnetzwerkes – Ergebnisse 63<br />

10. AG 4: Ambivalenzen in <strong>der</strong> Beratungspraxis – Fallbeispiel und<br />

Ergebnisse<br />

- 5 -<br />

Seite<br />

7-10<br />

13-22<br />

23-34<br />

35-43<br />

44-48<br />

49-61<br />

64-68<br />

11. AG 5: Präventionsarbeit – Ergebnisse 69-70<br />

12. Tagungsauswertung 71-74<br />

Anhang 75<br />

▪ Zusammenfassung <strong>der</strong> Handlungsempfehlungen <strong>der</strong> Fachkommission<br />

Zwangsheirat <strong>der</strong> Landesregierung Baden-Württemberg<br />

▪ Kontaktadressen von Frauen- und Kin<strong>der</strong>schutzhäusern sowie<br />

Beratungsstellen in Baden-Württemberg<br />

76-79<br />

80-83


- 6 -


1. Vorwort des Beauftragten für ausländische Einwohner<br />

Claus Preißler<br />

Beauftragter für ausländische Einwohner <strong>der</strong> Stadt Mannheim<br />

<strong>Zwangsverheiratung</strong>, d.h. die Verheiratung gegen den - nicht notwendiger Weise erklärten -<br />

Willen mindestens eines Ehepartners, ist ein Verstoß gegen Artikel 16 Abs. 2 <strong>der</strong><br />

Allgemeinen Erklärung <strong>der</strong> Menschenrechte, in dem es heißt: „Die Ehe darf nur auf Grund<br />

<strong>der</strong> freien und vollen Willenseinigung <strong>der</strong> zukünftigen Ehegatten geschlossen werden.“<br />

Damit ist die <strong>Zwangsverheiratung</strong> keine Privatangelegenheit, die mit Berufung auf ein<br />

traditionelles Brauchtum o<strong>der</strong> eine vermeintlich religiöse Legitimation zu dulden ist. Vielmehr<br />

bedeutet sie einen nicht hinzunehmenden Eingriff in die persönlichen Freiheitsrechte, <strong>der</strong> in<br />

einer freiheitlichen Gesellschaft nicht akzeptiert werden kann.<br />

Noch im Laufe des Jahres 2006 ist damit zu rechnen, dass <strong>der</strong> Deutsche Bundestag ein<br />

Gesetz zur Bekämpfung von Zwangsheirat verabschieden wird. Hierzu hat <strong>der</strong> Bundesrat mit<br />

Beschluss <strong>vom</strong> 10.2.2006 einen auf Initiative des Landes Baden-Württemberg erarbeiteten<br />

Gesetzesentwurf eingereicht. Die Bundesregierung arbeitet <strong>der</strong>zeit ebenfalls an einem<br />

entsprechenden Gesetzestext. Einigkeit über die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung<br />

zur Bekämpfung von Zwangsheirat besteht quer durch alle im Bundestag vertretenen<br />

Fraktionen. Dissens besteht zu einigen inhaltlichen Punkten, die in den Beiträgen von Herrn<br />

Storr und Frau Walz-Hildenbrand in dieser <strong>Dokumentation</strong> thematisiert sind. Die<br />

wesentlichen Inhalte des zu erwartenden Gesetzes betreffen die rechtliche Stärkung <strong>der</strong><br />

Opfer von <strong>Zwangsverheiratung</strong>, insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong>en aufenthaltsrechtliche Stellung.<br />

Weitere Handlungsfel<strong>der</strong> beim Thema Zwangsheirat betreffen die Sicherstellung<br />

ausreichen<strong>der</strong> Betreuungs- und Hilfsangebote für die (meist weiblichen) Betroffenen sowie<br />

Strategien für eine Intensivierung <strong>der</strong> zu leistenden Präventionsarbeit durch Information und<br />

Aufklärung. In den Beiträgen <strong>der</strong> Damen Kultus, König und Özkan werden zwei<br />

Hilfseinrichtungen – PAPATYA in Berlin und ROSA in Stuttgart – vorgestellt, die seit vielen<br />

Jahren professionelle Hilfe für junge (meist min<strong>der</strong>jährige) Migrantinnen in Not anbieten.<br />

Hierin wird an Fallbeispielen die existenzielle Not- und Gefahrensituation <strong>der</strong> betroffenen<br />

Frauen sehr eindringlich vermittelt und auch deutlich gemacht, wie schwierig diese Art <strong>der</strong><br />

Unterstützungsarbeit vor dem Hintergrund <strong>der</strong> zu wahrenden Anonymität ist.<br />

Im Hinblick auf mögliche Ansätze für eine wirksame Präventions- und Aufklärungsarbeit setzt<br />

sich Frau Schubert (Terre de Femmes) in ihrem Beitrag mit geschlechtsspezifischen<br />

Rollenbil<strong>der</strong>n und dem Begriff <strong>der</strong> „Ehre“ in traditionell-patriarchalischen Familien<br />

auseinan<strong>der</strong> und beschreibt die hieraus resultierenden unterschiedlichen<br />

Sozialisationserfahrungen von Jungen und Mädchen in diesen Familien.<br />

- 7 -


In dem von <strong>der</strong> Fachkommission Zwangsheirat <strong>der</strong> Landesregierung Baden-Württemberg im<br />

Februar diesen Jahres veröffentlichten ersten Bericht werden eine Reihe von<br />

Handlungsempfehlungen zu den drei Bereichen Opferrechte, Opferschutz und Prävention<br />

gegeben. Eine Zusammenfassung <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Fachkommission gemachten Empfehlungen<br />

ist im Anhang dieser <strong>Dokumentation</strong> beigefügt.<br />

Neben <strong>der</strong> politischen Auseinan<strong>der</strong>setzung ist in den vergangenen Monaten auch eine<br />

gewachsene mediale Aufmerksamkeit für das Thema <strong>Zwangsverheiratung</strong> festzustellen.<br />

Dies ist dahingehend positiv zu bewerten, dass die bislang in <strong>der</strong> Zurückgezogenheit des<br />

Privaten sich vollziehende Unrechtspraxis dadurch stärker in die öffentliche Wahrnehmung<br />

gerückt wurde. Eine Enttabuisierung <strong>der</strong> <strong>Zwangsverheiratung</strong> in <strong>der</strong> Öffentlichkeit,<br />

insbeson<strong>der</strong>e aber in den Migranten- und Moscheevereinen, ist dringend erfor<strong>der</strong>lich.<br />

Allerdings sollte dies mit einer für dieses schwierige Thema angemessenen Differenziertheit<br />

und Sachlichkeit geschehen, da sich die Thematik durchaus anbietet, ganze Nationalitäten-<br />

o<strong>der</strong> Religionsgruppen – unzulässigerweise – unter Generalverdacht zu stellen. In<br />

Veröffentlichungen wie beispielsweise dem in Deutschland sehr erfolgreich verkauften Buch<br />

„Die fremde Braut – Ein Bericht aus dem Innern des türkischen Lebens in Deutschland“ von<br />

<strong>der</strong> Soziologin Necla Kelek, wird bereits im Titel des Buches <strong>der</strong> Eindruck erweckt,<br />

<strong>Zwangsverheiratung</strong> sei unter <strong>der</strong> in Deutschland lebenden türkischstämmigen Bevölkerung<br />

nicht die Ausnahme, son<strong>der</strong>n die Regel.<br />

Aus Sicht des Beauftragten für ausländische Einwohner sind <strong>der</strong>artige Verallgemeinerungen,<br />

<strong>der</strong>en empirischer Nachweis bislang ausgeblieben ist, nicht nur fragwürdig, son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong><br />

Sache auch kontraproduktiv. Anstelle einer pauschalen Kollektivverdächtigung gilt es<br />

vielmehr, die Migranten- und Moscheevereine bei <strong>der</strong> Bekämpfung <strong>der</strong> <strong>Zwangsverheiratung</strong><br />

viel stärker einzubeziehen. Deren Mitwirkung bei <strong>der</strong> dringend zu leistenden<br />

Aufklärungsarbeit ist unbedingt erfor<strong>der</strong>lich, da sie über die Autorität und die Möglichkeiten<br />

verfügen, gegen eine traditionalistisch o<strong>der</strong> vermeintlich religiös begründete Rechtfertigung<br />

<strong>der</strong> <strong>Zwangsverheiratung</strong> zu argumentieren. Nicht gegen die Migrantengruppen und<br />

Moscheevereine, son<strong>der</strong>n nur gemeinsam mit ihnen können die betroffenen Familien erreicht<br />

und angesprochen werden. Ziel <strong>der</strong> zu leistenden Aufklärungsarbeit ist es, ein<br />

Unrechtsbewusstsein für die durchaus vorhandenen patriarchalisch-traditionellen<br />

Verhaltensweisen auf Kosten <strong>der</strong> meist weiblichen Familienangehörigen zu schaffen. Dies ist<br />

ein langer, schwieriger Weg, bei dem wir <strong>der</strong>zeit noch ganz am Anfang stehen.<br />

Bemerkenswert erscheinen in diesem Zusammenhang die Ergebnisse <strong>der</strong> im Auftrag des<br />

Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen, Jugend durchgeführten repräsentativen<br />

Studie von Boos-Nünning und Karakasoğlu (2004), wonach 77 % <strong>der</strong> befragten<br />

türkischstämmigen Mädchen und jungen Frauen angaben, eine arrangierte Ehe durch die<br />

eigenen Verwandten abzulehnen. 11 % konnten sich eine arrangierte Ehe für sich vorstellen<br />

und 12 % waren unentschieden („je nachdem“). Die Autorinnen <strong>der</strong> Studie gehen davon aus,<br />

- 8 -


dass die Zustimmung zu einer arrangierten Ehe sehr stark davon abhängig ist, inwieweit die<br />

Frauen hierbei eine eigene Entscheidungs- bzw. Einspruchsmöglichkeit für sich in Anspruch<br />

nehmen können.<br />

Obgleich immerhin fast ein Viertel <strong>der</strong> befragten Frauen <strong>der</strong> Praxis einer arrangierten Ehe<br />

nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber stehen, erteilen demgegenüber mehr als drei<br />

Viertel <strong>der</strong> Befragten <strong>der</strong> traditionellen Praxis <strong>der</strong> arrangierten Ehe eine Absage. Es ist zu<br />

vermuten, dass die Ablehnungswerte bei einer konkreten Einstellungsabfrage zur<br />

Zwangsheirat, die von einer arrangierten Ehe zu unterscheiden ist, noch höher ausgefallen<br />

wären.<br />

Bislang gibt es jedoch keine repräsentativen Untersuchungen, die einen Hinweis auf die<br />

tatsächliche Zahl an von Zwangsheirat Betroffenen geben.<br />

Konkrete Daten liegen nur vereinzelt durch Abfragen bei Schutz- und<br />

Beratungseinrichtungen vor. Entsprechend umfassen die dort ermittelten Fallzahlen nur die<br />

Betroffenen, die bei einer Einrichtung um Hilfe ersucht haben.<br />

Die Wohn- und Betreuungseinrichtung für junge Frauen ROSA e.V. in Stuttgart berichtet<br />

über monatlich zehn Mädchen bzw. Frauen, die – aus dem gesamten Bundesgebiet<br />

kommend - wegen <strong>Zwangsverheiratung</strong> um Schutz nachsuchen.<br />

(Zu den Erhebungsergebnissen <strong>der</strong> Fachkommission Zwangsheirat über die Situation in<br />

Baden-Württemberg sei auf den Beitrag von Herrn Storr in diesem Band verwiesen.)<br />

Die Erfahrungen <strong>der</strong> einschlägigen Hilfseinrichtungen für Mädchen und junge Frauen zeigen,<br />

wie schwierig den Betroffenen die Entscheidung fällt, den Schritt aus ihrer Zwangssituation<br />

zu wagen. Expertinnen und Experten sind sich deshalb darin einig, dass die Dunkelziffer <strong>der</strong><br />

Fälle von <strong>Zwangsverheiratung</strong> sehr viel höher ist als durch die Abfrage bei den<br />

entsprechenden Hilfseinrichtungen ermittelt werden kann.<br />

Die Einschätzung über den diesbezüglichen Handlungsbedarf bemisst sich zudem nicht an<br />

<strong>der</strong> Anzahl <strong>der</strong> tatsächlichen bzw. feststellbaren Fälle, son<strong>der</strong>n vielmehr an <strong>der</strong><br />

schwerwiegenden Härte jedes einzelnen Falls und <strong>der</strong> Notwendigkeit für die Betroffenen,<br />

Hilfe in einer existenziellen Notsituation erhalten zu können.<br />

Die gemachten Erfahrungen im vergangenen Jahr bei <strong>der</strong> Begleitung von zwei jungen<br />

Frauen aus dem Kosovo in die Anonymität wegen drohen<strong>der</strong> <strong>Zwangsverheiratung</strong>, gaben<br />

<strong>der</strong> Frauenbeauftragten und dem Beauftragten für ausländische Einwohner Anlass, das<br />

Thema im Koordinierungskreis „Gewalt in Partnerschaften“ einzubringen.<br />

Die hier dokumentierte Mannheimer <strong>Fachtagung</strong> am <strong>26.</strong> <strong>Juni</strong> 2006 war ein erster Schritt, um<br />

zunächst über das Thema <strong>Zwangsverheiratung</strong> zu informieren und Kontakte zu möglichst<br />

vielen Mannheimer Einrichtungen und Institutionen zu knüpften, die möglicherweise mit<br />

Fällen von (angedrohter) Zwangsheirat befasst sind. Immerhin gaben 67 % <strong>der</strong> befragten<br />

TagungsteilnehmerInnen an, in ihrer beruflichen Tätigkeit bereits mit dem Thema konfrontiert<br />

worden zu sein.<br />

- 9 -


Perspektivisch ist <strong>der</strong> Aufbau eines Unterstützungsnetzwerkes vorgesehen sowie die<br />

Erstellung eines konkreten Ablaufplans, in dem die einzuleitenden Schritte für einen sicheren<br />

Schutz und akute Interventionsmöglichkeiten für die Betroffenen in ihrer Notsituation<br />

zusammenzustellen sind.<br />

(Eine von <strong>der</strong> Fachkommission Zwangsheirat zusammengestellte Liste von Frauen- und<br />

Kin<strong>der</strong>schutzhäusern sowie Beratungsstellen in Baden-Württemberg ist dieser<br />

<strong>Dokumentation</strong> ebenfalls als Anlage beigefügt.)<br />

Die im Rahmen <strong>der</strong> Tagung in den Arbeitsgruppen erarbeiteten Ergebnisse sind für die<br />

weiteren Schritte im Hinblick auf den Aufbau eines Unterstützungsnetzwerkes und die zu<br />

leistende Präventionsarbeit sehr hilfreich.<br />

Insgesamt nahmen knapp 100 Personen an <strong>der</strong> Mannheimer <strong>Fachtagung</strong> teil – eine<br />

Beteiligung die hinsichtlich <strong>der</strong> Zahl, aber auch <strong>der</strong> Bandbreite <strong>der</strong> vertretenen Einrichtungen<br />

positiv zu bewerten ist und einen Hinweis auf die Aktualität und Wichtigkeit <strong>der</strong> Thematik<br />

gibt.<br />

Allen Teilnehmenden ist für ihre engagierte Mitarbeit bei <strong>der</strong> <strong>Fachtagung</strong> zu danken. Ein<br />

herzliches Dankeschön an Frau Bartels, Frau Canpolat, Frau Mattes, Herrn Dr. Nitsch und<br />

Frau Dr. Schöning-Kalen<strong>der</strong> sowie meine KollegInnen <strong>vom</strong> Fachbereich 19, Herrn Martin<br />

und Frau Schmitt, für ihre unverzichtbare und ebenso unkomplizierte Mitarbeit bei <strong>der</strong><br />

Vorbereitung und Durchführung <strong>der</strong> <strong>Fachtagung</strong>. Beson<strong>der</strong>er Dank gilt den Referentinnen<br />

und Referenten für ihre informativen und teilweise durchaus streitbaren Beiträge sowie die<br />

fachliche Begleitung <strong>der</strong> Arbeitsgruppen. Schließlich ist auch <strong>der</strong> Scha<strong>der</strong>-Stiftung in<br />

Darmstadt für ihre finanzielle Unterstützung <strong>der</strong> <strong>Fachtagung</strong> im Rahmen des<br />

Verbundprojektes „Zuwan<strong>der</strong>er in <strong>der</strong> Stadt“ zu danken.<br />

- 10 -


2. Vorwort <strong>der</strong> Frauenbeauftragten<br />

- 11 -<br />

Ilse Thomas<br />

Frauenbeauftragte <strong>der</strong> Stadt Mannheim<br />

Als die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes die Kampagne „ Stoppt Zwangsheirat“<br />

initiierte, war ein Thema offen angesprochen, welches sich seit vielen Jahren für kritische<br />

BeobachterInnen als nicht offen ausgesprochene Problematik darstellte.<br />

Grund für die fehlende Öffentlichkeit für das Thema <strong>Zwangsverheiratung</strong> war die<br />

Befürchtung sich dem Vorwurf <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>feindlichkeit o<strong>der</strong> zumindest <strong>der</strong> fehlenden<br />

interkulturellen Sensibilität aussetzen zu müssen. So erfolgte die Auseinan<strong>der</strong>setzung mit<br />

diesem durchaus brisanten Thema nur in internen Kreisen, die aufgrund ihrer beruflichen<br />

Alltagserfahrungen registriert hatten, dass sich hier ein Problemfeld abzeichnete, das einer<br />

dringenden Diskussion bedarf. Deshalb ist es dem baden-württembergischen<br />

Justizministerium hoch anzurechnen, dass es den Mut hatte, die Initiative für eine<br />

gesetzliche Regelung zu ergreifen. Sicherlich hat die Zusammenarbeit mit Terre des<br />

Femmes in Tübingen die ehemalige Justizministerin Baden-Württembergs und<br />

Auslän<strong>der</strong>beauftragte des Landes, Cornelia Werwigk-Hertneck, zu dieser Gesetzesinitiative<br />

bestärkt.<br />

Es gibt keine gesicherte Datenlage über das Ausmaß von Zwangsehen, deutlich wird jedoch<br />

in <strong>der</strong> Diskussion mit Experten und Expertinnen, dass es sich keinesfalls um Einzelfälle<br />

handelt. Da es kein bundesweit einheitliches Vorgehen dieses Thema betreffend gibt,<br />

werden wir auf Erkenntnisse über die Größenordnung des Problems noch etwas warten<br />

müssen. Aber auch ohne gesicherte Daten ist je<strong>der</strong> Fall von <strong>Zwangsverheiratung</strong> zu<br />

verurteilen: Zwangverheiratung ist ein Verstoß gegen die Menschenrechte und wird dort<br />

praktiziert, wo sich <strong>der</strong> einzelne Mensch einem traditionell-patriarchalen Gesellschaftsbild<br />

unterzuordnen hat, das ihm – und hier insbeson<strong>der</strong>e den Frauen- eine freie, selbstbestimmte<br />

Lebensgestaltung verbietet.<br />

Missstände aufzuzeigen, Initiativen zu ergreifen und mutig Themen anzugehen, die einer<br />

kritischen, unbequemen Diskussion bedürfen, das sind die Aufgaben <strong>der</strong> Organisationen,<br />

Initiativen und Verbände, die sich innerhalb <strong>der</strong> Frauenbewegung schon immer brisanter<br />

Themen angenommen haben.<br />

So ist es nicht verwun<strong>der</strong>lich, dass Frauenorganisationen, unterstützt durch Migrantinnen,<br />

die Themen <strong>Zwangsverheiratung</strong> und Ehrenmorde offen zur Diskussion stellen und diese<br />

Menschenrechtsverletzungen nicht bereit sind, länger zu tolerieren und hinzunehmen.<br />

Die Migrationsforschung wird sich diesen Themen verstärkt annehmen müssen, um klare<br />

Positionen zu erhalten.


Der Mannheimer Koordinierungskreis Gewalt in Partnerschaften, ein interdisziplinär<br />

arbeitendes Gremium, hat sich seit <strong>der</strong> Installierung des Platzverweisverfahrens<br />

zusammengefunden und verfügt aus seiner Arbeit heraus über eine fundierte Datenlage über<br />

die innerfamiliären Gewalttätigkeiten in Mannheim. Es wurde ein Verfahren entwickelt, um<br />

den Umgang mit den Opfern und den Tätern zu organisieren.<br />

Der Koordinierungskreis hat sich bereit erklärt, das Thema Zwangsheirat organisatorisch zu<br />

übernehmen.<br />

Die <strong>Fachtagung</strong> diente auch den Mitglie<strong>der</strong>n des Koordinierungskreises dazu,<br />

Hintergrun<strong>der</strong>fahrungen von ExpertInnen zu erhalten, um einen sinnvollen organisatorischen<br />

Ablauf in Fällen von <strong>Zwangsverheiratung</strong> zu gewährleisten.<br />

- 12 -


3. Genese und Sachstand <strong>der</strong> Gesetzesinitiative gegen Zwangs-<br />

verheiratung*<br />

Christian Storr<br />

Leiter <strong>der</strong> Stabsstelle des Integrationsbeauftragten des Landes Baden-Württemberg und<br />

Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Fachkommission Zwangsheirat <strong>der</strong> Landesregierung Baden-Württemberg<br />

* Der vorliegende Redebeitrag entspricht <strong>der</strong> Stellungnahme des Justizministeriums Baden-Württemberg zum<br />

Thema Zwangsheirat, die von Herrn Storr in <strong>der</strong> Anhörung des Bundestagsausschusses für Familie, Senioren,<br />

Frauen und Jugend am 19.6.2006 in Berlin vorgetragen wurde. Es gilt das gesprochene Wort.<br />

1. Zwangsheirat und Verbrechen im Namen <strong>der</strong> "Ehre"<br />

Verbrechen im Namen <strong>der</strong> so genannten „Ehre“, darunter auch die <strong>Zwangsverheiratung</strong> von<br />

jungen Migrantinnen und Migranten, sind beson<strong>der</strong>s in den letzten zwei Jahren Gegenstand<br />

einer intensiven öffentlichen Debatte nicht nur in Deutschland, son<strong>der</strong>n auch in an<strong>der</strong>en<br />

europäischen Län<strong>der</strong>n geworden.<br />

Es handelt sich dabei um Verbrechen, die an Migrantinnen und Migranten durch Angehörige<br />

o<strong>der</strong> Freunde ihrer eigenen Familien begangen werden, um die „Ehre“ <strong>der</strong> Familie zu<br />

schützen o<strong>der</strong> zu verteidigen.<br />

„Ehre“ ist dabei kein religiöser Begriff, son<strong>der</strong>n vielmehr Ausdruck eines patriarchalen<br />

Denkmusters, das sich mit Religiosität und Tradition legitimiert. Zu den „Ehrverbrechen“<br />

zählen wir vor allem „Ehrenmorde“ und <strong>Zwangsverheiratung</strong>en; aber auch häusliche Gewalt<br />

fällt oft in dieses Schema.<br />

Eine Ehe, die gegen den freien Willen eines Menschen geschlossen wird, ist eine<br />

schwerwiegende Verletzung <strong>der</strong> persönlichen Freiheit, von <strong>der</strong> vor allem Mädchen und junge<br />

Frauen betroffen sind.<br />

Solches Verhalten lässt sich zudem nicht mit unseren Vorstellungen von Gleichberechtigung<br />

und Menschenwürde vereinbaren. Die <strong>Zwangsverheiratung</strong> verstößt eindeutig gegen die<br />

Gesetze und gegen das Menschenrechtsabkommen <strong>der</strong> Vereinten Nationen, in dem eine<br />

freie Partnerwahl und ein selbstbestimmtes Leben garantiert werden. Eine Zwangsheirat ist<br />

daher eine fundamentale Menschenrechtsverletzung.<br />

Dies ist jedoch für einen Teil vor allem junger Frauen und Mädchen - auch in Deutschland -<br />

traurige Realität. Es sind sowohl Fälle vor allem aus islamischen Familien <strong>der</strong> Türkei o<strong>der</strong><br />

aus dem Kosovo bekannt, als auch Fälle aus dem buddhistisch-hinduistischen Sri Lanka und<br />

dem christlichen Griechenland o<strong>der</strong> Süditalien. Gegen ihren Willen werden junge Frauen und<br />

Mädchen, oft noch min<strong>der</strong>jährig, in Deutschland o<strong>der</strong> in ihren Herkunftslän<strong>der</strong>n verheiratet.<br />

Mitunter sind aber auch junge Männer von <strong>Zwangsverheiratung</strong>en betroffen.<br />

Zwangsheiraten sind keine private o<strong>der</strong> kulturelle Angelegenheit von Migrantenfamilien,<br />

son<strong>der</strong>n stellen einen Missbrauch und eine Menschenrechtsverletzung dar, die uns alle<br />

angeht. Deshalb muss massiver als bislang gegen <strong>Zwangsverheiratung</strong>en vorgegangen<br />

werden.<br />

- 13 -


2. Folgen für die Zwangsverheirateten<br />

Die Folgen einer Zwangsheirat sind drastisch: In <strong>der</strong> Regel entsteht eine absolute<br />

Abhängigkeit <strong>vom</strong> Ehemann. Einschränkungen im Lebensstil, bei <strong>der</strong> Ausbildungs-<br />

und Berufswahl sind die häufige Folge. Zumeist sind auch Überwachung,<br />

Ausnutzung, Demütigung und infolge daraus seelische Schäden zu beklagen.<br />

Psychische und / o<strong>der</strong> physische Gewalt sind an <strong>der</strong> Tagesordnung.<br />

Nicht ohne Grund haben die Vereinten Nationen die Zwangsheirat daher als<br />

"mo<strong>der</strong>ne Form <strong>der</strong> Sklaverei" bezeichnet. Frauen und Mädchen können dieser<br />

"Ehre" (das heißt dieser Zwangsheirat) nicht entfliehen, ohne diese "Ehre" - aus<br />

<strong>der</strong> Sicht ihrer Peiniger - zu beschmutzen o<strong>der</strong> zu verletzen. Sie können positiv zu<br />

dieser "Ehre" nur beitragen, indem sie sich den Vorschriften und For<strong>der</strong>ungen des<br />

Vaters bzw. <strong>der</strong> Familie wi<strong>der</strong>spruchslos unterwerfen.<br />

Eine Flucht ist in den meisten Fällen gleichbedeutend mit einem Verlust des<br />

gesamten familiären und sozialen Umfelds und führt zur innerislamischen Ächtung<br />

und Ausstoßung.<br />

Was bleibt? In vielen Fällen Verzweiflung, Unterwerfung, Demütigung, nicht selten<br />

auch Selbstmord o<strong>der</strong> Selbstmordversuche.<br />

O<strong>der</strong>, für mich noch immer nicht nachvollziehbar, manchmal <strong>der</strong> Mord durch<br />

Familienmitglie<strong>der</strong>, wenn sich das Opfer <strong>der</strong> so genannten "Ehre" wi<strong>der</strong>setzt und<br />

aus o<strong>der</strong> vor einer Zwangsheirat flüchtet.<br />

3. Gründe für <strong>Zwangsverheiratung</strong>en<br />

Doch warum finden diese <strong>Zwangsverheiratung</strong>en überhaupt statt? Die Ehre ist <strong>der</strong> wichtigste<br />

Wert in traditionellen Familien. Die Ehre einer Familie ist in diesen traditionellen Familien an<br />

<strong>der</strong> sexuellen Reinheit - also Jungfräulichkeit - <strong>der</strong> Töchter festzumachen. Die Aufgabe <strong>der</strong><br />

Väter und Brü<strong>der</strong> ist es, diese Ehre <strong>der</strong> Töchter bzw. Schwestern (und damit <strong>der</strong> Familie) zu<br />

verteidigen. Eine Tochter wird deshalb jung verheiratet, damit die Familienehre bewahrt<br />

bleibt. Man möchte so die Verantwortung für die Ehre <strong>der</strong> eigenen Tochter an den Ehemann<br />

und dessen Familie weitergeben. Oftmals wird eine <strong>Zwangsverheiratung</strong> auch angestrebt,<br />

um die eigenen Töchter zu disziplinieren.<br />

Viele dieser Mädchen wachsen in westlichen Gesellschaften auf und wollen sich nicht mehr<br />

in alte Traditionen fügen; sie könnten sich, aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> Familie, entfremden. Es geht<br />

hier um die zwangsweise Beibehaltung <strong>der</strong> traditionellen Lebens- und Machtverhältnisse in<br />

<strong>der</strong> Familie. In vielen Fällen kommt auch <strong>der</strong> finanzielle Aspekt in Form eines Brautpreises<br />

für die Eltern hinzu.<br />

Ein an<strong>der</strong>er Grund für die Zwangsheirat ist bei Verheiratungen zwischen nahen<br />

Familienangehörigen - wie Cousins und Cousinen - die Stärkung <strong>der</strong> Familie und <strong>der</strong><br />

Wunsch, Einfluss auf die Ehepartner zu nehmen und bei Problemen eine Einflussmöglichkeit<br />

