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Magazin WERTE 2015 - 2. Ausgabe

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Schutzgebühr 4,00 €<br />

Oktober <strong>2015</strong> . <strong>2.</strong> <strong>Ausgabe</strong><br />

Restaurierung | Denkmalpflege | Tradition<br />

<strong>WERTE</strong> <strong>2015</strong><br />

BESONDERE ORTE<br />

BLICK IN DIE WERKSTATT<br />

NOSTALGISCHE<br />

LEIDENSCHAFT<br />

Schlag<br />

VOM GLEICHEN<br />

ALTEN


14<br />

6<br />

BLICK IN DIE<br />

WERKSTATT<br />

KURIOSITÄTEN<br />

12<br />

VORHER -<br />

NACHHER<br />

BESONDERE<br />

ORTE<br />

26<br />

BESONDERE<br />

ZEITGENOSSEN<br />

20<br />

Inhalt<br />

3 EDITORIAL<br />

5 NEWS & TERMINE<br />

Präsentiert, antiquiert & repariert<br />

6 BLICK IN DIE WERKSTATT<br />

Büchsenmachermeister Konrad Krappmann fertigt seit<br />

mehr als 30 Jahren Jagd- und Sportwaffen. Das <strong>WERTE</strong>-Team hat<br />

ihn ins Visier genommen und scharf geschossen – nämlich Bilder.<br />

12 VORHER – NACHHER<br />

Orientteppiche fliegen Carmen Sendelbach bundesweit<br />

zu. Mit historischen Knüpf- und Webtechniken erhält die<br />

Teppichrestauratorin alte Perser und ideelle Werte.<br />

14 KURIOSITÄTEN<br />

Ein ehemaliger Schweinestall bei Bochum beherbergt eine<br />

der größten Spardosensammlungen Deutschlands.<br />

17 MESSE-IMPRESSIONEN<br />

Bilder der <strong>WERTE</strong>-Ausstellungen <strong>2015</strong><br />

18 GUT BEWAHREN<br />

In den Zeiten, als es noch keine Kreditkarten gab, galt es, das Geld<br />

gut zu verstecken und vor unberechtigtem Zugriff zu sichern.<br />

20 BESONDERE ZEITGENOSSEN<br />

Ein restaurierter, ehemaliger Hochbunker schützt heute die<br />

Sammlung historischer Turmuhren von Hans Peter Kuban.<br />

22 NOSTALGISCHE LEIDENSCHAFT<br />

Die Sportart „Hickory-Golf“ gewinnt immer mehr Anhänger. In<br />

historischer Kleidung und mit alten Schlägern spazieren sie über<br />

das Grün und besinnen sich auf die guten alten Zeiten.<br />

26 BESONDERE ORTE<br />

Der Odilienberg im Elsass ist mit seiner Klosteranlage ein<br />

einzigartiger, mystischer Ort, dem sich weder Wallfahrer noch<br />

Wanderer entziehen können.<br />

30 EXPERTENVERZEICHNIS<br />

Von „B“ wie Bildhauer bis „Z“ wie Zimmerer –<br />

diese Experten helfen mit Rat und Tat.<br />

2


EDITORIAL<br />

„HELLSEHER WISSEN ES BEREITS:<br />

DIE GUTE ALTE ZEIT WIRD IN ZUKUNFT<br />

NOCH ÄLTER UND BESSER.“<br />

Ernst Ferstl, österreichischer Lehrer, Dichter und Aphoristiker<br />

W ar früher eigentlich alles besser? Oder welche Gründe hat<br />

es, dass sich immer mehr Menschen wieder Althergebrachtem widmen?<br />

Ob Vinylplatte oder frisch gemahlener Filterkaffee – der Retro-Trend<br />

bietet Halt in einer rastlosen Zeit und bringt oft auch ein Stück Erinnerung<br />

zurück. Das Perfekte weicht dem Zeitlosen – nicht nur um der<br />

klassischen Formensprache Willen, sondern als bewusste Abgrenzung zu<br />

Hightech-Trends und Wegwerfgesellschaft.<br />

VIELLEICHT AUCH, um eine erholsame Gegenbewegung zu<br />

definieren, wie es der schottische Golfprofi Andrew Gauld formuliert.<br />

Er gehört einer wachsenden Fangemeinde des Hickory-Golf an. Für die<br />

Anhänger dieser historischen Sportart steht nicht das modernste Sportgerät<br />

oder das Handicap im Vordergrund, sondern der Spaziergang auf<br />

dem Golfplatz und das gemeinschaftliche Spielerlebnis!<br />

SAMMLER HABEN ZWAR grundsätzlich andere Ziele, dennoch<br />

treibt auch sie der Wunsch an, Vergangenes zu bewahren. Eindrucksvoll<br />

konnten wir dies beim Besuch eines Stuttgarter Hochbunkers erfahren,<br />

der eine der größten Turmuhrsammlungen Europas beherbergt. Die<br />

Leidenschaft, mit der sie ihr „Vater“, Hans Peter Kuban, pflegt, hat uns<br />

sehr beeindruckt.<br />

BEI DER THEMENZUSAMMENSTELLUNG unserer neuen<br />

<strong>Ausgabe</strong> ist uns eines klar geworden: Früher war sicher nicht alles besser,<br />

