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Semerkand Deutsch - August 2015

Ein Ruf nach Gerechtigkeit, Die Pforten des Herzens, Leben und Tod, Die Jagdgesellschaft, Die zwei Arten der Gerechtigkeit, Der Erhabene Allah ist lebendig und stirbt nie, Die Khatme: Das gemeinschaftliche Dhikr

Ein Ruf nach Gerechtigkeit, Die Pforten des Herzens, Leben und Tod, Die Jagdgesellschaft, Die zwei Arten der Gerechtigkeit, Der Erhabene Allah ist lebendig und stirbt nie, Die Khatme: Das gemeinschaftliche Dhikr

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AUF DEUTSCH<br />

MONATLICHE TASAWWUF ZEITSCHRIFT • JAHR 3 • AUSGABE 8 AUGUST <strong>2015</strong> • DEUTSCHLAND • PREIS 2,50€<br />

Ein Ruf nach Gerechtigkeit<br />

Die Pforten des Herzens<br />

Leben und Tod<br />

Die Jagdgesellschaft<br />

Die zwei Arten der Gerechtigkeit<br />

Der Erhabene Allah ist lebendig und stirbt nie<br />

Thema des Monats<br />

Die Khatme: Das gemeinschaftliche Dhikr<br />

ISSN 2197-5272 08


Auch als Jahresabo erhältlich!<br />

SEMERKAND ZEITSCHRIFT<br />

monatliche Tasawwuf Zeitschrift<br />

In der Türkei, sowie in der türkischsprachigen Gemeinschaft in <strong>Deutsch</strong>land, ist die<br />

<strong>Semerkand</strong>-Zeitschrift bereits seit 16 Jahren ein beliebtes und etabliertes Medium, das<br />

sich mit Themen wie Islam, Tasawwuf und Lebensgestaltung befasst.<br />

Die deutschsprachige Ausgabe der Zeitschrift hat momentan einen Umfang von 30<br />

Seiten, gefüllt mit lehrreichen Geschichten und das Herz berührenden Erläuterungen<br />

von zeitgenössischen Sufigelehrten sowie ausgewählten Auszügen aus historischen<br />