- 14 -


zu behalten. Auch geht in diesen Fällen das Heiratsgut nicht an eine fremde Familie,<br />

son<strong>der</strong>n bleibt in <strong>der</strong> eigenen Familie.<br />

Grund für eine <strong>Zwangsverheiratung</strong> mit einem Verwandten aus dem Herkunftsland ist es<br />

auch, dem Ehegatten im Rahmen des Familiennachzugs ein Aufenthaltsrecht im<br />

Bundesgebiet zu ermöglichen.<br />

Nicht zuletzt berufen sich viele Familien auf den Islam, auf Traditionen und Bräuche.<br />

4. "Zwangsheirat-Bekämpfungsgesetz“<br />

Als erste Landesregierung hat sich Baden-Württemberg intensiv mit dem Thema<br />

Zwangsheirat beschäftigt.<br />

Auf Vorschlag von Justizminister Prof. Dr. Goll hat <strong>der</strong> Ministerrat am 28. September 2004<br />

eine Bundesratsinitiative zur Bekämpfung <strong>der</strong> Zwangsheirat, das so genannte<br />

"Zwangsheirat-Bekämpfungsgesetz" sowie die Einsetzung einer Fachkommission<br />

Zwangsheirat beschlossen. Denn die Praxis zeigt, dass die bisherigen rechtlichen<br />

Instrumente nicht ausreichen, um Zwangsheirat wirksam zu bekämpfen und den Opfern<br />

angemessenen Schutz zu gewähren.<br />

Ziel unseres Gesetzentwurfs ist es, die Zwangsheirat wirksamer zu bekämpfen und im<br />

zivilrechtlichen Bereich die Rechtsstellung <strong>der</strong> Opfer von Zwangsehen zu stärken.<br />

Mit <strong>der</strong> geplanten Bestrafung <strong>der</strong> <strong>Zwangsverheiratung</strong> durch einen eigenständigen<br />

Straftatbestand im Strafgesetzbuch setzen wir das klare Zeichen, dass wir erstens wissen,<br />

dass es solche Praktiken auch bei uns gibt und dass wir zweitens keine Verhaltensweisen<br />

dulden, die für sich Spielregeln in Anspruch nehmen, die mit den Grundprinzipien unserer<br />

Rechtsordnung unvereinbar sind.<br />

Wir wollen die Zwangsheirat also eindeutig und unmissverständlich unter Strafe stellen, um<br />

so die betroffenen Mädchen und jungen Frauen besser zu schützen.<br />

Der Entwurf sieht daher die Schaffung eines neuen Straftatbestandes Zwangsheirat vor (§<br />

234 b StGB-E). Wer einen an<strong>der</strong>en mit Gewalt o<strong>der</strong> durch Drohungen zur Ehe nötigt, soll<br />

demnach künftig mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft<br />

werden. Durch eine an die Nötigung, den Menschenhandel und die Verschleppung<br />

angelehnte Regelung zum Heiratshandel wird eine bereichsspezifische Strafrechtsnorm<br />

geschaffen, die auch als politisches Signal die Zwangsheirat deutlich missbilligt und unter<br />

Strafe stellt.<br />

Ergänzt wird diese Regelung durch eine teilweise Unterstellung <strong>der</strong> Strafregeln unter das<br />

Weltrechtsprinzip (§ 6 StGB), weil sonst die Regelungen mit Auslandsbezug – also<br />

beispielsweise die Heiratsverschleppungen außerhalb des Bundesgebietes - in erheblichen<br />

Teilbereichen leer laufen würden.<br />

Der Deutsche Bundestag hat am 28. Oktober 2004 einstimmig neue Strafvorschriften<br />

gebilligt, mit denen überwiegend völker- und europarechtliche Verpflichtungen zur besseren<br />

Bekämpfung des Menschenhandels erfüllt werden. Nebenbei - und <strong>vom</strong> eigentlichen<br />

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gesetzgeberischen Anlass unabhängig - wird mit Inkrafttreten seit dem 19. Februar 2005 in §<br />

240 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 StGB festgeschrieben, dass ein beson<strong>der</strong>s schwerer Fall <strong>der</strong><br />

Nötigung vorliegt, wenn <strong>der</strong> Täter eine an<strong>der</strong>e Person „zur Eingehung <strong>der</strong> Ehe“ nötigt.<br />

Ich freue mich, dass die baden-württembergischen Aktivitäten zu dieser Neuregelung geführt<br />

haben. Diese Regelung reicht aus unserer Sicht aber bei weitem nicht aus, zumal nur unser<br />

Gesetzentwurf die verschiedenen Formen <strong>der</strong> Zwangsheirat unter Strafe stellt.<br />

Neben dem Straftatbestand schlagen wir Än<strong>der</strong>ungen im Zivilrecht vor, damit Zwangsehen<br />

leichter annulliert werden können, ohne dass die Opfer dadurch materielle Nachteile erleiden<br />

o<strong>der</strong> die Täter Vorteile erlangen.<br />

So soll die einjährige Antragsfrist (§ 1317 Abs. 1 Satz 1 BGB) für die Aufhebung einer durch<br />

wi<strong>der</strong>rechtliche Drohung geschlossene Ehe auf drei Jahre verlängert werden. Damit wird<br />

erreicht, dass die Aufhebung einer durch Zwangsheirat zustande gekommenen Ehe nicht<br />

allein wegen Ablaufs <strong>der</strong> Anfechtungsfrist ausgeschlossen ist. Der ursprünglich vorgesehene<br />

gänzliche Wegfall <strong>der</strong> Aufhebungsfrist ist dem Bundesratskompromiss geschuldet.<br />

Ferner wird § 1318 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB dahin geän<strong>der</strong>t, dass Unterhaltsansprüche des<br />

genötigten Ehegatten nicht mehr davon abhängen, dass die Drohung durch den an<strong>der</strong>en<br />

Ehegatten o<strong>der</strong> mit dessen Wissen vorgenommen worden ist. Damit wird verhin<strong>der</strong>t, dass<br />

<strong>der</strong> genötigte Ehegatte nur deshalb <strong>vom</strong> Aufhebungsantrag absieht und das<br />

Scheidungsverfahren wählt, weil er sonst unterhaltsrechtlich Nachteile zu erwarten hat.<br />

Schließlich ist die erbrechtliche Regelung des § 1318 Abs. 5 BGB für den Fall des<br />

Zustandekommens <strong>der</strong> Ehe durch wi<strong>der</strong>rechtliche Drohung zu ergänzen: Beim Tod des<br />

genötigten Ehegatten soll das gesetzliche Erbrecht des an<strong>der</strong>en Ehegatten auch dann<br />

ausgeschlossen sein, wenn noch kein Antrag auf Aufhebung <strong>der</strong> Ehe rechtshängig ist.<br />

Wie ist <strong>der</strong> Stand des Gesetzgebungsverfahrens? Der Bundesrat stimmte diesem<br />

Gesetzentwurf am 10. Februar 2006 erneut mit großer Mehrheit zu. Wir erwarten, dass<br />

dieser Gesetzesentwurf nun rasch in den Ausschüssen des Bundesrates beraten wird. Dann<br />

könnte das Zwangsheirat-Bekämpfungsgesetz noch in diesem Jahr in Kraft treten, zumal<br />

auch die Große Koalition die gesetzliche Bekämpfung <strong>der</strong> Zwangsheirat in den<br />

Koalitionsverhandlungen beschlossen hat.<br />

Mir ist klar, dass gesetzliche Än<strong>der</strong>ungen nur ein Aspekt in <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung mit<br />

<strong>Zwangsverheiratung</strong>en sind. Wenn wir als Staat aber nicht deutlich machen, dass wir die<br />

Zwangsheirat unmissverständlich als Straftat und schweres Unrecht ansehen, dass wir hier<br />

ganz klar eine rote Linie ziehen, dann wird ein Umdenken in den Köpfen nicht stattfinden.<br />

In diesem Sinne for<strong>der</strong>e ich daher von dieser Stelle aus die islamischen Organisationen im<br />

Land auf, <strong>Zwangsverheiratung</strong>en bei ihren Mitglie<strong>der</strong>n zu thematisieren und entschieden<br />

gegen diese Traditionen vorzugehen.<br />

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5. Fachkommission Zwangsheirat <strong>der</strong> Landesregierung<br />

Neben rechtlichen Verän<strong>der</strong>ungen sind vor allem auch Maßnahmen <strong>der</strong> sozialen Betreuung,<br />

<strong>der</strong> Prävention, Sensibilisierung und <strong>der</strong> Information notwendig. Daher hat die<br />

Landesregierung neben <strong>der</strong> Verabschiedung <strong>der</strong> Bundesratsinitiative unter Fe<strong>der</strong>führung des<br />

Justizministeriums die "Fachkommission Zwangsheirat" eingesetzt, <strong>der</strong>en Vorsitzen<strong>der</strong> ich<br />

bin.<br />

Der Ministerrat hatte in seiner Sitzung <strong>vom</strong> 28. September 2004 neben <strong>der</strong> Verabschiedung<br />

<strong>der</strong> Bundesratsinitiative „Zwangsheirat-Bekämpfungsgesetz“ die „Fachkommission<br />

Zwangsheirat“ eingesetzt mit dem Ziel, unter Vorsitz des Justizministeriums die vorhandenen<br />

Erkenntnisse und Erfahrungen zum Ausmaß und zu Erscheinungsformen <strong>der</strong> Zwangsheirat<br />

insbeson<strong>der</strong>e in Baden-Württemberg, aber auch bereits bestehende Maßnahmen gegen<br />

Zwangsheirat zusammenführt und auf dieser Grundlage Empfehlungen für ein breites<br />

Handlungskonzept erarbeitet.<br />

Die Fachkommission hat ihre Arbeit inzwischen abgeschlossen und ihren<br />

Kommissionsbericht am 27. Januar 2006 vorgelegt. Am 21. März 2006 wurde <strong>der</strong> Bericht im<br />

Ministerrat erörtert. Die fachlich zuständigen Ressorts prüfen im Moment, welche <strong>der</strong> von <strong>der</strong><br />

Kommission vorgeschlagenen, unstreitigen Handlungsempfehlungen geeignet und<br />

erfor<strong>der</strong>lich sind und in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich umgesetzt werden können.<br />

Das Justizministerium wird die Umsetzung <strong>der</strong> Handlungsempfehlungen koordinieren und<br />

hierüber dem Ministerrat in sechs Monaten Bericht erstatten.<br />

Im Mittelpunkt des Berichts stehen die statistische Auswertung des von <strong>der</strong> Kommission<br />

erarbeiteten Fragebogens sowie die von <strong>der</strong> Kommission erarbeiteten<br />

Handlungsempfehlungen. Die Empfehlungen umfassen sowohl Handlungsmöglichkeiten auf<br />

Landes-, als auch auf Bundes- und regionaler Ebene. Um die praktische Zielsetzung des<br />

Berichtes zu betonen, wurden zu den meisten Themenfel<strong>der</strong>n auch konkrete<br />

Empfehlungen formuliert. Dabei stehen drei Handlungsfel<strong>der</strong> im Mittelpunkt:<br />

1. die Stärkung <strong>der</strong> Opferrechte (auslän<strong>der</strong>- und sozialrechtliche Stellung <strong>der</strong><br />

Betroffenen),<br />

2. die Gewährleistung des Opferschutzes (Betreuung und Hilfsangebote für<br />

Betroffene) sowie<br />

3. <strong>der</strong> Ausbau von Prävention und Dialog (Information, Aufklärung,<br />

Sensibilisierung).<br />

Bei den vorgelegten Handlungsempfehlungen geht es nicht nur darum, einzelne<br />

Betroffene zu unterstützen, son<strong>der</strong>n auch darum, eine Abkehr von den<br />

überkommenen Traditionen und Bräuchen in den jeweiligen Migrantenfamilien zu<br />

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erreichen, um damit letzten Endes eine positive Verän<strong>der</strong>ung des politischen Klimas<br />

und <strong>der</strong> Gesellschaft insgesamt im Hinblick auf Migration und die Akzeptanz von<br />

Menschen mit Migrationshintergrund herbeizuführen.<br />

a) Statistik<br />

Lassen Sie mich zunächst auf die Ergebnisse <strong>der</strong> Umfrage <strong>der</strong> Fachkommission<br />

eingehen. Die Fachkommission hat aufgrund des Datenmangels einen Fragebogen zur<br />

Erfassung des Ausmaßes von Zwangsheirat in Baden-Württemberg entwickelt und an<br />

verschiedene Einrichtungen und Institutionen im Land verschickt. Adressaten waren neben<br />

Beratungsstellen und Frauen- und Kin<strong>der</strong>schutzhäusern u. a. Kommunalverwaltungen,<br />

Polizei, kommunale Auslän<strong>der</strong>-, Integrations- und Gleichstellungsbeauftragte, auf Familien-<br />

und Strafrecht spezialisierte Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sowie Vereine.<br />

Mit dem Fragebogen sollten Fälle von Zwangsheirat in einem Zeitraum von Januar 2005 bis<br />

Oktober 2005 erfasst werden. Erstmalig in Deutschland wurde mit diesem Fragebogen im<br />

Gegensatz zu vorherigen Umfragen genauer nach dem Zeitpunkt <strong>der</strong> <strong>Zwangsverheiratung</strong><br />

gefragt. So soll differenziert werden nach den (drohenden) <strong>Zwangsverheiratung</strong>en, die<br />

tatsächlich im Befragungszeitraum erfolgt sind und den Fällen, bei denen die Betroffenen<br />

gegebenenfalls früher zwangsverheiratet wurden, sich aber erst im Befragungszeitraum an<br />

eine Beratungs- o<strong>der</strong> Schutzeinrichtung gewandt haben.<br />

Der Fragebogen war zweigeteilt aufgebaut: Der erste Teil des Fragebogens erfasst<br />

grundsätzliche Angaben <strong>der</strong> Zwangsverheirateten bzw. von Zwangsheirat konkret bedrohten<br />

Frauen und Männer, während <strong>der</strong> zweite Teil detailiertere Informationen abfragt.<br />

Die durch den Fragebogen erhobenen Daten haben nicht den Anspruch, statistisch<br />

einwandfrei alle Fälle von Zwangsheirat in Baden-Württemberg zu erfassen bzw.<br />

repräsentativ zu sein. Denn nur die Mädchen und Frauen melden sich bei den Einrichtungen,<br />

die den Mut dazu haben und schon bereit sind o<strong>der</strong> waren, ihre Familie bzw. ihren Mann zu<br />

verlassen. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass die wenigsten <strong>der</strong> Betroffenen<br />

Kenntnis über und Vertrauen in das institutionelle Hilfesystem haben. Daher ist es nahe<br />

liegend, dass die Zahl <strong>der</strong> von Zwangsheirat betroffenen Mädchen und Frauen wesentlich<br />

höher ist als die Zahl <strong>der</strong>jenigen, die sich an das Hilfesystem wenden.<br />

Die Ergebnisse: Von Januar bis Oktober 2005 haben in Baden-Württemberg 213 Frauen und<br />

zwei Männer um Hilfe wegen drohen<strong>der</strong> o<strong>der</strong> erfolgter <strong>Zwangsverheiratung</strong> nachgesucht.<br />

105 Betroffene wurden zwangsverheiratet, 110 Betroffene sind von Zwangsheirat bedroht.<br />

Bei 46 Fällen wurde angegeben, dass aus den Zwangsheiraten Kin<strong>der</strong> hervorgegangen sind.<br />

Es liegen 83 Angaben über den Zeitpunkt <strong>der</strong> vollzogenen Zwangsheiraten vor. Der<br />

Zeitpunkt <strong>der</strong> angedrohten Zwangsheirat wurde nicht abgefragt. Danach sind von den<br />

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ekannt gewordenen <strong>Zwangsverheiratung</strong>en zehn im Jahr 2005 geschlossen worden, seit<br />

2000 sind 39 Zwangsehen zu verzeichnen.<br />

40 % <strong>der</strong> Betroffenen waren bei <strong>der</strong> Zwangsheirat min<strong>der</strong>jährig. <strong>Zwangsverheiratung</strong>en<br />

kommen vornehmlich bis zum Alter von 19 Jahren vor.<br />

76 Betroffene haben die türkische Staatsangehörigkeit, das sind fast 40 % <strong>der</strong> Betroffenen. -<br />

38 Betroffene haben die deutsche Staatsangehörigkeit, das sind fast 20 % <strong>der</strong> Betroffenen.<br />

Dabei handelt es sich aber um Deutsche, die alle einen Migrationshintergrund haben. 23 <strong>der</strong><br />

38 Betroffenen mit Migrationshintergrund sind türkischstämmig (60 %), jeweils 3 Betroffene<br />

(je 8 %) sind afghanischer, libanesischer und syrischer Herkunft.<br />

95 % <strong>der</strong> Betroffenen, von denen die Religionszugehörigkeit bekannt ist, gehören dem Islam<br />

an. Vier Betroffene sind Christen, eine Betroffene gehört dem Hinduismus an. Bei den<br />

Formen <strong>der</strong> vollzogenen und drohenden Zwangsheiraten wurde mit 44 Angaben am<br />

häufigsten die so genannte Ferienverheiratung genannt. In den meisten Fällen, nämlich bei<br />

66 % <strong>der</strong> Fälle, wurden die eigenen Eltern als die für die Zwangsheirat Verantwortlichen<br />

benannt.<br />

b) Handlungsempfehlungen <strong>der</strong> Fachkommission<br />

Zunächst hält die Kommission Än<strong>der</strong>ungen im Auslän<strong>der</strong>recht für erfor<strong>der</strong>lich: So spricht sich<br />

die Fachkommission mehrheitlich für die Anhebung des Ehegattennachzugsalters auf 18<br />

Jahre aus und empfiehlt, dass ein Visum zum Zwecke des Ehegattennachzugs nur dann<br />

erteilt werden sollte, wenn vor <strong>der</strong> Einreise Deutschkenntnisse nachgewiesen werden<br />

können, wobei in Ausnahmefällen von diesem Erfor<strong>der</strong>nis abgewichen werden kann. Eine<br />

Anhebung des Nachzugsalters auf 21 Jahre ist nicht sachgerecht und auch mit Art. 6 GG<br />

unvereinbar.<br />

Bei einer <strong>der</strong> häufigsten Formen von Zwangsheirat heiraten in Deutschland lebende<br />

Migranten Mädchen o<strong>der</strong> junge Frauen aus dem Heimatland (so genannte „Importbräute“,<br />

„Importeheleute“), die dann im Rahmen des Ehegattennachzugs nach Deutschland<br />

einreisen. Bei diesen so genannten „Importbräuten“ ist nach einer Eheauflösung o<strong>der</strong> -<br />

scheidung eine Rückkehr in den Heimatort häufig unmöglich, da sie die Familienehre verletzt<br />

haben und letztlich vogelfrei sind. Die Fachkommission schlägt daher mehrheitlich vor, in die<br />

Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz das Vorliegen einer Zwangsheirat als ein<br />

Regelbeispiel in die Erläuterungen zu § 31 Abs. 2 AufenthG aufzunehmen. Diese<br />

Anerkennung kann auch zu <strong>der</strong> gewünschten Folge führen, dass Betroffene leichter und<br />

früher den Schritt wagen, sich aus einer Zwangsheirat zu lösen, da sie hinsichtlich ihres<br />

weiteren Verbleibs im Bundesgebiet sicherer sein können. Eine gesetzliche Än<strong>der</strong>ung<br />

erscheint an dieser Stelle nicht erfor<strong>der</strong>lich.<br />

In vielen Fällen <strong>der</strong> fremdbestimmten Ausreise im Rahmen einer Heiratsverschleppung –<br />

vorkommend bei <strong>der</strong> so genannten "Ferienverheiratung" – erlischt <strong>der</strong> Aufenthaltstitel, wenn<br />

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die ausländische Staatsangehörige in das Bundesgebiet nicht innerhalb von sechs Monaten<br />

o<strong>der</strong> nach einer von <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde bestimmten längeren Frist wie<strong>der</strong> einreist. Die<br />

Fachkommission spricht sich daher mehrheitlich dafür aus, § 51 Abs. 1 Nr. 7 des<br />

Aufenthaltsgesetzes dahingehend zu än<strong>der</strong>n, dass <strong>der</strong> Aufenthaltstitel von Opfern von<br />

Zwangsheirat, die das Bundesgebiet gegen ihren Willen verlassen haben o<strong>der</strong> durch Zwang<br />

an ihrer Rückkehr gehin<strong>der</strong>t wurden, erst nach drei Jahren erlischt. Die Beweislast für das<br />

Vorliegen einer Zwangslage soll beim Opfer <strong>der</strong> Zwangsheirat liegen.<br />

Außerdem schlägt die Fachkommission mehrheitlich vor, Opfern von Zwangsheirat ein Recht<br />

auf Wie<strong>der</strong>kehr (§ 37 AufenthG) unabhängig von <strong>der</strong> Sicherung des Lebensunterhalts<br />

einzuräumen.<br />

In Anlehnung an das baden-württembergische "Kooperationskonzept Menschenhandel" soll<br />

nach Ansicht <strong>der</strong> Mehrheit <strong>der</strong> Kommissionsmitglie<strong>der</strong> auch zum besseren Schutz von<br />

Opfern von Zwangsheirat ein Kooperationskonzept zwischen Behörden, Schutzeinrichtungen<br />

und Fachberatungsstellen erarbeitet werden.<br />

Lassen Sie mich auf einige weitere zentrale Vorschläge <strong>der</strong> Fachkommission eingehen:<br />

Die Umfrage <strong>der</strong> Fachkommission hat gezeigt, dass unterschiedlichste Behörden,<br />

Institutionen, Organisationen, Lehrkräfte und Beraterinnen und Berater mit Fällen von<br />

Zwangsheirat konfrontiert und befasst sind. Gleichzeitig sind die Strukturen und<br />

Hilfemöglichkeiten regional sehr unterschiedlich. Mehrheitlich wird daher von <strong>der</strong><br />

Fachkommission eine „Zentrale Koordinierungsstelle Zwangsheirat“ gefor<strong>der</strong>t, die sich dem<br />

Thema Zwangsheirat insgesamt annimmt.<br />

Durch verstärkte Aufklärung über Zwangsheirat werden erwartungsgemäß mehr Opfer von<br />

Zwangsheirat Kenntnisse über das Hilfssystem erhalten. Die Beratung und Begleitung von<br />

Zwangsheirat bedarf spezieller Kompetenzen, die in seltenen Fällen vorhanden sind. Aus<br />

diesen Gründen wird eine spezifische mobile Beratungsstelle empfohlen, die an bestehende<br />

Einrichtungen wie z. B. ROSA in Stuttgart angebunden werden könnte.<br />

Eine gezielte Aufklärungsarbeit muss nach Meinung <strong>der</strong> Kommission in den Schulen<br />

beginnen. Lehrkräfte sollten gezielt auf diese Möglichkeiten hingewiesen und für die<br />

Umsetzung im Unterricht durch geeignete Maßnahmen unterstützt und fortgebildet werden.<br />

So könnten nach Ansicht <strong>der</strong> Kommission z. B. Materialien zum Thema Zwangsheirat über<br />

das schulische Intranet für die Lehrkräfte zur Verfügung gestellt werden.<br />

Es wird ferner angeregt, dass das Kultusministerium durch Rundschreiben an Schulämter,<br />

Schulleitungen und Kin<strong>der</strong>gärten auf entsprechende Maßnahmen bzw.<br />

Handlungsmöglichkeiten in Zusammenhang mit Zwangsheirat und „Ehrverbrechen“ hinweist.<br />

Informationskampagnen an Schulen könnten mit Unterstützung durch TERRE DES<br />

FEMMES durchgeführt werden.<br />

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Die Fachkommission befürwortet ferner die Einsetzung von Beauftragten (evtl. besetzt durch<br />

die vorhandenen und fortgebildeten Vertrauenslehrerinnen und -lehrer) an Schulen, die<br />

Schülerinnen und Schüler speziell in den Themenbereichen „Ehrendelikte“ sowie<br />

Zwangsheirat beraten und informieren und die auch als wichtige Anlaufstelle für Lehrerinnen<br />

und Lehrer dienen.<br />

Die Fachkommission empfiehlt zudem die Erstellung einer mehrsprachigen<br />

Informationsbroschüre für Betroffene sowie ein mehrsprachiges Informationsangebot im<br />

Internet.<br />

Aus <strong>der</strong> Praxis ist bekannt, dass Betroffene oftmals von einer Stelle zur an<strong>der</strong>en verwiesen<br />

werden. Daher empfiehlt die Fachkommission die Einrichtung einer Telefonberatung mit<br />

landeseinheitlicher Rufnummer. Aus <strong>der</strong> Beratungspraxis ist außerdem bekannt, dass<br />

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von zuständigen Behörden und Institutionen teilweise<br />

überfor<strong>der</strong>t sind, mit <strong>der</strong> komplexen Problematik von Zwangsheiratsopfern umzugehen.<br />

Daher wird die Erstellung eines Verhaltensleitfadens für Behörden, Praxen und Institutionen<br />

empfohlen.<br />

Die Fachkommission regt weiter an, im Rahmen <strong>der</strong> Orientierungskurse für<br />

Neuzuwan<strong>der</strong>innen und Neuzuwan<strong>der</strong>er auch eine Unterrichtseinheit „Gewalt gegen Frauen,<br />

Zwangsheirat und Ehrverbrechen“ vorzusehen. Zur besseren Erreichbarkeit <strong>der</strong> betroffenen<br />

Mädchen und jungen Männer und <strong>der</strong> Prävention durch Aufklärung <strong>der</strong> Familien ist es<br />

unerlässlich, mit muslimischen Organisationen, Vereinen und Geistlichen in Kontakt zu treten<br />

und sie in die Kampagne gegen die Zwangsheirat einzubeziehen.<br />

Um die Ursachen von <strong>Zwangsverheiratung</strong>en besser bekämpfen zu können, schlägt die<br />

Fachkommission vor, weitere Informationen über das Heiratsverhalten auch <strong>der</strong> schon<br />

länger in Deutschland lebenden o<strong>der</strong> hier geborenen Migrantinnen und Migranten sowie über<br />

die Ursachen für das entsprechende Partnerwahlverhalten einzuholen (z. B. durch<br />

entsprechende Beauftragung <strong>der</strong> FamilienForschung Baden-Württemberg im Statistischen<br />

Landesamt).<br />

Im Übrigen verweise ich auf den Kommissionsbericht, den Sie gerne in <strong>der</strong> Stabsstelle<br />

anfor<strong>der</strong>n können.<br />

6. Plädoyer für eine Kultur des Zusammenlebens<br />

Schließen möchte ich meine Ausführungen mit einem deutlichen Plädoyer:<br />

Religion und Tradition haben sich dem demokratisch legitimierten Recht in unserem Land<br />

unterzuordnen: <strong>Zwangsverheiratung</strong>en sind eine nicht hinnehmbare<br />

Menschenrechtsverletzung und ein Verbrechen.<br />

Eine Einwan<strong>der</strong>ungsgesellschaft benötigt deshalb eine verbindliche Kultur des<br />

Zusammenlebens. Der Konsens über unsere Werte und Normen als eine Art "innere<br />

Hausordnung" ist eine unerlässliche Klammer zwischen den in unserem Land lebenden<br />

Menschen, unabhängig von ihrer Religion, Ethnie o<strong>der</strong> Ursprungskultur.<br />

- 21 -


Demokratie, Rechtsstaat, die Grund- und Menschenrechte, die deutsche Sprache, die<br />

Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie die Trennung von Staat und Religion sind die<br />

für alle geltenden Fundamente unserer Gesellschaft, die niemand außer Kraft setzen darf,<br />

auch nicht mit dem Hinweis auf seine kulturellen, religiösen o<strong>der</strong> traditionellen<br />

Überzeugungen. Dieses Fundament bildet die Basis unseres Miteinan<strong>der</strong>s und steht auf<br />

keinen Fall zur Disposition. Je<strong>der</strong> und jede darf seine Kultur und Religion ausleben – im<br />

Rahmen dieses für alle verbindlichen Bezugsrahmens. Denn Freiheit heißt, sein Leben<br />

selbst bestimmen zu dürfen. Freiheit heißt nicht Beliebigkeit und grenzenlose Toleranz.<br />

Größtmögliche Freiheit für alle Menschen ist letztlich nur möglich, wenn die Spielregeln und<br />

Grundwerte unserer freiheitlichen Gesellschaft befolgt werden. Niemand darf diese<br />

verbindliche Kultur des Zusammenlebens in Frage stellen.<br />

In diesem Sinne danke ich für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf die Diskussion mit<br />

Ihnen!<br />

Kontakt:<br />

Christian Storr<br />

Leiter <strong>der</strong> Stabsstelle des Integrationsbeauftragten <strong>der</strong> Landesregierung Baden-Württemberg<br />

Justizministerium Baden-Württemberg<br />

Postfach 10 34 61<br />

70029 Stuttgart<br />

Tel. 0711 - 126 2990<br />

Fax 0711 – 126 2992<br />

Email: storr@integrationsbeauftragter.de<br />

Der Bericht <strong>der</strong> Fachkommission Zwangsheirat <strong>der</strong> Landesregierung sowie weitere<br />

Informationen zum Thema können unter www.integrationsbeauftragter.de kostenfrei<br />

abgerufen werden.<br />

- 22 -


4. Die Situation junger Migrantinnen im Kontext geschlechts-<br />

spezifischer Sozialisationserfahrungen<br />

- 23 -<br />

Collin Schubert<br />

Terre des Femmes, Tübingen<br />

Herzlichen Dank, dass ich als Fachreferentin <strong>der</strong> Frauenrechtsorganisation Terre des<br />

