Waterkant 2015 Heft 3
Magazin für Umwelt+Mensch+Arbeit in der NORDSEEREGION
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| WATERKANT | Sonderdruck | 3-15 | Unentgeltliche Verbreitung erlaubt © www.waterkant.info |<br />
| 3 |<br />
Editorial<br />
Liebe Leserinnen, liebe Leser!<br />
Insgesamt hat es den Anschein,<br />
als hätte der Meeresnaturschutz<br />
es bereits aufgegeben, sich den<br />
ausufernden Nutzungsansprüchen<br />
unüberhörbar entgegenzustellen.<br />
Das Thema Meeresnaturschutz stehe derzeit<br />
ganz oben auf der politischen Agenda, heißt es<br />
in ersten Berichten aus Stralsund: Dort hat Mitte<br />
September die internationale Tagung „Progress in<br />
Marine Conservation in Europe“ (PMCE) begonnen,<br />
die das Bundesamt für Naturschutz (BfN)<br />
und das Stralsunder „Oceaneum“ bereits zum<br />
vierten Male ausrichten. Zwar überschneidet sich<br />
dieser Termin mit dem Produktionszeitrahmen<br />
dieser Ausgabe, weshalb im <strong>Heft</strong> keine Details<br />
zu finden sind. Trotzdem soll diese Konferenz<br />
hier Erwähnung finden – als ein markantes Beispiel<br />
für eine von Grund auf falsche Politik.<br />
Nein, diese Worte sollen beileibe nicht das<br />
Engagement all derer beleidigen, die eine solche<br />
Konferenz ermöglichen. Es geht vielmehr um<br />
Verdeutlichung eines elementaren Widerspruchs:<br />
Am Strelasund diskutieren einige hundert<br />
Hochqualifizierte über die Bedrohung der<br />
Meeresumwelt durch menschliche Aktivitäten.<br />
Den vorab veröffentlichten „Abstracts“ zufolge<br />
werden aber Letztere in so gut wie keinem<br />
Beitrag ernsthaft in Frage gestellt. Mal wird<br />
der marinen Raumplanung die Rolle zugesprochen,<br />
Konflikte mit Fischerei, Schifffahrt oder<br />
Energiegewinnung zu entschärfen. An anderer<br />
Stelle wird das gute, alte Vorsorgeprinzip – statt<br />
es zum Gesetz zu erheben – zu einer Art Mediator<br />
erklärt für eine „kluge Nutzung“ (wise<br />
use) sowohl lebender als auch mineralischer<br />
Ressourcen. Insgesamt hat es den Anschein,<br />
als hätte der Meeresnaturschutz es bereits<br />
aufgegeben, sich den ausufernden Nutzungsansprüchen<br />
unüberhörbar entgegenzustellen.<br />
An der Wesermündung zum Beispiel wäre<br />
Gelegenheit dazu: Dort werden bekanntlich<br />
Mitte Oktober einige hundert Vertreter der so<br />
genannten maritimen Wirtschaft konferieren,<br />
und dies mutmaßlich (siehe Seite 7‐16) ohne jede<br />
Spur von Zurückhaltung oder Bescheidenheit.<br />
Laut bisheriger Planung wird dort allenfalls<br />
und nur am Rande jenes krude Verständnis von<br />
so genannter „Nachhaltigkeit“ zelebriert, das<br />
der Ressourcenausbeutung unter dem heuchlerischen<br />
Etikett „Schutz durch Nutzung“ den<br />
Weg ebnet. Meeresnaturschutz gilt in diesen<br />
Kreisen erfahrungsgemäß als lästig oder gar<br />
gefährlich: Schutzgebiete behindern die Schifffahrt,<br />
Grenzwerte wirken kostentreibend usw.<br />
Wohlgemerkt: Es ist nicht damit getan, das<br />
Nebeneinander von Schützern und Nutzern durch<br />
gemeinsames Konferieren zu ersetzen – das<br />
hatten wir schon oft, es hat nur nichts gebracht.<br />
Denn letztlich war es immer die Schützer-Seite,<br />
die entweder von der Nutzer-Front über den Tisch<br />
