Alles auf Anfang - Stellenmarkt von sueddeutsche.de
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Uni&Job studieren 9<br />
ven Verstimmungen und Arbeitsblocka<strong>de</strong>n.<br />
Die Stu<strong>de</strong>ntin sucht psychologische<br />
Hilfe. Doch auch <strong>von</strong> dort gibt es nur die<br />
Devise: durchhalten. Während <strong>de</strong>r Diplomphase<br />
fühlt sich Alina Wallbaum<br />
dann <strong>von</strong> ihrem Betreuer völlig allein gelassen,<br />
ihr fehlt die fachliche Unterstützung.<br />
Sie gibt <strong>auf</strong>. Mitten im Diplom,<br />
kurz vor <strong>de</strong>m Ziel.<br />
Das war im Sommer 2008. „Als die<br />
Entscheidung gefallen war, das Studium<br />
abzubrechen, fühlte ich mich <strong>auf</strong> einen<br />
Schlag viel besser“, sagt sie. Seither hat<br />
sie neue Energie – und neue Pläne. Sie<br />
hat sich um einen Ausbildungsplatz im<br />
Gesundheitsbereich beworben und<br />
gleich mehrere Zusagen bekommen.<br />
„Ich fin<strong>de</strong> es sehr problematisch, dass in<br />
unserer leistungsorientierten Gesellschaft<br />
dieser Druck herrscht, um je<strong>de</strong>n<br />
Preis durchzuhalten“, sagt sie. „Als gäbe<br />
es kein Leben nach <strong>de</strong>m Studienabbruch.<br />
Diese scheinbare Ausweglosigkeit<br />
hat mich krank gemacht.“<br />
Ulrich Heublein vom HIS hat mehrfach<br />
untersucht, warum Stu<strong>de</strong>nten in<br />
Deutschland das Studium hinwerfen.<br />
Zu <strong>de</strong>n Hauptmotiven, sagt er, gehören<br />
Probleme bei <strong>de</strong>r Studienfinanzierung,<br />
falsche Erwartungen an das Fach,<br />
Schwierigkeiten mit <strong>de</strong>n Leistungsanfor<strong>de</strong>rungen,<br />
familiäre Probleme und<br />
Krankheit. Meist kommt gleich mehreres<br />
zusammen.<br />
„Ich hasse es nun mal, am<br />
Schreibtisch zu sitzen. Wie soll<br />
ich da Konstrukteur wer<strong>de</strong>n?“<br />
Auch Alina Wallbaum ist mit falschen<br />
Erwartungen an das Studium herangegangen.<br />
Einmal schon hatte sie innerhalb<br />
<strong>de</strong>s Fachs <strong>de</strong>n Schwerpunkt gewechselt<br />
– <strong>von</strong> Linguistik zu Medienkultur.<br />
„Ich dachte damals, dass Medienkultur<br />
praktischer ausgerichtet ist“,<br />
sagt sie. Ein Irrtum, <strong>de</strong>r auch an<strong>de</strong>ren wi<strong>de</strong>rfährt.<br />
Heublein: „Gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n Geisteswissenschaften<br />
erleben die Studieren<strong>de</strong>n<br />
sehr oft, dass sich die Inhalte nicht<br />
mit ihren Vorstellungen <strong>de</strong>cken.“<br />
Beispiel Germanistik: „Man schreibt<br />
sich ein, weil man sich zur Literatur hingezogen<br />
fühlt. Dann aber muss man sich<br />
plötzlich durch sprachwissenschaftliche<br />
Theorien quälen o<strong>de</strong>r an die geliebten<br />
Texte mit einem distanzierten, analytischen<br />
Blick herangehen.“ Für viele ist<br />
das eine große Enttäuschung, <strong>de</strong>shalb ist<br />
die Abbruchquote unter <strong>de</strong>n Spracho<strong>de</strong>r<br />
Kulturwissenschaftlern extrem<br />
hoch. Fast ein Drittel gibt vorzeitig <strong>auf</strong>.<br />
Hinzu kommt bei diesen Fächern,<br />
dass das Berufsziel nicht ein<strong>de</strong>utig ist.<br />
Während Lehramts-, Medizin- o<strong>de</strong>r<br />
Pharmazie-Stu<strong>de</strong>nten recht genau wissen,<br />
wie ihre Arbeit später aussehen<br />
wird, ist etwa bei Germanisten alles und<br />
gar nichts drin: Journalismus, Werbung<br />
o<strong>de</strong>r in die PR-Branche? O<strong>de</strong>r doch lieber<br />
