Michael Gehler Finis Neutralität? - Archive of European Integration
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80 Michael Gehler Die Regierungskoalition SPÖ-ÖVP konnte bis zum Ablauf ihrer Amtszeit (1995-1999) schließlich keinen sicherheitspolitischen Konsens herstellen. Das Ringen um die Erstellung des gemeinsamen „Optionenberichts“, ein von Experten des Bundeskanzleramtes, des Außen- und Verteidigungsministeriums zu verfassenden Dokuments, verkam kurz vor der anvisierten dead line zu einer Farce. Heinrich Schneider nannte es „ein Lehrstück politischen Scheiterns“. Wie ist dieses zu interpretieren? Das Koalitionsabkommen von 1996 konnte eigentlich nicht anders verstanden werden, als eine Weichenstellung weg von der Neutralität hin zu einer verteidigungsbezogenen „Solidarität“ vorzunehmen. Die Distanzierung der SPÖ von dieser Absichtserklärung und ihre Weigerung, eine NATO-Mitgliedschaft in die Zukunftsperspektiven der Sicherheitspolitik einzubeziehen, die Volkspartei verweigerte ihrerseits eine Zustimmung bei Fehlen eines derartigen Passus, machte eine regierungspolitische Einigung in dieser Frage unmöglich. Die Große Koalition war in der Sicherheitspolitik bereits Ende März 1998 gescheitert. Schneider gelangt zu dem kritischen Urteil, daß die offen gebliebene Kontroverse das „Zutrauen in die Vernünftigkeit der österreichischen Politik“ nicht gerade gefördert habe und dies war sehr gewogen, ja überaus freundlich formuliert. 212 Fast bis zuletzt haben die politischen Eliten in Österreich vermieden, die neutralitätspolitischen Konsequenzen ihrer Politik offen zu artikulieren und offensiv anzugehen. Der am 2. Oktober 1997 unterzeichnete Vertrag von Amsterdam, der nach einer lebhaften Debatte vom Nationalrat am 18. Juni 1998 ratifiziert worden ist – in Kraft ist dieser seit dem 1. Mai 1999 -, sieht eine Verschmelzung von WEU und EU sowie eine Gemeinsame Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GESVP) vor. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen hatte das österreichische politische System bis zum Ende des 20. Jh. noch nicht gezogen. Damit hätten die maßgeblichen Vertreter der Alpenrepublik wohl ihre bisherige Politik der ökonomischen, politischen und militärischen Integration massiv gefährdet. Nur mit Ausklammerung, Tabuisierung und Verdrängung dieses heiklen Themas, wel- 212 Ebd., S. 95.
Finis Neutralität? ches in der Bevölkerung immer noch hohe Sympathiewerte besitzt, konnte „dieser Politik der nicht deklarierten Aushöhlung der österreichischen Neutralität“ (Anton Pelinka) bisher überhaupt Erfolg beschieden sein. 213 Der Wahlkampf von 1999 stand dann auch weit weniger im Zeichen des Für und Wider eines NATO-Beitritts, sondern war vor allem auf personelle Aspekte wie die Frage des geeigneten Kanzlerkandidaten konzentriert. Die seit 4. Februar 2000 gebildete ÖVP-FPÖ-Regierung verfolgte, wenngleich nicht frei von Dissonanzen, 214 einen WEU- und NATO-Beitrittskurs, weist hierfür aber nicht die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit für die Suspendierung des BVG über die immerwährende Neutralität im Parlament auf. Sozialdemokraten und Grüne haben sich seither als besonders vehemente Fürstreiter der Beibehaltung der Neutralität im Nationalrat gegen „Schwarz-Blau“ munitioniert. Die Sicherheitsdebatte flackert von Zeit zu Zeit auf, bis heute ist es aber noch zu keiner Entscheidung gekommen. Aufgrund der Pläne von Verteidigungsminister Herbert Scheibner (FPÖ), der zuletzt wissen ließ, daß Österreich nur mehr allianzfrei (er sprach „von einer praktisch bestehenden ‚Bündnisfreiheit’ Österreichs“) sei, was den Realitäten entspricht, soll es zur Erarbeitung einer neuen Landesverteidigungsdoktrin für den Herbst 2001 kommen. Der EU-Abgeordnete Hannes Swoboda (SPÖ), der sich 1996 noch zur Einschätzung verstiegen hatte, „daß sich die WEU über kurz oder lang auflösen wird“ 215 , stellte entgegen der eigenen Parteiauffassung im Juni 2001 fest, daß Österreich „pakt-ungebunden“ sei und er sich eine „offene Diskussion“ über Neutralität und Beistandspflicht in Österreich wünsche. 