Femmes zum heutigen Fachtag in Mannheim eingeladen wurde.<br />

Terre des Femmes<br />

Wir begannen uns bei Terre des Femmes mit <strong>der</strong> spezifischen Gewalt an Frauen mit<br />

Migrationshintergrund auseinan<strong>der</strong>zusetzen, weil seit einigen Jahren immer mehr Frauen bei<br />

uns Hilfe suchten. Im Jahr 2005 meldeten sich 191 Migrantinnen auf unserer Hotline. Davon<br />

befürchteten 105, zwangsverheiratet zu werden, bei 121 waren bereits konkrete Drohungen<br />

von den Familienmitglie<strong>der</strong>n ausgesprochen worden. Häufig waren die Mädchen sowohl von<br />

Zwangsheirat als auch von Ehrenmord bedroht. Betroffen waren vor allem junge Frauen mit<br />

türkischem Migrationshintergrund, was mit dem hohen Anteil türkischer MigrantInnen in<br />

Deutschland zusammenhängt. Dies hat uns zum Handeln herausgefor<strong>der</strong>t.<br />

Im Jahr 2003 startete Terre Des Femmes die Kampagne „Stoppt Zwangsheirat“, im Jahr<br />

2004 die Kampagne „Nein zu Verbrechen im Namen <strong>der</strong> Ehre.“ Über die gute und effektive<br />

Zusammenarbeit mit dem Baden-Württembergischen Justizministerium hat Herr Storr von<br />

<strong>der</strong> Stabsstelle <strong>der</strong> Landesregierung heute morgen bereits berichtet.<br />

Integrationsdebatte<br />

In den Jahren zuvor war es stark tabuisiert gewesen, über solch sensible Themen wie<br />

Zwangsheirat und Ehrverbrechen zu sprechen. Es gab Berührungsängste. Der Wunsch nach<br />

Multikulturalität, oft ein falsch verstandener Toleranzbegriff haben verhin<strong>der</strong>t, dass über<br />

Verbrechen gesprochen wurde, die im Namen von Tradition und Ehre mitten in Deutschland<br />

geschahen. Doch durch die autobiografischen Berichte und Bücher betroffener Frauen,<br />

durch das parteienübergreifende Engagement <strong>der</strong> Politik gegen Zwangsheirat und durch<br />

unsere Kampagnen gelangten diese Phänomene ins Blickfeld von Öffentlichkeit und Medien.<br />

Wir sehen uns heute mit differenzierten Analysen in Fachzeitschriften und großen<br />

Tageszeitungen ebenso konfrontiert wie mit klischeehaften Abhandlungen <strong>der</strong><br />

Boulevardpresse. Zuletzt haben <strong>der</strong> Mord an dem nie<strong>der</strong>ländischen Filmemacher Van Gogh<br />

und an <strong>der</strong> Deutschtürkin Hatun Sürücü in Berlin Schlagzeilen gemacht.<br />

Ich nehme an, dass Sie, liebe Anwesende, als Fachpublikum über Ursprung und Motive <strong>der</strong><br />

„klassischen“ Ehrverbrechen gut informiert sind. Deshalb möchte ich heute von den


Ursachen und Umständen sprechen, die zu diesen spezifischen<br />

Menschenrechtsverletzungen führen können.<br />

1. Wie sind die Sozialisationsbedingungen von Jungen und Mädchen in einem<br />

spezifischen konservativen Einwan<strong>der</strong>ungsmilieu?<br />

2. Wie steht es mit <strong>der</strong> Integration?<br />

3. Was bedeutet Ehre?<br />

4. Welchen Einfluss nimmt <strong>der</strong> organisierte politische Islam auf das Leben von Frauen?<br />

Das Thema ist breit, ich möchte Denkanstösse geben und Sie zu einer vertieften<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung anregen.<br />

Ich möchte nicht stigmatisieren o<strong>der</strong> gängige Klischees über „die Migrantinnen“ bedienen.<br />

Ich möchte nicht den Eindruck erwecken dass jede Migrantin Opfer patriarchalischer<br />

Strukturen ist. Deshalb ist mir wichtig zu betonen, dass <strong>der</strong> überwiegende Teil <strong>der</strong><br />

Zuwan<strong>der</strong>er längst hier angekommen ist, unsere Gesellschaft bereichert und belebt.<br />

Migrantinnen leben grundverschieden. Es gibt, um nur ein Beispiel zu nennen, erfolgreiche<br />

Rechtsanwältinnen, Politikerinnen und Geschäftsfrauen, die nicht als „die Migrantin“ in <strong>der</strong><br />

Öffentlichkeit sichtbar werden. Es wächst aber parallel dazu die Zahl <strong>der</strong> Mädchen, die<br />

schon mit 12 o<strong>der</strong> 13 Jahren ein Kopftuch tragen. Es steigt scheinbar die Zahl von Frauen,<br />

die quer durch die BRD vor ihren Familien auf <strong>der</strong> Flucht sind. Es leben seit Jahrzehnten<br />

Frauen unter uns, die kaum Deutsch sprechen, so dass ihre Kin<strong>der</strong> die deutsche Sprache<br />

mühsam erst in <strong>der</strong> Grundschule erlernen können. Da sind zwei Welten. Wir und Sie haben<br />

hauptsächlich mit den Menschen tun, denen die Integration nicht geglückt ist. Mit ihren<br />

Problemen wollen wir uns heute auseinan<strong>der</strong>setzen.<br />

Bei Zwangsheirat und Ehrenmorden handelt es sich nicht um medial wirksam vermarktete<br />

Einzelfälle, son<strong>der</strong>n es sind die Spitzen eines Eisbergs, denn darunter liegt häufig die ganz<br />

alltägliche Gewalt, <strong>der</strong> Frauen aus manchen Familien mit Migrationshintergrund ausgesetzt<br />

sind. Sie ertragen diese Gewalt oft jahrelang,<br />

- weil sie Angst haben, durch Sichtbarmachen des Problems ihre Familie zu verraten<br />

- weil sie nicht wissen, dass es Beratungsstellen gibt,<br />

- weil ihnen <strong>der</strong> Mut fehlt, sich an sie zu wenden<br />

- o<strong>der</strong> weil sie gar glauben, ein Mann habe allein aufgrund seines biologischen<br />

Geschlechts das Recht, psychische o<strong>der</strong> physische Gewalt auszuüben.<br />

Dieses Denken ist teilweise stark verinnerlicht. Trotz einer besseren Gesetzeslage seit 2005<br />

in <strong>der</strong> Türkei belegt eine aktuelle Studie <strong>der</strong> angesehenen Bosporus-Universität in Istanbul :<br />

71% <strong>der</strong> untersuchten türkischen Männer und Frauen sehen die Rolle <strong>der</strong> Frau darin, ihrem<br />

Mann zu dienen. Zwanzig Prozent finden sogar, dass <strong>der</strong> Mann eine Frau schlagen dürfe.<br />

Diese Einstellungen werden über Heiratsmigration auch nach Deutschland transportiert.<br />

- 24 -


Häusliche Gewalt<br />

Auch in Deutschland ist häusliche Gewalt lange Zeit eine private Sache gewesen. Erst seit<br />

1997 ist die Vergewaltigung in <strong>der</strong> Ehe strafbar. Erst im Jahr 2002 wurde das<br />

Gewaltschutzgesetz von <strong>der</strong> rot-grünen Regierung eingeführt.<br />

Nach einer Studie des Bundesinnenministeriums 2004 geben 30% aller Frauen, die einen<br />

deutschen Pass besitzen an, häusliche Gewalterfahrung zu haben. Demgegenüber geben<br />

49% von Frauen mit Migrationshintergrund an, innerfamiliäre Gewalt erfahren zu haben.<br />

Überdurchschnittlich häufig sind Flüchtlingsfrauen und Frauen türkischer Nationalität<br />

betroffen.<br />

Wir wollen uns Gedanken machen, warum das so ist.<br />

Der Titel einer <strong>Fachtagung</strong> 2005 zu diesem Komplex lautete:<br />

„Wer sein Kind nicht schlägt hat später das Nachsehen“. Das gleichnamige Buch von Ahmet<br />

Toprak greift ein türkisches Sprichwort auf und bringt das Erziehungsverständnis mancher<br />

konservativer Familien mit Migrationshintergrund auf den Punkt: Die Bestrafung von Kin<strong>der</strong>n<br />

ist ein gängiges Erziehungsmittel. Vielen Eltern ist es nicht einmal bewusst, dass sie Gewalt<br />

anwenden, wenn sie ihre Kin<strong>der</strong> bestrafen. Aus unterschiedlichen Gründen haben sich hier<br />

patriarchale Denkmuster erhalten, während auf an<strong>der</strong>en Gebieten, zum Beispiel im<br />

wirtschaftlichen Bereich, die Mo<strong>der</strong>nisierung und Liberalisierung <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

vorangeschritten ist. Diese geht in <strong>der</strong> Regel auch mit einer Neudefinition von<br />

Erziehungsvorstellungen und <strong>der</strong> Rolle <strong>der</strong> Frau einher. Das scheint aber nur ansatzweise<br />

gelungen.<br />

Auch in unserer Gesellschaft war Jahrhun<strong>der</strong>te lang die Vorstellung verbreitet, dass Schläge<br />

zur Erziehung gehören. Ein Klaps kann doch nichts schaden! An die Stelle <strong>der</strong><br />

Prügelpädagogik von einst trat mit <strong>der</strong> Reformpädagogik ein Modell von<br />

Persönlichkeitsentwicklung, das auf Selbstverantwortung und den Aufbau einer Ich-Identität<br />

basiert. Nun erschrecken wir, wenn wir bei unserer Arbeit mit überholten Erziehungszielen<br />

konfrontiert werden.<br />

Kulturkonflikt<br />

Es gibt in Fachkreisen eine lebhafte Diskussion um den Begriff „Kulturkonflikt“, um das<br />

Leben im Spannungsfeld zwischen zwei Kulturen. Die allgemeine These ist: Dass so viele<br />

Zuwan<strong>der</strong>er sich hier orientierungslos und verloren fühlen, habe vor allem mit den Fehlern<br />

<strong>der</strong> deutschen Integrationspolitik zu tun. Niemand wird leugnen dass es viele Versäumnisse<br />

gab. Doch in <strong>der</strong> Anfangszeit <strong>der</strong> Migration, bereits unter Konrad Adenauer, dachten sowohl<br />

die Deutschen als auch die Zuwan<strong>der</strong>er noch nicht an Integration. Die meisten türkischen<br />

Migranten waren als „Gastarbeiter“ aus ländlichen, strukturschwachen Gebieten ihres<br />

Landes und aus bildungsfernen Schichten nach Deutschland gekommen – und wollten nach<br />

<strong>der</strong> Aufbauphase wie<strong>der</strong> in ihre Heimat zurückkehren.<br />

- 25 -


(Ich beziehe mich in <strong>der</strong> Folge vor allem auf Menschen mit türkischem<br />

Migrationshintergrund, weil sie die größte Gruppe in Deutschland stellen.)<br />

Erst ab den 70er Jahren zeigte sich, dass die Arbeitsmigration nicht auf Zeit, son<strong>der</strong>n auf<br />

Dauer angelegt war. So begann man erst allmählich nach Konzepten für Integration zu<br />

suchen. Diese gestaltete sich unter an<strong>der</strong>em auch schwierig, weil sich die starke Bindung<br />

<strong>der</strong> ersten Einwan<strong>der</strong>er-Generation an die Heimat für Menschen <strong>der</strong> zweiten und dritten<br />

Generation als Integrationshemmnis erwies. So waren viele junge Migranten zwischen den<br />

heimatlichen Traditionen, an denen sich die Familien nach wie vor orientierten, und den<br />

an<strong>der</strong>s lautenden For<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Mehrheitsgesellschaft hin und her gerissen.<br />

Die Probleme wurden drängen<strong>der</strong>, als in den 80-er Jahren die Arbeitslosigkeit vor allem die<br />

große Zahl gering qualifizierter ausländischer Mitbürger traf. Heute fehlt vor allem<br />

Jugendlichen ohne Schulabschluss und Ausbildungschancen die gesellschaftliche<br />

Anerkennung. Das führt dazu, dass sich die Probleme Jugendlicher in sozialen<br />

Brennpunkten verschärfen.<br />

Viele Zuwan<strong>der</strong>er ziehen sich in ethnische Nischen zurück. Sie versuchen Identität zu<br />

bewahren, indem sie stärker als früher auf traditionelle Werte und alte Ordnungen<br />

zurückgreifen. Diese Rückwendung bewirkt auch einen Wandel beim Rollenverständnis <strong>der</strong><br />

Geschlechter – es wird traditioneller und „die Familienehre“ spielt wie<strong>der</strong> eine größere Rolle.<br />

Fallbeispiel Ulericka<br />

Wie sehr <strong>der</strong> Ehrenkodex auch heute noch das Denken vieler Männer bestimmt, zeigt ein<br />

„Fall“ aus Tübingen. Die 16-jährige Ulericka G. starb durch die Hand ihres Vaters im Frühjahr<br />

2003. Ihre Eltern waren aus dem Kosovo nach Deutschland gekommen und lebten schon<br />

seit 15 Jahren in Tübingen. Wegen andauern<strong>der</strong> Misshandlungen in <strong>der</strong> Ehe hatte sich die<br />

Frau des Täters allerdings von ihm getrennt. Die älteste gemeinsame Tochter Ulericka wollte<br />

ebenso frei leben wie ihre deutschen Freundinnen. Ihre aufgeschlossene Mutter unterstützte<br />

sie dabei. Ulericka kleidete sich modisch, war Schulsprecherin und hatte einen Freund, <strong>der</strong><br />

ebenfalls aus dem Kosovo stammte, wenn auch aus einer an<strong>der</strong>en Ethnie. All dies war für<br />

den Vater nicht hinnehmbar, denn er hatte die patriarchalischen Wertvorstellungen seiner<br />

Heimat noch stark verinnerlicht. Von seiner Tochter erwartete er vor allem Fügsamkeit,<br />

Zurückhaltung und Respekt. Als ihm mit Drohen und Schlagen nicht gelang seine<br />

Vorstellungen von Ehre durchzusetzen, fühlte er sich machtlos und fürchtete einen<br />

Gesichtsverlust im Bekanntenkreis. Trotz Hausverbot drang er eines Abends in seine<br />

ehemalige Wohnung ein und erwürgte seine Tochter.<br />

Wegen Mordes aus nie<strong>der</strong>en Beweggründen wurde Ulerickas Vater zu lebenslanger<br />

Haftstrafe verurteilt. Doch noch heute im Gefängnis hat er kein Unrechtsbewusstsein, denn<br />

er glaubt, im Einklang mit seiner Tradition gehandelt zu haben.<br />

- 26 -


Sozialisationsbedingungen<br />

Welches Regelwerk zwingt einen Vater, seine Tochter zu töten? Und welche Rolle spielt die<br />

„Ehre“ bei <strong>der</strong> Erziehung junger Menschen?<br />

„Die Ehre ist wichtiger als das Leben“ – dieses Sprichwort spiegelt die Grundüberzeugung in<br />

vielen patriarchalischen Gesellschaften von Marokko bis Afghanistan wi<strong>der</strong>. Sie durchzieht<br />

die traditionelle Erziehung und legitimiert weitergehend Gewalt an Frauen.<br />

Man hat Erziehungsdispositionen türkischer Familien untersucht, wobei das erzieherische<br />

Verhalten wesentlich <strong>vom</strong> Ausbildungsniveau <strong>der</strong> Eltern determiniert ist.<br />

Nach einer Studie des Soziologen Bernhard Nauck gibt es bei den Erziehungszielen eine<br />

klare Hierarchie:<br />

- Behütung hat Priorität<br />

- Es folgt die Umsetzung des autoritären Erziehungsstils<br />

- Den letzten Rang nehmen liberale Einstellungen <strong>der</strong> Eltern gegenüber den<br />

Wünschen ihrer Kin<strong>der</strong> ein.<br />

Hierarchisch sind auch die Geschlechterrollen verteilt:<br />

- Dem männlichen Kind wird wesentlich mehr Bedeutung geschenkt im Hinblick auf<br />

seine spätere Rolle als Familienoberhaupt<br />

- Mädchen werden in sehr traditionellen Familien oft als Last empfunden, denn ab <strong>der</strong><br />

Pubertät stellen sie eine ständige Bedrohung <strong>der</strong> Familienehre dar.<br />

Jungen und Mädchen müssen sich schon früh an geschlechtsspezifische Normen halten, die<br />

von den jungen Menschen nicht kritisch hinterfragt werden dürfen.<br />

Jungen und Mädchen werden bis zum Alter von etwa 4 Jahren „gleich, frei und liebevoll“<br />

erzogen. Dann kommt ein Bruch: die Individualität des Kindes wird unterdrückt, weil das<br />

Erziehungsideal Anpassung und nicht Selbständigkeit ist. Der junge Mensch wird in die<br />

Gemeinschaft hinein erzogen. In diesem Familiendenken ist <strong>der</strong> Mensch kein einzigartiges<br />

Individuum son<strong>der</strong>n ein Sozialwesen. Das hat zwei Seiten:<br />

Die emotionale, die Geborgenheit vermittelt und die einengende: „du gehörst uns!“<br />

Bereits zwischen dem 6. und 9. Lebensjahr wird geschlechtsspezifisches Verhalten eingeübt:<br />

Mädchen werden von den Müttern erzogen, lernen Haushaltspflichten und Einschränkungen<br />

Kennen; die Söhne „gehören“ ab dann den Vätern und gehen mit ihnen in die Moschee, auf<br />

den Fußballplatz o<strong>der</strong> ins Kaffeehaus. So werden Jungs schon früh dazu erzogen, sich von<br />

<strong>der</strong> Mutter zu distanzieren. Sie lernen auch, weibliche Autorität zu missachten.<br />

Männliche Jugendliche werden zu Hause oft wie Prinzen erzogen, schwankend zwischen<br />

permissiv und überbehütend, zwischen Zärtlichkeit und Brutalität. Weil die Jungen in <strong>der</strong><br />

Familie kaum Sanktionen erfahren, bildet sich oft bald das typische Pascha-Syndrom aus.<br />

- 27 -


Wenn diese dann in <strong>der</strong> Schule o<strong>der</strong> bei Kameraden mit <strong>der</strong> gesellschaftlichen Realität<br />

konfrontiert werden, kommt es zum Absturz ihres Selbstwertgefühls. Ein schulisches<br />

Leistungsdefizit kompensieren sie dann nicht durch größere Anstrengung in dem Bereich,<br />

stattdessen empfinden sie die Ermahnungen des Lehrers als unverdient und kränkend: „Der<br />

ist schuld, warum ist <strong>der</strong> so blöd?“ Die Jungen haben nicht gelernt, mit Frustration und<br />

Verzicht umzugehen. Häufig kommt es dann zu Gewalt gegen körperlich und sozial<br />

Schwächere - das sind vor allem Schwestern, Kusinen, Lehrerinnen. Viele Pädagoginnen<br />

sprechen von extrem abwertendem Verhalten dieser verunsicherten Jungs ihnen gegenüber.<br />

Inge Sewig, Lehrerin an einer Berliner Hauptschule sagt: „Mir zeigen türkische Jungs, dass<br />

ich als Frau nichts wert und keine Respektsperson bin.“<br />

Wenn heranwachsende Jungs vorrangig auf Werte wie Dominanz, keine Gefühle zeigen,<br />

falsches Heldentum setzen, entstehen falsche Leitbil<strong>der</strong>, die später schwer zu korrigieren<br />

sind und Integration erschweren.<br />

Christian Pfeiffer, Leiter des kriminologischen Forschungsinstituts Nie<strong>der</strong>sachsen, meint<br />

bezugnehmend auf seine Forschungsergebnisse: „Hier tickt eine Zeitbombe“.<br />

Repräsentative Langzeituntersuchungen (<strong>der</strong>s.) zeigen, dass 6% <strong>der</strong> Täter die Hälfte aller<br />

Jugendstraftaten verüben. Zu diesem harten Kern gehört je<strong>der</strong> zehnte türkische, aber nur<br />

je<strong>der</strong> 33. deutsche Junge. Dabei neigen Jugendliche, die <strong>der</strong> Kultur <strong>der</strong> „männlichen Ehre“<br />

verpflichtet sind, die häusliche Gewalt o<strong>der</strong> soziale Benachteiligung ihrer Familien erleben,<br />

mehr zu Gewalttätigkeit als an<strong>der</strong>e. Auch <strong>der</strong> überproportional hohe Medienkonsum in<br />

diesen Kreisen spielt eine Rolle.<br />

Erst in letzter Zeit wird den spezifischen Problemen männlicher Jugendlicher mehr<br />

Aufmerksamkeit geschenkt. Integration kann nur gelingen, wenn wir auch die jungen Männer<br />

erreichen und darüber hinaus die männliche Gesellschaft überhaupt, die dieses Denken<br />

immer wie<strong>der</strong> reproduziert, for<strong>der</strong>t <strong>der</strong> Pädagoge Ahmet Toprak, <strong>der</strong> im Rahmen seiner<br />

Arbeit auch Anti-Agressionskurse für straffällig gewordene türkische Jugendliche anbietet.<br />

Das Erziehungsideal für Mädchen ist ein ganz an<strong>der</strong>es: Anpassung wird belohnt,<br />

Eigenwilligkeit und das Entwickeln von Selbstbewusstsein werden nicht geför<strong>der</strong>t, denn<br />

Mädchen werden dazu erzogen, später einmal gute Ehefrauen und Mütter zu werden und<br />

sich den Wünschen <strong>der</strong> wichtigen Personen in <strong>der</strong> Familie – Vater, Brü<strong>der</strong>, Schwiegermutter<br />

– unterzuordnen. Alle Regeln, die darauf hinauslaufen, haben Mädchen ab dem 9.<br />

Lebensjahr bereits verinnerlicht. Mit 12 Jahren wissen sie schon genau: „Was kann ich tun?<br />

Was muss ich lassen?“ Mit Blick auf die spätere Ehe legen viele Eltern weniger Wert auf die<br />

schulische und berufliche Ausbildung ihrer Töchter. Oft sind Eltern aber auch aufgrund <strong>der</strong><br />

fehlenden Sprachkenntnisse nicht in <strong>der</strong> Lage, ihre Kin<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Schule zu unterstützen.<br />

Für Mädchen wird so die Schule zum Freiraum, in dem sie unbeaufsichtigt, ohne die<br />

täglichen Pflichten zu Hause, ihre Begabungen entfalten können. LehrerInnen sollten junge<br />

Migrantinnen aktiv unterstützen. Zum Beispiel kann nicht akzeptiert werden, dass<br />

- 28 -


muslimische Schülerinnen <strong>vom</strong> Sexualkunde- o<strong>der</strong> Sportunterricht o<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Teilnahme<br />

an Klassenfahrten befreit werden.<br />

Mädchen sind häufig motivierter und ehrgeiziger als Jungen. Durch ihre Selbständigkeit<br />

entfernen sie sich innerlich von <strong>der</strong> Familie. Dann kann es geschehen, dass diese<br />

Entwicklung von den Eltern mit Sorge und Misstrauen beobachtet wird. Wird unsere Tochter<br />

„verwestlichen“, unsere Traditionen nicht mehr respektieren? Ein Ausscheren könnte dem<br />

Ruf <strong>der</strong> Familie in den Augen <strong>der</strong> Gemeinschaft schaden.<br />

Die Ängste <strong>der</strong> Eltern können dazu führen, dass <strong>der</strong> Aktionsradius <strong>der</strong> Mädchen weiter<br />

eingeschränkt wird. Viele Mädchen klagen, dass sie von Freizeitaktivitäten an <strong>der</strong> Schule<br />

abgehalten werden, dass ihnen verboten wird, sich nachmittags mit Freundinnen zu treffen.<br />

Brü<strong>der</strong> und Cousins spielen sich als selbsternannte Sittenwächter auf.<br />

Um dem Zerfall <strong>der</strong> familiären Ordnung vorzubeugen, ist es für viele Eltern legitim, Gewalt<br />

anzuwenden. Es gibt ein Recht, sogar eine Pflicht zur Disziplinierung, wenn junge Frauen<br />

damit auf den „richtigen Weg“ zurückgeführt werden können. In diesem Zusammenhang<br />

spricht Jan Kizilhan von externalisieren<strong>der</strong> und internalisieren<strong>der</strong> Kultur. Bei <strong>der</strong><br />

internalisierenden Kultur westlicher Län<strong>der</strong> zum Beispiel bemüht man sich, durch die<br />

Verinnerlichung von Verhaltensrichtlinien ein Gewissen aufzubauen, so dass <strong>der</strong> junge<br />

Mensch lernt, eigene Verantwortung zu übernehmen.<br />

Bei <strong>der</strong> externalisierenden Kultur, also weitgehend in patriarchalen Gesellschaften, glaubt<br />

man, allein durch strenge Kontrolle <strong>der</strong> situativen Faktoren zum Erziehungsziel zu kommen.<br />

Diese starke soziale Kontrolle lässt dem Einzelnen nur einen geringen persönlichen<br />

Freiraum. Es zählt das Kollektiv.<br />

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass diese rein patriarchalisch<br />

strukturierten Familien nur eine von vielen Ausprägungen sind. Modelle sind immer<br />

holzschnittartig. Wir alle kennen liberale, weltoffene Familien, wir wissen von Eltern, die sich<br />

für ihre Kin<strong>der</strong> vor allem Bildungschancen und sozialen Aufstieg wünschen. Dass<br />

Migrantenkin<strong>der</strong> in unserem dreigliedrigen Schulsystem jedoch benachteiligt sind zeigt die<br />

jüngste OECD-Studie.<br />

Familienehre<br />

Ein kurzer Exkurs zur Bedeutung von Ehre, über die so viel gesprochen wird.<br />

In vielen traditionellen Gesellschaften ist „Ehre haben“ Grundbedingung des<br />

Zusammenlebens, denn ohne Ehre kann eine Familie sozial nicht überleben.<br />

Im Türkischen gibt es verschiedene Formen von Ehre, da ist zum Beispiel Seref, die<br />

Achtung, die ein Mensch in <strong>der</strong> Öffentlichkeit genießt. Zentrale Bedeutung hat aber „Namus“,<br />

die Ehre, die das Verhältnis zwischen Mann und Frau definiert und sich auf die „Würde“ von<br />

Frauen bezieht.<br />

- 29 -


Frauen sind ehrenhaft, wenn sie zurückhaltend, sittsam und keusch sind. Dazu gehört vor<br />

allem, dass ein Mädchen als Jungfrau in die Ehe geht. Die Angst hier zu versagen ist so<br />

stark, dass viele Mädchen auch in Deutschland glauben: „Wenn ich meine Jungfräulichkeit<br />

verliere, muss ich Selbstmord begehen.“<br />

Männer sind ehrenhaft, wenn sie ihre Frauen schützen und die Kontrolle über sie aufrecht-<br />

erhalten können. Männern ist es indirekt erlaubt, vor und während <strong>der</strong> Ehe auch an<strong>der</strong>e<br />

sexuelle Kontakte zu haben. Hier wird uns die Doppelmoral dieses Ehrbegriffs noch einmal<br />

deutlich vor Augen geführt. Wi<strong>der</strong>setzt sich eine Frau den jeweiligen Normen, muss sie mit<br />

drastischen Konsequenzen rechnen. Sie kann erpresst, verstoßen o<strong>der</strong> im schlimmsten Fall<br />

ermordet o<strong>der</strong> zum Selbstmord gedrängt werden. Die Form <strong>der</strong> Bestrafung beschließt in <strong>der</strong><br />

Regel <strong>der</strong> Familienclan.<br />

Auch die männlichen Familienmitglie<strong>der</strong> sind einem enormen Druck ausgesetzt. Denn<br />

kommen sie ihrer „Pflicht“ nicht nach, droht ihnen die Ächtung innerhalb <strong>der</strong> community.<br />

Entwicklungen<br />

Doch auch hier ist einiges in Bewegung gekommen: Junge Frauen verweigern sich häufiger<br />

als früher den familiären Erwartungen. Kenan Kolat, <strong>der</strong> Vorsitzende <strong>der</strong> türkischen<br />

Gemeinde in Berlin, stellt einen zunehmenden Wi<strong>der</strong>stand gegenüber den von Eltern<br />

verordneten Heiratsplänen fest.<br />

Es gibt aber auch die gegenläufige Entwicklung.<br />

Nach einer Studie des Zentrums für Türkeistudien aus dem Jahr 2005 orientieren sich<br />

Jugendliche mit niedriger Bildung und wenig Selbstwertgefühl oft stärker als ihre Eltern an<br />

traditionellen Werten. Auch <strong>der</strong> Grad von Religiosität hat sich verän<strong>der</strong>t. Während vor fünf<br />

Jahren 15% <strong>der</strong> türkischen Zuwan<strong>der</strong>er in Kultur- und Moschee-Vereinen organisiert waren,<br />

sind es heute ca. 36%. Diejenigen, die eine religiös-konservative Einstellung vertreten,<br />

organisieren sich eher in doktrinären Moscheevereinen. Je häufiger diese Gruppe die<br />

