7 | 2008 - Schiffahrt und Technik
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VERKEHRSPOLITIK<br />
‚Schlecht’-achten dokumentiert wissenschaftliche Inkompetenz Hamburger Professorin<br />
Binnenschifffahrt in<br />
Ostdeutschland – aus<br />
Hamburger Sicht<br />
Der BUND hat sich seine ostdeutsche Binnenschifffahrts-(Verhinderungs)-Politik jetzt vom Institut für Verkehrsplanung<br />
<strong>und</strong> Logistik der TUHH begutachten lassen, das sich vor kurzem zur Rolle der Binnenschifffahrt,<br />
z.B. im Seehafen-Hinterlandverkehr, durchaus positiv geäußert hatte, das sich hier jedoch veranlasst sieht, die<br />
Fertigstellung des Wasserstraßenausbaus im Raum Berlin / Brandenburg gemäß Projekt 17 VDE, abgesehen von<br />
Brücken, als komplett überfl üssig zu bezeichnen. Hierzu einige Anmerkungen:<br />
■■■ Verkehrsprognosen. ■ Die akribische Analyse der Güterverkehrsentwicklung<br />
in <strong>und</strong> mit Berlin / Brandenburg von 1991 bis<br />
heute erweist sich als irrelevant, da sie zu nichts anderem führt<br />
als zu der fatalen Gr<strong>und</strong>position des Gutachtens, nach der es eine<br />
hinreichend positive Wirtschaftsentwicklung nicht gab, nicht gibt<br />
<strong>und</strong> folglich nicht geben wird, ein Bedarf nach Weiterentwicklung<br />
der Binnenschifffahrt <strong>und</strong> Ausbau der Infrastruktur also nicht erkennbar<br />
ist. Die Analyse greift hier entschieden zu kurz; sie hätte<br />
Ausgangspunkt sein müssen für Szenarien, die eine weitere Fortsetzung<br />
wirtschaftsfördernder, angebotsorientierter Maßnahmen<br />
in Betracht ziehen <strong>und</strong> den derzeitigen Status quo des Modal Splits<br />
der Verkehrsträger in Frage stellen.<br />
■■■ Verlagerungspotentiale. ■ Das allgemein anerkannte Ziel<br />
der Verlagerung von Güterverkehr von der Straße auf Bahn <strong>und</strong><br />
insbesondere Binnenschiff wird von den Gutachtern kaum gewürdigt.<br />
Anstelle auf eine prognostische Fortschreibung bisheriger<br />
Verkehrsentwicklungen <strong>und</strong> Modal Splits hinzuarbeiten, mit z.T.<br />
willkürlich gewählten Referenzzeiträumen (2007 trotz interessanter<br />
Entwicklungen unberücksichtigt), wäre hier zu erwarten gewesen,<br />
an Gesamtpotentialen ganz neu anzusetzen <strong>und</strong> sich mit Zielen <strong>und</strong><br />
Möglichkeiten von Verkehrsverlagerungen nachdrücklich auseinander<br />
zu setzen, was dann vermutlich zu einer völlig anderen Bewertung<br />
des Wasserstraßenausbaus geführt hätte.<br />
■■■ Gütermärkte. ■ Die Ausführungen der Gutachter zu zukünftigen<br />
binnenschiffsrelevanten Gütermärkten sind in der Tendenz<br />
halbherzig <strong>und</strong> unvollständig; sie werden nicht in zukünftige Nachfrage<br />
nach Binnenschiffskapazitäten umgesetzt, sondern stehen<br />
z. T. sogar im Widerspruch zu abschließenden, einseitig negativen<br />
Bedarfseinschätzungen: Kohle nach Berlin (z. Zt. noch überwiegend<br />
Braunkohle aus der Lausitz, zunehmend auch Steinkohle aus Polen,<br />
Russland <strong>und</strong> Übersee) muss realistischerweise noch als ein wichtiges<br />
<strong>und</strong> expansives Marktsegment gesehen werden.<br />
Andere Massenschüttgüter (z.B. Getreide, Ölsaaten, Futtermittel,<br />
Düngemittel, Chemie-Rohprodukte, Bio-Masse, Zement, Zement-<br />
Rohstoffe) <strong>und</strong> entsprechende Wirtschaftszentren werden mehr<br />
oder weniger berücksichtigt; eine differenziertere <strong>und</strong> positivere<br />
Bewertung ihrer Binnenschiffsaffi nität wäre angemessen gewesen.<br />
Dasselbe gilt auch für wichtige Massenstückgüter (z.B. Schrott,<br />
Stahlrohprodukte, Altpapier,<br />
Papierprodukte, Holz, Holzprodukte).<br />
Schwergüter <strong>und</strong><br />
großvolumige Güter, eine<br />
schon lange wichtige Domäne<br />
der Binnenschifffahrt, lassen<br />
gerade für Berlin <strong>und</strong> Teile<br />
Brandenburgs interessante,<br />
von den Gutachtern kaum<br />
gewürdigte Entwicklungsperspektiven<br />
erkennen. Hier hätte<br />
man auch darauf hinwei-<br />
Prof. Horst Linde | Bild: Teßmann<br />
sen sollen, dass die moderne<br />
Binnenschifffahrt sehr wohl<br />
in der Lage ist, nicht nur „Tonnen“, sondern hochwertige <strong>und</strong> transporttechnisch<br />
anspruchsvolle Güter zu transportieren.<br />
■■■ Containerverkehre. ■ Unvollständig <strong>und</strong> unzureichend<br />
sind die Ausführungen der Gutachter insbesondere im Hinblick auf<br />
Container <strong>und</strong> mit diesen transportierte Güter. Container als binnenschiffsaffi<br />
ne Märkte werden gr<strong>und</strong>sätzlich anerkannt; die Akquirierbarkeit<br />
hinreichender Mengen, z.B. zwischen den Seehäfen<br />
<strong>und</strong> Berlin / Brandenburg, wird jedoch ohne nähere Befassung in<br />
Zweifel gezogen. Hier wäre es dringend wünschenswert <strong>und</strong> vermutlich<br />
auch möglich gewesen, den bereits hohen Stand <strong>und</strong> die<br />
expansiven Tendenzen der Containerströme, z.B. nach Berlin, genauer<br />
darzustellen, um hieraus auf reale Verlagerungspotentiale zu<br />
schließen. Dies wurde offenbar nicht für nötig gehalten.<br />
■■■ Verkehrsträger-Wettbewerb. ■ In diesem Zusammenhang<br />
ein entschiedener Widerspruch gegen den erschreckend plakativ<br />
<strong>und</strong> unprofessionell anmutenden Satz (S. 61) „Die Binnenschifffahrt<br />
hat im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern systemimmanente<br />
Wettbewerbsnachteile“. In der Verkehrswissenschaft ist sonst eine<br />
andere, auf systemspezifi sche Vorteile <strong>und</strong> Nachteile abhebende<br />
Lesart üblich.<br />
■■■ Schiffsgrößen / Flotten. ■ Die Philosophie der Gutachter<br />
ist es offenbar, Binnenschifffahrt darf sein, Modernisierung <strong>und</strong><br />
Infrastrukturentwicklung werden ihr jedoch nicht zugebilligt. Die<br />
Gutachter halten 80-m-Schiffe auf ostdeutschen Wasserstraßen für<br />
24 | 7|<strong>2008</strong>