21.11.2015 Aufrufe

Essen ist ein politischer Akt | Dr. Ursula Hudson | Slow Food Vorsitzende Deutschland

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

nicht alle Menschen Zugang haben – man denke nur an die 42 Millionen Menschen in Europa, die hungern.<br />

Es muss vielmehr darum gehen, weiser, klüger zur erzeugen und Verteilungsgerechtigkeit sicherzustellen.<br />

Alles andere heißt lediglich, die im System vorhandenen Überschüsse zu verschieben. Der Verbraucher<br />

verschiebt vom Ende der Kette her auf den Handel, der wiederum auf den Weiterverarbeiter und<br />

Urerzeuger. Letzterer wird übrigens in der Impact Assessment Studie der EU Kommission aus dem Jahr<br />

2014 bei der Erfassung von Verschwendung ganz ausgeklammert. Doch bei ihm beginnt die systeminhärente<br />

Verschwendung aufgrund der ebenso systembedingt notwendigen Überproduktion. Denn der<br />

Landwirt muss me<strong>ist</strong> mit <strong>ein</strong>em Mehr planen, damit er s<strong>ein</strong>e Verpflichtungen dem Abnehmer gegenüber<br />

<strong>ein</strong>halten kann.<br />

Dieses System funktioniert nicht mehr. Zu diesem Ergebnis sind, vor allem wissenschaftlich interdisziplinär<br />

begründet, auch schon der Weltagrarbericht (IAASTD) 2008 und die neuere HANDY Studie der NASA<br />

(2014) gekommen, die mehr als die Landwirtschaft, nämlich die Industrienationen in den Blick genommen<br />

hat. „Weiter so <strong>ist</strong> k<strong>ein</strong>e Option mehr!“ – <strong>ist</strong> die klare Ansage in beiden Studien.<br />

Werfen wir <strong>ein</strong>en kurzen Blick ins andere System, dem der Kl<strong>ein</strong>bauern, der Indigenen Völker weltweit.<br />

Ja, Lebensmittelverluste gibt es auch dort, aber diese sind in der Regel infrastrukturbedingt, also ‚reparierbar’.<br />

Dieses <strong>ist</strong> k<strong>ein</strong> System der Überproduktion, sondern, auch etwas grob gezeichnet, insgesamt<br />

doch <strong>ein</strong>es des nachhaltigen Wirtschaftens. Wenn man <strong>ein</strong>e Weltkarte der Lebensräume der Indigenen<br />

Völker und <strong>ein</strong>e der sognannten Hotspots der Artenvielfalt über<strong>ein</strong>ander legt, so zeigt sich schnell, dass<br />

die Artenvielfalt-Hotspots da sind, wo Indigene Völker leben und wirtschaften. Sie sind die Hüter der<br />

Biodiversität der Welt – noch.<br />

Kl<strong>ein</strong>bauern, worunter auch Indigene Völker zählen, kontrollieren nur 30% des Landes weltweit, verbrauchen<br />

20% des Wassers und produzieren 60% aller Lebensmittel. Man <strong>ist</strong> geneigt, daraus zu schließen,<br />

dass man am besten die anderen 70% des urbaren Landes ebenfalls den Kl<strong>ein</strong>bauern überlassen<br />

sollte, um die Ernährungsprobleme zu lösen: „Das Modell der multifunktionalen, vielschichtigen Landwirtschaft<br />

in kl<strong>ein</strong>em Maßstab <strong>ist</strong> in der Lage, auf Dauer Qualität und Reproduzierbarkeit der natürlichen<br />

Ressourcen zu erhalten, die biologische Vielfalt zu bewahren und die Unversehrtheit der Ökosysteme zu<br />

garantieren,“ sagt Piero Sardo, Präsident der <strong>Slow</strong> <strong>Food</strong> Stiftung für Biodiversität.<br />

Was <strong>ist</strong> nun zu tun – vor allem mit Blick auf die 60 Ernten? Eigentlich <strong>ist</strong> das k<strong>ein</strong>e Frage, denn die Antwort<br />

liegt auf der Hand: sofort und ohne Zaudern ausschließlich <strong>ein</strong> zukunftsfähiges Ernährungssystem<br />

fördern, und das nicht zukunftsfähige umgestalten. Dazu müssen alle <strong>ein</strong>bezogen werden, die <strong>Akt</strong>eure in<br />

diesem System sind. Von der Politik über den Handel, die Erzeuger und Verarbeiter bis hin zum Verbraucher.<br />

Schritt für Schritt.<br />

Welche Rolle hat hier der Lebensmittelhandel? Eine Schlüsselrolle, denn er besetzt die Stelle der Lebensmittelversorgung<br />

für die Mehrheit der Menschen in diesem Land. Doch momentan sch<strong>ein</strong>t der Lebensmittelhandel<br />

Teil des falschen Systems zu s<strong>ein</strong> – des nicht nachhaltigen. Er bezieht den Großteil s<strong>ein</strong>er<br />

Rohstoffe und Lebensmittel aus dem industriellen System und trägt zudem aufgrund der Machtkonzentration<br />

in den landwirtschaftlichen Wertschöpfungsketten zur Konsolidierung des nicht-nachhaltigen<br />

Systems bei.<br />

Zukunftsfähig <strong>ist</strong> gut, sauber, fair. Zukunftsfähig <strong>ist</strong> der ressourcenschonende ökologische Anbau. Und<br />

zwar dies nur in der Zusammenschau. Genuss ohne sauber und fair taugt ebenso wenig wie jede andere<br />

4

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!