Tasawwuf Werken.<br />

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1


MONATLICHE TASAWWUF ZEITSCHRIFT<br />

EDITORIAL<br />

Liebe Leser,<br />

Die Welt ist an sich darauf ausgelegt, den Tod zu verdrängen.<br />

Sogar wenn eine Person aus unserer Nähe verstorben ist,<br />

ist der Tod als Thema nur von vorübergehender Dauer.<br />

So glauben selbst viele Muslime nicht wirklich an ihren<br />

eigenen Tod, obwohl doch das Thema Tod einen so wichtigen<br />

Platz in unserer Religion einnimmt. Im Edlen Quran wird der<br />

Tod an unzähligen Stellen erwähnt und fast auf jeder Seite<br />

des heiligen Buches wird auf das Leben nach dem Tod, auf<br />

Belohnung und Bestrafung am Tage des Gerichts und auf ein<br />

ewiges Fortbestehen in Paradies und Hölle eingegangen.<br />

ISSN 2197-5272<br />

EROL MEDIEN GMBH<br />

Kölner Str. 256 - 51149 Köln<br />

Tel. 02203/369490<br />

Fax. 02203/3694910<br />

www.semerkandzeitschrift.de<br />

e-mail:<br />

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BIC: COLSDE33<br />

Verantwortlicher Redakteur:<br />

İsmail Gökhan Korkmaz<br />

Druck:<br />

Şan Ofset Matbaacılık<br />

Hamidiye Mah. Anadolu Cad. No: 50<br />

Kağıthane | İstanbul Tel: 0212 289 24 24<br />

Quellenangabe:<br />

• Titelseite: © bergamont - stock.adobe.com<br />

• Seite 7: © inga - Fotolia.com<br />

• Seite 9: © styleuneed - stock.adobe.com<br />

• Seite 11: © javarman - Fotolia.com<br />

• Seite 14 © Jens Klingebiel - stock.adobe.com<br />

• Seite 17: © eyetronic - stock.adobe.com<br />

• Seite 19: © Smileus - stock.adobe.com<br />

• Seite 21: © eyetronic - stock.adobe.com<br />

• Seite 23: © Galyna Andrushko - stock.adobe.com<br />

• Seite 25: © Grafvision - stock.adobe.com<br />

• Seite 26: © womue - Fotolia.com<br />

• Seite 27: © donatas1205 - Fotolia.com<br />

• Seite 29: © Sebastian Duda - Fotolia.com<br />

Der Mensch ist ein Meister der Verdrängung. Diese Fähigkeit<br />

des Menschen mag ein wichtiger Grund dafür sein,<br />

warum der Tod in allen Bereichen unserer Gesellschaft so sehr<br />

verdrängt und totgeschwiegen wird. Aber es mag sein, dass<br />

es dafür auch noch einen anderen Grund gibt. Denn Tod und<br />

Religion gehören untrennbar zusammen. Wer sich mit seinem<br />

Tod beschäftigt, der beginnt auch die Sinnfrage zu stellen. Wer<br />

sich mit seinem Tod beschäftigt, der beginnt sich zu fragen,<br />

was denn nach seinem Tod mit ihm geschehen wird. Wer sich<br />

mit dem Tod beschäftigt, der beginnt automatisch auch damit,<br />

sich mit Religion zu beschäftigen, denn nur die Religion kann<br />

Antworten auf diese Fragen geben.<br />

In seinem Artikel „Leben und Tod“ versucht uns Mehmet<br />

Ildirar für das Thema Tod zu sensibilisieren. Er ruft uns dazu<br />

auf, häufig an den Tod zu denken und uns auf dem Wege des<br />

Erhabenen Allah zu bemühen, damit wir in der Stunde unseres<br />

Todes nicht mit leeren Händen vor unserem Schöpfer stehen.<br />

Der Artikel über die Khatme bildet den Abschluss unserer<br />

Trilogie über das Dhikrullah. Und auch die Khatme weist einen<br />

Bezug zum Tod auf, denn wer an ihr teilnimmt, dem werden<br />

die Sünden vergeben und dies ist bekanntlich die beste Vorbereitung<br />

auf den Tod. Und weil an der Khatme auch die Seelen<br />

der ehrenwerten Scheykhs der Tariqah Naqschibendiyye<br />

teilnehmen, macht sich der Teilnehmer der Khatme bei diesen<br />

bekannt und darf darauf hoffen, am Tage des Gerichts von<br />

diesen Fürsprache zu erhalten.<br />

Euer <strong>Semerkand</strong>-Team<br />

2


INHALT AUGUST <strong>2015</strong><br />

17<br />

DIE KHATME: DAS GEMEINSCHAFTLICHE DHIKR<br />

ALİ İHSAN WEIGER<br />

23<br />

DER ERHABENE ALLAH IST LEBENDIG<br />

SERIE<br />

9<br />

DIE PFORTEN DES HERZENS<br />

IMAM EL-GHAZALI Q.S.<br />

25<br />

DIE ZWEI ARTEN DER GERECHTIGKEIT<br />

NASREDDIN KHODSCHA<br />

14<br />

DIE JAGDGESELLSCHAFT<br />

DSCHALAL AD-DIN RUMI Q.S.<br />

4<br />

EIN RUF NACH GERECHTIGKEIT<br />

MÜBAREK ELHÜSEYNİ<br />

7<br />

DIE GOLDENE KETTE DER NAQSCHIBENDIYYE: EBU ALI EL-FARMEDI Q.S.: DER MURSCHID DER MURSCHIDS<br />

SERIE<br />

26<br />

DIE NAMEN DES GESANDTEN ALLAHS S.A.W.S. : HASCHIR<br />

SERIE<br />

27<br />

DIE FACHBEGRIFFE DES MONATS<br />

ISLAMLEXIKON<br />

11<br />

LEBEN UND TOD<br />

MEHMET ILDIRAR<br />

3


Leitartikel<br />

Mübarek Elhüseyni<br />

Ein Ruf nach Gerechtigkeit<br />

Die Welt ist ein Ort der Prüfung. In ihr wird der<br />

Mensch auf Herz und Nieren geprüft. Handelt er<br />

gerecht, dann wird er dafür am Tage des Gerichts<br />

belohnt werden, handelt er ungerecht, dann wird<br />

er dafür am Tage des Gerichts zur Rechenschaft<br />

gezogen werden. Im Edlen Quran heißt es dazu:<br />

„Wenn ihr Gutes tut, so tut ihr Gutes für euch<br />

selbst und wenn ihr Schlechtes tut, so tut ihr<br />

dies gegen euch (selbst)!“<br />

(17. Sure: El-Isra, Vers 7).<br />

Die weltliche Prüfung folgt festen Regeln.<br />

Den Regeln des Erhabenen Allah. Diese hat<br />

Er uns durch Seine Propheten übermittelt.<br />

Sie bestehen aus festverbindlichen Pflichten<br />

und unverbindlichen Empfehlungen, die wir<br />

manchmal dem Erhabenen Allah gegenüber<br />

und manchmal unseren Mitmenschen gegenüber<br />

zu erfüllen haben. Halten wir uns an diese<br />

Regeln, dann tun wir uns Gutes und halten<br />

wir uns nicht an diese Regeln, dann schneiden<br />

wir uns dadurch nur ins eigene Fleisch.<br />

Das Regelwerk des Islam ist also nichts anderes<br />

als ein Geschenk des Erhabenen Allah an die<br />

Menschheit. Wer sich daran hält, der wird schon<br />

in dieser Welt einen tiefen Seelenfrieden erfahren<br />

dürfen und im Jenseits die ewige Glückseligkeit<br />

finden. Einer der wichtigsten Punkte in diesem<br />

Regelwerk ist die Gerechtigkeit. Diese ist notwendig,<br />

damit diese Welt im Gleichgewicht bleibt<br />

und alle Menschen im Guten zusammenleben<br />

können. Sobald wir die Grenzen der Gerechtigkeit<br />

überschreiten, stören wir die Harmonie dieser Welt<br />

und machen uns den Erhabenen Allah zum Feind.<br />

Imam el-Ghazali rah. sagte dazu: „Gerecht ist,<br />

wer die Menschen nach den Regeln des Rechts<br />

4


ehandelt und ihnen gegenüber nicht ungerecht<br />

wird. Der schlimmste unter den Menschen ist der<br />

Tyrann. Weder seine Herrschaft noch sein Besitz<br />

haben Bestand. Darum heißt es: „Der Besitz des<br />

Ungläubigen bleibt bestehen, der Besitz des Tyrannen<br />

jedoch nicht!“ Dies sieht man auch an dem<br />

Beispiel der Feueranbeter. Diese hielten die Regeln<br />

der Gerechtigkeit und der Gleichberechtigung<br />

zwischen den Menschen aufrecht und verbaten<br />

das Unrecht gegenüber den anderen Religionsgemeinschaften<br />

und Völkern. Deshalb war es ihnen<br />

möglich, große Reiche zu errichten und über 4.000<br />

Jahre hinweg die Welt zu regieren.“<br />

Der Gesandte Allahs s.a.w.s. verabscheute<br />

die Ungerechtigkeit und liebte die Gerechtigkeit.<br />

Er hielt sich jederzeit an das Gebot der<br />

Gerechtigkeit und vertraute jenen, die dies<br />

ebenfalls taten, egal ob diese Muslime waren<br />

oder nicht. Als die Ungerechtigkeit, die<br />

die Muslime in Mekka von ihren Feinden zu<br />

erdulden hatten, unerträglich geworden war,<br />

befahl er seinen Gefährten auszuwandern. Als<br />

sie ihn fragten, in welche Richtung sie denn<br />

gehen sollten, da war es die Gerechtigkeit des<br />

Königs von Abessinien, die den Ausschlag<br />

für seine Entscheidung gab und so deutete<br />

er in die Richtung Abessiniens. Denn er<br />

wusste, dass sich der christliche König, der<br />

dort regierte, den Geboten der Gerechtigkeit<br />

verpflichtet fühlte und seinen Gefährten gerne<br />

Unterschlupf gewähren würde.<br />

Die Gerechtigkeit ist eines der wichtigsten<br />

Gebote des Islam, weil sie die Grundlage des<br />

menschlichen Zusammenlebens ist. Genauso, wie<br />

wir von den anderen erwarten, dass sie mit uns<br />

gerecht verfahren, genauso müssen wir umgekehrt<br />

auch mit ihnen gerecht verfahren. Außerdem<br />

ist es ein Bestandteil unseres Glaubens – im Rahmen<br />

unserer Möglichkeiten – gegen alle Arten des<br />

Unrechts vorzugehen. Der Gesandte Allahs s.a.w.s.<br />

sagte dazu: „Wenn einer von euch etwas Verwerfliches<br />

sieht, dann ändere er dies mit seiner Hand:<br />

Und wenn er dazu nicht in der Lage ist, dann mit<br />

seiner Zunge. Und wenn er dazu nicht in der Lage<br />

ist, dann (verabscheue er es) mit seinem Herzen.<br />

Dies ist die schwächste (Form) des Glaubens!“<br />

(Muslim: El-Iman: 22: „Beyan Kawni Nehi anil Munker“; Nr. 186)<br />

Die früheren Gelehrten hielten sich an die<br />

Aufforderung in dieser Hadith. Sie hatten keine<br />

Angst davor, ihren Posten zu verlieren oder in den<br />

Kerker geworfen zu werden, weil sie die Reichen<br />

und Mächtigen für ihre Ungerechtigkeit tadelten.<br />

Sobald sie eine Ungerechtigkeit im Handeln ihrer<br />

Herrscher bemerkten, machten sie sich auf den<br />

Weg zu diesen, um sie auf ihr falsches Handeln<br />

aufmerksam zu machen. Imam el-Ghazali rah. überliefert<br />

uns dazu beispielsweise, wie der Gelehrte<br />

Schebib Bin Scheybeh zu Muhammed el-Mehdi,<br />

dem Kalifen von Cordoba, ging und diesen darauf<br />

hinwies, dass auch er sich an die Gebote der<br />

Gerechtigkeit zu halten habe:<br />

Schebib sprach zu ihm: „O Befehlshaber der<br />

Gläubigen! Der Erhabene Allah hat euch die Welt<br />

zu Füßen gelegt. So gebt nun eurem Volk seinen<br />

Anteil daran!“<br />

Da fragte ihn der Kalif: „Was ist denn dieser Anteil?“<br />

Schebib antwortete ihm: „Die Gerechtigkeit!“<br />

Danach fuhr er fort: „Wisset! Wenn es eurem Volk<br />

wohl ergeht und es sich sicher vor euch fühlt,<br />

dann wird es euch in eurem Grabe ebenfalls wohl<br />

ergehen und ihr werdet euch dort ebenfalls sicher<br />

fühlen. O Emir! Fürchtet jenen Zeitpunkt, an dem<br />

die Nacht nicht auf den Tag und der Tag nicht auf<br />

die Nacht folgen wird! Haltet so gut es nur geht an<br />

der Gerechtigkeit fest! Seid auf der Hut und wisset,<br />

dass Recht mit Recht und Unrecht mit Unrecht<br />

vergolten wird. Und kleidet euch beizeiten in das<br />

Gewand der Frömmigkeit, denn am Tag der Auferstehung<br />

wird keiner dem anderen etwas von seiner<br />

Frömmigkeit abzugeben haben!“<br />

Und Feriduddin el-Attar rah. berichtet in seinem<br />

berühmten Werk „Tedhkiratul Ewliya“ davon, dass<br />

der Abbasidenkalif Harun Raschid eines Tages<br />

zu Fudayl Bin Iyad rah. kam, um diesen um einen<br />

guten Rat zu bitten.<br />

5


Da sprach dieser zu ihm: „Als Umer Bin Abdilaziz<br />

zum Kalifen ernannt wurde, da wurden<br />

zu ihm (die drei Gelehrten) Salim Bin Abdillah,<br />

Redscha Bin Hayyun und Muhammed Bin<br />

Ka’b gerufen. Da sprach Umer Bin Abdilaziz zu<br />

ihnen: „Seht! Ich werde mit dieser schrecklichen<br />

Heimsuchung geprüft! Wie soll ich denn<br />

nur in diesem Amt verfahren, (damit ich errettet<br />

bin)? Denn wahrlich ist dieses Amt eine gewaltige<br />

Prüfung, auch wenn die gewöhnlichen<br />

Leute es als ein großes Geschenk ansehen!“<br />

Da sagten die drei zu ihm: „Wenn du am<br />

Tage des Gerichts vor der Bestrafung durch den<br />

Erhabenen Allah errettet sein willst, dann stelle<br />

jeden alten Muslim an die Stelle deines Vaters und<br />

jeden jungen Muslim an die Stelle deines Bruders<br />

und jedes Kind an die Stelle deiner Kinder! Denn<br />

wahrlich sind alle Muslime zusammengenommen,<br />

wie eine einzige große Familie! Und du bist für<br />

sie verantwortlich und bist ihr Familienoberhaupt.<br />

Deshalb besuche deinen Vater und sei zu deinem<br />

Bruder freigiebig und behandle deine Kinder gut!“<br />

Danach sagte Fudayl rah. : „Ich fürchte,<br />

dass dein schönes Gesicht vom Feuer der<br />

Hölle verbrannt werden könnte! So fürchte<br />

den Erhabenen Allah und bereite dich gut<br />

auf deine Verhandlung (am Tage der Abrechnung)<br />

vor. Und sei jederzeit auf der Hut!<br />

Denn der Erhabene Allah wird dich am Tage<br />

des Gerichts nach jedem einzelnen deiner<br />

Untertanen befragen und er wird das Unrecht<br />

rächen, das der Unterdrücker am Unterdrückten<br />

begangen hat. Dies geht soweit, dass es<br />

dir am Jüngsten Tage angekreidet werden<br />

wird, wenn eine Alte aus deinem Volk nur eine<br />

einzige Nacht vor Hunger wach verbringen<br />

musste. Er wird ihr Recht für sie einfordern!“<br />

Jedermann wird für das Unrecht, das er an<br />

seinen Mitmenschen begeht zur Rechenschaft<br />

gezogen werden. Da bilden die Tyrannen keine<br />

Ausnahme. Es mag sein, dass sie in dieser Welt<br />

ihrer gerechten Strafe entrinnen mögen, weil ihnen<br />

der Erhabene Allah Aufschub gewährt hat. Doch<br />

sollten sie sich deshalb nicht in Sicherheit wiegen,<br />