es gibt aber vielfältige Gründe, warum die Rückbesinnung auf alte Werte<br />

eine Bereicherung sein kann.<br />

IN DIESEM SINNE wünschen wir Ihnen eine bereichernde<br />

Lektüre mit dieser <strong>Ausgabe</strong> von <strong>WERTE</strong> <strong>2015</strong>! Ursula Hoffmann Thomas Büscher<br />

IMPRESSUM<br />

HERAUSGEBER<br />

Thomas Büscher,<br />

buescher@werte<strong>2015</strong>.de,<br />

Ursula Hoffmann,<br />

hoffmann@werte<strong>2015</strong>.de<br />

REDAKTION<br />

Thomas Büscher, Paul Göttl,<br />

Ursula Hoffmann, Frank Jörger<br />

MITARBEITER DER AUSGABE<br />

Ivar A. Aune, Matthias Gaul,<br />

Alexander Mannschatz, Sandra Moser<br />

GRAFIK UND PRODUKTION<br />

Frank Jörger, Stephanie Tarateta,<br />

Götz Mannchen<br />

DRUCK<br />

W. Kohlhammer Druckerei<br />

GmbH & Co. KG, Stuttgart<br />

ANZEIGENVERKAUF<br />

Thomas Büscher,<br />

buescher@werte<strong>2015</strong>.de,<br />

Bettina Pfeffer,<br />

bettina.pfeffer@etmservices.de<br />

VERLAG<br />

EuroTransportMedia (ETM)<br />

Verlags- und Veranstaltungs-GmbH<br />

Geschäftsbereich ETMservices<br />

Handwerkstraße 15<br />

70565 Stuttgart<br />

Telefon: 07 11.7 84 98-80<br />

Internet: www.eurotransport.de<br />

VERTRIEB EINZELVERKAUF<br />

DPV – Deutscher Pressevertrieb GmbH, 20355 Hamburg, Telefon 07 11.32 06 99 44, Telefax: 07 11.1 82-25 50, E-Mail an: bestellservice@dpv.de<br />

3


NEWS & TERMINE<br />

Werte 2016<br />

ALLER GUTEN DINGE SIND DREI<br />

GLEICH IN ZWEIFACHER HINSICHT IST DIE DREI EINE WICHTIGE ZAHL IN DER <strong>WERTE</strong>-REIHE:<br />

BEREITS ZUM DRITTEN MAL WIRD DIE <strong>WERTE</strong>-AUSSTELLUNG IN IHRER JETZIGEN FORM IN STUTTGART STATTFINDEN.<br />

DREI VERANSTALTUNGEN MACHEN AUCH 2016 NEUGIERIG AUF ALTE HANDWERKSKUNST.<br />

18. | 19. JUNI 2016,<br />

NEUES SCHLOSS, MEERSBURG<br />

An einem bewährten Standort mit geschichtsträchtigem<br />

Ambiente wird am dritten Juniwochenende die zweite<br />

<strong>WERTE</strong>-Messe des Jahres stattfinden. 2014 erfolgreich gestartet,<br />

