Michael Gehler Finis Neutralität? - Archive of European Integration
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62 Michael Gehler jedoch eine Rolle, daß jenseits der ca. 1.300 km langen Ostgrenze ca. 250.000 Mann stehen und Verlauf wie Ergebnis krisenhafter Entwicklungen in Rußland nicht abschätzbar sind. Schon seit geraumer Zeit hat Finnland an friedenserhaltenden Operationen teilgenommen, die als Beitrag zur eigenen Sicherheit interpretiert werden. 172 In der Konsequenz einer wirksamen Verteidigung hat Finnland als einziger skandinavischer und EU-Staat die Konvention von Ottawa über das Verbot von Landminen (APL) mit der Begründung nicht unterzeichnet, daß die jenseits der Grenze stehenden tausenden von Panzer im Falle eines Einrückens nur mit Landminen effektiv abgewehrt werden könnten. 173 Im Rahmen der offiziell verkündeten „Allianzfreiheit“ hat in den letzten Jahren eine Kooperation mit der NATO eingesetzt. Finnland suchte als erster Neutraler um Beobachterstatus beim NACC an und war frühester PfP- Teilnehmer. Die Mitwirkung an PfP-Aktivitäten mit dem Ziel einer Optimierung der Zusammenarbeit im operativen Bereich (Seminare wie gemeinsame Übungen der See- und Landstreitkräfte im Ostseeraum) erscheint aber das Maximum des derzeit Vorstellbaren. Durch Angleichung der technischen Standards in der Truppenführung bis hin zur Verwendung von Landkarten wird jedoch der operative Einsatz koordiniert. Finnland hat sich dabei bisher als „NATO-Musterschüler“ profiliert. Von der Luftverteidigung über Kommandostrukturen bis zum Englisch-Unterricht in den Militärakademien gilt NATO-Standard als Leitlinie. Die Bestrebungen laufen auf eine möglichst enge Verbindung hinaus, wobei der Euro-Atlantische Partnerschaftsrat (EAPC) als Plattform gesehen wird und das finnische Verteidigungssystem so gestaltet sein soll, daß im Ernstfall eine effiziente Zusammenarbeit möglich ist. Die Kooperation findet auch Ausdruck im Verkauf eigener Rüstungserzeugnisse an NATO-Länder, z.B. Minenräum- 172 Siehe die Ausführungen des österr. Botschafters in Helsinki Wendelin Ettmayer, Finnland – Eine glaubwürdige Landesverteidigung, Info-Aktuell Zur Sicherheitspolitik (Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie),Wien 1999, S. 1-13 wie auch sein Buch: Wendelin Ettmayer, Finnland - Ein Volk im Wandel, Berlin – Wien 1999. 173 Finnish Foreign Policy 1999, http://virtual.finland.fi/finfo/english/chrono1999_03.htm1, S. 1 (abgerufen am 5. März 2000).
Finis Neutralität? geräte oder High Tech-Produkte der Telekommunikation. Es fragt sich daher, warum Finnland noch nicht der NATO beigetreten ist. Als Antwort werden sicherheitsspezifische, mentalitätsgeschichtliche und innenpolitische Gründe angeführt, Motive, die mit der geostrategischen Lage, Skepsis gegenüber der kollektiven Sicherheit und der Stimmungslage im Lande selbst eng verknüpft sind. Durch eine NATO-Mitgliedschaft wird Instabilität der Region und Reduktion der eigenen Sicherheit aufgrund zu erwartender negativer russischer Reaktionen befürchtet. Helsinki war stets bemüht, die Beziehungen zu Rußland nicht in Mitleidenschaft zu ziehen. Sowohl der EU-Beitritt als auch die Teilnahme am EURO erfolgten so, daß das Verhältnis zu Rußland nicht über Gebühr strapaziert wurde. Helsinki ist auch sehr an einer Mitwirkung Rußlands (das seit dem 22. Juni 1994 schon der PfP beigetreten ist) an der neuen Sicherheitsarchitektur in Europa interessiert, wobei dies eher unwahrscheinlich erscheint. Im Laufe der Geschichte machte Finnland die Erfahrung, im Ernstfall auf sich allein gestellt zu sein. Sich fast nur auf die eigenen Kräfte verlassen zu können, erlebte man im russisch-finnischen Winterkrieg 1939/40 