denn ihre gerechte Strafe wird sie gewiss ereilen.<br />

Im Edlen Quran heißt es dazu:<br />

„Und denke nicht, dass Allah nicht<br />

bemerken würde, was die Ungerechten<br />

tun! Er verschiebt ihre (Bestrafung) nur auf<br />

einen Tag, an dem die Blicke (vor lauter<br />

Furcht) erstarrt sein werden. Angstvoll eilen<br />

sie vorwärts, erhobenen Hauptes, mit weit<br />

aufgerissenen Augen und leerem Herzen.<br />

Warne die Menschen vor einem Tag, (an<br />

dem) die Strafe über sie kommt und jene,<br />

die ungerecht waren, sagen werden:<br />

„Unser Herr! Gib uns noch ein wenig<br />

Zeit (auf Erden), damit wir (dort) Deinem<br />

Ruf Folge leisten und den Gesandten<br />

folgen!“ Hattet ihr nicht zuvor (schon auf<br />

Erden) geschworen, dass es für euch kein<br />

(solches) Ende geben wird? Und lebtet ihr<br />

(nicht) in den Wohnstätten jener (früherer<br />

Völker), die sich selbst Unrecht zufügten,<br />

und war euch (nicht) klar, wie Wir mit ihnen<br />

verfahren sind und gaben Wir euch (nicht<br />

genügend) Beispiele?“<br />

(14. Sure: Ibrahim, Verse 42-45)<br />

In dieser Welt ist es immer besser zu den<br />

Unterdrückten zu gehören, als zu den Unterdrückern.<br />

Wir sollten sehr darauf achten, niemals auf<br />

der Seite der Unterdrücker zu stehen, denn damit<br />

stellen wir uns nicht nur gegen unsere Mitmenschen<br />

sondern auch gegen den Erhabenen Allah.<br />

Dieser ist immer auf der Seite der Unterdrückten<br />

und wenn diese ihr Recht nicht selbst einfordern<br />

können, dann wird Er eines Tages als ihr Anwalt<br />

auftreten und für sie ihr Recht geltend machen.<br />

Der Gesandte Allahs s.a.w.s. sagte dazu: „Hütet euch<br />

vor den Bittgebeten der Unterdrückten, denn wahrlich<br />

steigen diese (so schnell) zum Himmel empor,<br />

wie die Funken (von einem Lagerfeuer)!“<br />

(Hakim: Mustedrek: El-Iman; Nr. 81)<br />

Möge der Erhabene Allah mit uns barmherzig<br />

verfahren und uns davor bewahren, auf der Seite<br />

der Unterdrücker zu stehen!<br />

6


DIE GOLDENE KETTE DER NAQSCHIBENDIYYE<br />

Serie<br />

Ebu Ali el-Farmedi q.s. :<br />

Der Murschid der Murschids<br />

Sein Name: Ebu Ali el-Fadl Bin Muhammed<br />

el-Farmedi et-Tusi q.s. .<br />

Seine Eltern: Von seinen Eltern ist nicht viel<br />

bekannt, wie wissen nur, dass sein Vater<br />

Muhammed el-Farmedi hieß.<br />

Seine Herkunft: Er stammt aus dem persisches<br />

Dorf Farmed, in der Region Tus.<br />

Seine Lebensdaten: Er wurde entweder<br />

im Jahre 401 n. H. (1010 n. Chr.) oder im<br />

Jahre 433 n. H. (1042 n. Chr.) in Farmed<br />

geboren und verstarb dort entweder im<br />

Jahre 472 n. H. (1080 n. Chr.) oder 477 n.<br />

H. (1084 n. Chr.).<br />

Seine Lebensgeschichte: Ebu Ali q.s. war<br />

der Qutb (das Oberhaupt der Freunde<br />

des Erhabenen Allah) seiner Zeit. Er war<br />

aber nicht nur ein Arif Billah (ein Kenner<br />

des Erhabenen Allah) und Murschid (spiritueller<br />

Wegweiser), sondern auch ein<br />

großer Rechtsgelehrter der schafi’itschen<br />

Rechtschule, der unter anderem so großen<br />

Gelehrten wie Ebu Uthman es-Sabuni q.s.<br />

7


und Imam el-Ghazali q.s. Unterricht im<br />

Islamischen Recht erteilte.<br />

Er wuchs in der Obhut so großer Ewliya<br />

(Freunde des Erhabenen Allah), wie Imam el-<br />

Quscheyri q.s. , Ebul Hasan el-Kharqani q.s. und<br />

seines späteren Schwiegervaters Ebul Qasim<br />

el-Dschurdschani q.s. auf. Seine spirituelle<br />

Erziehung war so erfolgreich, dass er schon<br />

bald seine Zeitgenossen im Dhikrullah (dem<br />

Gedenken an den Erhabenen Allah), in der<br />

Mahabbetullah (der Liebe zum Erhabenen<br />

Allah) und im Edeb (Anstand) übertraf.<br />

Seinen hohen Rang erlangte er aber<br />

nicht nur durch die Suhbeh (das Beisammensein)<br />

mit den großen Ewliya, sondern<br />

auch durch die Khidmeh (den Dienst),<br />

die er diesen leistete. Dazu wird uns von<br />

ihm folgende Geschichte überliefert:<br />

Eines Tages ging Imam el-Quscheyri q.s.<br />

ins Hammam (Dampfbad). Da beschloss<br />

auch Ebu Ali q.s. dorthin zu gehen, um ihm<br />

zu dienen. Er holte mit Eimern Wasser aus<br />

dem Brunnen des Hammam und füllte<br />

damit die Wanne Imam el-Quscheyris q.s. .<br />

Als Imam el-Quscheyri q.s. mit seinem Bad<br />

fertig war und wieder aus dem Hammam<br />

herauskam, fragte er die umstehenden<br />

Leute: „Wer hat meine Wanne mit Wasser<br />

gefüllt?“ Da schwieg Ebu Ali q.s. aus Edeb.<br />

Als Imam el-Quscheyri q.s. ein weiteres Mal<br />

fragte, schwieg er abermals. Als dieser<br />

dann schließlich nochmals nachfragte,<br />

antwortete er ihm: „Ich habe die Wanne<br />

gefüllt!“ Da sprach Imam el-Quscheyri q.s. :<br />

„O Ebu Ali! Das, was ich in siebzig Jahren<br />

erreicht habe, hast du mit ein paar wenigen<br />

Eimern Wasser erreicht!“<br />

Diesen Ausspruch Imam el-Quscheyris q.s.<br />

erklärte uns Ebu Ali q.s. dahingehend, dass<br />

ihm dieser mit nur einem einzigen Nadhar<br />

(heilsamen Blick) all jenes Wissen ins Herz<br />

gelegt hatte, dass er selbst in 70 Jahren<br />

erworben hatte.<br />

Ebu Ali q.s. war für seine große Weisheit<br />

bekannt. Wenn er sprach, flossen die Worte<br />

direkt aus seinem Herzen. Dabei waren<br />

diese manchmal von so tiefer Bedeutung,<br />

dass seine Zuhörer in Ekstase gerieten<br />

und nicht mehr Herr ihrer Sinne waren.<br />

Da wurde dann seine ganze Umgebung<br />

von einem himmlischen Rosenduft erfüllt<br />

und es erblühte in den Herzen der Menschen<br />

das Gedenken an den Propheten<br />

Muhammed s.a.w.s. . Sein Zeitgenosse,<br />

der Universalgelehrte Muhammed es-<br />

Sem‘ani q.s. , beschrieb ihn denn auch folgendermaßen:<br />

„Ebu Ali el-Farmedi q.s. war<br />

der Eroberer der Herzen und der Scheykh<br />

von Khorasan. […] Seine Worte hatten eine<br />

so starke Wirkung auf seine Zuhörer, dass<br />

diese sich in einem duftenden Rosengarten<br />

wähnten, wenn sie ihm zuhörten.“<br />

Ebu Ali q.s. trägt den Ehrennamen<br />

„Murschid der Murschids“ (der spirituelle<br />

Führer der spirituellen Führer).<br />

Denn er war nicht nur der Murschid des<br />

großen Gelehrten Imam el-Ghazali q.s. ,<br />

sondern auch vieler anderer großer Murschids,<br />

wie Yusuf el-Hemedani q.s. , der<br />

wiederum der Murschid der Begründer<br />

der Sufiorden der Naqschibendiyye und<br />

der Yesewiyye war und großen Einfluss<br />

auch auf die Begründer anderer Sufiorden<br />

nahm.<br />

8


KLASSIKER<br />

Imam el-Ghazali q.s.<br />

Die Pforten des Herzens<br />

Das Herz des Menschen ist in einer Zwischenwelt<br />

angesiedelt: In einer Welt, die sich<br />

zwischen der Welt der grobstofflichen Dinge<br />

und der Welt der feinstofflichen Dinge befindet.<br />

Dabei nennt man die Welt der grobstofflichen<br />

Dinge „Mulk“ und die Welt der feinstofflichen<br />

Dinge „Melekut“. Da unser Herz sich zwischen<br />

diesen beiden Welten befindet, besitzt es sowohl<br />

eine Pforte in die Welt der feinstofflichen<br />

Dinge als auch eine Pforte in die Welt der grobstofflichen<br />

Dinge.<br />

Das Mulk ist die materielle Welt. Dies ist jene<br />

Welt, die uns allen bekannt ist. Wir alle leben in<br />

ihr, bewegen uns in ihr und nehmen sie mit unseren<br />

fünf Sinnen wahr. Viele Menschen meinen,<br />

dass dies die einzig existierende Welt ist und<br />

dass es darüber hinaus nichts anderes mehr<br />

gibt. Dies ist die Ansicht der Materialisten.<br />

Das Melekut ist die immaterielle Welt. Dies<br />

ist jene Welt, die uns verborgen ist und die wir<br />

nicht mit unseren fünf Sinnen wahrnehmen<br />

können. In ihr leben die Engel und in ihr befindet<br />

sich die „Lewhful Mahfudh“, die Wohlverwahrte<br />

Tafel, auf der der Erhabene Allah alle Ereignisse<br />

niedergeschrieben hat, die sich bis zum Ende<br />

der Zeiten ereignen werden.<br />

Obwohl das Mulk grobstofflich und das Melekut<br />

feinstofflich ist, besitzen diese beiden Welten<br />

doch eine gewisse Ähnlichkeit zueinander. Denn<br />

es gibt keine Sache im Mulk, die es nicht auch<br />

im Melekut gäbe. Manchmal gibt es aber eine<br />

Sache, die es im Melekut nur ganz selten gibt,<br />

im Mulk aber ganz häufig und manchmal gibt es<br />

eine Sache, die es im Melekut ganz häufig gibt,<br />

im Mulk aber nur ganz selten. So ist das Mulk<br />

also keine originalgetreue Abbildung des Melekut,<br />

sondern es besteht lediglich eine Ähnlichkeit<br />

zwischen diesen beiden Welten und jenen<br />

Dingen, die sich in ihnen befinden.<br />

Der Mensch besitzt nun zwei Möglichkeiten,<br />

sein Wissen zu erwerben: Entweder erwirbt<br />

er sein Wissen mithilfe seiner fünf Sinne und<br />

entnimmt es auf diese Weise – über Umwege<br />

– aus dem Mulk. Oder er erwirbt sein Wissen<br />

direkt mit seinem Herzen und entnimmt<br />

es – ohne Umwege – aus dem Melekut. Imam<br />

el-Ghazali rah. beschreibt den Unterschied dieser<br />

beiden Wege des Wissenserwerbs folgendermaßen:<br />

„Nehmen wir einmal an, dass wir ein<br />

Wasserbassin haben, das in die Erde gegraben<br />

wurde. Da ist es dann möglich, dass wir dieses<br />

Wasserbassin von oben her füllen, indem wir<br />

das Wasser mithilfe mehrerer kleiner Bächlein<br />

in es hineinleiten. Es ist aber auch möglich,<br />

dass wir solange in die Tiefe graben, bis wir<br />

auf Grundwasser stoßen. Da sprudelt dann das<br />

Wasser aus der Tiefe der Erde hervor und das<br />

Bassin wird von unten her gefüllt. Diese Art des<br />

Wassers ist klarer als das Wasser der Bächlein.<br />

Außerdem ist es mehr als dieses, versiegt nicht<br />

so schnell und stammt direkt von der Quelle<br />

her. Das Herz ist nun wie dieses Bassin und das<br />

Wissen ist wie das Wasser und die fünf Sinne<br />

sind wie die kleinen Bächlein. Es ist möglich,<br />

das Wissen durch Vermittlung der fünf Sinnes-<br />

Bächlein und der Betrachtung der Dinge in das<br />

Herz zu leiten und es ist möglich, diesen Bächlein<br />

– durch die Absonderung von der Gemeinschaft,<br />

das Sich-Zurückziehen in die Einsamkeit<br />

und das Senken des Blicks – den Weg zu<br />

versperren und auf dem Wege der Reinhaltung<br />

des Herzens bis auf den Grund des Herzens<br />

vorzustoßen und dort solange die Schleier des<br />

Irdischen hinfortzuziehen, bis das klare Wasser<br />

der Erkenntnis daraus hervorsprudelt!“<br />

Dies ist möglich, weil alles Wissen – vom Anfang<br />

bis zum Ende – schon vor der Erschaffung<br />

der Dinge vom Erhabenen Allah auf der Lehwul<br />

Mahfudh festgehalten wurde. Dort befinden<br />

sich quasi die Urbilder aller Dinge, schon bevor<br />

9


diese erschaffen werden. Wenn der Erhabene<br />

Allah diese Dinge dann in die Existenz rufen will,<br />

dann spricht Er nur „Sei!“ und sie sind. Im Edlen<br />

Quran heißt es dazu:<br />

„(Er ist) der Hervorbringer der Himmel<br />

und der Erde! Und wenn Er eine Sache<br />

beschließt, dann sagt Er nur zu ihr: „Sei!“<br />

und sie ist.“<br />

(2. Sure: El-Baqarah, Vers 117)<br />

So existieren also alle Dinge erst auf der<br />

Lehwul Mahfudh, bevor diese erschaffen werden.<br />

Anschließend erhalten sie vom Erhabenen<br />

Allah ihre Körperlichkeit, indem sie erschaffen<br />

und ins Dasein gerufen werden. Nachdem<br />

diese Dinge in die Existenz gerufen wurden, betrachtet,<br />

befühlt und beschnuppert der Mensch<br />

diese und dann bilden sich ihr Aussehen und<br />

ihre Form, ihr Geruch und ihre Farbe, ihre<br />

Länge und ihre Breite und ihre Härte und ihre<br />

Rauheit in der Vorstellungskraft des Menschen<br />

ab. Und wenn sich dann der Mensch erst einmal<br />

ein Sache im Geiste vorgestellt hat, dann<br />

bildet sich deren Essenz – also die Erkenntnis,<br />

die der Mensch von dieser Sache erlangt hat –<br />

in seinem Herzen ab.<br />

Dieses Bild, das der Mensch über den<br />

Umweg der Sinneserfahrungen von einer<br />

Sache gewonnen hat, spiegelt aber nicht<br />

das wahre Wesen dieser Sache wieder. Es ist<br />

getrübt, wie das Wasser jener Bächlein, die<br />

unser Wasserbassin füllen und zeigt nur einen<br />

Teil der Wahrheit. Wenn der Mensch hingegen<br />

das Bild von einer Sache ohne Umwege<br />

vom Erhabenen Allah in sein Herz gelegt<br />

bekommt, dann ist dieses Bild ungetrübt und<br />

rein, wie das klare Quellwasser aus dem Inneren<br />

der Erde. Dieses Bild ist vollständig und<br />

unverfälscht und zeigt das wahre Wesen dieser<br />

Sache, so wie diese auf der Lehwul Mahfudh<br />

verzeichnet ist. So ist also jenes Wissen,<br />

das man aus dem Melekut erlangt hat, nicht<br />

nur müheloser zu erlangen als das Wissen<br />

aus dem Mulk, sondern es ist – im Gegensatz<br />

zu diesem – auch rein und ungetrübt.<br />

Der Erhabene Allah öffnet nun manchmal<br />

jenen Menschen, die reinen Glaubens und<br />

reinen Herzens sind, die Pforten zum Melekut<br />

