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34 staunen Uni&Job<br />
Blubb, ich bin ein Schlauberger<br />
In je<strong>de</strong>m Seminar hockt min<strong>de</strong>stens einer dieser eloquenten Guidos, die einen in Angststarre versetzen.<br />
Dagegen hilft nur eines: selber lernen, wie man heiße Luft produziert<br />
Von Christina Wächter<br />
Wer nicht schon nach <strong>de</strong>m ersten Uni-<br />
Besuch völlig eingeschüchtert ist (so viel<br />
Geist und Geschichte, so schöne Treppengelän<strong>de</strong>r,<br />
so intelligent aussehen<strong>de</strong><br />
Kommilitonen), <strong>de</strong>n erwischt es normalerweise<br />
in <strong>de</strong>r ersten Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Proseminars.<br />
Nicht nur steht da vorne ein<br />
echter Professor mit Krei<strong>de</strong> am Ellbogen<br />
und einem perfekt abgenutzten Tweed-<br />
Jackett; auch die Mitseminaristen erscheinen<br />
so klug und man selbst im Gegensatz<br />
dazu gera<strong>de</strong>zu min<strong>de</strong>rbemittelt.<br />
In meinem Fall hatte dieses Proseminar<br />
<strong>de</strong>n Titel „Einführung in die Sprachphilosophie<br />
I“. Im L<strong>auf</strong>e <strong>de</strong>r ersten zwei<br />
Stun<strong>de</strong>n verwan<strong>de</strong>lte ich mich in ein<br />
angststarres Kaninchen und erwog in<br />
<strong>de</strong>n dar<strong>auf</strong>folgen<strong>de</strong>n Tagen eine radikale<br />
Neufokussierung meines Lebens in<br />
Richtung Raumpflege o<strong>de</strong>r Systemgastronomie.<br />
Nie, niemals wür<strong>de</strong> ich das<br />
Niveau <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren erreichen können!<br />
Dass ich dann doch nicht gleich in <strong>de</strong>r<br />
zweiten Woche mein Studium <strong>auf</strong>gab,<br />
verdanke ich einem Kommilitonen, <strong>de</strong>r<br />
bis heute nichts <strong>von</strong> seinem Einfluss <strong>auf</strong><br />
meine aka<strong>de</strong>mische L<strong>auf</strong>bahn weiß.<br />
Dieser junge Mann, nennen wir ihn<br />
Guido, re<strong>de</strong>te und re<strong>de</strong>te, und wenn<br />
<strong>de</strong>r Professor mal kurz zu Wort<br />
kam, dann nahm Guido das zum<br />
Anlass, noch ein bisschen mehr zu<br />
re<strong>de</strong>n. Guido erzählte nicht einfach<br />
o<strong>de</strong>r stellte Fragen, Guido<br />
stellte Behauptungen <strong>auf</strong> und erschien<br />
mir dabei überaus schlau,<br />
selbstbewusst und kompetent.<br />
Aus lauter Verzweiflung über<br />
meine eigene Dummheit und<br />
weil ich dank Guidos Re<strong>de</strong>schwall<br />
eh nicht viel notieren konnte, begann<br />
ich, seinen Ergüssen zuzuhören und stellte<br />
nach und nach fest, dass Guidos angebliche<br />
Superintelligenz, die ich ihm<br />
Stufe drei: <strong>de</strong>n Gegner durch<br />
stakkatoartiges Hervorbrüllen<br />
<strong>von</strong> Fachtermini ausschalten<br />
großzügig unterstellt hatte, vor allem darin<br />
bestand, die Sätze <strong>de</strong>s Dozenten fast<br />
wortlaut zu wie<strong>de</strong>rholen und sie dabei<br />
als eigene Erkenntnisse zu verk<strong>auf</strong>en.<br />
Diese Einsicht traf mich wie ein Blitz:<br />
Neben <strong>de</strong>n zwei, drei wirklich schlauen<br />
Mitstu<strong>de</strong>nten saß eine Menge ganz normaler<br />
Menschen da neben mir in diesem<br />
Raum, die nicht intelligenter waren als<br />
ich. Sie beherrschten nur im Gegensatz<br />