gewähren in der barocken Residenz der Fürstbischöfe<br />

von Konstanz erneut interessante Aussteller Einblick in ihre<br />

konservatorischen Aktivitäten. Zudem lockt der Frühsommer mit<br />

einem überwältigenden Panoramablick über den Bodensee.<br />

ACHTUNG!<br />

ÖFFNUNGSZEITEN<br />

AM SAMSTAG<br />

EBENFALLS<br />

11-18 UHR<br />

30. APRIL | 1. MAI 2016,<br />

KURSAAL, STUTTGART-BAD CANNSTATT<br />

Nach zwei sehr erfolgreichen Veranstaltungen im Schloss Solitude<br />

wird <strong>WERTE</strong> am letzten Apriltag erstmals im Kursaal in<br />

Stuttgart-Bad Cannstatt ihre Tore öffnen. Mit dieser<br />

Entscheidung wird zum einen der wachsenden Ausstellerzahl<br />

Rechnung getragen, zum anderen erhalten treue<br />

Besucher die Gelegenheit, einen weiteren geschichtsträchtigen<br />

Ort der Landeshauptstadt kennenzulernen.<br />

Denn wo früher Königinnen und Könige ihre Kuren<br />

verbrachten, ist noch heute ein prachtvolles Ensemble zu<br />

bewundern.<br />

8. | 9. OKTOBER 2016,<br />

VERANSTALTUNGSFORUM FÜRSTENFELD,<br />

FÜRSTENFELDBRUCK<br />

Die dritte <strong>WERTE</strong>-Ausstellung 2016 wird im Herbst in der<br />

Metropolregion München ihre Zelte aufschlagen. Das<br />

Veranstaltungsforum von Fürstenfeldbruck bietet mit<br />

seinem rustikalen Flair erneut den perfekten Rahmen für die<br />

teilnehmenden Restauratoren und Handwerksbetriebe. Der<br />

Besuch der Ausstellung lässt sich bei schönem Wetter mit<br />

einem Herbstspaziergang in der Klosteranlage der ehemaligen<br />

Zisterzienserabtei verbinden.<br />

ÖFFNUNGSZEITEN: JEWEILS SAMSTAG 13-18 UHR UND SONNTAG 11-18 UHR, SOWEIT NICHT ANDERS ANGEGEBEN<br />

WEITERE INFORMATIONEN UNTER WWW.<strong>WERTE</strong>2016.DE<br />

4


VORHER – NACHHER<br />

Verknüpft<br />

UND ZUGENÄHT<br />

Beschädigt, abgenutzt oder zu groß –<br />

durch fachgerechte Restaurierung erhält Carmen<br />

Sendelbach wertvolle Orientteppiche.<br />

12


Kenner können gut ablesen,<br />

von wann und aus welchem Teil<br />

des Landes ein Teppich stammt.<br />

Wie schon vor Jahrtausenden entstehen Orientteppiche<br />

auch heute noch in monatelanger Kleinarbeit. Früher waren es hauptsächlich<br />

die Frauen persischer Nomaden, die Teppiche, Kelims und<br />

Decken herstellten. Jeder Stamm hat im Lauf der Zeit eigene Muster<br />

und Ornamente entwickelt, die von Reiseerlebnissen inspiriert waren.<br />

Im Lauf der Zeit haben zwar Teppichmanufakturen die aufwändige<br />

Knüpfkunst übernommen, Kenner können jedoch nach wie vor gut<br />

ablesen, von wann und aus welchem Teil des Landes ein Teppich<br />

stammt.<br />

LEIDENSCHAFT FÜR DIE PERSISCHE KULTUR<br />

Eine Frau, die über dieses Fachwissen verfügt, ist Carmen Sendelbach.<br />

Sie arbeitet als einzige selbstständig tätige Teppichrestauratorin<br />

bundesweit. „Zu den Teppichen bin ich eher durch Zufall gekommen“,<br />

erzählt die aus der Schneiderei stammende Expertin. Eine Bekannte<br />

machte sie mit der Materie vertraut und nach anfänglicher Skepsis,<br />

anstatt feinen Hemdenstoffs nun grobe Wolle zu verarbeiten, wurde<br />

daraus eine besondere Leidenschaft. Fasziniert von der Farbenpracht<br />

und der Mustervielfalt, bekam Carmen Sendelbach schon bald einen<br />

tiefen Zugang zu der alten Handwerkskunst. Sie ließ sich von einem<br />

persischen Restaurator ausbilden und lernte alles über historische<br />

Knüpf- und Webtechniken bis hin zu Farsi, der blumigen persischen<br />

Sprache. „Mögen Ihre Hände niemals schmerzen“ ist beispielsweise die<br />

sinngemäße Übersetzung für „Danke“. Die Sprachkenntnisse öffnen ihr<br />

dennoch keine interkulturellen Türen. „Aus Höflichkeit spricht man<br />

Englisch mit mir“, sagt sie mit einem Schmunzeln.<br />

SELBST IST DIE FRAU<br />

Alles, was sie zum Reparieren oder Restaurieren benötigt, kann die<br />

Expertin bei Bedarf selbst herstellen. So gehört das Spinnen von Wolle<br />

oder Seide ebenso zu ihrem Repertoire wie das Färben. Dies geschieht<br />

ausschließlich mit natürlichen Materialien, denn nur dann ist Authentizität<br />