und gewährt ihnen Einblicke in die Lehwul<br />

Mahfudh und versetzt sie auf diese Weise<br />

in den Stand des „Ilmul Yeqin“. Dies ist das<br />

„gesicherte Wissen“. Dieses Wissen ist über<br />

jeden Zweifel erhaben und wer solches Wissen<br />

von einer Angelegenheit besitzt, der hegt keine<br />

Zweifel mehr bezüglich dieser Angelegenheit<br />

in seinem Herzen. Dieses Ilmul Yeqin kann<br />

man sich entweder anlernen, indem man sich<br />

sehr lange und sehr intensiv mit einer Sache<br />

auseinandersetzt oder man erhält es direkt von<br />

der Quelle, also von der Lehwul Mahfudh im<br />

Melekut. Da gewährt einem der Erhabene Allah<br />

dann Einblicke in die Zukunft – also in Angelegenheiten,<br />

die auf der Lehwul Mahfudh stehen,<br />

aber noch nicht eingetreten sind – oder Er<br />

zeigt einem Dinge aus längst vergangenen Zeiten.<br />

Diese Informationen aus der verborgenen<br />

Welt können im Herzen des Menschen genauso<br />

im Traum, wie im Wachzustand entstehen.<br />

Da lässt der Erhabene Allah das Wissen aus<br />

seinem Herzensgrund hervorsprudeln und er<br />

weiß auf einmal, was auf ihn zukommt oder wie<br />

er richtig zu handeln hat.<br />

Diese Einblicke in die verborgene Welt gewährt<br />

der Erhabene Allah aber nur Menschen,<br />

die ihr Herz mithilfe des Dhikrullah gereinigt und<br />

sich Ihm voll und ganz zugewendet haben. Der<br />

Gesandte Allahs s.a.w.s. sagte dazu: „Die Muferridun<br />

(also jene, die sich ganz einer Sache<br />

zuwenden) genießen einen Vorrang (vor den<br />

anderen Menschen)!“ Da fragte man ihn: „O Gesandter<br />

Allahs! Wer sind denn die Muferridun?“<br />

Er antwortete: „Dies sind jene, die in das Dhikrullah<br />

vernarrt sind! Das Dhikr nahm die ganze Last<br />

von ihnen und da werden sie dann am Tage der<br />

Auferstehung ganz unbeschwert sein.“<br />

(Tirmidhi: Sunen: Ed-Da’wat: 146: „Sebeqa el-Mufferidun“; Nr. 3945)<br />

10


Suhbe<br />

Mehmet Ildırar<br />

LEBEN UND TOD<br />

Im Edlen Quran werden<br />

Leben und Tod meist<br />

gemeinsam genannt.<br />

Dies liegt daran, dass unser<br />

Leben und unser Tod<br />

untrennbar miteinander<br />

verknüpft sind. Dabei hängen<br />

unser Lebendzeit und<br />

unser Todeszeitpunkt einzig<br />

von der Vorsehung des<br />

Erhabenen Allah ab. Er ist<br />

„El-Muhyi“ (der Ins-Leben-<br />

Rufende) und Er ist „El-Mumit“<br />

(der das Leben-Nehmende).<br />

Er gibt uns unser<br />

Leben, wann es Ihm gefällt<br />

und Er nimmt uns unser<br />

Leben, wann es Ihm gefällt.<br />

Wir haben keinen Einblick in<br />

diese göttliche Vorsehung<br />

und müssen jederzeit mit<br />

unserem Ableben rechnen.<br />

Im Edlen Quran heißt es<br />

über den Erhabenen Allah:<br />

„Er ist Jener, Der den Tod<br />

und das Leben erschuf, um<br />

an euch zu prüfen, wer von<br />

euch am besten handelt.<br />

Und Er ist der Allmächtige,<br />

der Allverzeihende!“<br />

(67. Sure: El-Mulk, Vers 2)<br />

Imam Taberi rah. erklärt<br />

diesen Quranvers in seinem<br />

berühmten Quran-Kommentar<br />

mithilfe des folgenden<br />

Ausspruchs des Gesandten<br />

Allahs s.a.w.s. : „Wahrlich demütigte<br />

Allah die Kinder Adems<br />

durch den Tod. Und Er machte<br />

(ihnen) die Welt zu einem<br />

Ort des Lebens und der Vergänglichkeit.<br />

Und Er machte<br />

(ihnen) das Jenseits zu einem<br />

Ort der Vergeltung und des<br />

Fortbestehens!“<br />

(Taberi: Dschami’ul Beyan fi Te‘wilil Quran: 67.<br />

Sure: El-Mulk, Vers 2)<br />

Der Tod bezeichnet also<br />

keineswegs das Ende unseres<br />

Lebens, sondern er<br />

ist nur eine kurze Episode<br />

davon: Genauso, wie unsere<br />

Seelen schon vor unserer<br />

Geburt bestanden hatten,<br />

genauso werden sie auch<br />

noch über unseren Tod hinaus<br />

weiterbestehen. Daher<br />

ist unser Tod jener Bestandteil<br />

unseres Lebens, der den<br />

Übergang von der Welt des<br />

vergänglichen Lebens in<br />

die Welt des ewigen Lebens<br />

markiert. Vor dem Beginn<br />

dieses ewigen Lebens steht<br />

allerdings die Vergeltung,<br />

also die Rechenschaft, die<br />

wir am Tage des Gerichts<br />

ablegen müssen. Fällt diese<br />

Rechenschaftsablegung für<br />

uns positiv aus, dann werden<br />

wir fortan unser Dasein<br />

in ewiger Glückseligkeit<br />

verbringen dürfen. Fällt sie<br />

hingegen negativ für uns<br />

aus, dann werden wir fortan<br />

unser Dasein in ewiger Unglückseligkeit<br />

und unsäglichem<br />

Leid fristen.<br />

So sollten wir unseren<br />

Blick also nicht nur ängstlich<br />

auf unseren bevorstehenden<br />

Tod richten, sondern auch<br />

hoffnungsfroh auf jenes ewige<br />

Leben, das sich dahinter<br />

verbirgt und nach unserem<br />

Tod beginnt. Der Gesandte<br />

Muhammed s.a.w.s. sagte dazu:<br />

„Als Allah Adem a.s. und<br />

seine Nachkommen erschuf,<br />

das sprachen die Engel:<br />

„Wahrlich wird die Erde nicht<br />

groß genug für sie sein!“<br />

Da erwiderte Er: „Ich gebe<br />

ihnen den Tod mit auf den<br />

Weg!“ Da sagten sie: „Dann<br />

wird ihnen ihr Leben keine<br />

Freude bereiten!“ Da erwiderte<br />

Er: „Ich gab ihnen<br />

(auch) die Hoffnung (auf ein<br />

ewiges Leben im Paradies)<br />

mit auf dem Weg!“<br />

(Ibn Ebi Scheybeh: Musannef: Ez-Zuhd: 62:<br />

„Kelamu Hasan el-Basri“; Nr. 35222)<br />

Der Mensch ist ein Meister<br />

der Verdrängung<br />

Obwohl wir Menschen<br />

tagtäglich mit dem Tod<br />

anderer Menschen kon-<br />

11


frontiert werden, verdrängen<br />

wir unseren eigenen<br />

Tod. Unser Nefs (unsere<br />

Triebseele) lässt es nicht<br />

zu, dass unser Tod jenen<br />

Ehrenplatz in unserem Bewusstsein<br />

einnehmen kann,<br />

der ihm eigentlich zusteht.<br />

Denn wären wir uns unserer<br />

Sterblichkeit wirklich<br />

bewusst, dann würden wir<br />

ja unsere kostbare Lebenszeit<br />

nicht mehr dafür verschwenden,<br />

den niederen<br />

Begierden unseres Nefs zu<br />

folgen, sondern wir würden<br />

unsere Lebenszeit stattdessen<br />

lieber dafür verwenden,<br />

uns auf unseren bevorstehenden<br />

Tod vorzubereiten.<br />

Deshalb tut unser Nefs alles<br />

dafür, uns vorzugaukeln,<br />

dass wir ja schließlich gute<br />

Menschen mit einem reinen<br />

Herzen seien und der<br />

Allbarmherzige Allah deshalb<br />

mit uns nach unserem<br />

Tode sicherlich barmherzig<br />

verfahren wird. In diesem<br />

Zusammenhang sagte der<br />

Gesandte Allahs s.a.w.s. : „Der<br />

Kluge ist jener, der sein<br />

Nefs (schon im Diesseits)<br />

zur Rechenschaft zieht und<br />

für die Zeit nach seinem Tod<br />

vorsorgt und der Dumme<br />

ist jener, der den Launen<br />

seines Nefs folgt und auf<br />

(die Barmherzigkeit) des<br />

Erhabenen Allah hofft!“<br />

(Tirmidhi: Sunen: Ebwabu Sifatil Qiyameh: 25:<br />

„El-Keyyis men dane Nefsehu“; Nr. 2647)<br />

Wir sollten und also darum<br />

bemühen, dass wir am<br />

Tage des Gerichts nicht zu<br />

den Dummen sondern zu<br />

den Klugen gehören werden.<br />

Wir sollten uns unserer<br />

eigenen Sterblichkeit<br />

und unseres nahen Todes<br />

endlich bewusst werden<br />

und unser Handeln diesem<br />

Bewusstsein anpassen.<br />

Denn wenn unsere Erkenntnis<br />

einen Nutzen haben soll,<br />

dann muss auf sie das Handeln<br />

– also die Vorbereitung<br />

auf den Tod – folgen. Und<br />

die beste Vorbereitung auf<br />

den Tod ist es, sich von der<br />

irdischen Welt abzuwenden<br />

und der jenseitigen Welt<br />

zuzuwenden. Oder anders<br />

ausgedrückt: Sich von den<br />

rebellischen Gelüsten des<br />

Nefs zu verabschieden und<br />

sich stattdessen dem Willen<br />

des Erhabenen Allah zu<br />

beugen und sich Diesem<br />

im Gehorsam zuzuwenden.<br />

Dazu passt die folgende<br />

Geschichte aus der Zeit<br />

des Gesandten Allahs s.a.w.s. :<br />

Als eines Tages einer der<br />

Sahabeh (Gefährten) des<br />

Gesandten Allahs s.a.w.s. frisch<br />

verstorben war, waren die<br />

anderen Sahabeh voll des<br />

Lobs darüber, was dieser<br />

doch für ein guter Diener<br />

des Erhabenen Allah gewesen<br />

sei. Da schwieg der<br />

Gesandte Allahs s.a.w.s. solange,<br />

bis sie ihre Lobeshymne<br />

auf den Verstorbenen beendet<br />

hatten. Anschließend<br />

fragte er sie: „Hat er denn<br />

häufig über den Tod gesprochen?“<br />

Da antworteten sie:<br />

„Nein!“ Da fragte er weiter:<br />

„Hat er denn oft auf (jene<br />

irdischen) Dinge verzichtet,<br />

die (sein Nefs in dieser Welt)<br />

begehrte?“ Da antworteten<br />

sie: „Nein!“ Da sprach er:<br />

„Dann trifft nicht viel von<br />

dem zu, was ihr von eurem<br />

Gefährten behauptet!“<br />

(Vgl. Taberani: Mu’dschemul Kubra: Es-Sin: „Min<br />

Ismihi Sehl Bin Sa’din es-Sa’idiyy“; Nr. 5802)<br />

Denke häufig an den Tod!<br />

Der Gesandte Allahs s.a.w.s.<br />

riet uns dazu, häufig an den<br />

Tod zu denken, denn dies<br />

lässt uns bescheiden und<br />

demütig werden und hält<br />

uns von der Sündhaftigkeit<br />

ab. Der Sahabeh Enes<br />

Bin Malik r.a. überliefert uns<br />

dazu folgende Hadith vom<br />

Gesandten Allahs s.a.w.s. :<br />

„Gedenkt häufig des Todes!<br />

Denn dadurch wird man<br />

12


von den Sünden gereinigt<br />

und man wendet sich von<br />

der Liebe zu den irdischen<br />

Dingen ab. Wenn ihr seiner<br />

im Reichtum gedenkt, dann<br />

zerstört dies (den Glanz des<br />

Reichtums und macht euch<br />

bescheiden und demütig)<br />

und wenn ihr seiner in der<br />

Armut gedenkt, dann führt<br />

dies dazu, dass ihr mit eurem<br />

Leben zufrieden seid!“<br />

(Suyuti: Dschami’ul Ehadith: Harful Hemzeh:<br />

„El-Hemzeh ma’l Kaf“; Nr. 4307)<br />

Wer sich häufig mit seinem<br />

bevorstehenden Tod<br />

beschäftigt, der erkennt,<br />

wie unbedeutend doch<br />

eigentlich die Sorgen und<br />

Probleme des irdischen<br />

Lebens im Vergleich zur<br />

Gefahr des Verlusts der<br />

jenseitigen Glückseligkeit<br />

sind. Deshalb riet<br />

der Gesandte Allahs s.a.w.s.<br />

einem alten Mann, der zu<br />

ihm kam, um ihn um einen<br />

guten Rat zu bitten,<br />

Folgendes: „Denke häufig<br />

an den Tod! Denn dies<br />

lässt dich alles andere<br />

(also deine Armut, deinen<br />

Kummer, deinen Ärger…)<br />

vergessen!“<br />

(Suyuti: Dschami’ul Ehadith: Harful Hemzeh:<br />

„El-Hemzeh ma’l Kaf“; Nr. 4208)<br />

Fazit:<br />

Der große Gelehrten Ebu Ali<br />

el-Daqqaq rah. sagte, dass die Beschäftigung<br />

mit dem eigenen Tod<br />

drei Wohltaten mit sich bringt:<br />

• Wir wenden uns von<br />

unserem sündhaften<br />

Leben ab und machen<br />

zeitnah unsere Tewbeh<br />

(aufrichtiges Bereuen<br />

unserer Sünden).<br />

• Wir sind in unserem<br />

Herz zufrieden und<br />

begnügen uns mit jenen<br />

Dingen, die uns vom<br />

Erhabenen Allah gegeben<br />

werden.<br />

• Wir machen uns freudig<br />

an die Verrichtung unserer<br />

Ibadeh (Anbetung<br />

des Erhabenen Allah).<br />

Und er sagte, dass das<br />

Vergessen des eigenen Todes<br />

drei Strafen mit sich bringt:<br />

• Wir zögern die Tewbeh für<br />

unsere Sünden hinaus.<br />

• Wir sind nicht mit dem<br />

zufrieden, was uns der<br />

Erhabenen Allah gegeben<br />

hat.<br />

• Wir werden nachlässig in der<br />

Verrichtung unserer Ibadeh.<br />

Wer für den Tod vorsorgt,<br />

der wird genügsam,<br />

zufrieden und umgänglich.<br />

Er weiß, wie wertvoll seine<br />

Lebenszeit ist uns streitet<br />

sich deshalb nicht mit<br />

anderen herum. Stattdessen<br />

kümmert er sich nur um<br />

Dinge, die ihn wirklich etwas<br />

angehen und ihm echten<br />

Nutzen bringen und steckt<br />

seine Nase nicht in Dinge,<br />

die ihn nichts angehen oder<br />

ihm keinen Nutzen bringen.<br />

Er nutzt die Güter, die ihm<br />

der Erhabene Allah mit auf<br />

den Weg gegeben hat, um<br />

seinen Mitmenschen Gutes<br />

zu tun und für das Leben im<br />

Jenseits vorzusorgen und<br />

fügt seinen Mitmenschen<br />

keinen Schaden zu. Im Edlen<br />

Quran heißt es dazu:<br />

„Suche in dem, was Allah<br />

dir gegeben hat nach der<br />

Wohnstatt im Jenseits,<br />

aber vergiss dabei deinen<br />

Anteil an dieser Welt<br />

nicht. Und tue Gutes, so<br />

wie Allah dir Gutes getan<br />

hat! Und begehre kein<br />

Unheil auf Erden! Denn<br />

siehe, Allah liebt die<br />

Unheilstifter nicht!“<br />

(28. Sure: El-Qasas, Vers 77)<br />

13


MATHNAWI Dschalal ad-Din Muhammed Rumi q.s. 14<br />

Die Jagdgesellschaft<br />

Ein Löwe, ein Wolf und ein Fuchs taten sich<br />

zusammen, um gemeinsam in den Bergen auf große<br />

Jagd zu gehen. Sie versprachen sich davon fette<br />

Beute, denn die Gruppe ist erfolgreicher als das<br />

Individuum. Deshalb gab der Löwe diesen Unwürdigen<br />

die Ehre seiner Gesellschaft, obwohl er sich<br />

