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Waterkant 2015 Heft 3

Magazin für Umwelt+Mensch+Arbeit in der NORDSEEREGION

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| WATERKANT | Sonderdruck | 3-15 | Unentgeltliche Verbreitung erlaubt © www.waterkant.info |<br />

Lebensräume im Fluss- und Uferbereich der<br />

Flachwasserzonen sind an der Weser in den<br />

vergangenen 100 Jahren verloren gegangen.<br />

Der Ausbau der Außenweser bedeutet schwerwiegende<br />

Eingriffe in das Ökosystem Wattenmeer<br />

und dessen angrenzende Nationalparks,<br />

insbesondere des niedersächsischen. Die gravierenden<br />

Umweltschäden würden zu erheblichen<br />

Beeinträchtigungen für Fauna und Flora<br />

auch im Flusssystem führen. Verluste von<br />

Lebensräumen drohen ebenso wie erhöhte<br />

Gefahr für den Küstenschutz etwa durch verstärkten<br />

Tidenhub. An der Unterelbe haben<br />

bisherige Strombaumaßnahmen zu einem<br />

Rückgang der Vorlandflächen um mehr als<br />

70 Prozent geführt. Die Anzahl der Tage mit<br />

Sauerstoffgehalten unterhalb des kritischen<br />

Werts von weniger als drei Milligramm pro Liter<br />

haben seit der jüngsten Elbvertiefung 1999 signifikant<br />

zugenommen. Kam dies früher allenfalls<br />

im Hochsommer gelegentlich vor, sind<br />

inzwischen Sauerstofflöcher bis in den Herbst<br />

hinein zur bedauerlichen Regel geworden.<br />

Seit dem Jahr 2000 hält das europäische<br />

Recht mittels der erwähnten WRRL<br />

gegen die grassierende Beeinträchtigung der<br />

Gewässer (6). Dabei gilt als Grundlage der<br />

WRRL‐Anwendung eine ökologische Qualitätsbewertung<br />

in fünf Güteklassen, die für jedes<br />

Gewässer spezifisch untersucht und abschnittsweise<br />

festgesetzt worden sind. Innerhalb jeder<br />

Klasse sind für die entsprechende Einstufung<br />

zudem etliche separate Qualitätskomponenten<br />

zu berücksichtigen. Die Umweltziele<br />

der WRRL schreiben nun für den Gewässerschutz<br />

im Wesentlichen zwei Aufgaben fest:<br />

Zum einen obliegt Politik und Verwaltung<br />

die Pflicht, eine Verschlechterung des aktuellen<br />

Zustands von Gewässern zu vermeiden<br />

beziehungsweise zu verhindern (Verschlechterungsverbot).<br />

Zum anderen wird aus den Qualitätsbewertungen<br />

die Verpflichtung abgeleitet,<br />

diese Gewässer nicht nur zu schützen, sondern<br />

ihren Zustand bei Bedarf auch zu sanieren<br />

(Verbesserungsgebot).<br />

Die Richtlinie aus dem Jahr 2000 hatte dafür<br />

einen weiten Zeitrahmen gesetzt, nämlich bis<br />

Ende dieses Jahres: Bis dahin sollen die europäischen<br />

Gewässer eigentlich in einem „guten<br />

Zustand“ sein oder dahin zurückversetzt<br />

werden. Fachleute nennen das schon seit langem<br />

unerreichbar, in Deutschland etwa sind die<br />

meisten Gewässer in mäßigem oder gar schlechtem<br />

Zustand – Weser und Elbe zählen dazu.<br />

Aber auch sonst gilt <strong>2015</strong> als eine Zeitmarke, die<br />

in vielen Regionen als unerreichbar angesehen<br />

werden muss – zu viele Administrationen haben<br />

in den vergangenen Jahren die Umsetzung der<br />

WRRL fahrlässig oder vorsätzlich unterlassen.<br />

Manche bauen mehr oder weniger frech auch<br />

auf Fristverlängerung – zweimal je sechs Jahre<br />

sind in der Richtlinie als Option vorgesehen;<br />

„2021“ oder „2027“ sind aber keine „Selbstläufer“,<br />

die Verlängerungen müssen einzeln und<br />

nacheinander beantragt und geprüft werden.<br />

An der Differenzierung nach Qualitätsklassen<br />

und einzelnen Komponenten setzt nun das<br />

EuGH‐Urteil (3) an: Der Luxemburger Gerichtshof<br />

definiert nämlich, eine „Verschlechterung“<br />

