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20 reisen Uni&Job<br />
Kunming wächst weiter: Die Provinzhauptstadt im Südwesten Chinas hat schon jetzt mehr als fünf Millionen Einwohner. Für die vielen Zuwan<strong>de</strong>rer wer<strong>de</strong>n l<strong>auf</strong>end<br />
neue Stadtteile aus <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n gestampft. Aachener Stu<strong>de</strong>nten haben die Planungen unter die Lupe genommen. Foto: laif<br />
Trip in die Trabantenstadt<br />
Vom Slum zur Megacity: Chinesische Stadtplanung ist rigoros, brachial und monumental. Das hat eine Gruppe <strong>von</strong> Aachener<br />
Architektur-Stu<strong>de</strong>nten festgestellt, die in einem Workshop an <strong>de</strong>r Universität <strong>von</strong> Kunming ein Bauprojekt begleitet haben<br />
Von Sarah-Kristin Merz<br />
und Sylvia Carola Schuster<br />
5. September. Vor drei Jahren hat Lian<br />
Wang sein Architekturstudium bei uns<br />
an <strong>de</strong>r Fachhochschule Aachen been<strong>de</strong>t.<br />
Jetzt ist er Assistent an <strong>de</strong>r Uni im südchinesischen<br />
Kunming und hat uns eingela<strong>de</strong>n,<br />
in einem Workshop gemeinsam<br />
mit seinen Stu<strong>de</strong>nten einen Masterplan<br />
zur Neubebauung eines Stadtteils für<br />
100 000 Menschen zu erarbeiten – Kunming<br />
hat viele Zuwan<strong>de</strong>rer und muss<br />
ständig Platz für neue Bewohner schaffen.<br />
Das Projekt gibt es wirklich, aber<br />
unsere Arbeit ist natürlich ein Planspiel.<br />
Die Kin<strong>de</strong>r, die hier im<br />
Dreck spielen, wer<strong>de</strong>n<br />
bald umziehen müssen<br />
6. September. Zwei Stu<strong>de</strong>ntinnen <strong>de</strong>r<br />
Kunming University of Science and<br />
Technology holen uns vom Flughafen ab<br />
und bringen uns zum Gästehaus. Der<br />
Verkehr ist hektisch. Menschen transportieren<br />
große Lasten <strong>auf</strong> Fahrrä<strong>de</strong>rn.<br />
Überall sieht man kleine Verk<strong>auf</strong>sstän<strong>de</strong>.<br />
Im überfüllten öffentlichen Bus erreichen<br />
wir – neun Kommilitonen und unser<br />
Professor Dietmar Castro – die Uni,<br />
<strong>auf</strong> einem <strong>de</strong>r drei Campusgelän<strong>de</strong> Kunmings<br />
gelegen. Ein bewachtes Eingangstor<br />
und ein menschenleerer, weitläufiger<br />
Vorplatz unterschei<strong>de</strong>n die Hochschule<br />
<strong>von</strong> unserer in Aachen. Von außen<br />
wirkt <strong>de</strong>r Gebäu<strong>de</strong>komplex verhältnismäßig<br />
mo<strong>de</strong>rn und gepflegt, die Hörsäle<br />
und Gänge sind jedoch verschmutzt<br />
mit Zigarettenstummeln und an<strong>de</strong>ren<br />
Abfällen. Der größte Teil <strong>de</strong>r 27 000 Stu<strong>de</strong>nten<br />
lebt in <strong>de</strong>n angrenzen<strong>de</strong>n Wohnheimen.<br />
Nach Geschlechtern getrennte<br />
Gebäu<strong>de</strong> bieten in kleinen Vierbettzimmern<br />
kaum Platz zum Wohnen, Lernen<br />
und Leben. Zum Einstieg besuchen wir<br />
