Winter 2015/2016
Trade Talk Winter 2015/2016
Trade Talk Winter 2015/2016
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column<br />
von entscheidender Bedeutung ist.“ Im zu<br />
Beginn genannten Tweet sieht er eine neue<br />
Definition von Netzneutralität, die mit der<br />
klassischen Betrachtung nichts mehr zu tun<br />
hat. „Und das ist typisch für die Art und<br />
Weise wie man in Deutschland mit der digitalen<br />
Welt umgeht: Man versucht, sich die<br />
Welt definitorisch untertan zu machen anstatt<br />
an der digitalen Realität entlang zu<br />
operieren.“<br />
Die Unternehmen würden hierzulande nicht<br />
sehen, dass ihre eigene Branche in die Abhängigkeit<br />
kippen kann, und zwar zu Regeln,<br />
von denen sie nicht realisieren, dass<br />
sie existent sind. „Wenn sie es im zweiten<br />
Schritt realisiert haben, werden sie es drei<br />
Jahre lang nicht verstehen. In den nächsten<br />
zehn Jahren versuchen sie dann mit Unternehmensberatern<br />
zu verstehen, was sie hätten<br />
vor fünf Jahren begreifen müssen und dann<br />
ist es auch schon zu spät.“ Wichtig sei es, dass<br />
Kommunikation, die aufstachelt<br />
Eine Problemlösung sei vor allem deshalb<br />
wichtig, da „wir an der Grenze dazu sind,<br />
dass Menschen durch Facebook-Postings<br />
Flüchtlingsheime anzünden.“ Er verwies auf<br />
eine Studie, die zeige, wie aus Gerüchten<br />
Stimmungen erzeugt werden, die dazu<br />
führen, „dass einzelne Leute losgehen und<br />
andere umbringen oder es zumindest versuchen.“<br />
Wenn Menschen durch eine Form<br />
der Kommunikation, die aufstachelt, zu<br />
Schaden kommen, sei ein Punkt erreicht, an<br />
dem reagiert werden müsse.<br />
Das Szenario, dass die großen Verursacher<br />
von Traffic zur Kasse gebeten werden sollen,<br />
hält Lobo für unverschämt. „Diese Verursacher<br />
sind doch nur deshalb so groß, weil die<br />
Menschen ihre Inhalte haben wollen – und<br />
die bezahlen bereits dafür.“ Welche Auswirkungen<br />
das EU-Gesetz zur Netzneutralität<br />
für Internetnutzer haben werde, vermochte<br />
Tina Kulow nicht zu prognostizieren, für<br />
Facebook sei Netzneutralität aber sehr wichtig.<br />
Branchen umgekrempelt<br />
Nach Ansicht von Sascha Lobo werden<br />
Plattformen wie Facebook einzelne Wirtschaftsbereiche<br />
„wie ein Tsunami“ umkrempeln<br />
und das komplette Kundenverhalten<br />
ändern. Dabei habe man es mit einer neuen<br />
Art von Unternehmenstyp zu tun: „Das<br />
klassische Unternehmen will das beste in<br />
seiner Branche werden, das Plattform-<br />
Unternehmen will das einzige sein.“ Die<br />
deutsche Wirtschaft habe diese Entwicklung<br />
jedoch noch nicht erkannt: „Was deutschen<br />
Firmen bei der digitalen Transformation im<br />
Weg steht, ist der eigene Erfolg. Deutschland<br />
ist so wahnsinnig erfolgreich, dass niemand<br />
auch nur ansatzweise darüber nachdenkt,<br />
was eigentlich im nächsten Entwicklungsschritt<br />
passiert.“<br />
Unternehmen in die digitale Zukunft investieren,<br />
Projekte starten und neue Ideen ausprobieren.<br />
Hier stimmt ihm Tina Kulow zu,<br />
merkt aber an: „Dazu müssen wir in Deutschland<br />
auch eine Fehlerkultur lernen.“<br />
Lösungen gegen Hetz-Kommentare<br />
Als Fiene das Gespräch auf das Thema<br />
Hetz-Kommentare in sozialen Netzwerken<br />
lenkte, wurde die Diskussion ein wenig hitziger.<br />
Die Facebook-Sprecherin wies darauf<br />
hin, dass Facebook gerade sehr genau hinschaut,<br />
was bei den Prozessen besser gemacht<br />
werden könne und stellte eine Lösung<br />
binnen weniger Wochen in Aussicht. Das<br />
Thema werde nicht auf die leichte Schulter<br />
genommen, dennoch sei es eine sehr schwere<br />
Aufgabe, abzuwägen, welche Posts gegen<br />
Standards verstoßen. Sascha Lobo geht das<br />
aber noch nicht weit genug; er fordert<br />
eine konkrete Strategie: „Ich erwarte von einem<br />
Unternehmen, das Milliardenbeträge<br />
umsetzt, dass es eine Lösung findet.“ Das<br />
Problem sei nicht wirklich neu, dennoch reagiere<br />
man erst dann, wenn der öffentliche<br />
Druck zu groß werde. So habe Facebook in<br />
den USA nachweislich erst etwas unternommen<br />
als User angefangen haben, mit den<br />
Werbekunden zu kommunizieren.<br />
Foto: © TradeTalk<br />
Vorwürfe, dass Facebook beim Entfernen<br />
von Nacktbildern schneller reagiert als bei<br />
rassistischen Kommentaren, wies Tina Kulow<br />
zurück. Jede Meldung würde von den<br />
Facebook-Mitarbeitern mit gleicher Priorität<br />
bearbeitet. Wie viele Mitarbeiter sich um<br />
diese Aufgabe kümmern, wollte sie nicht<br />
verraten. Sie erklärte aber, dass es mehrere<br />
Hundert seien, zu denen auch Muttersprachler<br />
zählen.<br />
Meinungsmacher oder Netzwerker?<br />
Später beschäftigten sich die Protagonisten<br />
auf dem Podium konkret mit dem Begriff<br />
des Meinungsmachers. „Meinungsmache ist<br />
eher ein Ding des 20. Jahrhunderts. Netzwerkphänomene<br />
sind viel relevanter und<br />
zwar aus einem Grund: Netzwerker sind viele,<br />
Meinungsmacher ist nur einer“, sagt Sascha<br />
Lobo. Eine Rolle spiele der Wunsch, unter<br />
Kontrolle zu haben, was passiert. „Tatsächlich<br />
ist das chaotische System Kommunikation<br />
im 21. Jahrhundert eines, mit dem man<br />
ein bisschen rumtricksen kann.“ Der Begriff<br />
Meinungsmacher gehe an der Wahrheit vorbei.<br />
Man habe sich angewöhnt, dass es für<br />
bestimmte Dinge Verantwortliche gibt. „Ich<br />
glaube aber, dass die Gesellschaft so komplex<br />
ist, dass bestimmte Prozesse nicht mehr<br />
nur einen Verantwortlichen haben.“ Meinung<br />
werde nicht von einer Person gemacht,<br />
bestimmte Meinungen würden sich einfach<br />
schneller verbreiten als andere.<br />
Zukünftige Entwicklungen<br />
Zum Schluss standen noch Prognosen über<br />
die technische Entwicklung in den nächsten<br />
fünf Jahren auf dem Programm. Tina Kulow<br />
ist der Meinung, dass unter anderem Virtual<br />
Reality eine große Rolle spielen werde. Lobo<br />
sieht Potenzial in digital vernetzten Plattformkonzepten.<br />
Einig sind sich beide aber<br />
darüber, dass die digitale Entwicklung noch<br />
längst nicht am Ende angekommen ist.<br />
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