Michael Gehler Finis Neutralität? - Archive of European Integration
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78 Michael Gehler gen, dem Parlament berichtet und dann eine Option als die den Erfordernissen entsprechende zur Grundlage der zukünftigen Politik gemacht werden. Verschiedene Varianten konnten ursprünglich erwogen werden: Wahrung des Status quo; verstärkte Betonung der dauerhaften Neutralität bei Erhöhung der Verteidigungsausgaben; Anstrengungen zu einer Kooperation aller EU-Nicht-Bündnismitglieder (Dänemark, was die WEU anlangt, Irland, Finnland, Schweden und Österreich); Bemühungen zum Ausbau der OSZE als völkerrechtliches Institut mit verbesserter Entscheidungskompetenz zu einer regionalen Organisation kollektiver Sicherheit als Art „Euro-UNO“; Abschwächung und Modifizierung des neutralen Status mit Blick auf eine „differentielle“ Neutralität; Absage an die „immerwährende“ Neutralität zugunsten der Allianzfreiheit und Steigerung der eigenen Handlungsfreiheit ohne Bündnisbeitritt; Aufrechterhaltung des Neutralitätsstatus unter Mitwirkung an Zusammenarbeitsformen (PfP, enhanced PfP, Aufwertung des Beobachterstatus bei der WEU etc.); WEU-Beitritt ohne NATO- Mitgliedschaft?; NATO-Beitritt ohne WEU-Zugehörigkeit?; Beitritt zur WEU und NATO. Bemerkenswerterweise sind nur zwei Möglichkeiten konkretisiert worden: Die Abweisung eines Entscheidungsbedarfs, d.h. Einfrierung des Status quo, bzw. als weiterführende Option die Beschäftigung mit der Möglichkeit eines WEU-Beitritts. Es handelte sich also um eine Politik des Abwartens, welchen Verlauf die EU- Regierungskonferenzen und die europäische Sicherheitspolitik nehmen würde. 209 Deutlich wurde im weiteren Verlauf der Debatte, daß die ÖVP (v.a. Klubobmann Andreas Khol und Vizekanzler Schüssel) eine WEU- und NATO-Beitrittsoption forcierte, während von Teilen der SPÖ-Spitze (Nationalratspräsident Heinz Fischer und Klubobmann Peter Kostelka) diesbezüglich Blockierungstendenzen zum Ausdruck kamen. Die Volkspartei legte sich am 14. Juli 1997 auf eine Mitgliedschaft in der Atlantischen Allianz fest, was von den Sozialisten als Einengung des Erarbeitungsspielraums für den „Optionenbericht“ interpretiert wurde. Angesichts der Stimmung in der Bevölkerung - im Februar 1998 sprachen sich 65% gegen einen NATO- 209 Ebd., S. 33-36.
Finis Neutralität? Beitritt aus - und nicht unerheblicher neutralistischer Potentiale in ihrer Führung setzte die SPÖ auf eine reservierte Position, die auf die Schaffung eines gesamteuropäischen Systems kollektiver Sicherheit zielte. Es folgte ein „Hin und Her der Positionen“ (Heinrich Schneider), d.h. die Fortsetzung der vorher bereits erkennbaren Zweideutigkeiten, wobei eine krasse Diskrepanz zwischen Solidaritätszusagen nach außen zu den Neutralitätsversicherungen nach innen bestand. Diese Vorgänge führten zu erstaunlichen rhetorischen Verrenkungen wie in früheren Zeiten, als z.B. noch der frühere Außenminister Alois Mock 1993 und Verteidigungsminister Werner Fasslabend 1994 in heimischen Medien verlauten ließen, eine NATO- Mitgliedschaft sei mit der Neutralität vereinbar! Fasslabend verstieg sich sogar zur Feststellung, daß „die WEU, zumindest zur Zeit, den Charakter einer Sicherheitsgemeinschaft und nicht so sehr eines Militärbündnisses“ habe – hinsichtlich des Artikel 5 (unbedingte Pflicht zur Beistandsleistung) eine bemerkenswerte Aussage. 