Rosemarie Lühr Genitivische Konnektoren im Althochdeutschen I ...
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tâtin (Notker II,455,15f.)<br />
‘Und das Opfer toter Menschen aßen sie ... Wie wenn Gott sie unter der<br />
Voraussetzung schonte, dass sie dessenungeachtet schl<strong>im</strong>mer handelten.’<br />
‘schonen’ steht <strong>im</strong> Gegensatz zu ‘schl<strong>im</strong>mer handeln’. Bemerkenswert ist jedoch, dass die<br />
Parallelversion hier doh deste uuirs bietet: ‘dass sie dennoch umso schl<strong>im</strong>mer handelten’. Das<br />
heißt, des doh wirs war zur Zeit des Wiener Notker unklar und wurde durch doh deste wirs<br />
ersetzt. Dies erklärt dann auch die Lautform testo bei Notker: Sie ist aus des doh mit Schwund<br />
des auslautenden -h in Angleichung an deste entstanden:<br />
(43) Oratio Moysi servi dei. Souuiêo moyses disen psalmum nescríbe . doh ist der titulus<br />
darumbe sîn . daz er uns tésto nâmero sî<br />
(Notker II,377,10f.)<br />
‘Obwohl Moses diesen Psalm nicht verfasst hat, weist die Überschrift ihn ihm<br />
dennoch zu, damit er uns umso angenehmer sei’<br />
Bei diesem testo denkt man nun wegen des auslautenden -o natürlich sofort an nhd. desto. Im<br />
Mittelhochdeutschen lautet die Form jedoch deste oder mit analogischem Komparativsuffix<br />
dester (mndd. dester) 35 . Eine unmittelbare Fortsetzung der notkerischen Lautform existiert<br />
also <strong>im</strong> Neuhochdeutschen nicht. Die seit Mitte des 15. Jahrhunderts auftretende volle Form<br />
desto (mndd. desto) wird so wie die kanzleisprachlichen (lateinische Formeln nachahmenden)<br />
Bildungen dero, iro, ietzo, bishero, hinfüro zu beurteilen sein.<br />
III. Zusammenfassung<br />
1. Neben thiu + Komparativ dürfte <strong>im</strong> <strong>Althochdeutschen</strong> auch ein the + Komparativ<br />
bestanden haben, ein Nebeneinander, das sich auch <strong>im</strong> Altenglischen findet.<br />
2. thiu beziehungsweise *the bedeuten ‘umso’ und setzen den ererbten Instrumental des<br />
Maßes fort.<br />
3. thes und es neben thiu + Komparativ bei Otfrid sind fakultative Korrelate für<br />
Sachverhaltsbeschreibungen, auf die die desto-Fügung proportional bezogen ist.<br />
4. Der Umfang der durch thes(/es) thiu + Komparativ bezeichneten Maßeinheit wird nach<br />
diesem Sachverhalt bemessen.<br />
5. Der Sachverhalt kann zu der desto-Fügung dabei in unterschiedlichen Relationen stehen, in<br />
einer modalen, kausalen, konsekutiven oder konzessiven Relation, wodurch sich für thes (es)<br />
die Bedeutungen ‘dadurch’, ‘deswegen’, ‘infolgedessen’, ‘dennoch’ ergeben.<br />
6. Zur Bezeichnung der konzessiven Relation kann ein verdeutlichendes thoh vor oder hinter<br />
(thes) thiu + Komparativ treten.<br />
7. Konzessives des toh mēr bei Notker enthält wohl nicht die Komparativpartikel -te ‘umso’;<br />
des ‘dennoch’ ist vielmehr durch doh verstärkt und ergibt so eine Bedeutung wie<br />
‘dessenungeachtet’.<br />
8. des toh wirs wird <strong>im</strong> Wiener Notker durch doh deste wirs ‘doch umso schl<strong>im</strong>mer’ ersetzt.<br />
des toh wirs dürfte die Bildeweise von testo ‘umso’ bei Notker beeinflusst haben.<br />
9. testo lebt wohl nicht in nhd. desto fort. Auch thes thiu von Otfrid ist untergegangen.<br />
Von diesen Ausdrucksmitteln hat sich korrelativisches genitivisches thes und der<br />
ursprüngliche Instrumental *þe in Notkers deste bis ins Neuhochdeutsche gehalten. Dabei war<br />
thes ursprünglich nur ein fakultatives Textscharnier, das der Anknüpfung von<br />
Sachverhaltsbeschreibungen an die komparativische desto-Fügung diente. Es hat sich aber<br />
erhalten, weil genitivische <strong>Konnektoren</strong> schon von althochdeutscher Zeit an wichtige Mittel<br />
35 B. Kirschstein - U. Schulze, Wörterbuch der mittelhochdeutschen Urkundensprache, S. 368.