liege bereits dann vor, wenn sich „der Zustand<br />

mindestens einer Qualitätskomponente“ verschlechtere,<br />

auch wenn dies nicht zu einer Abstufung<br />

in eine niedrigere Qualitätsklasse führe.<br />

Somit greift das Verschlechterungsverbot bei jeder<br />

einzelnen Komponente. Was diese juristisch<br />

verklausulierte Formulierung konkret bedeutet,<br />

lässt sich etwa so erklären:<br />

Die Planer sowohl der Weser- als auch der<br />

Elbvertiefung haben nie einen Hehl daraus<br />

gemacht, dass die von ihnen vorgeschlagenen<br />

Maßnahmen zu Veränderungen führen<br />

würden beispielsweise im Tidenhub (Wasserstand<br />

zwischen Ebbe und Flut), bei den Strömungsverhältnissen<br />

(reißende Flussmitte und<br />

verschlickende Randbereiche) oder bei der<br />

Durchmischung von Salz-, Brack- und Süßwasser,<br />

deren Veränderung die Grenze der<br />

so genannten „Brackwasserzone“ flussaufwärts<br />

verschiebt und somit in den Unterläufen<br />

bis weit ins Binnenland hinein die „Salinität“<br />

erhöht. Jede einzelne Veränderung hat nicht nur<br />

Folgen für Landwirtschaft, Deich- oder Bodenstabilität,<br />

sondern birgt immer auch Nachteile<br />

für Fauna und Flora. Aber die Planer haben<br />

jeweils vorausgesetzt, dass diese Faktoren in<br />

keinem Falle dazu zwingen würden, den betreffenden<br />

Gewässerabschnitt in eine schlechtere<br />

Qualitätsklasse abwerten zu müssen. Einmal<br />

abgesehen davon, dass die klagenden Umweltschützer<br />

für beide Flussläufe diese Annahmen<br />

immer bezweifelt haben: Der EuGH hat in seinem<br />

Urteil diese aufrechnende Argumentation<br />

ausgehebelt und damit die bereits ähnlich<br />

geäußerten Bedenken des BVerwG bestätigt.<br />

Es war letztlich diese höchstrichterliche Aufwertung<br />

der Einzelkomponenten innerhalb der<br />

Qualitätsklassen-Einordnung, die den Bremer<br />

BUND‐Geschäftsführer Martin Rode von einem<br />

„Meilenstein für den Gewässerschutz in ganz<br />

Europa“ sprechen ließ.<br />

Bleibt die Frage nach den eingangs erwähnten<br />

Ausnahmen, auf die der EuGH wiederholt<br />

verwiesen hat. Hier allerdings offenbart ein<br />

genauer Blick ins Luxemburger Urteil Ernüchterndes<br />

– zumindest für die vertiefungsgierige<br />

Hafenwirtschaft. Es ist ja (nicht nur) aus<br />

der Schifffahrtsdebatte hinlänglich bekannt,<br />

dass die Akteure der maritimen Wirtschaft sich<br />

gerne den Nimbus gesellschaftlicher Wohltäter<br />

zu geben versuchen. Dazu gehört es auch,<br />

dass (nicht nur) Hafenunternehmen ihre monetären<br />

Ambitionen lieber verschweigen oder<br />

kleinreden und gerne betonen, in „überwiegend<br />

öffentlichem Interesse“ zu handeln.<br />

Daraus, so heißt es dann, seien „zwingende<br />

Gründe“ abzuleiten, für Projekte wie Weseroder<br />

Elbvertiefung besagte „Ausnahmen“ zuzulassen.<br />

Also drängelten sich die verschiedenen<br />

Verbände – etwa der „Wirtschaftsverband<br />

Weser“ in Bremen oder an der Elbe der „Unternehmensverband<br />

Hafen Hamburg“ (UVHH)<br />

– unmittelbar nach dem EuGH‐Urteil in die<br />

Medien mit zweckoptimistischem Getute, das<br />

Nicht nur über Siele, vielfach auch durch Rohre werden<br />

Binnendeichsgräben in der Wesermarsch be- und<br />

entwässert: Zulauf bei Flut, Ablauf bei Ebbe (Bild<br />

links). Verändert sich aber die „Salinität“ des Wassers,<br />

hat das Folgen nicht nur für die Viehtränke, sondern<br />

auch für Fauna und Flora wie etwa die Rote-Liste-Art<br />

„Krebsschere“ (Bild rechts), von existenzieller Bedeutung<br />

für die Libellenart „Grüne Mosaikjungfer“.<br />

Fotos (3): Burkhard Ilschner

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