ihrer doch arg schämte. Seine Begleitung war ihm<br />

regelrechter ein Dorn im Auge, doch er machte gute<br />

Miene zum bösen Spiel und sprach zu ihnen: „Welch<br />

Gnade doch eure Gesellschaft ist!“<br />

Die Strategie ging auf. Alle drei Jäger gaben ihr<br />

Bestes und so wurden ihre Bemühungen schon bald<br />

von Jagdglück gekrönt: Sie erlegten einen fetten<br />

Auerochsen, eine wohlgenährte Bergziege und einen<br />

feisten Hasen. Nachdem die drei ihre Beute aus den<br />

Bergen herab in den Wald gebracht hatten, betrachteten<br />

sie gemeinsam ihre Beute. Da wurden der Wolf<br />

und der Fuchs von einem Gefühl des Überschwangs<br />

ergriffen, das sie dazu verleitete, sich selbst ein<br />

Gutteil des Jagderfolgs zuzuschreiben. Und so begannen<br />

sie, auf eine Verteilung der Beute nach den<br />

Maßstäben königlicher Gerechtigkeit zu hoffen.<br />

Als der Löwe diese Anwandlung von trügerischer<br />

Hoffnung an seinen Jagdgefährten bemerkte, ließ er<br />

sich nichts anmerken; er behandelte sie weiterhin mit<br />

Achtung. Sein Inneres aber war von bitterem Groll<br />

erfüllt und so sprach er zu sich selbst: „O ihr elendes<br />

Gesindel! Hofft ihr etwa auf mehr, als was euch<br />

zusteht? Ich werde euch schon zeigen, was euch<br />

gebührt! Ihr werdet meine Großzügigkeit schon noch<br />

zu spüren bekommen!“<br />

Während der Löwe auf diese Weise in seinem<br />

Inneren vor sich hin zürnte, setzte er nach außen<br />

hin sein schönstes Lächeln auf. Trau niemals dem<br />

Lächeln eines Löwen!<br />

Freundlich sprach der Löwe zum Wolf: „O alter<br />

Wolf! Teil du die Beute unter uns auf! Stell du zwischen<br />

uns Gerechtigkeit her! Sei du mein Sachwalter<br />

beim Verteilen der Beute, auf dass jedermann sehen<br />

kann, mit welch tiefer Weisheit und welch großem<br />

Edelmut deine Natur doch gesegnet ist!“<br />

Da nahm der Wolf eine würdevolle Haltung an<br />

und sprach: „O König! Dein Anteil sei der wilde Ochse,<br />

denn dieser ist groß und stark wie du. Mein Anteil<br />

sie die Ziege, denn diese liegt in der Mitte und repräsentiert<br />

den Durchschnitt. Und der Anteil des Fuchses<br />

sei der Hase, denn dieser ist klein und flink wie er!“<br />

Der Löwe war ob dieser Dreistigkeit des Wolfs<br />

fassungslos. Er ließ seine Maske fallen und erwiderte<br />

ihm voller Empörung: „O Wolf! Was fällt dir


ein? Du faselst in meiner Gegenwart etwas von<br />

„mein“ und „dein“? Was für ein Hund muss doch<br />

der Wolf sein, dass er es wagt, in der Gegenwart<br />

des unvergleichlichen Löwen Vergleiche anzustellen<br />

von „mein“ und „dein“!“<br />

Anschließend rief der Löwe außer sich vor Wut:<br />

„Komm her, o du selbstsüchtiger Esel!“ Und sobald<br />

der Wolf in seiner Reichweite war, erschlug er diesen<br />

mit einem einzigen wuchtigen Prankenhieb. Danach<br />

wandte sich der Löwe an den Fuchs und sprach: „O<br />

Fuchs! So teil nun du die Beute auf!“<br />

Da verbeugte sich der Fuchs tief vor dem Löwen<br />

und sprach: „Dein Morgenmahl sei dieser fette Ochse,<br />

o heldenhafter König! Dein Mittagsmahl sie diese<br />

wohlgenährte Ziege, o siegreicher König! Und dein<br />

Nachtmahl sei dieser feiste Hase, o gnadenreicher<br />

und edelmütiger König!“<br />

Entzückt ob dieser Selbstlosigkeit des<br />

Fuchses sprach der Löwe: „O Fuchs! Dein<br />

Urteil strahlt im Lichte der Gerechtigkeit! Wo<br />

hast du denn nur gelernt, auf solch edle Weise<br />

zu teilen?“ Da antwortete ihm der Fuchs:<br />

„O König der Welt! Ich zog meine Lehre aus<br />

dem bösen Ende meines Vorgängers. Ich<br />

lernt‘ es aus dem Schicksal des Wolfs!“<br />

Da sprach der Löwe: „Da du dich so sehr<br />

der Liebe zu mir verschrieben hast, soll dir die<br />

gesamte Beute gehören! Nimm sie und geh!“<br />

Im Fortgehen sprach der Fuchs zu sich<br />

selbst: „Tausendmal gedankt sei es dem<br />

Löwen, dass er nicht mich, sondern zuerst<br />

den Wolf zur Verteilung der Beute aufforderte.<br />

Hätte er mich dem Wolf vorgezogen, niemals<br />

wär ich mit dem Leben davon gekommen!“<br />

Interpretation der Geschichte<br />

Der Löwe in unserer Geschichte steht für das<br />

unabänderliche Schicksal. Diesem Schicksal sind<br />

wir alle schutzlos ausgeliefert. Ihm haben wir genauso<br />

wenig entgegenzusetzen, wie der Wolf und der<br />

Fuchs der Willkür des Löwen. Dieses Schicksal ist<br />

genauso unberechenbar wie der Charakter unseres<br />

Löwen. Manchmal schlägt es erbarmungslos zu und<br />

nimmt uns alles, was wir haben und ein andermal<br />

überschüttet es uns regelrecht mit seinen Wohltaten.<br />

Der Wolf und der Fuchs stehen also für uns Menschen.<br />

Und ihre Ohnmacht gegenüber der Willkür<br />

des Löwen steht für unsere Ohnmacht gegenüber<br />

den unverhofften Wendungen des Schicksals,<br />

denen wir während unseres Lebens ausgesetzt<br />

sind. Die Willkür des Löwen steht aber auch für<br />

die Allmacht des Erhabenen Allah. Dieser besitzt<br />

die absolute Macht in Seinem Königreich. Er kann<br />

mit Seinen Untertanen verfahren, wie immer Er will.<br />

Keiner kann etwas dagegen tun und keiner kann<br />

Ihn dafür zur Rechenschaft ziehen. Er ist ebenso<br />

„El-Qahhar“ (der Bezwinger, der Allesbeherrschende)<br />

der den Menschen ihr Leben nimmt und ihren<br />

Hochmut bezwingt, wie „El-Halim“ (der Milde, der<br />

Behutsame), der mit den Menschen sanftmütig<br />

verfährt und ihnen ihre Fehler nachsieht.<br />

Die Jagdbeute der drei Jäger symbolisiert die<br />

verschiedenen Errungenschaften, die wir Menschen<br />

während unseres Lebens machen. Dabei sind all<br />

diese Errungenschaften nur eine Leihgabe des<br />

Erhabenen Allah an uns, egal ob diese so groß<br />

wie ein Auerochse oder so klein wie ein Hase sein<br />

mögen. Er gibt sie uns und Er nimmt sie uns wieder.<br />

Wie gewonnen, so zerronnen! Deshalb sollten wir<br />

uns nicht zu sehr an den Luxus dieser Welt und die<br />

Annehmlichkeiten eines Lebens in Wohlstand gewöhnen,<br />

denn schon morgen kann aus dem Krösus<br />

ein Bettler und aus dem Obdachlosen ein Palastbewohner<br />

geworden sein.<br />

15


So ging es auch dem Wolf. Er wähnte sich<br />

schon im Besitz der wohlgenährten Ziege. Er sah<br />

sich schon, wie er seine scharfen Zähne in ihr<br />

zartes Fleisch gräbt. Doch das Schicksal hatte<br />

andere Pläne mit ihm und erschlug ihn mit einem<br />

einzigen Prankenhieb. Auch der Fuchs hoffte insgeheim<br />

darauf, wenigstens den Hasen als Beute<br />

davonschleppen zu dürfen. Wäre er an der Stelle<br />

des Wolfes gewesen, dann wäre er demselben<br />

Trugschluss erlegen und hätte die Beute wohl<br />

nach ähnlichen Maßstäben der Gerechtigkeit aufgeteilt,<br />

wie dieser. Dann wäre nicht der Wolf das<br />

Opfer des wuchtigen Prankenhiebs geworden,<br />

sondern er. Doch das Schicksal meinte es gut mit<br />

ihm: Statt totgeschlagen auf dem Felde zu liegen,<br />

zog er mit fetter Beute von dannen.<br />

Keiner von uns sollte sich also allzu sehr von<br />

dem Lächeln des Löwen täuschen lassen. Denn<br />

manchmal scheint es so, als meine es das Schicksal<br />

gut mit uns und schon im nächsten Augenblick<br />

kommt alles ganz anders. Und wenn wir uns von<br />

dem Lächeln des Schicksals täuschen lassen, dann<br />

werden wir übermütig und bauen zu große Erwartungshaltungen<br />

auf. Ja, da glauben wir manchmal<br />

sogar, dass uns gewisse Dinge zustehen würden,<br />

dass wir diese verdient hätten, denn schließlich hätten<br />

wir ja auch unseren Beitrag zu dem Jagderfolg<br />

geleistet. Da werden wir dann dreist wie der Wolf<br />

und fordern „unser Recht“ ein.<br />

Fakt aber ist, dass wir am Erhabenen Allah keine<br />

Rechte besitzen. In Bezug auf Ihn sind wir die Entrechteten<br />

und Rechtlosen. Der Erhabene Allah entscheidet<br />

über uns, wie Er dies für richtig hält. Und<br />

dies ist auch gut so! Denn wenn Er uns all die Dinge<br />

gäbe, auf die wir meinten, ein Recht zu haben, gingen<br />

wir mit Sicherheit in unser Verderben. Stattdessen<br />

gibt Er uns, was gut für uns ist und was uns auf<br />

dem göttlichen Pfade weiterbringt, sofern wir nur die<br />

richtigen Schlussforderungen daraus ziehen.<br />

So wie dies der Fuchs tat. Dieser zog seine<br />

Lehre aus dem Schicksal des Wolfes. Er erkannte<br />

seine Machtlosigkeit gegenüber dem Löwen und<br />

ergab sich artig in sein Schicksal. Als er sah, wie<br />

es dem Wolf erging, wurde ihm schlagartig klar,<br />

dass es sich nicht geziemt, Forderungen an jenen<br />

zu stellen, der über Leben und Tod entscheidet.<br />

Im Bewusstsein seiner Ohnmacht gegenüber dem<br />

Mächtigen fügte er sich in sein Schicksal und gab<br />

alle unbegründeten Hoffnungen und übertriebenen<br />

Erwartungshaltungen auf. Und schon lag ihm die<br />

Welt zu Füßen und er wurde reich beschenkt! Nicht<br />

umsonst heißt es doch so richtig, dass die Welt vor<br />

einem davonrennt, sobald man sich ihr zugewandt<br />

hat und dass die Welt einem nachrennt, sobald man<br />

sich von ihr abgewandt hat…<br />

So sollten auch wir dem Beispiel des<br />

Fuchses folgen. Nicht umsonst steht ja der<br />

Fuchs für Klugheit und Anpassungsfähigkeit.<br />

Und so sollten auch wir aus dem Schicksal der<br />

Völker und Generationen vor uns lernen und<br />

erkennen, dass es keinen Sinn macht, unnötige<br />

Reichtümer anzuhäufen oder neidisch auf<br />

den Besitz der anderen zu schielen. Wir sollten<br />

erkennen, dass die Würfel bereits gefallen<br />

sind und dass unser Besitz und der Besitz der<br />

anderen, unsere Lebensdauer und die Lebensdauer<br />

unserer Angehörigen, unsere Anteil<br />

an dieser Welt und der Anteil aller anderen<br />

Bewohner dieser Welt bereits lange vor unserer<br />

Erschaffung festgeschrieben wurde. Wir<br />

sollten endlich akzeptieren, dass wir keinen<br />

Einfluss auf den göttlichen Ratschluss haben!<br />

Das einzige, was wir tun können, ist, uns demütig<br />

zu verhalten und uns im Bittgebet an den<br />

Erhabenen Allah zu wenden und uns mit Diesem<br />

gut zu stellen, indem wir Seine Gesetze befolgen<br />

und Seine Verbote beachten. Dieses Verhalten hat<br />

sowohl Einfluss auf unser Schicksal im Diesseits,<br />

als auch auf die Art unseres Fortbestehens im Jenseits.<br />

Dazu müssen wir aber in Vorleistung gehen<br />

und dem Erhabenen Allah zeigen, dass wir es mit<br />

unseren guten Absichten ernst meinen. Mit unbegründeten<br />

Forderungen und falschen Hoffnungen<br />

werden wir in diesem Leben jedenfalls mit Sicherheit<br />

nicht weiterkommen…<br />

16


RELIGION & LEBEN<br />

Ali İhsan Weiger<br />

Die Khatme:<br />

Das gemeinschaftliche Dhikr<br />

17


Allgemein gilt im Islam der Grundsatz, dass die Verrichtung<br />

der Ibadeh 1 in der Gemeinschaft vorzüglicher<br />

ist und höher entlohnt wird, als die Verrichtung<br />

der Ibadeh für sich alleine. Dies ist auch beim Dhikr 2 so.<br />

Denn beim gemeinschaftlichen Dhikr bestärken sich die Herzen<br />

der Gläubigen solange gegenseitig, bis sie schließlich<br />

miteinander verschmelzen, um in Harmonie und Gleichklang<br />

gemeinsam des Erhabenen Allah zu gedenken. Da ist es<br />

dann so, als ob die Gläubigen des Erhabenen Allah mit einer<br />

einzigen Zunge und einem einzigen Herzen gedenken würden<br />

und daher kann ihr Dhikr ungleich mehr Kraft entfalten,<br />

als das Dhikr eines Einzelnen.<br />

Der Erhabene Allah mag es, wenn sich die Gläubigen zusammensetzen,<br />

um sich gegenseitig zum Guten anzuhalten<br />

und vom Schlechten abzuhalten und Seiner im Dhikrullah zu<br />

gedenken. Der Gesandte Allahs s.a.w.s. sagte dazu: „Die Welt ist<br />

verflucht und alles was sich in ihr befindet ist verflucht, außer<br />

das Dhikrullah und alles was einem Ihm (also dem Erhabenen<br />

Allah) näher bringt!“<br />

(Suyuti: Dschami’ul Ehadith: Harful Dal; Nr. 12440)<br />

Was könnte es also Besseres geben, als für eine Weile alle<br />

weltlichen Angelegenheiten hinter sich zu lassen und sich<br />

stattdessen dem Erhabenen Allah im Dhikr zuzuwenden?<br />

Das gemeinsame Dhikr besitzt nun gegenüber dem Dhikr<br />

des Einzelnen den Vorteil, dass sich die Gläubigen dabei<br />

gegenseitig mitreißen. Wenn die Starken und die Schwachen,<br />

die Gelehrten und die Laien und die Standhaften und die<br />

Sündhaften gemeinsam das Dhikr vollziehen, dann können<br />

dabei die Schwachen von den Starken, die Laien von den<br />

Gelehrten und die Sündhaften von den Standhaften profitieren.<br />

Sie alle bekommen ihren Anteil an der Rahmeh 3 und<br />

dem Feyd 3 , die der Erhabene Allah während des Dhikr auf sie<br />

herabregnen lässt.<br />

Wenn man sich hingegen in die Gemeinschaft der Unachtsamen<br />

und Gottvergessenen begibt, dann wird man<br />

1 „Ibadeh“ ist „die Anbetung des Erhabenen Allah“. Damit sind alle vorgeschriebenen<br />

