Korridore für Wildtiere in der Schweiz - Schweizer ...

Korridore für Wildtiere in der Schweiz - Schweizer ... Korridore für Wildtiere in der Schweiz - Schweizer ...

06.12.2012 Aufrufe

Zunächst soll dargelegt werden, wieso für terrestrische Tiere eine überregionale Vernetzung verschiedener Lebensräume notwendig ist und welche gesetzlichen Grundlagen dazu bestehen. Im Weiteren wird gezeigt, welche Distanzen Individuen verschiedener Tiergruppen für Wanderungen oder Ausbreitungsbewegungen zurücklegen können. Das Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz (NHG) hat zum Zweck, die einheimische Tier- und Pflanzenwelt und ihren natürlichen Lebensraum zu schützen (Art. 1). Ein umfassender Schutz der Tierwelt sollte bewirken, dass Tiere soweit möglich ihrem artspezifischen Verhalten gemäss leben können. Rothirsche z.B. sind auf Wanderrouten zwischen den Sommer- und Winterlebensräume angewiesen. Auch viele Amphibien oder Reptilien sowie Wirbellose machen teilweise saisonale Wanderungen, allerdings über kleinere Distanzen. In Art. 18 NHG wird ausdrücklich gesagt, dass dem Aussterben einheimischer Tierund Pflanzenarten durch die Erhaltung genügend grosser Lebensräume und andere geeignete Massnahmen entgegenzuwirken ist. Bei Tierarten mit extrem grossen Aktionsräumen, wie z.B. dem Luchs mit 100–400 km 2 pro Individuum (BREITEN- MOSER 1995), müssten die geeigneten Areale der Schweiz und der angrenzenden Länder vernetzt sein, damit der Luchs eine langfristig überlebensfähige Population aufbauen kann (Minimum Viable Population, MVP). Die MVP ist von der Tierart sowie der Wahrscheinlichkeit und der Zeitdauer des Überlebens abhängig und variiert daher stark. Zudem sind es je nach Art unterschiedliche Faktoren, die zu Problemen führen und die MVP beeinflussen (GILPIN & SOULÉ 1986). Beim Grizzly z.B. wurde berechnet, dass die Population des Yellowstone (USA) mindestens 125 Bären umfassen muss, damit das Überleben für die nächsten 100 Jahre gesichert ist (SUCHY et al. 1985). Wenn man davon ausgeht, dass eine Population mit 99prozentiger Wahrscheinlichkeit die nächsten 1000 Jahre überleben soll und berücksichtigt, dass nicht alle Individuen einen Teil ihrer Gene an die nächste Generation weitergeben, so müsste die MVP auf 2500–5000 Individuen veranschlagt werden (NUNNEY & CAMPBELL 1993). Das Ziel der Erhaltungsmassnahmen ist aber nicht das Erreichen der MVP, sondern ihr Überschreiten – wenn möglich um ein Vielfaches – da die MVP immer als kritische untere Populationsgrösse betrachtet wird. Genügend grosser Lebensraum bedeutet jedoch nicht, dass nirgends menschliche Nutzung möglich ist, sondern dass grosse Kerngebiete über Korridore verbunden sind (Abbildung 1). Geeignete Korridore sind im Vergleich zum Umfeld ökologisch hochwertiger und können z.B. kleinere Biotope enthalten, die als sogenannte Trittsteinbiotope gelten. Laut Art. 15 der Verordnung über den Natur- und Heimatschutz (NHV) wird mittels des ökologischen Ausgleichs ein solches Verbundsystem von Biotopen angestrebt. Dies führt zum Konzept von Metapopulationen, bei dem benachbarte Bestände einer Art nicht vollständig voneinander isoliert sind. Der Übertritt einzelner Individuen zwischen den Teilpopulationen erhält oder erhöht die genetische Variabilität, zudem können Teilpopulationen durch Einwanderungen aus anderen Teilpopulationen aufrechterhalten oder im Extremfall nach einem lokalen Aussterben durch Individuen aus anderen Teilpopulationen neu gegründet werden. 2 Raumbedarf verschiedener Tierarten 21

Abbildung 1: Schema vernetzter Wildtierlebensräume (aus Pfister et al. 1994). Die Skizze zeigt einen grösseren und kleineren Lebensraum eines Einzeltieres bzw. einer Tiergruppe. Im Kerngebiet (dunkelgrau) befinden sich die wichtigsten Standorte für Aufzucht (A), Deckung (D) und Nahrung (N). Im Umfeld befinden sich die Streifgebiete (mittelgrau), welche Nahrungsgebiete innerhalb des durchschnittlichen Aktionsradius aufweisen. Die Einzellebensräume sind über Korridore (K) verbunden, welche vor allem Deckung, z.T. auch Nahrung und gelegentlich Aufzuchtsplätze bieten. Sogenannte „Trittsteine“ (T) haben als Vernetzungselemente eine ähnliche Funktion wie Korridore, weil die Wildtiere sie zum Wechseln zwischen Kerngebieten benutzen. Offenes Land (O) wird gemieden, wenn sich darin nicht erreichbare Deckungen und Nahrungsgebiete befinden. Die Pfeile verdeutlichen die Bewegungen im System. Die Umwelt der Tiere und Pflanzen verändert sich, wobei die Bandbreite im negativen Fall von schleichenden bis zu katastrophenartigen Veränderungen gehen kann. Die Veränderungen können vom Menschen verursacht sein (z.B. Klimaerwärmung; Einführung von neuen Arten beispielsweise für die Schädlingsbekämpfung; Strassenbau; Trockenlegen von Feuchtgebieten) oder einen natürlichen Ursprung haben (Überschwemmung, Windwurf, Waldbrand). Im Zusammenhang mit Wildtierkorridoren sind bei Tieren im wesentlichen zwei Prozesse zur Vermeidung eines lokalen Aussterbens wichtig: die Erhaltung einer grossen genetischen Variabilität sowie die 22 Korridore für Wildtiere in der Schweiz

Abbildung 1: Schema vernetzter Wildtierlebensräume (aus Pfister et al. 1994). Die Skizze zeigt e<strong>in</strong>en<br />

grösseren und kle<strong>in</strong>eren Lebensraum e<strong>in</strong>es E<strong>in</strong>zeltieres bzw. e<strong>in</strong>er Tiergruppe. Im Kerngebiet<br />

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Die Umwelt <strong>der</strong> Tiere und Pflanzen verän<strong>der</strong>t sich, wobei die Bandbreite im negativen<br />

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Die Verän<strong>der</strong>ungen können vom Menschen verursacht se<strong>in</strong> (z.B. Klimaerwärmung;<br />

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