in traumatischer Weise. Nach Meinungsumfragen der letzten Jahre ist die absolute Mehrheit der Bevölkerung (meist um die 60%) gegen einen NATO-Beitritt. In den großen Parteien (Sozialdemokraten und Zentrum, welches Landbevölkerung und Bauern einschließt) gibt es starke Tendenzen gegen die NATO. Hinzu kommt noch ein weiteres Motiv: das Verlangen nach Zusammenarbeit im Ostsee-Raum hängt mit dem Wunsch nach Erhaltung unabhängiger Staaten im Baltikum zusammen und wird als Teil der eigenen Sicherheit interpretiert. Einen wichtigen Faktor im finnischen Denken stellen die nun unabhängigen, ehemaligen sowjetischen Republiken Estland, Lettland und Litauen dar, denen keine NATO-Mitgliedschaft offen stehen dürfte. Finnlands Politik befürchtet, bei einem NATO-Vollbeitritt zu einer Abkoppelung und Isolation der baltischen Staaten beizutragen. Unter finnischem Einfluß wurde die estnische Verteidigungsdoktrin mit Blick auf allgemeine Wehrpflicht und territoriale Verteidigung konzipiert. Die nordische Koope- 63
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<strong>Michael</strong> <strong>Gehler</strong><br />
jedoch eine Rolle, daß jenseits der ca. 1.300 km langen Ostgrenze ca.<br />
250.000 Mann stehen und Verlauf wie Ergebnis krisenhafter Entwicklungen<br />
in Rußland nicht abschätzbar sind. Schon seit geraumer Zeit hat Finnland<br />
an friedenserhaltenden Operationen teilgenommen, die als Beitrag zur<br />
eigenen Sicherheit interpretiert werden. 172<br />
In der Konsequenz einer wirksamen Verteidigung hat Finnland als einziger<br />
skandinavischer und EU-Staat die Konvention von Ottawa über das Verbot<br />
von Landminen (APL) mit der Begründung nicht unterzeichnet, daß die<br />
jenseits der Grenze stehenden tausenden von Panzer im Falle eines Einrückens<br />
nur mit Landminen effektiv abgewehrt werden könnten. 173<br />
Im Rahmen der <strong>of</strong>fiziell verkündeten „Allianzfreiheit“ hat in den letzten<br />
Jahren eine Kooperation mit der NATO eingesetzt. Finnland suchte als erster<br />
Neutraler um Beobachterstatus beim NACC an und war frühester PfP-<br />
Teilnehmer. Die Mitwirkung an PfP-Aktivitäten mit dem Ziel einer Optimierung<br />
der Zusammenarbeit im operativen Bereich (Seminare wie gemeinsame<br />
Übungen der See- und Landstreitkräfte im Ostseeraum) erscheint<br />
aber das Maximum des derzeit Vorstellbaren. Durch Angleichung<br />
der technischen Standards in der Truppenführung bis hin zur Verwendung<br />
von Landkarten wird jedoch der operative Einsatz koordiniert. Finnland hat<br />
sich dabei bisher als „NATO-Musterschüler“ pr<strong>of</strong>iliert. Von der Luftverteidigung<br />
über Kommandostrukturen bis zum Englisch-Unterricht in den Militärakademien<br />
gilt NATO-Standard als Leitlinie. Die Bestrebungen laufen<br />
auf eine möglichst enge Verbindung hinaus, wobei der Euro-Atlantische<br />
Partnerschaftsrat (EAPC) als Plattform gesehen wird und das finnische<br />
Verteidigungssystem so gestaltet sein soll, daß im Ernstfall eine effiziente<br />
Zusammenarbeit möglich ist. Die Kooperation findet auch Ausdruck im<br />
Verkauf eigener Rüstungserzeugnisse an NATO-Länder, z.B. Minenräum-<br />
172 Siehe die Ausführungen des österr. Botschafters in Helsinki Wendelin Ettmayer,<br />
Finnland – Eine glaubwürdige Landesverteidigung, Info-Aktuell Zur Sicherheitspolitik<br />
(Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie),Wien 1999, S. 1-13 wie<br />
auch sein Buch: Wendelin Ettmayer, Finnland - Ein Volk im Wandel, Berlin –<br />
Wien 1999.<br />
173 Finnish Foreign Policy 1999,<br />
http://virtual.finland.fi/finfo/english/chrono1999_03.htm1, S. 1 (abgerufen am 5.<br />
März 2000).