in die Wissenschaft?<br />
i<br />
Auswechslung.<br />
Fach wechseln statt<br />
Handtuch werfen:<br />
Laut Deutschem Stu<strong>de</strong>ntenwerk<br />
wechselt rund ein<br />
Fünftel aller Stu<strong>de</strong>nten das<br />
Fach. Wer sich dazu entschlossen<br />
hat, sollte schnell machen –<br />
um <strong>de</strong>n Bafög-Anspruch zu<br />
erhalten. Schlechte Karten hat,<br />
wer erst nach <strong>de</strong>m vierten Semester<br />
wechselt: Ohne „unabweisbaren<br />
Grund“ – etwa gesundheitliche<br />
Probleme – zahlt<br />
<strong>de</strong>r Staat keinen Cent mehr.<br />
Mit <strong>de</strong>m Bachelor-Abschluss, <strong>de</strong>r in<br />
<strong>de</strong>n letzten Jahren an vielen Fachhochschulen<br />
und Universitäten eingeführt<br />
wor<strong>de</strong>n ist, war ursprünglich auch die<br />
Hoffnung verbun<strong>de</strong>n, Stu<strong>de</strong>nten vor<br />
<strong>de</strong>m vorzeitigen Aufgeben <strong>de</strong>r aka<strong>de</strong>mischen<br />
L<strong>auf</strong>bahn zu bewahren. Gera<strong>de</strong> in<br />
<strong>de</strong>n Sprach- und Kulturwissenschaften<br />
sieht Heublein diesen Effekt bestätigt.<br />
Dort ist die Abbrecherquote gesunken.<br />
Dass <strong>de</strong>r neue Schnellschluss jedoch<br />
kein generelles Allheilmittel gegen <strong>de</strong>n<br />
Abbruch ist, hat sich am <strong>de</strong>utlichsten in<br />
<strong>de</strong>n Fachhochschul-Studiengängen Maschinenbau<br />
und Elektrotechnik gezeigt.<br />
Dort ist die Zahl <strong>de</strong>r Abbrecher unter<br />
<strong>de</strong>n Bachelor-Anwärtern überdurchschnittlich<br />
hoch. Da das Studium in drei<br />
Jahren über die Bühne gebracht wer<strong>de</strong>n<br />
soll, wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r ohnehin schon anspruchsvolle<br />
Stoff stark verdichtet. Außer<strong>de</strong>m<br />
haben viele Stu<strong>de</strong>nten zuvor eine Ausbildung<br />
gemacht o<strong>de</strong>r gejobbt. Im Schnitt<br />
sind sie 23 Jahre alt, wenn sie ihr Fachhochschulstudium<br />
<strong>auf</strong>nehmen: weit weg<br />
vom Mathewissen <strong>de</strong>r Schulzeit, aber<br />
schon mittendrin im Leben mit einem relativ<br />
hohen Standard, <strong>de</strong>n die meisten<br />
nicht mehr missen möchten. Viele jobben<br />
<strong>de</strong>shalb nebenher. Ein explosiver<br />
Mix, <strong>de</strong>r häufig zum Abbruch führt.<br />
Aber auch bei <strong>de</strong>n Ingenieurswissenschaften<br />
an Universitäten, die noch mit<br />
<strong>de</strong>m Diplom abschließen, gibt es nach<br />
wie vor überdurchschnittlich viele Abbrecher.<br />
Matthias Wolf wäre fast einer<br />
<strong>von</strong> ihnen gewor<strong>de</strong>n. Er hat zehn Semester<br />
Maschinenbau in Mag<strong>de</strong>burg studiert.<br />
Um sein Diplom zu bekommen,<br />
muss er auch ein Semester in einem Unternehmen<br />
arbeiten.<br />
Diese Aussicht hasst er. „Ich weiß<br />
jetzt schon, dass ich nie Konstrukteur<br />
wer<strong>de</strong>, weil ich einfach nicht am Schreibtisch<br />
sitzen kann“, sagt er. Statt <strong>de</strong>ssen<br />
wür<strong>de</strong> er viel lieber in seinen alten Beruf<br />
zurückkehren, er ist gelernter Mechaniker.<br />
„Aber alle in meinem Umfeld sagen<br />
mir, dass ich jetzt noch die paar Monate<br />
durchhalten soll und es dann in <strong>de</strong>r Tasche<br />
habe“, sagt er. „Und mein Verstand<br />
sagt mir das auch. Aber ich sehe einfach<br />
keinen Sinn darin.“ Kaum ein Tag, an<br />
<strong>de</strong>m Wolf nicht darüber nach<strong>de</strong>nkt, alles<br />
