Michael Gehler Finis Neutralität? - Archive of European Integration

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06.12.2012 Aufrufe

70 Michael Gehler als Standortbestimmung für den Vorsteher des Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport, dem früheren Eidgenössischen Militärdepartement (EMD) begriff, war knapp und prägnant gehalten und beinhaltete eine Reihe unmißverständlicher Empfehlungen. 191 Der Bericht empfahl eine engere Zusammenarbeit mit der NATO, die über den PfP-Rahmen hinausgeht. Die Kommission kam zum Schluß, daß Sicherheit in Europa nur noch im internationalen Verbund zu erreichen sei, v.a. in den Sektoren Technologie, Satellitenaufklärung, Luftraumüberwachung und Nachrichtendienst. Der Bundesrat hatte sich bereits 1993 für den EU-Beitritt als strategisches Ziel ausgesprochen. Laut Bericht Brunner verfüge die Schweiz über eine zu große Armee, die den Zeiterfordernissen nicht mehr gerecht werde. Gewichtsverlagerungen, die Beschaffung von Hochtechnologie und die Forcierung der Luftverteidigung wurden empfohlen. Spezialaufgaben im Hochtechnologiebereich sowie Einsatz- und Solidaritätskorps sollten von Berufspersonal bestritten werden. Eine dosierte Professionalisierung impliziere keinen Bruch mit dem Milizsystem. Die föderalistische Struktur der Armee sollte unangetastet bleiben, der zivile Bereich der Verteidigung allerdings straffer gestaltet werden (Abbau des Zivilschutzes, der ca. 300.000 Personen umfaßt). Die Schweiz habe ihre Solidarität nicht nur finanziell, sondern auch durch Eigenleistungen zu erweisen. Langfristig wurde bei verstärkter Kooperation die Aufgabe der Neutralität nicht ausgeschlossen. 192 Der „Bericht Brunner“ wurde von den Regierungsparteien und Kantonsregierungen mehrheitlich positiv aufgenommen. Lediglich der Züricher Nationalrat Christoph Blocher vom konservativen Flügel der Schweizerischen Volkspartei (SVP), der der Kommission angehörte und als einziger nicht zustimmte, vertrat die Auffassung, der Bericht diene dazu, die Neutralität zu untergraben und die Eidgenossenschaft in die EU und NATO „hineinzutreiben“. Im August 1998 wurden über 300 Stellungnahmen zum „Bericht Brunner“ der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Auswertungsgruppen umfaßten Kantone, Parteien, Sicherheitsexperten, interessierte Gruppen und Organi- 191 Enzelsberger, Die sicherheitspolitische Öffnung der Neutralen, S. 97-98. 192 Ebd., S. 105-107.

Finis Neutralität? sationen sowie Einzelpersonen. Eine sehr große Mehrheit befürwortete die Aufgabe der sicherheitspolitischen Zurückhaltung und ein stärkeres Engagement bei der Katastrophenhilfe, diplomatischen Friedensdiensten, beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz und der Entwicklungshilfe, eine große Mehrheit sprach sich aber auch für die Beibehaltung einer beweglich und pragmatisch gehandhabten Neutralität aus. Sie dürfe jedoch friedensfördernde Aktionen im Ausland nicht behindern. 193 Die alte Debatte um eine Schweizer UNO-Mitgliedschaft entflammte neu, als sich Bundespräsident Flavio Cotti im August 1998 deutlich für eine solche aussprach. Diese würde ein nicht so langes Beitrittsprocedere nach sich ziehen wie im Falle der EU oder der NATO. Zuletzt hatten die Schweizer 1986 gegen einen UNO-Beitritt abgestimmt. Nur 24,3% waren dafür gewesen. 194 Das „à la carte“-Prinzip der PfP drängt formell keine ungewollten Mitwirkungsformen auf, doch sind die Nachteile der selbstauferlegten Beschränkungen nicht zu leugnen: Sie begrenzen den Gewinn an „Interoperationalität“, um mit den Streitkräften anderer Länder zu kooperieren. Der im Blauhelm-Referendum abgelehnte bewaffnete Selbstschutz für Schweizer Friedenstruppen hatte schon vor der PfP-Teilnahme die Beteiligung an der I- FOR in Bosnien-Herzegowina verunmöglicht. Nach der PfP-Teilnahme stand der gleiche Vorbehalt der Beteiligung an PfP-Übungen zur Vorbereitung auf bewaffnete Einsätze der Friedensunterstützung entgegen und verhinderte die den Partnern angebotene und von anderen Neutralen genutzte Aufnahme in regionalen NATO-Kommandostäben. 195 Das sicherheitspolitische Engagement der Schweiz steigerte sich dennoch allmählich und schrittweise. Bern nahm auch am Planning and Review Process (PARP) der Partnerschaft teil, während noch keine Beteiligung an gemeinsamen militärischen Übungen zur Vorbereitung von Friedensoperationen stattgefunden hat. Erst wenn die Frage der Bewaffnung im Rahmen der laufenden Teilrevision des Militärgesetzes geregelt ist, kann die 193 Ebd., S. 109-111. 194 Ebd., S.104-105. 195 Thalmann, Das Verhältnis der Schweiz zur atlantischen Allianz, B 13-14. 71

