07.12.2012 Aufrufe

Rosemarie Lühr Genitivische Konnektoren im Althochdeutschen I ...

Rosemarie Lühr Genitivische Konnektoren im Althochdeutschen I ...

Rosemarie Lühr Genitivische Konnektoren im Althochdeutschen I ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

tâtin (Notker II,455,15f.)<br />

‘Und das Opfer toter Menschen aßen sie ... Wie wenn Gott sie unter der<br />

Voraussetzung schonte, dass sie dessenungeachtet schl<strong>im</strong>mer handelten.’<br />

‘schonen’ steht <strong>im</strong> Gegensatz zu ‘schl<strong>im</strong>mer handeln’. Bemerkenswert ist jedoch, dass die<br />

Parallelversion hier doh deste uuirs bietet: ‘dass sie dennoch umso schl<strong>im</strong>mer handelten’. Das<br />

heißt, des doh wirs war zur Zeit des Wiener Notker unklar und wurde durch doh deste wirs<br />

ersetzt. Dies erklärt dann auch die Lautform testo bei Notker: Sie ist aus des doh mit Schwund<br />

des auslautenden -h in Angleichung an deste entstanden:<br />

(43) Oratio Moysi servi dei. Souuiêo moyses disen psalmum nescríbe . doh ist der titulus<br />

darumbe sîn . daz er uns tésto nâmero sî<br />

(Notker II,377,10f.)<br />

‘Obwohl Moses diesen Psalm nicht verfasst hat, weist die Überschrift ihn ihm<br />

dennoch zu, damit er uns umso angenehmer sei’<br />

Bei diesem testo denkt man nun wegen des auslautenden -o natürlich sofort an nhd. desto. Im<br />

Mittelhochdeutschen lautet die Form jedoch deste oder mit analogischem Komparativsuffix<br />

dester (mndd. dester) 35 . Eine unmittelbare Fortsetzung der notkerischen Lautform existiert<br />

also <strong>im</strong> Neuhochdeutschen nicht. Die seit Mitte des 15. Jahrhunderts auftretende volle Form<br />

desto (mndd. desto) wird so wie die kanzleisprachlichen (lateinische Formeln nachahmenden)<br />

Bildungen dero, iro, ietzo, bishero, hinfüro zu beurteilen sein.<br />

III. Zusammenfassung<br />

1. Neben thiu + Komparativ dürfte <strong>im</strong> <strong>Althochdeutschen</strong> auch ein the + Komparativ<br />

bestanden haben, ein Nebeneinander, das sich auch <strong>im</strong> Altenglischen findet.<br />

2. thiu beziehungsweise *the bedeuten ‘umso’ und setzen den ererbten Instrumental des<br />

Maßes fort.<br />

3. thes und es neben thiu + Komparativ bei Otfrid sind fakultative Korrelate für<br />

Sachverhaltsbeschreibungen, auf die die desto-Fügung proportional bezogen ist.<br />

4. Der Umfang der durch thes(/es) thiu + Komparativ bezeichneten Maßeinheit wird nach<br />

diesem Sachverhalt bemessen.<br />

5. Der Sachverhalt kann zu der desto-Fügung dabei in unterschiedlichen Relationen stehen, in<br />

einer modalen, kausalen, konsekutiven oder konzessiven Relation, wodurch sich für thes (es)<br />

die Bedeutungen ‘dadurch’, ‘deswegen’, ‘infolgedessen’, ‘dennoch’ ergeben.<br />

6. Zur Bezeichnung der konzessiven Relation kann ein verdeutlichendes thoh vor oder hinter<br />

(thes) thiu + Komparativ treten.<br />

7. Konzessives des toh mēr bei Notker enthält wohl nicht die Komparativpartikel -te ‘umso’;<br />

des ‘dennoch’ ist vielmehr durch doh verstärkt und ergibt so eine Bedeutung wie<br />

‘dessenungeachtet’.<br />

8. des toh wirs wird <strong>im</strong> Wiener Notker durch doh deste wirs ‘doch umso schl<strong>im</strong>mer’ ersetzt.<br />

des toh wirs dürfte die Bildeweise von testo ‘umso’ bei Notker beeinflusst haben.<br />

9. testo lebt wohl nicht in nhd. desto fort. Auch thes thiu von Otfrid ist untergegangen.<br />

Von diesen Ausdrucksmitteln hat sich korrelativisches genitivisches thes und der<br />

ursprüngliche Instrumental *þe in Notkers deste bis ins Neuhochdeutsche gehalten. Dabei war<br />

thes ursprünglich nur ein fakultatives Textscharnier, das der Anknüpfung von<br />

Sachverhaltsbeschreibungen an die komparativische desto-Fügung diente. Es hat sich aber<br />

erhalten, weil genitivische <strong>Konnektoren</strong> schon von althochdeutscher Zeit an wichtige Mittel<br />

35 B. Kirschstein - U. Schulze, Wörterbuch der mittelhochdeutschen Urkundensprache, S. 368.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!