eine ökologische Siedlung am Rand <strong>de</strong>r<br />
Stadt. Kunming ist die Hauptstadt <strong>de</strong>r<br />
Provinz Yunnan. Sie liegt knapp 1900<br />
Meter über <strong>de</strong>m Meeresspiegel, und das<br />
macht sich bemerkbar. Bei angenehmen<br />
25 Grad Wärme – Kunming heißt wegen<br />
<strong>de</strong>s ganzjährig mil<strong>de</strong>n Klimas „Stadt<br />
<strong>de</strong>s ewigen Frühlings“ – sind wir schon<br />
nach kleinen Fußmärschen erschöpft –<br />
die dünne Luft ist ungewohnt.<br />
Ein Führer erklärt uns, dass man beim<br />
Bau <strong>de</strong>r einzelnen Wohnhäuser dar<strong>auf</strong><br />
geachtet hat, möglichst wenig in die Natur<br />
einzugreifen. Natürlich aussehen<strong>de</strong><br />
Wasserläufe und ein See prägen das Bild<br />
<strong>de</strong>r Siedlung, das Ableiten und die Reinigung<br />
<strong>de</strong>s Abwassers spielen eine wichtige<br />
Rolle. Nur: Was bringt die Reinigung<br />
<strong>von</strong> Abwasser, das später wie<strong>de</strong>r mit<br />
ungereinigten Abwässern zusammengeführt<br />
wird? Und was hilft Mülltrennung<br />
in <strong>de</strong>r vorbildlichen Siedlung, wenn die<br />
Müllabfuhr nicht dar<strong>auf</strong> eingestellt ist?<br />
7. September. Bevor unser eigentlicher<br />
Workshop beginnt, haben wir heute die<br />
Gelegenheit, unsere Zeichenkünste zu<br />
verbessern. Wir besuchen dazu Longmen,<br />
das Drachentor in <strong>de</strong>n Westbergen<br />
<strong>von</strong> Kunming. Hier haben wir die schöne<br />
Möglichkeit, traditionelle chinesische<br />
Gebäu<strong>de</strong> zu zeichnen.<br />
8. September. In <strong>de</strong>r Universität lernen<br />
wir die Stu<strong>de</strong>nten kennen, mit <strong>de</strong>nen wir<br />
zusammenarbeiten wer<strong>de</strong>n. Schnell sind<br />
drei Gruppen gefun<strong>de</strong>n, jeweils bestehend<br />
aus drei <strong>de</strong>utschen und etwa doppelt<br />
so vielen chinesischen Stu<strong>de</strong>nten.<br />
Gemeinsam machen wir uns per Bus <strong>auf</strong><br />
<strong>de</strong>n Weg, um das Gebiet zu besichtigen,<br />
um das sich unsere städtebaulichen<br />
Überlegungen drehen sollen. „Unser“<br />
Planungsgebiet grenzt zur einen Seite<br />
an <strong>de</strong>n Flughafen, zur an<strong>de</strong>ren an die<br />
„Century Town“, das größte Bauprojekt<br />
in ganz China im Jahr 2007. Als wir inmitten<br />
<strong>von</strong> Century Town anhalten, erscheint<br />
uns die Umgebung irreal. Wo<br />
man auch hinschaut, überall gleichartige<br />
Gebäu<strong>de</strong>. Wohnhäuser, sechzehn<br />
Stockwerke hoch, mit grau gekachelten<br />
Fassa<strong>de</strong>n, grünen Fensterrahmen und<br />
kleinen „barocken“ Balkonen samt Box<br />
für die Klimaanlage. Für <strong>de</strong>n Bewohner<br />
äußert sich die „I<strong>de</strong>ntität“ seiner Wohnung<br />
ausschließlich in einer Straßen-<br />
Deutsch-chinesische Gruppenarbeit an<br />
<strong>de</strong>r Uni <strong>von</strong> Kunming. Foto: Schuster<br />
und einer Hausnummer. Wer sein Wohnsilo<br />