gewährleistet. Ob das Erneuern von Fransen oder das Nachnähen<br />

von Einfassungen – Herkunft oder Wert des Teppichs spielen für<br />

sie dabei keine Rolle. In ihrer lichtdurchfluteten Werkstatt in Neu-Ulm<br />

widmet sie sich jedem Unikat mit Sachverstand und Hingabe.<br />

Teppichrestauratorin<br />

Carmen<br />

Sendelbach in<br />

ihrer Werkstatt<br />

Der durch Wasser beschädigte<br />

Teppich vor und, im linken Bild,<br />

nach der Restaurierung<br />

Neu eingezogene Kett- und<br />

Schussfäden bilden das Grundgewebe<br />

für den Teppichflor.<br />

AUS EINS MACH ZWEI<br />

Einen besonderen Service bietet die Teppichrestauratorin außerdem<br />

an: Auf Wunsch verkleinert oder verkürzt sie auch antike Exponate.<br />

„Gerade ältere Kunden ziehen manchmal in eine kleinere Wohnung<br />

und wollen ihren liebgewonnenen Perser mitnehmen. Ich versuche<br />

dann, durch eine optisch vertretbare Teilung, ihrem Wunsch nachzukommen.“<br />

Anfänglich hätte sie Vorbehalte gegen diese unkonventionelle<br />

Methode gehabt, gibt sie zu. Mittlerweile überwiegt für die<br />

Fachfrau jedoch ein wesentlicher Vorteil: Anstatt das Erinnerungsstück<br />

auszumustern, bleibt der ideelle Wert erhalten.<br />

URSULA HOFFMANN<br />

Kaschmir Seide und typische Werkzeuge zur Teppichrestaurierung<br />

13


MESSE-IMPRESSIONEN<br />

KOBLENZ<br />

Reger Zuspruch auf der <strong>WERTE</strong> <strong>2015</strong><br />

Einblicke<br />

Wertvolles Handwerk - Deine Berufung?!<br />

Bilder DER<br />

<strong>WERTE</strong>-AUSSTELLUNGEN <strong>2015</strong><br />

Einblicke – Rückblicke – Augenblicke: Schon das vierte Jahr in Folge<br />

finden erfolgreiche <strong>WERTE</strong>-Ausstellungen statt. Den Anfang machte<br />

im April <strong>2015</strong> das Kurfürstliche Schloss in Koblenz, wo, zusammen<br />

mit Restauratorenverbänden, die Ausbildungsinitiative „Einblicke“<br />

ins Leben gerufen wurde. Sie hat das Ziel, junge Menschen für die<br />

Ausbildung aussterbender Handwerksberufe zu begeistern. Die teilnehmenden<br />

Firmen hatten sich dazu einiges an Mitmach-Aktivitäten<br />

einfallen lassen und auch die Jugendbauhütte Soest informierte über<br />

das Freiwillige Soziale Jahr in der Denkmalpflege.<br />

Die Schönstätter<br />

Marienbrüder führen die<br />

Kunst des Ziselierens vor.<br />

Fachkundige Anleitung beim<br />

Abdichten eines Fensters mit<br />

Fensterkitt<br />

Im September <strong>2015</strong> war die <strong>WERTE</strong> <strong>2015</strong> erneut im Schloss Schwetzingen<br />

zu Gast. Begleitet von einem umfangreichen Medieninteresse<br />

– wie beispielsweise SWR 4 Kulturradio – war wieder eine vielfältige<br />

Mischung aus klassischem Handwerk, Baudenkmalpflege und hochkarätigen<br />

Restauratoren vertreten. Die Fotoausstellung und der Vortrag<br />

des Physikers Stefan Sirtl, der mit einem gepolsterten Sessel die Welt<br />

bereist hat, bereicherte die Veranstaltung.<br />

Wenn auch Sie Lust bekommen haben, 2016 eine <strong>WERTE</strong>-Ausstellung<br />

zu besuchen, finden Sie auf Seite 4 die nächsten Termine.<br />

Möbelrestaurator Ralph<br />

Böttcher informiert über<br />

Holzkonservierung.<br />

SCHWETZINGEN<br />

Der weitgereiste Sessel kommt im<br />

Schlosspark zum Einsatz.<br />

Der Goldschmied Carsten<br />

Kissner arbeitet Erbstücke um.


22


NOSTALGISCHE LEIDENSCHAFT<br />

VOM GLEICHEN<br />

Schlag<br />

ALTEN<br />

Noch ist es ein ausgewählter Kreis, aber die<br />

Zahl der Golfer, die auf Schläger aus dem Holz<br />

des Hickory-Baums setzen, wächst auch in<br />

Deutschland mehr und mehr.


