Michael Gehler Finis Neutralität? - Archive of European Integration
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<strong>Finis</strong> <strong>Neutralität</strong>?<br />
europäische Außen- und Verteidigungspolitik sowie die Aufstellung einer<br />
europäischen Streitmacht implizierten.<br />
Eine entsprechende publizistische Einflußnahme und mediale Bearbeitung<br />
der nationalen Öffentlichkeiten wie auch Debattenbeiträge von Sicherheitsexperten<br />
trugen zu einer teilweisen Öffnungsbereitschaft in der Sicherheitspolitik<br />
der (ehemals) Neutralen bei. Der Bedeutungswandel der <strong>Neutralität</strong><br />
wurde von den politischen Eliten zwar erkannt und entsprechend<br />
auch ihr weiterer Erosionsprozeß betrieben, mit Blick auf den politischen<br />
Handlungsbedarf sind die Haltungen aber geteilt, von weiten Teilen der<br />
Schweizer und österreichischen Bevölkerung (besonders der mittleren und<br />
älteren Generation) wird <strong>Neutralität</strong> nach wie vor sehr geschätzt und beizubehalten<br />
gewünscht, zumal sie sich gefühlsmäßig stark an diese Art nationale<br />
Kategorie gebunden fühlen. In Schweden und Finnland ist diese Einstellung<br />
auch vorhanden, aber sie scheint tendenziell weniger ausgeprägt,<br />
zumal dort auch ein stärkerer sicherheitspolitischer Realismus vorhanden<br />
sein dürfte. Es verwundert jedoch insgesamt nicht, daß keiner der betreffenden<br />
Staaten formell um einen NATO-Beitritt angesucht hat oder WEU-<br />
Mitglied ist. Es galt und gilt abzuwarten, wie sich die GESVP weiterentwickelt,<br />
was die Aufnahme mittelost- und südosteuropäischer Staaten bewirken<br />
und v.a. wie Rußland reagieren wird. Die <strong>Neutralität</strong> ist noch nicht Bestandteil<br />
„der Schatzkammer“ in der Wiener H<strong>of</strong>burg, wie dies ein konservativer<br />
Politiker in Österreich einmal gesagt hat, sondern wird aus der Sicht<br />
ihrer Befürworter und Anhänger mit dieser „wait and see-policy“ ganz bewußt<br />
immer noch in Reserve gehalten.<br />
Sollte die Fusion von WEU und EU konkrete Gestalt annehmen, schlägt<br />
jedoch sowohl für allianzfreie als auch für noch neutrale Staaten in der EU<br />
die Stunde der Wahrheit. Artikel 5 des WEU-Vertrags inkludiert viel extensivere<br />
Beistandsbestimmungen als der der alten NATO. Diese selbst ist<br />
zum schwerlich ersetzbaren Rückgrat euro-atlantischer Sicherheitspolitik<br />
geworden. Im Unterschied zur Vision einer integrierten zweiten Säule der<br />
EU bot sie in der 2. Hälfte der 90er Jahre als intergouvernementales System<br />
die Chance zur Wahrung neutralitäts- und souveränitätspolitischer Anlie-<br />
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