betreten will, muss einen Ziffernco<strong>de</strong><br />
eingeben, damit ihn <strong>de</strong>r Wachmann<br />
passieren lässt. Alle Straßen <strong>de</strong>r Century<br />
Town haben eines gemeinsam: Sie sind<br />
menschenleer.<br />
Das benachbarte Gebiet, unser eigentliches<br />
Planungsterrain, ist <strong>de</strong>r totale<br />
Gegensatz – noch. Einige mehrstöckige<br />
Häuser sind in einem äußerlich guten Zustand,<br />
an<strong>de</strong>re niedrige Lehmhäuser erwecken<br />
<strong>de</strong>n Eindruck, als wür<strong>de</strong>n sie<br />
je<strong>de</strong>n Moment in sich zusammenfallen.<br />
Familien hocken vor ihren Häusern neben<br />
einer kleinen Feuerstelle und essen<br />
o<strong>de</strong>r unterhalten sich. Vor einem Haus-<br />
eingang liegen Früchte zum Trocknen in<br />
<strong>de</strong>r Sonne. Wir folgen <strong>de</strong>m unbefestigten<br />
Pfad in die Siedlung hinein. Aus <strong>de</strong>n<br />
heruntergekommenen Häusern führen<br />
Rohre, die Fäkalien in einen Bach ableiten.<br />
Der Gestank ist ekelerregend,<br />
und allein <strong>de</strong>r Gedanke daran, dass das<br />
am Ufer angepflanzte Gemüse gegessen<br />
wird, verursacht Übelkeit. Die im Dreck<br />
spielen<strong>de</strong>n, halbnackten Kin<strong>de</strong>r besuchen<br />
keine Schule. Sie wissen noch<br />
nicht, dass ihnen ein Umzug bevorsteht.<br />
Im Rahmen <strong>de</strong>r Neustrukturierung <strong>de</strong>s<br />
Stadtteils wer<strong>de</strong>n die alten Häuser und<br />
Geschäfte abgerissen. Entschädigungen<br />
gibt es nicht.<br />
Unsere chinesische Kommilitonen raten<br />
uns, nicht weiter darüber nachzu<strong>de</strong>nken.<br />
Als wir trotz<strong>de</strong>m unsere Bestürzung<br />
äußern, reagiert eine <strong>de</strong>r Stu<strong>de</strong>ntinnen<br />
mit einem Vortrag über ihre Ziele:<br />
Sie wer<strong>de</strong> künftig Menschen helfen, ihre<br />
verwahrlosten Häuser durch mo<strong>de</strong>rne<br />
Wohnungen mit besserer Hygiene zu ersetzen.<br />
Wir fragen uns, ob sie weiß, dass<br />
die Menschen, die jetzt hier leben, die<br />
Mieten in <strong>de</strong>m geplanten Großprojekt<br />
nicht wer<strong>de</strong>n zahlen können.<br />
9. September. Unser Seminarraum erinnert<br />
ein bisschen an ein Klassenzimmer<br />
einer <strong>de</strong>utschen Grundschule. Wir schieben<br />
die kleinen Pulte zurecht, um Gruppentische<br />
zu schaffen und sind sehr<br />
motiviert, an die Arbeit zu gehen. Es gibt<br />
bereits einen Masterplan, <strong>auf</strong> <strong>de</strong>m zum<br />
Beispiel Straßenzüge sowie Geschäftsund<br />
Wohnflächen eingetragen sind. Unsere<br />
Aufgabe ist es nun, diesen Plan zu<br />
analysieren und kritisch zu hinterfragen.<br />
Umgangssprache ist Englisch, was<br />
sich schnell als Problem herausstellt.<br />
Einige <strong>de</strong>r chinesischen Kommilitonen<br />
sprechen wenig Englisch, an<strong>de</strong>re gar<br />
nicht. Kein Wun<strong>de</strong>r, dass es schnell zu<br />
Missverständnissen kommt.