Moschee besucht, umso mehr verliert sie das Interesse an <strong>der</strong> Mehrheitsgesellschaft und<br />

ihren Angeboten.<br />

Politischer Islam<br />

Mehr Einfluss auf den Teil <strong>der</strong> Migrationsgesellschaft, <strong>der</strong> sich bereits in einer Parallelwelt<br />

eingerichtet hat, nimmt seit einiger Zeit <strong>der</strong> politische Islam. In Deutschland sind dessen<br />

Akteure schillernd und heterogen, gemeinsam ist ihnen: sie missbrauchen die Religion für<br />

politische Zwecke. Ich trenne zwischen Islam als Religion und Islamismus als politische<br />

Ideologie. Auch in Deutschland wollen Fundamentalisten für Muslime langfristig eine<br />

konservativ-orthodoxe Gesellschaftsordnung einführen, die sich an den Regeln <strong>der</strong> Scharia<br />

orientiert. Sie wollen die Gesellschaft islamisieren. Der Testlauf wurde schon in Kanada<br />

gemacht, einen Vorstoß gibt es aktuell in Schweden. Hier geht es nicht um<br />

- 30 -


Gewaltbereitschaft; einige islamistische Strömungen in Deutschland versuchen viel mehr<br />

auf legalistische Weise, die Gesellschaft zu durchdringen und Institutionen zu<br />

unterwan<strong>der</strong>n. Und dies geschieht oft ganz unbemerkt. Wer sich mit den Zielen dieser<br />

Gruppen beschäftigen möchte, findet Hinweise unter <strong>der</strong> jeweiligen Homepage im Internet.<br />

Das Weltbild dieser politischen Akteure ist hierarchisch-patriarchal. Deshalb kann eine Frau<br />

als gleichberechtigte Partnerin nicht akzeptiert werden. Vielmehr geht es darum, die<br />

traditionelle Frauenrolle fest zu schreiben. Politische Gruppen versuchen, aus dem Koran<br />

abzuleiten, dass Männer und Frauen getrennt nach Geschlechtern leben sollen, dass eine<br />

Frau sich bedecken und männlichen Wertvorstellungen unterordnen muss.<br />

Die Soziologin Maria Mies geht einen Schritt weiter und schreibt in ihrem Essay „Gott und<br />

die Globalisierung“:<br />

„Es verwun<strong>der</strong>t nicht, dass die Fundamentalisten glauben, dass „das Böse“ vor allem in den<br />

Frauen Fleisch geworden ist. Die Geschlechterpolitik ist <strong>der</strong> wichtigste Bestandteil <strong>der</strong><br />

politischen Agenda. Zieht man diesen Kern von dem gesamten Ideologiekomplex ab, dann<br />

fällt er in sich zusammen.“<br />

Dennoch fasziniert die weltweit sich ausbreitende Bewegung auch Frauen, und Frauen<br />

werden von <strong>der</strong> Bewegung geschickt instrumentalisiert und gezielt eingebunden. Als<br />

eloquente Funktionärinnen – smart und engagiert – wirken sie bei Dialogveranstaltungen<br />

von Verbänden und Stiftungen in die Mehrheitsgesellschaft hinein.<br />

Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite haben dieselben Frauen die Verpflichtung, im eigenen Umfeld die<br />

klassische Rollenverteilung zu propagieren, also die Beschränkung <strong>der</strong> Frau auf Hausfrau-<br />

und Muttersein.<br />

Der politische Islam hat viele Facetten und vor allem: er ist von einer Grauzone umgeben.<br />

Wir brauchen mehr und bessere Informationen um den Dialog auch mit den politischen<br />

Gruppen aufnehmen zu können. Bei aller Offenheit: unsere demokratischen Positionen<br />

dürfen dabei nicht verhandelbar sein – wir müssen sogar deutlicher als bisher dafür<br />

eintreten. Wenn es <strong>der</strong> Ideologie des politischen Islam gelänge, hier in Deutschland<br />

„anzukommen“, würden viele Integrationsbemühungen fragwürdig werden.<br />

Junge Frauen, die in einem politischen o<strong>der</strong> sehr traditionellen Umfeld aufwachsen, sind<br />

einem großen Anpassungsdruck ausgesetzt. Oft ertragen sie Demütigung, Unterdrückung<br />

und Gewalt, weil sie dem Ansehen <strong>der</strong> Eltern nicht schaden wollen. Eine drohende<br />

Zwangsheirat bringt das Fass aber oft zum Überlaufen. Ganz kurz deshalb zum letzten<br />

Thema:<br />

Zwangsheirat<br />

Was ist Zwang, was ist arrangiert beim Heiraten? ExpertInnen streiten sich darum und das<br />

zeigt: Haarscharf trennen lassen sich die beiden Bereiche nicht, denn Normen und Werte<br />

- 31 -


sind in <strong>der</strong> Regel stark verinnerlicht. Vielleicht ist bereits Zwang, was von <strong>der</strong> Familie noch<br />

als arrangiert bezeichnet wird?<br />

Bislang liegen keine repräsentativen Studien über das Ausmaß von Zwangsheirat vor. Bei<br />

den vorhandenen Untersuchungen wird von einer sehr hohen Dunkelziffer ausgegangen.<br />

Allein in Berlin gaben im Jahr 2004 270 Frauen offiziell an, zwangsverheiratet worden zu<br />

sein.<br />

In Baden-Württemberg meldeten sich im Verlauf von 10 Monaten 213 Frauen und zwei<br />

Männer bei Beratungsstellen. 105 Betroffene wurden zwangsverheiratet und 110 Betroffenen<br />

wurde <strong>Zwangsverheiratung</strong> angedroht. 18% <strong>der</strong> Betroffenen sind min<strong>der</strong>jährig.<br />

Wege von Zwangsheirat:<br />

- 10 000 junge Frauen reisen jährlich aus <strong>der</strong> Türkei nach Deutschland ein, um hier mit<br />

türkischen Männern verheiratet zu werden.<br />

- Ungefähr gleich häufig werden junge Männer aus <strong>der</strong> Türkei nach Deutschland<br />

geholt, um mit Cousinen o<strong>der</strong> nahen Verwandten verheiratet zu werden.<br />

- Ein häufiger Weg ist, junge Frauen, die in Deutschland aufgewachsen sind, in den<br />

Schulferien zur Heirat in die Heimat zu verschleppen.<br />

Bei sehr jungen Frauen wird die Ehe auch in Deutschland formell nur vor einem Iman o<strong>der</strong><br />

Hodscha geschlossen und erst später standesamtlich nachgeholt.<br />

Das Leiden dieser jungen Mädchen, die seelisch und körperlich unausgereift in eine fremde<br />

Familie gegeben werden, lässt sich kaum ermessen.<br />

Der türkische Sexualtherapeut Halis Cicek in Berlin beschreibt, wie erzwungene Ehen zu<br />

lebenslangen Traumata und psychosomatischen Leiden führen können. Viele junge Frauen<br />

sind depressiv o<strong>der</strong> haben bereits Suizidversuche hinter sich.<br />

Heiratsmotive:<br />

Ein Motiv, warum junge Frauen ihren Partner nicht selbst wählen können, ist die weit<br />

verbreitete Einstellung, dass die Ehe keine private Angelegenheit von zwei Personen<br />

darstellt, son<strong>der</strong>n vielmehr ein Zweck-Bündnis zweier Familien. Auch hier zählt die<br />

Gemeinschaft und nicht das Individuum. Und man sagt: die Liebe kommt später.<br />

In sehr traditionellen Familienclans wird häufig schon kurz nach <strong>der</strong> Geburt <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> die<br />

spätere Heirat abgesprochen, denn viele Eltern sehen in ihren Kin<strong>der</strong>n ganz<br />

selbstverständlich ein Eigentum, über das sie bestimmen können.<br />

Weitere Motive können sein:<br />

- Die finanzielle Absicherung <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Heimat verbliebenen Familie <strong>der</strong> Braut o<strong>der</strong><br />

des Bräutigams<br />

- Heirat als Disziplinierungsmaßnahme. Hier soll die Ehe innerhalb <strong>der</strong> eigenen Ethnie<br />

einer drohenden „Verwestlichung“ von Mädchen vorbeugen<br />

- 32 -


- Junge Männer in Deutschland heiraten gern eine junge Frau aus dem Heimatland,<br />

weil diese noch „unverdorben“ und nach den alten Regeln erzogen ist.<br />

Der neueste Trend: die Eltern präsentieren dem Mädchen drei o<strong>der</strong> vier Partner zur Wahl.<br />

Einen von ihnen muss sie wählen, was einer „freien“ Partnerwahl gleichkommen soll.<br />

Alle internationalen Konventionen ächten Zwangsheirat. Die türkischstämmige Autorin Serap<br />

Cileli nennt sie „eine Vergewaltigung auf Lebenszeit“.<br />

Resumée<br />

Wie ich zu Beginn sagte, ist inzwischen eine breite Diskussion über die Gewalt, die<br />

Migrantinnen erleiden, in Gang gekommen. Sie hat im ersten Schritt dazu geführt, das<br />

Thema zu enttabuisieren. Und das ist positiv! Im zweiten Schritt geht es darum, die<br />

Integration so zu gestalten, dass Mädchen und Frauen eines Tages gleichberechtigt an <strong>der</strong><br />

Mehrheitsgesellschaft teilhaben können. Dieses Ziel kann nur in gemeinsamer Anstrengung<br />

von Mehrheitsgesellschaft und verschiedensten Gruppen von Migranten erreicht werden. Wir<br />

brauchen den Dialog mit den religiösen Organisationen genauso wie mit<br />

Menschenrechtsaktivistinnen und liberal-laizistischen Verbänden.<br />

Unter dem Dach von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit können Menschen kulturell vielfältig<br />

zusammen leben. Es gibt allein dort Grenzen, wo Grundrechte von Menschen verletzt<br />

werden. Indem wir über neue Rollenbil<strong>der</strong> nachdenken und uns für gewaltfreie Erziehung<br />

einsetzen, tragen wir wesentlich zum Gelingen von Integration bei.<br />

Quellennachweise:<br />

- Bosporus-Universität Istanbul (2006):<br />

Studie „Konservatismus in <strong>der</strong> Türkei“<br />

- Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2004):<br />

Lebenssituation von Frauen – Repräsentative Untersuchung zu Gewalt an Frauen<br />

- Pfeiffer, Christian, Kriminologisches Forschungsinstitut Nie<strong>der</strong>sachsen:<br />

Repräsentative Langzeitstudie 2005 und 2006<br />

- Bernhard Nauck et al. im Auftrag des Bundesfamilienministeriums (1999):<br />

Familiäre Einflüsse auf Sozialisationsprozesse<br />

- Toprak, Ahmet (2004):<br />

Wer sein Kind nicht schlägt, hat später das Nachsehen -<br />

Elterliche Gewaltanwendung in türkischen Familien und Konsequenzen für die Elternarbeit<br />

- Zentrum für Türkeistudien (2005):<br />

Befragung 1000 türkischstämmiger Migranten zu religiösen Einstellungen<br />

- 33 -


Kontakt :<br />

Collin Schubert<br />

Terre des Femmes e.V.<br />

72076 Tübingen<br />

Tel. 07071 - 67852<br />

Fax 07071 - 640190<br />

Email : collin.schubert@gmx.de<br />

Auf <strong>der</strong> Homepage von Terre de Femmes unter www.frauenrechte.de finden Sie weitere<br />

Informationen zum Thema <strong>Zwangsverheiratung</strong>.<br />

- 34 -


5. Die Kriseneinrichtung PAPATYA – ein Praxisbericht<br />

Ich will anfangen mit dem fatalen Ende einer <strong>Zwangsverheiratung</strong>:<br />

- 35 -<br />

Eva Kultus<br />

PAPATYA e.V., Berlin<br />

Der Mord an Hatun Sürücü in Berlin ist allen bekannt und ging durch Presse und Fernsehen.<br />

Nicht so viel Aufsehen machte ein fast zeitgleicher Mord im November 2004: die 21jährige<br />

Semra Uzun wurde von ihrem Ex-Mann Cengiz, ein Cousin, am helllichten Tag auf offener<br />

Straße in Berlin im Beisein ihrer gemeinsamen dreijährigen Tochter erstochen. Inzwischen<br />

wurde <strong>der</strong> Täter zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt.<br />

Ich will hier genauer auf die Vorgeschichte eingehen, weil sie auch etwas mit unserer<br />

Kriseneinrichtung PAPATYA zu tun hat:<br />

Semra war gerade einmal 15 Jahre alt, als sie 1998 von zu Hause weglief und zu uns kam,<br />

um <strong>der</strong> Zwangsehe mit ihrem Cousin Cengiz zu entkommen. Vier Jahre vorher war ihre<br />

Mutter gestorben, und <strong>der</strong> Vater hatte schon einen Monat später neu geheiratet und von<br />

Semra verlangt, dass sie nun die Stiefmutter als Mutter akzeptiere. Es gab viel Streit. Semra<br />

schreibt in <strong>der</strong> Zeit bei PAPATYA auf, wie sie sich zu Hause fühlte und warum sie<br />

weggelaufen ist:<br />

„Ich war wie eine Putzfrau zu Hause, ich durfte nichts machen, ich hatte keine Freiheit. […]<br />

Nur putzen und auf meine Geschwister aufpassen o<strong>der</strong> mal Fernsehen. Ich konnte mit<br />

niemandem über meine Probleme reden. Ich war immer allein, obwohl so viele mit mir leben.<br />

Und dann, im September 1996 [Semra war 13 Jahre alt!] wurde ich mit mein Cousin<br />

telefonisch verlobt, obwohl ich nicht wollte, aber keiner hat mir zu gehört. Es musste so sein,<br />

weil mein Vater sich nicht vor seine Familie blamieren wollte, es war ihm egal, was ich<br />

gesagt habe. [...] Ich will nicht heiraten, weil ich erst 15 bin, weil ich jetzt noch nicht ans<br />

Heiraten denken kann und weil ich noch zu jung bin.“<br />

Semra blieb nur knapp zwei Wochen bei PAPATYA. Während dieser Zeit war <strong>der</strong> Vater und<br />

die restliche Familie dauernd beim Jugendamt und Jugendnotdienst, um Semra<br />

zurückzuholen. Der Vater weinte, flehte, drohte sich mit Benzin zu übergießen und sich<br />

anzuzünden, wenn er seine Tochter nicht zurückbekäme. Die Kollegin <strong>vom</strong> Jugendamt sah<br />

sich zu einem schnellen, klärenden Elterngespräch gemeinsam mit Semra gezwungen, um<br />

dem verzweifelten Vater eine Chance zu geben. In diesem Gespräch zeigte keines <strong>der</strong><br />

Familienmitglie<strong>der</strong> Verständnis für Semras Lage, son<strong>der</strong>n alle machten nur Druck, dass sie<br />

nach Hause kommen müsse. Nur unter Polizeischutz konnten Semra und unsere<br />

Mitarbeiterinnen das Gebäude verlassen und sicher wie<strong>der</strong> in unsere Kriseneinrichtung<br />

zurückkehren.


Auf einem Wunschzettel, was sich än<strong>der</strong>n müsste, damit sie wie<strong>der</strong> nach Hause komme,<br />

schrieb sie auf:<br />

„Ich will bei meinem Bru<strong>der</strong> leben.<br />

Ich will wie ein Mensch leben.<br />

Ich will Cengiz nicht heiraten.<br />

Ich will Liebe von meinem Vater.<br />

Ich will, dass meine Schwester nicht so behandelt wird wie ich.<br />

Wenn das alles nicht passiert, bleibe ich nicht zu Hause. Aber wenn das alles passiert,<br />

bleibe ich zu Hause.“<br />

Semra konnte dem Druck <strong>der</strong> Familie nicht standhalten. Nach einer Woche entschied sie<br />

sich gegen unseren Rat zum Bru<strong>der</strong> zu ziehen. Sie vertraute den Versprechungen ihres<br />

Vaters, dass sie den Cousin nicht heiraten müsse. In einer schriftlichen Erklärung beim<br />

Jugendamt unterschrieben <strong>der</strong> Vater und <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>, dass Semra im Haushalt des Bru<strong>der</strong>s<br />

leben könne und dass Besuche von Semra in <strong>der</strong> Türkei nur auf ihren eigenen Wunsch<br />

stattfinden sollen.<br />

Mehr als sechs Jahre vergingen, bis wir wie<strong>der</strong> von Semra hörten, und zwar aus dem<br />

Fernsehen, als ihre Ermordung in den Nachrichten gemeldet wurde.<br />

Unsere nachträglichen Recherchen über die dazwischen liegende Zeit ergaben folgendes:<br />

Semra war nur kurze Zeit bei ihrem Bru<strong>der</strong>. Schon ca. vier Wochen später wurde sie in die<br />

Türkei gebracht, um dort ihren Cousin Cengiz zu heiraten, wegen dem sie geflüchtet war.<br />

Nichts von den Versprechungen, die <strong>der</strong> Vater so herzzerreißend gegenüber dem<br />

Jugendamt proklamiert hatte, wurde eingehalten. Es wurde allerdings auch nie von Seiten<br />

des Jugendamts überprüft, wie es dem Mädchen erging, nachdem sie zum Bru<strong>der</strong> zog.<br />

Die jüngere Schwester, die Semra als ihre Ersatzmutter betrachtete und an <strong>der</strong> Semra sehr<br />

hing, kam kurz nach dem Mord an ihrer Schwester schwer traumatisiert ebenfalls zu uns<br />

geflüchtet, weil sie befürchtete, dass sie auch umgebracht werden könnte.<br />

Sie berichtete, Semra wurde während ihrer Ehe von ihrem Mann dauernd geschlagen, sie<br />

war sehr unglücklich. Deshalb lief sie mit ihrer damals einjährigen Tochter weg, suchte sich<br />

eine eigene Wohnung und reichte die Scheidung ein. Ihr Vater hat sie daraufhin verstoßen<br />

und wollte nichts mehr mit ihr zu tun haben. Sie galt als Schlampe, erst recht, als sie ein Kind<br />

von einem von ihr selbst gewählten Mann bekam, mit dem sie inzwischen zusammenlebte,<br />

und das zum Zeitpunkt des Mordes ein halbes Jahr alt war.<br />

Cengiz, <strong>der</strong> Täter, hatte nach <strong>der</strong> Scheidung ein regelmäßiges Besuchsrecht seiner Tochter,<br />

aufgrund seiner Gewalttätigkeiten allerdings nur im Beisein einer Aufsichtsperson im<br />

Jugendamt. Anlässlich einer solchen Begegnung stach er Semra nie<strong>der</strong>. Semras Schwester<br />

- 36 -


vermutet, dass <strong>der</strong> Vater und die Brü<strong>der</strong> davon wussten und <strong>der</strong> Mord geplant war.<br />

Beweisen lässt sich das allerdings nicht.<br />

Es ist mir wichtig, diese Geschichte so ausführlich darzustellen, um dieser jungen Frau<br />

wenigstens nach ihrem Tod Gehör zu verschaffen und daraus zu lernen für an<strong>der</strong>e Fälle, so<br />

dass ihr Tod nicht völlig umsonst war.<br />

Normalerweise enden die Geschichten unserer Mädchen nicht so traurig. Es ist eine unserer<br />

wesentlichen Aufgaben in <strong>der</strong> Kriseneinrichtung PAPATYA, die Mädchen vor gewaltsamen<br />

Übergriffen ihrer Familie zu schützen und eine Perspektive zu entwickeln, wie sie in<br />

Sicherheit leben können, sei es mit <strong>der</strong> Familie o<strong>der</strong> ohne sie.<br />

Wir feiern dieses Jahr das 20-jährige Bestehen unserer Kriseneinrichtung PAPATYA.<br />

Im Laufe dieser Jahre haben wir mehr als 1200 Mädchen und junge Frauen beherbergt, die<br />

vor familiärer Gewalt geflohen sind und einen sicheren Zufluchtsort brauchten. Mindestens<br />

noch einmal so viele haben wir am Telefon beraten und seit zwei Jahren auch über Internet<br />

als Online-Beratung.<br />

Bei <strong>der</strong> Gründung hatten noch alle geglaubt, PAPATYA sei in ein paar Jahren nicht mehr<br />

notwendig: Die Eltern <strong>der</strong> zweiten Generation würden besser integriert sein und <strong>der</strong><br />

Kulturkonflikt zwischen Tradition und westlicher Welt würde an Schärfe abnehmen.<br />

Heute können wir darüber nur traurig lächeln; PAPATYA ist mindestens genauso wichtig wie<br />

vor 20 Jahren, auch türkische und arabische Familien in dritter Generation halten mitunter<br />

unerbittlich an traditionellen Werten fest, die sich vor allem an <strong>der</strong> Einschränkung und<br />

Kontrolle <strong>der</strong> Frauen festmachen.<br />

Während in den ersten Jahren noch überwiegend Mädchen türkischer Herkunft zu uns<br />

kamen, machen diese heute zwar immer noch den größten Teil aus, nämlich etwa die Hälfte,<br />

aber inzwischen kommen ca. 50% <strong>der</strong> Hilfesuchenden aus Familien arabischer Abstammung<br />

(Libanon, Jordanien, Syrien, Palästinenser, Iran, Irak), aus dem Kosovo, Bosnien und<br />

Serbien, aus verschiedenen afrikanischen Län<strong>der</strong>n sowie Pakistan und Aserbaidschan.<br />

Der weitaus größte Teil kommt aus muslimischen Familien. Jedoch haben wir auch Mädchen<br />

mit christlichem Hintergrund, aramäische Mädchen aus <strong>der</strong> Türkei o<strong>der</strong> Syrien, streng<br />

katholische und orthodoxe Roma-Mädchen, yesidische Kurdinnen, muslimische wie<br />

christliche Afrikanerinnen, ebenso junge Frauen aus Sri Lanka, vereinzelt auch aus Vietnam<br />

und Thailand sowie eine Jüdin aus Israel.<br />

Allen gemeinsam ist, dass sie aus streng patriarchalischen Kulturen und Familien kommen,<br />

in denen <strong>der</strong> Vater bestimmt und die Frauen <strong>der</strong> Familie zu gehorchen haben. Die Wünsche,<br />

Bedürfnisse und die Interessen <strong>der</strong> Einzelnen haben sich dem Gesamtinteresse des<br />

Familienclans unterzuordnen.<br />

- 37 -


Das gilt unabhängig davon, ob die Mädchen und jungen Frauen min<strong>der</strong>jährig o<strong>der</strong> volljährig<br />

sind, auch unabhängig davon, ob sie einen deutschen Pass haben o<strong>der</strong> nicht. Auch die<br />

Schulbildung ist kein Kriterium, von Familien, die seit Generationen von Sozialhilfe leben bis<br />

zur Abiturientin sind alle vertreten.<br />

PAPATYA ist die einzige auf junge Migrantinnen spezialisierte Zufluchtsstelle bundesweit,<br />

die sofort und unbürokratisch ohne Kostenzusage eines Leistungsträgers aufnehmen kann.<br />

Dies gilt auch für junge Volljährige, was von ganz beson<strong>der</strong>er Bedeutung ist angesichts<br />

leerer Kassen bei den Jugend- und Sozialämtern.<br />

Die rechtliche Grundlage für die Aufnahme ist die Inobhutnahme nach §42 KJHG, (übrigens<br />

<strong>der</strong> einzige Paragraf im Kin<strong>der</strong>- und Jugendhilfegesetz, <strong>der</strong> dem Jugendlichen ein eigenes<br />

Antragsrecht zubilligt. Alle an<strong>der</strong>en Hilfemaßnahmen richten sich als Hilfe zur Erziehung<br />

ausschließlich an die Eltern). Wir werden <strong>vom</strong> Berliner Senat über Zuwendungen finanziert,<br />

die jedoch seit zehn Jahren gedeckelt sind und die Kosten nicht mehr decken.<br />

Die Adresse und Telefonnummer unserer Einrichtung ist geheim, <strong>der</strong> Zugang erfolgt<br />

ausschließlich über den Kin<strong>der</strong>- und Jugendnotdienst in Berlin. Dies ist die einzige Stelle, die<br />

unsere Adresse kennt und sozusagen das „Schlüsselloch“ zu unserer Einrichtung ist.<br />

Wir nehmen pro Jahr ca. 60 Mädchen und junge Frauen im Alter zwischen 13 und 21 Jahren<br />

auf, <strong>der</strong> überwiegende Teil ist bei <strong>der</strong> Aufnahme noch min<strong>der</strong>jährig. Wir arbeiten rund um die<br />

Uhr in einem multikulturellen Team aus Sozialpädagoginnen türkischer, kurdischer und<br />

deutscher Herkunft und einer Psychologin.<br />

Viele <strong>der</strong> Mädchen und jungen Frauen, die zu uns kommen, sind von <strong>Zwangsverheiratung</strong><br />

bedroht o<strong>der</strong> gar schon verheiratet. Über die Jahre hinweg sind es jährlich ein Drittel bis die<br />

Hälfte <strong>der</strong> bei uns aufgenommenen Mädchen, die deswegen weggelaufen sind (also 20-30<br />

pro Jahr). Wohlgemerkt handelt es sich dabei um Mädchen ab 13 Jahren, und etwa die<br />

Hälfte von ihnen ist jünger als 18. In etwa <strong>der</strong> Hälfte <strong>der</strong> Fälle ist ein Cousin <strong>der</strong><br />

Heiratskandidat, in den Augen <strong>der</strong> Eltern gilt das immer noch als die beste Verbindung. Alles<br />

bleibt in <strong>der</strong> Familie, man kennt sich und ist sich einan<strong>der</strong> verpflichtet. Außerdem kennen<br />

sich Braut und Bräutigam meist schon seit <strong>der</strong> Kindheit, weshalb die Mädchen bei uns auch<br />

empört sagen, sie können ihren Cousin nicht heiraten, <strong>der</strong> sei wie ein Bru<strong>der</strong> für sie. Der<br />

Heiratskandidat kommt in 40-60% <strong>der</strong> Fälle aus dem Herkunftsland <strong>der</strong> Eltern, d.h. aber<br />

auch im Umkehrschluss, dass 60-40% <strong>der</strong> potenziellen Ehepartner bereits in Deutschland<br />

leben.<br />

Allerdings ist die Zwangsheirat meist nicht das einzige Problem, das die Mädchen haben.<br />

Massive Misshandlung, Schläge mit Gegenständen, strenges Ausgangsverbot,<br />

Kontaktsperre, Drohung <strong>der</strong> Verschickung ins Herkunftsland <strong>der</strong> Eltern, sexueller Missbrauch<br />

und Ausbildungsverbot sind weitere Fluchtgründe, die oft damit einhergehen. Gewalt ist<br />

- 38 -


manchmal die einzige Form <strong>der</strong> (erfahrenen) Kommunikation; häufig werden auch die Mütter<br />

geschlagen. (Im letzten Jahr berichteten 37% <strong>der</strong> Mädchen davon.)<br />

Wenn sie weglaufen, treibt sie oft <strong>der</strong> Mut <strong>der</strong> Verzweiflung an. Sie wissen nicht, wie es<br />

weiter gehen soll, sie haben mitunter Todesangst vor ihrer Familie und sie kommen häufig<br />

nur mit dem, was sie auf dem Leib tragen.<br />

Je bekannter wir werden, desto mehr Aufnahmeanfragen kommen aus dem gesamten<br />

Bundesgebiet. Wer in einer Kleinstadt vor seiner Familie flüchtet und verfolgt und bedroht<br />

wird, findet dort keinen sicheren Ort, nicht einmal die Großstädte bieten ausreichend sichere<br />

und anonyme Schutzstellen für diese jungen Frauen, sie müssen zu ihrer Sicherheit erst<br />

einmal viele Kilometer zwischen sich und den Wohnort ihrer Familie bringen.<br />

Aber immer noch kommen die meisten Mädchen, die bei uns Zuflucht suchen, aus Berlin.<br />

Aufgrund <strong>der</strong> Größe <strong>der</strong> Stadt und auch <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en Lage <strong>der</strong> ehemals zweigeteilten<br />

Stadt mit immer noch bestehenden Mauern in den Köpfen sind wir in <strong>der</strong> Lage, diesen<br />

Mädchen in den meisten Fällen auch eine sichere Perspektive in <strong>der</strong> Stadt anbieten zu<br />

können.<br />

Einige aus beson<strong>der</strong>s gewaltbereiten und großen Clans Kommende müssen wir aber sofort<br />

außerhalb Berlins unterbringen.<br />

Ein Fallbeispiel:<br />

Die WELT meldete Ende 2005:<br />

„Die Flucht einer 15jährigen Schülerin vor einer drohenden Zwangsheirat hat zu einer<br />

blutigen Fehde zwischen zwei Familien geführt. […]Die 15jährige Schülerin sollte nach dem<br />