NOSTALGISCHE LEIDENSCHAFT<br />

Deutscher Hickorygolf-Meister<br />

<strong>2015</strong> Iain Forrester bei der<br />

Verteidigung seines ersten Titels<br />

2010 mit Ralph Weyda und Boris<br />

Lietzow (von links).<br />

Es ist Samstag der 5. September <strong>2015</strong>: Über den gepflegten grünen<br />

Rasen des Golfclubs Baden-Baden marschieren den ganzen Tag<br />

über Menschen in ungewohnter Kleidung. Die Schläger, mit denen sie<br />

die kleinen weißen Bälle über die 18-Loch-Anlage des altehrwürdigen<br />

Clubs fliegen lassen, sehen für Außenstehende nicht gerade nach<br />

High-Tech-Spielgeräten, sondern eher nach Flohmarktartikeln aus.<br />

Des Rätsels Lösung liegt in der Sportart, um die es an diesem Tag in<br />

Baden-Baden geht. Die über 50 Damen und Herren aus zehn Nationen<br />

– der älteste Teilnehmer ist immerhin 83 Jahre alt – spielen „Hickory<br />

Golf“, und zwar im Rahmen der 7. German Hickory Championship.<br />

Teilnehmer der German Hickory Championship 2010<br />

Der Australier Perry<br />

Somers gewann drei Jahre<br />

in Folge die German<br />

Hickory Championship.<br />

HÖLZERNE ANFÄNGE<br />

Hickory steht für das Holz von Bäumen aus der Familie der nordamerikanischen<br />