und freiwilligen Arten des Dienstes am Erhabenen Allah gemeint, wie die Verrichtung<br />

des Salah/Namaz, das Fasten, das Geben von Almosen oder eben auch das Dhikrullah.<br />

2 Das „Dhikr“ ist das Aussprechen von segensreichen Gedenkformeln mit der Zunge<br />

oder dem Herzen.<br />

3 „Rahmeh“ ist „der Segen, die Barmherzigkeit, die göttliche Gnade“ und „Feyd“ ist<br />

„der Fluss des segensreichen göttlichen Lichts in das Herz des Menschen“.<br />

18


automatisch an deren „Dhikr“ teilnehmen.<br />

Deren Dhikr hat aber nun überhaupt nichts<br />

Gutes an sich, denn es besteht fast ausschließlich<br />

aus Beschwerde und Auflehnung<br />

und der Hinwendung zur irdischen<br />

Welt. Deshalb befahl<br />

der Erhabene<br />

Allah Seinem<br />

Gesandten s.a.w.s. , sich von den unachtsamen<br />

und gottvergessenen Menschen<br />

fernzuhalten und sich stattdessen mit jenen<br />

Leuten zusammenzusetzen, die Seiner<br />

in der Gemeinschaft gedenken. Im Edlen<br />

Quran heißt es dazu:<br />

„Und harre gemeinsam mit jenen aus,<br />

die ihren Herrn morgens und abends<br />

anrufen und (dabei) nach Seinem<br />

Wohlgefallen streben.<br />

Und lass deinen<br />

Blick nicht über sie<br />

hinausschweifen,<br />

indem du nach dem<br />

Schmuck des irdischen<br />

Lebens trachtest. Und<br />

folge nicht jenem, dessen<br />

Herz Wir für das Gedenken<br />

an Uns achtlos gemacht<br />

haben und der nur seinen<br />

eigenen Neigungen folgt und<br />

ohne Maß und Ziel handelt.“<br />

(18. Sure: El-Kehf, Vers 28)<br />

19


Nachdem dieser Quranvers auf den<br />

Gesandten Allahs s.a.w.s. herabgesandt worden<br />

war, machte sich dieser sofort dazu<br />

auf, nach jenen Personen zu suchen, die<br />

in diesem Vers gelobt werden. Da traf er<br />

auf eine Gruppe ganz seltsam anmutender<br />

Muslime, die des Erhabenen Allah gedachten:<br />

Einer von ihnen hatte ganz zerzaustes<br />

Haar, ein anderer war von einer schlimmen<br />

Hautkrankheit gezeichnet und wieder ein<br />

anderer war so arm, dass er nur jenes eine<br />

schäbige Kleidungsstück besaß, das er am<br />

Leibe trug. Als der Gesandte Allahs s.a.w.s.<br />

nun sah, wie diese seltsamen Männer des<br />

Erhabenen Allah gedachten, da freute er<br />

sich sehr, denn er wusste, dass er fündig<br />

geworden war. Er setzte sich sogleich zu<br />

ihnen und sprach: „Gelobt sei Allah, der in<br />

meiner Religionsgemeinschaft jene erschuf<br />

mit denen gemeinsam auszuharren Allah mir<br />

befohlen hat.“<br />

(Vgl. Ebu Nu’im el-Esbahani: Ma’rifetu Sahabeh: El-Ayn: „Min Ismihi<br />

Abdurrahman“; Nr. 4112)<br />

Diese Aufforderung des Erhabenen Allah<br />

war natürlich nicht nur an Seinen geliebten<br />

Gesandten s.a.w.s. adressiert, sondern<br />

sie ist an alle Gläubigen gerichtet. So gab<br />

denn auch der Gesandte Allahs s.a.w.s. diese<br />

göttliche Aufforderung mit folgenden Worten<br />

an seine Sahabeh 4 weiter: „Wenn ihr an<br />

den Gärten des Paradieses vorbeikommt,<br />

dann weidet darinnen.” Da fragten ihn die<br />

Sahabeh: „Was sind denn die Gärten des<br />

Paradieses?“ Da antwortete er ihnen: „Dies<br />

sind jene Kreise, in denen (die Menschen<br />

Allahs) gedenken!“<br />

(Tirmidhi: Sunen: Ed-Da’wat: 87: „Esma’ullahil Husna“; Nr. 3852)<br />

So sollten also auch wir heutigen Muslime<br />

versuchen, so oft als nur möglich in<br />

den paradiesischen Gärten zu weiden und<br />

4 Die „Sahabeh“ sind „die Gefährten des Gesandten<br />

Muhammed s.a.w.s. “. Diese haben den Gesandten<br />

Allahs s.a.w.s. mindestens einmal in ihrem Leben persönlich<br />

gesehen, haben den Islam angenommen und<br />

sind auch im Islam verstorben.<br />

am gemeinschaftlichen Dhikr teilzunehmen.<br />

Denn das Feyd das dabei in unsere Herzen<br />

fließt erweckt diese zu neuem Leben. Es<br />

gibt uns neue Energie, macht uns achtsamer<br />

gegenüber den Gefahren, die in der<br />

irdischen Welt auf uns lauern und heilt die<br />

Wunden unserer Herzen.<br />

Das gemeinsame Dhikr führt zur<br />

Vergebung der Sünden<br />

Dieses Feyd kann seine heilsame Wirkung<br />

aber nur deshalb auf unsere Herzen<br />

entfalten, weil uns beim Dhikr in der Gemeinschaft<br />

unsere Sünden vergeben werden.<br />

Dadurch wird unser Herz gereinigt und<br />

es kann – wie ein frisch polierter Spiegel<br />

– das segensreiche göttliche Licht reflektieren<br />

und über unseren gesamten Körper<br />

verteilen. Diesen heilenden Effekt auf unseren<br />

Körper und unseren Geist bemerken wir<br />

unmittelbar dadurch, dass sich in unserem<br />

Inneren nach dem gemeinschaftlichen Dhikr<br />

ein wohliges Gefühl der Herzensruhe und<br />

des Seelenfriedens breitmacht.<br />

Der Gesandte Allahs s.a.w.s. beschreibt uns<br />

in einer Hadith, wie diese Vergebung unserer<br />

Sünden beim gemeinschaftlichen Dhikr<br />

vor sich geht:<br />

„Wahrlich hat Allah Engel, die (auf Erden)<br />

umherschweifen und nach den Leuten des<br />

Dhikrs suchen. Wenn sie dann Menschen gefunden<br />

haben, die Allahs gedenken rufen sie:<br />

„Kommt herbei! Hier ist, was ihr sucht!“ Da<br />

bilden sie dann mit ihren Flügeln einen Kreis<br />

um sie herum, der bis zum untersten Himmel<br />

reicht. Da fragt sie dann ihr Herr – und<br />

Dieser weiß es besser als sie: „Was sagen<br />

Meine Diener?“ Und sie antworten Ihm: „Sie<br />

lobpreisen Dich und lassen Dich Hochleben<br />

und danken Dir und rühmen Dich!“ Da fragt<br />

Er sie: „Haben sie Mich denn gesehen?“ Und<br />

sie antworten Ihm: „Nein, bei Allah! Sie haben<br />

20


Dich nicht gesehen!“ Da fragt Er sie: „Und<br />

wie wäre es, wenn sie Mich gesehen hätten?“<br />

Sie antworten Ihm: „Wenn sie Dich gesehen<br />

hätten, dann würden sie Dich noch mehr anbeten<br />

und Dich noch mehr rühmen und Dich<br />

noch mehr lobpreisen!“ Er fragt weiter: „Um<br />

was bitten sie Mich denn?“ Sie antworten:<br />

„Sie bitten Dich um das Paradies!“ Er fragt<br />

weiter: „Haben sie dieses denn gesehen?“<br />

Sie antworten: „Nein, bei Allah! O mein Herr!<br />

Sie haben es nicht gesehen!“ Er fragt weiter:<br />

„Wie wäre es dann, wenn sie es gesehen<br />

hätten?“ Sie antworten: „Wenn sie es gesehen<br />

hätten, dann wären sie noch begieriger<br />

darauf und sie würden noch mehr danach<br />

streben und es sich noch mehr wünschen!“<br />

Er fragt weiter: „Vor was suchen sie denn ihre<br />

Zuflucht?“ Sie antworten: „Vor dem Höllenfeuer!“<br />

Er fragt weiter: „Haben sie dieses denn<br />

gesehen?“ Sie antworten: „Nein, bei Allah! Sie<br />

haben es nicht gesehen!“ Er fragt weiter: „Wie<br />

wäre es dann, wenn sie es gesehen hätten?“<br />

Sie antworten: „Wenn sie es gesehen hätten,<br />

dann würden sie noch eifriger davor fliehen<br />

und noch mehr Angst davor haben!“ Da<br />

spricht Er: „Ich nehme Mir euch als Zeugen<br />

dafür, dass Ich ihnen bereits vergeben<br />

habe!“ Da erwidert Ihm der Anführer der Engel:<br />

„Einer unter ihnen gehört nicht zu ihnen!<br />

Wahrlich stieß er wegen einer anderen Angelegenheit<br />

(zu ihnen)!“ Da spricht Er: „Sie<br />

sind eine so (ehrwürdige) Gesellschaft, dass<br />

wegen ihrer (Vorzüglichkeit) ihrem Gefährten<br />

(ebenfalls vergeben sei und diesem) kein<br />

Leid geschehen soll!“<br />

(Bukhari: Ed-Da’wat: „Fadlu Dhikrillah“; Nr. 6408)<br />

Es lohnt sich also auf alle Fälle, am gemeinschaftlichen<br />

Dhikr teilzunehmen, denn<br />

selbst wenn unsere Absicht dabei nicht<br />

allein auf das Wohlgefallen des Erhabenen<br />

Allah ausgerichtet sein sollte oder wir dabei<br />

unkonzentriert sind oder gar einschlafen,<br />

werden uns unsere Sünden trotzdem vergeben<br />

werden.<br />

Das gemeinschaftliche Dhikr ist sogar so<br />

segensreich, dass uns dabei nicht nur unsere<br />

schlechten Taten vergeben, sondern diese<br />

sogar noch in ihr Gegenteil verkehrt und<br />

in gute Taten umgewandelt werden. Dazu<br />

sagte wiederum der Gesandte Allahs s.a.w.s. :<br />

„Niemals kommen Menschen zusammen<br />

um Allahs zu gedenken und dabei nichts<br />

anderes anstreben als Dessen Wohlgefallen,<br />

außer dass ihnen ein Rufer aus dem Himmel<br />

zuruft: „Steht auf! Eure Sünden wurden euch<br />

vergeben! Eure schlechten Taten wurden<br />

euch bereits in gute Taten umgewandelt!““<br />

(Suyuti: Dschami’ul Ehadith: Harful Mim; Nr. 20652)<br />

Formen des gemeinschaftlichen Dhikrs<br />

Der Gesandte Allahs s.a.w.s. praktizierte<br />

also das gemeinschaftliche Dhikr im Kreise<br />

seiner Sahabeh und seine Sahabeh führten<br />

diese Tradition nach seinem Ableben fort<br />

und gaben diesen Brauch an die nachfolgenden<br />

Generationen weiter. Da es keine<br />

Überlieferungen dazu gibt, welche Gedenkformeln<br />

genau in solch einem Gedenkkreis<br />

rezitiert werden sollen, gilt beim gemeinschaftlichen<br />

Dhikr alles als Dhikr, was auch<br />

sonst üblicherweise als Dhikr gilt, also beispielsweise<br />

die Rezitation des Edlen Quran,<br />

der Lobpreis auf den Erhabenen Allah und<br />

das Aussprechen von Segenswünschen auf<br />

den Gesandten Allahs s.a.w.s. .<br />

So bildeten sich im Laufe der Zeit ganz<br />

unterschiedliche Formen des gemeinschaftlichen<br />

Dhikrs heraus, die später den<br />

Gründervätern der verschiedenen Tariqahs 5<br />

als Vorbild dienten. So hat jede Tariqah ihre<br />

ganz eigene Form des gemeinschaftlichen<br />

Dhikrs, das aus ganz unterschiedlichen<br />

5 „Tariqah“ bedeutet „Weg, Methode“. In diesem Artikel sind<br />

damit die verschiedenen Sufi-Schulen gemeint, wie die<br />

„Tariqah Naqschibendiyye“, die „Tariqah Yesewiyye“ oder<br />

die „Tariqah Qadriyye“. Jede Tariqah folgt ihren eigenen<br />

Regeln und Gebräuchen.<br />

21


Gedenkformeln zusammengestellt wurde<br />

und ganz eigenen Regeln und einem ganz<br />

speziellen Ablauf folgt.<br />

In der Tariqah Naqschibendiyye wird<br />

das gemeinschaftliche Dhikr einmal am<br />

Tag durchgeführt und nennt sich „Khatme<br />

el-Khadschegan“ oder kurz „Khatme“. Ihre<br />

heutige Form geht auf den Begründer der<br />

Methoden der Tariqah Naqschibendiyye,<br />

Abdulkhaliq el-Ghudschduwani q.s.6 , zurück.<br />

Der Wortlaut jener Gedenkformeln und<br />

