Nr. 12 (IV-2015) - Osnabrücker Wissen
Nr. 12 (IV-2015) - Osnabrücker Wissen Wir beantworten Fragen rund um die Osnabrücker Region. Alle drei Monate als Printausgabe. Kostenlos! Und online unter www.osnabruecker-wissen.de
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Bilder © Stadt- und Kreisarchäologie // Spaten © ; Helm © boltenkoff ; Leiter © sunnychicka , fotolia.com<br />
Johannistor. Auch hier existierte im Mittelalter<br />
ein überwölbter Kanal, vermutlich<br />
der sog. Prinzengraben, der anhand der<br />
Holzteile der Toranlage auf das Jahr <strong>12</strong>49<br />
(+5/-4) datiert werden konnte. Zuletzt haben<br />
die Archäologen im Jahre 2002 bei den<br />
Ausgrabungen im Bereich der heutigen<br />
„Altstadtgarage“ weitere Abschnitte dieser<br />
mehrteiligen Kanalanlage, u. a. den sogenannten<br />
Marktgraben, ausgegraben und<br />
untersucht.<br />
Wie entstanden diese<br />
unterirdischen Kanäle?<br />
Anhand der zahlreichen Fundstücke aus<br />
den untersten Füllschichten und einiger<br />
historischer Dokumente ließen sich die<br />
näheren Umstände, die zum Bau dieser<br />
Kanäle geführt haben, und deren Entstehungszeit<br />
recht genau bestimmen.<br />
Ausgangspunkt war die schwierige städtebauliche<br />
Situation im <strong>12</strong>. Jahrhundert.<br />
Osnabrück war in seiner räumlichen Entwicklung<br />
an einen Punkt gekommen, bei<br />
dem die als Baugrund nutzbaren Flächen<br />
nicht mehr ausreichten, den Bedarf für<br />
Neubauprojekte zu decken.<br />
Die entscheidende Wende kam 1171, als<br />
Kaiser Friedrich I. der Stadt das Privileg<br />
zusprach, eine Stadtmauer bauen zu dürfen.<br />
Die damals noch junge Stadt begann<br />
schon wenige Jahre später mit der Umsetzung<br />
dieses Vorhabens und nutzte es, um<br />
zugleich eine umfassende Stadtsanierung<br />
durchzuführen. Dabei sind viele Straßenverläufe<br />
verändert und alle weiträumigen<br />
Bachniederungen innerhalb der Stadt<br />
verfüllt worden, was zu einer enormen<br />
Zunahme der für eine Bebauung geeigneten<br />
Grundstücke führte. Die natürlich<br />
vorhandenen Fließgewässer wurden dabei<br />
kanalisiert, d. h. in künstlichen Wasserläufen<br />
durch die Stadt geführt, und konnten<br />
so auch perfekt zur Abwasserbeseitigung<br />
genutzt werden.<br />
Wahrscheinlich ist dieses Kanalsystem bereits<br />
gleich zu Beginn im frühen 13. Jahrhundert<br />
an einigen Stellen als gemauertes<br />
Gewölbe angelegt worden. Überwiegend<br />
waren es aber wohl offene oder mit Holzbohlen<br />
abgedeckte Wasserläufe. Sowohl<br />
über die überwölbten als auch über die mit<br />
Bohlen abgedeckten Kanäle sind noch im<br />
Mittelalter Wohnhäuser gebaut<br />
worden.Mit dem Bau dieses<br />
Kanalsystems gehörte Osnabrück<br />
im frühen 13. Jahrhundert<br />
zu den in dieser Hinsicht<br />
fortschrittlichsten Städten im<br />
nördlichen Mitteleuropa.<br />
Wo kann dieser<br />
Kanal heute noch<br />
besichtigt werden?<br />
Es gibt nur eine einzige<br />
Stelle im Stadtgebiet, wo heute die<br />
Möglichkeit besteht, sich persönlich<br />
einen Eindruck vom Aussehen dieser<br />
Kanäle zu verschaffen: im am tiefsten<br />
gelegenen Kellerbereich des historischen<br />
Rathauses. Hier existiert noch ein<br />
Teilstück des Hauptkanals, das beim Bau<br />
des Rathauses zwischen 1489 und 15<strong>12</strong><br />
nicht zerstört, sondern als Latrinenanlage<br />
für die Ratsherren in das Gesamtgebäude<br />
mit einbezogen wurde.<br />
Es war lange Zeit verschüttet und wurde<br />
erst 1938 wieder freigeräumt, als die Bauarbeiten<br />
für das damals entstandene Lokal<br />
„Ratskeller“ durchgeführt wurden. Seitdem<br />
haben sich keine weiteren baulichen<br />
Veränderungen mehr ergeben und der<br />
Kanal ist immer noch gut zugänglich, ein<br />
Zutritt allerdings nur nach Rücksprache<br />
mit dem heutigen Gastronomiebetreiber<br />
zulässig.<br />
Wann wurde dieses<br />
mittelalterliche<br />
Kanalsystem aufgegeben?<br />
Noch im Mittelalter dürfte die Nutzung<br />
dieser Kanäle zur Abwasserentsorgung<br />
zu äußerst unangenehmen Begleiterscheinungen<br />
geführt haben. Da die Durchflussgeschwindigkeit<br />
des natürlich vorhandenen<br />
Wassers sehr gering war, ist von einer<br />
hohen Geruchsbelästigung auszugehen<br />
– insbesondere in den Sommermonaten,<br />
wenn wochenlang kein Regen gefallen war<br />
und die Fäkalien nicht abfließen konnten.<br />
Bei Starkregen dagegen liefen diese Kanäle<br />
über und hinterließen auf den angrenzenden<br />
Flächen eine breiige, stinkende Masse<br />
aus vorwiegend organischen Stoffen. Vermutlich<br />
ist dadurch auch die Ausbreitung<br />
von ansteckenden Krankheiten sehr be<br />
günstigt worden.<br />
Erst 1859, als es innerhalb der Stadt<br />
zum Ausbruch einer Choleraepidemie<br />
kam, befassten sich die Verwaltungsverantwortlichen<br />
erstmals offiziell<br />
mit einer vollständigen Erneuerung<br />
dieses inzwischen über 600 Jahre<br />
alten Abwassersystems. 1861/63<br />
wurde mit der Umsetzung dieser<br />
Neubauplanungen begonnen und<br />
damit ein entscheidender Schritt<br />
zur Beseitigung von unerträglich<br />
gewordenen hygienischen<br />
Verhältnissen in der Altstadt<br />
von Osnabrück eingeleitet. |<br />
BZ<br />
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