Walnussgewächse, aus dem die Schäfte der mit Ledergriffen<br />

versehenen Schläger bestehen. Bis in die 1930er-Jahre hinein waren diese<br />

Schläger quasi der Standard beim Golfspiel, mehr und mehr setzten<br />

sich danach aber die bereits seit 1929 legalisierten Stahlschäfte durch.<br />

Hickory-Schläger trugen damals auch noch keine Nummern, sondern<br />

klingende Namen wie Niblick, das Äquivalent zum heutigen Eisen 9,<br />

oder Spoon, in etwa vergleichbar mit dem heutigen 3er-Holz. Golflegenden<br />

wie Harry Vardon oder Bobby Jones spielten mit Hickories,<br />

und John W. Fisher Jr. war 1936 der letzte Gewinner eines Major<br />

Championships mit solchen Schlägern.<br />

24


„Wer einmal der Faszination Hickory-Golf<br />

erlegen ist, den lässt sie nicht mehr los.“<br />

Christoph Meister, Gründungsmitglied und<br />

Captain der German Hickory Golf Society (GHGS)<br />

Beim „The Hickory<br />

Grail“-Turnier 2009<br />

bezwang Europa die<br />

USA im südschwedischen<br />

Falsterbo.<br />

ZURÜCK ZU<br />

DEN WURZELN<br />

Die Rückbesinnung auf die<br />

guten alten Zeiten im Golfsport<br />

begann in den 1980er-Jahren in<br />

den USA. Von dort aus schwappte<br />

der Trend zunächst ins Vereinigte<br />

Königreich und danach allmählich in<br />

viele weitere Staaten – darunter auch nach<br />

Deutschland, Österreich und in die Schweiz.<br />

2009 schlug in Deutschland mit der Ausrichtung<br />

der 1. German Hickory Championships<br />

im Golfclub Bad Wildungen die Geburtsstunde<br />

der German Hickory Golf Society (GHGS) mit<br />

Sitz in Potsdam. „Noch ist die Zahl der Hickory-<br />

Golfer in Deutschland mit etwas mehr als 50<br />

Spielerinnen und Spielern nicht sehr groß“, sagt<br />

Christoph Meister, ehemaliger Präsident der<br />

Vereinigung der europäischen Golf historiker<br />

und Sammler sowie Gründungsmitglied und<br />

Captain der GHGS. „Doch wer einmal dieser<br />

Faszination erlegen ist, den lässt sie nicht<br />

mehr los“, weiß der studierte Hamburger<br />

Wirtschaftswissenschaftler.<br />

ERHOLSAME<br />

GEGENBEWEGUNG<br />

Aber was genau macht diese Faszination<br />

aus? „Wir sind heute in so vielen Bereichen<br />

Opfer des Marketings“, meint Meister. Insbesondere<br />

im Sport zähle meist nur noch die Devise<br />

„höher – schneller – weiter“. Das bestätigt auch<br />

der im Schwarzwald lebende schottische Golf-Profi<br />

Andrew Gauld: „Heute reden alle über die Technik<br />

des Golfens, kaum einer spricht über dessen<br />

Ideale. Gleichzeitig sorgt man sich über den<br />

Niedergang von Golf, dem man mit Variatio-<br />

nen wie Speedgolf, Crossgolf oder Swingolf zu begegnen versucht.“ Vor<br />

diesem Hintergrund sei Hickory-Golf eine erholsame Gegenbewegung,<br />

der Genuss und das gemeinsame Spazieren über den Golfplatz stünden<br />

im Vordergrund – und das ohne Hektik, Ehrgeiz oder Druck. „Das Erlebnis<br />

ist wichtiger als die Verbesserung des Handicaps“, betont Gauld, der<br />

wie Meister ebenfalls beim eingangs erwähnten Turnier in Baden-Baden<br />

mit von der Partie ist.<br />

KNICKERBOCKER UND RAUTENMUSTER<br />

Was die Zulassung zu nationalen und internationalen Hickory-Turnieren<br />

anbelangt, wird auf Regeln und Etikette geachtet. So setzt man schon in<br />

Sachen Kleidung auf Tradition: Die Herren tragen meist Knickerbocker,<br />

deren Stoff vier Inches über das Knie reicht, außerdem Kniestrümpfe mit<br />

Rautenmuster, weiße Hemden, Westen und Schiebermützen. Bei den Damen<br />

sind mindestens knielange Röcke, weiße Blusen und Hüte angesagt.<br />

KEINE NACHBILDUNG<br />

Vor allem aber dürfen die Spieler gewöhnlich nur mit bis 1935 gebauten<br />

Schlägern antreten, lediglich in Ausnahmefällen sind auch Replikas<br />

erlaubt. „Auch 80 bis 100 Jahre nach ihrer Herstellung sind antike<br />

Schläger noch problemlos spielbar“, sagt Gauld. Das Hickory-Holz der<br />

Schäfte hat dabei eine Elastizität, die zwischen der von Stahl und Graphit<br />

liegt. Die eisernen Schlägerköpfe stammen in der Regel aus Schottland.<br />

Jeder Hickory ist ein Einzelstück, keine zwei gleichen einander.<br />

PRÄZISES SCHLAGEN<br />

Da der „Sweet Spot“, also der Punkt auf dem Schlägerblatt, mit dem<br />

man den Golfball optimal trifft, bei Hickory-Schlägern deutlich kleiner<br />

ist als bei moderneren Modellen, erfordert diese Golfvariante mehr<br />

Präzision beim Schlagen und aufgrund der Elastizität des Holzes ein<br />

sanfteres Schwingen des Schlägers. Die alten Schläger verzeihen keine<br />

Fehler, und die besondere Herausforderung besteht darin, den Golfball<br />

exakt zu treffen. Andernfalls verlieren Spieler und Ball an Länge oder<br />

verfehlen die Richtung. Daher lautet auch das Fazit von Experten wie<br />

Christoph Meister oder Andrew Gauld: „Wer viel mit Hickory- Schlägern<br />

spielt, wird ein besserer Golfer.“ So gesehen bietet die gepflegte Tradition<br />

also auch noch einen weiteren Vorteil.<br />

MATTHIAS GAUL<br />

25


BESONDERE ORTE<br />

Spurensuche<br />

AUF DEM HEILIGEN BERG<br />

Der Odilienberg im Elsass gilt als spirituelle<br />

Hochstätte. Ob Wallfahrer oder Wanderer:<br />

Eine mystische Empfindsamkeit erleben<br />

beide. Das Zusammenwirken von Natur und<br />

Okkultismus macht diesen Ort so einzigartig.<br />

Seine Geschichte ist es ohnehin.


BESONDERE ORTE<br />

Nach Westen die Vogesen: dunkel, mächtig, dem<br />

Schwarzwald ähnlich. Nach Norden und Osten der Kontrast: ein<br />

bunter Teppich aus Feldern, Weinhügeln, in der Ferne Straßburg und<br />

der Rhein. Der Panoramablick vom Gipfel des Odilienbergs mit seiner<br />

Klosteranlage ist für Wanderer im wahrsten Wortsinne aussichtsreicher<br />

Lohn für einen Anstieg auf 763 Meter Höhe. Für Gläubige,<br />

Sinnsucher oder Esoteriker bedeutet er mehr, der Mont Sainte-Odile.<br />

Dessen ist sich auch Patrick Koehler bewusst. Der Priester ist Wallfahrtsdirektor<br />