210 Österreichs neuer Außenminister Schüssel setzte dieses (Verwirr-)Spiel fort, als er 1995 durchblicken ließ, die Neutralität bilde für Österreich kein Hindernis für eine volle Teilnahme an der WEU. Diese werde in Zukunft von der EU zunächst nur mit Krisenmanagement- und friedenserhaltenden Operationen betraut werden. Artikel 5 des WEU-Vertrages würde „vorerst nicht schlagend werden“. Noch im Frühjahr erklärte Schüssel Neutralität und NATO-Beitritt seien vereinbar, weil die Beistandspflicht zur Einschränkung, nicht aber zur Gegenstandslosigkeit der Neutralität führe. Ein vorbehaltloser Beitritt komme nicht in Frage. Diese ambivalenten Äußerungen wurden ohne Richtigstellungen abgedruckt. 211 Die von der Opposition geforderte Volksabstimmung im Falle eines WEU- oder NATO- Beitritts wurde von Regierungsseite als verfassungsrechtlich nicht zwingend beurteilt, was zutreffend war. An der Notwendigkeit einer 2/3 Parlamentsmehrheit zur Abschaffung eines Bundesverfassungsgesetzes wird aber keine Regierung in Österreich vorbeikommen. 210 Ebd., S. 50-52; „Fasslabend: Neutral auch in WEU. Ja zu kollektiver Verteidigung“, Die Presse, 26. September 1994. 211 Ebd., S. 53-54. 79
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<strong>Michael</strong> <strong>Gehler</strong><br />
gen, dem Parlament berichtet und dann eine Option als die den Erfordernissen<br />
entsprechende zur Grundlage der zukünftigen Politik gemacht werden.<br />
Verschiedene Varianten konnten ursprünglich erwogen werden: Wahrung<br />
des Status quo; verstärkte Betonung der dauerhaften <strong>Neutralität</strong> bei Erhöhung<br />
der Verteidigungsausgaben; Anstrengungen zu einer Kooperation aller<br />
EU-Nicht-Bündnismitglieder (Dänemark, was die WEU anlangt, Irland,<br />
Finnland, Schweden und Österreich); Bemühungen zum Ausbau der OSZE<br />
als völkerrechtliches Institut mit verbesserter Entscheidungskompetenz zu<br />
einer regionalen Organisation kollektiver Sicherheit als Art „Euro-UNO“;<br />
Abschwächung und Modifizierung des neutralen Status mit Blick auf eine<br />
„differentielle“ <strong>Neutralität</strong>; Absage an die „immerwährende“ <strong>Neutralität</strong><br />
zugunsten der Allianzfreiheit und Steigerung der eigenen Handlungsfreiheit<br />
ohne Bündnisbeitritt; Aufrechterhaltung des <strong>Neutralität</strong>sstatus unter Mitwirkung<br />
an Zusammenarbeitsformen (PfP, enhanced PfP, Aufwertung des<br />
Beobachterstatus bei der WEU etc.); WEU-Beitritt ohne NATO-<br />
Mitgliedschaft?; NATO-Beitritt ohne WEU-Zugehörigkeit?; Beitritt zur<br />
WEU und NATO. Bemerkenswerterweise sind nur zwei Möglichkeiten<br />
konkretisiert worden: Die Abweisung eines Entscheidungsbedarfs, d.h.<br />
Einfrierung des Status quo, bzw. als weiterführende Option die Beschäftigung<br />
mit der Möglichkeit eines WEU-Beitritts. Es handelte sich also um<br />
eine Politik des Abwartens, welchen Verlauf die EU-<br />
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würde. 209<br />
Deutlich wurde im weiteren Verlauf der Debatte, daß die ÖVP (v.a.<br />
Klubobmann Andreas Khol und Vizekanzler Schüssel) eine WEU- und<br />
NATO-Beitrittsoption forcierte, während von Teilen der SPÖ-Spitze (Nationalratspräsident<br />
Heinz Fischer und Klubobmann Peter Kostelka) diesbezüglich<br />
Blockierungstendenzen zum Ausdruck kamen. Die Volkspartei legte<br />
sich am 14. Juli 1997 auf eine Mitgliedschaft in der Atlantischen Allianz<br />
fest, was von den Sozialisten als Einengung des Erarbeitungsspielraums für<br />
den „Optionenbericht“ interpretiert wurde. Angesichts der Stimmung in der<br />
Bevölkerung - im Februar 1998 sprachen sich 65% gegen einen NATO-<br />
209 Ebd., S. 33-36.