Du‘as (Bittgebete), die in ihr Verwendung<br />

finden, wurde der Tradition des Gesandten<br />

Allahs s.a.w.s. entnommen.<br />

Eine der Besonderheiten der Khatme<br />

ist die 1000malige Rezitation der Sure El-<br />

Ikhlas. Da wir vom Gesandten Allahs s.a.w.s.<br />

wissen, dass die einmalige Rezitation der<br />

Sure El-Ihklas „dem Gegenwert eines Drittels<br />

des Quran entspricht“ 7 , erhält man also<br />

für die Teilnahme an der Khatme den Gegenwert<br />

für die 333malige komplette Rezitation<br />

des Edlen Quran.<br />

Außerdem gehen die Großen der<br />

Naqschibendiyye davon aus, dass der<br />

Gesandte Allahs s.a.w.s. der spirituelle Leiter<br />

der Khatme ist. Ghawth Abdulhakim<br />

el-Bilwanisi q.s. sagte denn auch über den<br />

verborgenen Wert und den besonderen<br />

Nutzen der Khatme Folgendes: „Wenn die<br />

Menschen den Nutzen der Khatme kennen<br />

würden, dann würden sie jeden Tag<br />

an der Khatme teilnehmen. Wenn sie krank<br />

6 Abdulkhaliq el-Ghudschduwani q.s. lebte zwischen 435 n.<br />

H. (1044 n. Chr.) und 575 n. H. (1179 n. Chr.) in Ghudschduwan,<br />

im heutigen Usbekistan. Scheykh Abdulkhaliq q.s.<br />

ist der erste der „Sieben Pir“. Dies sind jene sieben Ewliya<br />

(Freunde des Erhabenen Allah), die in der Goldenen Kette<br />

der Naqschibendiyye direkt aufeinanderfolgen und die<br />

Methodik der Tariqah Naqschibendiyye ausarbeiteten,<br />

bis diese schließlich von ihrem Namensgeber Scheykh<br />

Baha’uddin Naqschibend q.s. zu einem einheitlichen System<br />

zusammengefasst wurde.<br />

7 Tirmidhi: Sunen: Fadlul Quran: 11: „Ma dscha’e fi Suratil<br />

Ikhlas“; Nr. 3145.<br />

oder körperlich eingeschränkt wären, dann<br />

würden sie auf allen Vieren zur Khatme<br />

angekrochen kommen. Denn das geistige<br />

Oberhaupt der Khatme ist der Gesandte<br />

Allahs s.a.w.s. persönlich. Er selbst ist bei diesen<br />

Versammlungen spirituell zugegen und<br />

übermittelt die Bitten ihrer Teilnehmer an den<br />

Erhabenen Allah. Und wie könnten denn die<br />

Wünsche, die dem Erhabenen Allah von Seinem<br />

Gesandten s.a.w.s. persönlich überbracht<br />

werden, zurückgewiesen werden?!”<br />

Fazit:<br />

Das gemeinschaftliche Dhikr hat mehr<br />

Kraft, als das Dhikr des Einzelnen. Der große<br />

Gelehrte Ibn Abidin q.s. sagte dazu: „Imam<br />

el-Ghazali rah. vergleicht das Dhikr des Einzelnen<br />

und das Dhikr in der Gemeinschaft<br />

mit dem Edhan 8 eines Einzelnen und dem<br />

Edhan einer Gruppe von Menschen: Genauso,<br />

wie der Edhan, der von einer Gruppe von<br />

Menschen ausgerufen wird, von der Luft weiter<br />

getragen wird, als der Edhan, der nur von<br />

einem Einzelnen ausgerufen wird, genauso<br />

hat das Dhikr in der Gemeinschaft eine größer<br />

Auswirkung auf das Herz des Einzelnen,<br />

als das Dhikr eines Einzelnen, weil es den<br />

Vorhang von seinem Herzen reißt!“<br />

So erweckt das gemeinschaftliche Dhikr<br />

also nicht nur das Herz des Schlafenden,<br />

sondern es stärkt auch das Herz des<br />

Schwachen und erfüllt das verdunkelte<br />

Herz des Sünders mit Licht. Genauso, wie<br />

im Herbst die Blätter von den Bäumen abfallen,<br />

lässt das gemeinschaftliche Dhikr<br />

die Sorgen von den Seelen der Menschen<br />

abfallen und genauso, wie der herbstliche<br />

Sturm die abgefallenen Blätter davonbläst,<br />

bläst das gemeinschaftliche Dhikr die<br />

Sünden der Menschen davon.<br />

8 Der „Edhan“ ist „der Gebetsruf“, der ausgerufen wird,<br />

bevor das Pflicht-Salah/Namaz verrichtet wird.<br />

22


GLAUBE<br />

nach Imam Tahawiyy rah<br />

Die Erklärung der islamischen Glaubensgrundsätze<br />

Der Erhabene Allah ist lebendig und stirbt nie<br />

Einer der 99 Schönen Namen des Erhabene<br />

Allah ist „El-Hayy“, der Lebendige. El-Hayy<br />

bedeutet, dass der Erhabene Allah schon<br />

seit jeher lebendig ist und bis in alle Ewigkeit<br />

lebendig sein wird. Seine Lebendigkeit ist<br />

die Voraussetzung für die Lebendigkeit der<br />

erschaffenen Welt und aller Dinge, die sich<br />

darin befinden. Denn die Eigenschaft El-Hayy<br />

beschreibt nicht nur die „Hayyat“ (die Lebendigkeit)<br />

des Erhabenen Allah, sondern aus<br />

ihr heraus entspringt auch alles existierende<br />

Leben. So ist El-Hayy nicht nur der Lebendige,<br />

sondern auch „Der Ins-Leben-Rufende“. Alle<br />

Lebewesen werden erst lebendig, nachdem<br />

der Erhabene Allah sie ins Leben gerufen hat<br />

und sie versterben wieder, sobald Er dies beschlossen<br />

hat. Im Edlen Quran heißt es dazu:<br />

„Er macht lebendig und lässt versterben,<br />

und zu Ihm kehrt ihr zurück.”<br />

(10. Sure: Yunus, Vers 56)<br />

Alles Leben ist also abhängig von<br />

Seiner Lebendigkeit. Er ist der Erhalter<br />

und Versorger aller existierenden Welten<br />

und Lebewesen. Er gibt ihnen alles<br />

Notwendige, das sie zum Leben brauchen.<br />

Ohne Ihn hätten sie keine Nahrung,<br />

keine Luft zum Atmen und keinen<br />

Lebensgeist. Würde Seine Existenz<br />

enden, würde damit automatisch auch<br />

die Existenz aller anderen Lebewesen<br />

und Dinge erlöschen und für immer<br />

vergehen. So hängen unsere Lebendigkeit<br />

von Seiner Lebendigkeit, unsere<br />

Existenz von Seiner Existenz und unser<br />

Fortbestand von Seinem Fortbestand<br />

vollkommen ab. Wir sind in allen Belangen<br />

vollkommen von Ihm abhängig und<br />

deshalb macht es auch keinen Sinn,<br />

dass wir unsere Hoffnung in irgendetwas<br />

anderes setzen, außer in Ihn. Im<br />

Edlen Quran heißt es dazu:<br />

23


Lebensdaten von Imam Tahawiyy<br />

Der Ägypter Imam Tahawiyy (239 – 321 n. d.<br />

H.) war ein allseits anerkannter Experte der hanefitischen<br />

Rechtsschule und in der Überlieferung<br />

von Hadithen. Er erlernte sein Wissen bei<br />

etwa 300 islamischen Gelehrten und veröffentlichte<br />

zahlreiche religiöse Fachbücher.<br />

„Und vertraue auf den Lebendigen, Der<br />

nicht stirbt und preise Ihn bei Seiner<br />

Lobwürdigkeit!“<br />

(25.Sure: El-Furqan, Vers 58)<br />

Die Eigenschaft der Lebendigkeit<br />

ist – genauso wie die Eigenschaft des<br />

Existierens – eine logische Voraussetzung<br />

für alle anderen Eigenschaften des<br />

Erhabenen Allah. Wäre Er nicht lebendig,<br />

dann wären seine restlichen Eigenschaften<br />

– wie Sein Hören, Sein Sehen oder<br />

Sein Sprechen – ebenfalls nicht möglich.<br />

Seine Lebendigkeit hat keinen Ursprung<br />

und kein Ende. Sie stützt sich auf<br />

keine bestimmten Ursachen. Seine Lebendigkeit<br />

ist eine jener Eigenschaften,<br />

die untrennbar mit Seinem Wesen verbunden<br />

ist. Sie ist seit jeher mit Seinem<br />

Wesen verknüpft und wird auf ewig mit<br />

Seinem Wesen fortbestehen. So ist der<br />

Erhabene Allah aus Sich Selbst heraus<br />

lebendig und Seine Lebendigkeit, ist wie<br />

Sein gesamtes Wesen urewig.<br />

Diese Lebendigkeit ist eine der sogenannten<br />

negierenden Eigenschaften.<br />

Einerseits ist sie negierend in dem<br />

Sinne, dass es unmöglich ist, dass der<br />

Erhabene Allah nicht diese Eigenschaft<br />

in ihrer Vollkommenheit besitzen könnte<br />

und andererseits ist sie negierend in<br />

dem Sinne, dass es vollkommen ausgeschlossen<br />

ist, dass der Erhabene<br />

Allah das Gegenteil dieser Eigenschaft<br />

besitzen könnte. So ist die Nicht-<br />

Lebendigkeit des Erhabenen Allah ein<br />

Ding der Unmöglichkeit und es ist ausgeschlossen<br />

dass der Erhabene Allah<br />

tot sein könnte oder dass Er irgendwann<br />

einmal versterben könnte.<br />

24


ANEKDOTE<br />

Nasreddin Khodscha<br />

Die zwei Arten der Gerechtigkeit<br />

Einige Kinder aus Nasreddin Khodschas<br />

Dorf hatten ihr Geld zusammengeworfen<br />

und sich einen Beutel Haselnüsse auf dem<br />

Basar gekauft. Als es an die Verteilung der<br />

Nüsse ging, kam es zum Streit zwischen<br />

den Kindern. Sie konnten sich partout nicht<br />

darauf einigen, wie die Nüsse gerecht<br />

aufgeteilt werden konnten. Da gingen sie<br />

zu Nasreddin Khodscha und baten diesen<br />

darum, die Nüsse gerecht unter ihnen aufzuteilen.<br />

Da fragte der Khodscha die Kinder:<br />

„Soll ich die Nüsse nach den Maßstäben<br />

der menschlichen Gerechtigkeit oder nach<br />

den Maßstäben der göttlichen Gerechtigkeit<br />

unter euch aufteilen?“ Da antworteten<br />

sie wie im Chor: „Aber Khodscha! Natürlich<br />

nach den Maßstäben der göttlichen Gerechtigkeit!“<br />

Da griff der Khodscha in den<br />

Beutel und gab die Nüsse so an die Kinder<br />

weiter, wie sie ihm gerade in die Hand fielen:<br />

Dem einen Kind gab er eine große Handvoll<br />

Nüsse, dem nächsten eine kleinere Handvoll<br />

und wieder einem anderen nur ein paar<br />

wenige Nüsse. Ein Kind hatte gar bei der<br />

Verteilung nur eine einzige Haselnuss erhalten.<br />

Als er mit der Verteilung fertig war, protestierten<br />

die Kinder, die nur wenige Nüsse<br />

erhalten hatten, lautstark: „Aber Khodscha!<br />

Das ist doch nicht gerecht, wie du die Nüsse<br />

unter uns aufgeteilt hast!“ Da lachte der<br />

Khodscha und sprach: „Ihr hattet die Wahl!<br />

Hättet ihr euch für die menschliche Gerechtigkeit<br />

entschieden, dann hätte ich jedem<br />

von euch gleich viele Nüsse gegeben. Da<br />

ihr euch aber für die göttliche Gerechtigkeit<br />

entschieden hattet, bekamt ihr alle eine<br />

unterschiedliche Anzahl von Nüssen. Seht<br />

ihr denn nicht, dass der Erhabene Allah dem<br />

einen viel, dem anderen wenig und dem<br />

anderen gar nichts gibt und dass trotzdem<br />

alle mit Seinem Ratschluss zufrieden sind?<br />

So seid auch ihr zufrieden!“<br />

25


DIE NAMEN DES GESANDTEN ALLAHS s.a.w.s.<br />

Serie<br />

Name des Gesandten Allahs s.a.w.s. :<br />

Haschir<br />

Der Gesandte Allahs s.a.w.s. ist der Haschir (der Versammler), weil er<br />

jene, die den Erhabenen Allah fürchten am Tage des Gerichts auf<br />

dem Mahscher (dem Versammlungsplatz) um sich schart und beim<br />

Erhabenen Allah versammelt.<br />

An der großen Anzahl der Namen, die der Gesandte Allahs s.a.w.s. besitzt, sieht man, welch hohen Stand er beim<br />