Willen ihrer Familie den 21jährigen Sohn einer zweiten kurdischen Familie heiraten. Sie<br />

wollte dies aber offenbar nicht und flüchtete deshalb mit ihrem Freund, <strong>der</strong> zu einer dritten<br />

kurdischen Familie aus <strong>der</strong> Region gehört. [...]Die Familie des verschmähten Bräutigams<br />

brachte daraufhin die Mutter <strong>der</strong> Schülerin unter einem Vorwand in ihre Gewalt und entführte<br />

sie. Zwischen männlichen Angehörigen des Bräutigams und denen <strong>der</strong> Braut gab es<br />

daraufhin massive Auseinan<strong>der</strong>setzungen, bei <strong>der</strong> auch Messer eingesetzt wurden.<br />

Insgesamt gab es drei Verletzte. Am schlimmsten erwischte es den Vater <strong>der</strong> Braut, <strong>der</strong><br />

Stichverletzungen im Bauch erlitt. Er ist aber inzwischen außer Lebensgefahr.“<br />

Was sich als Drehbuch für einen Krimi eignen würde, ist durchaus kein Einzelfall in unserer<br />

Kriseneinrichtung. Das Mädchen wurde <strong>vom</strong> Jugendamt erst einmal zu uns in Sicherheit<br />

gebracht, um Klärung in die verworrene Lage zu bringen.<br />

Sie selbst schrieb zu ihren Fluchtgründen auf:<br />

„Meine Eltern kommen aus <strong>der</strong> Türkei, ich bin in Deutschland geboren. [...]Mein Vater war<br />

ein sehr strenger Mann, <strong>der</strong> angeblich denkt, dass er nach seiner Kultur (Religion) lebt.<br />

- 39 -


Meine Mutter ist nicht so streng, aber trotzdem hat sie immer zu ihm gehalten und machte,<br />

was er sagte, weil angeblich bei uns in <strong>der</strong> Regel immer die Männer Recht haben.<br />

Wir Mädchen wurden nicht so wie mein Bru<strong>der</strong> behandelt, mein Bru<strong>der</strong> hatte ein leichteres<br />

Leben. Nie hat mein Vater zugelassen, dass ich mit Freundinnen rausgehe, auf Klassenfahrt<br />

o<strong>der</strong> Tagesfahrt fahre und ein Handy durfte ich auch nicht haben. Nur zur Schule gehen,<br />

pünktlich nach Hause kommen, putzen, sitzen und langweilen, so sind immer meine Tage<br />

vergangen. Ich konnte sogar meine Anziehsachen nicht selbst bestimmen, immer als wir<br />

Besuch bekamen, musste ich sofort Röcke anziehen.<br />

Als ich 15 war, hat meines Vaters Cousin, <strong>der</strong> hier mit seiner Familie wohnt und keine<br />

Aufenthaltsgenehmigung hat, mit meinem Vater gesprochen, um mich mit seinem Sohn zu<br />

verheiraten. Erst eine Woche später hat mir mein Vater gesagt, dass er mich ihm<br />

versprochen hat. Ich dachte, mein Vater würde nein sagen, weil er das einen Monat vorher<br />

auch jemandem gesagt hat, weil er meinte, ich sei noch zu klein. Warum das alles so auf<br />

einmal passierte, wusste ich auch nicht. Natürlich wollte ich diesen Mann nicht heiraten, weil<br />

er erstens für mich wie ein Bru<strong>der</strong> war und zweitens wollte er mich nur wegen <strong>der</strong><br />

Aufenthaltsgenehmigung heiraten. Aber keiner hat mich verstanden o<strong>der</strong> sie wollten mich<br />

nicht verstehen. Gleich nach 3-4 Tagen feierten sie die Verlobung. Meine Familie und die<br />

meines Verlobten haben mich gezwungen zu lächeln, damit die Leute nicht denken, dass ich<br />

gezwungen wurde. Sofort nach <strong>der</strong> Verlobung erzählte ich meinen Eltern, dass ich ihn nicht<br />

als Ehemann will, aber sie hatten kein Verständnis und sagten mir, es sei zu spät, ich müsse<br />

ihn heiraten. Mein Vater sagte zu mir, es sei nicht möglich die Verlobung aufzulösen, sonst<br />

würden an<strong>der</strong>e Leute denken, ich sei eine Schlampe, und er würde sich eher umbringen als<br />

die Verlobung aufzulösen. Am nächsten Tag sollte die Hoca-Ehe stattfinden und dann die<br />

Hochzeit.<br />

Ich konnte es nicht mehr aushalten und habe meinen Freund angerufen, <strong>der</strong> mir geholfen hat<br />

abzuhauen.“<br />

Anmerkung: Tatsächlich war die Hoca-Ehe bereits vollzogen, bevor A. weglief. Sie traute<br />

sich anfangs nicht, uns das zu sagen, weil sie befürchtete, wir würden sie dann zu ihrem<br />

„rechtmäßigen“ Ehemann zurückschicken!<br />

Was uns an <strong>der</strong> Geschichte erstaunte, war die Gewalttätigkeit zwischen den Familien wegen<br />

einer vermasselten Hochzeit, bei <strong>der</strong> <strong>der</strong> Brautvater fast gestorben wäre und die Mutter <strong>der</strong><br />

Braut entführt wurde. Das konnte auch A. nicht verstehen, denn mit ihr hatte nie jemand über<br />

die Hintergründe dieser erzwungenen Heirat gesprochen.<br />

Sie fühlte sich von ihrem Vater hintergangen und war sehr enttäuscht. Eigentlich wollte sie<br />

ihm immer eine brave Tochter sein, aber er ließ ihr keine Wahl. Dementsprechend<br />

ambivalent war sie auch die erste Zeit bei uns und versuchte in Telefonaten mit dem Vater<br />

herauszufinden, was eigentlich hinter diesen Hochzeitplänen steckte, doch vergeblich. Die<br />

- 40 -


anfänglichen Versprechungen des Vaters, die Ehe aufzulösen, wandelten sich im Lauf <strong>der</strong><br />

Zeit in böse Drohungen gegen sie bis hin zu Morddrohungen.<br />

Es stellte sich im Laufe <strong>der</strong> Wochen, während sie bei uns war, heraus, dass es eine schon<br />

viele Jahre andauernde blutige Familienfehde zwischen <strong>der</strong> Familie des Mädchens und <strong>der</strong><br />

Familie des ungewollten Bräutigams gibt. Diese Fehde wird hauptsächlich in <strong>der</strong> Türkei<br />

ausgetragen. Die Familienoberhäupter hatten beschlossen, die beiden Kin<strong>der</strong> miteinan<strong>der</strong> zu<br />

verheiraten, um so die verfeindeten Familien zu einem Waffenstillstand zu bringen. Der Vater<br />

<strong>der</strong> Braut konnte seinen Beitrag nicht einlösen. Deshalb kochten die Wogen so hoch als das<br />

Mädchen verschwand, und dazu noch mit einem an<strong>der</strong>en verfeindeten fernen Verwandten.<br />

Wie ging es weiter?<br />

Den Eltern wurde das Sorgerecht entzogen. Die Begründung des Gerichts zum<br />

Sorgerechtsentzug ist bemerkenswert:<br />

„Die allein durch Vertrag zwischen Familien, ggf. im Beisein eines Imams o<strong>der</strong> Hocas<br />

geschlossene Ehe ist keine Ehe im Sinne des türkischen Zivilrechts. A. ist also auch nicht<br />

verlobt.“<br />

Die Problematik des Falles resultiert indessen daraus, dass die beteiligten Familien sich an<br />

eigenen subkulturellen Regeln ihrer Parallelkultur orientieren.<br />

Hier ist zu berücksichtigen, dass die beteiligten aus einem an<strong>der</strong>en Kulturkreis kommen,<br />

nämlich einer kollektivistischen Kultur, die im Gegensatz zu unserer individualistischen Kultur<br />

steht. In diesem Kontext geht es um die Bedeutung <strong>der</strong> Gruppe, dem das Individuum<br />

angehört. Die Angelegenheit des Kindes ist aber keine innerfamiliäre mehr.<br />

Denn es ist zwischen zwei Familien ein Vertrag geschlossen worden. Die Familie des<br />

Mädchens hat ihre Verpflichtung gegenüber <strong>der</strong> Familie des Bräutigams nicht erfüllt. Wie<br />

diese Familie langfristig darauf reagiert, lässt sich <strong>der</strong>zeit noch nicht absehen.<br />

Die Maßnahme <strong>der</strong> Übertragung <strong>der</strong> elterlichen Sorge auf das Jugendamt beruht vorrangig<br />

auf dem hier geltenden Recht und <strong>der</strong> dahinter stehenden individualistischen<br />

Kulturauffassung („Menschenrechte sind Individualrechte“)<br />

Auf dieser Grundlage wurde A. an einem sicheren Ort im Rahmen <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

untergebracht. In zeitlichen Abständen tauchen immer wie<strong>der</strong> Gerüchte beim Jugendamt auf,<br />

dass bspw. <strong>der</strong> verschmähte Ehemann o<strong>der</strong> gar ihr Vater sie umbringen wolle. Noch weiß<br />

niemand, wo sie sich aufhält. Diese Anonymität wird auch noch einige Zeit erfor<strong>der</strong>lich sein.<br />

Was wird an den beiden vorgestellten Fällen deutlich?<br />

1. bei Heirat verstehen die Eltern keinen Spaß, hier geht es um die Ehre <strong>der</strong> Familie o<strong>der</strong><br />

weit reichenden Gesichtsverlust. Daher sind auch alle Mittel erlaubt, das Mädchen zu<br />

einer geplanten Ehe zu zwingen (Lügen, falsche Versprechungen, Drohungen). Ehrlos ist<br />

nicht die <strong>Zwangsverheiratung</strong> <strong>der</strong> Tochter, son<strong>der</strong>n ihre Flucht vor dieser Ehe.<br />

- 41 -


2. nicht das individuelle Schicksal ist wichtig, son<strong>der</strong>n dessen Unterordnung unter die<br />

Interessen <strong>der</strong> Großfamilie<br />

3. das Nein des Mädchens interessiert niemanden; vielmehr ist dem Folge zu leisten, was<br />

<strong>der</strong> Vater o<strong>der</strong> die Clanoberhäupter bestimmen. Manchmal wagen die Mädchen auch gar<br />

nicht, Nein zu sagen, weil Wi<strong>der</strong>spruch verboten ist und es –aus ihrer Sicht - ohnehin<br />

keinen Sinn hätte.<br />

4. es besteht kein Unrechtsbewusstsein bei den Eltern, im Gegenteil, von ihrem türkischen<br />

o<strong>der</strong> kurdischen Umfeld würden sie geächtet werden, wenn sie <strong>der</strong> Tochter nachgeben<br />

würden. Außerdem wurden die Eltern häufig genauso zwangsverheiratet.<br />

5. Verlobung und Heirat fanden in beiden Fällen mit 15 Jahren statt. Damit ist die<br />

Angelegenheit ein Kin<strong>der</strong>schutzproblem, und Jugendämter müssten nachprüfen, wenn<br />

ein Mädchen nach Hause geht, ob die vereinbarten Absprachen eingehalten werden.<br />

Wir arbeiten präventiv, d.h. wir versuchen, Zwangsheirat zu verhin<strong>der</strong>n, indem wir die<br />

Betroffene nach Möglichkeit aufnehmen, bevor sie verheiratet wird. Das raten wir auch<br />

jedem Mädchen, das im Vorfeld einer Zwangsehe bei uns Rat sucht. Wenn ihr Nein nicht<br />

ernst genommen wird, muss sie durch Flucht die Heirat verhin<strong>der</strong>n, möglichst noch vor <strong>der</strong><br />

Hoca-Ehe und auf jeden Fall vor <strong>der</strong> standesamtlichen Eheschließung. In dieser Situation ist<br />

ein Mädchen o<strong>der</strong> eine junge Frau in höchster Gefahr, denn es geht um viel für die Familie,<br />

das gesamte Ansehen steht auf dem Spiel. Das ist aber auch <strong>der</strong> Hebel, <strong>der</strong>, wenn frühzeitig<br />

angesetzt, erfolgreich sein kann: Je früher ein Eheversprechen aufgelöst wird, desto geringer<br />

sind die gesellschaftlichen Konsequenzen.<br />

Kurz vor den Sommerferien erwarten wir wie<strong>der</strong> etliche Anfragen von Mädchen, die<br />

befürchten, im Türkei-Urlaub verlobt o<strong>der</strong> verheiratet zu werden. Wer es nicht vorher schafft,<br />

zu entkommen, meldet sich möglicherweise nach den Ferien bei uns, um rückgängig zu<br />

machen, was geschehen ist.<br />

Der neue Gesetzesentwurf, <strong>der</strong> <strong>Zwangsverheiratung</strong> unter Strafe stellen soll, setzt Signale:<br />

Es stärkt den Mädchen, die sich gegen eine <strong>Zwangsverheiratung</strong> zur Wehr setzen, den<br />

Rücken. Sie müssen bei Jugend- und Sozialämtern Unterstützung finden! Allerdings werden<br />

nur die wenigsten den Schritt wagen, die eigenen Eltern anzuzeigen. Vor einigen Monaten<br />

wurde eine Mutter verurteilt, weil sie ihre 13-jährige Tochter für 10 000 Euro verheiratet<br />

hatte. Auch dieses Mädchen war, allerdings nach <strong>der</strong> Hochzeit, zu uns geflüchtet. Weil sie<br />

mit Hilfe <strong>der</strong> Polizei zu uns kam und dort aussagte, was ihr wi<strong>der</strong>fahren war, setzte sie<br />

unbeabsichtigt eine Strafverfolgung in Gang.<br />

Eine beson<strong>der</strong>e Personengruppe will ich hier noch erwähnen, die wir nur vereinzelt zu<br />

Gesicht bekommen: Die eingereisten, so genannten Import-Bräute, o<strong>der</strong> wie <strong>der</strong> türkische<br />

Begriff übersetzt bedeutet „Paketbräute“. Sie haben kaum Möglichkeiten, sich an<br />

- 42 -


Hilfsorganisation zu wenden. Meist leben sie eingesperrt in <strong>der</strong> Schwiegerfamilie, können<br />

kein deutsch und wissen nichts von ihren Rechten, die auch nur eingeschränkt für sie gelten,<br />

da sie von Abschiebung bedroht sind, wenn die Ehe nicht wenigstens zwei Jahre Bestand<br />

hatte.<br />

Notwendige Konsequenzen:<br />

- Der Schutz von betroffenen Mädchen und jungen Frauen muss unbürokratisch und<br />

nachhaltig gewährleistet sein<br />

- Jugendhilfe muss bei Bedarf auch über das 18. Lebensjahr hinaus gewährt werden<br />

- Hilfe beim Weg in die Anonymität<br />

- Zur Deeskalation und Verhütung von Zwangsheirat braucht es mehr anonyme<br />

Zufluchtstellen wie PAPATYA<br />

- Sensibilisierung und Fortbildung von MitarbeiterInnen <strong>der</strong> Jugend- und<br />

Sozialämter/Jobcenter<br />

- Sensibilisierung und Fortbildung ebenso von LehrerInnen und SchulsozialarbeiterInnen,<br />

denn Schulen sind oft <strong>der</strong> erste und einzige Ort, an den diese Mädchen gehen dürfen<br />

- Die Migrantenorganisationen könnten eine wichtige Aufgabe übernehmen,<br />

Zwangsheiraten zu verurteilen und innerhalb <strong>der</strong> Migrantencommunities eine Diskussion<br />

über den archaischen Ehrbegriff zu beginnen. Hier stehen wir noch ganz am Anfang.<br />

- Elternarbeit wäre dringend nötig, kann aber nicht durch uns geleistet werden, da die<br />

Eltern uns verantwortlich machen dafür, dass ihre Tochter weg ist. Die Helfer werden<br />

genauso bedroht wie das Mädchen selbst.<br />

Kontakt:<br />

PAPATYA e.V.; Berlin<br />

Email (Information): info@papatya.org<br />

Email (Beratung): beratung@papatya.org<br />

Internet: www.papatya.org<br />

Weiterer Kontakt über den<br />

JUGENDNOTDIENST<br />

Mindener Straße 14<br />

10589 Berlin-Charlottenburg<br />

Tel. 030 - 34 999 34<br />

- 43 -


6. Junge Migrantinnen und ihr langer Weg in die Unabhängigkeit -<br />

ein Bericht aus <strong>der</strong> Praxis<br />

Wohnen ROSA<br />

- 44 -<br />

König & Özkan (Pseudonyme)<br />

Wohnen ROSA e.V., Stuttgart<br />

Der Verein ROSA – Verein zur För<strong>der</strong>ung feministischer Jugendarbeit Stuttgart e.V. wurde<br />

1985 von Teilnehmerinnen des Arbeitskreises ‚Pädagoginnentreff’ gegründet und war dem<br />

Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband angeschlossen; zum 30.9.2002 hat sich <strong>der</strong><br />

Verein aufgelöst und die Einrichtung ROSA ist nun eine Dienststelle <strong>der</strong> Evangelischen<br />

Gesellschaft Stuttgart e.V.<br />

Anlass <strong>der</strong> Gründung war die Feststellung, dass es für junge Migrantinnen <strong>der</strong> zweiten<br />

und dritten Generation mit Gewalterfahrung keine adäquate Einrichtung in <strong>der</strong><br />

Jugendhilfelandschaft gibt.<br />

Zunächst arbeitete <strong>der</strong> Verein als Modellprojekt und finanzierte sich über Stiftungen und<br />

ABM-Stellen. Seit 1991 erhielt das Wohnprojekt die Anerkennung als Jugendhilfeeinrichtung<br />

und die Finanzierung läuft über das SGB VIII, §27 (Hilfe zur Erziehung) in Verbindung mit<br />

§34 (sonstige betreute Wohnform) und §41 (Hilfe für junge Volljährige).<br />

Seit Juli 2003 stehen <strong>der</strong> Einrichtung drei Pädagoginnen mit insgesamt 2,55 Stellen zur<br />

Verfügung. In einem interkulturell besetzten Team werden zwei Wohngruppen mit<br />

insgesamt 8 Plätzen betreut. (Hinzu kommen ambulant betreute Frauen).<br />

Die Einrichtung ROSA richtet sich an junge Frauen zwischen 16 und 21 Jahren, die mit<br />

ihrer Familie und ihrem Umfeld in Konflikt stehen, wegen körperlicher und seelischer<br />

Bedrohung Schutz und Wohnmöglichkeit suchen und in <strong>der</strong> Verwirklichung ihrer<br />

individuellen Lebensentwürfe beratende und begleitende Unterstützung benötigen.<br />

In <strong>der</strong> Regel werden die Frauen von verschiedenen Einrichtungen, wie Frauenhäusern,<br />

Beratungsstellen, Wohnheimen, Kliniken o<strong>der</strong> über engagierte Einzelpersonen (LehrerInnen,<br />

SozialarbeiterInnen) an uns vermittelt.<br />

Die Einrichtung nimmt junge Migrantinnen aus dem gesamten Bundesgebiet auf.<br />

Ausschlaggebend für eine Aufnahme sind, neben <strong>der</strong> notwendigen Kostenzusage des<br />

zuständigen Jugendamtes, lang andauernde Konflikte mit <strong>der</strong> Herkunftsfamilie, Verbot von<br />

Schulbesuch und Ausbildung, Androhung von Zwangsheirat, Rückführung ins Herkunftsland<br />

<strong>der</strong> Eltern, die Flucht aus einer Zwangsheirat o<strong>der</strong> körperliche und seelische<br />

Misshandlungen und Gewalterfahrungen.<br />

Junge Frauen, die bei ROSA aufgenommen werden, befinden sich aufgrund ihrer<br />

physischen und seelischen Gewalterfahrungen, in einer für sie existenziell belastenden


Lebenssituation, in <strong>der</strong> es für sie erfahrungsgemäß zwei Möglichkeiten <strong>der</strong><br />

`Lebensbewältigung´ gibt:<br />

► Suizid o<strong>der</strong><br />

► Trennung von Eltern, Angehörigen und <strong>vom</strong> gesamten sozialen Umfeld<br />

Entscheiden sich die jungen Frauen für die Flucht aus dem Elternhaus, müssen sie ihr<br />

gesamtes soziales Umfeld verlassen, alle sozialen Kontakte abbrechen und in eine fremde<br />

Stadt ziehen. Sie bedürfen des Schutzes vor einem gut funktionierenden Netzwerk innerhalb<br />

ihrer Familien, aber auch vor dem Freundes- und Bekanntenkreis sowie den Angehörigen<br />

ihrer nationalen bzw. ethnokulturellen Gruppe. Aus diesem Grund entscheiden sich die<br />

jungen Frauen für eine anonyme Lebensweise bei ROSA. Erfahrungsgemäß trennen sich<br />

die jungen Frauen ohne Ablösungsprozess zum ersten Mal von ihrem Elternhaus.<br />

Bedingt durch die Trennung von geliebten und ungeliebten Familienmitglie<strong>der</strong>n und dem<br />

vertrauten sozialen Umfeld reagieren die Bewohnerinnen mit großen<br />

Orientierungsschwierigkeiten und Einsamkeitsgefühlen.<br />

Gleichzeitig muss sich die junge Heranwachsende damit auseinan<strong>der</strong>setzen, dass sie die<br />

Erwartungen <strong>der</strong> Eltern und <strong>der</strong> nichtdeutschen Gesellschaft im Hinblick auf die<br />

zugeschriebene Rolle als Tochter nicht erfüllt. Infolgedessen befindet sich die junge Frau in<br />

einer kritischen Lebenssituation, weil sie sich ihren eigenen Schuldgefühlen stellen muss,<br />

eventuell von ihren Eltern, Angehörigen bzw. Bekannten aus dem Familiensystem verstoßen<br />

wird und mit Drohungen und Nachstellungen leben muss.<br />

Die junge Frau zieht in eine neue Stadt, die sehr weit von ihrem bisherigen Wohnort entfernt<br />

sein kann, in <strong>der</strong> sie sich zurechtfinden muss. Die Jugendlichen leben zum ersten Mal in<br />

einer Wohngemeinschaft.<br />

ROSA bietet den jungen Frauen eine sozialpädagogisch betreute Lebens- und<br />

Wohnmöglichkeit auf Zeit in einem 3-Phasen Wohnen.<br />

Die Einrichtung besteht aus einer anonymen und einer offenen Wohngruppe im Stuttgarter<br />

Stadtgebiet.<br />

Wohnen1:<br />

Die anonyme Wohnung bietet Schutz vor Bedrohungen durch Familie und Umfeld. Hier<br />

können die Frauen ihre aktuelle Krisensituation aufarbeiten, anonyme Verhaltensweisen<br />

erlernen, ihren Alltag außerhalb <strong>der</strong> Familie organisieren lernen und Perspektiven für die<br />

nahe Zukunft entwickeln. In <strong>der</strong> Regel wohnen die Frauen in <strong>der</strong> Phase 1 6-9 Monate, in<br />

<strong>der</strong> sie intensive Betreuung erhalten.<br />

- 45 -


Wohnen 2:<br />

Nach Entwicklung einer individuellen Lebensperspektive, dem Erreichen einer gewissen<br />

psychischen Stabilität und dem Erlernen notwendiger Alltagskompetenzen, haben sie die<br />

Möglichkeit in Wohnphase 2 umzuziehen. Durch den Umzug in die zweite, offene Wohnung<br />

wird den jungen Frauen innerhalb eines noch geschützten Rahmens die Möglichkeit<br />

geboten, ihre Selbständigkeit zu erfahren und zu erproben. In <strong>der</strong> zweiten Wohnung liegt <strong>der</strong><br />

Umgang mit <strong>der</strong> Anonymität in Eigenverantwortung bei den jungen Frauen. D.h. gegenüber<br />

<strong>der</strong> Familie bleibt das Wohnen anonym; die Frauen können aber Freunde einladen und<br />

selbst entscheiden, wie viel Schutz sie brauchen.<br />

Wohnen 3:<br />

Als dritten Schritt erhalten die jungen Frauen nach dem Auszug bei ROSA ambulante<br />

Betreuung in ihren eigenen Räumlichkeiten – ROSA ermöglicht ihnen so ein sanftes Gleiten<br />

in die Selbständigkeit ohne allzu große Brüche zwischen den Stationen.<br />

Auf dem Weg von Wohnphase 1 zu Wohnphase 3 übernehmen die jungen Frauen<br />

immer mehr Eigenverantwortung.<br />

Die Wohngemeinschaft ist für die jungen Frauen meist <strong>der</strong> erste Lebensraum außerhalb <strong>der</strong><br />

Familie. In dieser Situation ist es wichtig, eine Person zu haben, die die junge Frau begleitet.<br />

ROSA arbeitet deshalb nach dem Bezugsbetreuerinnensystem.<br />

Der Aufenthalt bei ROSA soll den jungen Frauen vielfältige Möglichkeiten bieten,<br />

Selbständigkeit zu erlangen. Sie erhalten Unterstützung für das, was sie selbst erreichen<br />

möchten. Dazu gehören:<br />

- Motivierung, einer Ausbildung nachzugehen, Unterstützung bei <strong>der</strong><br />

Ausbildungsplatzsuche, Hausaufgabenhilfe etc.<br />

- Erledigung bei Ämter- und Behördengängen<br />

- Praktische Bewältigung <strong>der</strong> täglichen Aufgaben wie Organisation des Haushalts,<br />

Umgang mit Geld etc.<br />

- För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Eigeninitiative durch weitgehende Selbstorganisation <strong>der</strong> Wohnung<br />

- Aktive Gestaltung <strong>der</strong> Gemeinschaft (gemeinsame Absprachen treffen,<br />

Verbindlichkeiten einhalten)<br />

- Kreative Angebote, um neue Fähigkeiten zu entdecken und zu erlernen<br />

Zu den Pflichten je<strong>der</strong> Bewohnerin gehört die Teilnahme am wöchentlich stattfindende WG-<br />

Abend, <strong>der</strong> im Wechsel kreative Angebote, Themenabende und klassische WG-<br />

Versammlung beinhaltet sowie einmal wöchentlich ein Gespräch mit ihrer Betreuerin.<br />

- 46 -


Im betreuten Jugendwohnen werden nach dem individuellen Bedarf <strong>der</strong> Jugendlichen die<br />

gleichen pädagogischen und therapeutischen Leistungen wie in <strong>der</strong><br />

Jugendwohngemeinschaft angeboten.<br />

Die jungen Frauen verfügen über gewisse alltagspraktische und soziale Kompetenzen,<br />

deshalb richtet sich <strong>der</strong> Umfang <strong>der</strong> ambulanten Betreuung nach dem erzieherischen Bedarf<br />

<strong>der</strong> Jugendlichen / jungen Erwachsenen. In <strong>der</strong> ersten Phase wird eine intensive Betreuung<br />

gewährleistet, und nach einer Stabilisierungsphase entsprechend reduziert.<br />

Im Hilfeplan wird die konkrete Wochenstundenzahl entsprechend <strong>der</strong> individuellen<br />

Lebensphase <strong>der</strong> jungen Frau vereinbart.<br />

Die junge Frau wird individuell und parteilich in allen alltagspraktischen und<br />

psychosozialen Bereichen sozialpädagogisch beraten und unterstützt. Ziel ist es, die<br />

Jugendlichen / jungen Erwachsenen im Hinblick auf die eigene Persönlichkeitsentwicklung<br />

und eine eigenverantwortlichen Lebensführung zu unterstützen.<br />

Der alltagspraktische Bereich beinhaltet beispielsweise<br />

* Alltagsbewältigung und -strukturierung<br />

* evtl. anonymes Wohnen<br />

* gemeinsame Wohnungssuche (Auseinan<strong>der</strong>setzung mit<br />

VermieterInnen, etc.)<br />

* Unterstützung bei <strong>der</strong> Wohnungseinrichtung<br />

* selbständiges Wohnen<br />

* Finanzen<br />

* Schule, Ausbildung, Arbeit<br />

* Erledigung von Ämter-, Behördengängen<br />

* Freizeitgestaltung<br />

* soziale Kontakte knüpfen außerhalb des Wohnprojektes<br />

* Infrastruktur im Stadtteil erarbeiten etc.<br />

Der psychosoziale Bereich beinhaltet beispielsweise die Auseinan<strong>der</strong>setzung mit<br />

* dem selbständigen Wohnen<br />

* <strong>der</strong> anonymen Lebensweise<br />

* <strong>der</strong> Familie<br />

* <strong>der</strong> Persönlichkeit<br />

* Identitätsentwicklung: Unterstützung bei <strong>der</strong> Entwicklung einer<br />

eigenen kulturellen Identität<br />

* Partnerschaft, Freundschaft<br />

* <strong>der</strong> Entwicklung einer individuellen Zukunftsperspektive<br />

* Ablösung von <strong>der</strong> Wohngruppe ROSA etc.<br />

- 47 -


Damit die jungen Frauen zu ROSA kommen und sich dort ein eigenes Leben aufbauen<br />

können, ist wie eingangs schon erwähnt, die Kostenzusage des zuständigen Jugendamtes<br />

ausschlaggebend.<br />

Die junge Frau ist darauf angewiesen, dass sie dort mit ihrer Situation ernst genommen wird.<br />

Die Jugendamtsmitarbeiter müssen erkennen, dass eine angedrohte Zwangsheirat das Ende<br />

einer langen Geschichte voller physischer und psychischer Gewaltsituationen ist, eine letzte<br />

Sanktionsmaßnahme <strong>der</strong> Eltern, die nicht mehr weiter wissen und die Verantwortung für ihre<br />