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<strong>Michael</strong> <strong>Gehler</strong><br />

als Standortbestimmung für den Vorsteher des Departements für Verteidigung,<br />

Bevölkerungsschutz und Sport, dem früheren Eidgenössischen Militärdepartement<br />

(EMD) begriff, war knapp und prägnant gehalten und beinhaltete<br />

eine Reihe unmißverständlicher Empfehlungen. 191<br />

Der Bericht empfahl eine engere Zusammenarbeit mit der NATO, die über<br />

den PfP-Rahmen hinausgeht. Die Kommission kam zum Schluß, daß Sicherheit<br />

in Europa nur noch im internationalen Verbund zu erreichen sei,<br />

v.a. in den Sektoren Technologie, Satellitenaufklärung, Luftraumüberwachung<br />

und Nachrichtendienst. Der Bundesrat hatte sich bereits 1993 für den<br />

EU-Beitritt als strategisches Ziel ausgesprochen. Laut Bericht Brunner verfüge<br />

die Schweiz über eine zu große Armee, die den Zeiterfordernissen<br />

nicht mehr gerecht werde. Gewichtsverlagerungen, die Beschaffung von<br />

Hochtechnologie und die Forcierung der Luftverteidigung wurden empfohlen.<br />

Spezialaufgaben im Hochtechnologiebereich sowie Einsatz- und Solidaritätskorps<br />

sollten von Berufspersonal bestritten werden. Eine dosierte<br />

Pr<strong>of</strong>essionalisierung impliziere keinen Bruch mit dem Milizsystem. Die<br />

föderalistische Struktur der Armee sollte unangetastet bleiben, der zivile<br />

Bereich der Verteidigung allerdings straffer gestaltet werden (Abbau des<br />

Zivilschutzes, der ca. 300.000 Personen umfaßt). Die Schweiz habe ihre<br />

Solidarität nicht nur finanziell, sondern auch durch Eigenleistungen zu erweisen.<br />

Langfristig wurde bei verstärkter Kooperation die Aufgabe der<br />

<strong>Neutralität</strong> nicht ausgeschlossen. 192<br />

Der „Bericht Brunner“ wurde von den Regierungsparteien und Kantonsregierungen<br />

mehrheitlich positiv aufgenommen. Lediglich der Züricher Nationalrat<br />

Christoph Blocher vom konservativen Flügel der Schweizerischen<br />

Volkspartei (SVP), der der Kommission angehörte und als einziger nicht<br />

zustimmte, vertrat die Auffassung, der Bericht diene dazu, die <strong>Neutralität</strong><br />

zu untergraben und die Eidgenossenschaft in die EU und NATO „hineinzutreiben“.<br />

Im August 1998 wurden über 300 Stellungnahmen zum „Bericht<br />

Brunner“ der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Auswertungsgruppen umfaßten<br />

Kantone, Parteien, Sicherheitsexperten, interessierte Gruppen und Organi-<br />

191 Enzelsberger, Die sicherheitspolitische Öffnung der Neutralen, S. 97-98.<br />

192 Ebd., S. 105-107.

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