Erhabenen Allah einnimmt und wie hochgeschätzt er unter den Muslimen doch ist. Besonders bekannt ist eine<br />

Aufzählung von 201 seiner Namen. Diese 201 Namen, die unter anderem in dem Werk „Dela’ilul Khayrat“ von<br />

Imam Dschezuli q.s. aufgeführt sind, wollen wir hier nach und nach vorstellen.<br />

26


WISSEN<br />

Lexikon<br />

Islamlexikon:<br />

Die Fachbegriffe des Monats<br />

- Der Dinar<br />

Dinar ist die Bezeichnung für eine Goldmünze,<br />

die früher im gesamten islamischen<br />

Kulturkreis Verwendung fand. Seine arabische<br />

Bezeichnung leitet sich wahrscheinlich<br />

von dem lateinischen Wort „Denarius“<br />

ab, denn die Römer hatten den Golddinar<br />

(„Denarius Aureus“) schon lange vor den<br />

Arabern im Gebrauch.<br />

Sein gängiges Gewicht ist 4,25<br />

Gramm. Und mit diesem Gewicht dient<br />

er auch als wichtige Maßeinheit im<br />

islamischen Rechtssystem. Besonders<br />

bei der Berechnung der Nisab (Berechnungsgrenze)<br />

zur Entrichtung der Zekah<br />

(Armensteuer), spielt der Dinar eine<br />

besondere Rolle. Jeder freie, erwachsene<br />

Muslim, der im Vollbesitz seiner geistigen<br />

Kräfte ist und mindestens ein Jahr lang<br />

im Besitz eines Vermögens im Gegenwert<br />

von mindestens 20 Dinar (also 85 Gramm<br />

Gold) ist, ist zur Entrichtung der Zekah<br />

verpflichtet. Diese beträgt ein Vierzigstel<br />

seines Vermögens.<br />

Auch heutzutage gibt es noch zahlreiche<br />

Länder, deren Währung Dinar heißt. So beispielsweise<br />

der Irak, Libyen und Jordanien<br />

in Arabien sowie Serbien und Mazedonien in<br />

Europa. Dort ist der Dinar aber nicht an den<br />

Goldstandard gebunden, sondern eine ganz<br />

normale Währungseinheit, die auf dem internationalen<br />

Geldmarkt frei gehandelt wird.<br />

Seit mehreren Jahren wird versucht,<br />

an alte Zeiten anzuknüpfen und einen<br />

islamischen Golddinar als Gegenentwurf<br />

zu den westlichen Währungen zu etablieren.<br />

Dieses Projekt wird unter anderem von<br />

Malaysia unterstützt und dort wurden bereits<br />

Golddinare im Gewicht von 4,25 Gramm<br />

geprägt und in Umlauf gebracht.<br />

Befürworter dieses Projekts erhoffen sich,<br />

dass sich die islamischen Staaten zu einem<br />

27


Währungsverbund zusammenschließen und<br />

so unabhängiger von den internationalen<br />

Geldmärkten werden und ihren wirtschaftlichen<br />

Einfluss stärken könnten.<br />

- Der Dirhem<br />

Dirhem ist die Bezeichnung für eine<br />

Silbermünze, die früher im gesamten<br />

islamischen Raum Verbreitung fand.<br />

Seine arabische Bezeichnung leitet sich<br />

wahrscheinlich von dem griechischen<br />

Wort „Drachme“ her, denn die Drachme<br />

war schon in der Antike eine weitverbreitete<br />

Silbermünze in den griechischen<br />

Stadtstaaten und wurde von dort aus von<br />

Händlern in den Orient gebracht. In den<br />

islamischen Ländern war der Dirhem nicht<br />

nur eine Währungseinheit, sondern auch<br />

eine wichtige Maßeinheit. Je nach Region<br />

hatte er ein Gewicht zwischen 3,0 und<br />

3,25 Gramm. Als Maßeinheit spielt der<br />

Dirhem im islamischen Recht eine wichtige<br />

Rolle, denn dort wird er einerseits<br />

– neben dem Dinar – zur Berechnung der<br />

Zekah verwendet und andererseits gelten<br />

in der hanefitischen Rechtsschule sowohl<br />

sein Gewicht, als auch sein Umfang als<br />

Höchstgrenze für die Verschmutzung des<br />

Körper oder der Kleidung mit starkverschmutzenden<br />

Stoffen, wie menschlichem<br />

Urin, Kot oder Blut.<br />

Auch heutzutage gibt es noch zahlreiche<br />

Länder, deren Währung Dirhem heißt. So<br />

beispielsweise Marokko und die Vereinigten<br />

Arabischen Emirate.<br />

- Die Khilafeh<br />

Der Begriff „Khilafeh“ bedeutet wörtlich:<br />

„Stellvertretung, Nachfolge“. Im<br />

islamischen Staatsrecht ist damit „das Kalifat“<br />

gemeint. Mit diesem Begriff bezeichnet<br />

man entweder die Herrschaft oder das Amt<br />

oder den Herrschaftsbereich eines Kalifen.<br />

Der Kalif (arabisch: „Khalifeh“) bekleidet<br />

das Amt des „Emirul Mu’minin“, des Führers<br />

der Gläubigen. Er ist der Nachfolger<br />

des Gesandten Muhammed s.a.w.s. , der der<br />

religiöse und politische Führer des muslimischen<br />

Staatswesens war. Diesem folgten<br />

die „Khulefa er-Raschidin“, die vier Rechtgeleiteten<br />

Kalifen Ebu Bekr r.a. , Umer r.a. ,<br />

Uthman r.a. und Ali r.a. nach, die ebenfalls<br />

das Amt des religiösen und des politischen<br />

Führers in Personalunion bekleideten.<br />

Nach ihnen wanderte das Kalifat zuerst<br />

nach Damaskus und wurde dort von der<br />

Familiendynastie der Umayyaden weitergeführt.<br />

Von dort wanderte es nach Bagdad in<br />

die Hand der Familiendynastie der Abbasiden<br />

weiter. Als die Mongolen schließlich im<br />

13. Jahrhundert Bagdad zerstörten gingen<br />

die Abbasiden nach Kairo. Dort fristete das<br />

Kalifat ein Schattendasein, bis es schließlich<br />

im 16. Jahrhundert auf die Osmanen<br />

überging. Nach der Zerschlagung des<br />

Osmanischen Reiches wurde das Kalifat<br />

schließlich von dessen türkischen Nachfolgestaat<br />

abgeschafft.<br />

Auf europäischem Boden gab es ebenfalls<br />

für kurze Zeit ein Kalifat, nämlich das<br />

Kalifat von Cordoba. Dieses folgte dem<br />

Emirat von Cordoba nach und hatte von<br />

929 - 1031 Bestand. Es erstreckte sich über<br />

den größten Teil des heuten Spanien. Dort<br />

sorgte es für eine wirtschaftliche und kulturelle<br />

Blütezeit.<br />

- Die Schura<br />

Mit dem Begriff „Schura“ bezeichnet<br />

man „die Beratung, den Rat, den Ratschlag“.<br />

Wenn wichtige Entscheidungen<br />

anliegen, dann ist es Sunneh, sich mit<br />

kompetenten Personen zu beratschlagen<br />

und erst dann eine Entscheidung zu<br />

treffen. Diesen Vorgang nennt man „Isti-<br />

28


schareh“. Im Islam gehört die Schura zur<br />

Politik. Dort ist die Schura eine Versammlung<br />

aus Fachleuten oder Stammesvertretern,<br />

die die Herrscher oder die Regierungen<br />

bei ihrer Entscheidungsfindung<br />

beraten. Im Edlen Quran heißt es dazu:<br />

„Und zieh sie in der Sache zurate (o<br />

Muhammed)! Und wenn du zu einer<br />

Entscheidung gekommen bist, dann<br />

vertraue auf Allah!“<br />

(3. Sure: Alu Imran, Vers 159)<br />

Aus diesem Vers geht hervor, dass der<br />

Herrscher einerseits zwar die Fachleute<br />

zurate ziehen, andererseits aber seine<br />

Entscheidung alleine und in eigener Verantwortung<br />

treffen soll. Der Gesandte<br />

Allahs s.a.w.s. lebte den Muslimen vor, wie<br />

dies zu geschehen hat. So zog er beispielsweise<br />

bei wichtigen Kriegszügen<br />

seine Experten auf dem Gebiet der Kriegsführung<br />

zurate und auch in anderen Bereichen<br />

der Staatsführung befragte er seine<br />

Gefährten. Nach eingehender Beratung traf<br />

er dann seine Entscheidungen alleine und<br />

übernahm dafür die volle Verantwortung.<br />

Ein weiser Herrscher wird sich auch<br />

heutzutage an die Sunneh des Gesandten<br />

Allahs s.a.w.s. halten und eine Schura in seine<br />

Entscheidungsfindung miteinbinden.<br />

Die meisten der heutigen Herrscher in<br />

den islamischen Staaten halten sich an diese<br />

Sunneh des Propheten s.a.w.s. und lassen<br />

sich von einer Schura beraten. Aber auch<br />

in <strong>Deutsch</strong>land gibt es in vielen Bundesländern<br />

Schuras, bestehend aus den wichtigsten<br />

islamischen Verbänden, die von der<br />

jeweilige Landesregierung bei islamrelevanten<br />

Entscheidungen – wie beispielsweise<br />

der Einführung eines islamischen Schulunterrichts<br />

– zurate gezogen werden.<br />

- Die Saltaneh<br />

Die „Saltaneh“ ist zu <strong>Deutsch</strong> „das<br />

Sultanat“. Mit Sultanat bezeichnet man<br />

den Herrschaftsbereich eines Sultans,<br />

also jenen Teil der Erde, der von einem<br />

Sultan beherrscht wird. Dabei ist der<br />

Sultan ein „(unumschränkter) Herrscher,<br />

Machthaber“. Er ist jene Person, die<br />

innerhalb eines Staates die absolute<br />

politische Macht innehat. So erstreckt<br />

sich der Machtbereich des Sultans also<br />

normalerweise nur auf den Bereich des<br />

Politischen. Die religiöse Autorität liegt<br />

hingegen in der Hand des Kalifen, der<br />

die oberste religiöse Autorität über alle<br />

Muslime besitzt. Allerdings nahmen die<br />

Osmanischen Sultane im 16. Jahrhundert<br />

auch den Titel des Kalifen an und<br />

verstanden sich in dieser Funktion denn<br />

auch als Schutzherren für den Islam und<br />

für die Muslime insgesamt.<br />

Heutzutage nennen sich nur noch wenige<br />

Herrscher Sultan. Die letzten beiden<br />

existierenden allgemein anerkannten Saltaneh<br />

sind das Sultanat von Oman und<br />

das Sultanat von Brunei. Deren Herrscher<br />

tragen auch noch den Titel des Sultans.<br />

29


UNSERE NEUERSCHEINUNGEN IN DEUTSCHER SPRACHE<br />

Basiswissen Islam<br />

Glaubensgrundsätze<br />

und Praxis nach der<br />

Ehlu Sunneh<br />

Esma‘ul Husna<br />

Die Schönen Namen des<br />

Erhabenen Allah<br />

Du‘as (Bittgebete)<br />

des Propheten<br />

Muhammed s.a.w.s.<br />

Das Siegel der Propheten<br />

Wegweiser für den<br />

neuen Muslim<br />

Erhätlich unter WWW.SEMERKANDONLINE.DE<br />

30

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