Tochter (und die Familienehre) in die Hände eines an<strong>der</strong>en Mannes geben wollen.<br />

Die junge Frau ist darauf angewiesen, dass ihre beson<strong>der</strong>en Bedarfe als Migrantin und<br />

die Notwendigkeit einer Spezialeinrichtung erkannt werden.<br />

Die jungen Frauen benötigen u.a. im psycho-sozialen Bereich viel Unterstützung, und diese<br />

Unterstützung muss auf <strong>der</strong> Grundlage einer professionellen sozialen und<br />

interkulturellen Arbeit geschehen.<br />

Wir benötigen also bei den Jugendämtern eine „interkulturelle Sensibilisierung“, um<br />

die Kenntnisnahme von <strong>der</strong> Notwendigkeit eines adäquaten Angebotes eben für die<br />

beson<strong>der</strong>en Bedarfe dieser jungen Migrantinnen zu erhöhen.<br />

Das Rosa-Team ist interkulturell besetzt.<br />

Die professionelle Sozialarbeit mit Migrantinnen setzt interkulturelle Kompetenzen und<br />

Qualifikationen bei den Mitarbeiterinnen voraus. Das ist zum Einen Grundlagenwissen zum<br />

Themenkomplex Migration und Interkulturalität und sind zum An<strong>der</strong>en persönliche und<br />

fachliche Kompetenzen (Interkulturelle Handlungskompetenzen).<br />

Ausgehend von den Bedarfen <strong>der</strong> jungen Migrantinnen und den interkulturellen<br />

Qualifikationen <strong>der</strong> Mitarbeiterinnen erschließen sich die Angebote bzw. die pädagogischen<br />

Leistungen von ROSA.<br />

Kontakt:<br />

Wohnprojekt ROSA; Stuttgart<br />

Tel. 0711 - 53 98 25<br />

Fax 0711 - 505 53 66<br />

Email: ROSAWohnprojekt@eva-stuttgart.de<br />

Internet : www.eva-stuttgart.de<br />

- 48 -


7. AG 1 - Aufenthaltsrechtliche, zivilrechtliche und<br />

zivilprozessrechtliche Regelungen (mit Fallbeispielen)*<br />

Marina Walz-Hildenbrand<br />

Rechtsanwältin in <strong>der</strong> Kanzlei Schuster & Walz-Hildenbrand, Stuttgart<br />

* Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um die Stellungnahme von RA Walz-Hildenbrand zum Thema<br />

Zwangsheirat, die von ihr in <strong>der</strong> Anhörung des Bundestagsausschusses für Familie, Senioren, Frauen und<br />

Jugend am 19.6.2006 in Berlin vorgetragen wurde. Die darin vorgestellten Fallbeispiele bildeten die Grundlage für<br />

die Arbeit in AG 1.<br />

Ich möchte im Nachfolgenden anhand des mir übersandten Fragenkataloges zu den<br />

rechtlichen Fragen Stellung beziehen. Ich bin spezialisiert auf Auslän<strong>der</strong>recht und<br />

Familienrecht. Die Stellungnahme erfolgt daher im Wesentlichen zu den Fragenkomplexen<br />

”Aufenthaltsrechtliche Regelungen” und ”Zivilrecht”, ergänzt um zwei Fragestellungen aus<br />

dem ”Zivilprozessrecht”.<br />

Aufenthaltsrechtliche Regelungen<br />

Frage: Nicht eingebürgerte Betroffene, die in Deutschland mit einem Aufenthaltstitel<br />

leben und zur Zwangsheirat ins Ausland gebracht wurden, müssen spätestens nach<br />

sechs Monaten Aufenthalt im Ausland wie<strong>der</strong> nach Deutschland zurückkehren, da<br />

ansonsten ihr Aufenthaltsrecht erlischt (§ 51 Abs.1 Nr.7 AufenthG). Wie bewerten Sie<br />

in diesem Zusammenhang eine grundsätzliche Aufhebung <strong>der</strong> Rückkehrfrist bzw. eine<br />

Verlängerung? Welchen Zeitraum halten Sie unter Gewährleistung <strong>der</strong><br />

Rechtssicherheit für sinnvoll? Sehen Sie in diesem Zusammenhang notwendigen<br />

Regelungsbedarf und wenn ja, wie sollte dieser ausgestaltet sein?<br />

Frage: Gibt es neben einer möglichen Verlängerung <strong>der</strong> Rückkehrfrist an<strong>der</strong>e<br />

denkbare Maßnahmen seitens des Gesetzgebers?<br />

a) Fallbeispiel 1 ”Heiratsverschleppung”<br />

Türkische Gastarbeiterfamilie, Tochter Belkis ist das jüngste Kind, lebt seit dem 3.<br />

Lebensjahr in Deutschland, ist jetzt 16 Jahre alt und besucht die Schule. Belkis ist voll<br />

integriert, hat die ”deutsche” Lebensweise angenommen. Der Vater verbüßt eine Haftstrafe,<br />

die Mutter kehrt mit Belkis in die Türkei zur Familie des Vaters zurück. Da Belkis sich<br />

auflehnt und archaische Familienverhältnisse nicht akzeptieren will, beschließt die Familie<br />

Belkis zu verheiraten und es wird ein viel älterer Mann ausgesucht. Belkis wird <strong>der</strong> Pass<br />

weggenommen, sie wird eingesperrt und bedroht. Erst nach 8 Monaten gelingt es ihr ihren<br />

Pass in Besitz zu bringen und zu fliehen. Belkis schlägt sich alleine durch bis nach<br />

Deutschland zu ihrer älteren Schwester. Als ihre befristete Aufenthaltserlaubnis abläuft, geht<br />

- 49 -


sie zur Auslän<strong>der</strong>behörde zur Verlängerung. Belkis war länger als 6 Monate in <strong>der</strong> Türkei,<br />

d.h. ihre Aufenthaltserlaubnis ist kraft Gesetzes erloschen (§ 51 Abs.1 Nr.7 AufenthG). Die<br />

Auslän<strong>der</strong>behörde verfügt eine Ausreiseauffor<strong>der</strong>ung und Abschiebungsandrohung mit<br />

einmonatiger Ausreisefrist, Belkis soll zur Mutter in die Türkei abgeschoben werden.<br />

b) Rechts- und Problemlage<br />

Auslän<strong>der</strong>Innen, die gegen ihren Willen das Bundesgebiet verlassen haben o<strong>der</strong> durch<br />

Zwang an ihrer Rückkehr gehin<strong>der</strong>t wurden, muss die Möglichkeit gegeben werden ins<br />

Bundesgebiet zurückzukehren und hier Schutz zu finden. Dies erfor<strong>der</strong>t zwei gesetzliche<br />

Än<strong>der</strong>ungen.<br />

Das bestehende Aufenthaltsrecht darf nicht nach 6 Monaten kraft Gesetzes erlöschen, die<br />

Frist muss für diese Fälle verlängert werden, meines Erachtens auf 3 Jahre.<br />

Dies hilft Auslän<strong>der</strong>Innen jedoch dann nicht, wenn die bestehende befristete<br />

Aufenthaltserlaubnis während des Auslandsaufenthaltes abläuft, dann muss die Erteilung<br />

einer neuen Aufenthaltserlaubnis möglich sein. Das Recht auf Wie<strong>der</strong>kehr nach § 37<br />

AufenthG wäre sinngemäß die richtige Vorschrift. Junge Menschen, die im Bundesgebiet<br />

aufwachsen und in die Herkunftslän<strong>der</strong> zurückkehren, dort nicht mehr zurecht kommen, weil<br />

sie ”deutsch” geprägt sind, können auch nach einem längeren Aufenthalt als 6 Monaten,<br />

wie<strong>der</strong> an das frühere Aufenthaltsrecht anknüpfen.<br />

Ein Anspruch besteht nach 8-jährigem rechtmäßigem Aufenthalt, 6-jährigem Schulbesuch<br />

und einer Rückkehr zwischen dem 15. und 21. Lebensjahr (§ 37 Abs.1 AufenthG). Bei<br />

kürzeren Zeiten kann in Härtefällen im Wege des Ermessens eine Aufenthaltserlaubnis erteilt<br />

werden (§ 37 Abs.2 AufenthG). Das Recht auf Wie<strong>der</strong>kehr setzt aber immer voraus, dass <strong>der</strong><br />

Unterhalt in Deutschland gesichert ist (§ 37 Abs.1, Nr.2 AufenthG). Bei jungen Menschen,<br />

die zu ihren hier lebenden Familienangehörigen zurückkehren, ist dies unproblematisch.<br />

Opfer von Zwangsheirat o<strong>der</strong> Opfer von Zwangsverschleppungen, die gegen ihren Willen<br />

von ihren eigenen Familien im Herkunftsland festgehalten werden, brechen mit ihrer Flucht<br />

zugleich mit ihrem familiären Umfeld. Sie können keinerlei Unterstützung mehr von ihren<br />

Familien erwarten, son<strong>der</strong>n müssen vielmehr mit Verfolgungen durch die Familien rechnen.<br />

Ein Recht auf Wie<strong>der</strong>kehr muss daher unabhängig von <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> Sicherung des<br />

eigenen Unterhalts eingeräumt werden.<br />

c) For<strong>der</strong>ung<br />

1. Ein verzögerter Verfall des Aufenthaltstitels des verschleppten Opfers erst nach drei<br />

Jahren (§ 51 AufenthG).<br />

2. Die Einräumung des Rechts auf Wie<strong>der</strong>kehr von verschleppten Opfern unabhängig von<br />

<strong>der</strong> Sicherung des Lebensunterhalts (§ 37 AufenthG).<br />

- 50 -


d) Anmerkungen<br />

� Jugendliche, die freiwillig in die Herkunftslän<strong>der</strong> zurückkehren, haben ein Recht auf<br />

Wie<strong>der</strong>kehr, wenn ihr Aufenthalt finanziell gesichert ist. Jugendliche, die nicht<br />

freiwillig zurückgekehrt sind und/o<strong>der</strong> unter Zwang in den Herkunftslän<strong>der</strong>n<br />

festgehalten wurden, sind weitaus schutzbedürftiger und schutzwürdiger. Sie müssen<br />

in <strong>der</strong> Regel mit dem gesamten familiären Umfeld brechen und sind altersbedingt<br />

nicht in <strong>der</strong> Lage selbst ihren Unterhalt zu sichern.<br />

� Bei <strong>der</strong> Unterhaltssicherung sollte nicht nur auf die momentane Situation abgestellt<br />

werden, son<strong>der</strong>n auf die Perspektive. Jugendliche, die es schaffen, sich <strong>vom</strong><br />

familiären Umfeld zu lösen und ein eigenständiges Leben anzufangen, haben eine<br />

Perspektive. Sie werden auch den Schulabschluss und Ausbildungsabschluss<br />

schaffen und sich in den Arbeitsmarkt integrieren. Sie brauchen nur befristete<br />

Unterstützung.<br />

� Opfer von ”Heirats-/Verschleppungen” haben genau das gemacht, was wir von<br />

Auslän<strong>der</strong>n erwarten. Sie haben sich in die deutschen Lebensverhältnisse integriert,<br />

die Mädchen möchten eine Ausbildung machen, Geld verdienen, sich ihren Mann<br />

selbst aussuchen und selbst bestimmt leben, wie ”deutsche Mädchen”. Deshalb<br />

werden sie von ihren Familien unterdrückt, eingesperrt, in die Herkunftslän<strong>der</strong><br />

verschleppt, in Islamschulen untergebracht, misshandelt und zwangsverheiratet. Der<br />

deutsche Staat darf sie in dieser Situation nicht im Stich lassen, schon gar nicht<br />

wie<strong>der</strong> in die Herkunftslän<strong>der</strong> abschieben.<br />

� Großbritannien hat beispielsweise im Rahmen eines nationalen Aktionsplans zur<br />

Bekämpfung <strong>der</strong> Zwangsheirat eine Fachkommission innerhalb des<br />

Außenministeriums eingerichtet, die im Zeitraum von 2000 bis 2004 nicht nur 1000<br />

Betroffene umfassend beraten, son<strong>der</strong>n ca. 200 Opfer von Heiratsverschleppung<br />

nach Großbritannien zurückgeholt hat.<br />

Frage: Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang den Vorschlag, in § 35 AufenthG<br />

klarzustellen, dass Auslän<strong>der</strong>Innen, die als Kind seit fünf Jahren im Besitz <strong>der</strong><br />

Aufenthaltserlaubnis sind, nicht mehr nur auf eigenen Antrag hin, son<strong>der</strong>n schon von<br />

Amts wegen eine Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis erhalten, die auch dann nicht erlischt,<br />

wenn die betreffende Person sich länger als sechs Monate im Ausland aufhält?<br />

Anmerkungen:<br />

• Grundsätzlich wäre es positiv, wenn losgelöst von <strong>der</strong> Thematik Zwangsheirat die<br />

Rechtsstellung aller ausländischen Kin<strong>der</strong> gestärkt wird und alle kraft Gesetzes nach 5-<br />

jährigem Aufenthalt ohne Antrag eine unbefristete Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis erhalten,<br />

- 51 -


die auch bei einem länger als 6-monatigem Auslandsaufenthalt nicht erlischt und eine<br />

Rückkehr möglich bleibt.<br />

• In Fällen archaischer Familienstrukturen können Eltern nicht mehr verhin<strong>der</strong>n, dass<br />

sich <strong>der</strong> Aufenthalt ihrer Kin<strong>der</strong> verfestigt o<strong>der</strong> das Aufenthaltsrecht durch ein<br />

Verbringen ins Herkunftsland ganz erlischt.<br />

• Zu bedenken ist aber, ob eine unbegrenzte Rückkehrmöglichkeit sinnvoll ist, meines<br />

Erachtens nur, solange <strong>der</strong> überwiegende Lebensmittelpunkt in Deutschland bleibt.<br />

Dies entspricht auch dem Grundgedanken <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis, als<br />

verfestigtem Aufenthaltsrecht. Beispielsweise ein Extremfall: ein Kind lebt <strong>vom</strong> 5. bis<br />

10. Lebensjahr in Deutschland, erhält eine Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis, kehrt dann mit<br />

seiner Familie ins Herkunftsland zurück, lebt dort 40 Jahre und kommt dann im Alter<br />

von 50 Jahren mit <strong>der</strong> nie erloschenen Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis wie<strong>der</strong> nach<br />

Deutschland.<br />

Frage: Wie bewerten Sie, unter Berücksichtigung des sozialen und familiären<br />

Kontextes von Zwangsverheirateten, die Schaffung eines eigenständigen<br />

Aufenthaltsrechtes bei <strong>der</strong> Auflösung <strong>der</strong> Ehe unter 2 Jahren o<strong>der</strong> ist Ihres Erachtens<br />

die Härtefallklausel in <strong>der</strong> Praxis ausreichend?<br />

a) Fallbeispiel 2 ”Importbraut”<br />

Tutgu wird mit Geburt einem Cousin versprochen, <strong>der</strong> als Gastarbeiter in Deutschland lebt.<br />

Mit 15 Jahren wird sie verheiratet und wird mit 17 Jahren nach Deutschland geschickt. Die<br />

Ehe ist geprägt von Gewalt und Unterdrückung. Tutgu möchte sich trennen, wird aber von<br />

ihrem Mann und <strong>der</strong> Familie massiv bedroht und unter Druck gesetzt. Mit 18 Jahren flüchtet<br />

sie ins Frauenhaus und möchte sich scheiden lassen. Sie hat aber Angst ihr Aufenthaltsrecht<br />

zu verlieren. Wenn sie zu ihrer Familie zurückgeschickt wird, wird sie gezwungen die Ehe<br />

fortzuführen o<strong>der</strong> muss mit erheblichen Diskriminierungen und gravierenden Anfeindungen<br />

rechnen, bis hin zur Bedrohung an Leib und Leben.<br />

b) Rechts- und Problemlage<br />

Nach § 31 Abs.2 AufenthG hat <strong>der</strong> Ehegatte ein eigenständiges Aufenthaltsrecht unabhängig<br />

<strong>vom</strong> Bestand <strong>der</strong> ehelichen Lebensgemeinschaft auch nach erfolgter Trennung, wenn eine<br />

beson<strong>der</strong>e Härte vorliegt. Eine beson<strong>der</strong>e Härte kann darin begründet sein, dass <strong>der</strong><br />

Ehegatte in <strong>der</strong> Ehe gedemütigt und misshandelt wurde o<strong>der</strong> dass er nach erfolgter<br />

Trennung wegen zu befürchten<strong>der</strong> Diskriminierungen nicht mehr ins Herkunftsland<br />

zurückkehren kann. Beide Voraussetzungen liegen in <strong>der</strong> Regel vor, Probleme ergeben sich<br />

in <strong>der</strong> Praxis nur bei <strong>der</strong> Umsetzung. Die Härtefallregelung ist eine reine<br />

Ermessensentscheidung <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde, die nach meiner Erfahrung sehr restriktiv<br />

gehandhabt wird.<br />

- 52 -


c) For<strong>der</strong>ung<br />

Aufnahme <strong>der</strong> Zwangsheirat als Regelbeispiel eines Härtefalls in den Erläuterungen in <strong>der</strong><br />

Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (§ 31 Abs.2 AufenthG).<br />

d) Anmerkungen<br />

� Eine ”beson<strong>der</strong>e Härte” ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Auslegung<br />

unterliegt <strong>der</strong> jeweiligen Auslän<strong>der</strong>behörde.<br />

� Die Härtefallregelung ist eine reine Ermessensentscheidung, d.h. die<br />

Auslän<strong>der</strong>behörde muss nur alle relevanten Gesichtspunkte in Betracht ziehen, ist in<br />

ihrer Entscheidung aber frei. Ermessensentscheidungen unterliegen nur <strong>der</strong><br />

eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung. Das Gericht kann nicht sein Ermessen<br />

an die Stelle des Ermessens <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde setzen, son<strong>der</strong>n nur bei groben<br />

Ermessensfehlern korrigierend entscheiden.<br />

� Beides führt zu erheblichen Unterschieden in <strong>der</strong> Entscheidungspraxis einzelner<br />

Auslän<strong>der</strong>behörden.<br />

� Demgegenüber hat die Auslän<strong>der</strong>behörde bei ihrer Auslegung und<br />

Ermessensentscheidung die Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz zu<br />

berücksichtigen. Eine Aufnahme <strong>der</strong> Zwangsheirat als Regelbeispiel eines Härtefalls<br />

in <strong>der</strong> Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz würde zu einer einheitlicheren<br />

Entscheidungspraxis führen.<br />

Frage: Wie lässt sich ein eigenständiger aufenthaltsrechtlicher Status für von<br />

<strong>Zwangsverheiratung</strong> Betroffenen erreichen, die nur eine Duldung besitzen<br />

beziehungsweise <strong>der</strong>en Ehepartner nur eine Duldung o<strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis<br />

besitzt? Inwieweit kann § 25 AufenthG einen Zugang zu einem humanitären<br />

Schutzstatus eine Lösung für Betroffene bieten?<br />

a) Fallbeispiel 3 ”Opfer ohne gesicherten Aufenthalt”<br />

Leonora und ihre Familie sind vor Jahren aus dem Kosovo geflohen, sie gehören zur<br />

Min<strong>der</strong>heit <strong>der</strong> Roma. Ihr Asylverfahren wurde abgelehnt, sie haben seitdem nur Duldungen<br />

und kein Aufenthaltsrecht. Leonora lebt seit ihrem 7. Lebensjahr in Deutschland, hat einen<br />

qualifizierten Schulabschluss, spricht we<strong>der</strong> albanisch noch serbo-kroatisch. Mit 19 Jahren<br />

will ihr Vater sie zu einer Heirat zwingen, mit einem Mann, den er ausgesucht hat. Leonora<br />

weigert sich, wird geschlagen und mit brennenden Zigarettenkippen an den Armen verletzt.<br />

Leonora flieht ins Frauenhaus, ihr droht jedoch gleichermaßen wie ihrer Familie die<br />

Abschiebung in den Kosovo.<br />

- 53 -


) Rechts- und Problemlage<br />

Eine Aufenthaltserlaubnis humanitär wird im Wesentlichen nur erteilt, wenn das Bundesamt<br />

für Migration und Flüchtlinge im Asylverfahren ein Asylrecht anerkannt (§ 60 Abs.1<br />

AufenthG), die Voraussetzungen <strong>der</strong> Genfer Flüchtlingskonvention o<strong>der</strong> so genannte<br />

Abschiebungshin<strong>der</strong>nisse (§ 60 Abs. 2,3,5 o<strong>der</strong> 7 AufenthG) festgestellt hat (§ 25 Abs. 1-3<br />

AufenthG). Wenn einmal Asylantrag gestellt wurde, bleibt das Bundesamt für Migration und<br />

Flüchtlinge zuständig und es müssen Abschiebungshin<strong>der</strong>nisse im Rahmen eines<br />

Folgeantrages geltend gemacht werden.<br />

Ein Abschiebungshin<strong>der</strong>nis nach § 60 Abs.7 AufenthG liegt vor, wenn den Auslän<strong>der</strong>Innen<br />

eine erhebliche, individuelle und konkrete Gefahr für Leib, Leben o<strong>der</strong> Freiheit droht. Das<br />

Bundesverwaltungsgericht hat dies so formuliert: ”Jemanden sehenden Auges in den<br />

sicheren Tod schicken”. Diese hohe Anfor<strong>der</strong>ung muss von den Auslän<strong>der</strong>Innen<br />

nachgewiesen werden.<br />

Bei an<strong>der</strong>en Geduldeten z. B. Bürgerkriegsflüchtlingen, die nie Asyl beantragt o<strong>der</strong><br />

Auslän<strong>der</strong>Innen, die ihr Aufenthaltsrecht verloren haben, entscheiden die<br />

Auslän<strong>der</strong>behörden selbst. Ihre Zuständigkeit begrenzt sich auf die Prüfung von<br />

Abschiebungshin<strong>der</strong>nissen nach § 60 Abs.7 AufenthG und beim Vorliegen solcher<br />

Abschiebungshin<strong>der</strong>nisse die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis humanitär (§ 25 Abs.5<br />

AufenthG).<br />

Die Aufenthaltserlaubnis humanitär (§ 25 AufenthG) wird in <strong>der</strong> Regel befristet auf 1 Jahr<br />

erteilt. Bei je<strong>der</strong> Verlängerung muss erneut geprüft werden, ob die Voraussetzungen weiter<br />

vorliegen. Frühestens nach 7 Jahren kann eine unbefristete Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis erteilt<br />

werden. Das heißt, die Auslän<strong>der</strong>Innen müssen 7 Jahre lang das Vorliegen von<br />

Abschiebungshin<strong>der</strong>nissen nachweisen, dass die Familie sie immer noch bedroht und<br />

Gefahr für Leib, Leben o<strong>der</strong> Freiheit besteht. Das wird umso schwieriger je länger <strong>der</strong><br />

Kontakt zu <strong>der</strong> Familie abgebrochen wurde.<br />

(Die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs.4 AufenthG regelt demgegenüber nur Fälle, in<br />

denen die weitere Anwesenheit in Deutschland vorübergehend erfor<strong>der</strong>lich ist z. B. Opfer<br />

von Menschenhandel während des Strafverfahrens).<br />

c) For<strong>der</strong>ung<br />

1. Aufnahme <strong>der</strong> Zwangsheirat als Regelbeispiel in den Erläuterungen in <strong>der</strong><br />

Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (§ 25 Abs. 5 AufenthG).<br />

2. Erteilung einer Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis bei Vorliegen einer Zwangsheirat bereits nach 3<br />

Jahren (§ 26 Abs.4 AufenthG).<br />

- 54 -


d) Anmerkungen<br />

• Eine Aufenthaltserlaubnis humanitär (§ 25 Abs.5 AufenthG) kann nur erteilt und verlängert<br />

werden, wenn die Auslän<strong>der</strong>Innen eine Gefährdung ihres Lebens, Gesundheit o<strong>der</strong><br />

Freiheit nachweisen können. Es ist unzumutbar quasi regelmäßig über einen Zeitraum<br />

von 7 Jahren mit <strong>der</strong> Familie Kontakt auf- und weitere Drohungen und Gefährdungen in<br />

Kauf zu nehmen, um diesen Nachweis führen zu können.<br />

• Anerkannte Asylberechtigte o<strong>der</strong> Personen, bei denen das Bundesamt das Vorliegen <strong>der</strong><br />

Voraussetzungen nach <strong>der</strong> Genfer Flüchtlingskonvention festgestellt hat, erhalten 3 Jahre<br />

ein befristetes Aufenthaltsrecht. Danach erfolgt eine einmalige Überprüfung, wenn die<br />

Voraussetzungen weiter vorliegen, kann eine Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis erteilt werden.<br />

• Opfer von Zwangsheirat erleiden vergleichbare Verfolgungen und Bedrohungen, wenn<br />

auch nicht staatlicherseits, son<strong>der</strong>n durch die Familien, jedoch gleichermaßen<br />

schutzwürdig. Insoweit sollte meines Erachtens eine Gleichstellung erfolgen und die<br />

Erteilung einer Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis nach 3 Jahren möglich sein.<br />

Frage: Wie bewerten Sie die <strong>der</strong>zeit diskutierte generelle Heraufsetzung des<br />

Nachzugsalters für EhepartnerInnen auf das 21. Lebensjahr, u. a. vor dem Hintergrund<br />

des Art.6 Abs.1 GG? Würde eine solche Regelung einen Beitrag zur effektiven<br />

Verhin<strong>der</strong>ung von <strong>Zwangsverheiratung</strong>en leisten? Wie beurteilen Sie die Tatsache,<br />

dass eine solche, auf Verhin<strong>der</strong>ung von <strong>Zwangsverheiratung</strong>en abzielende Regelung,<br />

sich auf alle binationalen Ehen beziehen würde?<br />

Frage: Wie bewerten Sie das Verlangen eines Nachweises von mindestens geringen<br />

Deutschkenntnissen vor dem Ehegattennachtzug?<br />

a) Fallbeispiel 4 ”Verheiratung für ein Einwan<strong>der</strong>ungsticket”<br />

Aylin ist türkischer Abstammung, die ganze Familie lebt seit Jahren in Deutschland und ist<br />

eingebürgert. Mit Geburt wurde sie ihrem Cousin versprochen. Mit 12 Jahren wird sie<br />

anlässlich eines Sommerurlaubs in <strong>der</strong> Türkei mit dem Cousin verheiratet (Imamehe). Nach<br />

dem Hauptschulabschluss darf sie keine Ausbildung machen, muss Geld verdienen.<br />

Familienzusammenführung setzt Unterhaltssicherung voraus. An ihrem 16. Geburtstag<br />

beantragt die Familie den Ehegattennachzug, <strong>der</strong> Cousin kommt nach Deutschland, bringt<br />

seine archaischen Wertvorstellungen von Familie mit. Ein langes Martyrium beginnt – Aylin<br />

muss das Geld verdienen, darf keine Minute zu spät nach Hause kommen, wird eingesperrt,<br />

gedemütigt, geschlagen, vergewaltigt. Im Alter von 17 Jahren kommt <strong>der</strong> Sohn zur Welt, <strong>der</strong><br />

Sohn wird <strong>vom</strong> Vater erzogen und geprägt, <strong>der</strong> nicht arbeitet, kein deutsch lernt und das<br />

Geld, das Aylin verdient, verspielt. Mit 21 Jahren flieht Aylin ins Frauenhaus, lebt fortan<br />

versteckt in ständiger Angst vor dem Mann, bedroht von <strong>der</strong> ganzen Familie. Den Sohn lässt<br />

Aylin beim Mann, sie sagt, wenn sie ihn mitnimmt, hat sie keine Überlebenschance.<br />

- 55 -


) Rechts- und Problemlage<br />

Der Familiennachzug ist nicht an das Alter geknüpft, son<strong>der</strong>n an das verfestigte<br />

Aufenthaltsrecht, die Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis. Diese kann ab dem 16. Lebensjahr erteilt<br />

werden. Die Auslän<strong>der</strong>Innen dürfen keine Ausbildung machen, da sie bereits mit 16 Jahren<br />

arbeiten und den Lebensunterhalt sichern können müssen, weil sonst <strong>der</strong> Ehegatte nicht<br />

nachziehen darf. Wenn Auslän<strong>der</strong>Innen min<strong>der</strong>jährig sind, kann die Familie bestimmen und<br />

alles selbsttätig regeln, sowohl die Eheschließung, als auch den Familiennachzug. Wenn<br />

sich Auslän<strong>der</strong>Innen dem wi<strong>der</strong>setzen möchten, bleibt nur <strong>der</strong> Gang zum Jugendamt, dieses<br />

muss die Vormundschaft und Inobhutnahme beantragen, die Unterbringung in einer<br />

Pflegefamilie o<strong>der</strong> Einrichtung veranlassen.<br />

Wenn <strong>der</strong> Familiennachzug erst mit 18 Jahren möglich ist, ist ausreichend Zeit für eine<br />

Ausbildung. Die Auslän<strong>der</strong>Innen sind reifer und selbstbewusster, Mädchen können ein<br />

Frauenhaus aufsuchen, um sich vor <strong>der</strong> drohenden Zwangsheirat zu schützen o<strong>der</strong> aus<br />

dieser zu entkommen. Soweit die Zwangsheirat im Rahmen <strong>der</strong> ”Ferienverheiratung”<br />

vollzogen wurde, können Auslän<strong>der</strong>Innen nach <strong>der</strong> Rückkehr unverzüglich die<br />