auf dem Odilienberg, gut 40 Kilometer südwestlich von<br />

Straßburg im Elsass gelegen. „Es ist ein ganz besonderer, ein spiritueller<br />

Ort“, weiß der Geistliche.<br />

ORT DER ANZIEHUNG<br />

In der Tat. Vieles lässt sich hier erfahren: die Natur<br />

als Schöpfung des Lebens wie auch das Zivilisationsgenie<br />

des Menschen. Der Ort hat seit Urzeiten<br />

Menschen angezogen. Er war Stätte für Zusammenkünfte<br />

keltischer Druiden, später diente er als<br />

Zufluchtsort vor Angreifern. Eine etwa zehn Kilometer<br />

lange Mauer umgibt drei Hochplateaus.<br />

Heidenmauer nennen die Elsässer dieses Bauwerk<br />

aus gewaltigen, bis zu vier Tonnen schweren<br />

Sandsteinblöcken. Vermutlich stammt der Festungswall<br />

aus der Mitte des ersten Jahrtausends<br />

vor Christus. Als später die Römer Gallien eroberten,<br />

bauten sie die Anlage zu einem Höhensitz aus. Von<br />

hier aus überwachten sie die Rheinebene. Altitonia<br />

hieß der Ort damals, später Hohenburg.<br />

RICHTUNGSGEBENDE SPUREN<br />

Seinen Stellenwert als geistige Hochstätte<br />

aber erlangte der Berggipfel erst viel später,<br />

als eine Elsässerin namens Odilia, französisch<br />

Odile, hier ein Kloster gründete.<br />

Sie hat Spuren hinterlassen. „Es sind die<br />

Spuren eines ganz besonderen<br />

Menschen, die offenbar<br />

sehr vielen anderen eine<br />

Richtung geben“, sagt<br />

Koehler. Wallfahrer<br />

besuchen die Stätte<br />

seit Gründung des<br />

Klosters, die Gruppen<br />

der Sportwanderer und<br />

Ruhesucher sind eher ein<br />

Abbild der Neuzeit. Ein<br />

Hotel bietet sich an als<br />

Rückzugsort für Stressgeplagte.<br />

Bei Managerseminaren<br />

lernen hier<br />

Menschen wieder, Ruhe<br />

ganz bewusst zu suchen.<br />

Wo heute ein Kloster steht, hausten einst keltische Druiden, später<br />

die Römer. Es ist ein Ort, der seit Urzeiten die Menschen anzieht.<br />

EINE SCHÜTZENDE HAND<br />

Diese Suche beginnt nach dem Eingangsportal in einem windgeschützten<br />

Innenhof, dem „großen Hof“. Rechts davon auf einer Plattform<br />

erhebt sich ein etwa 900 Jahre altes Brunnenbecken aus rosa Sandstein.<br />

Der Blick fällt geradeaus auf den Pilgersaal, vor dem die aufgestellte<br />

Bistro-Bestuhlung ein durchaus weltliches Bild vermittelt. Gleich daneben<br />

aber ein Monument christlich geprägter Kultur: die Klosterkirche<br />

mit ihren mittelalterlichen Fundamenten aus dem zwölften Jahrhundert.<br />

Erst vor hundert Jahren wurde an der Südostseite des Kirchenschiffs ein<br />

viereckiger Turm im romanischen Stil angefügt. Auffälliger ist ein zweiter,<br />

säulenartiger Turm an dessen östlicher Ecke. Auf seiner Spitze thront<br />

weithin sichtbar Odilia als mächtige Statue. Schützend scheint sie ihre<br />

Hand über das Elsass zu halten.<br />

Die Quelle unterhalb der<br />

Klostermauern versiegt nie.<br />

Die Aufnahme von 1905 zeigt den podestartigen Vorbau der Quelle.<br />

Er sieht heute noch genauso aus wie vor 110 Jahren.


FRAGEN STELLEN, ANTWORTEN SUCHEN<br />

Über den Kreuzgang seitlich der Kirche gelangt man zur Odilienkapelle<br />

mit dem Grab der Heiligen. Das Totendenkmal selbst stammt aus dem<br />

18. Jahrhundert, ein Sarkophag enthält zudem einige Reliquien Odilias.<br />

Nach Nordosten führt der Kreuzgang zu einer Terrasse auf einem Felsvorsprung<br />

mit einer beeindruckenden Aussicht. Ein Ort, um die Seele<br />

baumeln zu lassen, Fragen zu stellen, Antworten zu suchen. Vielleicht<br />

macht gerade die hier zu fühlende Empfindsamkeit für Ungeklärtes<br />

den Mythos des Mont Sainte-Odile aus. „Hier erfahren viele Besucher<br />

einen spirituellen Anstoß, schließen Frieden, finden Ruhe“, weiß Rektor<br />

Koehler.<br />

Die Odilienkapelle beinhaltet das Grab der Heiligen. Das Totendenkmal<br />

stammt aus dem 18. Jahrhundert.<br />

GLAUBE UND KUNST<br />

An den Rändern dieser Esplanade erheben sich zwei weitere Kapellen<br />

aus dem 1<strong>2.</strong> Jahrhundert. In einer davon, der Tränenkapelle, soll Odilia<br />