216 Im Februar hatte er schon seine Parteifreunde davor gewarnt, bei der Sicherheitsdebatte den Anschluß zu verlieren, 217 während Außenministerin Benita Ferrero-Waldner (ÖVP) erklärte, die Neutralität sei „inhaltslos“, allerdings mit einem nicht unwichtigen Zusatz: „zumindest 213 Vorwort von Anton Pelinka, Für eine neutralitätspolitische Debatte, in: Heidegger/Steyrer, NATO-Streit in Österreich, S. 10-12, hier S. 11. 214 „Auch unter Schwarz-Blau bleibt NATO-Kurs wacklig“, Die Presse, 18. September 2000. 215 Der Standard, 1. Juli 1996. 216 Skoog, Österreich und Schweden auf dem Sprungbrett zur EU, S. 118. 217 „Swoboda zu Neutralität: ‚Dürfen uns nicht eingraben’“, Die Presse, 23. Februar 2001. 81
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ches in der Bevölkerung immer noch hohe Sympathiewerte besitzt, konnte<br />
„dieser Politik der nicht deklarierten Aushöhlung der österreichischen<br />
<strong>Neutralität</strong>“ (Anton Pelinka) bisher überhaupt Erfolg beschieden sein. 213<br />
Der Wahlkampf von 1999 stand dann auch weit weniger im Zeichen des<br />
Für und Wider eines NATO-Beitritts, sondern war vor allem auf personelle<br />
Aspekte wie die Frage des geeigneten Kanzlerkandidaten konzentriert. Die<br />
seit 4. Februar 2000 gebildete ÖVP-FPÖ-Regierung verfolgte, wenngleich<br />
nicht frei von Dissonanzen, 214 einen WEU- und NATO-Beitrittskurs, weist<br />
hierfür aber nicht die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit für die Suspendierung<br />
des BVG über die immerwährende <strong>Neutralität</strong> im Parlament auf. Sozialdemokraten<br />
und Grüne haben sich seither als besonders vehemente Fürstreiter<br />
der Beibehaltung der <strong>Neutralität</strong> im Nationalrat gegen „Schwarz-Blau“<br />
munitioniert. Die Sicherheitsdebatte flackert von Zeit zu Zeit auf, bis heute<br />
ist es aber noch zu keiner Entscheidung gekommen. Aufgrund der Pläne<br />
von Verteidigungsminister Herbert Scheibner (FPÖ), der zuletzt wissen<br />
ließ, daß Österreich nur mehr allianzfrei (er sprach „von einer praktisch<br />
bestehenden ‚Bündnisfreiheit’ Österreichs“) sei, was den Realitäten entspricht,<br />
soll es zur Erarbeitung einer neuen Landesverteidigungsdoktrin für<br />
den Herbst 2001 kommen. Der EU-Abgeordnete Hannes Swoboda (SPÖ),<br />
der sich 1996 noch zur Einschätzung verstiegen hatte, „daß sich die WEU<br />
über kurz oder lang auflösen wird“ 215 , stellte entgegen der eigenen Parteiauffassung<br />
im Juni 2001 fest, daß Österreich „pakt-ungebunden“ sei und er<br />
sich eine „<strong>of</strong>fene Diskussion“ über <strong>Neutralität</strong> und Beistandspflicht in Österreich<br />
wünsche. 216 Im Februar hatte er schon seine Parteifreunde davor<br />
gewarnt, bei der Sicherheitsdebatte den Anschluß zu verlieren, 217 während<br />
Außenministerin Benita Ferrero-Waldner (ÖVP) erklärte, die <strong>Neutralität</strong><br />
sei „inhaltslos“, allerdings mit einem nicht unwichtigen Zusatz: „zumindest<br />
213 Vorwort von Anton Pelinka, Für eine neutralitätspolitische Debatte, in: Heidegger/Steyrer,<br />
NATO-Streit in Österreich, S. 10-12, hier S. 11.<br />
214 „Auch unter Schwarz-Blau bleibt NATO-Kurs wacklig“, Die Presse, 18. September<br />
2000.<br />
215 Der Standard, 1. Juli 1996.<br />
216 Skoog, Österreich und Schweden auf dem Sprungbrett zur EU, S. 118.<br />
217 „Swoboda zu <strong>Neutralität</strong>: ‚Dürfen uns nicht eingraben’“, Die Presse, 23. Februar<br />
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