Eheaufhebung betreiben und die Auslän<strong>der</strong>behörde informieren, dass <strong>der</strong> Nachzugsantrag<br />

des Ehegatten abgelehnt wird.<br />

c) For<strong>der</strong>ung<br />

Anhebung des Ehegattennachzugsalters auf 18 Jahre für beide Ehegatten.<br />

d) Anmerkungen<br />

� Über das internationale Privatrecht ist <strong>der</strong> deutsche Staat gezwungen ausländische<br />

Eheschließungen von Min<strong>der</strong>jährigen anzuerkennen, eine Nichtanerkennung ist nur<br />

in wenigen Fällen über das ”ordre public” möglich. Der Familiennachzug sollte meines<br />

Erachtens nicht nur an Aufenthaltsdauer und Unterhaltssicherung geknüpft sein,<br />

son<strong>der</strong>n als weitere Voraussetzung an ein Mindestalter bei<strong>der</strong> Ehegatten.<br />

� Allein sinnvoll und als Schutz ausreichend ist aus meiner Sicht die Heraufsetzung auf<br />

das Volljährigkeitsalter. Die meisten nationalen Gesetze sehen als Heiratsalter<br />

zwischenzeitlich ohnehin das 18. Lebensjahr vor, auch das türkische Recht.<br />

� Der deutsche Staat ist nicht verpflichtet in jedem Fall einer anzuerkennenden Ehe<br />

auch den sofortigen uneingeschränkten Ehegattennachzug zu gewähren. Befristete<br />

Trennungen sind nach Art. 6 GG zumutbar und zulässig und finden sich auch in<br />

vielen Regelungen des Auslän<strong>der</strong>rechts. Beispielsweise hat ein Ehegatte, <strong>der</strong> nach<br />

seiner Einreise heiratet, erst einen Anspruch auf Familiennachzug nach fünfjährigem<br />

Aufenthalt (Flüchtlinge mit Aufenthaltserlaubnis humanitär nach 7 Jahren). Davor ist<br />

ein Nachzug nur in Ausnahmefällen möglich.<br />

- 56 -


� Eine weitergehende Heraufsetzung des Nachzugsalters auf 21 Jahre stellt meines<br />

Erachtens demgegenüber eine unangemessene Erschwerung und Benachteiligung<br />

des regulären Familiennachzugs dar. Nur weil in einigen wenigen Fällen ein schwerer<br />

Missbrauch betrieben wird, dürfen nicht alle ”Liebesheiraten” beschränkt und belastet<br />

werden. Das Bundesverfassungsgericht hat in <strong>der</strong> Vergangenheit auch generelle<br />

rigide Wartezeiten beim Familiennachzug als verfassungswidrig abgelehnt.<br />

� Die For<strong>der</strong>ung nach Deutschkenntnissen vor <strong>der</strong> Einreise ist meines Erachtens nicht<br />

erfüllbar, da es in den wenigsten Herkunftslän<strong>der</strong> erreichbare Sprachangebote gibt<br />

und auch nicht zwingend geboten, da diese Auslän<strong>der</strong>Innen ohnehin verpflichtet sind,<br />

nach <strong>der</strong> Einreise an Deutsch- und Integrationskursen teilzunehmen. Zu prüfen wäre<br />

allenfalls, wie die Teilnahmepflicht besser zeitnah durchgesetzt werden kann.<br />

� Wenn Zwangsheirat wirksam bekämpft werden soll, ist meines Erachtens ein an<strong>der</strong>er<br />

Ansatz notwendig. Das Bewusstsein <strong>der</strong> hier lebenden Familien muss geän<strong>der</strong>t<br />

werden. Der Europarat hat in <strong>der</strong> Resolution 1327(2003) die europäischen Staaten<br />

aufgefor<strong>der</strong>t, nationale Aufklärungskampagnen zu starten und Fortbildungen für<br />

MultiplikatorInnen anzubieten.<br />

� In Schweden wurden beispielsweise 20 Millionen Euro für Maßnahmen im Zeitraum<br />

von 2003 bis 2007 zur Verfügung gestellt. Neben einer massiven Aufklärungsarbeit in<br />

Schulen wird <strong>der</strong> Augenmerk gelegt auf die Elternarbeit, Männer- und Jungenprojekte<br />

und auf die Kooperation mit Religionsgemeinschaften.<br />

� ”Zwangsheirat” kann meines Erachtens nur wirksam bekämpft werden, wenn das<br />

Bewusstsein <strong>der</strong> betroffenen Familien verän<strong>der</strong>t wird. Die Ursachen sind<br />

vielschichtig, es ist nicht nur eine Frage <strong>der</strong> ”gescheiterten Integration” o<strong>der</strong> fehlen<strong>der</strong><br />

Sprachkenntnisse. Die Fachkommission Zwangsheirat <strong>der</strong> baden-württembergischen<br />

Landesregierung hat über einen breit gestreuten Fragebogen versucht, Daten zu<br />

erhalten. Die Befragung war nicht repräsentativ, 93 Einrichtungen (nur 12 von 42<br />

Frauenhäusern) haben an <strong>der</strong> Befragung teilgenommen. Im Zeitraum von Januar bis<br />

Oktober 2005 haben bei diesen Einrichtungen 215 von Zwangsheirat Betroffene um<br />

Rat und Schutz nachgesucht. Fast 20 % <strong>der</strong> Betroffenen waren eingebürgert und<br />

hatten bereits die deutsche Staatsangehörigkeit, d.h. die Familien hatten zumindest<br />

die sprachliche und wirtschaftliche Integration vollzogen, trotzdem kam es zur<br />

Zwangsheirat.<br />

- 57 -


Zivilrecht<br />

Frage: Wie sinnvoll ist es Ihres Erachtens, unter Berücksichtigung des sozialen und<br />

familiären Kontextes von <strong>Zwangsverheiratung</strong>en, die Aufhebungsfrist (§ 1314 Abs.2<br />

Nr.4 BGB) von bislang einem Jahr ab dem Ende <strong>der</strong> Zwangslage für eine unter Zwang<br />

geschlossene Ehe zu verlängern?<br />

a) Fallbeispiel 4 ”Verheiratung für ein Einwan<strong>der</strong>ungsticket”<br />

siehe oben<br />

b) For<strong>der</strong>ung<br />

Aus meiner Sicht und Erfahrung sollte die Aufhebungsfrist (§ 1314 Abs.2 Nr.4 BGB) auf drei<br />

Jahre verlängert werden.<br />

c) Anmerkungen<br />

� In vielen Fällen bedeutet das Loslösen aus <strong>der</strong> Zwangsheirat nicht nur einen Bruch<br />

mit dem gesamten familiären und sozialen Umfeld, son<strong>der</strong>n auch ein<br />

unkalkulierbares Risiko <strong>der</strong> Bedrohung und Verfolgung. Im Vor<strong>der</strong>grund stehen<br />

zunächst die Sicherung <strong>der</strong> eigenen Person und die Schaffung einer neuen Existenz.<br />

Gesucht wird Ruhe und Distanz, in <strong>der</strong> Hoffnung auf Akzeptanz <strong>der</strong><br />

Trennungsentscheidung. Ein Antrag auf Eheaufhebung verstärkt demgegenüber die<br />

Emotionen und die Bedrohungen durch die Familie.<br />

� Erst wenn ein stabiles soziales Umfeld geschaffen werden konnte und eine<br />

emotionale Festigung eingetreten ist, kann <strong>der</strong> nächste Schritt, die Aufhebung <strong>der</strong><br />

Ehe angedacht werden. Erfahrungsgemäß braucht dies in vielen Fällen mehr als 1<br />

Jahr.<br />

� Nach <strong>der</strong> vorbezeichneten Umfrage <strong>der</strong> Fachkommission Zwangsheirat <strong>der</strong> baden-<br />

württembergischen Landesregierung lebten von 91 Zwangsverheirateten 37 % noch<br />

in <strong>der</strong> Ehe, 17 % getrennt. Lediglich 17 % waren geschieden, weitere 13 % hatten die<br />

Scheidung beantragt, nur 3 % die Eheaufhebung. Auch wenn die Befragung nicht<br />

repräsentativ war und die Zahlen zu relativieren sind, zeigen diese Zahlen dennoch<br />

deutlich, dass die <strong>der</strong>zeitige Regelung zur Eheaufhebung nicht ausreicht.<br />

Frage: Sehen Sie die Notwendigkeit, unter Bezug auf <strong>Zwangsverheiratung</strong>en das<br />

gesetzliche Erbrecht sowie das Unterhaltsrecht zu novellieren und wenn ja, wie und<br />

welche an<strong>der</strong>en Regelungen wären zu prüfen?<br />

- 58 -


a) For<strong>der</strong>ung<br />

Die <strong>vom</strong> Bundesrat Drucksache 51/06 <strong>vom</strong> 10.02.2006 beschlossenen unterhalts- und<br />

erbrechtlichen Regelungen (§ 1318 Abs.2 und 5 BGB) sind sinnvoll und geboten.<br />

b) Anmerkungen<br />

• Die Geltendmachung von Unterhalt ist nach <strong>der</strong> jetzigen Rechtslage im Falle einer<br />

Scheidung möglich, bei einer Eheaufhebung nur ausnahmsweise. Ausnahmsweise,<br />

wenn die zur Zwangsheirat führende Drohung auch <strong>vom</strong> Ehegatten ausgegangen ist<br />

o<strong>der</strong> dieser zumindest davon Kenntnis hatte. Die Auslän<strong>der</strong>Innen müssen nicht nur die<br />

Zwangsheirat an sich, son<strong>der</strong>n auch noch die Gesinnung des Ehegatten beweisen.<br />

• Die so genannte “Importbraut” (Fallbeispiel 2) ist auf Unterhaltszahlungen angewiesen,<br />

um ihr Aufenthaltsrecht nicht zu verlieren. Die Auslän<strong>der</strong>Innen sollen nicht aus<br />

finanziellen Gründen gezwungen sein, die Ehescheidung zu wählen.<br />

• Aus psychologischen Gründen ist es für viele Opfer von Zwangsheirat wichtig, dass die<br />

Ehe aufgehoben wird, die FamilienrichterInnen das begangene Unrecht feststellen, die<br />

Eheschließung für nichtig erklärt und quasi den Zustand des “Unverheiratetseins”<br />

wie<strong>der</strong> herstellt.<br />

• Ein Unterhaltsanspruch sollte daher auch im Falle einer Eheaufhebung bestehen.<br />

• Nach den geltenden Vorschriften des Erbrechts ist <strong>der</strong> Ehegatte auch dann<br />

erbberechtigt, wenn eine Zwangsheirat vorliegt, es sei denn <strong>der</strong> zur Zwangsheirat<br />

genötigte Erblasser hat bereits einen Antrag auf Eheaufhebung rechtshängig gemacht.<br />

• Hierfür ist kein schutzwürdiges Interesse erkennbar, ein Erbrecht sollte bei Vorliegen<br />

einer Zwangsheirat auch unabhängig von <strong>der</strong> Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens<br />

ausgeschlossen sein.<br />

Zivilprozessrecht<br />

Familiengerichtliche Zuständigkeit<br />

a) Fallbeispiel 5 ”Drohung mit Ehrenmord”<br />

Nasrin wurde zwangsverheiratet, hat eine einjährige Tochter. Nasrin hat sich aus <strong>der</strong> Ehe<br />

gelöst und wird von <strong>der</strong> Familie massiv bedroht. Die Familie sucht nach ihr, Nasrin hat Angst,<br />

dass <strong>der</strong> Vater o<strong>der</strong> ein Bru<strong>der</strong> sie töten, wenn sie ihrer habhaft werden. Nasrin lebt in einem<br />

Frauenhaus in einem an<strong>der</strong>en Bundesland, konnte bisher durch Sperrvermerke bei<br />

Einwohnermeldeamt, Jugendamt, Krankenkasse, Telefongesellschaft, ... ihren Aufenthaltsort<br />

geheim halten. Nasrin möchte die Ehe baldmöglichst aufheben lassen. Zuständig ist <strong>der</strong><br />

Familienrichter am Aufenthaltsort ihres Kindes, d.h. eine Eheaufhebung/ Scheidung kann sie<br />

nur an dem Familiengericht beantragen, das für ihren jetzigen Wohnort örtlich zuständig ist.<br />

- 59 -


) Rechts- und Problemlage<br />

Nach § 620 Abs.1 Satz 1 ZPO ist für eine Eheaufhebung/Scheidung das Gericht des Bezirks<br />

zuständig, in dem die Ehegatten noch gemeinsam wohnen o<strong>der</strong> zuletzt gemeinsam gewohnt<br />

haben. Wenn gemeinsame Kin<strong>der</strong> vorhanden sind, än<strong>der</strong>t sich jedoch die Zuständigkeit,<br />

diese folgt dem Wohnort des Kindes (§ 620 Abs.1 Satz 2 ZPO).<br />

c) For<strong>der</strong>ung<br />

Än<strong>der</strong>ung des § 620 Abs.1 ZPO, dass in Fällen von Zwangsheirat eine Wahlzuständigkeit<br />

auch am früheren Wohnort besteht.<br />

d) Anmerkungen<br />

� Für Auslän<strong>der</strong>Innen, die Kin<strong>der</strong> haben, hat diese örtliche Zuständigkeitsregelung zur<br />

Konsequenz, dass über die Zuständigkeit des Gerichts zumindest <strong>der</strong> Bezirk bekannt<br />

wird, in dem sie leben. Dies bedeutet einen erheblichen Sicherheitsverlust. Während<br />

<strong>der</strong> familiengerichtlichen Verfahren besteht das Risiko, dass <strong>der</strong> Ehegatte bzw. die<br />

Familie die Auslän<strong>der</strong>Innen auffinden und zur Rechenschaft ziehen können. Viele<br />

scheuen dieses Risiko und bleiben formal weiter verheiratet (nach <strong>der</strong> Umfrage <strong>der</strong><br />

Fachkommission Zwangsheirat <strong>der</strong> baden-württembergischen Landesregierung 54 %<br />

siehe oben).<br />

� Der Ehegatte hat die Möglichkeit, über einen Eheaufhebungs-/Scheidungsantrag<br />

o<strong>der</strong> Umgangsantrag beim Familiengericht zu erfahren, in welchem Bezirk sich die<br />

Auslän<strong>der</strong>Innen aufhalten.<br />

� In Umgangsverfahren und an<strong>der</strong>en Kindschaftssachen ist <strong>vom</strong> Familiengericht das<br />

Jugendamt zu beteiligen. Zuständig ist das Jugendamt am Wohnsitz des Kindes.<br />

Insoweit können jedoch beide Jugendämter an den jeweiligen Wohnorten <strong>der</strong> Eltern<br />

beteiligt werden, die vor Ort die Verhältnisse klären und mit dem jeweiligen Elternteil<br />

bzw. den Kin<strong>der</strong>n Kontakt aufnehmen. Beide Jugendämter können intern<br />

kooperieren, das Jugendamt am früheren Wohnsitz die gerichtliche Vertretung<br />

übernehmen. Aus meiner Sicht besteht keine Notwendigkeit, dass beide<br />

Jugendämter öffentlich in Erscheinung treten und so <strong>der</strong> Aufenthaltsort <strong>der</strong><br />

Auslän<strong>der</strong>Innen bekannt wird.<br />

Gemeinsame Anhörung vor dem Familiengericht<br />

a) Fallbeispiel 5 ”Drohung mit Ehrenmord”<br />

siehe oben<br />

- 60 -


) Rechts- und Problemlage<br />

Die persönliche Anhörung/Vernehmung <strong>der</strong> Parteien ist im Eheaufhebungs-<br />

/Scheidungsverfahren unerlässlich (§ 613 ZPO). In <strong>der</strong> Regel wird das persönliche<br />

Erscheinen bei<strong>der</strong> Parteien gemeinsam angeordnet (§ 141 ZPO). Ausnahmen sind möglich<br />

in atypischen Fällen, wenn das gemeinsame Erscheinen unzumutbar ist. Nach § 357 Abs.1<br />

ZPO ist es <strong>der</strong> Gegenpartei aber grundsätzlich gestattet, bei <strong>der</strong> Vernehmung <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Partei anwesend zu sein, d.h. <strong>der</strong> Richter kann die Parteien zwar zu getrennten Terminen<br />

laden, wenn <strong>der</strong> Ehegatte aber darauf besteht bei <strong>der</strong> Anhörung/ Vernehmung <strong>der</strong><br />

Auslän<strong>der</strong>in anwesend zu sein, kann ihn <strong>der</strong> Richter nicht ausschließen.<br />

c) For<strong>der</strong>ung<br />

Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Vorschriften <strong>der</strong> ZPO, dass bei Eheaufhebungen/Scheidungen in atypischen<br />

Fällen wie Zwangsheirat von <strong>der</strong> gemeinsamen Anhörung abgesehen werden kann.<br />

d) Anmerkungen<br />

� Der Gegenpartei steht es frei, seinen Anwalt/ seine Anwältin zur<br />

Vernehmung zu schicken, die persönliche Anwesenheit sehe ich<br />

nicht als zwingend geboten.<br />

� Erfahrungsgemäß werden solche ”offiziellen” Termine missbraucht,<br />

um erneut Druck auf die Auslän<strong>der</strong>Innen auszuüben, insoweit<br />

reichen bereits Gesten und Blicke.<br />

� RichterInnen können nur einschreiten während <strong>der</strong> Verhandlung,<br />

nicht auf dem Weg von und zum Gericht und bei Wartezeiten im<br />

Gerichtsgebäude.<br />

� Für die Auslän<strong>der</strong>Innen ist die gemeinsame Anhörung eine Tortur, die Vernehmung<br />

einer eingeschüchterten Zeugin ist auch nicht sachdienlich, um so mehr, wenn die<br />

Tatbestände <strong>der</strong> Zwangsheirat aufgeklärt werden müssen.<br />

� Opfer an<strong>der</strong>er Gewaltdelikte werden in Strafverfahren regelmäßig<br />

Kontakt:<br />

nur von einem Täter bedroht. Die Bedrohung und Gefährdung für<br />

das Opfer von Zwangsheirat ist ungleich größer. Wenn die Familie<br />

die ”Ehre” angetastet sieht, werden Opfer von Zwangsheirat von<br />

einem Großteil <strong>der</strong> Familie und <strong>vom</strong> gesamten sozialen Umfeld<br />

bedroht.<br />

Kanzlei Schuster & Walz-Hildenbrand<br />

Tübinger Straße 23<br />

70178 Stuttgart<br />

Tel. 0711 – 960 480<br />

Email: schuster.walz-hildenbrand@stuttgarter-anwaltskanzlei.de<br />

- 61 -


8. AG 2 - Möglichkeiten <strong>der</strong> Intervention in <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

Zusammenfassung <strong>der</strong> Arbeitsgruppenergebnisse:<br />

- 62 -<br />

Dr. Roman Nitsch<br />

Caritasverband Mannheim<br />

Die Jugendhilfe kann die Problematik, dass <strong>Zwangsverheiratung</strong>en auftreten, nicht lösen. Sie<br />

hat aber Möglichkeiten <strong>der</strong> Intervention. Zentrales Instrument dafür ist <strong>der</strong> § 42 KJHG<br />

(Inobhutnahme). Gestärkt wurde <strong>der</strong> Schutzauftrag für bedrohte Kin<strong>der</strong> und Jugendliche<br />

durch den neu in das KJHG eingefügten § 8a (Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung), <strong>der</strong><br />

beson<strong>der</strong>s auch die Kooperation mit den freien Trägern und an<strong>der</strong>en Institutionen neu regelt<br />

und diese in den Schutzauftrag mit einbezieht.<br />

Die Möglichkeiten <strong>der</strong> Notaufnahme für jugendliche Mädchen in Mannheim werden als<br />

ausreichend betrachtet; junge volljährige Frauen haben die Möglichkeit, in den beiden<br />

Frauenhäusern Zuflucht und Unterstützung zu finden.<br />

Allerdings wäre es unbefriedigend, alleine auf diese Interventionsmöglichkeit zu setzen. Die<br />

Jugendhilfe sollte vielmehr in die Lage versetzt werden, schon frühzeitig und präventiv auf<br />

betroffene Familien und Kin<strong>der</strong> bzw. Jugendliche einwirken zu können. Dazu ist erfor<strong>der</strong>lich:<br />

� Die Beschäftigung von mehr Mitarbeiter(innen) mit Migrationshintergrund und mit (vor<br />

allem) türkischen Sprachkenntnissen in allen Bereichen <strong>der</strong> Jugendhilfe.<br />

� Gut zugängliche und frühzeitig einsetzende Beratungsangebote für Mädchen und<br />

junge Frauen, wobei <strong>der</strong> niedrigschwellige Zugang am besten über Angebote an<br />

Schulen (auch Berufsschulen) hergestellt werden kann.<br />

� Eine Sensibilisierung von Lehrer(innen) und Schulen, weil diese oft die primär in<br />

Frage kommenden Ansprechpartner(innen) für die Betroffenen sind; deshalb soll das<br />

Thema auch in dem bestehenden Kooperationsgremium Jugendhilfe/Schule und in<br />

den gemeinsamen <strong>Fachtagung</strong>en aufgegriffen werden.<br />

� Eine Einwirkung auf die Erziehungshaltung <strong>der</strong> Eltern <strong>vom</strong> Kin<strong>der</strong>garten an. Alle<br />

Beratungskontakte mit Familien sollen genutzt werden, um die Familien in Richtung<br />

einer selbstbestimmten Partnerwahl ihrer Kin<strong>der</strong> zu beeinflussen.


9. AG 3 - Aufbau eines Unterstützungsnetzwerkes<br />

Zusammenfassung <strong>der</strong> Arbeitsgruppenergebnisse:<br />

- 63 -<br />

Dr. Claudia Schöning-Kalen<strong>der</strong><br />

Mannheimer Frauenhaus e.V.<br />

Unterstützungsnetzwerke für zwangsverheiratete bzw. von Zwangsheirat bedrohte junge<br />

Frauen (und vereinzelt auch Männer) knüpfen an die bestehende Arbeit all <strong>der</strong> Einrichtungen<br />

in <strong>der</strong> Kommune an, die bisher schon einen Schutzauftrag im Sinne des KJHG erfüllen. Sie<br />

sollten aber über die Grenzen <strong>der</strong> Kommune hinausgehen, da ein wirksamer Schutz häufig<br />

nur mit dem Wechsel des Wohnortes zu gewährleisten ist. Im Rahmen des Netzwerkes steht<br />

die Schaffung einer anonymen Einrichtung deshalb für Mannheimer Betroffene nicht im<br />

Vor<strong>der</strong>grund, dennoch sollte die Kommune aber Unterbringungsmöglichkeiten für die Opfer<br />

von <strong>Zwangsverheiratung</strong> aus an<strong>der</strong>en Kommunen vorhalten.<br />

Zentrale Aufgaben eines Unterstützungsnetzwerkes liegen in den Bereichen Prävention,<br />

Bewältigung <strong>der</strong> akuten Krisensituation, Wege in die Anonymität.<br />

Sowohl für die Prävention wie auch die Bewältigung <strong>der</strong> akuten Krisensituation brauchen die<br />

Mädchen und jungen Frauen Orte und Ansprechpersonen, zu denen sie problemlos Zugang<br />

haben, vor allem in <strong>der</strong> Schule (Ganztagsschule!), bei ÄrztInnen, in Krankenhäusern etc.<br />

Wichtig ist es, Akzeptanz und Vertrauen zu ermöglichen, unter Umständen auch Anonymität.<br />

Mit <strong>der</strong> AG Gewalt in Partnerschaften gibt es in Mannheim bereits ein gut funktionierendes<br />

Netzwerk, das ausgebaut werden kann, punktuell auch über kommunale Grenzen hinweg.<br />

Dringend notwendig ist die Kommunikation und - wo möglich - die Kooperation mit<br />

MigrantInnenorganisationen und Moscheevereinen.<br />

In allen Bereichen bedarf es <strong>der</strong> Fortbildung (interkulturelle Kompetenz), <strong>der</strong> interkulturellen<br />

Öffnung <strong>der</strong> Einrichtungen und <strong>der</strong> gezielten Einstellung von Migrantinnen.<br />

Beson<strong>der</strong>er Handlungsbedarf besteht im Bereich „Wege in die Anonymität“: für die<br />

Unterbringung außerhalb Mannheims ist eine Übersicht über geeignete Einrichtungen in <strong>der</strong><br />

gesamten Republik notwendig und es bedarf konkreter AnsprechpartnerInnen. Darüber<br />

hinaus legen Auskunftsauflagen z.B. bei Namensän<strong>der</strong>ungen, aber auch die Nutzung von<br />

Karten (Bank, Krankenkasse etc.) immer wie<strong>der</strong> Spuren zu den Betroffenen. Die<br />

Schutzmöglichkeiten in diesem Bereich müssen dringend ausgebaut werden, in diesem<br />

Bereich bedarf es <strong>der</strong> Zusammenarbeit auf Landes- und Bundesebene.