für den Seelenfrieden ihres Vaters gebetet und um ihn geweint haben.<br />

Hinter Gittern liegt eine kleine Mulde, die ihre Knie und Tränen hinterlassen<br />

haben sollen. Die Engelskapelle gegenüber ist kleiner. Sie befindet<br />

sich an jener Stelle des gewaltigen Felsen, an dem die Römer ihren<br />

Wachtturm errichtet hatten. Innen zeigen Wandmosaiken des Pariser<br />

Künstlers F. Danis Motive aus dem Leben Odilias, das bestimmt war<br />

vom Element Wasser. Eine Quelle zeugt noch heute davon.<br />

ELEMENTE DES LEBENS<br />

Die Quelle zu erwandern, ist für viele Besucher der Höhepunkt. Vom<br />

Hauptportal geht eine Treppe hinunter zu einem Rundweg außerhalb<br />

der Klostermauern. Er führt an mit Mosaiken gestalteten Bildnissen des<br />

Kreuzwegs von Jesus vorbei. Ebenso an einer in einer Felsspalte errichteten<br />

Mariengrotte. Ist man am Klosterfriedhof angelangt, findet sich<br />

ODILIA –<br />

TOCHTER DES LICHTS<br />

Um 660 n. Chr. lässt Adalrich, Herzog<br />

des Elsass, in Erwartung eines Sohnes<br />

und Erben die „Hohenburg“ errichten.<br />

Seine Frau Bereswinde bringt<br />

jedoch ein blindes Mädchen<br />

zur Welt. Da der enttäuschte<br />

Herzog das Kind töten lassen<br />

will, entführt die Mutter<br />

die Kleine und vertraut<br />

sie einer Amme an.<br />

Diese gibt das Kind<br />

ein Jahr später in die<br />

Obhut eines Klosters<br />

nahe Besançon. Als<br />

das Taufwasser das<br />

mittlerweile 12-jährige<br />

Mädchen berührt,<br />

kann es plötzlich sehen,<br />

weshalb man ihr den Namen<br />

Odilia gibt – Tochter<br />

des Lichts. Hugo, Odilias jüngerer Bruder, bereitet indes die<br />

Rückkehr seiner Schwester ins Elsass vor und stirbt daraufhin<br />

durch einen heftigen Schlag des wütenden Adalrich. Voller<br />

Reue will der Herzog nun seine Tochter auf der Hohenburg<br />

empfangen und sie mit einem Prinzen seiner Wahl vermählen.<br />

Odilia weigert sich und muss vor dem Zorn ihres Vaters<br />

fliehen. Der Legende nach öffnet sich unerwartet eine Spalte<br />

in einem Felsen, der ihr Zuflucht bietet. Adalrich sieht darin<br />

einen Fingerzeig Gottes und vermacht seiner Tochter den<br />

Besitz Hohenburg. Odilie gründet 690 die gleichnamige Abtei<br />

auf dem heute nach ihr benannten Berg. Eines Tages begegnet<br />

ihr ein blinder Bettler auf dem Weg. Von Mitleid berührt<br />

klopft sie in ihrer Verzweiflung mit einem Stab an einen<br />

Felsen am Fuße des Klosters. Wasser beginnt zu sprudeln, das<br />

den Bettler genauso geheilt haben soll, wie einst das Taufwasser<br />

sie selbst. 720 stirbt Odilia, elf Tage vor Weihnachten.<br />

1050 spricht die Kirche sie heilig.<br />

rechts ein Pfad Richtung Tal und Quelle. Sie liegt weiter unten an der<br />

Straße nach Saint-Nabor. Der Weg dorthin führt im Schatten mächtiger<br />

Bäume an bemoosten Felsen vorbei. Sonnenstrahlen dringen mühsam<br />

durch die dichten Baumkronen, ihre Lichtspitzen scheinen auf dem<br />

Boden zu tanzen. Ein elementares Erlebnis im wahrsten Wortsinn: Erde,<br />

Sonne und – nach etwa einer halben Stunde Fußweg – das Wasser. Die<br />

Quelle soll im Laufe der Jahrhunderte viele kranke Augen geheilt haben,<br />

sagt die Legende. Versiegt ist sie noch nie.<br />

ALEX MANNSCHATZ<br />

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