hinzuwerfen. „Es kann gut sein, dass<br />
ich mich eines Tages ärgere, wenn ich<br />
jetzt <strong>auf</strong>gebe. Aber die Vorstellung, in<br />
diesem Unternehmen zu arbeiten, ist einfach<br />
zu quälend.“<br />
Der Maschinenbaustu<strong>de</strong>nt hat sein<br />
Problem in einem Forum <strong>auf</strong> <strong>de</strong>r Internetseite<br />
www.studienabbrecher.com geschil<strong>de</strong>rt.<br />
Dort holen sich verzweifelte<br />
Studieren<strong>de</strong> Rat <strong>von</strong> Lei<strong>de</strong>nsgenossen.<br />
Wolf wur<strong>de</strong> dort oft ermuntert, <strong>auf</strong> je<strong>de</strong>n<br />
Fall weiterzumachen. Aber es gab<br />
auch Stimmen, die ihm zum Abbruch<br />
rieten: Viele Chefs wür<strong>de</strong>n es sogar schätzen,<br />
wenn die Bewerber auch mal unkonventionelle<br />
Wege eingeschlagen hätten.<br />
Tatsächlich werben <strong>auf</strong> <strong>de</strong>r Internetplattform<br />
einige Unternehmen gezielt<br />
Abbrecher, um sie <strong>auf</strong> ihren eigenen Be-<br />
Fachwechsel<br />
Studieren<strong>de</strong> mit Fach- und/o<strong>de</strong>r<br />
Abschlusswechsel 2006,<br />
Angaben in Prozent<br />
20<br />
alle Hochschulen<br />
22<br />
16<br />
Universitäten Fachhochschulen<br />
SZ-Graphik: Ei<strong>de</strong>n; Quelle: Bildungsbericht 2008<br />
Alternative. 3323 grundständige<br />
und 3052 weiterführen<strong>de</strong><br />
Studienfächer sind unter<br />
www.hochschulkompass.<strong>de</strong><br />
verzeichnet. Darunter gibt es –<br />
für alle, die BWL nicht mehr<br />
ertragen können – Orchi<strong>de</strong>enfächer<br />
wie Pfer<strong>de</strong>wissenschaften,<br />
Blockflöte o<strong>de</strong>r Papyrologie.<br />
Quer<strong>de</strong>nker wer<strong>de</strong>n auch<br />
im Ausland fündig: Italienische<br />
Unis haben Blumenwissenschaften<br />
und Hun<strong>de</strong>hygiene zu bieten.<br />
In England kann man das<br />
Studienfach „Beatles“ wählen.<br />
rufsaka<strong>de</strong>mien auszubil<strong>de</strong>n. Der Studienabbruch<br />
also nicht als Makel, son<strong>de</strong>rn<br />
als Zeichen für Selbstbewusstsein und<br />
Entscheidungsfreu<strong>de</strong>?<br />
Im Hochschulteam <strong>de</strong>r Agentur für<br />
Arbeit in Berlin Mitte sieht man das kritisch.<br />
„Bevor jemand das Studium <strong>auf</strong>gibt,<br />
schauen wir uns zusammen sehr genau<br />
seine Bedürfnisse und Fähigkeiten<br />
an“, sagt Beraterin Heike Kuss. Erst<br />
wenn eine wirklich passen<strong>de</strong> Alternative<br />
gefun<strong>de</strong>n ist, wird <strong>de</strong>r Abbruch in Erwägung<br />
gezogen. Allerdings empfiehlt<br />
sie, immer langfristig zu <strong>de</strong>nken: „Arbeitsmarktpolitisch<br />
kann man es nicht<br />
an<strong>de</strong>rs sagen: Je höher jemand qualifiziert<br />
ist, <strong>de</strong>sto seltener trifft ihn die Arbeitslosigkeit.“<br />
Das Abschlusszeugnis:<br />
ein Türöffner.<br />
„Die Volkswirtschaft und ihre<br />
Theorien sind interessant.<br />
Allein, wo liegt ihr Nutzen?“<br />
Das kann Alexandra Rex bestätigen.<br />
Sie ist Personalreferentin bei einem großen<br />
Online-Versandhan<strong>de</strong>l. „Wenn sich<br />
bei uns externe Kandidaten ohne Studienabschluss<br />
für leiten<strong>de</strong> Positionen bewerben,<br />
haben sie keine Chance“, sagt<br />
sie. An<strong>de</strong>rs sieht es bei hausinternen Bewerbern<br />
aus: „Wenn ich sie kenne und<br />
<strong>von</strong> ihrer Leistung überzeugt bin, kann<br />
es auch mal ohne Studium klappen.“ Bei<br />
Kollegen stößt solche Entscheidungen<br />