10. AG 4 - Ambivalenzen in <strong>der</strong> Beratungspraxis<br />

Nach einer Einführung in die Thematik durch die beiden Vertreterinnen von ROSA e.V.<br />

wurde in Partnerarbeit ein Brainstorming zum Stichwort „Ambivalenzen“ in <strong>der</strong> Beratung<br />

durchgeführt. Wesentlich hierbei war die Berücksichtigung <strong>der</strong> Befindlichkeiten <strong>der</strong><br />

unterschiedlichen Beteiligten in <strong>der</strong> Beratungssituation, die anschließend an einem<br />

Fallbeispiel vertiefend behandelt wurden.<br />

Fallbeispiel<br />

Die 17-jährige Emine besucht die 10. Klasse einer Werkrealschule. Sie ist eine recht gute,<br />

unauffällige Schülerin.<br />

Ihre Mutter ist Griechin, <strong>der</strong> Vater Türke. Sie hat vier Geschwister: Eine ältere und eine<br />

jüngere Schwester sowie zwei ältere Brü<strong>der</strong>. Die große Schwester ist vor einem Jahr<br />

abgehauen und untergetaucht, weil sie verheiratet werden sollte. Die Familie hat seitdem<br />

nichts mehr von ihr gehört; offiziell ist die Schwester in die Türkei gezogen. Mit ihrer jüngeren<br />

Schwester versteht sich Emine sehr gut; sie stehen sich nahe und unterstützen sich<br />

gegenseitig. Das Verhältnis zu den Brü<strong>der</strong>n ist eher distanziert; mal verstehen sie sich gut,<br />

mal fühlt sich Emine kontrolliert.<br />

Kurz vor den Sommerferien wendet sich Emine plötzlich Hilfe suchend an ihre<br />

Klassenlehrerin Frau Kleefeld:<br />

Die Familie will wie<strong>der</strong> einmal in die Türkei zur Verwandtschaft des Vaters fahren. Emine hat<br />

große Angst. Sie hat aus einigen Unterhaltungen <strong>der</strong> Eltern geschlossen, dass sie mit ihrem<br />

Cousin verheiratet werden soll, den sie gar nicht kennt. Sie will dies nicht und hat zudem<br />

Angst, dass die Eltern sie in <strong>der</strong> Türkei lassen.<br />

Arbeitsaufgabe:<br />

Emine<br />

• Was benötigen die beteiligten Personen, um handlungsfähig zu sein o<strong>der</strong> um eine<br />

Entscheidung treffen zu können?<br />

• Diskutieren Sie in <strong>der</strong> Gruppe die Ambivalenzen Ihrer Rolle!<br />

• Stellen Sie Ihre Ergebnisse in einer kurzen Präsentation dar (ca. 5 min pro Gruppe)!<br />

„Was soll ich nur machen? Bis zu den Ferien sind es nur noch 4 Wochen! Ich hab Angst,<br />

was, wenn ich meinen Cousin wirklich heiraten soll? Ich kenn den doch gar nicht! O<strong>der</strong> hab<br />

ich meine Eltern nur falsch verstanden?<br />

Aber mit meiner Schwester wollten sie das ja auch machen! Deshalb ist sie ja abgehauen!<br />

Wie es ihr wohl geht? Und wie hat sie das bloß geschafft - ganz alleine.<br />

- 64 -


Ob ich auch abhauen soll? Aber was soll ich denn dann alleine machen? Wie soll ich das<br />

denn schaffen? Und was passiert mit meiner kleinen Schwester? Die lassen sie doch nicht<br />

mehr aus dem Haus, wenn schon zwei Töchter abgehauen sind!<br />

Das kann doch alles nicht wahr sein! Und ich hatte mich doch auf den Urlaub gefreut.<br />

Darauf, meine Oma endlich wie<strong>der</strong> zu sehen. Die versteht mich wenigstens. O<strong>der</strong> will sie<br />

etwa auch, dass ich heirate?<br />

Ich weiß nicht, wen ich um Rat fragen soll! Ob meine Brü<strong>der</strong> wohl Bescheid wissen? Wie<br />

kann meine Mutter damit nur einverstanden sein. Ob ich sie frage? Nein, das macht alles nur<br />

noch schlimmer.<br />

Und meine Freundin Sabine? Aber die versteht mich sicher nicht, bei den Deutschen ist das<br />

ja alles an<strong>der</strong>s.<br />

Wer kann mir bloß helfen? Was soll ich tun?“<br />

Frau Kleefeld<br />

Lehrerin von Emine<br />

„Was soll ich denn jetzt machen? Was mir Emine da erzählt hat, ist ja furchtbar! Ihre Eltern<br />

können sie doch nicht einfach verheiraten. Noch dazu mit ihrem Cousin! Ich kann das doch<br />

nicht einfach zulassen, ich muss was tun! Aber was?<br />

Emine sagt, ich soll auf keinen Fall mit ihren Eltern reden, das würde alles noch viel<br />

schlimmer machen! Dabei sieht ihre Mutter doch so nett aus, die ist doch außerdem<br />

Griechin. Nie hätte ich gedacht, dass Emine zu Hause Probleme hat. Sie ist doch so eine<br />

gute Schülerin! Aber ich muss etwas tun, Emine vertraut mir!<br />

Wie kann ich ihr nur helfen, an wen kann ich mich wenden?“<br />

Frau Hoffmann<br />

beim Jugendamt für Emine zuständig<br />

„Emine war heute mit ihrer Lehrerin Frau Kleefeld bei mir und hat mir erzählt, was bei ihr zu<br />

Hause los ist! Das ist ja kaum vorzustellen, ich habe ja aus den Zeitungen schon von<br />

solchen Geschichten gehört, es gab da ja auch schon Ehrenmorde, aber dass bei mir im<br />

Jugendamt mal ein solcher Fall auftauchen würde...<br />

Dabei sieht Emine aus wie ein ganz normales junges Mädchen, so modisch gekleidet, da<br />

denkt man das gar nicht…! Ich meine, sie sieht gar nicht so aus, als würden ihr Sachen<br />

verboten!<br />

Die Familie ist ja auch bisher gar nicht auffällig gewesen. Dass da schon eine Tochter<br />

abgehauen ist - also bei uns hat das keiner mitgekriegt, in <strong>der</strong> Schule auch nicht.<br />

Wie soll ich denn in diesem Fall jetzt vorgehen?“<br />

- 65 -


Emines Eltern<br />

„Damit haben wir nicht gerechnet! Natürlich, Emine war schon schwierig in <strong>der</strong> letzten Zeit.<br />

Immer gab es Probleme. Sie wollte dauernd mit Freundinnen weggehen. Unser Sohn hat<br />

uns erzählt, er hätte sie sogar schon mit Jungs gesehen! Wir mussten doch was tun! Und da<br />

war es doch gut, dass bald Ferien sind, damit sich Emine und unser Neffe endlich kennen<br />

lernen. Emine ist alt genug zum Heiraten und unser Neffe ist ein guter Mann für sie, er wird<br />

sich gut um sie kümmern. Als gute Eltern müssen wir doch unsere Pflicht tun und einen<br />

guten Mann für unsere Tochter finden!<br />

Also warum ist sie weggelaufen? Und warum mischt sich dieses Amt denn ein? Das ist<br />

Familiensache, das geht doch niemand etwas an!<br />

Was sollen wir denn jetzt tun?“<br />

Ergebnisse<br />

Rolle Fragen / Überlegungen<br />

Emine (17 Jahr, 10. Klasse Werkrealschule,<br />

soll während Urlaub in <strong>der</strong> Türkei mit ihrem<br />

Cousin, den sie nicht kennt, verheiratet<br />

werden)<br />

Eltern von Emine<br />

- 66 -<br />

Junge Frau<br />

Ich möchte zur Familie gehören, aber nicht<br />

um jeden Preis.<br />

Frage nach Schutzmöglichkeiten bzw.<br />

Wohnmöglichkeit<br />

Ängste vor<br />

• Verlust <strong>der</strong> Familie<br />

• Alleinsein<br />

• Ausgrenzung, Ächtung,<br />

Wünsche nach<br />

• eigenem Leben<br />

• Beruf<br />

• Selbständigkeit<br />

• freier Partnerwahl<br />

Suche nach Hilfe ��. Angst vor den Folgen<br />

Bindung an Eltern �� Selbstentfaltung<br />

Ungewissheit, kein Ausweg � Suizid<br />

Schlechtes Gewissen<br />

Freiheitsstreben,<br />

Verlustangst<br />

Bruch<br />

• Das Beste für die Tochter wollen<br />

• Familienverpflichtungen einhalten<br />

• Gesichtsverlust<br />

• Verletzung <strong>der</strong> Ehre<br />

• Angst, die Tochter zu verlieren ?<br />

Druck <strong>der</strong> community, die Tochter traditionell<br />

zu erziehen und die Ehre <strong>der</strong> Familie zu<br />

wahren<br />

Schuldzuweisung / Scham ��������<br />

psychosomatische u. finanzielle Belastung<br />

Verlust <strong>der</strong> Tochter � den<br />

kulturellen/traditionellen Anfor<strong>der</strong>ungen nicht


Lehrerin<br />

Jugendamt<br />

gerecht zu werden<br />

• Unverständnis für Verhalten <strong>der</strong> Tochter<br />

• Zwiespalt Tochter �� Mutter<br />

• Reaktion des Umfeldes / Ansehen<br />

• Eigene Heirat (Zwangsheirat ?)<br />

• Haben wir etwas falsch gemacht?<br />

• Misserfolg (eigene Kultur<br />

aufrechtzuerhalten)<br />

• Angst, Kind zu verlieren und ihm Toleranz<br />

zu zeigen<br />

• Nachgeben / Festhalten<br />

• Tadel / Verständnis gegenüber dem Kind<br />

• Soziale Kontrolle<br />

• Lehrauftrag (keine Hilfeeinrichtung im<br />

klassischen Sinn)<br />

• Zwischen allen Stühlen<br />

Wo gibt es Unterstützungsmöglichkeiten?<br />

• Sicherheit <strong>der</strong> Jugendlichen nicht<br />

gewährleistet,<br />

• Misshandlung<br />

• Sexuelle Gewalt<br />

Wunsch, sich zu engagieren �� „zwischen<br />

allen Stühlen sitzen“<br />

• Grenzüberschreitung in elterlichen Bereich:<br />

Unsicherheit � bis wohin „normal?“<br />

• Überfor<strong>der</strong>ung<br />

• Beziehung mehr als „Lehrer-Schüler-<br />

Verhältnis“ ?<br />

• Interessenkonflikt / Loyalitätskonflikt<br />

• Angst, in ein „fremdes System“<br />

einzugreifen / Schutz des Kindes<br />

• Wer kann das Kind / die Jugendliche<br />

auffangen?<br />

• Unterstützung und Hilfe im<br />

KollegInnenkreis ?<br />

• Kontaktaufnahme mit Beratungsstellen<br />

• Mehr Informationen<br />

• Weiteres Gespräch mit <strong>der</strong> Jugendlichen,<br />

evtl. auch mit <strong>der</strong> Mutter<br />

Ambivalenzen:<br />

• Angst, als inkompetent zu gelten<br />

• Verrat bzw. Vertrauensmissbrauch<br />

- 67 -<br />

Schutz- und Hilfsauftrag (beim Mädchen)<br />

• Finanzierung<br />

• Unterbringung<br />

• Zusammenarbeit mit Eltern<br />

Kindeswohlgefährdung �� Elternrecht<br />

Garantenstellung �� Kostendruck<br />

Kontaktaufnahme zu Eltern � Schaden /<br />

Nutzen<br />

Überfor<strong>der</strong>ung ?


- 68 -<br />

Vorherige Tabuisierung; erst seit kurzem<br />

aktuell � wenig Erfahrung<br />

� wenig gesetzlicher Rückhalt<br />

Eingreifen / Abwägen<br />

Verantwortung juristischer Art<br />

Zu schnell / zu langsam reagieren?<br />

Was braucht sie?<br />

• Infos<br />

• Interkulturelle Kompetenz<br />

• Sicherheit (§ 1666 BGB � § 42 SGB VIII<br />

� Inobhutnahme)<br />

Was kann sie tun?<br />

• Kontakt zur Schwester, zu Eltern, zu<br />

Emine (allein!) �<br />

Eltern streiten ab �� Eltern geben Vorhaben<br />

zu � wem glauben?<br />

Lösungsoptionen: • Zeit gewinnen<br />

• Kein Urlaub<br />

• Mediatoren einschalten


11. AG 5 - Präventionsarbeit<br />

Zusammenfassung <strong>der</strong> Arbeitsgruppenergebnisse:<br />

Arife Canpolat<br />

Psychologische Beratungsstelle, Stadt Mannheim<br />

Zunächst wurden von <strong>der</strong> Referentin einige Fallbeispiele vorgestellt. Im Anschluss daran<br />

wurde diskutiert, mit welchen Handlungsstrategien eine wirkungsvolle Präventionsarbeit zum<br />

Thema <strong>Zwangsverheiratung</strong> geleistet werden könne:<br />

- Von <strong>der</strong> Arbeitsgruppe wurden mehr Wissen und Kenntnisse <strong>der</strong> Lehrkräfte in<br />

weiterführenden Schulen zum Thema gewünscht. LehrerInnen und Anwärterinnen sollten<br />

schon im Studium mehr über Migration und die Lebensumstände von Kin<strong>der</strong>n und<br />

Jugendlichen, <strong>der</strong>en Eltern hier eingewan<strong>der</strong>t sind, wissen (interkulturelle Pädagogik).<br />

- Innerhalb <strong>der</strong> Schulen sollten eigene, geschützte Räume für Mädchen eingerichtet<br />

werden, wo sie sich untereinan<strong>der</strong>, z.B. bei drohen<strong>der</strong> Verheiratung, Hilfe und<br />

Unterstützung von Mitschülern und o<strong>der</strong> Lehrern/Lehrerinnen erhalten können.<br />

- In Jugendhäusern werden mitunter deutsche Fachkräfte, insbeson<strong>der</strong>e von männlichen<br />

Jugendlichen nicht (als Vorbil<strong>der</strong>) akzeptiert. Hier könne durch Einstellung von Personal<br />

mit Migrationshintergrund (mit den entsprechenden sprachlichen und kulturellen<br />

Kompetenzen) Abhilfe geschaffen werden.<br />

- Insgesamt bedürfe es mehr qualifizierter Personen (mit Migrationshintergrund) in<br />

sozialen Tätigkeitsbereichen. Entsprechende Berufsbil<strong>der</strong> müssten Jugendlichen mit<br />

Migrationshintergrund stärker bekannt gemacht werden.<br />

- Das Schulsystem bietet nach Einschätzung <strong>der</strong> Arbeitsgruppe insbeson<strong>der</strong>e<br />

Schülerinnen kaum Unterstützungsmöglichkeiten, sich ihren Neigungen gemäß weiter zu<br />

entwickeln. Im Ausblick auf die berufliche Orientierung fehle es vielen jungen Frauen an<br />

(beruflichen) Rollenbeispielen und weiblichen Vorbil<strong>der</strong>n (mit Migrationshintergrund), die<br />

wichtig sind, um eine den eigenen Fähigkeiten entsprechende Berufswahl anzustreben.<br />

- Oft gibt es bei den Schülerinnen psychische Probleme, die von Lehrern/Lehrerinnen nicht<br />

aufgefangen werden können, weil sie für eine <strong>der</strong>artige Unterstützungsarbeit nicht<br />

ausgebildet sind. Deshalb bedarf es mehr PsychologInnen mit Migrationshintergrund<br />

sowie entsprechen<strong>der</strong> psychologischer Beratungsangebote auch im schulischen Kontext.<br />

- Oft würden Projekte nicht weiterfinanziert o<strong>der</strong> die Finanzierung gekürzt. Entwe<strong>der</strong> gäbe<br />

es keine Gel<strong>der</strong> mehr o<strong>der</strong> die politische Akzeptanz fehle um die Arbeit mit Kin<strong>der</strong>n und<br />

Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu for<strong>der</strong>n und zu för<strong>der</strong>n. Es fehlen dann in<br />

Krisensituationen die Ansprechpersonen, die Mädchen und Frauen helfen könnten, wenn<br />

diese von Zwangsheirat bedroht sind.<br />

- 69 -


- Die Eltern, hier insbeson<strong>der</strong>e die Mütter, sollten gestärkt werden, mehr aus ihrem<br />

sozialen Umfeld herauszukommen und aktiv den Kontakt zur hiesigen Gesellschaft zu<br />

suchen. Entsprechende Angebote werden in einigen Mannheimer Kin<strong>der</strong>gärten und<br />

Grundschulen bereits erfolgreich durchgeführt. Die Sprachkompetenz <strong>der</strong> Mütter wie<br />

auch die <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> wird z.B. in Projekten wie „Rucksack“ wirkungsvoll geför<strong>der</strong>t. Hier<br />

lernen alle Beteiligten (Kin<strong>der</strong> und Mütter), ihre Ressourcen zu erkennen und besser<br />

umzusetzen, um dadurch besser an <strong>der</strong> Gesellschaft teilhaben zu können.<br />

- Um das Thema Zwangsheirat aus <strong>der</strong> Tabuzone herauszubekommen, sind<br />

entsprechende Fortbildungen und Veranstaltungen wie diese <strong>Fachtagung</strong> wichtig und<br />

gewünscht.<br />

- Als wichtig wird auch die stärkere Miteinbeziehung <strong>der</strong> verschiedenen religiösen<br />

Gemeinschaften erachtet. Gerade diese könnten eine wirkungsvolle Aufklärungs- und<br />

Präventionsarbeit gegen <strong>Zwangsverheiratung</strong> leisten.<br />

- 70 -


12. Tagungsauswertung<br />

Von den knapp 100 Teilenehmenden füllten ca. zwei Drittel (= 67 Personen) den am<br />

Tagungsende verteilten Feedback-Bogen aus. (Ein Teil <strong>der</strong> Anwesenden konnte nur am<br />

Vormittag an <strong>der</strong> Tagung teilnehmen.)<br />

Die Auswertung <strong>der</strong> Fragebögen ergab:<br />

- 67 % (= 45 Personen) gaben an, im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit mit Fällen von<br />

<strong>Zwangsverheiratung</strong> konfrontiert worden zu sein,<br />

- 92 % (= 62 Personen) gaben an, durch die <strong>Fachtagung</strong> Informationen erhalten zu<br />

haben, die für ihre Arbeit wichtig ist,<br />

- 69 % (= 46 Personen) gaben an, für die Arbeit hilfreiche Kontakte geknüpft haben zu<br />

können,<br />

- 97 % (= 65 Personen) gaben an, dass weitere Veranstaltungen bzw. Informations-<br />

o<strong>der</strong> Weiterbildungsangebote wünschenswert seien,<br />

- 94 % (= 63 Personen) gaben an, die erhaltenen Informationen in ihrem (beruflichen)<br />

Umfeld weiter geben zu können (Multiplikatoreneffekt),<br />

- 49 % (= 33 Personen) gaben an, mit den Ergebnissen <strong>der</strong> <strong>Fachtagung</strong> insgesamt<br />

zufrieden zu sein (16 % machten hierzu keine Angabe),<br />

- 85 % (= 57 Personen) gaben an, mit dem Ablauf <strong>der</strong> Tagung insgesamt zufrieden<br />

gewesen zu sein.<br />

Zusammengefasst wurden folgende Handlungsbedarfe von den Teilnehmenden aus den<br />

Arbeitsgruppen formuliert, um <strong>der</strong> bestehende Praxis <strong>der</strong> Zwangsheirat in Mannheim<br />

entgegen zu wirken:<br />

- Fortbildungsangebote zum Thema (insbeson<strong>der</strong>e für Lehrer/-innen)<br />

- In den Beratungseinrichtungen müsse mehr Personal mit Migrationshintergrund zum<br />

Einsatz kommen; Schulungen zur Interkulturellen Kompetenz für das bestehende<br />

Personal<br />

- Erstellung von (mehrsprachigem) Informationsmaterial und verstärkte<br />

Aufklärungsarbeit (über Rechte und Möglichkeiten) für Betroffene, insbeson<strong>der</strong>e an<br />

Schulen<br />

- Intensivierung <strong>der</strong> Elternarbeit<br />

- Gewinnung und Miteinbeziehung von Migranten- und Moscheevereinen für die<br />

Präventions- und Aufklärungsarbeit<br />

- Aufbau eines lokales Netzwerkes (unter Miteinbeziehung von überregionalen<br />

Kontaktstellen und Hilfseinrichtungen)<br />

- Erstellung eines Ablaufplans in akuten Notsituationen unter beson<strong>der</strong>er<br />

Berücksichtigung <strong>der</strong> zu gewährenden Anonymisierung<br />

- 71 -


- Informationskampagne, wo umgehend und anonym Hilfe angeboten wird<br />

- Mehr Öffentlichkeit für das Thema ohne dabei einzelne Nationalitäten- o<strong>der</strong><br />

Religionsgruppen pauschal zu verurteilen und zu stigmatisieren<br />

Im Koordinierungskreis „Gewalt in Partnerschaften“ werden die Ergebnisse <strong>der</strong> <strong>Fachtagung</strong><br />

ausgewertet und die Umsetzung weiterer Schritte beraten.<br />

Sonstige Rückmeldungen zur <strong>Fachtagung</strong>:<br />

- Wichtig ist, gesellschaftliche Vorurteile zu vermeiden<br />

- Solche Veranstaltungen sollten öfter angeboten werden, z. B. Scheidungsrecht<br />

- Wichtig: konkrete Umsetzung <strong>der</strong> Ideen und Tagungsergebnisse!<br />

- Eine Erhebung innerhalb des Sozialen Dienstes Mannheim könnte das Thema<br />

„Zwangsheirat“ aufgreifen und Zahlen und Daten über bekannt gewordene<br />

Zwangsheiraten (auch die schon Jahre zurückliegen) erheben. Der direkte Bezug zu<br />

Gewalt in <strong>der</strong> Familie sollte hergestellt werden.<br />

- Was ist interkulturelle Kompetenz?<br />

- Viel mehr Vernetzung und bei Diskussionen vor allem auch die<br />

gesamtgesellschaftliche Situation im Hinblick auf Migrationspolitik / Umgang mit<br />

Migration berücksichtigen � Rückzug von Migranten in ihre Vereine / Gruppierungen<br />

aufgrund von Ausgrenzung etc.<br />

- <strong>Dokumentation</strong> ist wichtig, um alle Infos zu erhalten und leichter weitergeben zu<br />

können.<br />

- Wichtig fände ich, dass das Thema <strong>Zwangsverheiratung</strong> in einen breiteren Rahmen<br />

gestellt wird: Familienformen, Verhältnis Familie und Staat, Verhältnis von Mann und<br />

Frau<br />

- Stärkere Beteiligung von Schulen!<br />

- Danke für die gute Organisation & Gesamtmo<strong>der</strong>ation <strong>der</strong> Veranstaltung<br />

- Wünschenswert wäre eine „kontinuierliche Reihe“ von Folgeveranstaltungen<br />

- Lob an AG 1; die Fallbeispiele waren sehr informativ � gute Arbeitsmethode<br />

- Anregungen für Mannheim unbedingt bündeln und umsetzen<br />

- Bestehende Angebote zusammenfassen (Checkliste) � „best practice“ erarbeiten<br />

- Gute Vernetzung sehr wichtig; Spezialwissen erfor<strong>der</strong>lich!<br />

- Organisationsplan „Was tue ich, wenn…?“ ist erfor<strong>der</strong>lich.<br />

- Wer zahlt Unterbringungskosten?<br />

- Tagungsteilnahme war nur möglich, da für Teilnehmende kostenfrei<br />

- Empfehlung/Wunsch: Viel Öffentlichkeit herstellen; Präventionsarbeit för<strong>der</strong>n;<br />

interkulturellen Austausch stützen<br />

- 72 -


- Obwohl ich kaum Berührungspunkte bei meiner Arbeit habe, fand ich die Tagung<br />

sehr interessant. Das Problem „Zwangsheirat“ muss konsequent weiterverfolgt<br />

werden<br />

- Tolle Veranstaltung: kompakt, aber sehr informativ<br />

- Bildung insbeson<strong>der</strong>e für Migrantinnen von zentraler Bedeutung. Ohne Bildung ist<br />

keine Integration möglich.<br />

- Unterstützungsnetzwerk aufbauen evtl. mit Hilfe eines Arbeitskreises<br />

- Unterbringungsmöglichkeiten schaffen<br />

- Zeit für AGs war sehr knapp, zu wenig Zeit für Austausch und Diskussion<br />

- Geldmittel für Präventionsarbeit von großer Wichtigkeit<br />

- <strong>Zwangsverheiratung</strong> ist das Ende einer vermutlich restriktiven Erziehung mit<br />

patriarchaler Struktur. Wichtig ist deshalb in Kin<strong>der</strong>garten und Schule die Vermittlung<br />

von Werten und Idealen, die die Freiheit <strong>der</strong> Individuen als hohes Gut schätzt und die<br />

unteilbaren Grundrechte <strong>der</strong> Menschen vermittelt. Projekte in Kin<strong>der</strong>garten und<br />

Schule unter Einbeziehung <strong>der</strong> Eltern.<br />

- Kooperation Jugendhilfe und ‚Schule’ � dazu weitere Fortbildungen � Signale �<br />

Prävention (‚Schule’ = Lehrer – Schulsozialarbeit – Eltern)<br />

- Der Fachtag war sehr interessant und informativ. Interessant wäre auch eine weitere<br />

Veranstaltung zu diesem Thema, bei dem verschiedene, bereits in Mannheim<br />

bestehende Projekte dazu vorgestellt werden<br />

- Übersichtskarte / Sammlung / Links zum Netzwerk von geeigneten Einrichtungen,<br />

Beratungsstellen, Maßnahmen für Teilnehmerinnen des Fachtages � „Sozialführer<br />

für die Stadtgebiete in Mannheim“<br />

- Folgeveranstaltung mit Projektvorstellungen<br />

- Die Email-Adressen <strong>der</strong> Anwesenden an alle Tagungsteilnehmenden weiterreichen<br />

- Ein Vortrag zur Sicht des Islams über dieses Thema hat lei<strong>der</strong> gefehlt. Die<br />

<strong>Zwangsverheiratung</strong> wird zwar traditionell begründet, aber es sind Muslime, um die<br />

es hier geht. Zur Aufklärung <strong>der</strong> Muslime und An<strong>der</strong>sgläubiger hätte so ein Vortrag<br />

nicht fehlen dürfen!<br />

- 73 -


Auswertung <strong>der</strong> Feedbackbögen zur <strong>Fachtagung</strong> am 26-6-2006<br />

1. Waren Sie bisher im<br />

Rahmen Ihrer<br />

beruflichen Tätigkeit<br />

mit Fällen von<br />

<strong>Zwangsverheiratung</strong><br />

konfrontiert?<br />

2. Haben Sie heute<br />

Informationen<br />

erhalten, die für Sie<br />

(und Ihre Arbeit)<br />

wichtig sein können?<br />

3. Waren die Referate<br />

informativ?<br />

4. Waren Sie mit <strong>der</strong><br />

Mo<strong>der</strong>ation &<br />

Arbeitsweise in Ihrer<br />

Arbeitsgruppe<br />

zufrieden?<br />

5. Sind Sie mit den<br />

Ergebnissen Ihrer<br />

Arbeitsgruppe<br />

zufrieden?<br />

6. Waren Sie mit dem<br />

Ablauf <strong>der</strong><br />

<strong>Fachtagung</strong> insgesamt<br />

zufrieden?<br />

7. Sind Sie mit den<br />

Ergebnissen <strong>der</strong><br />

<strong>Fachtagung</strong> insgesamt<br />

zufrieden?<br />

8. Konnten Sie heute<br />

Kontakte knüpfen, die<br />

für Sie und Ihre Arbeit<br />

hilfreich sein können?<br />

9. Werden Sie die Möglichkeit<br />

haben, die heute erhaltenen<br />

Informationen in Ihrem<br />

(Arbeits-) Umfeld weiter zu<br />

geben?<br />

10. Denken Sie, dass<br />

Veranstaltungen wie diese<br />

bzw. an<strong>der</strong>e Informations-<br />

o<strong>der</strong> auch<br />

Weiterbildungsangebote<br />

hilfreich sind, um sich mit<br />

dem Thema<br />

<strong>Zwangsverheiratung</strong><br />

auseinan<strong>der</strong> zu setzen?<br />

Ja:10<br />

Nein:4<br />

AG 1 AG 2 AG 3 AG 4 AG 5 gesamt<br />

Ja:14<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:0<br />

Ja:11<br />

Teilweise:2<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:1<br />

Ja:9<br />

Teilweise:5<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:0<br />

Ja:6<br />

Teilweise:6<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:2<br />

Ja:14<br />

Teilweise:0<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:0<br />

Ja:8<br />

Teilweise:4<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:1<br />

k.A. : 1<br />

Ja:8<br />

Nein:3<br />

Weiß nicht:3<br />

Ja:12<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:2<br />

Ja:14<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:0<br />

Ja:6<br />

Nein:3<br />

Ja:9<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:0<br />

Ja:6<br />

Teilweise:2<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:1<br />

Ja:3<br />

Teilweise:5<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:1<br />

Ja:2<br />

Teilweise:7<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:0<br />

Ja:7<br />

Teilweise:2<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:0<br />

Ja:3<br />

Teilweise:5<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:0<br />

keine Angabe: 1<br />

Ja:5<br />

Nein:2<br />

Weiß nicht:2<br />

Ja:9<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:0<br />

keine Angabe: 0<br />

Ja:8<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:1<br />

Ja:9<br />

Nein:0<br />

Ja:7<br />

Nein:1<br />

Weiß nicht:0<br />

k. A. :1<br />

Ja:8<br />

Teilweise:1<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:0<br />

Ja:9<br />

Teilweise:0<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:0<br />

Ja:6<br />

Teilweise:2<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:0<br />

keine Angabe: 1<br />

Ja:7<br />

Teilweise:0<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:0<br />

keine Angabe: 2<br />

Ja:5<br />

Teilweise:2<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:1<br />

keine Angabe: 1<br />

Ja:7<br />

Nein:1<br />

Weiß nicht:0<br />

k.A. : 1<br />

Ja:8<br />

Nein:1<br />

Weiß nicht:0<br />

Ja:9<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:0<br />

- 74 -<br />

Ja:9<br />

Nein:3<br />

Ja:12<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:0<br />

Ja:11<br />

Teilweise:0<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:1<br />

Ja:9<br />

Teilweise:3<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:0<br />

Ja:6<br />

Teilweise:6<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:0<br />

Ja:10<br />

Teilweise:2<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:0<br />

Ja:8<br />

Teilweise:4<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:0<br />

Ja:11<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:1<br />

Ja:12<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:0<br />

Ja:12<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:0<br />

Ja:9<br />

Nein:9<br />

k.A. : 1<br />

Ja:16<br />

Nein:1<br />

Weiß nicht:1<br />

k.A. : 1<br />

Ja:17<br />

Teilweise:2<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:0<br />

Ja:15<br />

Teilweise:4<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:0<br />

Ja:12<br />

Teilweise:7<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:0<br />

Ja:16<br />

Teilweise:2<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:0<br />

k.A. : 1<br />

Ja:7<br />

Teilweise:8<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:1<br />

k.A. : 3<br />

Ja:13<br />

Nein:2<br />

Weiß nicht:3<br />

k.A. : 1<br />

Ja:18<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:0<br />

k.A. : 1<br />

Ja: 18<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:1<br />

Ja:45<br />

Nein:21<br />

keine<br />

Angabe:1<br />

Ja:62<br />

Nein:2<br />

Weiß nicht:1<br />

k.A.:2<br />

Ja:57<br />

Teilweise:7<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:3<br />

Ja:45<br />

Teilweise:17<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:1<br />

k.A. : 4<br />

Ja:32<br />

Teilweise:30<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:2<br />

keine<br />

Angabe:3<br />

Ja:57<br />

Teilweise:6<br />

Nein: 0<br />

Weiß nicht:0<br />

k. A.:4<br />

Ja:33<br />

Teilweise:23<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:3<br />

keine<br />

Angabe:8<br />

Ja:46<br />

Nein:8<br />

Weiß<br />

nicht:11<br />

k.A. : 2<br />

Ja:63<br />

Nein:1<br />

Weiß nicht:2<br />

k. A. :1<br />

Ja:65<br />

Nein:0<br />

Weiß nicht:2<br />

∑ 14 9 9 12 19 67<br />

(davon 63<br />

in AGs)


Anhang<br />

Auf den folgenden Seiten finden Sie<br />

- die Zusammenfassung <strong>der</strong> Handlungsempfehlungen <strong>der</strong> Fachkommission<br />

Zwangsheirat <strong>der</strong> Landesregierung Baden-Württemberg und<br />

- eine von <strong>der</strong> Kommission zusammengestellte Liste an Kontaktadressen von Frauen-<br />

und Kin<strong>der</strong>schutzhäusern sowie Beratungsstellen in Baden-Württemberg.<br />

Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung durch die Stabsstelle des<br />

Integrationsbeauftragten <strong>der</strong> Landesregierung.<br />

Der vollständige Bericht <strong>der</strong> Fachkommission kann unter www.integrationsbeauftragter.de<br />

kostenfrei abgerufen werden.<br />

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