06.12.2012 Aufrufe

Michael Gehler Finis Neutralität? - Archive of European Integration

Michael Gehler Finis Neutralität? - Archive of European Integration

Michael Gehler Finis Neutralität? - Archive of European Integration

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

6<br />

<strong>Michael</strong> <strong>Gehler</strong><br />

schätzung für <strong>Neutralität</strong>. Zu Beginn des Römischen Reiches erfreute sie<br />

sich noch Zustimmung, im Laufe seiner Ausdehnung stieß sie auf immer<br />

stärkere Ablehnung: Wer nicht für Rom ist, ist gegen Rom, hieß die simple<br />

Formel, die wiederkehren sollte. In Friedensverträgen mit dem Imperium<br />

Romanum wurde die <strong>Neutralität</strong>sklausel fortan ausgeschlossen. Negativ<br />

beurteilt wurde <strong>Neutralität</strong> v.a. durch die „bellum iustum“-Lehre (Augustin,<br />

Thomas von Aquin), die mit Entstehung und Ausbildung staatlicher Souveränität<br />

eng zusammenhing: Wurde Krieg unter Voraussetzung spezifischer<br />

Bedingungen („auctoritas principis“, „iusta causa“, „recta intentio“ und „iusta<br />

pax“) 14 als „gerecht“ und somit als „statthaft“ angesehen, so Nichtbeteiligung<br />

als Pflichtverletzung und <strong>Neutralität</strong> als „unsolidarisch“ gebrandmarkt.<br />

Dieser Rigorismus nahm erst ab, als die Frage aufkam, auf<br />

welcher Seite eigentlich die „iusta causa“ war und wer darüber zu befinden<br />

hatte. Mit Festlegung der Verhaltensmaßregeln in den Kreuzzügen (1096-<br />

1291) wurde die Nichtbeteiligung am Heiligen Krieg verwerflich, ja sündhaft.<br />

Missionsdrang und Bekehrungszwang führten zur Diskreditierung und<br />

Verteufelung der <strong>Neutralität</strong>.<br />

Folgende Faktoren begünstigten die Reetablierung der <strong>Neutralität</strong> in der<br />

frühen Neuzeit: Wachsende Zweifel an der Lehre vom „gerechten“ Krieg,<br />

die Konsolidierung des Staatensystems, die Fortentwicklung des Souveränitätsprinzips<br />

- auch kleinerer Staaten – und die Aufrechterhaltung gewonnener<br />

wirtschaftlicher und handelspolitischer Positionen, so daß <strong>Neutralität</strong><br />

im 16. und 17. Jh. als Völkerrechtsinstitut anerkannt wurde. 15<br />

Während Niccolò Machiavelli sie machtpolitisch interpretierte und empfahl,<br />

der „Fürst“ solle nicht neutral bleiben, sondern intervenieren, wenn<br />

die Kriegsparteien schwach seien, plädierte Jean Bodin für <strong>Neutralität</strong>, die<br />

abgesehen von der Isolationsgefahr eine friedensstiftende Funktion besitze,<br />

v.a. wenn sie gleichgewichtsstabilisierend sei. Hugo Grotius, noch dem<br />

14 Die „iusta causa“ lag vor, wenn der Krieg als Reaktion auf ein Unrecht galt, vgl.<br />

Schweitzer, Völkerrechtliche Begriffsbildung und Ausgestaltung, S. 319-321.<br />

15 Ebd., S. 321. Traité de neutralité entre Francois I. et Marguerite, Archiduchesse<br />

d'Autriche 1522; Beschluß der Tagsatzung zur unbedingten <strong>Neutralität</strong> und Erlaß<br />

eines Durchzugsverbots für Truppen und Kriegsmaterial im Schmalkaldischen<br />

Krieg 1545; <strong>Neutralität</strong>spflicht bei Streitpunkten innerhalb des eidgenössischen<br />

Staatenbundes seit dem 16. Jahrhundert.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!