gezogen oder unter nicht immer würdigen Bedingungen<br />
zum Einknicken und Nachgeben gezwungen<br />
wurde. Dabei hätten die Schützer allen<br />
Grund, entschlossener aufzutreten. Ein Beispiel:<br />
Soeben haben Kieler GEOMAR-Forscher erste<br />
Berichte vorgelegt von einer aktuellen Expedition<br />
zu der Fragestellung, welche Umweltfolgen denn<br />
der Abbau von Manganknollen in der Tiefsee wohl<br />
hätte. Zu den Berichten zählt unter anderem auch<br />
ein Foto vom Meeresboden jenes pazifischen<br />
Gebiets, in dem deutsche Forscher 1989 Manganknollenförderung<br />
versucht haben. Das Bild von<br />
heute zeigt deutlich die Spuren, die sowohl die<br />
damaligen wie spätere Aktivitäten hinterlassen<br />
haben (http://kurzlink.de/geomar-spuren): 26<br />
Jahre später, so kann man schlussfolgern, hat das<br />
Meer diese Eingriffe noch immer nicht „vergessen“.<br />
Während allerdings GEOMAR daraus den<br />
Schluss zieht, eventuellen künftigen Bergbau-<br />
Unternehmungen „genau auf die Finger schauen“<br />
zu wollen, neige ich eher zu der Haltung, die im<br />
Mai 2014 in Bremen von der Verbändekonferenz<br />
„Ein anderes Meer ist möglich“ kurz und knapp<br />
so formuliert wurde: „Stop sea bed mining“.<br />
Es ließen sich problemlos weitere Beispiele für<br />
das Unverhältnis zwischen Schutz und Nutzung<br />
auflisten, an dieser Stelle ist dafür kein Platz;<br />
vermutlich fallen jeder und jedem von Euch<br />
genügend von selbst ein. Es ist jetzt etwas mehr<br />
als acht Jahre her, dass die Damals-schon-undheute-immer-noch-Kanzlerin<br />
Angela Merkel<br />
eine EU-Meereskonferenz in Bremen eröffnete<br />
mit den Worten, es dürfe nicht nur auf die Nutzung<br />
der Meeresressourcen geschaut werden,<br />
die Erhaltung der Meere sei „auch ein Wert an<br />
sich“. Selbstverständlich war das nur ein verbalradikaler<br />
Ausrutscher, sowohl die betreffende<br />
Konferenz als auch die Meerespolitik der EU und<br />
der Kanzlerin insgesamt zeigen eine elementar<br />
andere Prägung. Aber gerade das belegt den<br />
heuchlerischen Charakter des herrschenden<br />
Verständnisses von Meeresnaturschutz.<br />
Ebenso wie dieses: Laut Ankündigung zur PMCE<br />
in Stralsund hat Bundesumweltministerin<br />
Barbara Hendricks darauf hingewiesen, in den<br />
vergangenen Jahren 27 Projekte im Gesamtvolumen<br />
von mehr als 100 Millionen Euro zum<br />
Schutz und zur nachhaltigen Nutzung von<br />
maritimen Ökosystemen und Küstengewässern<br />
gefördert zu haben, weitere acht Projekte mit<br />
einem Volumen von 30 Millionen Euro seien<br />
aktuell im Bewilligungsprozess. Mal abgesehen<br />
davon, dass diese Förderbeträge sich durch die<br />
Beschreibung „nachhaltige Nutzung“ von selbst<br />
relativieren – es sind Kinkerlitzchen, wenn man<br />
sie vergleicht mit den Fördersummen, die Hendricks'<br />
Amtskollege Sigmar Gabriel als Chef des<br />
BMWi gerade im NMK-Bericht für die maritime<br />
Wirtschaft auflistet. Warum also rühmt sich<br />
die Ministerin statt öffentlich zu bereuen?<br />
Nochmals: Insgesamt hat es den Anschein, als<br />
hätte der Meeresnaturschutz es bereits aufgegeben,<br />
sich den ausufernden Nutzungsansprüchen<br />
unüberhörbar entgegenzustellen. Wieso<br />
eigentlich?<br />
Burkhard Ilschner