manchmal <strong>auf</strong> Unverständnis. Rex<br />
bleibt dann gelassen: „Na und? Ich hab<br />
ja auch kein Diplom.“<br />
Ausweg. Viele müssen neben<br />
<strong>de</strong>m Studium jobben und brauchen<br />
länger bis zum Abschluss.<br />
Zugleich versiegt <strong>de</strong>r Geldstrom,<br />
je länger das Studium dauert:<br />
Nach <strong>de</strong>m zehnten Semester<br />
kappen die Eltern ihre finanzielle<br />
Hilfe um mehr als die Hälfte, so<br />
eine Umfrage <strong>de</strong>r stu<strong>de</strong>ntischen<br />
Unternehmensberatung Univativ<br />
in Darmstadt. Einen Ausweg<br />
können spezielle Studienabschlussdarlehen<br />
bieten. Informationen<br />
darüber gibt es bei <strong>de</strong>n<br />
Stu<strong>de</strong>ntenwerken.<br />
Die Personalreferentin hat selbst eine<br />
typische Abbrecherkarriere hinter sich.<br />
Sechs Jahre war sie in Volkswirtschaftslehre<br />
eingeschrieben. „Ich habe etliche<br />
Theorien gelernt, aber mir blieb ihr Nutzen<br />
fremd“, sagt sie. Die Freiheit, <strong>de</strong>n<br />
Stun<strong>de</strong>nplan selbst zu basteln, wur<strong>de</strong><br />
ihr zum Verhängnis. Sie wirkte wie ein<br />
Freifahrtschein zum Rumgammeln. Ein<br />
verschulteres, praxisbezogeneres Studium<br />
hätte ihr besser getan.<br />
Den Entschluss, das Studium <strong>auf</strong>zugeben,<br />
fasste Rex nicht <strong>von</strong> einem Tag <strong>auf</strong><br />
<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren. Sie wohnte zwar noch im<br />
Stu<strong>de</strong>ntenwohnheim, ging aber irgendwann<br />
nicht mehr zu <strong>de</strong>n Seminaren.<br />
Statt<strong>de</strong>ssen begann sie zu jobben, sortierte<br />
drei Jahre lang Briefe bei <strong>de</strong>r Post. Irgendwann<br />
wur<strong>de</strong> ihr schlagartig klar:<br />
So geht es nicht weiter. „Ich war 30 Jahre<br />
alt und lebte <strong>auf</strong> 20 Quadratmetern in<br />
einer Studi-WG“, sagt sie. Am meisten<br />
nervte sie die Frage: Und, was machst du<br />
so beruflich?<br />
Alexandra Rex heuerte im Callcenter<br />
eines Han<strong>de</strong>lsunternehmens an. Und<br />
dort packte sie <strong>de</strong>r Ehrgeiz. Der Job lag<br />
ihr, sie bekam viel Bestätigung. Sie arbeitete<br />
immer mehr, arbeitete sich hoch.<br />
Acht Jahre später ist sie in <strong>de</strong>r Personalabteilung<br />
angekommen. „Damit hätte<br />
ich damals nicht gerechnet.“ Manchmal<br />
<strong>de</strong>nkt sie, dass sie sich viel hätte ersparen<br />
können, wenn sie das Studium zu En<strong>de</strong><br />
gebracht hätte. Aber dann wür<strong>de</strong> ihr<br />
jetzt auch etwas fehlen: Verständnis für<br />
krumme Lebensläufe. Mit <strong>de</strong>m Knick in<br />
ihrer eigenen Biografie kann sie heute<br />
umgehen. „Die Wun<strong>de</strong> ist verheilt“, sagt<br />
sie. „Aber eine Narbe ist geblieben.“<br />
Nach <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> kommt ein <strong>Anfang</strong>. Foto: ddp<br />
Anreiz. In Hessen will man die<br />
Hochschulen locken: Nach <strong>de</strong>m<br />
Willen <strong>von</strong> Wissenschaftsministerin<br />
Eva Kühne-Hörmann (CDU)<br />
sollen Unis, die beson<strong>de</strong>rs gute<br />
Absolventenquoten vorzuweisen<br />
haben, finanziell belohnt<br />
wer<strong>de</strong>n. Eine entsprechen<strong>de</strong><br />
Gesetzesän<strong>de</strong>rung ist noch dieses<br />
Jahr geplant. Gleichzeitig<br />
sollen die Hochschulen besser<br />
beraten: „Der optimale Fall wäre,<br />
dass es durch gute Beratung<br />
keine Studienabbrecher mehr<br />
gäbe“, so Kühne-Hörmann.