zu mir schon eine wichtige Stu<strong>de</strong>nten-<br />
Disziplin: Sie konnten bluffen und betrieben<br />
diesen Sport mit einer bewun<strong>de</strong>rnswerten<br />
Ausdauer.<br />
Im L<strong>auf</strong>e meiner Feldstudien, die bis<br />
zum En<strong>de</strong> meines nicht gera<strong>de</strong> im<br />
Schnelldurchl<strong>auf</strong> absolvierten Studiums<br />
andauerten, stellte ich fest, dass es<br />
verschie<strong>de</strong>ne Formen <strong>de</strong>s Bluffens gibt,<br />
die sich in drei Hauptgruppen unterteilen<br />
lassen: Die Blen<strong>de</strong>r, die ihre Ahnungslosigkeit<br />
vorzüglich durch möglichst<br />
häufige Erwähnung ihrer Lebenserfahrungen<br />
überblen<strong>de</strong>n; die Ablenker,<br />
die je<strong>de</strong>s Thema immer wie<strong>de</strong>r <strong>auf</strong> die<br />
paar Fakten herunterbrechen, die sie<br />
herbeten können. Und die Fortgeschrit-<br />
Und dann fing ich an, haarsträuben<strong>de</strong> Behauptungen <strong>auf</strong>zustellen. Das stärkte mein Selbstbewusstsein.<br />
tenen, die durch stakkatoartiges Hervorbrüllen<br />
<strong>von</strong> Fachtermini <strong>de</strong>n Gesprächspartner<br />
zur Verzweiflung und dazu bringen,<br />
die Kommunikation abzubrechen.<br />
Und dann begann ich irgendwann,<br />
selbst zu bluffen. Wenn mir nach Mitarbeit<br />
war, mel<strong>de</strong>te ich mich zu Wort, verwen<strong>de</strong>te<br />
pro Satz drei Fachbegriffe, die<br />
ich abends kurz vor <strong>de</strong>m Schlafen im<br />
Fremdwörterlexikon nachgeschlagen<br />
hatte, und kam damit durch. Immer.<br />
Bluffen brachte mich weiter, es half<br />
mir, mein Selbstbewusstsein <strong>auf</strong>zupolieren,<br />
und vor allem fühlte ich mich<br />
wie eine wirkliche Stu<strong>de</strong>ntin. Und auch<br />
außerhalb <strong>de</strong>r Uni konnte ich <strong>auf</strong> einmal<br />
beim Erwachsenenspiel mitmachen.<br />
In Diskussionen mit Freun<strong>de</strong>n stellte<br />
ich haarsträuben<strong>de</strong> Behauptungen <strong>auf</strong>,<br />
in Kneipenrun<strong>de</strong>n spielte ich mentales<br />
Armdrücken mit an<strong>de</strong>ren Schlaubergern,<br />
und in Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen mit<br />
Vorgesetzten blieb ich ebenfalls erstaunlich<br />
ruhig. Denn ich wusste, dass wir alle<br />
nur ein Spiel spielen: „So tun als ob“ ist<br />
eine <strong>de</strong>r häufigsten Verhandlungsstrategien<br />
im Erwachsenenleben. Wir tun so,<br />
als wären wir reizend und strotzten nur<br />
so vor Charme und Witz, wenn wir einen<br />
Menschen dazu bringen wollen, uns zu<br />
Illustration: Sylvia Neuner<br />
lieben. Wir tun so, als hätten wir alles im<br />
Griff, wenn <strong>de</strong>r Chef am Schreibtisch<br />
vorbeikommt, auch wenn wir in Wahrheit<br />
in <strong>de</strong>r letzten halben Stun<strong>de</strong> nicht<br />
mal ein lächerliches Solitär-Spiel gegen<br />
<strong>de</strong>n Computer gewonnen haben. Wir tun<br />
so, als wüssten wir, wie das mit <strong>de</strong>m Erwachsensein<br />
funktioniert, obwohl wir in<br />
Wahrheit vor lauter Angst vor <strong>de</strong>m Arzt,<br />
<strong>de</strong>m Finanzamt und <strong>de</strong>r Verantwortung<br />
nachts nicht schlafen können. Denn wir<br />
haben keine Alternative. Wir müssen so<br />
lange tun als ob, bis wir es uns selbst<br />
glauben. Dann können wir es vielleicht<br />
irgendwann wirklich.